Auch die Moderne ist alt geworden

Architekten und Städteplaner müssen sich mit ihren Sünden auseinandersetzen

Leider verweigert sich auch Holger Liebs ("Bode und Bauhaus", 21. Januar) einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der komplexen Thematik stadträumliche (Neu-) Gestaltung und (kritische) Rekonstruktion. Das Bauhaus wird ideologisch - mit dieser Polemik macht es sich der Autor schlicht zu einfach. Wer wird einmal den Mut haben, diesen unsinnigen und nur noch destruktiven Streit zwischen den unterschiedlichen Positionen der Akteure (Tradition versus Moderne) zu beenden und hier einen sinnvollen Brückenbau zu ermöglichen? Sicher, Rekonstruktionsprojekte müssen sich einer kritischen, historischen Auseinandersetzung mit etwa Nazi-Terror, Krieg und Zerstörung stellen. Zu einer kontroversen Debatte gehört auch, die Grenzen von Rekonstruktionen zu erkennen.

Dennoch muss sich auch die Architekturmoderne kritischen Fragen stellen und sollte die eigene Geschichte (und die Fehler und Irrtümer) nicht ignorieren. Nicht nur alte Bautraditionen, auch das Bauhaus der Zwanziger und Dreißiger Jahre wurde von den totalitären Diktaturen missbraucht und für Parteipropaganda instrumentalisiert (Albert Speer verfasste Anfang der 40er Jahre ein Vorwort für das Lehrbuch "Bauentwurfslehre" von Ernst Neufert. Nach Auffassung von Speer ermöglicht der Funktionalismus des industriellen und seriellen Bauens einen zügigen Wiederaufbau nach dem "totalen Krieg". Dieses Lehrbuch war eine Grundlage für den Wiederaufbau in Deutschland nach 1945.

Architekten und Stadtplaner müssen sich mit den städtebaulichen Verheerungen der autogerechten Stadt der Nachkriegszeit und ihren Auswirkungen erneut auseinandersetzen. Diese sollten jetzt nicht noch (auch durch die Denkmalpflege) nachträglich verklärt und zwingend konserviert werden. Was heute als die Moderne in den Medien gefeiert wird, ist bei nüchterner Betrachtung oft auch nur ein Retro-Design, derzeit eine Wiederholung der Gestaltung der sechziger und siebziger Jahre. Auch die Moderne ist alt geworden.

Die Rekonstruktion einzelner kulturell und historisch bedeutsamer Bauten ermöglicht eine notwendige Wiederherstellung einer vernünftigen Balance zwischen Tradition und Moderne. Der Bau menschlicher und maßvoller Stadträume braucht einen konstruktiven Dialog zwischen den unterschiedlichen Positionen und auch eine Kenntnis über die regionalen Bautraditionen. Warum soll es nicht auch möglich sein, an alte Bautraditionen für die Gestaltung von Neubauten teilweise anzuknüpfen?

Markus Erich-Delattre

Hamburg

Selbst ein Scientologe

hat das nicht verdient

Was wollen Sie mit der Kommentierung und Bewertung ihres Interviewpartners und seiner Antworten ("Den Wahnsinn weglachen", 20. Januar) bezwecken? Von Journalismus, der ernst genommen werden will, wünsche ich mir wenigstens ein Bemühen um Objektivität. Auf subjektive, persönliche Interpretationen - wohl mit der Absicht, den Befragten bloßzustellen - verzichte ich hingegen gerne. Welcher Glaubensgemeinschaft Tom Cruise angehört, ist seine Sache. Ich sehe keinen Grund, ihn deswegen als Person zu missachten. Vielleicht ist er ja tatsächlich schräg und sein Hirn von Scientology gewaschen. Aber falls dem so ist, möchte ich es lieber mittels Informationen erfahren, die Raum für ein eigenes Urteil lassen und nicht durch derartige Polemik.

Benjamin Berger

München

Listige

Interview-Tricks

Tom Cruise mag umstritten und seine Rolle als Stauffenberg unpassend sein, ihn auf diese Weise persönlich anzugreifen, ist jedoch unanständig. Nichts spricht dagegen, neben das Interview davon getrennt einen Kommentar zur Person Tom Cruise zu schreiben, der durchaus provozierend sein kann. Hält man die Mitgliedschaft bei Scientology für unmoralisch, dann soll man es offensiv, aber vor allem offen ansprechen. Dies heimlich in ein Interview einzuflechten und die Aussagen zu kommentieren, um seine Person lächerlich zu machen, ohne ihm eine Möglichkeit der Antwort zu geben, ist der Süddeutschen Zeitung unwürdig. Wenn man es nicht schafft, durch geschickte Fragen ein spannendes Gespräch zu führen, darf man sich nicht mit listigen Tricks etwas zusammenbasteln, was mit dem Gesagten nichts zu tun hat. Solch eine Behandlung hat niemand verdient, auch kein Scientologe wie Tom Cruise.

Anton Schuberl

Eging am See

Wer kontrolliert

die unabhängigen Richter?

Glauben Sie doch bitte nicht, dass Richter besser richten, nur weil sie "unabhängig" sind ("Die Staatsgläubigkeit ist Vergangenheit", 19. Januar). Im Gegenteil, wer kontrolliert sie dann? Wer kann sie zur Rechenschaft ziehen? Wenn die deutschen Richter es den anderen 23 europäischen Staaten gleich machen wollen, dann sollten sie auch mit Videosystem in allen Gerichtssälen arbeiten, zum Schutze des Bürgers und zur Kontrolle. Die deutsche Justiz muss transparenter werden. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Richter Machtmissbrauch betreiben, solange keine Videopflicht besteht. Solange dürften sie auch nicht im "Namen des Volkes" Urteile sprechen. Und wer im "Namen des Volkes" spricht, hat diesem auch Rechenschaft abzulegen. Sonst ist es keine Demokratie, sondern eine "Schein"-Demokratie, die dem Volk vorgaukelt, alles in ihrem Sinne zu tun und tatsächlich nur nach Machtgewinn ohne Rechenschaft strebt. Die Journalisten haben die Aufgabe, die Rechte des Bürgers nicht nur zu sichern, sondern zu erweitern.

Farida Bischoff

Grafschaft

Die FDP hat die Krise

mitverursacht

Es war keine Überraschung, dass die SPD bei der Hessenwahl derartig in den Keller gerauscht ist . Umso überraschender ist dagegen der starke Anklang, den die Freien Demokraten beim Wähler gefunden haben ("Gelb ist die Hoffnung", 20. Januar). In Deutschland gehört die FDP mit ihren wirtschaftspolitischen Leitbildern zu den Hauptverursachern der katastrophalen Finanzkrise und der damit verbundenen existentiellen Gefährdung der deutschen Wirtschaftsunternehmen. Deregulierung, Befreiung der Wirtschaft von Regelungen und Vorschriften, Zurückdrängung des Staates und Reduzierung seiner Einflussmöglichkeiten, Verringerung der Steuereinnahmen durch den Staat, damit der Markt über mehr Kapital verfügen kann - alles das, um den Spielraum und vor allem die Risikobereitschaft wirtschaftlichen Handels zu erhöhen und damit eine Dynamik in der Wirtschaft zu erzeugen, die Wirtschaftswachstum schaffen soll. So weit so gut. Was aber geschieht, wenn die befreiten Risiken in die Krise führen, in der Finanzwelt riesige Vermögenswerte dadurch verloren gehen, Wirtschaftsunternehmen ins Wanken geraten oder gar schließen müssen? Die von Kontrollen und Zwängen befreiten Verantwortlichen der Krise packen ihr Köfferchen und ziehen zu ihrem Geld ins Ausland. Die Leidtragenden, die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung nämlich haben es auszubaden. Der einzige Schutz, der ihnen bleibt, ist dann ein starker Staat, der wie gegenwärtig mit den Steuermitteln der Bürger in der Lage ist, milliardenschwere Hilfsprogramme aufzulegen, um die Krise zu meistern. Den Staat schwach zu machen, ein Hauptcredo der Liberalen, bedeutet einfach nur, die Bevölkerungsmehrheit schutzlos zu lassen. Die FDP, der es eh nur darauf ankommt, ihren politischen Freunden möglichst viele Bereicherungsmöglichkeiten zu schaffen, ficht das natürlich nicht an. Den Wählern aber sollte das zu Denken geben. Der FDP jetzt zu einem Höhenflug zu verhelfen und sie jetzt in die politische Verantwortung zu bringen, heißt, den Bock zum Gärtner zu machen.

Dieter Menyesch

Ludwigsburg

Das Kreuz

der Wähler

Die wachsende Zahl der Nichtwähler als Ausdruck grundsätzlicher Zufriedenheit mit der Politik zu deuten ("Der Schlaf der Demokratie", 20. Januar) verkehrt die Motive vieler Nichtwähler ins Gegenteil. In Wirklichkeit ist es doch so, dass immer mehr Menschen der Politik den Rücken kehren, weil sie keinerlei Mitwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten erkennen. Weil es egal ist, wo man sein Kreuz macht - es geschieht doch nichts oder nur das Falsche. Das parlamentarische System hat den Kontakt zur Außenwelt verloren. In Fraktionszwang behaftet und von Lobbyisten zugetextet, wird kaum mehr nach Vernunftmaßstäben gehandelt. Dafür wird die mediale Außenwirkung jeder Entscheidung vorher intensiv geprüft, nur damit man in der Tagesschau wieder gut dasteht. Es wäre vielleicht wirklich keine schlechte Idee, wie von Heribert Prantl skizziert, nur noch so viele Parlamentssitze zu besetzen, wie in absoluten Zahlen Stimmen an der Wahlurne abgegeben wurden. Denn dann müssten sich die Parteien reformieren und wieder aktiver auf den Wähler zugehen.

Klaus Strohschön

München

Autos

wie Flundern

Wirklich beeindruckend das geduckte Design des neuen Audi A7 ("Grün ist alle Theorie", 19. Januar): von sportlicher Eleganz und Dynamik, so richtig geformt, und ein Fahrerlebnis, das nur nach den Intentionen des Fahrers frei gestaltet wird. Als wenn die Form Gefühle befriedigen könnte, die sich im Normalverkehr nicht mehr erleben lassen. Die Realität ist leider anders, schon heute.

Deshalb müsste ein zukunftsfähiger Entwurf anders ausfallen: Keine so hohe Ladekante für den Kofferraum; keine durch lebhafte Wölbungen, herausragende Kanten und zurückgesetzte Seitenscheiben notwendigerweise dicke Türen, die in Parklücken bei eingeschränktem Öffnungswinkel ein bequemes Ein- und Aussteigen behindern. Deren zum Aussteigen bei gleichbleibender Stellplatzbreite verbleibender Türspalt erzwingt, sich mit katzenartiger Gelenkigkeit aus dem tief liegenden Sitz nach oben und schließlich nach außen zu hieven, um dann auch noch die beiden benachbarten Karosserien mit der eigenen Kleidung zu trocknen oder zu säubern. Eben keine immer stärker nach hinten abfallende Dachlinie bei ansteigenden unteren Fensterlinien, die die hinten Sitzenden in niedrige Sitzpositionen zwingen. Wenn Audi das in sein Lastenheft geschrieben hätte, wären seine Konstrukteure und Designer (nicht nur beim neuen A7) zu einem anderen Ergebnis gekommen.

Hans Lafrenz

Hamburg

Außenpolitik

mit dem Scheckbuch

Die Europäische Union hat die Palästinenser im Jahr 2008 mit 73 Millionen Euro unterstützt. Ein Teil davon dürfte für Waffenkäufe verwendet worden sein. Kaum sind die Kriegshandlungen, die von Palästinensern provoziert worden sind, abgeflaut, steht der deutsche Außenminister mit dem Scheckbuch auf der Matte ("Deutschland prescht bei Friedensdiplomatie in Gaza vor", 20. Januar). Damit gewinnt er vielleicht Sympathien in den islamischen Ländern, er gibt dafür die Sicherheit des Staates Israel preis. Der Teufelskreis hat sich wieder geschlossen.

Jürgen Bollinger

Neuwied

Von Menschen

und Fischen

In dem lesenswerten Artikel "Das Überleben der Schwächsten (13. Januar) steht, dass am besten erforscht der Einfluss des Super-Jägers, also des Menschen, im Fall von Dorsch und Kabeljau sei. Hinter diesen beiden verbirgt sich jedoch derselbe Fisch "Gadus morhua", wobei mit der Bezeichnung Dorsch zum Einen der Kabeljau aus der Ostsee, zum Anderen auch der noch nicht geschlechtsreife Kabeljau beschrieben wird. Als Dorsche (Gadidae) wird auch eine Familie der Knochenfische bezeichnet, dessen größte Art der Kabeljau ist.

Dr. Gerold Wempe

Heidelberg

Die Justiz könnte durch Videos im Gerichtssaal transparenter werden. ddp

Einzelne wiederaufgebaute Gebäude können eine Brücke zwischen Tradition und Moderne schlagen. Das Bild zeigt die Dresdner Frauenkirche. Foto: ddp

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Zeugen unerwünscht

Peter McGee verkauft Nachdrucke von NS-Zeitungen - nun hat Bayerns Finanzministerium Strafantrag gegen ihn gestellt

Dürfen Deutsche im Jahr 2009 eine NS-Zeitung wie den Völkischen Beobachter von 1933 lesen? Der englische Verleger Peter McGee ist dafür, er hat am Donnerstag 150 000 Exemplare der zweiten Nummer seiner Publikation Zeitungszeugen ausliefern lassen, unter anderem mit einem Nachdruck des Völkischen Beobachters vom Tag nach dem Reichstagsbrand ("Das Maß ist voll!"). Das bayerische Finanzministerium, bei dem die Verwertungsrechte des Eher-Verlags liegen, der das Hetzblatt einst herausgab, ist dagegen. Es hatte McGee am 16. Januar, nach der Startausgabe, untersagt, Eher-Faksimiles zu verbreiten. McGee hat nicht darauf gehört. Das hat nun Folgen.

Am Donnerstag hat das Ministerium wegen der Ausgabe mit dem Völkischen Beobachter Strafantrag gestellt, unter anderem wegen Urheberrechtsverletzungen. Man werde zudem zivilrechtliche Schritte einleiten, hieß es, "um künftige Nachdrucke der NS-Hetzpresse wie dem Völkischen Beobachter zu verhindern".

McGees Berliner Anwalt Ulrich Michel gibt sich optimistisch. Er weist das Verbot im Gespräch mit der SZ aus mehreren Gründen zurück. So argumentiere das Ministerium, dass es die Urheberrechte am Völkischen Beobachter und anderen Eher-Publikationen durch öffentlich-rechtliche Akte des Alliierten Kontrollrates in den Jahren 1945 bis 1947 erhalten habe - um eine Wiederverbreitung zu verhindern. Michel zufolge gibt es für eine solche "gesonderte Rechtswahrnehmung" aber "keinen Raum mehr", da nach 1947 ordentliche Gesetze zur Verhinderung der Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen erlassen worden seien: "Die Verwaltung kann nicht über das Urheberrecht Verbote öffentlich-rechtlicher Natur durchzusetzen versuchen, für die es keine öffentlich-rechtliche Gesetzesgrundlage gibt."

Auch das Urheberrecht greife nicht. Es schütze den wirtschaftlichen Wert eines Werkes in Form der Verwertungsrechte und das Urheberpersönlichkeitsrecht. Der Freistaat habe aber betont, dass er eine Verbreitung verhindern wolle, an einer wirtschaftlichen Verwertung also kein Interesse habe. "Und dass sich das Ministerium für den Schutz des Urheberpersönlichkeitsrechtes der Autoren und Herausgeber, also Joseph Goebbels, einsetzen will, ist unvorstellbar."

Falls der Urheberrechtsschutz doch greifen sollte, gelte laut Michel die sogenannte Zitatfreiheit: "Eine Vervielfältigung wie die unseres Mandanten ist zulässig, wenn das zitierte Werk in ein selbständiges wissenschaftliches Werk aufgenommen wird. Das ist bei den Zeitungszeugen mit dem mehrseitigen Mantel, in dem renommierte Historiker die Faksimiles kommentieren, eindeutig der Fall." Und schließlich würde das Projekt noch durch die im Grundgesetz verankerte Freiheit der Wissenschaft geschützt.

Und was sagt der Verleger? McGee gibt zu, dass er von dem Streit nicht überrascht worden sei; Michel und er hätten sich bereits im Juli 2008 beraten. "Dass wir das Ministerium nicht vorher um Erlaubnis gebeten haben, liegt daran, dass wir seine Haltung kannten", sagt er. Nach einem "Nein" vor dem Start wäre es für das Projekt viel schwieriger geworden. "Die Debatte, die jetzt stattfindet, begrüßen wir sehr. Wir wollen öffentlich über den Umgang mit Publikationen aus der NS-Zeit diskutieren." Juristisch will der englische Verleger "Schritt für Schritt" vorgehen, notfalls bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen. Er hoffe aber, sich mit dem Freistaat vorher noch zu einigen. MARC FELIX SERRAO

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Drinks gegen den Kater

Ganz ohne Schäumchen: Das neue Foodmagazin "Effilee"

Von klein auf hat sie ihn fasziniert, die Ente. Gebraten, gegart, in jeder Form. Heute genießt er sein Lieblingsgeflügel am liebsten, nachdem es - sparsam mit Salz und Pfeffer gewürzt - etwa 80 Minuten lang im Ofen war. Und weil er es sich leisten kann, hat der Unternehmer Vijay Sapre sein Magazin auch nach der klassischen Bezeichnung für hochwertiges Geflügel benannt, das nur von seinem Darm befreit und gerupft wurde: Effilee. Mit dem neuen Heft für und über Menschen, die Essen lieben, erfüllt sich der 46-Jährige einen Traum, den sich nur einer wie er leisten kann. 1996 hatte Sapre das Internetportal mobile.de gegründet, eine Verkaufsplattform für Gebrauchtwagen, 2005 hat er sie mit hohem Gewinn an Ebay verkauft. Für Sapre, der schon als Student Geld sparte, um ein, zwei Mal im Jahr ins Nobelrestaurant zu gehen, war klar: Das nächste Mal geht es ums Essen.

Mit der Gründung des Portals kochpiraten.de, einer Art Wikipedia zum Thema, verband Sapre kulinarischen Überzeugungen und Onlinekenntnisse. Doch nach einiger Zeit wurde ihm klar, dass sich das Internetgeschäft allein nicht rechnen würde. Außerdem hatte er das Bedürfnis, nach zwölf Jahren wieder etwas Anderes zu machen, etwas zum Anfassen. Zuerst wurde aus kochpiraten.de die Seite effilee.de. Dort, quasi als Printableger, entstand dann das Heft, im eigens gegründeten Verlag in Hamburg.

Ein Neuanfang war Effilee nicht nur für Sapre, der sein Team aus ehemaligen mobile.de-Kollegen und Leuten von außen zusammenstellte. Mit sieben festen und vier freien Mitarbeitern sollte es auch ein Neuanfang im "Foodjournalismus" werden. Sapres Ziel war ein Magazin mit Geschichten von Menschen zu entwickeln, die im weitesten Sinne mit Essen zu tun haben. Hefte, in denen sich ein Rezept ans nächste reiht und jede Saison eine Zutat durch alle Menüstufen dekliniert wird, gab es seiner Meinung nach genug: "Wenn ich viele Rezepte will, kaufe ich mir ein Kochbuch, nicht ein Foodmagazin." Bei Effilee sollte die Freude am Essen im Mittelpunkt stehen. "Es gibt viele üppige, bunte oder exotische Essensmagazine", sagt Redakteur Peter Lau, der früher beim Wirtschaftsmagazin Brand eins war. "Aber Freude?"

Freude am Essen zu vermitteln klingt naheliegend, ist in dem Marktsegment aber keine Selbstverständlichkeit. Anders als in Ländern wie Frankreich gab es in Deutschland bisher nur die Extreme. Einerseits Hefte wie den Feinschmecker, die Hochglanz-Tipps für teure Menüs in abgelegenen Ferienorten präsentieren. Andererseits Publikationen wie Essen & Trinken fürs tägliche Gebrutzel. Dazwischen Diät- und Vegetariermagazine, die versuchen, den Lesern im Herbst das Kraut schmackhaft zu machen, und jene Veröffentlichungen, die bloß die Rezepte der Fernsehköche abdrucken. Sapre sagt, er habe keine Zielgruppenforschung betrieben. Seine Leser stelle er sich als Menschen zwischen 35 und 40 Jahren vor, die einen festen Rahmen aus Beziehung und Beruf haben und gutes Essen einem Clubbesuch vorziehen. "Glauben Sie nicht, dass das nur ein Kochheft ist", schrieb er in seinem ersten Vorwort.

Schneller Teller

Zumindest sieht Effilee nicht so aus. Das Layout der ersten beiden Ausgaben wirkt leicht, mit Schwarzweißfotos zur Weingeschichte und Illustrationen statt knallbunter Food-Fotografie. In jeder Ausgabe gibt es eine Modestrecke in einem Lokal und die Rubrik "Drei Töpfe". Darin kochen Menschen aus drei Kulturen die gleiche Zutat oder das gleiche Gericht; in der aktuellen zweiten Ausgabe bereiten eine Schottin, eine Thailänderin und eine Argentinierin Hühnersuppe zu. Rezepte gibt es auch, allerdings seltener als anderswo. Sie heißen "Schnelle Teller" oder sind auf eine Zutat gemünzt - aktuell Steckrüben -, und sie sind eines der wenigen Dinge im Heft, die etwas uninspiriert wirken. Originell sind dafür die Cover: Statt elegant drapierter Filets an Schäumchen mit Häubchen gibt es ein Stück Butter in der Pfanne oder, passend zum Schwerpunktthema Kater, die Zutaten für eine "Prärieauster" lose versammelt, als wäre das Gebräu gegen einen dicken Kopf gerade erst angerührt worden.

Die Konkurrenz der Kochportale schrecke ihn nicht ab, sagt Sapre. "Der Erfolg dieser Plattformen und zahlreicher Foodblogs beweist, dass Nachfrage da ist." Doch nur ein gedrucktes Heft könne man am Frühstückstisch lesen. Effilee ist mit einer Auflage von 113 000 Stück und einem Preis von 6,80 Euro gestartet. Das Magazin soll alle zwei Monate und erstmal bis Ende des Jahres erscheinen. Das habe er seiner Redaktion versprochen, sagt Sapre, das könne er sich leisten. LEA HAMPEL

Wo ist das Essen? Ein Effilee-Bild zum Thema "Fitt durch Fett". Foto: Effilee

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

"Keine Wiederholungsgefahr"

Erst nach Monaten hat die Telekom in ihrer Spitzelaffäre den Streit mit einem "Capital"-Redakteur beendet

Ein gutes halbes Jahr, nachdem René Obermann Vorstandschef der Deutschen Telekom geworden war, sprach ihn im August 2007 ein Mitarbeiter aus der Sparte T-Mobile an. Er informierte den Chefmanager über einen heiklen Vorgang. Die Sicherheitsabteilung des Konzerns habe die Verbindungsdaten des Capital-Redakteurs Reinhard Kowalewsky ausgewertet, um festzustellen, mit welchem Aufsichtsrat der Wirtschaftsjournalist wann und wie lange telefoniert hatte. Der Mann von Capital hatte den Vorstand mit Geschichten über vertrauliche geschäftliche Vorgänge genervt.

Am nächsten Tag schon schaltete Obermann den Chefjustiziar und den Leiter Wirtschaftsrecht ein und bat die beiden, sofort Ermittlungen aufzunehmen. Der Sicherheitsbereich wurde kurz darauf komplett umstrukturiert, Kompetenzen wurden neu aufgeteilt und Mitarbeiter versetzt. Auch erarbeitete der Telefonkonzern einen neuen Verhaltenskodex. Nur Kowalewsky wurde über die Ausspähung nicht informiert. Die Telekom sei zunächst von einem Einzelfall ausgegangen, erklärte Obermann später. Die Späher hatten herausgefunden, dass der Redakteur mit dem damaligen Aufsichtsrat Wilhelm Wegner telefoniert hatte.

Erst als im Mai 2008 nach einer Strafanzeige des Konzerns publik geworden war, dass es offenkundig solche illegalen Aktionen in Serie gegeben hatte und die Spitzelaffäre die Medien bewegte, entschuldigte sich Obermann bei Kowalewsky sowie bei Wegner. Es sollte noch Monate dauern, bis die Telekom ein kleines Anliegen des Journalisten erfüllte und vor kurzem zusagte, die Verbindungsdaten seiner Telefonanschlüsse nicht ohne seine Einwilligung zu nutzen, zu verarbeiten oder weiterzugeben. Mit einer Einschränkung: "sofern dies nicht aufgrund gesetzlicher Grundlagen zulässig ist". Schließlich sind die Daten notwendig, um die Gespräche abrechnen zu können.

Dass der Telefonkonzern so lange gebraucht hat, um der Aufforderung des 49 Jahre alten Capital-Redakteurs nachzukommen, hat wohl mehrere Gründe, die von mangelndem Fingerspitzengefühl bei der Telekom bis zu juristischen Feinheiten reichen und im Nachhinein ziemlich grotesk wirken. Die Erklärung, Kowaleskys Daten nur legal zu nutzen, versteht sich eigentlich von selbst, gibt es doch das Post- und Fernmeldegeheimnis. In einem anderen Fall, bei dem ebenso von den Spähern erfassten Verdi-Vorsitzenden Frank Bsirske, ging das viel schneller. Der Gewerkschaftschef erhielt die von ihm geforderte Unterlassungserklärung binnen einer Woche.

Die Verbindungsdaten von Bsirske, dessen Organisation oft und heftig mit der Telekom über Tarifverträge und wegen Stellenstreichungen streitet, sollen ein einziges Mal von der Sicherheitsabteilung des Konzerns unzulässig erfasst und ausgewertet worden sein. Ganz anders als bei Kowalewsky, dem Telekom-Experten von Capital, über dessen Geschichten sich die alte Konzernspitze offenbar wiederholt geärgert hatte. Die Staatsanwaltschaft Bonn und das Bundeskriminalamt messen noch immer die Ausmaße der Affäre aus, doch eines steht schon fest: Keiner wurde so lange und so konsequent ins Visier genommen wie Kowalewsky. Insgesamt waren knapp 60 Personen, darunter vor allem Gewerkschafter und Journalisten, bespitzelt worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Ex-Vorstandschef Kai-Uwe Ricke, den früheren Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Zumwinkel, und weitere Beschuldigte. Ein ehemaliger Telekom-Manager sitzt in Untersuchungshaft.

Künftig droht Schadenersatz

Gut zehn Wochen nachdem die Spitzeleien öffentlich bekannt geworden waren, hatte Kowalewsky Ende Juli 2008 Klage beim Landgericht Bonn gegen die Telekom erhoben. Mit Unterstützung seines Verlags Gruner + Jahr, der offenbar gerne noch härter gegen den Telefonkonzern vorgegangen wäre als der Wirtschaftsredakteur, dem es nur um die Unterlassungserklärung ging. Doch die Frankfurter Anwälte der Telekom stellten sich stur und reichten noch im November bei Gericht einen Schriftsatz ein, der teilweise ein Ausdruck von Ignoranz war. Die "ernsthafte Gefahr einer Wiederholung" bestehe nicht, schrieben die Juristen. So werde aufgrund der intensiven Berichterstattung in der Presse künftig niemand mehr annehmen können, solche Ausforschungen seien in irgendeiner Form zulässig. Außerdem werde mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft, wer gegen das Fernmeldegeheimnis verstoße, was ebenfalls gegen eine Wiederholung spreche. Die Strafnorm hatte frühere Konzernmitarbeiter freilich nicht von den Spitzeleien abgehalten.

Andererseits trug die Telekom bei Gericht auch vor, die von Gruner + Jahr geforderte Erklärung gehe zu weit. Werde es dem Konzern verboten, die Verbindungsdaten von Kowalewsky zu erheben, dann werde der Redakteur "keine Telefonate mehr führen können". Kowalewsky wurde das alles irgendwann zu bunt. Er rief den für Datenschutz zuständigen neuen Telekon-Vorstand Manfred Balz an, und der brachte schnell die gütliche Einigung auf den Weg. In der verpflichtet sich die Telekom auch, im Falle einer Zuwiderhandlung Schadenersatz zu zahlen, den Kowalewsky bestimmen und ein Gericht überprüfen kann.

Irgendwann einmal, wenn diese Affäre ganz aufgeklärt ist, wird der Capital-Redakteur wohl ohnehin Geld erhalten, Schmerzensgeld. 10 000 Euro oder vielleicht auch 15 000. Kowalewsky will das Geld dann spenden, an "Reporter ohne Grenzen" zum Beispiel.

HANS LEYENDECKER/KLAUS OTT

Die Zentrale der Deutschen Telekom in Bonn wird streng überwacht. Ähnlich erging es auch einigen kritischen Journalisten. Foto: dpa

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Zweifelhafte Haltung

Ein Ökohof hat beim Verkauf von angeblichen Bio-Puten Etikettenschwindel im großen Stil betrieben

Von Dirk Graalmann

Düsseldorf - Aus dem Radio dudelt leise Schlagermusik, und wenn einem der Tiere im Stall die seichte Berieselung nicht zusagt, kann es ein wenig mit dem Schnabel an den herumliegenden Lufballons picken. Und ob es einer der Puten, Hühner oder Gänse wirklich gut geht, pendelt die ausgebildete Geflügelwirtschaftsmeisterin Roswitha Franzsander im Zweifel anhand der Federn aus. Mit solchen Bildern bewirbt sich die Franzsander GbR, ein Ökohof im ostwestfälischen Delbrück, den das Ehepaar im Jahr 1994 gründete. "Geflügel o.k - Rendite o.k" lautet der Wahlspruch der familieneigenen Vertriebsfirma Robert's.

Seit Weihnachten ist nichts mehr in Ordnung. Denn die Franzsanders, die seit dem Jahr 2000 auch das Münchner Oktoberfest mit "Bio-Hendl" versorgen, sind nicht mehr "Bio". Das nordrhein-westfälische Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz hat den Betrieb "mit einem Vermarktungsverbot für Bioprodukte" belegt, der Hof ist gesperrt. Dem Biobauern, so das Landesamt, sei "ein nicht zulässiger Einsatz konventioneller Futtermittel nachgewiesen worden". Auch Bioland, Deutschlands größter Ökoanbauverband mit knapp 5000 Mitgliedern, kündigte die Verträge.

Berthold Franzsander zeigte sich reuig. "Ich habe Fehler gemacht und es tut mir aufrichtig leid", schrieb er seinen Kunden. Er habe den Putenküken im Sommer 2008 konventionelles Futter gegeben, da sie plötzlich die spezielle Futtermischung verweigert hätten. Die Pute, schrieb Franzsander, sei "sehr sensibel, und sobald es zu Problemen kommt, muss man schnell handeln, sonst nehmen sie überhaupt kein Futter mehr auf". Doch die Fragen blieben: Ist das der verzweifelte Versuch eines überforderten Ökobauern? Oder der kalkulierte Betrug eines gierigen Unternehmers, der sich das Bio-Siegel erschwindelt? Und vor allem: Kann der Verbraucher dem Bio-Siegel im Regal noch trauen?

Für Babette Winter vom Landesamt für Verbraucherschutz ist der Fall "der größte Bioschwindel Nordrhein-Westfalens". Es handele sich "definitiv nicht um ein Versehen. Der Betroffene wusste, dass es nicht erlaubt ist." Die Behörde stellte Strafanzeige, die Staatsanwaltschaft Paderborn leitete ein Ermittlungsverfahren wegen Verdacht des Betruges und Verstoßes gegen das Ökolandbaugesetz ein. Gleichwohl sagt auch Winter, "dass man hier nicht von erhöhter krimineller Energie sprechen kann. Aber die ganze Bio-Branche lebt von Vertrauen."

Vertrauen auch darauf, dass ein solcher Etikettenschwindel auffällt. Die zertifizierten Prüfer der privaten Kontrollbehörde Abcert jedoch hatten bei ihrer Routinekontrolle nichts bemerkt. Sie prüfen lediglich die Plausibilität, also ob die Masse der verkauften Produkte in einem stimmigen Verhältnis zu Futtermitteleinsatz und Flächen steht. Franzsander war zuvor nie auffällig geworden. Erst als das Landesamt im November als Prüfbehörde der Futtermittelhersteller bei einem dieser Betriebe in Lieferlisten auf Franzsander stieß, rollte die Lawine an. Am Ende stellten die Prüfer fest, dass Franzsander 2008 rund 960 Tonnen konventionelles Futter eingekauft hatte.

War der Druck so groß? Die Bio-Branche mit ihren zweistelligen Zuwachsraten ist hart umkämpft und unterliegt zunehmender Konzentration. Franzsander etwa kaufte noch Geflügel von zwölf weiteren Höfen, die er dann zentral über seine Vetriebsfirma Robert's vermarktete. "Es geht nur so", sagte Bioland-Präsident Thomas Dosch der Süddeutschen Zeitung, "mit einem kleinen Hühnerhalter arbeitet kein Händler zusammen". Und Franzsander gehört für Dosch "zu den Pionieren artgerechter Haltung", der "in der Vergangenheit viel geleistet" habe. "Jetzt ist das Vertrauen hin." Dosch weiß um den wunden Punkt der Branche. Man habe aber in diesem Fall, anders als beim so genannten Nitrofen-Skandal 2002, "kontrolliert, festgestellt und reagiert", so Dosch: "Schneller und besser geht es nicht." Nur häufiger. Zumindest sollen die Kontrollen von komplexen Betrieben nun verdoppelt werden, die Prüfer künftig zweimal im Jahr zu angemeldeten Kontrollen ausrücken, zudem die Stichprobenkontrolle ausgeweitet werden. Franzsander wird das nicht mehr treffen: Er steigt aus dem Bio-Business aus, die Firma Robert's wird von früheren Mitarbeitern unter anderem Namen weitergeführt. Bioland wird sie wieder als Partner aufnehmen, "mit schärferen Auflagen", so Dosch. Es ist aus seiner Sicht vermutlich die bessere Alternative. Denn der Bioland-Präsident weiß auch, "dass schon wieder die Geier kreisen, um sich die Marktanteile zu sichern." Und unter den Greifvögeln sind nicht nur Produzenten, denen es um ökologisch saubere Aufzucht geht.

Bis zur Wiesn zumindest dürfte sich auch ein neuer Bioland-Partner für die Hühner- und Entenbraterei Ammer finden lassen. Damit der Oktoberfest-Besucher auch sicher gehen kann, dass er für 14,80 Euro ein halbes Bio-Hendl kriegt, das in seinem kurzen Leben kein konventionelles Futter gepickt hat.

Das kurze Leben einer deutschen Pute kann angenehm sein oder auch weniger angenehm, kommt ganz auf den Betrieb an. Leider sind nicht alle Puten biologisch so einwandfrei wie das Gütesiegel verspricht. Foto: Advantage

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Bummeln gilt nicht

Weil die Hamburger S-Bahn im vergangenen Jahr nur in neun von zehn Fällen pünktlich kam, kriegt sie jetzt eine Strafe aufgebrummt

Von Jens Schneider

Hamburg - Es erscheint wie eine Art pädagogisches Experiment, mit täglich Hunderttausenden Fahrgästen als Probanden. Zu klären ist bei diesem Versuch eine für Passagiere der Bahn oder S-Bahn wesentliche Frage: Kann Strafe besser machen? In Hamburg wird die S-Bahn, ein Tochterunternehmen der Bahn, demnächst eine Strafe von mehr als einer Million Euro zahlen müssen, weil ihre Züge im vergangenen Jahr nicht pünktlich genug waren. Die Hamburger S-Bahn mit ihren jährlich 200 Millionen Fahrgästen hat ihre selbstgesteckten Ziele nicht erreicht. Sie habe eine Pünktlichkeitsquote von 94,7 Prozent angestrebt, aber nur einen Wert von gut 90 Prozent erreicht, so eine Sprecherin des Hamburger Verkehrsverbunds (HVV).

Hamburgs S-Bahn wird deshalb innerhalb des Hamburger Verkehrsverbunds die Millionenstrafe zahlen müssen, die anderen Teilen des Verkehrsverbunds zugute kommt. Zum Verbund gehören die Hamburger Hochbahn, von der die U-Bahnen betrieben werden, oder diverse Busunternehmen. Anfang 2008 schloss der Verbund mit seinen Unternehmen eine Vereinbarung, um die Qualität des Nahverkehrs zu sichern. Sie setzten sich Ziele für die Pünktlichkeit, die Kundenzufriedenheit oder den Service. Ein Teil der Gesamteinnahmen wurde zurückgehalten, je nach Planerfüllung gibt es nun Bonuszahlungen oder eben auch Strafen.

Diese Hamburger Form des Qualitätsmanagements innerhalb eines Verbunds sei einzigartig, berichtet die Sprecherin des Verkehrsverbunds. Und die S-Bahn stehe in diesem Jahr wieder vor dem gleichen Ziel. Dass es zu Strafzahlungen für Unpünktlichkeit oder ausgefallene Züge kommen kann, ist indes keineswegs außergewöhnlich. Zwischen Verkehrsunternehmen und den Ländern als Auftraggebern gebe es in Verträgen entsprechende Klauseln, so ein Sprecher der Deutschen Bahn. Die durchschnittliche Pünktlichkeit für den Personenverkehr liege deutlich über 90 Prozent.

In Bayern hat die Bayerische Eisenbahngesellschaft als Besteller der Verkehrsleistungen wegen mangelhafter Leistungen gerade bis auf Weiteres ihre Zahlungen an die DB gekürzt. In Berlin haben Politiker der S-Bahn zuletzt nach Problemen in den eiskalten Tagen zu Jahresbeginn mit einer Kürzung der Zuschüsse gedroht. Der größte Fortschritt für die Fahrgäste dürfte bisher freilich im Zugewinn an Wissen liegen. Nur ist das Wissen nicht immer nützlich: Man wird nur intensiver über Gründe für Verspätungen informiert, und sei es mit dem Hinweis auf "Störungen im Betriebsablauf". In Hamburg soll die S-Bahn deshalb auch eine - winzige - Bonuszahlung bekommen: für die gute Information der Kunden bei Störungen.

Pendlergetümmel am Hamburger Hauptbahnhof: Nur 90 Prozent der S-Bahn-Züge sind hier pünktlich. dpa

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Keine Hoffnung nach Segel-Drama

Drei deutsche Segler und ihre drei Begleiter bleiben verschollen

Berlin - Für die vor der Küste Marokkos nach einem Bootsunglück vermissten drei deutschen Segler und ihre drei Begleiter gibt es praktisch keine Hoffnung mehr. Es müsse mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass sie das Unglück nicht überlebt haben, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin. Von den insgesamt sieben Bootsinsassen konnte sich nur eine 19-jährige Deutsche retten. Bei den drei vermissten deutschen Seglern handelt es sich um einen 24 Jahre alten und einen 17 Jahre alten Mann aus Baden-Württemberg sowie um einen 28-jährigen Hamburger. Die drei anderen Vermissten stammen aus Österreich, Dänemark und Slowenien.

Die Gruppe war mit der achteinhalb Meter langen Yacht Taube auf dem Weg von Larache im Norden Marokkos nach Rabat. Bei schwerem Seegang und Sturm kenterte der Segler nahe Kenitra. Wie die österreichische Nachrichtenagentur APA unter Berufung auf das Außenministerium in Wien berichtet, machte ein starker Sturm die Suche nach den Vermissten unmöglich. Die Wellen seien bis zu sieben Meter hoch. Die junge Deutsche überlebte, indem sie sich auf eine Matte rettete. Die Segler gehörten einem Verein an, der sich nach eigenen Angaben unter dem Motto "Segeln für/in eine andere Welt" für die Völkerverständigung einsetzt. AFP

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Spionagesicheres Handy

Obama soll weiter SMS und E-Mails senden dürfen

Washington - Der neue US-Präsident Barack Obama wird nun doch elektronisch kommunizieren können. Zwar muss er auf sein geliebtes Blackberry verzichten, dafür bekommt er aber ein neues "Smartphone", eine Spezialanfertigung, die 3350 Dollar (rund 2500 Euro) kostet und "spionagesicher" ist, wie die Zeitschrift The Atlantic berichtete. Obama, selbst erklärter "BlackBerry-Abhängiger", hatte bereits vor seiner Vereidigung erklärt, die Sicherheitsdienste müssten ihm das geliebte Kommunikationsmittel schon "aus den Händen reißen". E-Mails und Anrufe von Freunden könnten ihm während seiner Amtszeit helfen, den Kontakt zur amerikanischen Alltags-Wirklichkeit nicht zu verlieren.

Während des Wahlkampfes, in dem Obama besonders auf Online- Kommunikation mit den US-Bürgern gesetzt hatte, war er immer wieder mit seinem "Smartphone" aufgetreten.

Wegen Sicherheitsbedenken mussten US-Präsidenten während ihrer Amtszeit bisher weitestgehend auf E-Mail-Kommunikation verzichten. Laut dem Sender CNN war Obamas Vorgänger George W. Bush bei seiner Amtsübernahme gezwungen worden, den elektronischen Briefverkehr ganz einzustellen. Bill Clinton hatte als Präsident zumindest noch zwei E-Mails verschicken dürfen: eine, um das E-Mail-System zu testen, eine zweite, als er dem Astronauten John Glenn alles Gute für dessen Reise ins All 1998 wünschte.

Die US-Geheimdienste befürchten, dass ausländische Agenten sich in das Internet-Postfach des Präsidenten hacken und vertrauliche Informationen in die falschen Hände gelangen könnten. Außerdem könnten gerade technisch anspruchsvolle Geräte wie das BlackBerry durch eingebaute Positionsbestimmungssysteme (GPS) den Aufenthaltsort des Staatschefs preisgeben.

Mit der Sonderanfertigung für Obama soll das nicht möglich sein. Das Smartphone heißt "Sectera Edge", wurde entwickelt vom Rüstungskonzern General Dynamics, und die nationale Sicherheitsbehörde NSA hat es für den militärischen Gebrauch freigegeben, hält es also für sicher. Ausgestattet ist das Gerät aber mit Programmen, die nicht als sehr vertrauenswürdig gelten: Das Betriebssystem ist Windows Mobile, kommuniziert wird über den Internet Explorer und den Windows Messenger. dpa/mri

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Republikaner verzögern Start des neuen Kabinetts

US-Senatoren bestehen auf eine weitere Befragung der designierten Justiz- und Finanzminister

Von Reymer Klüver

Washington - Obwohl der Senat Hillary Clinton mit überwältigender Mehrheit als US-Außenministerin bestätigt hat, zeichnet sich ab, dass konservative Republikaner entschlossen sind, der neuen Administration Barack Obamas heftigen Widerstand zu leisten. Die Bestätigung des designierten Justizministers Eric Holder wurde auf Druck der Republikaner um eine weitere Woche verschoben. Auch die Bestätigung von Timothy Geithner als Finanzminister ist nach scharfen Anhörungen vor dem Finanzausschuss des Senats zu seinen Steuernachzahlungen frühestens in der kommenden Woche möglich.

Clinton wurde am Mittwoch mit 94 zu zwei Stimmen im Senat bestätigt. In der Debatte zuvor wurde jedoch ein tiefer Graben bei den Republikanern deutlich. Erst nachdem der gescheiterte Präsidentschaftskandidat John McCain massiv ein Ende der Debatte gefordert hatte, kam es zur Abstimmung. "Wir sollten nichts verzögern", sagte McCain und erinnerte seine Senatskollegen daran, dass die USA zwei Kriege führten und vor außenpolitisch hochbrisanten Problemen stünden, etwa im Nahen Osten und Nordkorea. "Wir haben eine Wahl gehabt, und diese Nation hat sich zusammengefunden wie schon lange nicht mehr. Das amerikanische Volk sendet uns nun die Botschaft, dass es will, dass wir zusammenarbeiten und zwar jetzt." Zuvor hatte der konservative Senator John Cornyn die Bestätigung Clintons um einen Tag verzögert, was ihm die Geschäftsordnung des Senats erlaubt. Danach gab er seinen Widerstand auf. Zwei weitere konservative Senatoren ließen sich von dem emotionalen Appell McCains aber nicht beeindrucken und stimmten gegen Clinton. Senator Jim DeMint erklärte seine Ablehnung mit dem Umstand, dass künftig Organisationen in ärmeren Ländern der Welt US-Mittel bekommen könnten, die Abtreibungen als ein Mittel der Geburtenkontrolle anbieten.

Noch am Donnerstag wollte Präsident Obama gemeinsam mit seiner neuen Außenministerin zu den Mitarbeitern im State Department sprechen. Zuvor war ein Treffen hinter verschlossenen Türen mit Sicherheitsberater James Jones und Vizepräsident Joseph Biden angesetzt. Clinton war im Außenministerium von jubelnden Mitarbeitern begrüßt worden.

Im Justizausschuss des Senats machten die Republikaner von ihrem Recht Gebrauch, ihre Abstimmungsempfehlung für den gesamten Senat um eine Woche zu verschieben. Ohne diese Empfehlung kann der Senat nicht über die Nominierung befinden. Zur Begründung sagte der führende Republikaner Arlen Specter, dass weitere Fragen aufgetaucht seien zu Eric Holders Haltung einer möglichen Strafverfolgung von Angehörigen der Bush-Administration wegen ihrer Verwicklung in ungenehmigte Abhöraktionen und zu sogenannten harten Vernehmungspraktiken bei Verhören von Terrorverdächtigen. Der Ausschussvorsitzende Patrick Leahy, ein Demokrat, zeigte sich "äußerst enttäuscht" über die Verzögerung. Sieben Stunden Anhörungen und zahlreiche schriftliche Anfragen hätten den Republikanern ausreichend Gelegenheit zur Prüfung des Kandidaten gegeben.

Die Verzögerung hat zur Folge, dass auch Posten in der zweiten Ebene des Justizministeriums nicht besetzt werden können. Tatsächlich hatten sich die Republikaner von vorneherein auf Holder eingeschossen, weil er sich als stellvertretender Justizminister unter Präsident Bill Clinton hochumstrittenen Begnadigungen nicht in den Weg gestellt hatte. Holder hat das inzwischen bedauert. Brisant ist der Wechsel im Justizministerium für die Republikaner allerdings auch aus einem anderen Grund: Offenkundig sind zahlreiche Beamtenposten im Justizministerium, die üblicherweise nicht nach politischen Gesichtspunkten vergeben werden, unter Präsident George W. Bush systematisch an Republikaner gegangen.

Konjunkturpläne "unhaltbar"

Im Finanzausschuss musste sich der designierte Finanzminister Geithner erneut scharfen Fragen stellen. Der republikanische Senator Jon Kyl nannte Geithners Erklärungen zu seinen Steuernachzahlungen "nicht plausibel". Geithner hatte sich zuvor ausführlich dafür entschuldigt. "Ich hätte aufmerksamer sein müssen", sagte er. Geithner hatte Anfang des Jahrzehnts als Angestellter des Internationalen Währungsfonds versäumt, insgesamt 34 000 Dollar an Lohnsteuer zu zahlen. Einen Teil hat er später nachgezahlt, die volle Summe aber erst, nachdem er von Obamas Übergangsteam darauf hingewiesen worden war.

Der führende Republikaner im Ausschuss, Charles Grassley, räumte ein, dass Geithner "für einige nicht einfach nur erste Wahl für den Posten ist, sondern die einzige". Dennoch wollte er sich nicht festlegen. Der konservative Senator Kyl kritisierte nicht nur Geithners Steuerprobleme, sondern auch das Konjunkturprogramm der Regierung, das er federführend umsetzen wolle, als "unhaltbar". Ein weiterer Kandidat Obamas passierte die Anhörungen indes unbeschadet. Der Handels- und Verkehrsausschuss empfahl dem Senat einstimmig die Bestätigung des Republikaners Ray LaHood als Verkehrsminister. Aus Regierungskreisen verlautete zudem, dass Obama in Kürze den demokratischen Senator George Mitchell zum Sondergesandten für Nahost ernennen wollte.

Timothy Geithner am Mittwoch vor Senatoren in Washington Foto: AFP

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Überraschender Rückzug

Caroline Kennedy bewirbt sich doch nicht für den Senat

Von Christian Wernicke

Washington - Caroline Kennedy, die Tochter des ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy und zuletzt enge Vertraute von Barack Obama, hat am Donnerstag überraschend ihre Pläne für eine eigene politische Karriere aufgegeben. In einer knappen Erklärung teilte sie mit, sie stehe nicht länger zur Verfügung als potentielle Nachfolgerin von Hillary Clinton. Die bisherige demokratische Senatorin des US-Bundesstaates New York hatte ihr Amt am Mittwochabend niedergelegt, nachdem der Senat ihre Ernennung zur Außenministerin bestätigt hatte. Noch zu Wochenbeginn hatte es geheißen, New Yorks Gouverneur David Paterson sei entschlossen, Kennedy das Amt zuzusprechen.

Die 51-jährige Demokratin verwies zur Begründung ihres politischen Rückzugs auf die Krebskrankheit ihres Onkels Ted Kennedy. Der US-Senator war erst am Dienstag bei einem Festessen zur Vereidigung des neuen Präsidenten im Kapitol zusammengebrochen. "Ich habe Gouverneur Paterson heute informiert, dass ich aus persönlichen Gründen meinen Namen für Überlegungen um den Senat der Vereinigten Staaten zurückziehe," ließ Kennedy über einen Sprecher verbreiten.

In ersten Reaktionen zeigten sich zahlreiche Demokraten überrascht von der Entwicklung. Der Abgeordnete Keith Wright aus Harlem, ein enger Freund des New Yorker Gouverneurs, sagte der New York Times, erst vorige Woche habe ihm Kennedy versichert, "dass sie dabei ist, willens und fähig". Andere Parteifreunde verwiesen hingegen auf Umfragen, wonach zuletzt eine Mehrheit der Wähler in New York sich gegen eine Ernennung Kennedys zur Senatorin ausgesprochen hatten. In nationalen Umfragen hingegen hatte eine breite Mehrheit der Befragten eine Karriere der Präsidententochter befürwortet.

Als Ursache für den zuletzt schwindenden Rückhalt unter New Yorks Bevölkerung galt das Echo auf mehrere Medien-Interviews. Ende Dezember hatte Kennedy auf viele Fragen von Journalisten nur vage und ausweichend geantwortet. Die unter Demokraten extrem einflussreiche New York Times etwa veröffentlichte eine Abschrift und Tonband-Auszüge ihres Gesprächs, in denen Kennedy auf die meisten Fragen ausweichend antwortete und auf kritische Bemerkungen sogar schnippisch reagierte. Kennedys Hang zu Füllwörtern und Zwischenbemerkungen wie "you know" wurde sogar in Comedy-Shows parodiert.

Zuletzt hatte auch Gouverneur Paterson angedeutet, er sehe Kennedys mangelnde politische Erfahrung als eine Schwäche. Als ihre wichtigste Stärke hob der schwarze Demokrat nur hervor, die Kandidatin verfüge durch ihre persönliche Freundschaft mit Barack Obama über besten und wertvollen Zugang zum Weißen Haus: "Das ist ganz bestimmt ein Plus." Berater des Gouverneurs hatten argumentiert, angesichts eines drohenden Haushaltsdefizits von 15 Milliarden Dollar könne diese Verbindung dem Bundesstaat helfen, mehr Hilfsmittel aus dem Bundesetat zu ergattern.

Als Favorit für die Nachfolge von Hillary Clinton gilt nun New Yorks Staatsanwalt Andrew Cuomo. Der Sohn eines früheren Gouverneurs hat sich mit aggressiven und sehr populären Ermittlungen gegen die Machenschaften von Finanzinstituten an der Wall Street einen Namen gemacht. Allerdings steht Gouverneur Paterson parteiintern unter starkem Druck, erneut eine Frau nach Washington zu entsenden. Als Bewerberin werden die beiden Abgeordneten Kirsten Gillibrand und Carolyn Maloney genannt. Gillibrand werden allgemein bessere Chancen eingeräumt, da es ihr gelungen war, einen Wahlkreis im eher konservativen Norden des Bundesstaates zu erobern. Jeder Nachfolger wird nur für zwei Jahre ernannt und müsste sich 2010 einer Wahl stellen. Eine neue Wahl für eine dann sechsjährige Amtszeit im Senat ist 2012 vorgeschrieben. Vertraute des Gouverneurs deuteten an, eine Entscheidung solle spätestens an diesem Wochenende fallen.

Caroline Kennedy gibt persönliche Gründe für ihren Schritt an. Foto: dpa

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Bereits am zweiten Amtstag

Obama bricht mit Bushs Politik

US-Präsident verbietet Folter, beschränkt Lobbyismus und lässt Pläne für schnelleren Irak-Abzug ausarbeiten

Von Reymer Klüver

Washington - Der neue amerikanische Präsident Barack Obama hat bereits an seinem zweiten Tag im Amt die Abkehr von der umstrittenen Politik seines Vorgängers George W. Bush eingeleitet. In mehreren Dekreten verfügte Obama am Donnerstag die Schließung des Gefangenenlagers in Guantanamo und ein Ende der umstrittenen Praktiken des Geheimdienstes CIA im Anti-Terror-Kampf. Zuvor hatte er die Einflussmöglichkeiten von Lobbyisten auf die Arbeit der Regierung beschränkt.

Das Gefangenenlager soll laut Dekret innerhalb eines Jahres geräumt werden. Angesichts der "beträchtlichen Bedenken über diese Inhaftierungen" in den USA und weltweit, heißt es in dem Erlass Obamas, würde eine "unverzügliche und angemessene Entfernung der zur Zeit in Guantanamo festgehaltenen Individuen und die Schließung der Einrichtung die nationale Sicherheit und die außenpolitischen Interessen der Vereinigten Staaten fördern und im Interesse der Gerechtigkeit liegen". Zudem ordnete Obama eine erneute Überprüfung der Haftgründe aller 245 noch in Guantanamo Internierten an. Zuvor hatte er bereits die Aussetzung der umstrittenen Militärgerichtsverfahren in Guantanamo für 120 Tage verfügt.

Am Donnerstag unterzeichnete Obama noch zwei weitere Dekrete. Zum einen wurde der Erlass von Bush aufgehoben, der dem Geheimdienst CIA sogenannte "verschärfte Verhörmethoden" bei Terrorverdächtigen ermöglichte, etwa das "Waterboarding", das simulierte Ertränken eines Häftlings. Fortan sollen sich CIA-Angehörige an die Richtlinien der US-Streitkräfte für Verhöre halten, die dem Völkerrecht entsprechen. Zum anderen soll dem Geheimdienst die Inhaftierung von Terrorverdächtigen in Gefängnissen anderer Länder ausdrücklich verboten werden.

Bereits am Mittwoch hatte Obama einen neuen Verhaltenskodex für seine Administration unterzeichnet, der die Geheimhaltungspraktiken der Bush-Administration beenden soll. Regierungsmitarbeiter sind nun angewiesen, Dokumente nur bei zwingenden Gründen geheim zu halten. Bisher seien der Öffentlichkeit, wo es nur ging, Informationen vorenthalten worden, sagte Obama. "Diese Ära ist nun vorbei." Zugleich erließ er neue Regeln für den Kontakt zwischen Regierungsmitarbeitern und Lobbyisten. Danach dürfen Regierungsmitarbeiter nach ihrem Ausscheiden nicht als Lobbyisten tätig werden, solange die gegenwärtige Administration im Amt ist.

Die Reihe der sogenannten executive orders, Anordnungen des Präsidenten, macht deutlich, dass Barack Obama Wahlkampfversprechen sofort einlösen will. "Was für ein Moment", sagte er bei der Unterzeichnung der Lobbyistenregeln, "welch Gelegenheit, dieses Land zu verändern".

Am Mittwoch hatte Obama mit den militärischen Oberbefehlshabern und Diplomaten die Lage im Irak besprochen. In einer Erklärung des Weißen Hauses hieß es danach, dass Obama die Generäle gebeten habe, "die nötigen zusätzlichen Planungen für einen verantwortlichen Abzug aus dem Irak vorzunehmen". US-Medienberichten zufolge soll er in dem einstündigen Treffen vor allem zugehört haben und keine ausdrücklichen Anweisungen erteilt haben. Allerdings soll er zu verstehen gegeben haben, dass er mit einem Abzug bis auf einen Restbestand an Truppen binnen 16 Monaten ausgehe. Der Afghanistan-Krieg sei nur am Rande erwähnt worden. Aus dem Weißen Haus hieß es aber, dass Obama den Generalstab im Pentagon aufsuchen werde, um sich über die Situation in dem Land informieren zu lassen. (Seiten 2, 4 und 5)

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

"Fehler meines Lebens"

Ex-Postchef Zumwinkel gesteht Steuerhinterziehung

Von Johannes Nitschmann

Bochum - Zum Auftakt seines Steuer-Strafprozesses vor dem Landgericht Bochum hat Ex-Postchef Klaus Zumwinkel am Donnerstag ein umfassendes Geständnis abgelegt. Er gab zu, sein Vermögen in Höhe von zuletzt mehr als elf Millionen Euro auf geheimen Konten in Liechtenstein angelegt zu haben. "Das war der größte Fehler meines Lebens", sagte Zumwinkel. Er wolle "reinen Tisch machen" und sei froh, mit dieser Hauptverhandlung "endlich einen Schlussstrich" unter seine Steuerstraftaten ziehen zu können. Er übernehme die volle Verantwortung und werde die "schmerzlichen Folgen" tragen. Nach seinem Geständnis kann der 65-Jährige auf eine Bewährungsstrafe hoffen. Das Urteil soll bereits am Montag gesprochen werden. Der Vorsitzende der 12. Bochumer Wirtschaftsstrafkammer, Richter Wolfgang Mittrup, stellte zu Beginn der Verhandlung klar: "Eine irgendwie geartete Absprache zur konkreten Strafhöhe gab und gibt es zum jetzigen Zeitpunkt nicht."Der Staatsanwalt legt Zumwinkel in der Anklageschrift zur Last, im Zeitraum zwischen 2003 und 2007 insgesamt 967815 Euro Steuern über Geheimkonten in Liechtenstein hinterzogen zu haben. Auf dem Konto seiner Familienstiftung "Devation Family Foundation" bei der Liechtensteiner LGT-Bank habe sich zum 31. Dezember 2006 ein Guthaben in Höhe von 11,8 Millionen Euro befunden. Das Geld stamme weitgehend aus einer Erbschaft von seinem Vater, dessen Lebensmittelladen- und Textilhauskette die beiden Zumwinkel-Brüder 1973 an den Rewe-Konzern verkauft hätten.

Zumwinkel sagte, er sei "so beraten worden, dass man schon einmal versteuertes Geld nicht noch einmal versteuern sollte". Während der von der Bundesregierung erlassenen Amnestie für deutsche Steuerflüchtlinge will Zumwinkel überlegt haben, sich mit seinen verdeckten Liechtenstein-Konten beim Fiskus zu offenbaren. "Aber ich hatte große Angst, dass das durch Indiskretionen an die Öffentlichkeit kommt", sagte der Angeklagte. Damit wäre seine berufliche Tätigkeit als Post-Chef so belastet worden, dass dies "zu einem Desaster" geführt hätte. Heute wisse er, dass diese Angst "ein schlechter Ratgeber" gewesen sei.

Vor dem Bochumer Gerichtsgebäude protestierten Demonstranten mit Transparenten gegen die Bochumer Justiz. "Für Zumwinkel ist alles klar. Der Strafprozess wird zum Basar", hieß es auf einem der Transparente. (Seite 3)

Klaus Zumwinkel zwischen seinen Anwälten Hanns Feigen (rechts) und Rolf Schwedhelm. Foto: ddp

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Petrus geht ins Netz

Papst eröffnet eigenen Kanal auf Video-Portal Youtube

Womöglich hat ja der heilige Isidor von Sevilla auf den Papst eingewirkt, medial mit der Zeit zu gehen. Isidor ist der Schutzpatron der Surfer im Internet. Es dürfte in seinem Sinne sein, wenn der Vatikan und der Internet-Dienst Google nun einen Pakt schließen. Sein Inhalt wird an diesem Freitag vorgestellt, Eckpunkte sind aber schon bekannt. Demnach soll der Vatikan einen eigenen Kanal auf dem Videoportal Youtube erhalten, der von den Radio- und Fernsehmachern Benedikts betreut wird. So können die Menschen bald weltweit Filme und Bilder von Papstauftritten und anderen kirchlichen Ereignissen unkompliziert betrachten. Zudem möchte Google seine Suchkriterien verbessern, damit päpstliche Dokumente leichter zu finden sind. Immerhin hat Jesus seine Jünger beauftragt, Menschen zu fischen - wie ginge das leichter als per Internet?

"Die gute Botschaft der Kirche muss besser vermittelt werden", findet Pater Eberhard von Gemmingen, einer der Leiter bei Radio Vatikan. Über das Internet lasse sich die junge Generation erreichen. "Zwar kann man sich fragen, ob das Niveau im Netz für die Kirche zu primitiv ist. Da dürfen wir aber nicht elitär denken. Wir müssen dahin gehen, wo die Menschen sind." Auch Papst Benedikt XVI. fordert, seine Kirche müsse ihre Botschaft in jene Räume tragen, in denen "zahlreiche Jugendliche surfen, auf der Suche nach dem Sinn des Lebens".

Die Päpste waren nicht immer so aufgeschlossen gegenüber den Medien. Gregor XVI. schrieb 1832 in seiner Enzyklika "Mirari Vos" von der "zu verabscheuenden und verwerflichen Freiheit der Presse". Dreißig Jahre später aber rief die Kirche den Osservatore Romano ins Leben, die heutige Zeitung des Pontifex. Im März 1931 sprach erstmals ein Papst übers Radio: "Die Erde höre die Worte aus meinem Munde. Oh höret alle Völker!", rief Pius XI. ins Mikrophon. 1983 gründete der Vatikan sein Fernsehstudio CTV, und in den neunziger Jahren begann die Ordensschwester Judith Zoebelein, Kardinäle an der Computer-Maus auszubilden. Zu Weihnachten 1995 ging die erste Vatikanseite online - und wurde binnen 48 Stunden von 300 000 Menschen besucht. Rasch wurde der Internet-Auftritt unter www.vatican.va ausgebaut. Die ersten drei Computer wurden nach den Erzengeln Michael, Gabriel und Raffael benannt. Michael musste vor allem Viren abwehren.

Die Webseite des Vatikans ist heute umfangreich. Für den Nutzer sind die Wege aber verschlungen. Pater von Gemmingen kritisiert, es sei zu mühsam, neue Nachrichten herauszufiltern. Auch sonst ist im Internet fast alles an Dokumenten, Fotos und Filmen über Papst und Kirche versteckt. Doch wer sucht, verliert sich leicht in der Unzahl an Angeboten. Wer etwa am Donnerstag auf der Youtube-Seite das Wort "Papst" eingab, bekam zuerst einen Satirefilm präsentiert, in dem Benedikt als "verstockter deutscher Katholik mit Augenringen wie die Panzerknacker" bezeichnet wurde.

Durch den Pakt mit Google will die Kirche sich nun geschickter präsentieren. Neue Kanäle der Verkündung allein aber reichen nicht, um die frohe Botschaft an junge Menschen zu bringen, warnt Pater von Gemmingen. Womöglich müsse Benedikt auch seine Sprechweise überdenken. "Was der Papst sagt, ist ja alles wahr, fromm und höchst gelehrt. Aber so erreicht er die Massen und die Jugend nicht." Wie müsste Benedikt also reden? Der Radio-Pater seufzt. "Vielleicht sollte er auch ab und zu einmal rufen: Yes we can!" Stefan Ulrich

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

"Sprungschanze Gottes" wechselt den Besitzer

Ehemalige evangelische Kirche in Hannover wird an diesem Wochenende als Synagoge der liberalen jüdischen Gemeinde eingeweiht

Von Christiane Langrock-Kögel

Hannover - Die "Sprungschanze Gottes" liegt gegenüber vom städtischen Friedhof Hannover-Stöcken. Die Leute nennen den 60er-Jahre-Bau wegen seines markanten Schrägdachs so, manchmal heißt er auch etwas despektierlich "Seelenabschussrampe". Daneben stehen Wohnblocks, am Rand des Kirchplatzes liegt die Friedhofsgärtnerei. Bis vor zwei Jahren ragte vom Dach ein goldenes Kreuz in den Himmel. Das Gebäude war die Gustav-Adolf-Kirche, die zur evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover gehörte. Jetzt ziert eine goldene Metall-Konstruktion aus kleinen Dreiecken den Eingang. Über der Tür steht in hebräischen Schriftzeichen "Etz Chaim", Baum des Lebens. So heißt das jüdische Gemeindezentrum, das nach einem Jahr Umbauzeit am Sonntag eingeweiht wird. Es ist ein äußerst seltenes Ereignis, denn erst zum zweiten Mal überhaupt in der Bundesrepublik wird damit aus einer evangelischen Kirche eine Synagoge.

Dass Kirchen schließen müssen, dass sie mit anderen Gemeinden zusammengelegt werden, dass sie als Event-Location zu mieten sind, als Restaurant oder Wohnhaus genutzt werden, ist alles schon vorgekommen. Die Zahl der Kirchenmitglieder schrumpft, den Landeskirchen fehlt das Geld. So erging es auch der Gustav-Adolf-Gemeinde, die in ihren besten Zeiten mehr als 3000 Mitglieder hatte. Zuletzt blieben noch 1300, viele Andersgläubige waren in die Gegend gezogen. Allein die Heizkosten, die der schlecht isolierte Bau verschlang, überforderten den Etat. Schon in den neunziger Jahren, sagt die frühere Pastorin Lampe-Demsky, habe man über einen Verkauf diskutiert. Es gab Angebote eines Autohauses und eines Drogerie-Unternehmens. Eine Kletterwand wollte auch jemand installieren.

Dann kam Ingrid Wettberg, die Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannovers (LJGH), der größten liberalen Gemeinde Deutschlands. Die LJGH, 1995 hervorgegangen aus der orthodoxen jüdischen Gemeinde Hannovers, suchte neue Räume. Aus der kleinen Gruppe von 79 Gründungsmitgliedern ist heute, vor allem durch die Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, eine 600 Mitglieder starke Gemeinde geworden.

Dezent bleiben, nicht auffallen

Sie wollte raus aus den Büroräumen, die ihr als Gemeindezentrum und Betsaal dienten. Ingrid Wettberg sagt, vor der Gustav-Adolf-Kirche habe sie sich auch schon einmal eine zum Verkauf stehende evangelische Kirche angesehen. Das hatte einen Kirchturm, den man hätte abreißen müssen. "Das konnten wir nicht machen", sagt Wettberg, "Ich hatte Angst, es würde heißen: Die Juden reißen unsere Kirche ein." In Bielefeld hatte die bisher einzige Umwidmung einer evangelischen Kirche in die Synagoge Beit Tikwa sogar zwischenzeitlich zu einer Besetzung des Gotteshauses geführt.

Hannover ist damit die erste Kirchenumwidmung dieser Art, die vollkommen friedlich ablief. Die Gustav-Adolf-Kirche wechselte für 350 000 Euro den Besitzer und wurde von Grund auf saniert. Die Vorgabe an die Architekten des knapp drei Millionen Euro teuren Umbaus war, möglichst dezent zu bleiben, nicht zu provozieren. Das Land Niedersachsen, die Stadt und die Region Hannover sowie die jüdische Gemeinde selbst brachten je ein Drittel des Geldes auf. "Zwei Drittel unserer Mitglieder sind Zuwanderer. Wir sind keine reiche Gemeinde", sagt die Vorsitzende. Unterhalten könnten sie ihr Zentrum aber selbst.

Die bunten Glasfenster der Gustav-Adolf-Kirche sind verschwunden. Die neue Synagoge, hauptsächlich in Schwarz und Weiß gehalten, prägt eine lichte, moderne und dennoch warme Ausstrahlung. Zwischen siebenarmigen Leuchtern in mattem Gold steht die Heilige Lade, hinter deren Türen die Tora-Rollen aufbewahrt werden. Den orangefarbenen Samtvorhang hat Ingrid Wettberg als Zeichen der Kontinuität im evangelischen Kloster Marienberg besticken lassen. Und der Schmied, der das Kreuz der Gustav-Adolf-Kirche herstellte, hat nun die Chanukka-Leuchter geschmiedet.

Im Mai 2007 wurde die Gustav-Adolf-Kirche entwidmet, so heißt das Ritual, das die evangelische Kirche vor ein paar Jahren entwickelt hat, um Gotteshäuser würdig zu schließen. Die christlichen Symbole wie Taufschale, Abendmahlskelche und Kerzenleuchter wurden unter Singen und Beten aus der Kirche getragen. Die Orgel erklang ein letztes Mal, dann wurde die Tür abgeschlossen. Die Gemeinde kehrte samt der vier Kirchenglocken zurück in die zwei Kilometer entfernte Herrenhäuser Kirche, aus der sie Ende der 60er Jahre hervorgegangen war. Nein, die jüdische Gemeinde habe ihnen nichts weggenommen, sagte eine ältere Dame Ingrid Wettberg beim Tag der offenen Tür. Die Pastorin sprach von einer Wiedergutmachung an jene, deren Gotteshäuser vor 70 Jahren von den Nationalsozialisten zerstört wurden. Andere Nachbarn fühlen sich von der Polizeipräsenz rund um die neue Synagoge gestört und sorgen sich, dass nun Krawall ins Viertel kommt, durch Neonazis etwa.

Die großen Fenster zum Innenhof, die den Blick freigeben auf einen einladenden, alten Baum, sind aus schusshemmendem Glas. Schon jetzt ist der Hof von außen unzugänglich, aber wenn die Gemeinde das Geld hat, sollen noch überall im Erdgeschoss Rollläden eingebaut werden. Seit der Eskalation im Gaza-Streifen wurde die Bedrohung noch größer. Der Staatsschutz warnt vor Anschlägen auf jüdische Einrichtungen.

Die Freude an ihrem ersten eigenen Gotteshaus wirkt daher verhalten in der jüdischen Gemeinde in Hannover-Leinhausen. Wird die alte Kirche ein dauerhaftes Zuhause für die liberalen Juden? "Ich denke schon. Aber fragen Sie mich in einem Jahr noch einmal", sagt Ingrid Wettberg, "Vielleicht steht ja auch irgendwann wieder einmal ,Kirche' am Eingang".

Gabor Lengyel, Gemeinderabbiner der Liberalen Jüdischen Gemeinde in Hannover, bereitet die Torarollen für den Eröffnungsgottesdienst vor. Foto: epd

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

"Vermutlich nie ein Ergebnis"

Ermittler finden im Fall des Passauer Polizeidirektors Mannichl viele widersprüchliche Hinweise und keine Spur

Von Annette Ramelsberger, Max Hägler und Susi Wimmer

München/Passsau - Der Fall des niedergestochenen Passauer Polizeidirektors Alois Mannichl gibt selbst erfahrenen Ermittlern schwere Rätsel auf. Auch fünf Wochen nach der Tat gibt es keine vielversprechende Spur, zu jedem Indiz findet die Polizei ein Gegenindiz, zu jeder Theorie die Gegentheorie. Die Sonderkommission "Fürstenzell" in Passau arbeitet so abgeschottet, die Informationen über den Fortgang der Ermittlungen tröpfeln so spärlich, dass bereits Kritik aufkommt, die Polizei wolle den Fall am Ende gar nicht aufklären. Selbst hohe Polizeibeamte sagen: "Da wird es vermutlich nie ein Ergebnis geben." Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) tritt dem entschieden entgegen. "Wir wollen ein Ergebnis, wir lassen nichts im Ungefähren versickern", sagte er der Süddeutschen Zeitung. "Aber wir können die Aufklärung nicht erzwingen."

Ende nächster Woche will die Polizei nach Informationen der SZ einen Zwischenbericht abgeben. Zumindest sondert sie nun Spuren aus, die sie in die Irre geführt haben. Gestern hat die Polizei endgültig die Fahndung nach zwei tätowierten Verdächtigen abgeblasen, die sie bisher mit Phantombildern bundesweit gesucht hatte. Die Hinweise auf diese Verdächtigen, die eine grüne Schlange hinter dem Ohr und ein Kreuz im Gesicht getragen haben sollen, kamen von einer einzigen Zeugin. Deren Angaben aber stuft die Polizei als nicht belastbar ein. Denn die Zeugin hatte zwar zwei Verdächtige aus der rechtsradikalen Szene an einer Tankstelle "mit hundertprozentiger Sicherheit" erkannt, wie sie der SZ sagte. Aber auf den Videoaufnahmen der Tankstelle waren weder sie noch die Verdächtigen zu sehen. Die Ermittler suchen aber weiterhin nach einem 1,90 Meter großen Mann mit Glatze, den Mannichl als Täter an der Tür erkannt hat. Für Hinweise auf diesen Mann wurde die Belohnung nun sogar auf 20 000 Euro erhöht.

Nach den Ermittlungspannen kurz nach der Tat, als die Polizei den Tatort nur unzureichend absuchte und die Familie von Mannichl erst nach Tagen verhörte, wird der Fall nun um so genauer untersucht. Die Polizei hat den Überfall nach der Beschreibung nachgespielt, die das Opfer Mannichl vom Tatablauf gegeben hat. Zwei Polizisten schlüpften in die Rolle Mannichls und des Täters, der ihn am 13. Dezember an der Haustür niedergestochen haben soll. Auf Video wurde der Kampf aufgenommen, auch die Worte des Täters: "Schöne Grüße vom nationalen Widerstand. Du trampelst nicht mehr auf den Gräbern unserer Kameraden herum." Anhand des Videos will man nun die Plausibilität des Ablaufs überprüfen.

Der neueste Stand ist, dass Mannichl den Mann nicht nur auf der Schwelle gesehen und versucht hat, in Sekundenschnelle das Messer wegzudrücken, das ihm der Mann in den Bauch rammen wollte - so wie die Ermittler bisher den Ablauf schilderten. Nun heißt es, Mannichl sei dem Mann mit dem Messer im Bauch noch nachgerannt, habe gesehen, wie er zur Straße lief und um die Ecke bog. Dann sei Mannichl zu seinem Haus zurückgegangen, auf der Schwelle zusammengebrochen und habe sich das Messer selbst herausgezogen. Bei den Ermittlern geht man jetzt davon aus, dass das Zusammentreffen von Opfer und Täter mindestens eine Minute, wenn nicht länger gedauert haben muss. Bisher war von Sekunden die Rede, was auch erklären sollte, warum das Opfer keine genaue Täterbeschreibung abgeben konnte.

Besonderen genau überprüfen die Polizisten von Landeskriminalamt und Mordkommission München derzeit die Familie, sowie Freunde und Bekannte Mannichls. Das wird nach Informationen der SZ noch bis Ende Februar dauern. "Wir haben bis jetzt nicht den geringsten Anhaltspunkt für Auffälligkeiten innerhalb der Familie", sagt ein hoher Verantwortlicher. Sämtliche Familienangehörigen seien vernommen, ihre Aufenthaltsorte zur Zeit der Tat anhand der Funkzellenanalyse ihrer Mobilfunktelefone überprüft worden.

Vor zwei Wochen wurde ein Gutachten über den Messerstich beim Rechtsmediziner Wolfgang Eisenmenger in München in Auftrag gegeben. Anhand des Stichkanals soll das Geschehen rekonstruiert werden. Als Mannichl im Dezember ins Krankenhaus kam, wurden Bilder von der Verletzung gemacht. Die zwölf Zentimeter lange Klinge des Küchenmessers war so eingedrungen, dass sie kein Organ verletzt hat. Eisenmenger sagt, man könne anhand des ärztlichen Bulletins aus Passau und der Bilder einiges erkennen. "Da ist nichts verloren gegangen." Eisenmenger überprüft auch das Messer, auf dem offenbar noch immer keine Fremdspuren gefunden wurden. Der Pullover Mannichls wurde einer Puppe übergezogen, so dass man anhand der durchtrennten Fasern Richtung und Wucht des Stichs erkennen kann.

Das zunächst festgenommene rechtsradikale Ehepaar aus München, das mehrere Tage in Haft saß, hat sich zur Tatzeit um 17.30 Uhr nicht in der Nähe von Passau aufgehalten. Um 19 Uhr wurde es auf einer NPD-Veranstaltung in Erding kontrolliert. Allerdings kann man bei hohem Tempo in dieser Zeit von Passau nach Erding gelangen. Dagegen spricht die Aussage eines V-Manns, der das Paar schon früher auf der Party gesehen haben will. Und dagegen spricht wiederum, dass spezielle Spürhunde am Wohnort Mannichls angeschlagen haben, als man ihnen Kleider der beiden Verdächtigen zum Schnüffeln gab. "Wir haben ein Dickicht an Hinweisen in jede Richtung", sagt ein Ermittler. "Und wir haben den Weg durch dieses Dickicht noch nicht gefunden. In diesem Fall dürfen wir uns keinen Fehler leisten."

"Wir lassen nichts im Ungefähren versickern"

Bayerns Innenminister Herrmann

"Wir haben ein Dickicht an Hinweisen in jede Richtung"

Ermittler im Fall Mannichl

Passau liegt im Winter ruhig da. Dabei arbeitet die Polizei fieberhaft an der Aufklärung des Falls des Polizeidirektors Alois Mannichl (unten). Nächste Woche wollen die Ermittler Ergebnisse vorlegen. Fotos: oh/ddp

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Ein Fall mit vielen Folgen

Ex-Postchef Klaus Zumwinkel zeigt sich im Prozess als reuiger Steuersünder, und erstmals seit elf Monaten taucht er hinter großen Summen wieder als Person auf. Der Angeklagte will zu seiner Verantwortung stehen, der Richter will ihn nicht anders behandeln als andere - und draußen stehen Menschen, die das kaum glauben wollen

Von Hans Leyendecker

Bochum - Als Klaus Zumwinkel an diesem Donnerstagmorgen vor dem Landgericht Bochum vorfährt, muss er wieder einmal erfahren, dass schon die bloße Erwähnung seines Namens für Unruhe und Getöse sorgt. Demonstranten haben vor dem Gebäude eine Mahnwache eingerichtet und halten Plakate und Transparente hoch: "Je reicher, desto gleicher", ist zu lesen, und: "Für Zumwinkel ist alles klar - ein Strafprozess wird zum Basar."

Eine linksalternative Gruppe aus dem Revier singt das für diesen Anlass geschriebene "Bochumer Zumwinkel-Lied vom Dealen für Freiheit und Gerechtigkeit": "Schiebst du deine Millionen still am Steuersack vorbei, Richter werden dich verschonen, bisschen dealen, bleibst du frei", lautete die erste von sieben Strophen. Am Ende heißt es: "Wird der Rechtsstaat auch zur Leiche - Freiheit für besonders Reiche." Zu den Initiatoren der Demonstration gehörte auch ein linker Bochumer Amtsrichter.

Wer in den Saal 240 C will, wo Zumwinkels Fall von 11.35 Uhr an verhandelt wird, muss eine Sicherheitsschleuse passieren. Der Spießrutenlauf durch das Heer der Fotografen bleibt dem früheren Postchef immerhin erspart. Er gelangt auf Nebenwegen in den Saal. An seiner Seite sind seine Anwälte Hanns Feigen und Rolf Schwedhelm. Nur drei Fotografen und zwei Kameraleute dürfen vor Beginn der Verhandlung in den Gerichtsaal: Zumwinkel steht aufrecht, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Manchmal wendet er sich zur Seite.

Dass er nicht wie ein Champion einziehen würde, war klar. Trotzdem versucht der 65-Jährige wie ein Mann dreinzuschauen, der auch im größten Getümmel über der Situation steht.

Ganz leicht fällt ihm diese früher so selbstverständliche Souveränität an diesem Tag sicherlich nicht. Dafür ist in den vergangenen elf Monaten zu viel passiert. Über den ehemaligen "Strategen des Jahres" und "Manager des Jahres" ist nicht nur an den Stammtischen das Urteil längst gesprochen worden. Einen "neuen Asozialen" hat ihn der SPD-Generalsekretär Hubertus Heil genannt, weil Zumwinkel Millionen Euro bei der LGT-Bank in Liechtenstein vor dem Fiskus versteckt hatte. Und auch ehemalige Kollegen haben ihn behandelt, als hätte er eine ansteckende Krankheit. Dabei gab Zumwinkel eigentlich nur den ungezählten Steuersündern im Land einen Namen.

Auf der Richterbank haben die Mitglieder der 12. Großen Wirtschaftsstrafkammer Platz genommen: drei Berufsrichter, zwei Laienrichter. Einige von ihnen haben schon eine Menge Erfahrung mit der Bewältigung von Wirtschaftsstrafprozessen. Vor allem der Vorsitzende Richter, Wolfgang Mittrup, 56, ist sehr routiniert.

Auf der Bank der Ankläger sitzen die Staatsanwältin Daniela Wolters, 34, und der Bochumer Oberstaatsanwalt Gerrit Gabriel, 39, die noch nie so im Scheinwerferlicht standen. Zumwinkel lächelt freundlich. Die junge Staatsanwältin hat er schon am 14. Februar 2008 kennengelernt, als die Villa in Köln, die er gemietet hat, durchsucht wurde.

Der Vorsitzende Richter Wolfgang Mittrup, 56, verliest die Personalien des Unternehmersohns Zumwinkel. Das Gericht erfährt von ihm, dass in der Anklage bei den Vornamen (Klaus Peter Richard) ein Otto unterschlagen wurde. Die Staatsanwältin nimmt seinen Hinweis auf den fehlenden Otto gleich auf, als sie den Anklagesatz vorträgt und nennt alle Vornamen.

Zumwinkel wird vorgeworfen, zwischen 2003 und 2007 rund 967 000 Euro Einkommensteuer einschließlich Solidaritätsbeiträgen hinterzogen zu haben. In Liechtenstein lagerten Ende 2006 auf seinen Konten rund 11,8 Millionen Euro. Zahlen mit vielen Nullen schwirren durch den Raum. Einige Zuhörer seufzen.

Mehr als diese Zahlen interessieren das Publikum und auch die Medien Schicksal, Lebenskurve, Biographie. Als die Erklärungen zur Person kommen, trägt Zumwinkel seine beeindruckende Vita vor. Es wird still im Saal. Zumwinkel erzählt von sich. Von Menschen. Von Geschäften. Erst war er Direktor bei der Unternehmensberatung McKinsey & Company, dann Chef von Quelle, bis er 1990 als Chef der Post anfing und tüchtig aufräumte: "Ein Sanierungsfall, stark defizitär." Er hat in seinem Berufsleben eine Stufe nach der anderen genommen, immer höher. Die Chinesen, die Japaner, alle wollten seinen Rat, mehrere Kanzler auch. Vor dem 14. Februar 2008 wurden ihm Posten und Ehrungen angeboten. Er hatte die Auswahl - bis er abstürzte.

Jetzt hat der einst Vielgefragte nicht nur in Kontrollgremien keinen Platz mehr. "Aufgrund meiner Reputation", fängt er einen Satz an und fügt dann rasch hinzu: "In dem Feld." Er redet über das Ansehen, das er als Manager hatte. Seine Sprache ist seltsam gefärbt - der Klang vom Niederrhein und vom Revier mischen sich - das klingt sympathisch.

Fast ein Jahr lang hat dieser Mann in der Öffentlichkeit geschwiegen. Er hat keine Interviews gegeben, er hat sich nicht in Talkshows einladen lassen; manchmal hat er davon geträumt, wenigstens Wohltätigkeitsveranstaltungen zu besuchen. Dazu sei die Zeit noch nicht reif, haben seine Berater gemeint, und er hat sich wieder auf seine 800 Jahre alte Burg über dem Gardasee zurückgezogen, die heute einen Wert von rund fünf Millionen Euro hat.

Auffällig ist bei seinem Vortrag, dass er sich mit Zahlen schwer tut. Wann der Vater oder die Mutter geboren und gestorben sind, bleibt im Ungefähren. Der Postzusteller Heinz-Otto Labudda, der schon 41 Jahre die Post in Gevelsberg austrägt und am frühen Morgen um halb sechs Uhr vor dem Landgericht stand, um Einlass zu bekommen, findet das "komisch". "Warum hat der eine solche Gedächtnislücke?", fragt er, und die vielen Fernsehkameras filmen Labudda, weil auf seiner gelben Jacke "Deutsche Post" steht.

Vielleicht fallen Zumwinkel manche Zahlen an diesem Tag nicht ein, weil er aufgeregt ist. Er hat einen sehr roten Kopf. Eigentlich ist Zumwinkel, wie seine Freunde sagen, ein Familienmensch. Seine Frau Antje, mit der er seit 37 Jahren verheiratet ist, und die beiden 29 und 28 Jahre alten Kinder stehen zum Vater. Einige Freunde auch.

Hier im Saal verhandeln Menschen miteinander, die aus verschiedenen Welten kommen. Nur das Strafrecht hat sie zusammengebracht, und sie versuchen, die Sprache der anderen zu verstehen. Während Zumwinkel redet, hört ihm der Vorsitzende Richter Mittrup aufmerksam zu. Er hat gleich klar gemacht, dass er diesen Prozess wie jeden anderen Prozess führen werde, und dass es weder eine besondere Behandlung gebe, noch eine Absprache gegeben habe. Es wird rasch klar, dass der Vorsitzende, der ebenso wie Anwalt Feigen im Revier geboren ist, ein gelassener Mann ist, und selbst wenn er ein anderes Naturell hätte, geböte ihm die Vernunft, an diesem Tag gelassen zu wirken.

Dann werden die Vermögensverhältnisse Zumwinkels erörtert. Der angeblich so gierige Ex-Manager hat die Burg, zwei Autos, ein Boot am Gardasee, und auf dem Konto liegen rund acht Millionen Euro. Sein Nettoeinkommen schätzt er auf 600 000 Euro jährlich. Als er sein Vermögen addiert, seufzt wieder ein Zuhörer vernehmlich. Bei solchen Betrachtungen kommt es meist nur auf den jeweiligen Standort an. Ob einer aus dem Tal oder vom Gipfel aus auf die Welt schaut, macht schon einen Unterschied.

Zumwinkel hat einen Fehler gemacht, und über das Wesen des Fehlers hat der zynische Polizeiminister Napoleons, Joseph Fouché, mal gesagt: "Das ist mehr als ein Verbrechen, es ist ein Fehler."

Zumwinkel sagt nun vor Gericht, das Versteck in Liechtenstein "war der größte Fehler meines Lebens". Die Folgen seien "schmerzhaft" gewesen. "Meine beruflich Tätigkeit hat ein jähes Ende gefunden." Und der Beruf sei doch "mein Leben" gewesen. Dabei stockt seine Stimme immer wieder. Im vergangenen Jahr habe er oft über diesen "Fehler" nachgedacht. "Die größte Strafe" habe er schon "erlitten". Die Auswirkungen auf die Familie seien gewaltig gewesen. Sein Haus sei belagert worden, es habe Drohanrufe gegeben, böse Briefe. "Ich will aber nicht klagen."

Richter Mittrup fragt: "Warum sind Sie 1986 nach Liechtenstein gegangen? Sie waren doch ein vermögender Mann." Zumwinkel antwortet: "Herr Vorsitzender, diese Frage habe ich mir auch in den vergangenen Monaten sehr häufig gestellt." Ihm sei damals geraten worden, "schon einmal versteuertes Geld nicht noch einmal zu versteuern", und das habe ihm eingeleuchtet. Mittrup hakt nach: "Warum haben Sie das nicht gestoppt?" Es gab doch Amnestien für Steuerflüchtlinge. Er habe Angst vor einer Indiskretion gehabt, antwortet Zumwinkel. Eine Selbstanzeige, die publik geworden wäre, hätte auch das berufliche Ende sein können. Er habe doch erlebt, dass Details aus seiner Steuerakte in den Zeitungen gestanden hätten. Aber, fügt er hinzu: "Die Angst war ein schlechter Ratgeber." Er wolle nicht klagen, sondern stehe zu seiner Verantwortung. Mit der heutigen Verhandlung wolle er auch einen Schlussstrich ziehen.

Eher beiläufig sagt Zumwinkel, er habe kein strittiges Verfahren führen wollen. Dabei habe ihm mancher geraten, lange zu prozessieren, um festzustellen, ob die Steuerbehörden die Datensammlung aus Liechtenstein überhaupt verwenden dürfen. Ein untreuer früherer Angestellter der LGT-Bank hatte Unterlagen mit Angaben über mehr als 4500 Stiftungen in Liechtenstein gestohlen und dem Bundesnachrichtendienst vier DVDs für rund 4,6 Millionen Euro verkauft. Der BND hat sie an die deutschen Steuerbehörden weitergereicht. "Aus der Geschäftsbesorgung des BND" könne ein "straf- und steuerrechtliches Beweisverwertungsverbot abgeleitet" werden, hatten Experten wie der Neuwieder Rechtsprofessor Franz Salditt gemeint. Mittrup nimmt den Hinweis Zumwinkels auf. Auch die Kammer habe die Verwertbarkeit geprüft und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass sie zulässig sei. Andererseits sei das eine juristisch "interessante Frage". Er würde es "begrüßen, wenn Obergerichte diese Frage prüfen würden".

Da schaltet sich Zumwinkels Anwalt Feigen ein. Das Problem bei den juristischen Prüfungen sei doch, dass "kein Mensch in dieser Welt, außer ein paar BND-Leuten weiß, wie die Story wirklich war." Angeblich wurden die Unterlagen dem BND angedient, und der Dienst will nur Amtshilfe geleistet haben. Dann können die Daten vermutlich verwendet werden. Es gibt aber auch Gerüchte, dass der Nachrichtendienst den Datendieb angeworben haben soll. Um das zu kaschieren, soll er sich als Informant ausgegeben haben. Feigen weist darauf hin, dass viele Kollegen Tipps gegeben hätten, wie ein solches Verfahren aus Verteidigersicht zu führen sei. Sogar Plädoyers sind ihm geschickt worden. Die Ratschläge sind auf drei Begriffe zu reduzieren: kämpfen, kämpfen, kämpfen.

Aber jeder Kampf geht mal zu Ende, und dann? Möglicherweise, so hat es Anwalt Feigen ausgerechnet, könnte sein Mandant bei einer strittigen Verteidigung obsiegen, eher aber nicht. Möglicherweise fiele bei einer Konfliktverteidigung nicht die im Fall Zumwinkel zu erwartende Bewährungsstrafe an, sondern eine Haftstrafe. Dann könnte er in die Revision gehen und würde beim zuständigen 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs landen. Der Senat hat vor kurzem schon sehr grundsätzlich geurteilt, bei Hinterziehung in Höhe von einer Million Euro könne nur in Ausnahmefällen auf die Haft verzichtet werden.

Voraussichtlich am kommenden Montag wird das Urteil verkündet werden. Auch weil ein Bad Homburger Kaufmann, der 7,6 Millionen Euro Steuern hinterzogen hatte, im Sommer 2008 in Bochum mit zwei Jahren auf Bewährung davonkam, wird es bei Zumwinkel voraussichtlich eine Bewährungsstrafe geben.

Einige der Demonstranten werden ein solches Urteil möglicherweise für Klassenjustiz halten. Bevor sich die Demo vor dem Landgericht auflöst, geht ein Mann auf die Gruppe zu und sagt: "Für eine schlappe Million stellt ihr euch hin. Als die amerikanischen Banker 350 Milliarden verbrannten, wart ihr nicht zur Stelle, ihr Eichhörnchen."

Zahlen mit vielen Nullen schwirren durchs Gericht. Zuhörer seufzen

"Die Angst war ein schlechter Ratgeber"

"Ich will nicht klagen": Klaus Zumwinkel (links) gibt sich beim Prozessauftakt in Bochum sehr kooperativ. Foto: AP

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Die Masse will Gewicht

Beim HSV möchten die Fans nicht nur im Stadion den Ton angeben, sondern auch im Aufsichtsrat - sollten sie Erfolg haben, wäre es das erste Mal in der Bundesliga

Von Ralf Wiegand

Hamburg - Der 46. Geburtstag hatte schon gut angefangen für Bernd Hoffmann. Jedes seiner vier Kinder trat am Morgen des vergangenen Mittwochs mit einer Rose in der Hand an sein Bett, um ihm zu gratulieren. "Da konnte ja schon gar nichts mehr schiefgehen", sagt Hoffmann ein paar Stunden später vergnügt - und es kam sogar noch besser. Im Laufe der Nacht hatte Manchester City, seit kurzem im Besitz von Scheich Mansour bin Zayed al Nayan aus Abu Dhabi, für den Einkauf des Hamburger Defensivspielers Nigel de Jong tatsächlich 18 Millionen Euro lockergemacht. "Das kann man nicht ablehnen", sagt Hoffmann. Er formulierte noch vor dem Frühstück mit seiner Vorstandskollegin Katja Kraus den Text, in dem der Verein später den Abschied des Holländers bekanntgab.

Was für ein Kerl: Auch an seinem Geburtstag ruht der emsige Klubchef nicht, sondern verschafft dem HSV die höchste Transfereinnahme seiner Geschichte. Und so einen wollen die Fans nicht mehr haben? Gegen den ist ein von langer Hand geplanter Putsch im Gange? Hoffmann hebt die Schultern - ist wohl so.

Der HSV steht unmittelbar vor seinem wichtigsten Spiel der Saison, noch ehe die Rückrunde auf dem Rasen überhaupt begonnen hat. Anpfiff ist am Sonntag um elf Uhr im Congress-Centrum, auf dem Spiel steht die Zukunft des Vereins. Denn dann werden acht von zwölf Positionen im Aufsichtsrat durch Wahlen neu besetzt. Auf der Kandidatenliste stehen die üblichen Verdächtigen: Firmenbosse, Klinikchefs, ehemalige Klub-Honoratioren, der frühere Publikumsliebling Sergej Barbarez - aber auch vier Hardcore-Fans, die jedes Wochenende mit HSV-Kutte im Fanblock stehen, die eigene Elf nach vorne und den Gegner niederbrüllen.

Dass die Anhänger eines Vereins zum Sprung über den Zaun ansetzen, um im Kontrollgremium ihrer großen Liebe zu landen, ist ein Novum in der Bundesliga. Mindestens. "Ganz Europa schaut auf uns", sagt Manfred Ertel, 58. Zu klären sei die Frage, wem der Verein gehört. Die Antwort glaubt er zu kennen: "Der HSV gehört uns, den Mitgliedern, den Fans." Er will auch in den Aufsichtsrat.

Überall in Europa hat sich Fußball in den vergangenen zehn Jahren zum Event gewandelt, mit mehr Kunden statt Fans und mehr Komfort statt Currywurst. Logen verdrängen die Stehplätze in den Stadien, an die Stelle der Emotion tritt die Unterhaltung. Das Publikum, hat Ertel beobachtet, ist inzwischen sogar im Fußball-Mutterland England "eine schweigende Masse. Wir beim HSV wollen kein Teil der schweigenden Masse werden."

Dass die eigenen Anhänger versuchen können, so viel Einfluss im HSV zu bekommen, und das Establishment deshalb eine erbitterte Abwehrschlacht führt, liegt an der einmaligen Vereinsstruktur. Zwar haben auch andere Fußball-Klubs dank der aus ihrer Bundesliga-Zugehörigkeit resultierenden Strahlkraft eine Mitgliederzahl, von der Turnvereine nur träumen können. So zählt etwa der FC Bayern München gut 130 000 Mitglieder. Doch nur in Hamburg sind die eingeschriebenen HSV-Fans in einer eigenen Abteilung organisiert. "Supporter" heißt die mit Abstand größte aller 32 Vereinssparten, in der rund 50 000 Menschen ihrer Leidenschaft frönen: HSV-Fan zu sein.

Manchmal kommt dabei Leidenschaft allerdings von leiden. Vergangenen Dienstag, ein paar Männer-Grüppchen pilgern über die Fußwege durch den finsteren Volkspark, nur 8000 Karten sind im Vorverkauf abgesetzt worden, später werden 11 000 Besucher da sein. Auf dem Spielplan steht ein Test gegen Hansa Rostock auf einem Acker, der einem Truppenübungsplatz ähnlicher ist als einem Hochleistungsrasen der Bundesliga. Er wird noch vor dem Gastspiel des FC Bayern zum Rückrundenstart in einer Woche ausgetauscht. Während der Rest der Welt verfolgt, wie Barrack Obama als 44. US-Präsident vereidigt wird, gewinnt der HSV vor den treuesten Fans mit 3:0. Wichtiger aber ist, was am Rande passiert: Die Supporter verteilen Flugblätter, mit denen sich ihre vier Aufsichtsratskandidaten vorstellen. Der Titel: Change. Wechsel.

Am Morgen danach schiebt Bernd Hoffmann das Kampfpapier missmutig über den Tisch. Dass er nach sieben Jahren als insgesamt 25. HSV-Präsident so etwas wie der George W. Bush des Vereins sein soll, mag ihm nicht einleuchten. "Der HSV ist wirtschaftlich stabil, sportlich erfolgreich und ein Botschafter dieser Stadt", sagt Hoffmann, dem das komplexe Gebilde Großverein bisweilen eine skurrile Agenda beschert: "Da beschäftige ich mich gleichzeitig mit einem Millionentransfer von Nigel de Jong, der Vorbereitung einer Versammlung mit ein paar tausend Mitgliedern - und dem Wiederaufbau der abgebrannten Halle der Tennisabteilung in Norderstedt." Wenn dann noch die Sparte Gymnastik klagt, es fehlten acht Matten zum Üben, wünscht sich der mit einem Millionengehalt entlohnte Manager manchmal die Ausgliederung des Profifußballs in eine eigene Kapitalgesellschaft. Er hat das Vorhaben auf Eis gelegt - nicht, weil er es für falsch hielte. Sondern für nicht mehrheitsfähig.

Ein Teil der Supporter fürchtet, dass Hoffmann die umstrittenen Pläne nicht für alle Zeiten begraben wird. Durch eine mögliche Ausgliederung der höchst profitablen Sparte Profifußball würde dem Gesamtverein HSV dann womöglich das Geld fehlen, um Breitensport und Nachwuchsangebote zu unterhalten. Die politisierten Fans klagen über den Verkauf von Namensrechten an Sponsoren oder über die Preisgestaltung. Weil etwa für das Nordderby gegen Werder Bremen in der Hinrunde bis zu 97 Euro für ein Ticket fällig wurden, blieben erstmals seit Jahren bei diesem Schlagerspiel 1000 Karten liegen. Mit Hoffmann haben die kritischen Fans ein passendes Feindbild. Denn dieser ist nicht in Jugendmannschaften des HSV groß geworden, sondern beim Sportrechtevermarkter Sport Five. Ihn umgibt, wie er selber sagt, kein "Airbag an Fußballemotion". Außerdem sei der Aufsichtsrat, so Manfred Ertel, "leider viel zu vorstandsnah" - ein Abnickgremium der Klubführung.

Für Hoffmann könnte es bald ungemütlicher werden. Zwar hat der Aufsichtsrat seinen Vertrag gerade ohne großes Federlesen um drei Jahre verlängert, doch schon beim nächsten Mal könnten insgesamt fünf Supporter in dem zwölfköpfigen Gremium sitzen - einen Sitz hat die Abteilung dort garantiert. Das würde ausreichen, eine Vertragsverlängerung für den Chef der Firma HSV, die 140 Millionen Euro Jahresumsatz macht, zu blockieren. Dafür ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig. Der Aufsichtsrat segnet auch die Finanzpläne ab, in denen die Ticketpreise geregelt sind, und redet bei größeren Ausgaben und teuren Spielertransfers mit. Da klingt es für den Vorstand wie eine Drohung, wenn Supporter-Kandidat Johannes Liebnau sagt: "Wir sind alle kommerzkritisch. Wir wollen Geld verdienen, um Fußball zu spielen, und nicht Fußball spielen, um Geld zu verdienen."

An Liebnau, mit 26 Jahren der jüngste der vier Supporter-Kandidaten für den Kontrollrat, lässt sich der Kampf im Klub am besten beschreiben. Der Betriebswirtschaftler besucht jedes Spiel des HSV, ob zu Hause oder auswärts, ob in München oder Moldawien. Sein Platz ist dabei meistens auf dem Sicherheitszaun, mit dem Rücken zum Spielfeld. Liebnau führt mit Megaphon die Fan-Gesänge an. Dabei geht es auch mal derber zu. "Tod und Hass dem SVW", skandierten die Fans unter Liebnaus Regie im Spiel gegen Bremen. Solche "nicht immer komplett gesellschaftsfähigen Gesänge, die auch mal den Gegner verunglimpfen", gehörten nun mal dazu, sagt Liebnau, der im zivilen Leben ein höflicher Mann ist. Der Vorstand rümpft die Nase: Ob ausgerechnet der Einpeitscher aus dem Fanblock im Aufsichtsrat den Verein repräsentieren sollte, sei diskussionswürdig.

Der zur Verteidigung des Kulturguts Fußball stilisierte Wahlkampf wird mit harten Bandagen geführt. Sogar Manfred Ertel, als Spiegel-Redakteur und Lebensgefährte der stellvertretenden grünen Bundestags-Fraktionsvorsitzenden Krista Sager erfahren in Machtspielen, ist von der Ruppigkeit überrascht. "Wir werden behandelt wie der letzte Pöbel aus der Westkurve. Ich verbitte mir ganz persönlich, von einem ehemals verdienten HSV-Mitglied, das noch nie ein Wort mit mir geredet hat, als Idiot bezeichnet zu werden."Gemeint ist der Ex-Präsident Wolfgang Klein, der die aufbegehrenden Fans nicht nur als Idioten, sondern auch als Totengräber bezeichnet hatte. "Notwehr" nennt Medienprofi Ertel jetzt die spätere Initiative, selbst Pressekonferenzen der Supporter zu organisieren, Flugblätter zu verteilen, Wahlkampf zu machen.

Bernd Hoffmann ist auf alles gefasst. Er würde gerne noch 2017 im Amt sein, wenn der Verein die Arena abbezahlt und jährlich 20 Millionen Euro mehr in der Kasse haben wird als jetzt. Die Versammlung am Sonntag könnte aber turbulent werden. "Herr Hoffmann muss sich von uns aber nicht bedroht fühlen", sagt Manfred Ertel. "Nur sein Job wird schwerer."

Es geht ihnen mehr ums Fußballspielen als ums Geldverdienen

Erfolgreich und trotzdem umstritten: der HSV-Vorstandsvorsitzende Bernd Hoffmann. Foto: dpa

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Exekution per Federstrich

Barack Obamas Entscheidung

Von Christian Wernicke

Es war im Sommer 2006, als George W. Bush erstmals öffentlich Zweifel einräumte an einem Symbol seiner Politik. "Ich möchte Guantanamo schließen", gestand der 43. US-Präsident. Es sei, so fügte Bush hinzu, für ihn "keine Frage", dass das Militärcamp auf Kuba dem Image Amerikas schade. 30 Monate ist dieses Geständnis alt, und am Dienstag flog Bush per Hubschrauber aus dem Amt, ohne seine Nation von dem Schandlager befreit zu haben. 48 Stunden später, an seinem zweiten vollen Arbeitstag als Präsident, soll das nun Barack Obama erledigen. Mit drei Federstrichen. Denn Amerikas Umkehr, im Weißen Haus per präsidentieller Verfügung exekutiert, besteht aus drei Teilen.

Erstens wird die CIA angewiesen, endgültig die geheimen Gefangenenlager zu schließen, in dem die Supermacht einst bis zu 100 Terrorverdächtige ohne jeden Rechtschutz hin und herschob. Zweitens untersagt der Präsident seinem Geheimdienst von sofort an jegliche Folter: Auch die CIA muss sich fortan mit jenen 19 Verhörmethoden begnügen, die im Feldhandbuch der Armee genehmigt sind. Und damit ist das weltweit inzwischen berüchtigte "Waterboarding", also das simulierte Ertränken eines gefesselten Häftlings, verboten - jedenfalls so lange, wie der Präsident es per neuer Verordnung notfalls nicht doch wieder erlaubt. Das sei, zum Beispiel im Fall der Ergreifung von Osama bin Laden, jederzeit möglich, hieß es aus Obamas Stab.

Der dritte Akt läutet das Ende für Guantanamo ein, samt der umstrittenen Militärkommission im karibischen Zelt- und Containerdorf von "Camp Justice": Obamas Verfügung gebietet, das Lager solle "so schnell wie möglich geschlossen werden, und nicht später als ein Jahr vom Datum dieser Anordnung." Also spätestens am 21. Januar 2010.

Diese Übergangsphase von maximal einem Jahr beansprucht die neue Regierung, um das Erbe von Guantanamo zu ordnen. Allen voran das Pentagon und das Justizministerium müssen entscheiden, was mit den 245 noch einsitzenden "feindlichen Kämpfern" geschehen soll. Sie werden irgendwann aufs amerikanische Festland geflogen - aber es ist offen, ob die Obama-Administration geständige Drahtzieher der Anschläge vom 11. September wie etwa Khalid Scheich Mohammed dann vor ein Zivil- oder ein Militärgericht stellen will. Heftig umstritten unter Obamas Beratern ist zudem die Frage, was mit ganz offenbar gewaltbereiten Verdächtigen geschehen soll, gegen die die Beweislage nicht zur Anklage reicht (oder deren Geständnisse wegen foltergleicher Verhörmethoden unzulässig sind): Auch demokratische Sicherheitsexperten fordern, solche Gefangene schlicht in präventiver Schutzhaft zu behalten, während Bürgerrechler warnen, damit schaffe die Regierung nur "ein Guantanamo auf dem Festland".

Vergleichsweise leicht zu lösen ist das Schicksal jener mehr als 60 Gefangenen, die das Pentagon längst als ungefährlich einstuft. Sie sitzen nur fest, weil sie in Heimatländern wie China, Algerien oder Tunesien neue Folter fürchten müssen. Obama braucht Aufnahme-Hilfe aus Europa - um diese Opfer von der Insel zu lassen, ohne sie nach bis zu sieben Jahren Haft in einer neuen Hölle schmoren zu lassen.

Ein Wandel auch in Guantanamo: Austausch der Präsidentenfotos in der amerikanischen Militärbasis. Foto: AP

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Hoffnung für Gilad Schalit

Im Tausch gegen den entführten Soldaten will Israel angeblich 1500 Häftlinge entlassen

Von Thorsten Schmitz

Tel Aviv - Der israelische Regierungschef Ehud Olmert hat am Donnerstag erstmals erklärt, dass der Gaza-Krieg die Chancen auf eine Freilassung des entführten Soldaten Gilad Schalit erhöht habe. Olmert sagte im israelischen Rundfunk, die Offensive habe "eine Reihe von Hebeln in Bewegung gesetzt", die zur Freilassung Schalits beitragen könnten.

Wenn Schalit nach Israel zurückgekehrt sei, "wird es möglich sein, die ganze Geschichte zu erzählen, und zu berichten, wer Druck ausgeübt und wer welche Position unterstützt hat". Zuvor hatten israelische Medien in der Nacht zu Donnerstag gemeldet, dass inzwischen auch eine Mehrheit des Kabinetts für die Freilassung von 1500 palästinensischen Gefangenen sei, darunter auch Häftlinge, die in tödliche Terroranschläge verwickelt gewesen sind. Bislang hatte sich eine Mehrheit der israelischen Minister gegen eine Freilassung von palästinensischen Terroristen ausgesprochen.

Der israelische Soldat Schalit ist im Juni 2006 von Mitgliedern der Hamas in den Gaza-Streifen verschleppt worden. In Israel geht man davon aus, dass Schalit lebt. In der Nacht zu Donnerstag hatte sich Verteidigungsminister Ehud Barak ähnlich positiv wie Olmert über eine baldige Freilassung geäußert. In Interviews mit israelischen Fernsehsendern hatte Barak erklärt, die Offensive im Gaza-Streifen habe die Chancen auf eine Freilassung Schalits "deutlich verbessert". Bei der Offensive sind palästinensischen Angaben zufolge 1300 Menschen getötet und mehr als 5000 verletzt worden.

Der politische Berater im israelischen Verteidigungsministerium, Amos Gilad, hielt sich am Donnerstag zu Gesprächen mit Ägyptens Geheimdienstchef Omar Suleiman in Kairo auf. Nach Angaben israelischer Medien ging es um die Forderung von Hamas nach einer Öffnung der Grenzen im Gaza-Streifen. Israel will nach den Worten von Außenministerin Tzipi Livni die Grenzen jedoch nur dann öffnen, wenn eine Einigung über Schalits Freilassung erzielt worden sei. Sprecher der Hamas und des "Komitees für Volksbefreiung" erklärten, es habe keine Fortschritte in den Verhandlungen zu einem Gefangenenaustausch gegeben. Israel kündigte an, es werde von diesem Freitag an die Grenze zum Gaza-Streifen für Journalisten öffnen.

Der UN-Nothilfekoordinator John Holmes hat am Donnerstag den Gaza-Streifen bereist und sich dort ein Bild von den Schäden nach der dreiwöchigen israelischen Militäroffensive verschafft. Die Zahl der Opfer sei "extrem schockierend", sagte Holmes. Unmittelbar würden nun sauberes Wasser, Abwasserentsorgung, Strom und Unterkünfte benötigt. Die Grenzübergänge müssten geöffnet werden, um Baumaterialien einführen zu können. Holmes forderte Israel außerdem auf, die Angriffe auf UN-Gebäude in Gaza gründlich zu untersuchen.

Die Schmuggler nach Gaza sind wieder aktiv - Israels Verteidigungsminister Ehud Barak drohte ihnen am Donnerstag mit weiteren Angriffen. Reuters

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Todesurteile im Milchskandal

Drei Chinesen werden hingerichtet, weil sie Babynahrung mit Melamin gestreckt haben

Von Henrik Bork

Peking - Mit drei Todesurteilen und hohen Haftstrafen hat Chinas Regierung am Donnerstag versucht, in dem Skandal um verseuchtes Babymilchpulver das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen. Ein Gericht in der Provinzstadt Shijiazhuang verurteilte drei Männer zu Tode, die aus Profitgier Milch mit der Industriechemikalie Melamin gestreckt hatten, berichtete die Nachrichtenagentur Xinhua. Sechs Kleinkinder waren in China gestorben und 300 000 weitere Babys mit Nierenbeschwerden und anderen Krankheiten stationär behandelt worden. Der in China lange und absichtlich vertuschte Skandal war erst nach den Olympischen Spielen durch Protestbriefe aus dem Ausland aufgeflogen.

Die prominenteste Angeklagte in den Milchpulver-Prozessen, die Chefin des Milchunternehmens Sanlu, wurde ebenfalls am Donnerstag vom selben Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Tian Wenhua hatte sich schuldig bekannt, obwohl politische Beobachter den Verdacht äußerten, die Managerin sei als "Sündenbock" angeprangert worden, um die aufgebrachte Öffentlichkeit zu beruhigen.

Auch am Donnerstag protestierten Angehörige erkrankter oder verstorbener Kinder vor dem Gerichtsgebäude in der chinesischen Provinzstadt. "Ich denke, sie sollte erschossen werden. Ein Tod für einen Tod", sagte die 48-jährige Zhen Shuzhen, deren einjährige Enkeltochter im Juni an Nierenversagen verstorben war, über die Sanlu-Managerin.

Die profitgierigen Pantscher hatten Milch mit Wasser gestreckt und dann mit Melamin versetzt, weil so bei Qualitätskontrollen ein höherer Proteingehalt vorgetäuscht werden kann. Das Melamin ist jedoch vor allem für Kinder hochgiftig. Hinweise aus der Bevölkerung waren von örtlichen Beamten und Kadern der kommunistischen Partei sowie von Managern und kommunistischen Parteisekretären großer Milchunternehmen monatelang verheimlicht worden, unter dem Vorwand, Chinas Image im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele im August 2008 nicht zu gefährden.

Die Regierung war am Donnerstag erkennbar bemüht, die Wut in der Bevölkerung zu beschwichtigen. Etliche Eltern, die vor dem Gericht demonstrieren wollten, wurden von der Polizei noch bei der Anreise abgefangen und vorübergehend festgenommen.

Die Eltern eines verstorbenen Babys haben in der Zwischenzeit eine Entschädigung in Höhe von etwa 22 000 Euro erhalten. Doch ein loses Netzwerk von Eltern, das seit Monaten für ein Schuldgeständnis der Behörden und für Entschädigung kämpft, bezeichnete diese Summe als unzureichend. Auch ist bei weitem noch nicht klar, ob alle geschädigten Familien entschädigt werden. 200 Eltern haben daher versucht, die Regierung zu verklagen, was in China jedoch kaum Aussicht auf Erfolg hat.

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Alle locken Al-Wazir

Führende Grüne drängen den hessischen Landesvorsitzenden zu einem Wechsel in die Bundespolitik - der zögert aber noch

Von Daniel Brössler

Berlin - Er kann es wahlweise als Fluch oder Segen werten: Seit dem glänzenden Ergebnis seiner Partei bei der Hessenwahl wird mächtig an Tarek Al-Wazir gezerrt. Eine ganze Reihe prominenter Grüner haben offen oder weniger offen zu verstehen gegeben, dass sie sich einen Wechsel des hessischen Grünen-Chefs nach Berlin wünschen. Noch am Wahlabend hatte der Parteivorsitzende Cem Özdemir den Hessen unverhohlen in die Bundespolitik gelockt.

Auch der grüne Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour bedrängte Al-Wazir: "Wir brauchen jeden unserer Spitzenleute für die Bundestagswahl." Deshalb solle Al-Wazir für den Bundestag kandidieren. In der gegebenen Konstellation sei Al-Wazir unverzichtbar. Renate Künast, Chefin der Grünen im Bundestag und zusammen mit Jürgen Trittin Spitzenkandidatin für die Wahl im September, ließ zwar öffentlich größere Zurückhaltung walten, gehört aber auch zu jenen, die Al-Wazir eindringlich zu einem Wechsel nach Berlin raten.

In die Hauptstadt hat Al-Wazir signalisiert, dass er nun erst einmal ein paar Tage für sich und eine Familie brauche. Die Situation für ihn ist heikel, denn die Grünen in Hessen setzen in Ermangelung weiterer Stars auf den Verbleib ihres Spitzenmannes, dem kein kleiner Teil des 13,7-Prozent-Ergebnisses bei der Landtagswahl zugeschrieben wird. "Er hat gesagt, dass er nächste Woche wieder für den Fraktionsvorsitz kandidieren will. Darüber freue ich mich und das finde ich gut", sagt Mathias Wagner, Fraktionsgeschäftsführer der hessischen Grünen. Damit sei "das Thema zunächst erledigt", die Möglichkeit, dass Al-Wazir sich dennoch um einen hessischen Listenplatz für die Bundestagswahl bemühen könnte, sei nichts als Spekulation. " Ich verstehe, dass viele in Berlin sehen, dass wir einen absoluten Spitzenmann hier in Hessen haben", sagt Wagner, aber mit so einem "phantastischen Ergebnis hat er das erste und fast das letzte Wort."

Doch genau das ist nach Meinung von Spitzen-Grünen noch nicht gesprochen. Schon lange vor dem Erfolg bei der Hessenwahl hatten sie mit der Überzeugungsarbeit bei Al-Wazir begonnen. Ein klares Nein, das dem Werben ein Ende gesetzt hätte, ist von Seiten Al-Wazirs dabei wohl nie gefallen. Es sei doch kein Zufall, dass die Listenaufstellung für die Bundestagswahl in Hessen relativ spät stattfinde, heißt es in Berlin. Alle Hintertüren in Richtung Hauptstadt seien jedenfalls offen.

Die Gründe für das Werben sind mehrschichtig. Dass es dem 38-jährigen Offenbacher in Hessen gelungen ist, zum populärsten Politiker aufzusteigen, ist dabei der offensichtlichste. Mit Al-Wazir hoffen die Grünen stärker als bisher in bürgerliche Wählerschichten vordringen zu können. Für das derzeit kaum erreichbar erscheinende Projekt, stärker zu werden als die FDP, wäre genau dies unabdingbar. Al-Wazir jedenfalls war in Hessen ein mehrfaches Kunststück gelungen: Er hatte das gescheiterte Projekt einer rot-grünen Landesregierung mit dunkelroter Duldung vorangetrieben, ohne dafür von den Wählern in Haftung genommen zu werden. Vielmehr hatte er neben der unbeirrbar wirkenden SPD-Frau Andrea Ypsilanti den seriösen Part gegeben. Vergessen ist in Berlin, dass man nicht immer glücklich war mit dem Agieren und Taktieren des Offenbachers, den nicht wenige in entscheidenden Situationen zu zögerlich, zu langsam fanden.

Mehr als die Grünen insgesamt versprechen sich die einst Realos genannten Reformer von einem Wechsel Al-Wazirs in die Bundespolitik. Es läuft schon eine ganze Weile nicht gut für das Lager; bei Listenaufstellungen hat es so manchen Dämpfer hinnehmen müssen. Parteichef Özdemir hat das beim gescheiterten Versuch, sich in Baden-Württemberg für den Bundestag zu empfehlen, selbst erlebt. "Wir brauchen Verstärkung", ist die Einschätzung führender Reformer. Al-Wazir könnte sie liefern, denn er verfügt über ein gutes Standing in der Partei. Mit einem Spitzenergebnis von 79 Prozent wurde er jüngst in den Parteirat gewählt. Fraktionschef Fritz Kuhn, der erfahrene Häuptling der Reformer, flog aus dem Gremium hinaus.

Der Offenbacher ist zum beliebtesten Politiker in Hessen aufgestiegen

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Wowereits bester Mann ist auf dem Sprung

Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin könnte im April zur Bundesbank wechseln / Spekulationen über Nachfolge

Von Constanze von Bullion

Berlin - Es soll ein Treffen der angenehmen Sorte werden, in einem Barockschloss, das an der Müritz liegt. Die Abgeordneten der Berliner SPD wollen ab Freitag in Fleesensee in Klausur gehen, über neue Berliner Stadtquartiere diskutieren und über die energiesparende Sanierung der Stadt. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit hat ein Referat über die SPD in den Metropolen angekündigt, aber die größte Aufmerksamkeit wird sich wohl auf einen anderen richten: Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin, der für Unruhe sorgt.

In der Berliner Landesregierung und im Parlament geht man inzwischen davon aus, dass Wowereits wichtigster Mann die Finanzverwaltung bald verlässt und in den Vorstand der Bundesbank wechselt. Sarrazin sagt dazu nur, dass noch nichts entschieden ist, was auch stimmt, oder wahlweise: "Ich bin Finanzsenator und ich bin es gern." Er hat aber schon früher zu verstehen gegeben, dass er den Job in Frankfurt für einen passenden Abschluss seiner Karriere halten würde. Er ist bald 64 Jahre alt, wenn der nächste Berliner Senat gebildet wird, ist er fast 67, nochmal wird er nicht Finanzsenator. Ein gemütlicher Lebensabend in der Datsche aber passt nicht zu dem Mann. Also wird er wohl zupacken. Der Zeitpunkt ist günstig.

Bei der Bundesbank wird im April ein Vorstandsposten frei, turnusgemäß werden Berlin und Brandenburg einen Kandidaten vorschlagen. Wowereit wird die Personalie also mit Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck auskungeln. Der hat bislang keinen besseren Kandidaten, und auch wenn sich in Potsdam niemand an öffentlichen Personalspekulationen beteiligen will: Man wird Sarrazin wohl keinen Stein in den Weg legen. Auch Wowereit wäre schlecht beraten, Sarrazin am Abschied zu hindern, zwei Jahre neben einem missgelaunten Finanzsenator sind wenig verlockend.

Der Regierende Bürgermeister soll Sarrazins Wünsche denn auch wohlwollend aufgenommen haben. Das ändert aber nichts daran, dass er mit ihm die wichtigste Stütze seiner Regierung verlieren würde. Sarrazin hat zwar einen Ruf als rabiater Wadlbeißer, lästert mal über die träge Verwaltung, mal über übergewichtige Hartz-IV-Empfänger und kriegt dafür oft Ärger. Er gilt aber - auch bei der Linken - als Garant der schwierigen Haushaltskonsolidierung und als einer, der Berlins Ruf im Bund aufbessert.

Wer also kommt, wenn Sarrazin geht? Ingeborg Junge-Reyer ist da ins Spiel gebracht worden, die SPD-Bausenatorin. Dass die studierte Germanistin für den Finanzjob das Format hat, wird allerdings auch von Leuten bezweifelt, die ihr gewogen sind. Wenn überhaupt, hätte man im Senat wohl lieber einen jüngeren Finanzexperten, und es gibt Gerüchte, dass Wowereit sich in Hamburg nach einem umgesehen habe, aber "abgeblitzt" sei. Fände sich kein Externer, müsste der Posten mit Berliner Personal besetzt werden, da aber sieht es düster aus.

Wirtschaftsenator Harald Wolf will angeblich Finanzsenator werden, ist aber in der falschen Partei, der Linken. Der will die SPD ein so wichtiges Ressort nicht überlassen, zumal in Krisenzeiten. Innensenator Ehrhart Körting und Schulsenator Jürgen Zöllner gelten als zu alt und zu gut, um wegrotiert zu werden. Der SPD-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Michael Müller, wurde als Sarrazin-Nachfolger gehandelt, winkt aber ab: "Ich will nicht Senator werden." Andere berichten, Müller sehe sich selbst als Wowereit-Nachfolger, falls der in die Bundespolitik gehe. Bleibt Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner, der eine jüngere, angesehene Kollegin im Nacken sitzt: Linken-Fraktionschefin Carola Bluhm. Fragt man die, ob sie gern Senatorin wäre, sagt sie: "Eine Fraktionschefin hat viel zu tun, ich mache den Job gern." Das klingt nach einem lauten Ja. Aber so will sie das natürlich nicht gemeint haben.

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Erfolg für Exil-Iraner

EU nimmt Volksmudschaheddin von der Terrorliste

Brüssel - Der jahrelange juristische Kampf der iranischen Volksmudschaheddin (PMOI), von der Terrorliste der Europäischen Union gestrichen zu werden, hat jetzt offenbar Erfolg. Wie die Süddeutsche Zeitung aus dem EU-Ministerrat erfuhr, steht die Exilgruppe nicht mehr auf der regelmäßig von nationalen Sicherheitsexperten aktualisierten Liste, die von den europäischen Außenministern auf ihrer Sitzung am Montag als sogenannter A-Punkt verabschiedet werden soll. A-Punkt bedeutet, dass die Angelegenheit ohne Beratung verabschiedet wird.

Die Terrorliste der EU enthält zur Zeit rund 50 Personen und rund 50 Gruppen, deren Vermögen auf europäischen Konten beschlagnahmt wurde, weil sie terroristischer Aktivitäten verdächtigt werden. Die Volksmudschaheddin kam 2002 auf die Liste. Als militante Oppositionsgruppe hatte sie gegen den Schah und das islamistische Nachfolgeregime gekämpft, aber seit 2001 nach eigenen Angaben der Gewalt abgeschworen.

Mehrere europäische Gerichte, darunter der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, hatten in den vergangenen zwei Jahren mehrmals Urteile zugunsten der Exil-Iraner gefällt. Es gebe keine Beweise dafür, dass sie Terroristen seien, befanden die Richter. Auf die Seite der PMOI hatten sich zuletzt auch viele Parlamentarier, Menschenrechtsgruppen und prominente Juristen gestellt. Sie warfen der EU vor, die PMOI nur aus politischen Motiven zu sanktionieren. cob

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Finanzkrise bringt Islands Regierung ins Wanken

Nach wütenden Protesten der Bevölkerung steht das besonders stark betroffene Land vor Neuwahlen

Von Gunnar Herrmann

Stockholm - Nach monatelangen Bürgerprotesten steht Islands Regierung vor ihrem Ende. Sozialdemokratische Politiker forderten ihre Parteiführung auf, die Koalition mit den Konservativen zu verlassen und den Weg für Neuwahlen frei zu machen. Damit könnte die Finanzkrise erstmals eine amtierende Regierung zu Fall bringen. Selbst Ministerpräsident Geir Haarde schloss ein vorzeitiges Ende seiner Amtszeit nicht mehr aus. Uneins sind sich die Politiker jedoch über den Zeitpunkt für eine Wahl. Die ersten Sitzungstage des Parlaments nach der Weihnachtspause wurden in dieser Woche von schweren Unruhen begleitet. Tausende Menschen belagerten das Parlament, ein Polizist wurde verletzt.

Haardes konservative Unabhängigkeitspartei regiert seit 2007 gemeinsam mit den Sozialdemokraten. Wahlen stünden eigentlich erst 2011 an. Aber kaum jemand rechnet damit, dass die Regierung durchhält. Die Proteste, die schon drei Monaten dauern, werden immer heftiger. Die Polizei setzte in den vergangenen Tagen Pfefferspray ein und verhaftete Dutzende Demonstranten. Am Mittwoch sollen sich in Reykjavik mehr als 3000 Bürger versammelt haben, das entspricht einem Prozent der Bevölkerung.

Die Demonstranten geben der Regierung eine Mitschuld an der Bankenpleite vom Oktober. Waghalsige Spekulationen im Ausland hatten das Finanzsystem der Insel zusammenbrechen lassen. Mittlerweile mussten viele Unternehmen Konkurs anmelden. Rentner verloren ihr Erspartes, Arbeiter ihre Jobs. Experten erwarten, dass die Erwerbslosenquote bald auf mehr als zehn Prozent steigt. Viele Privathaushalte sind zudem hoch verschuldet.

Die Wut über die Misere richtete sich von Anfang an nicht nur gegen die Banker, sondern auch gegen die Politiker. Premier Haarde wurde am Mittwoch Ziel von Attacken. Demonstranten bewarfen seinen Dienstwagen mit Eiern und Schneebällen. Wenig später trat er vor die Kameras und wies die Forderungen der Menge erneut zurück. Ein sofortiger Regierungswechsel sei unvernünftig, das Land stehe vor wichtigen Entscheidungen. "Die Koalition ist stabil", behauptete er. Er kam den Demonstranten aber etwas entgegen und sagte, er habe nichts gegen Neuwahlen bis Jahresende.

Ob die Regierung sich so lange halten kann, ist zweifelhaft. Ebenfalls am Mittwoch versammelte sich der Ortsverein der Reykjaviker Sozialdemokraten zu einer Sondersitzung. Medienberichten zufolge demonstrierten Hunderte Isländer während des Treffens vor dem Gebäude. Am späten Abend verbreitete sich Partystimmung in der Protestgemeinde. Die Sozialdemokraten der Hauptstadt hatten mehrheitlich für ein Ende der Regierungskoalition und Neuwahlen noch in diesem Frühjahr gestimmt.

Ob der Reykjaviker Ortsverein diesen Wunsch in der Partei durchsetzen kann, war am Donnerstag offen. Eine Entscheidung wurde dadurch erschwert, dass Parteichefin Ingibjorg Solrun Gissladottir in Schweden weilte. Die Außenministerin war kürzlich wegen eines Tumors operiert worden und musste sich in einer Stockholmer Klinik einer Nachbehandlung unterziehen. Zum Wochenende wollte sie wieder in Reykjavik sein.

Ursprünglich hatten die Sozialdemokraten angekündigt, über eine Fortsetzung der Regierungskoalition Ende des Monats zu entscheiden. Dann hält die Unabhängigkeitspartei des Ministerpräsidenten einen Parteitag ab und diskutiert über ihren künftigen Kurs. Die wichtigste Frage ist die Haltung zur EU. Bislang war Islands Bevölkerung sehr europaskeptisch, aber in der Krise sehnen sich nun viele nach der Stabilität der Gemeinschaft. Haarde und seine Partei lehnten einen Beitritt bislang ab. Die Sozialdemokraten befürworten die Mitgliedschaft.

Protest in Reykjavik: Erzürnt über die Finanzkrise fordern die Isländer den Sturz der Regierung von Premierminister Geir Haarde. Foto: Reuters

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Ausgesetzt auf hoher See

Thailands Marine soll Motoren von Flüchtlingsbooten abmontiert haben / Hunderte Birmanen verschollen

Von Oliver Meiler

Singapur - Ein ungeheuerlicher Verdacht lastet auf Thailand. Die Erzählung der Opfer, die überlebt haben und diese Geschichte vor kurzem bekannt machten, hört sich so unmenschlich an, dass der thailändische Armeechef die Vorwürfe zunächst abstritt, noch bevor die Untersuchungen des Falls begonnen hatten.

Im vergangenen Dezember soll die thailändische Marine 992 Flüchtlinge aus Birma auf einer Insel in der Andamanischen See aufgespürt und sie in ihren Schiffen zurück ins Meer gestoßen haben, jedoch ohne Motoren. Diese hatte die Marine angeblich abmontiert. Versorgt wurden die Flüchtlinge nicht, obwohl Trinkwasser und Nahrung an Bord knapp waren. Nur zwei Säcke Reis und zwei Fässer Wasser wurde ihnen mitgegeben. Sie waren der See ausgeliefert.

Die indische Küstenwache rettete 107 der Flüchtlinge kurz vor Weihnachten vor den Andamanen. Ihr Zeugnis war der erste Hinweis auf den Fall. Am 7. Januar strandeten 193 Schiffbrüchige auf einer Insel vor Aceh in Indonesien. Wenige Tage später konnten 150 weitere Flüchtlinge auf der indischen Nikobaren-Insel Tillanchong an Land gehen. Die Hälfte jener 992 Birmanen, die Thailand offenbar ohne Rücksicht auf internationales Recht abschob, gilt noch als verschollen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sie tot sind. Alle stammten sie aus Birmas westlichem Arakan-Staat, der neu Rakhaing heißt, genauer: aus dessen nördlicher Grenzregion zu Bangladesch, wo die Rohingyas leben, eine kleine muslimische Minderheit, der rund 750 000 Menschen angehören.

Volk ohne Heimat

Es ist ein heimatloses Volk. Die schlechte Behandlung durch das Militärregime im mehrheitlich buddhistischen Birma, das sie nicht als eigenständige Ethnie betrachtet und schon gar nicht als Ureinwohner des Staates, sondern als illegale Einwanderer aus Bangladesch, treibt viele von ihnen in die Flucht, vorzugsweise in Staaten mit muslimischer Mehrheit: Pakistan, Saudiarabien, Indonesien, Bangladesch. Oder, wie wahrscheinlich in diesem Fall, nach Malaysia.

In Malaysia dürfen Rohingyas arbeiten, wenn sie denn einen Job finden. In ihrer Heimat verbietet man ihnen sogar, sich frei von einem ins andere Dorf zu bewegen. Dafür braucht es eine Bewilligung. Die Rohingyas haben keine Bürgerrechte, weder in Birma noch in Bangladesch. Birmas Militär ging seit der Unabhängigkeit 1948 oft mit brutalen Offensiven gegen seine vielen Minderheiten vor, so auch gegen die Rohingyas. Es zerstörte Siedlungen, brannte Moscheen nieder und vertrieb Hunderttausende. 1992 zum Beispiel, nach der bisher letzten großen Militäroffensive, flüchtete fast ein Drittel der Rohingyas ins Nachbarland. Doch auch in Bangladesch sind sie nicht willkommen. Mehrere internationale Organisationen sind im Norden Arakans tätig, ohne deren Hilfe die Rohingyas kaum überleben könnten. So auch das Hochkommissariat für Flüchtlinge der Vereinten Nationen (UNHCR), das seit vielen Jahren auf die besondere Not des staatenlosen Volkes hinweist.

Vor einigen Tagen forderte das UNHCR die thailändische Regierung auf, dass sie ihm schnell Zugang gewähre zu einem Camp auf einer thailändischen Insel, in dem 126 Rohingyas vom Militär festgehalten werden sollen. Den Hinweis erhielten die UN von Menschenrechtsgruppen, die Thailand vorwerfen, es gehe systematisch gegen Rohingyas vor, die skrupellosen Abschiebungen seien nicht neu. Als Grund für die Praxis vermuten sie die Sorge Bangkoks, dass es unter den Flüchtlingen solche haben könnte, die sich, wenn man sie passieren ließe, dem Aufstand islamistischer Gruppen im Süden Thailands anschließen würden. In den vergangenen Monaten strandeten laut thailändischer Armee mehr als 4000 Rohingyas an den Küsten des Landes.

Nutzlose Beweise

Thailands neuer Premierminister, Abhisit Vejjajiva, der sein Amt erst seit einigen Wochen innehat, versicherte, er werde dieser Angelegenheit mit aller Konsequenz auf den Grund gehen. Doch dem UNHCR will er vorerst nur einen bedingten Zugang verschaffen zu den 126 mutmaßlich festgehaltenen Flüchtlingen. "Wir wollen schon mit den Vereinten Nationen kooperieren, doch zu unseren Bedingungen", sagte Abhisit, "sie sollten verstehen, dass jedes Land seine Probleme hat mit der Einwanderung". Er habe die Marine gebeten, ihm Fotomaterial zu unterbreiten, das ihren Umgang mit Migranten dokumentiere. Das Material stammt also genau von jener Einheit, die unter Verdacht steht.

Die indische Küstenwache hat mehr als hundert Flüchtlinge aus dem Grenzgebiet von Birma und Bangladesch aus höchster Seenot gerettet. Überlebende beschuldigen die thailändische Marine, die Boote mit den Flüchtlingen von einer Insel in der Andamanischen See ins Wasser gestoßen zu haben. Thailand will den Fall angeblich untersuchen, zeigt dabei allerdings nur geringes Bemühen. Foto: AFP

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

"Er sieht gut aus"

Ein Lebenszeichen von Fidel Castro

Buenos Aires - Kubas vormaliger Staatschef Fidel Castro hat sich nach längerem Schweigen wieder zu Wort gemeldet. Er hat die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner empfangen und Zweifel an der Politik des neuen US-Präsidenten Barack Obama geäußert. Obama habe "edle Absichten", doch es blieben "viele Fragezeichen", schrieb der schwerkranke Politiker in einem Leitartikel in der Parteizeitung Granma. Es sei unklar, wie ein "so verschwenderisches und konsumorientiertes System (wie die USA) die Umwelt schützen kann". Auch verwies der 82 Jahre alte Castro darauf, dass in den vergangenen 50 Jahren "trotz ihrer immensen Macht" zehn US-Präsidenten die kubanische Revolution nicht hätten zerstören können.

Dieser Beitrag war seit mehreren Wochen die erste seiner zuvor regelmäßigen "Reflexionen". Das Lebenszeichen und der Besuch der Argentinierin Fernández sollen Gerüchte über eine weitere Verschlechterung seiner Gesundheit zerstreuen. Zuletzt hatten mehrere Staatsgäste vergeblich auf ein Treffen mit ihm gehofft.

Fernández berichtete nach dem offenbar 40 Minuten langen Gespräch in Havanna, Castro habe gut ausgesehen. Allerdings gab es von dieser Begegnung anders als bei solchen Gelegenheiten sonst üblich bis zuletzt kein Foto. Zuvor hatte Cristina Fernández de Kirchner mit Fidel Castros Bruder und Nachfolger als Staatschef Raúl Castro mehrere Verträge unterzeichnet. pb

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Schwere Rüge für Bern

Regierung hätte Atom-Akten nicht vernichten dürfen

Bern/München - Als eine Art "Bananenrepublik" am Gängelband der USA lässt ein Untersuchungsbericht die Schweiz erscheinen, der am Donnerstag in Bern veröffentlicht worden ist. Es geht um den größten bekannten Schmuggel von Atomtechnologie in Staaten wie Libyen, Iran und Nordkorea. Zu den zentralen Figuren des Skandals gehören der "Vater" der pakistanischen Atombombe, Abdul Qadir Khan, der amerikanische Geheimdienst CIA sowie der Schweizer Geschäftsmann Friedrich Tinner und seine beiden Söhne Urs und Marco. Das für die Kontrolle geheimer Regierungstätigkeiten zuständige Parlamentsgremium in der Schweiz erhebt in dem Bericht schwere Vorwürfe gegen den früheren Schweizer Justizminister Christoph Blocher, die Galionsfigur der konservativen Schweizerischen Volkspartei.

Die Geschäftsprüfungsdelegation kommt zu dem Schluss, es habe keinen zwingenden Grund gegeben, umfangreiche Beweismittel in dem Strafverfahren gegen die Tinner-Brüder zu vernichten. Die Akten enthielten unter anderem Hinweise über illegale Tätigkeiten der CIA in der Schweiz. Der Bundesrat, wie die Regierung in der Schweiz heißt, hatte im November 2007 auf Anraten Blochers beschlossen, die Dokumente unter Aufsicht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) vernichten zu lassen. Dies war damit begründet worden, dass die Dokumente auch Baupläne für Atomwaffen enthielten, welche die Schweiz gemäß dem Atomwaffensperrvertrag nicht besitzen dürfe.

Nach Ansicht der Untersuchungskommission kann davon jedoch keine Rede sein. Die Schweiz sei in der Lage gewesen, für eine sichere Aufbewahrung zu sorgen, sagte Kommissionsvorsitzender Claude Janiak in Bern. Die Delegation rügt, die Schweiz hätte selbst die Atomwaffenpläne in dem Strafverfahren nutzen dürfen. Zudem habe es die Möglichkeit gegeben, diese Dokumente auszusondern und nur sie zu vernichten statt das gesamte Beweismaterial. Das Justizministerium habe dafür 16 Monate Zeit gehabt, da es schon Mitte 2006 davon erfahren habe, dass die Akten auch Waffenpläne enthielten. Zudem hätten die als Atomwaffenstaat zum Besitz solcher Pläne berechtigten USA angeboten, diese zu verwahren und für das Strafverfahren zur Verfügung zu stellen. Auch geht aus dem Bericht hervor, dass die Schweizer Behörden gut zwei Jahre lang Kopien der brisanten Pläne bei den Tinners ließen.

Merkwürdigerweise gebe es für manche Gespräche und Vorgänge in dem Zusammenhang keine schriftlichen Unterlagen. Deutlich wird aus dem Parlamentarier-Bericht, dass der USA-Geheimdienst ein erhebliches Interesse an der Aktenvernichtung hatte. Er war im Zuge der Affäre auch in der Schweiz illegal tätig geworden. So hatte die CIA etwa im Jahr 2003 eine regelrechte Hausdurchsuchung bei Tinners durchgeführt. Gegen ein Ermittlungsverfahren über die Operationen der CIA hat die Schweizer Regierung ihr Veto eingelegt. Warum die Regierung in Bern sich per Aktenvernichtung den amerikanischen Wünschen fügte, lässt der Untersuchungsbericht offen.

Durch die von Blocher vorangetrieben Schredderaktion steht infrage, ob die Rolle der Tinner-Brüder im Schmugglerring des pakistanischen Atomwissenschaftlers Abdul Qadir Khan je aufgeklärt werden kann. Das von Khan geführte Netzwerk hatte Libyen eine komplette Bombenfabrik verkauft. Urs Tinner war am Bau von Zentrifugen zur Urananreicherung in Malaysia beteiligt. Gegen ihn und seinen Bruder Marco ermitteln die Schweizer Behörden wegen Verstößen gegen das Güterkontrollgesetz und das Kriegsmaterialgesetz sowie wegen Geldwäsche. Auch wegen der Aktenvernichtung gibt es bis heute keine Anklage. Urs Tinner wurde deshalb nach mehr als vier Jahren Untersuchungshaft vor Weihnachten auf freien Fuß gesetzt, sein Bruder Marco soll nach einem Urteil der Bundesstrafgerichts in Bellinzona trotz Fluchtgefahr und dringendem Tatverdacht ebenfalls freikommen.

Urs Tinner sagte in seiner ersten öffentlichen Stellungnahme dem Schweizer Fernsehen SF1, er habe erst während seiner Tätigkeit gemerkt, dass er am Bau einer Atomanlage mitgewirkt habe. Daraufhin habe er sich an die CIA gewandt und seine Mitarbeit angeboten. Er habe geholfen, Teile der Bombenfabrik zu sabotieren und beigetragen, dass die Dienste die größte Lieferung an den libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi 2003 im italienischen Taranto abfangen konnten. Dies war der schlagende Beweis, damit sich Gaddafi drängen ließ, seine Massenvernichtungswaffen aufzugeben.Gerd Zitzelsberger/Paul-Anton Krüger

Der Schweizer Urs Tinner soll in den weltgrößten Fall von Atomschmuggel verwickelt sein. Foto: dpa

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Keine Lust mehr auf Mickymaus-Plätze

Für Tennisprofi Tommy Haas geht es bei seinem Comeback in Melbourne vor allem ums Gefühl, nicht so sehr ums Resultat

Melbourne - Es gibt Tenniscourts, die nennt Tommy Haas "Mickymaus-Plätze". Eng, kleine Tribünen, viel Himmel zu sehen. In Wimbledon gibt es fast nur Mickymaus-Plätze, "deshalb", sagt Haas, "ist das eine Katastrophe für mich". Tradition hin, Tradition her. Die Plätze bei den Australian Open sind ganz anders. Neben der riesigen Rod-Laver-Arena steht in dem Park, in dem das Turnier seit 1988 steigt, ein zweites, Baukran-hohes Stadion, dessen Dach sich auf Knopfdruck schließen lässt. Auch der drittgrößte Sportplatz trägt noch einen klangvollen Namen: Margaret Court Arena. 6000 Menschen finden dort Platz. Immerhin die Hälfte davon sind es gleich daneben, in den beiden kreisrunden Manegen, die als Showcourts zwei und drei ausgeschildert sind und die an Stierkampfarenen erinnern. Wenig Tradition, viel Stimmung - auf die Formel lässt sich der Melbourne Park bringen. Haas gefällt das. "Ich würde gerne immer auf solchen Plätzen spielen", sagt er.

Eher Opfer denn Opponenten

An diesem Samstag ist dem 30-Jährigen ein Erlebnis dieser Art sicher. In der dritten Runde trifft er auf Rafael Nadal. Der Spanier ist aktuell die Nummer eins der Weltrangliste und bei den Australian Open als Nummer eins gesetzt. Haas war im Lostopf. Eine Schulterverletzung hat seinen, vom Computer errechneten Stellenwert wieder einmal auf Position 79 fallen lassen. Aber das ist nur eine Nummer. "Das Ranking interessiert mich nicht mehr so sehr. Das Wichtigste ist, dass ich mich wohl fühle, dass ich das Gefühl habe, ich bin fit. Wenn das so ist, gehe ich da raus und spiele gegen wen auch immer", sagt Haas selbstbewusst. In Runde eins bezwang er den Argentinier Eduardo Schwank 6:3, 6:3, 6:4. Runde zwei endete gegen den italienischen Qualifikanten Flavio Cipolla noch deutlicher: 6:1, 6:2, 6:1. Nach 98 Minuten war die Show schon wieder vorbei. Schwank und Cipolla waren eher Opfer denn Opponenten. Das Match gegen Nadal dürfte für Haas dagegen ein Vorgeschmack auf das werden, was ihm künftig öfter droht. "Ich werde länger nicht gesetzt sein, da können in den ersten Runden immer schwere Brocken kommen", weiß er.

Nadal ist in Melbourne fulminant gestartet. Gleich den ersten Satz gewann er 6:0. Auch danach wurde es für Erstrunden-Gegner Christophe Rochus nicht angenehmer. Gerade einmal vier Spiele gingen an den Belgier, der anschließend bedauerte, nicht Roger Federer gegenüber gestanden zu haben - der ließe wenigstens Ballwechsel zu, wenn er einen bloßstelle. Nadals zweiter Widersacher war an diesem Donnerstag der Kroate Roko Karanusic. 6:2, 6:3, 6:2 in 97 Minuten, anschließend keine einzige Frage zum Match - mehr gibt es von der Partie nicht zu berichten. Am meisten Sorge bereitet den Nadal-Fans zurzeit, dass ihr Idol keine ärmellose T-Shirts mehr trägt. Der martialische Look ist weg. Dass der 22-Jährige seine Muskeln weniger spielen lässt, heißt das allerdings nicht. "Er spielt die wichtigen Punkte extrem gut", sagt Haas: "Dass er Linkshänder ist, macht ihn noch gefährlicher."

Dreimal sind die beiden schon aufeinandergetroffen, dreimal auf Hartplatz, dreimal gewann Nadal. Noch nicht einen Satz hat er an Haas abgegeben, doch einige waren knapp. "Er kann mit Slice spielen, er hat eine gute Rückhand und eine gute Vorhand. Seine Aufschläge sind gut. Er kann alles. Wenn ich gewinnen will, muss ich härter und schneller spielen", sagt Nadal: "Das wird der erste große Gegner hier für mich." Ort und Zeitpunkt der Begegnung erhöhen Haas' Chancen. Von dem blauen Untergrund, der in Melbourne in den Arenen verlegt ist, springen die Bälle nicht so schnell ab wie von anderen Hartplätzen. Und sie nehmen nicht so leicht Drall auf wie auf Sand. "Bei den French Open", sagt Haas über Nadal, "würde ich ihm nicht so gerne gegenüberstehen."

Nichts zu verteidigen

Vielleicht liegt seine große Chance aber in ganz etwas anderem. Nadal hat Platz eins der Weltrangliste lange gejagt. Jetzt will er ihn so schnell nicht wieder hergeben. Das kann zur Last werden. Roger Federer, der den Platz an der Spitze vor Nadal so lange innehatte wie noch keiner zuvor, hat darüber in Melbourne viel erzählt. "Es ist schön, nicht mehr jede Woche etwas verteidigen zu müssen", sagt Federer. Haas hat nichts zu verteidigen. "Ich will das jetzt einfach genießen", sagt er. Ihm geht es eher ums Gefühl als ums Resultat. "Ich habe hier einige gute Matches bestritten, wahrscheinlich die besten meiner Karriere." Das Australian-Open-Achtelfinale im Jahre 2002 gehört dazu: Damals wehrte Haas in der Rod Laver Arena einen Matchball ab und rang in fünf Sätzen Roger Federer nieder. Haas war damals 23, Federer 20. Zwei junge Wilde, über die noch keiner sagen konnte, wer es weiter bringen würde. Vier Jahre später trafen sich die beiden wieder in Melbourne im Achtelfinale. Wieder war es eng, wieder ging es über fünf Sätze, um halb eins in der Nacht hieß der Sieger Federer. Der hatte da schon sechs Grand-Slam-Titel gesammelt. Ein Tennismatch ist manchmal mehr als bloß ein Kräftemessen. Manchmal ist es ein Wegweiser, wo es noch hingehen kann. Nur eines weiß Tommy Haas schon: Auf Mickymaus-Plätze hat er immer weniger Lust. René Hofmann

Schnell noch ein Erinnerungsbild: Für Tommy Haas naht schon wieder der Abschied aus Melbourne - nächster Gegner ist Rafael Nadal. Foto: AP

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

"Jeder muss wissen: Es wird weh tun"

Handball-WM: Am deutschen Abwehrchef Oliver Roggisch kommt kein Gegenspieler ungestraft vorbei

Varazdin - Oliver Roggisch wird in jedem Spiel gerammt, gerempelt, gestoßen, geschlagen, geschoben und geschubst, und er findet es wunderbar. "Einen schöneren Beruf kann ich mir nicht vorstellen", sagt er. Auf die Zumutungen antwortet er, indem er rammt, rempelt, stößt, schiebt und schubst, er macht das mit Freude, und manchmal, wenn er mit einem Gegenspieler besonders heftig zusammengerasselt ist, grinst er breit und reicht ihm die Hand. "Ich spiele einfach gerne hart", sagt er, "und ich weiß, dass manche denken: Der Roggisch ist bekloppt." Das denken vor allem Gegenspieler des Abwehrchefs der deutschen Handball-Auswahl, wenn sie zu nahe ans Tor kommen, denn Roggischs Devise ist: "Jeder, der in meinen Bereich kommt, muss wissen: Es wird weh tun."

Handball ist bisweilen ein seltsamer Sport, hart ist er immer, und am härtesten wird er im Mittelblock, wo Menschen wie Roggisch stehen. An der Offensive nimmt er nicht teil; wenn die Mannschaft angreift, eilt er zur Bank und tauscht den Platz auf dem Feld mit Pascal Hens. Nur sehr, sehr selten kommt es vor, dass Roggisch einen Angriff mitläuft, er bewegt sich dann mit der Wucht eines frisierten Traktors, und noch seltener erzielt er ein Tor. Aber Tore sind ihm nicht wichtig. Was ist schon ein Tor gegen das Gefühl, einen Gegenspieler 60 Minuten so in die Mangel zu nehmen, dass er anschließend den Tag seiner Jugend verflucht, an dem er sich dachte: Handball könnte ganz nett sein, das fang ich mal an.

Vorbild Torgowanow

Roggisch war nicht immer ein reiner Abwehrspieler, zunächst spielte er auch im Angriff am Kreis, und er erzielte reichlich Tore. 1998 hat er in Schutterwald angefangen, dann ging er nach Göppingen, von dort wechselte er 2002 nach Essen. Dort spielte damals Roggischs Vorbild, der russische Kreisläufer Dimitri Torgowanow. "Da war klar, dass ich nicht mehr viele Spielanteile in der Offensive bekomme. Aber ich habe von ihm so viel in der Abwehr gelernt, dass ich all das erreichen konnte", sagt Roggisch. All das - damit meint er, dass er eine Stütze der Nationalmannschaft ist, 2007 Weltmeister wurde und als Größe der Bundesliga zählt, wo er mittlerweile bei den Rhein-Neckar-Löwen unter Vertrag steht.

Der Preis des Erfolgs ist nicht eben gering. Wer so Handball spielt wie Roggisch - ihn also als Kampfsport versteht -, der ist davon irgendwann gezeichnet. Roggisch ist jetzt 30 Jahre alt und mehr als zehn Mal operiert worden, am Meniskus, am Schienbein, an den Bändern, und immer so weiter. Drei Finger hat er sich ausgekugelt, das oberste Gelenk des rechten kleinen Fingers lässt sich in alle Richtungen bewegen, vier Strecksehnenrisse zählt er bisher. "Aber meine Daumen sind völlig intakt", sagt er, "da bin ich sehr stolz drauf." Dafür ist die Nase dreimal gebrochen, was dazu führt, dass Roggisch durch ein Nasenloch keine Luft bekommt. Er hat sich deshalb angewöhnt, durch den Mund zu atmen. Da man kaum gleichzeitig essen und atmen kann, holt er nach einem größeren Bissen Luft wie ein Fisch an Land, wozu Mitspieler Michael Müller sagt: "Er klingt dann wie ein 80-jähriger Asthmatiker."

Durch seine Spielweise ist Roggisch in den Fokus der Schiedsrichter geraten. Eine Zeitlang war er der Zeitstrafenkönig der Liga, aber das hat sich gebessert. Er vermeidet jetzt, was er "unnötige Strafen" nennt. "Wenn man schon zwei Minuten bekommt, dann muss es sich wenigstens gelohnt haben", findet Roggisch, "der Gegner muss dann denken: Oh, da komme ich heute nicht durch." Unnötig sind seiner Ansicht nach zum Beispiel zwei Minuten fürs Trikotziehen. "Das sind zwei Minuten, die kein Mensch braucht", erklärt er. Zudem sehen die Schiedsrichter mittlerweile, dass Roggisch hart spielt, aber nie unfair. "Wenn es früher irgendwo gekracht hat und ich war in der Nähe, dann dachten die Schiris: Na, das wird er schon gewesen sein. Das ist jetzt weniger so", sagt er.

Beim 33:22 in der Partie gegen Mazedonien, mit dem die deutsche Auswahl das Erreichen der WM-Hauptrunde sicherstellte, hat er doch mal wieder drei Zeitstrafen kassiert, was die rote Karte bedeutete, aber diesmal tatsächlich zu Unrecht. Einmal wurde er gar bestraft, als er geschubst wurde, und das waren dann zwei Minuten, die sich wirklich kein bisschen gelohnt hatten. Er hat es mit Humor genommen und später mit Kiril Lazarov gescherzt, der ebenfalls die rote Karte gesehen hatte. Das verbindet.

Vor jedem Spiel macht sich Roggisch heiß, indem er ruft und brüllt und sich von Torwart Johannes Bitter viermal mit voller Wucht auf die Brust schlagen lässt. Später dann, wenn das Spiel läuft, spürt er keine Schmerzen mehr, "da bin ich voller Adrenalin", sagt er. Einmal hat er sich während eines Spiels einen ausgekugelten Finger wieder eingerenkt und weitergespielt. Das alles erzählt Oliver Roggisch mit einem feinen Lächeln, es ist, als rede er über eine andere Person, diesen freundlichen Irren, der diesen seltsamen Sport ausübt, denn privat, sagt Roggisch, sei er selbstverständlich die Sanftheit in Person. Christian Zaschke

Rammen, rempeln, schlagen, schieben und schubsen: Oliver Roggisch (links) in seinem Element Foto: nordphoto

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Goldrausch in der Tiefsee

Metalle, Erze und Öl: Mit Wild-West-Methoden reißen sich Industrienationen um Rohstoffe am Meeresgrund - Umweltschützer sind alarmiert

Manchen Schätzen sieht man ihren Wert nicht an. In einer Lagerhalle am Stadtrand Hannovers beugt sich Michael Wiedicke über eine große, helle Plastikkiste. In Tüten verpackt liegen darin schwarze Klumpen, die aussehen wie schrumpelig-faule Kartoffeln. Es sind so genannte Manganknollen aus 5 000 Metern Tiefe im Pazifik. Für sie hat der Geologe der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) soeben acht Wochen auf einem Forschungsschiff zugebracht. Für sie hat er den Tropensturm Polo über sich ergehen lassen. Für sie hat er tagein tagaus schweres Gerät im wogenden Pazifik versenkt - und gemeinsam mit seinen Kollegen 400 Kilogramm Manganknollen an Bord geholt. Nun will er sie in Hannover genau untersuchen.

Es war die erste Expedition in ein Gebiet, das Wiedicke scherzhaft "Deutschlands 17. Bundesland" nennt - dabei liegt es 15 000 Kilometer von Berlin entfernt. Kaum jemand weiß, dass Deutschland seit 2006 die Rechte an einem riesigen Areal des Meeresbodens im Pazifik besitzt. Gekauft im Auftrag der Bundesregierung bei der Internationalen Seebodenbehörde in Jamaika, die Schürfrechte in internationalen Gewässern vergeben darf. Das deutsche Gebiet umfasst 75 000 Quadratkilometer - eine Fläche so groß wie Niedersachsen und Schleswig-Holstein zusammen.

16 Anker halten ein Schiff

"Die Knollen stecken voller wertvoller Buntmetalle. Vor allem Kupfer, Nickel und Kobalt enthalten sie in viel höheren Konzentrationen als wir sie aus Erzminen an Land kennen", schwärmt Wiedicke. Er zeigt neue Fotos aus dem Pazifik: Dicht an dicht liegen massenhaft Manganknollen auf dem Meeresboden, über Hunderte von Kilometern. "So sieht es zwischen Hawaii und Mexiko fast überall aus, auf einer Fläche so groß wie die USA", sagt der Geologe. Nach Wiedickes Berechnungen könnten die Knollen den weltweiten Bedarf an Buntmetallen einhundert Jahre lang decken. Ihren Wert schätzt er auf bis zu 400 Dollar pro Tonne. Auf dem Tiefseeboden im Pazifik liegen Milliarden.

Deutschland ist nicht das einzige Land, das es auf die Manganknollen abgesehen hat. In seinem Büro zeigt Wiedicke eine Karte des Knollengebiets. Sie sieht aus wie ein buntes Schachbrett: Mitten im Pazifik liegt der deutsche Abschnitt, olivgrün gefärbt. Direkt daneben: Koreas Lizenzgebiet in rot, das eines osteuropäischen Staatenverbunds in gelb. Auch Russland, China, Japan und Frankreich haben hier ihre Claims abgesteckt, nur durch Linealstriche voneinander entfernt. Immer mehr Staaten entwickeln derzeit Techniken, um die Manganknollen zu heben. Am Meeresboden des Pazifiks liegen die Rohstoffe der Zukunft.

Diese Zukunft hat in Angola bereits begonnen. Hier fliegen Helikopter täglich von Angolas Hauptstadt Luanda aus weit vor die Westküste Afrikas. Sie setzen die Mitarbeiter des französischen Erdölkonzerns Total auf zwei gigantischen Ölförderschiffen ab. Mit ihnen erobert der viertgrößte Erdölkonzern der Welt schon heute die Tiefsee. Die sogenannten "Floating Production, Storage and Offloading Vessels" (FPSO) sind groß wie drei Bohrinseln - und kosten mehrere Milliarden Dollar. 16 Anker halten eine der schwimmenden Fabriken, während das schwarze Gold der Tiefsee in ihre Bäuche strömt. Bis auf 1 400 Meter Tiefe reichen die Ölleitungen von den Förderschiffen hinab, von dort aus gehen die Bohrungen weitere 1 000 Meter tief in den Meeresboden.

Noch vor zehn Jahren hatte das niemand für möglich gehalten. Die Öl-Förderung aus großen Wassertiefen galt als zu teuer und zu kompliziert. Heute pumpt Total 70 Millionen Liter Öl aus der Tiefsee vor Angola. Tag für Tag. Wichtigste Abnehmer sind China und die USA. Amerika bezieht bereits mehr Öl aus Angola als aus Kuwait. Aus einem der ärmsten Länder Afrikas ist das neue Dorado der Erdölindustrie geworden. Alle großen Öl-Konzerne lassen sich inzwischen in Luanda nieder. Während Experten warnen, dass die Förderung an Land zur Neige geht, wurden allein vor der Westküste Afrikas bisher zehn Prozent der weltweit bekannten Ölreserven entdeckt. Und je mehr gesucht wird, desto mehr wird gefunden.

Krisenherde unter Wasser

Ob Erdöl, Manganknollen oder sogar Gold - weltweit stoßen Forscher und Konzerne in der Tiefsee auf immer neue Lagerstätten. So auch vor Neuseeland. Das deutsche Forschungsschiff Sonne war dort im August 2007 drei Wochen lang unterwegs. Ein Team rund um Peter Herzig, den eigens angereisten Leiter des Kieler Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften IFM-Geomar, testete vor Neuseeland erstmals sein neuestes Forschungsgerät. Der Tauchroboter Kiel 6000, groß wie ein PKW und knallgelb gestrichen, war über ein sechs Kilometer langes Kabel mit dem Mutterschiff verbunden. Vom Kontrollraum der Sonne aus lenkten die Forscher das Hightech-Gerät ferngesteuert in die dunkle Tiefsee und prüften, ob seine Videokameras, Lampen und Greifarme einwandfrei funktionierten.

In 1600 Metern Tiefe erreichten sie ihr Ziel. Auf den Monitoren tauchten so genannte Schwarze Raucher auf, heiße Quellen am Meeresboden. Bis zu 400 Grad Celsius ist das Wasser warm, das diese meterhohen Schlote in die kalte Tiefsee speien. In dem Wasser haben sich Gold, Silber, Kupfer und Zink aus der Erdkruste gelöst. Mineralien, die sich nach und nach am Meeresboden absetzen, in meterdicken Schichten. "Wir müssen hier noch die Gehalte der Erze bestimmen. Aber vom Prinzip her ist das schon ein sehr attraktives Gebiet", sagt Peter Herzig. Er ist weltweit anerkannt als Experte für die rätselhaften unterseeischen Quellen. Attraktiv ist das Gebiet vor allem für die Bergbauindustrie. Neuseeland hat als eines der ersten Länder der Welt eine Erkundungslizenz für die Gold- und Kupferablagerungen am Meeresgrund verkauft - an das britisch-australische Unternehmen Neptune Minerals. Sie wollen die neuen Erzminen von 2010 an abbauen. Ein Projekt mit Signalwirkung: Schwarze Raucher gibt es auch vor den Küsten anderer Staaten, von Papua-Neuguinea bis Italien.

Dabei ist an vielen Stellen der Erde nicht klar, wem die Schätze der Tiefsee gehören. Zuletzt zeigte sich das am Nordpol. Im Sommer 2007 postierte dort ein russisches U-Boot die Nationalflagge am Meeresboden. Die Aktion sorgte weltweit für Aufsehen.

Geologen vermuten auch unter dem Eis der Arktis enorme Mengen Erdöl und Gas. Seither streitet Russland mit Norwegen, Dänemark, Kanada und den USA darüber, wem der Meeresboden der Arktis gehört - und wer über die dort enthaltenen Rohstoffe in Zukunft verfügen darf. Unter Wasser spielten Staatsgrenzen jahrhundertelang keine Rolle. Doch seit die Tiefsee technisch erschließbar wird, entbrennen neue Konflikte.

Auch vor Angola droht Streit. Innerhalb der 200-Seemeilen-Zone - einer Wirtschaftszone vor der Küste, die jedem Küstenstaat zusteht - verkauft Angolas Regierung die begehrten Tiefsee-Lizenzen für bis zu eine Milliarde US-Dollar an die Ölkonzerne. Kein Wunder also, dass der Staat seine Wirtschaftszone nun auf 350 Seemeilen erweitern will. Die beiden Nachbarstaaten Namibia und Kongo protestieren jedoch. Am Internationalen Seegerichtshof in Hamburg rechnen die Völkerrechtler für die Zukunft mit zahlreichen ähnlichen Konflikten. Schon jetzt seien die Grenzverläufe auf See an rund 100 Orten weltweit umstritten. Der Streit eskaliert, wenn dort Rohstoffe gefunden werden.

Ein Gebiet ohne Regeln

Biologen und Umweltschützer verfolgen den Goldrausch in der Tiefsee mit Sorge. Im Labor des französischen Meeresforschungsinstituts Ifremer in Brest, wenige Hundert Meter von den steilen Klippen der Bretagneküste entfernt, untersuchen sie Proben aus allen Meeren der Welt. Sie kommen mit ihrer Arbeit kaum hinterher: Jede Expedition in die Tiefsee fördert Hunderte Lebewesen zutage, die die Forscher nie zuvor gesehen haben. Bis zu 10 Millionen Tierarten vermuten sie in den Ozeanen. Und gerade mal zwei Prozent davon haben bisher überhaupt einen Namen. Joelle Galéron und Lenaick Menot werten Videoaufnahmen aus, die sie im Pazifik gemacht haben - genau dort, wo die deutsche Regierung Manganknollen abbauen lassen will. Über den Monitor schwimmen knallbunte Seegurken, Anemonen biegen sich in der Strömung, und fremdartige Krebse verschwinden inmitten der Knollen. Doch dann stoßen die Biologen auf Spuren im Meeresboden, die wirken, als sei erst gestern dort ein Bagger durchgefahren. Es sind die Hinterlassenschaften eines Abbautests von vor 30 Jahren. Damals förderte ein Firmen-Konsortium, dem auch die deutsche Preussag angehörte, 800 Tonnen Manganknollen an Bord. Doch bald darauf brachen die Rohstoffpreise ein und der teure Tiefseebergbau wurde gestoppt.

Heute sind die Pläne aktueller denn je. Die Biologen haben Proben genommen aus dem Meeresboden unter den Knollen. Und sind alarmiert. "Dort leben Tiere, die nur einige Millionstel Meter klein sind", staunt Joelle Galéron. "Aber genau sie machen die ungeheuer reiche Artenvielfalt im Meeresboden aus." Ihr Kollege Lenaick Menot erläutert, dass ein Abbau über dem Meeresboden eine gigantische Staubwolke aufwirbeln könnte, jahrzehntelang. Er bezweifelt, dass sich die Lebensgemeinschaften der Tiefsee von einem solchen Eingriff erholen würden - es sei denn, man ließe große Flächen zwischen den Abbaugebieten unberührt.

Auch vor Angola waren die französischen Biologen unterwegs, zum Teil finanziert von Total. Ganz in der Nähe der Ölförderanlagen haben sie sensible Ökosysteme entdeckt: Kaltwasserkorallen sowie zahllose unbekannte Lebewesen am Meeresboden. Welche Folgen eine Ölpest in einer solchen Umgebung hätte, ist noch völlig unklar. Für dringend notwendige, umfassende Umweltstudien fehlt den Forschern das Geld. Verbindliche Umweltregeln gibt es in der Tiefsee bisher fast nirgendwo, auch Schutzgebiete fehlen. Der Meeresboden droht zum Pionierland wie einst der Wilde Westen zu werden - ein Gebiet ohne Regeln und Kontrollen, in dem sich jeder greift, was er kann. SARAH ZIERUL

Am Montag, 26. Januar, um 22 Uhr zeigt das WDR den Film der Autorin "Wem gehört das Meer? Wettlauf um die letzten Rohstoffe".

Gigantische Ölförderschiffe saugen den Meeresgrund vor Angola aus - mit gravierenden Folgen für die Umwelt. Ähnliches befürchten Biologen, wenn auch erzhaltige Manganknollen im großen Stil abgebaut werden. Fotos: Laif / Blickwinkel

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Großes Kino

Mit einer hinreißenden Kür gewinnen Savchenko/Szolkowy ihren dritten EM-Titel - Trainer Ingo Steuer treibt sie weiter vorwärts

Helsinki/München (sid/dpa/SZ) - Es war einer jener perfekten Momente, die den Eiskunstlauf so faszinierend machen. Alles harmonierte: die Musik, der künstlerische Ausdruck, der sportliche Vortrag. Im Mittelteil der Kür von Aljona Savchenko und Robin Szolkowy hielten 6000 Zuschauer den Atem an. Kein Radioreporter, kein TV-Kommentator gab gefühlte zwanzig Sekunden lang einen Laut von sich. Nur das Kratzen von vier Schlittschuhen war zu hören in der gigantischen Hartwall-Areena. "Mir lief ein Schauer über den Rücken", sagte Savchenko zu später Stunde, immer noch bewegt. Ihr eher nüchterner Partner Robin Szolkowy nahm die außergewöhnliche Szene mit Humor: "Ich dachte: Entweder sind die Zuschauer eingeschlafen oder sie genießen es."

"Olympia im Blick"

Gebannt wie im Kino hatten sie ihn genossen, den Lauf der alten und neuen Europameister im Paarlauf. Die Menschen in der Halle erhoben sich hinterher ergriffen von ihren Sitzen. Und sogar der Mann, der hinter dem Erfolg der beiden steckt, war diesmal zufrieden. "Ich bin sehr stolz auf die Zwei", sagte Ingo Steuer, ihr manisch ehrgeiziger Trainer. Während der Kür hatte er aus lauter Begeisterung immer wieder seine rechte Faust gen Hallendach gestoßen.

Ihr EM-Titel Nummer drei war alles andere als Routine für die amtierenden Weltmeister und deren Coach. Schon wegen der gewagtem Wahl der Kür-Musik: der Soundtrack von John Williams aus dem Film "Schindlers Liste". Vom Pathos zur Peinlichkeit ist es nur ein kleiner Schritt, zumal bei dem heiklen Thema des Films, zumal bei dieser gedämpften Musik. Im Kontrast dazu kann jede falsche Geste, jeder Fehler im Lauf verheerend wirken. Doch bei allen Schwächen, die Steuer haben mag: Er ist stilsicher, wenn es gilt, Lauf und Musik zusammenzuführen. Sein Paar setzte die Vorgaben perfekt um. Auch das empfand der Trainer als außergewöhnlich, nachdem er sich zuvor über die Arbeitsauffassung von Robin Szolkowy beklagt hatte.

"Das war die beste Kür dieses Winters, da war Spannung drin, da war Dramatik drin", redete sich der Coach geradezu in Rage. Steuer lobte das "Kämpferherz" von Robin Szolkowy, nachdem ihn dieser am Abend zuvor noch mit einem verpatzten Toeloop geärgert hatte. "Robin muss manchmal immer noch lernen, was es heißt, sich total auf ein Ziel zu konzentrieren", hatte der Coach den 29-Jährigen nach dessen Patzer in der Kurzkür kritisiert. Diesmal fand Steuer: "Der Biss war da." Dennoch kündigte er eine Aussprache zu Hause in Chemnitz an. "Wir haben die Auswertung der Leistung dann Schwarz auf Weiß, da kann keiner lügen", erklärte Steuer, "und dann werden wir uns zielstrebig auf die Olympischen Spiele in Vancouver vorbereiten."

Zwar steht noch die WM im März in Los Angeles mit der starken chinesischen Konkurrenz auf dem Programm, doch wenn die Sachsen ebenso gut laufen wie in der finnischen Hauptstadt, müssen sie niemanden fürchten. So deklassierten sie mit 199,07 Zählern die Russen Yuko Kawaguchi/Alexander Smirnow (182,77) und Maria Muchortowa/Maxim Trankow (182,07), die zuvor in Führung gelegen hatten. "Wir müssen in den nächsten Wochen noch eine Kohle drauflegen", findet aber Steuer, der sein Paradepaar in jedem Winter zu immer neuen, schwierigeren Elementen treibt. So überraschte das Duo nach dem verlorenen Grand-Prix-Finale mit einer Umstellung in der Kür, in der die Höchstschwierigkeit Dreifach-Wurfsalchow als Höhepunkt nun erst am Ende kommt. "Das ist gut, so bleibe ich bis zum Ende konzentriert", sagte Savchenko. Manch anderem Duo geht nach vier Minuten die Luft aus, die austrainierten Sachsen könnten noch eine Weile weiterlaufen.

Ein fragiler Dreier-Bund

Deshalb wollte Szolkowy auch nicht ansatzweise Ingo Steuers Kritik an seiner angeblich zu laschen Trainingseinstellung gelten lassen. "Ich wüsste nicht, was ich noch tun sollte für den Sport", meinte der Sohn eines tansanischen Arztes mit dem sächsischen Slang, "es war doch nur ein Toeloop, der daneben ging." Der Vorwurf, er würde sich nicht zu hundert Prozent auf den Eiskunstlauf konzentrieren und stattdessen lieber die Freizeit mit seinen Freunden genießen, wies er weit von sich: "Wenn ich das machen würde, könnte ich nicht einmal zehn Prozent von dem bringen, was wir hier gezeigt haben." Der stets ruhige 29-Jährige ist der Gegenpol zur energiegeladenen Savchenko sowie dem fordernden Coach und gleicht viele Meinungsverschiedenheit aus. "So lange wir erfolgreich bleiben, gehe ich gern durch diese Täler", sagte Szolkowy.

Ein sehr fragiler Dreier-Bund scheint da in Chemnitz am Werk zu sein. Täglich werden auch weiterhin in der Trainingsarbeit Kompromisse zwischen den Ehrgeizlingen Ingo Steuer und Aljona Savchenko auf der einen und dem eher unaufgeregten Robin Szolkowy auf der anderen Seite nötig sein, damit es auf dem Weg zum olympischen Paarlauf-Gold 2010 in Vancouver keine Fehltritte gibt.

"Da war Spannung drin, da war Dramatik drin": Ingo Steuer über die Kür von Aljona Savchenko und Robin Szolkowy Foto: AP

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Präsenz dringend erwünscht

Alpindirektor Wolfgang Maier sichtet sein WM-Team für Val d'Isère - nach stark aufgeweichten Kriterien

Kitzbühel - Andreas Strodl, 21, hatte im ersten Abfahrtstraining von Kitzbühel "eine Schaun-wir-mal-Fahrt" absolviert. Er ist Debütant auf der Streif, genauso wie sein fünf Jahre älterer Bruder Peter. Für Stephan Keppler aus Ebingen ergab die Radarmessung die Höchstgeschwindigkeit an diesem Tag mit 137,1 Stundenkilometern, und er sagte: "Immerhin irgendwo mal Nummer eins." Es ist keine übertrieben kühne Prognose, dass die deutschen Skirennfahrer die Speedrennen auf dem Hahnenkamm nicht prägen werden, auch wenn sie dringend Resultate bräuchten zur Erfüllung der Nominierungskriterien für die WM in Val d'Isère. Müssen die in Kitzbühel für die Qualifizierung Kopf und Kragen riskieren? Eben nicht - "im Gegenteil", erklärt Alpindirektor Wolfgang Maier, "ich möchte auf keinen Fall, dass einer von ihnen sich in Kitzbühel zerlegt. Die Strodls werden wahrscheinlich sowieso nur den Super-G fahren, in der Abfahrt soll alleine Keppler antreten."

Es ist im deutschen Sport ziemlich ehern festgeschrieben, dass, wer für ein globales Championat gemeldet werden will, dafür auf höchster Ebene ein Resultat unter den besten Acht oder zwei unter den Top 16 vorweisen muss. Nach diesen Kriterien fänden bei der Alpin-WM einige Wettbewerbe der Männer ohne Deutsche statt - alle, für die Torläufer Felix Neureuther nicht in Frage kommt. Maier hat sich aber mit Thomas Pfüller, dem Generalsekretär des Deutschen Skiverbandes, auf eine andere Vorgehensweise verständigt: "Wir möchten in Val d'Isère auf jeden Fall mit jemandem in Abfahrt und Super-G antreten. Das nicht zu machen, wäre ein völliger Wahnsinn in Hinblick auf das, was später kommt." Genau gesagt: Das, was in zwei Jahren kommt - die WM in Garmisch-Partenkirchen. Es ergäbe tatsächlich ein eigenartiges Bild, wenn der Veranstalter von 2011 zwei Jahre zuvor in Schlüsselwettbewerben nicht präsent wäre. Wie es wirkt, wenn seine Repräsentanten in diesen Schlüsselwettbewerben unter ferner liefen abschneiden, sei dahingestellt.

Prinzipiell sähe ihre Personalplanung für die bevorstehende WM nicht anders aus, auch wenn Deutschland 2011 nicht der Ausrichter wäre, sagt Maier. Es wurde von oben signalisiert, dass in Anbetracht der Investitionen für die Speedstrecken am Garmischer Kreuzeck eine Präsenz deutscher Abfahrer in Val d'Isère dringend erwünscht sei, Maier ist aber ohnehin überzeugt davon, "dass Leute wie der kleine Strodl eine Perspektive haben. Der ist so jung, fuhr letztes Mal in Wengen um einen Platz an den Top 30 vorbei, er hat in Kanada gepunktet. So einen möchte ich nicht rasieren, sondern in den muss man mal was investieren." Sollen für einen wie den Partenkirchener ("die Kraft in den Oberschenkeln ist da, nur die Masse fehlt", sagt der Jüngling von sich selbst) die tradierten Nominierungsqualifikative des deutschen Sports außer Kraft gesetzt werden? Modifiziert für diesmal, hat sich der Alpinchef vorgenommen und Weltcuppunkte als minimale Anforderung gestellt.

"Ich setze mich gerne für einen Athleten ein, von dem ich das Gefühl habe: Er will. Bei Andreas Strodl habe ich dieses Gefühl: Der möchte Rennfahrer werden, dafür tut er alles, und er bietet eine ordentliche Vorstellung. Das kann man anschauen, das ist brauchbar. Und Stephan Keppler war viermal unter den besseren 30 - für mich ist es keine Frage, dass wir den mitnehmen." Letztes Mal, 2007, nahmen sie Viktoria Rebensburg bar jeden Qualifikationsresultats mit zur WM nach Are - und sie wurde als Achte des Riesenslaloms einer der raren Lichtblicke im Team. Maier: "Kein Mensch wusste, dass sie nominiert war. Die hatte überhaupt kein Kriterium erfüllt. Wir ließen sie einfach fahren, sie wurde unser Winner, und plötzlich war es super, dass wir sie aufgestellt hatten."

Mit seinem Statement: "Ich muss dieses olympische Nominierungsprozedere nicht mitmachen - wir entscheiden, wen wir aufstellen", hat sich der Alpindirektor selbstverständlich und umgehend Widerspruch eingehandelt aus Landesverbänden, diversen Gremien. "Natürlich wurde das Thema intern relativ heftig diskutiert", sagt Maier, "es gibt den Vorwurf, wir Alpinen verlören wieder mal Maß und Ziel bei unserer Nominierung." Die Nordischen mahnen eine Angleichung der Kriterien an, die anderswo eisern eingehalten werden: Die deutschen Biathleten zum Beispiel gehen nur und strikt nach den klassischen Qualifikationskriterien vor. Was anderes bleibt ihnen bei der Unzahl ihrer Weltklasseathleten allerdings auch gar nicht übrig.

Der Kredit auf die alpine Zukunft soll kein Freifahrtschein sein: Es ist nicht gesagt, dass alle drei, die diesen Freitag im Kitzbüheler Super-G für Deutschland antreten, auch in Val d'Isère dabei sind. Maier sagt: "Es muss nicht, kann aber sein." Finale Argumente können die Strodls und Keppler im Nachtrag bei den Garmischer Heimrennen liefern, ebenso in Cortina d'Ampezzo Viktoria Rebensburg. Wirklich nötig hat das die junge Riesenslalomfahrerin diesmal aber nicht mehr. "Sie war Zwölfte, hat die halbe Norm, und sie war außerdem dreimal im Finale", argumentiert Wolfgang Maier. "Da setze ich mich durch, da gibt es keine Diskussion." Vermutlich aber Gegenwind - aus Landesverbänden und diversen Gremien. Da muss man als Alpiner durch. Wolfgang Gärner

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Schlechte Zeiten für Google

Android-Entwickler Horowitz verlässt den Konzern

Wenige Tage noch, dann kommt das erste Google-Handy auch nach Deutschland. G1 heißt es, aber nicht die Hardware ist das Besondere. Auf dem Mobiltelefon läuft ein Betriebssystem namens Android, mit dem es besonders leicht sein soll, unterwegs im Internet zu surfen. Auf diese Weise will der Suchmaschinenbetreiber gegen Rivalen wie Apple, Microsoft oder Nokia punkten. So ist es für Google keine gute Nachricht, dass ausgerechnet jetzt Steve Horowitz, der Chefentwickler des Handy-Systems, den Konzern verlässt. Besonders dürfte die Google-Führung aber seine Begründung schmerzen: Im Wirtschaftsabschwung sehe er bei seinem neuen Arbeitgeber, dem Entwickler von Online-Rabattsystemen Coupons.com, bessere Chancen.

Google galt bislang als Enfant terrible der IT-Branche. Die Gründer der Internetsuchmaschine Sergey Brin und Larry Page veranstalteten noch Partys mit Champagner, als es beim Rest der Branche schon lange nur Selters gab. Das Wachstum durch Werbung im Netz schien grenzenlos. Nun stößt in der Wirtschaftsflaute auch Google an Grenzen. Zum ersten Mal in der Unternehmensgeschichte müssen Beschäftigte gehen, unrentable Dienste werden eingestellt. Der 41-jährige Horowitz hielt die Zeit für gekommen, sich einen anderen Arbeitgeber zu suchen - mit besseren Perspektiven.

Seine neue Firma, Coupons.com, bietet Online-Rabattmarken zum Herunterladen. Zwei Dollar Abschlag etwa gibt es dort aktuell auf ein Shampoo oder 75 Cent für ein italienisches Salatdressing aus dem Supermarkt. Horowitz wird Technikchef bei Coupons.com. Die Aufgabe klingt wenig aufregend für einen Mann, der vorher bei Apple, Microsoft und zuletzt seit 2006 bei Google gearbeitet hat - doch Horowitz glaubt, dass die Firma mit weniger als 100 Angestellten in unruhigen Zeiten die bessere Alternative zum Posten beim 17 000-Mann-Konzern ist. Thorsten Riedl

Steve Horowitz Foto: oh

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Licht im Nebel

Der Bundesgerichtshof hält in der Online-Werbung manchen Trick für zulässig - die Grundsatzfrage verweist er aber nach Luxemburg

Von Helmut Kerscher

Karlsruhe - Jeder "User" kennt das Bild: Nach der Eingabe von Begriffen in der Internet-Suchmaschine Google erscheinen in Sekundenschnelle links Tausende Treffer und rechts eine Spalte mit "Anzeigen". Was nicht jeder weiß: Wie diese Online-Werbung funktioniert, was sie kostet und wie oft sich damit schon Gerichte befasst haben. Nach etwa 100 Entscheidungen gab es am Donnerstag endlich zwei Grundsatzurteile des Bundesgerichtshofs (BGH) - und einen Beschluss, mit dem die wichtigste Rechtsfrage dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg überantwortet wurde. So lichtete sich der Nebel über der überaus lukrativen Online-Werbung nur teilweise.

Im Zentrum des juristischen Schlachtgetümmels steht ein Wort, das sich wie "Edward" anhört und "Adword" geschrieben wird. Es geht auf das englische Wort "Adverts" für Werbeanzeigen zurück und ist für den weltweit größten Suchmaschinenbetreiber Google im doppelten Sinn ein Schlüsselwort. Zum einen spielen die Adwords einen großen Teil der Milliardengewinne ein, zum andern handelt es sich dabei tatsächlich um Schlüsselworte (keywords). Wer bei Google eine Anzeige schaltet, kann bestimmte Adwords mit Firmenbezug festlegen. Kommen diese in einer Trefferliste vor, dann erscheint zugleich im Anzeigenfeld das werbende Unternehmen mit einem Link. Wenn der Nutzer diese Anzeige anklickt, sind Nutznießer sowohl Google als auch die werbende Firma. Letztere hat eine ziemlich zielgenaue Werbung, wofür sie pro Klick an Google zahlt. Der Konzern bietet den Kunden an, die Werbekosten durch ein festes Budget zu begrenzen. Als Beispiel nennt Google ein Tagesbudget von fünf Euro und einen maximalen Betrag von zehn Cent pro Klick.

Bleibt bloß die Frage: Welche Adwords sind erlaubt? Absichtlich oder unabsichtlich können sie mit geschützten Kennzeichen kollidieren. So verwendete eine Anbieterin von Erotikartikeln das Adword "bananabay" - was aber die geschützte Wortmarke einer konkurrierenden Firma ist. Wer also bei Google "bananabay" eingab, sah neben der Trefferliste auch die Anzeige der Firmen, die "bananabay" als Adword angegeben hatten. Der Streit über die Zulässigkeit dieses mit einer fremden Marke identischen Adwords wanderte von Braunschweig nach Karlsruhe und wird nun das EU-Gericht in Luxemburg beschäftigen. Der BGH sah sich aus rechtlichen Gründen außerstande, den Streit selbst zu entscheiden.

Die einschlägigen Bestimmungen des deutschen Rechts beruhten nämlich auf harmonisiertem europäischen Recht, weshalb der BGH die Luxemburger Kollegen zu einer Vorabentscheidung anrief (Az: I ZR 125/07). "Die eigentlich streitige Frage, ob Adword-Werbung eine markenmäßige Benutzung darstellt, ist damit nach wie vor offen", sagte BGH-Richter Joachim Bornkamm bei der Verkündung. Als Beispiel nannte er die Verwendung des Adwords "Coca-Cola" durch einen kleinen Limonaden-Produzenten. Seine Anzeige würde dann neben der Trefferliste der Suchmaschine erscheinen. Juristisch gehe es darum, ob die Marke Coca-Cola dabei als Marke im Sinn des Markengesetzes benutzt werde oder nicht.

In zwei weiteren Verfahren entschied der BGH gleich selbst, jeweils großzügig, über die Zulässigkeit einer Adword-Werbung bei Google. Im einen Fall ging es um das Schlüsselwort "pcb", was für "printed circuit board" steht und auf Deutsch Leiterplatte heißt. Eine Firma hatte sich die Marke "PCB-POOL" schützen lassen, eine Konkurrentin hatte bei Google als Adword "pcb" angegeben. Damit erschien beim Googeln von "PCB-POOL" im Anzeigenblock der Hinweis auf die Konkurrenz. Das Oberlandesgericht Stuttgart hielt die Verwendung dieses Adwords für rechtswidrig. Der BGH erklärte es hingegen für zulässig. Es handle sich nämlich bei "pcb" um eine beschreibende Angabe. Dagegen könne auch der Inhaber einer Marke mit diesen Buchstaben-Teilen nichts unternehmen (Az: I ZR 139/07).

Auch im zweiten Urteil ließ der BGH eine klagende Firma abblitzen. Es ging dabei um den Begriff "Beta Layout GmbH", eine Unternehmensbezeichnung, die ein Wettbewerber als Adword angegeben hatte. Es bestehe im Fall des gleichzeitigen Erscheinens von "Beta Layout" auf der Trefferliste und im gesonderten Anzeigenblock keine Verwechslungsgefahr, hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf vor zwei Jahren entschieden. Der Internetnutzer nehme nämlich nicht an, dass die Anzeige von der Beta Layout GmbH stamme. Diese Bewertung bestätigte der BGH (Az: I 30/07).

Um Internetsurfer auf ihre Webseite zu locken, verknüpfen Unternehmen eigene Anzeigen mit den Namen ihrer Wettbewerber. Foto: AP

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Londons Strippenzieher

Wirtschaftsminister Peter Mandelson gilt als Meister der politischen Intrige. Nun muss er die britische Industrie retten

Von Andreas Oldag

Peter Mandelson hat sich in diesen Tagen Studien über die britische Wirtschaftspolitik in den 40er und 50er Jahren genau angeschaut. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Briten große Teile der Industrie verstaatlicht - und damit keine guten Erfahrungen gemacht. Eine sich krakenartig ausbreitende Staatsbürokratie beherrschte damals die Kohle- und Stahlproduktion und später auch die Autofirmen - und beschleunigte Großbritanniens Abstieg als Industrienation. Eine Wiederauflage dieser Geschichte will der neue Wirtschaftsminister im Kabinett von Premierminister Gordon Brown vermeiden. Doch es ist ein schwieriger Balanceakt angesichts der dramatischen Auswirkungen der Finanzkrise. Die Insel ist stärker als andere europäische Staaten in eine schwere Rezession abgerutscht. Banken hängen am Tropf der Steuerzahler. Schon fordern einflussreiche Labour-Politiker die vollständige Verstaatlichung von Kreditinstituten. Dagegen sperrt sich Mandelson. Bislang noch erfolgreich.

Das Problem ist, dass der Wirtschaftsminister nun aber gleich an mehreren Brandherden löschen muss. Er sei für Brown ein Feuerwehrmann, der 24 Stunden lang im Einsatz sei, meinte die Boulevardzeitung Evening Standard. Autohersteller wie Jaguar und Land Rover stehen vor drastischen Personaleinschnitten. Zwischen London und Edinburgh geht die Angst um die Arbeitsplätze um. "Britische Unternehmen sind der Lebenssaft unserer Wirtschaft. Es ist entscheidend, dass die Regierung jetzt wirkungsvoll hilft", meinte der Minister.

"Prinz der Finsternis"

Mandelson, der erst im Oktober seinen Posten als EU-Handelskommissar in Brüssel aufgab und von seinem alten Widersacher Brown nach London gerufen wurde, weiß, dass es für Großbritannien in dieser dramatischen Lage um den Fortbestand als Industrienation geht: Wie kaum ein anderes EU-Land hat die Insel in den vergangenen Jahren auf den Ausbau der Finanzdienstleistungen gesetzt. Vor allem die Millionen-Metropole London profitierte davon und zog Banker und Broker aus der ganzen Welt an. Entsprechend schrumpfte der Anteil der verarbeitenden Industrie an der Wirtschaftsleistung in den vergangenen zwei Jahrzehnten von 31 auf 13 Prozent. Nun will Mandelson die Industriepolitik reanimieren und Investitionen in umweltfreundliche Energieerzeugung, Elektroautos und Biotechnologe vorantreiben. "Für New Labour ist dies ein kritischer Moment", räumte der frisch gekürte Lord ein, der nun im Oberhaus einen Sitz hat.

Der 55-Jährige hat eine beeindruckende Karriere hinter sich. In der politischen Aufstiegsphase des ehemaligen Premierministers Tony Blair war Mandelson einer der Architekten von "New Labour" - jener grundlegenden Reform also, mit der sich Labour vom verstaubten Gewerkschaftsimage abwandte. Nicht zuletzt war es Mandelson, der sich zu einer liberalen Finanzmarktordnung bekannte und die Partei darauf einschwor, in diesem Punkt das Erbe der Eisernen Lady Margaret Thatcher fortzuführen.

Schon damals avancierte Mandelson aber auch zu einem der umstrittensten britischen Politiker. Der Oxford-Absolvent, Anti-Vietnamkriegs-Demonstrant und zeitweilige Sympathisant einer kommunistischen Jugendorganisation orientierte sich rasch um in Richtung britische Oberklasse. Fortan suchte er seine Freunde vor allem unter einflussreichen Managern, Bankern und Industriellen. Zugleich zog er im Parteiapparat als Kommunikationschef die Strippen. Als Blair nach seinem grandiosen Wahlsieg 1997 als Premierminister in die Downing Street 10 einzog, installierte Mandelson so viele Medienberater wie niemals zuvor am Regierungssitz. Die Presse nannte den Großmeister der politischen Intrige den "Fürsten der Finsternis".

Einladung auf die Yacht

Zumindest intransparent waren Mandelsons private Kontakte zu schwerreichen Geschäftsleuten. Wegen Korruptionsvorwürfen und angeblicher Vetternwirtschaft verlor er zweimal - 1998 und 2001 - seine Ministerämter. 2004 ging der Labour-Politiker dann als Handelskommissar nach Brüssel, wo sich "Mandy", wie er von seinen politischen Freunden genannt wird, der britischen Tradition entsprechend für eine weitere Liberalisierung des Handels einsetzte.

"Ich bin ein Kämpfer, kein Kapitulierer", sagte Mandelson einmal in einem Interview. Diese Fähigkeit stellte er auch kurz nach seiner Berufung zum Wirtschaftsminister Ende vergangenen Jahres unter Beweis. So wurden Vorwürfe in der britischen Presse laut, dass sich Mandelson im vergangenen Sommer - also noch während seiner Amtszeit in Brüssel - mit dem russischen Oligarchen Oleg Deripaska auf dessen Super-Yacht Queen K in Korfu getroffen habe.

Delikat war die Einladung deshalb, weil Deripaska für seinen Aluminium-Konzern Rusal eine Senkung der EU-Einfuhrzölle forderte. Und für dieses Thema war Mandelson zuständig. Die EU-Kommission sah in dem Yacht-Kaffeekränzchen allerdings keinen Interessenkonflikt. Zweifel äußerte die britische Presse vor kurzem auch an der Finanzierung von Mandelsons 2,5 Millionen Pfund teuren Villa nahe des Londoner Regent's Park. Angeblich könne er aus eigener Tasche nicht so viel Geld gehabt haben, heißt es. Der Minister bestreitet die Vorwürfe. Premierminister Brown hält an seinem Krisenmanager fest. Er braucht ihn auch als gewieften "Spin Doctor" für die nächsten Parlamentswahlen, die spätestens 2010 stattfinden.

Der Gegenspieler

In Krisenzeiten sind altgediente Experten gefragter denn je. Das gilt nicht nur für Wirtschaftsminister Peter Mandelson, sondern auch für seinen konservativen Gegenspieler Kenneth Clarke. Der ehemalige Finanzminister der konservativen Regierung von John Major Anfang der 90er Jahre ist nun zum Schattenwirtschaftsminister der Tories gekürt worden. Hinter dem Schachzug steckt der neue Parteichef der Konservativen, David Cameron. Er erhofft sich von dem 68 Jahre alten Clarke frische Rezepte gegen die Rezession und natürlich auch wirtschaftspolitischen Rat für die nächsten Parlamentswahlen. Die derzeitige Wirtschaftskrise sei die schwerste, die er je erlebt habe, erklärte Clarke. Er gilt übrigens als Befürworter der europäischen Gemeinschaftswährung, die bislang von der Mehrheit der Tories strikt abgelehnt wird. old.

Peter Mandelson war einer der Architekten von Tony Blairs "New Deal", später wechselte er als EU-Kommissar nach Brüssel. Seit Oktober ist er der starke Mann im Kabinett von Gordon Brown. Foto: Bloomberg

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Erfinder des Ervolkswagens

Werner Butter prägte den Spruch "Und er rollt und rollt und rollt". Jetzt ist der bekannte Werber im Alter von 76 Jahren gestorben

Wirklich jeder kennt Sprüche von Werner Butter. Und jeder zitiert sie. "Da weiß man, was man hat" ist so ein Satz. Er prägt sich ein, geht leicht über die Lippen. Gute Werbung eben, in diesem Fall für Volkswagen. Werner Butter hat sein Leben lang gute Werbung gemacht. Am 20. Januar starb er im

Alter von 76 Jahren in seinem Haus auf Mallorca .

"Gute Werbung muss verkaufen", hat Butter einmal gesagt, "sonst taugt sie nichts." Wenn Werner Butter textete, dann lief der Verkauf. Bei der Ente von Citroën zum Beispiel, die im Deutschland der achtziger Jahre niemand mehr so recht kaufen wollte. Bis Butter kam und warb: "Ente geleast. Kotelett gekauft." Dazu eine schlichte technische Zeichnung von der Karosserie des Kleinwagens, versehen mit Kommentaren wie: "Platz für ein ganzes Schwein" oder "Saustark, das Motörchen". Da mochten die Deutschen die Ente wieder, und die Citroën-Händler mussten Nachschub ordern. Gute Werbung eben.

Butters Karriere begann Anfang der sechziger Jahre. Damals bewarb er sich als Texter bei der Werbeagentur DDB in seiner Heimatstadt Düsseldorf. Der Grund: "Ich wollte endlich mal mehr Geld als meine Frau verdienen." Da war er 32 Jahre alt und hatte Berufserfahrung als Stahlgroßhändler, Sägenmacher und Journalist beim Berliner Kurier. Den Job bekam er trotzdem.

Die New Yorker Agentur DDB hatte die deutsche Niederlassung gegründet, um den Kunden Volkswagen besser betreuen zu können. So wurde VW ein wichtiger Teil von Butters Leben - und das, obwohl er selbst nicht mal einen Führerschein besaß. Unter ihm wurde der Käfer zum "Ervolkswagen", zum "Statussymbölchen". Auf einem Plakat zeigte Butter Ende der Sechziger einfach nur einen roten Käfer, darunter in schwarzen Lettern: "Da weiß man, was man hat." Den Spruch habe er, das räumte er später einmal ein, von seiner Mutter geklaut.

Der Wolfsburger Autokonzern wusste auf jeden Fall, was er an dem Werbetexter hatte. Als der VW Golf in Produktion ging, übernahm wieder Butter die Kampagne. Sie entstand in seinem Haus auf Mallorca. Er war es, der den neuen "Volkssport" ausrief und der schrieb "Und er rollt und rollt und rollt".

Butter prägte auch eine bekannte Werbefigur vergangener Zeiten: der ewig schwitzende Tchibo-Kaffee-Experte, der immer overdressed im schwarzen Anzug und mit Hut in Afrika, Süd- oder Mittelamerika unterwegs war, ständig auf der Suche nach dem besten Kaffee. Dazu entwarf Butter Sprüche wie "Wer ist der Dicke neben dem Massai?" oder "5 Mark 60 für ein Pfund Goldmokka - das verzeiht er uns nie". So wurde Werner Butter zum Star der Branche und zum Mitglied in der "Hall of Fame der deutschen Werbung". Hannah Wilhelm

"Gute Werbung muss verkaufen, sonst taugt sie nichts." Werner Butter (oben) warb für Volkswagen und Citroën, für Nordrhein-Westfalen und für Tchibo (links). Seine Texte kannte bald jeder, sie beförderten ihn in die Hall of Fame der deutschen Werbung. Fotos: Agentur Butter

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Basistarif? Den gibt's noch nicht

Eigentlich müssen sich alle Bürger seit Jahresbeginn krankenversichern. Doch die Anbieter stellen sich quer

Von Marco Völklein

München - Bei der Krankenversicherung ist seit 1. Januar 2009 einiges neu: Für die gesetzlich Versicherten gibt es nun den Gesundheitsfonds, der das eingenommene Geld unter den gesetzlichen Krankenkassen verteilt. Und bei der privaten Krankenversicherung, abgekürzt PKV, existiert seit Januar der neue Basistarif - eine Art Grundversorgung innerhalb des Systems der PKV. Mehreren Verbraucherzentralen im Bundesgebiet liegen nun Beschwerden von Versicherten vor, die bei der Suche nach einem Basistarif von den Versicherungsgesellschaften offenbar "abgewimmelt" wurden, wie es die Verbraucherschützer ausdrücken.

Das ist besonders ärgerlich, da der Gesetzgeber zusammen mit den vielen Neuerungen auch eine generelle Krankenversicherungspflicht eingeführt hat. Wer sich nicht krankenversichert und dies kommt zum Beispiel bei einer schweren Krankheit oder nach einem Unfall heraus, muss sich spätestens dann versichern - auf die Versicherungsprämie werden aber Strafzuschläge fällig. "Das kann ein paar tausend Euro ausmachen", sagt Andrea Hoffmann, Versicherungsexpertin bei der Verbraucherzentrale Sachsen.

Die Leistungen des PKV-Basistarifs entsprechen denen der gesetzlichen Versicherung. Jede PKV-Gesellschaft muss einen solchen Tarif anbieten. Die Versicherungsprämie darf den Höchstbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherung von derzeit 570 Euro im Monat nicht überschreiten. Vor allem Kleinselbständigen, die bisher weder im gesetzlichen noch im privaten System versichert waren, soll der Basistarif helfen.

Doch die Verbraucherzentrale Sachsen berichtet von einem 55-Jährigen aus Zwickau, der seit 2006 ohne Krankenversicherungsschutz lebt. Er will nun zurück in die Private und fragte bei mehreren Gesellschaften an. "Bis Mitte Januar ist es ihm nicht ansatzweise gelungen, sich zu versichern", sagt Hoffmann. Mit verschiedenen Ausreden hätten die Unternehmen ihn abgewimmelt - unter anderem hieß es, die Tarifinformationen lägen noch nicht vor. Oder ein Rückruf wurde versprochen, erfolgte aber nicht. Ähnliche Erfahrungen machten nach Angaben der Verbraucherzentrale Interessenten aus Torgau, Leipzig und Dresden. Auch bei den Verbraucherzentralen Hamburg, Thüringen und Rheinland-Pfalz liegen erste Beschwerden vor.

Verbraucherschützerin Hoffmann macht das geringe Interesse der PKV-Unternehmen am Basistarif dafür verantwortlich. Laut Gesetz müssen die PKV-Unternehmen Menschen, die bisher nicht versichert waren, ohne Rücksicht auf Vorerkrankungen aufnehmen und dürfen diesbezüglich auch keine Risikozuschläge erheben. Das hebelt das bisherige System der privaten Krankenversicherung im Grundsatz aus und verursacht bei den Gesellschaften nach Darstellung des PKV-Verbandes hohe Kosten. 30 Unternehmen der Branche haben deshalb bereits Verfassungsbeschwerde gegen die neuen Regeln eingelegt.

"Wer abgewimmelt wird, sollte hartnäckig bleiben", rät Verbraucherschützerin Hoffmann - immerhin bestehe eine gesetzliche Versicherungspflicht. "Im Zweifelsfall muss man die Anfrage an den Versicherer schriftlich einreichen, als Einschreiben mit Rückschein", ergänzt Charlotte Henkel von der Verbraucherzentrale Hamburg. Wer dennoch nicht weiterkommt, sollte die Versicherungsaufsicht bei der Bafin , der Bundesanstalt für Finanzdienstleitungsaufsicht, einschalten. Infos: 01805/122 346.

Spätestens im Krankenhaus kommt es heraus, wenn jemand nicht krankenversichert ist. Gerade Kleinselbständige sind bislang oft nicht versichert. Ein Basistarif soll das jetzt ändern. Foto: ddp

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

"Manche Manager sprechen wie Faschisten"

Der Schweizer Autor Urs Widmer über die Sprache der Wirtschaftselite, wie er Banker zum Weinen bringt und warum der Crash von 1929 sein Leben bis heute prägt

Wer zu Urs Widmer, 70, vordringen will, muss länger suchen. Sein Häuschen liegt versteckt zwischen prachtvollen Gründerzeithäusern in der Zürcher Innenstadt. Vor der Eingangstür wuchern schneebedeckte Büsche, die Besucher zum Bücken zwingen. Hier schreibt Widmer seine Bücher auf einer hässlichen elektrischen Schreibmaschine. Heute schreibt er nicht. Heute spricht er über das Geld, die Arbeit, die Angst, das Glück.

SZ: UrsWidmer, reden wir über Geld.

Urs Widmer: Ja, das Geld. Habe ich welches, kümmert es mich nicht sonderlich. Habe ich aber keins, rotiere ich wild herum. Als Kind wusste ich nie, waren wir reich oder arm. Wir lebten mit Bauhaus-Möbeln, aber meine Mutter redete sich und uns ein, wir seien am Verlumpen. Der Crash von 1929 ist in unserer Familiengeschichte präsent geblieben.

SZ: Wie das?

Widmer: Der Crash hat meinen Großvater getroffen. Er war gerade ein reicher Mann geworden - Villa am Rheinufer -, und schon war er wieder arm.

SZ: Was machte Ihr Großvater?

Widmer: Er wuchs mausarm auf, in Norditalien, studierte Chemie und fing bei einer kleinen Klitsche an. Nach dem Ersten Weltkrieg war die Klitsche eine große Firma geworden, und mein Großvater einer ihrer Vizedirektoren. Er hatte eines der ersten Autos in Basel, einen Fiat, den er selber in Turin abholte.

SZ: Woran ist er gestorben?

Widmer: Er hat sich umgebracht.

SZ: Wegen des Crashs?

Widmer: Weiß ich nicht. Bald danach jedenfalls.

SZ: Und Ihre Mutter lebte stets mit der Angst vor dem plötzlichen Verarmen?

Widmer: (zögert) Ja, tat sie wohl. Völlig unbegründet: Mein Vater war Gymnasiallehrer und hatte einen redlichen Beamtenlohn. Ich habe die florierende Geld-Neurose meiner Eltern - Türenschlagen und Tränen - nicht geerbt. Das erstaunt mich selbst am allermeisten. Ich habe kein Chaos in meinen Geldgeschäften. Ich mache aber auch keine.

SZ: Noch nie?

Widmer: Ich habe zweimal in meinem Leben Aktien besessen. Zuerst die Aktien meiner Mutter, die ich punktgenau an jenem Tag im Oktober 1987 verkaufte, da die Kurse so tief abstürzten wie erst heute wieder. Das zweite Mal war's ein Erbe meines Cousins. Die verkaufte ich beim Höchststand 2006. Beide Male Zufälle. Aber ein Fall von ausgleichender Gerechtigkeit.

SZ: Gab es Zeiten, als Sie wenig Geld hatten?

Widmer: O ja. In den ersten Jahren nach 1969. Da hatte ich nämlich meinen Brotberuf aufgegeben und beschlossen, vom Dichten zu leben. Meine Frau verdiente auch noch kein Geld. Komischerweise erinnere ich mich nicht, dass wir irgendeine Not hatten.

SZ: Nicht einmal Geldnot?

Widmer: Wir flogen auf den Flügeln des Optimismus.

SZ: War es die beste Zeit?

Widmer: Eigentlich ja. (Überlegt.) Ja. Ich war grad 30, voll im Schwung, hatte eine entzückende Frau, war weg aus meiner Heimatstadt, war Schriftsteller geworden - ja, das war wohl so was wie die blühendste Zeit.

SZ: Wie entdeckten Sie das Thema Geld für Ihre Theaterstücke?

Widmer: Geld hat mit Macht zu tun, und Macht ist ein Kernthema des Theaters. Als wir 1996 "Top Dogs" machten, habe ich mich ins Thema verbissen.

SZ: Warum?

Widmer: Wir wollten ein Stück über Ökonomie machen, denn so was gab's noch gar nicht. Damals war die Arbeitslosigkeit der höheren Etagen ein neues Phänomen. Rein theatralisch gesehen ist es viel spannender zu sehen, wie der König stürzt, als wenn der Stallknecht zum 1. 1. gehängt wird.

SZ: Und wie haben Sie sich in die Bankenwelt eingearbeitet?

Widmer: Ich habe mich kundig gemacht. Mit entlassenen Managern gesprochen, mit vielen.

SZ: Die haben offen mit Ihnen gesprochen?

Widmer: Ja. Die haben mir die verrücktesten Geschichten erzählt. Da hatte sich einer, just vor seiner Entlassung, einen Porsche gekauft. Der stand nun in der Garage, mit 56 Kilometern auf dem Tacho. Der Mann setzte sich jeden Tag hinein, startete den Motor und trat aufs Gas. Brrrummmmm. Er ist nie aus der Garage hinausgefahren.

SZ: Warum gibt es kaum Theaterstücke über Wirtschaft?

Widmer: Weil das Theater von Individuen handelt, von einzelnen Menschen mit ihrer Psychologie. In der Ökonomie aber sind die Protagonisten austauschbar. Einer ist wie der andere. CEOs machen alle die gleichen Scherze und haben die gleichen Hobbys. Auch die rituelle Verkleidung ist bei allen gleich, nur Kardinäle sind noch komischer angezogen. Machen Sie mal mit braunen Schuhen eine Bankkarriere (lacht).

SZ: Die Credit Suisse hat ihr eigenes Theaterstück "Bankgeheimnisse" unterstützt. Sie leben vom Geld derer, die Sie kritisieren.

Widmer: Ich habe mein ganzes Leben nie um eine einzige Subvention angesucht. Aber das Theater hat damals von der Credit Suisse Geld bekommen. War dann auch ein schlechtes Stück.

SZ: Das auch noch.

Widmer: Ja. Ganz mein Fehler.

SZ: Saßen Banker von Credit Suisse im Publikum?

Widmer: Vielleicht. Bei "Top Dogs" jedenfalls haben mehrere Unternehmen ganze Vorstellungen gekauft und ihre Mitarbeiter reingeschickt. Vielleicht wollten sie denen ihre Zukunft zeigen (lacht). Es gab Manager, die sind tränenüberströmt aus dem Stück rausgelaufen.

SZ: Sie haben Manager zum Weinen gebracht.

Widmer: Erkenntnis wäre noch schöner gewesen. Allerdings will ich nicht einer sein, der mit erhobenem Zeigefinger dasitzt und andere belehrt.

SZ: In Ihren Stücken gibt es keine Lösungsvorschläge. Sie machen es sich einfach.

Widmer: Ein Stück bietet nie eine fixfertige Lösung an.

SZ: Warum?

Widmer: Weil es Fragen stellt. Und weil es ein Spiel ist. Weil es die Ambivalenzen sichtbar macht, die in jedem Menschen leben.

SZ: Was machen Sie persönlich mit Ihrem Geld?

Widmer: Ich habe es just eben von der UBS zur Zürcher Kantonalbank transferiert. Vom Teufel zum Beelzebub, kann sein (lacht). Im Übrigen fürchte ich mich weniger vor einem Crash der Bank als davor, dass uns die Inflation unser liebes Geld wegfrisst.

SZ: Also doch Ängste wie Ihre Mutter?

Widmer: Nein. Wenn ich Ängste hatte und habe, sind die von einem andern Kaliber. Ängste mit Großbuchstaben, sozusagen. Sie haben mich zum Schriftsteller gemacht. Meine Literatur war zu einem bedeutsamen Teil Angstbewältigung. Und ich habe mir mit einer Psychoanalyse geholfen. Heute haben mich die Ängste mehr oder minder verlassen.

SZ: Sie als Moralist müssen es wissen: Gibt es Hoffnung, dass alles besser wird?

Widmer: "Alles" ist wohl ein bisschen viel verlangt. Was die Ökonomie betrifft: Wenn wir es den Wahnsinnigen, die das derzeitige Desaster herbeigeführt haben, überlassen, ihr eigenes Wahnsystem zu stabilisieren, führt das in die nächste Katastrophe. Das Geld, das an der Börse gehandelt wird, muss wieder, wie einst, direkt auf real produzierte Waren bezogen sein. Alles andere, der Zocker- und Kasinoteil, muss ersatzlos gestrichen werden. Das können nur Leute von außen tun. Natürlich ist jetzt die Politik gefordert, und sie muss mehr tun, als einfach unser Steuergeld zu den Banken hinüberzuschieben. Mir gehört ja inzwischen die halbe UBS!

SZ: Und uns die Commerzbank.

Widmer: Asylantenwohnungen sollten wir daraus machen (lacht).

SZ: Als die Investmentbank Lehman Brothers pleite ging, sprachen Banker von einem Blutbad und Massaker. Was bedeuten diese drastischen Worte?

Widmer: Die Sprache der Ökonomie mag ein militärisches Vokabular. Sie ist auf Eindeutigkeit aus und verleugnet alle Widersprüchlichkeit. Sie errichtet eine Art Potemkinsches Sprach-Dorf aus lauter Euphemismen. Und sie will eine Sprache der Sieger sein. Wer sie spricht, gibt zu erkennen, dass auch er zu diesen Siegern gehören will.

SZ: Woher kommt diese Sprache?

Widmer: So richtig in Schwung kam sie in der Zeit Reagans und Frau Thatchers. Es ist eine Sprache, die die Gefühle, die sich auch im Business nicht ganz ausschalten lassen, wenigstens in den Griff kriegen will. Wer den neoliberalen Jargon spricht, will den Schwächeren ausschalten.

SZ: Wie bei Darwin?

Widmer: So was. Nur dass Menschen keine Schildkröten oder Salate sind. Manche Manager sprechen wie Faschisten. Das müssten sie spüren. Es müsste sie tief erschrecken.

SZ: Ist denn die Sprache der Banker immer brutaler geworden?

Widmer: Wer triumphal von Sieg zu Sieg eilt, lässt seiner Sprache freieren Lauf. "Lead, follow or get out of the way": Das haben wir vor noch nicht allzu langer Zeit aus dem Mund eines der großen Banker gehört.

SZ: Jetzt ist das Modell der Investmentbank gescheitert - mit ihm auch die Sprache der Banker?

Widmer: Die Sprache - diese Nebelwand, hinter der das reale Desaster verschwinden soll - wird jetzt noch mehr benötigt.

SZ: In Ihrem Theaterstück "Top Dogs" kritisierten Sie bereits 1996 die verharmlosende Sprache der Manager . . .

Widmer: Ich habe mich damals auch in die einschlägigen Bars rund um den Paradeplatz gesetzt und den Herren und Damen zugehört. Wenn sie den Feierabend genossen. Oder sich in Herzensangelegenheiten austauschten. Das Befremdliche war, dass sie auch dann keine andere Sprache hatten, auf die sie zurückgreifen konnten. Emotional war das alles doch sehr eng. Wenn du eine reiche Dame heiratest, die dich vergöttert, ist das eine Win-win-Situation.

SZ: Gibt es jetzt die Chance, dies zu ändern?

Widmer: Schön wär's. Nochmals: Die bisherigen Teilnehmer am Spiel werden allein schon deshalb die Spielregeln nicht radikal ändern wollen und können, weil sie andere Regeln gar nicht kennen. Die Lotterie- oder Kasino-Börse muss verschwinden. Natürlich wird sie dadurch massiv kleiner.

SZ: Dann müssen Betriebe zusperren, weil sie keinen Kredit mehr bekommen.

Widmer: Die Schraubenfabrik da vorn an der Ecke, die braucht einen Kredit, und die soll ihn kriegen. Normal investiertes Geld mit einer normalen Rendite. Heute! Die Börsensendungen im Fernsehen sind wie Berichte aus einem Tollhaus. Mit ernster Miene werden die neuesten Lottozahlen verlesen und analysiert - als hätten sie irgendetwas mit unserem normalen Leben zu tun, gar mit unseren Interessen.

SZ: Jetzt wird das Kasino zur Wirklichkeit. Die Konjunktur leidet, das Wachstum bricht ein, die Menschen verlieren ihre Arbeit.

Widmer: Ja. Die virtuelle Welt ist nicht völlig abgekoppelt von der realen. Es leiden die, die mit der Wall-Street-Welt gar nichts zu tun haben. Wetten, dass genau jetzt irgendwo einer von den Haifischen irgendwelche Schrottpapiere kauft, mit denen er in einem Jahr ein Riesengeld zu machen hofft?

Interview: Alexander Mühlauer

und Hannah Wilhelm

Biographie

Urs Widmer wird 1938 in Basel geboren. Er studiert Germanistik, Romanistik und Geschichte. Nach seiner Promotion ist er als Lektor tätig, beim Frankfurter Suhrkamp Verlag bleibt er 17 Jahre. Seitdem arbeitet der Schweizer als Autor. Neben Büchern schreibt er auch Theaterstücke. Sein bekanntestes heißt "Top Dogs", eine Sozialsatire über Top-Manager. Aus entlassenen Führungskräften, den sogenannten Top Dogs, werden darin Underdogs. In einem Outplacement-Center erleben sie selbst, was sie ihren Mitarbeitern angetan haben: wie entwürdigend es ist, plötzlich ohne Job zu leben. Widmer ist einer der wenigen deutschsprachigen Autoren, der gerne ökonomische Themen aufgreift. am

"Ich habe die florierende

Geld-Neurose meiner Eltern

- Türenschlagen und Tränen -

nicht geerbt."

"Börsensendungen sind wie Berichte aus einem Tollhaus. Mit ernster Miene werden

die Lottozahlen verlesen."

Spiegelbild eines Schriftstellers: Urs Widmer, auf der Frankfurter Buchmesse an einer Glasscheibe lehnend. Foto: ddp

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Kommentare

Helfer in Not

Das Krisenmanagement des Soffin ist besser als sein Ruf

Von Martin Hesse

Ausgerechnet jetzt. Die Bankenkrise erreicht einen neuen Höhepunkt, weitere Milliardenverluste werden offenbar, in vielen Ländern werden Kreditinstitute verstaatlicht, ständig andere Lösungsansätze diskutiert. Und ausgerechnet in diesem Moment tritt in Deutschland der Chef des Bankenrettungsfonds, Günther Merl, zurück. Das ist ein schlechtes Signal. Man könnte daraus schließen, das deutsche Krisenmanagement habe versagt und ohne den obersten Bankenretter rücke eine Lösung der Probleme in noch weitere Ferne. Doch so bedauerlich Merls Rücktritt auch ist, man sollte ihn nicht überinterpretieren. Es ist der Hilferuf eines Helfers, kein Beleg für ein Scheitern der Rettungsbemühungen.

Der von Merl geleitete Stabilisierungsfonds Soffin hat immerhin sein Minimalziel erreicht, einen Kollaps des deutschen Bankensystems zu verhindern. Doch natürlich ist das zu wenig. Der Fonds sollte außerdem den Geldfluss unter den Banken wieder in Gang bringen, ihre Kapitalbasis stärken und die Vertrauenskrise im Finanzsystem überwinden helfen. All das ist bislang allenfalls im Ansatz gelungen. Doch konnte der Soffin diese Ziele binnen drei Monaten überhaupt erreichen? Nein, zumal sich die Situation der Banken in der Zeit permanent weiter verschlechtert hat. Es liegt aber nicht an Merl oder daran, dass er nicht genug Kompetenzen hatte.

Merls Rücktritt ist Ausdruck einer Reihe von Missverständnissen. Es fängt damit an, dass der frühere Landesbankenchef eben nicht oberster Bankenretter war. In einer staatlichen Institution, die mit Steuergeldern Banken retten soll, müssen Volksvertreter, also Politiker, die Entscheidungen treffen. Und so sieht es das Finanzmarktstabilisierungsgesetz auch vor: Der von Merl geführte Leitungsausschuss schlägt vor, der von Politikern besetzte Lenkungsausschuss entscheidet. In zwei Gremien zu arbeiten, ist dennoch sinnvoll, weil nur der mit Bankexperten besetzte Lenkungsausschuss die Kompetenz hat, die für jede einzelne Bank angemessenen Hilfsinstrumente auszuarbeiten. Die Entscheider im Lenkungsausschuss sollten nicht in jede Stufe dieses Prozesses involviert sein. Hier offenbart sich ein Grundproblem in dieser Krise: Die Politik braucht die Expertise der Banken, um ihnen aus der Patsche zu helfen. Zugleich muss sie genauestens prüfen, ob die Banker ihnen nicht Rezepte einflüstern, die den Steuerzahler über Gebühr belasten und Kreditinstitute aus der Verantwortung entlassen. Merl hat seinen eigenen Einfluss womöglich überschätzt. Der Politik kann man vorwerfen, dass sie ihm zu wenig Rückendeckung gegeben hat gegen die Begehrlichkeiten aus dem Bankenlager.

Merls Rücktritt steht aber auch für den Frust aller Rettungshelfer, die hofften, durch das entschlossene Handeln im Herbst könnte die Krise rasch überwunden werden. Die Sehnsucht nach einer schnellen Komplettlösung ist groß. Es gibt sie aber nicht. Eine Verstaatlichung aller Großbanken würde nicht helfen, weil der Staat Banken nicht besser führt als private Manager. Die meisten Banken, die beim Soffin vorstellig wurden, sind ja bereits staatlich. Auch eine große Bad Bank, in der alle Geldhäuser ihre faulen Kredite abladen können, ist kein Ausweg. Schon Soffin leidet darunter, dass es kaum genug qualifiziertes und integres Personal gibt, um die Behörde erfolgreich zu leiten. Woher sollen all die Experten kommen, die hunderte Milliarden Euro an faulen Krediten bewerten, für die es keinen Markt gibt?

Die Krise wird mit vielen, kleineren Maßnahmen bewältigt werden müssen. Von einzelnen Verstaatlichungen über Garantien bis hin zu staatlich unterstützten Bad-Bank-Lösungen auf der Ebene einzelner Institute. Der Staat darf den Banken ihre Risiken und Verluste nicht abnehmen, er sollte ihnen nur helfen, die Probleme einige Jahre auszuhalten. Diesen Weg beschreiten Soffin und Bund bereits. Weil die Krise immer neue Probleme aufwirft, müssen die Instrumente zu ihrer Bewältigung ständig überprüft und gelegentlich modifiziert werden. Auch in allen anderen Ländern wechseln sich Versuch und Irrtum ab. Das ist nicht schön, aber es ist das Gebot der Krise.

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Vertrauen verspielt

In existenzieller Not schockiert das Qimonda-Management seine Helfer

Von Markus Balser

Eigentlich wollte Sachsens Wirtschaftsminister Thomas Jurk am Donnerstag im Landtag über den letzten Stand zur Rettung des Speicherchipherstellers Qimonda in einer Fragestunde berichten. Doch am Morgen holte Jurk das Thema kurzerhand von der Tagesordnung. Welche Antworten sollte er schon geben auf die Existenzkrise des bedrohten deutschen Chipherstellers, die selbst für Insider mehr und mehr zum undurchschaubaren Rätsel und für die Politik zum Fass ohne Boden wird?

Mit der abrupten Offenbarung, dass der Konzern zum Überleben statt 300 Millionen Euro nun stattliche 600 Millionen Euro braucht, verprellte das Management über Nacht das Vertrauen derer, die seine Existenz retten sollten. Die Begründung für die Millionenforderung ist dreist. Der angeführte Preisverfall ist seit Wochen im Gange. Seine Folgen dürften den Führungskräften in München schon lange vor den Gesprächen im Bundeskanzleramt über das geplante Hilfspaket bekannt gewesen sein.

Wie schlecht es wirklich um den Konzern bestellt ist, daraus macht Qimonda seit Wochen ein Geheimnis. Seit Anfang Dezember verzögert der an der New Yorker Börse notierte Konzern die längst fällige Veröffentlichung seiner jüngsten Quartalszahlen. Aktionäre und Mitarbeiter klagen zu Recht über mangelnde Transparenz. Halbwegs im Bilde über die Finanznot des Unternehmens sind wohl nur eine Handvoll Wirtschaftsprüfer und der Vorstand. Die Fronten im Existenzkampf des einstigen ostdeutschen Vorzeigekonzerns verschärft Qimondas Geheimniskrämerei zu denkbar ungünstiger Zeit. In Berlin und Dresden wächst die Angst, dass der Leidensweg von Qimonda im Abgrund endet.

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Rettungspaket droht zu scheitern

Qimonda braucht noch mehr Geld

Infineon-Tochter fehlen im Überlebenskampf weitere 300 Millionen Euro. Politiker überrumpelt

Von Markus Balser und Christiane Kohl

München/Dresden - Die Infineon-Tochter Qimonda kämpft mit größerer Finanznot als bislang bekannt. Wegen eines neuen Millionenlochs habe der Chipkonzern seinen Kapitalbedarf in den Rettungsgesprächen überraschend verdoppelt, verlautete aus Regierungskreisen. Das in wochenlangen Verhandlungen geschnürte Hilfspaket droht deshalb zu scheitern.

Bereits am Montagabend hatten sich Mitglieder der Konzernspitze beider Unternehmen nach Informationen der Süddeutschen Zeitung in Berlin mit Vertretern der Bundesregierung und des Freistaats Sachsen zu weiteren Gesprächen im Kanzleramt getroffen. Ziel sei es gewesen, letzte Details des geplanten 325-Millionen-Pakets festzulegen. Völlig überraschend habe der anwesende Qimonda-Manager dabei eine neue Deckungslücke in gleicher Höhe offenbart und damit den Finanzbedarf verdoppelt. Nach Berichten von Teilnehmern waren nicht nur die Vertreter aus Politik und Verwaltung überrascht, auch der anwesende Infineon-Repräsentant habe "etwas geschluckt".

Dem Chipkonzern mit Milliardenumsatz und weltweit 13 000 Beschäftigten steht damit das Wasser bis zum Hals. Denn dass die öffentlichen Kassen auch diese Deckungslücke füllen können, gilt als weitgehend ausgeschlossen. Sowohl der Freistaat als auch die Verhandlungspartner in Berlin lehnen offenbar weitere Hilfen ab. Dies sei auch in einer neuerlichen Runde im Kanzleramt klargeworden, die am Mittwoch tagte. Dort war man sich offenbar einig, dass "das neue Loch nicht zu stopfen ist". Die Hoffnungen auf eine Rettung des angeschlagenen Speicherchipherstellers verringerten sich stündlich, berichten Insider. In Sachsen machten Regierungsvertreter klar, dass der Freistaat nicht über das bereits bekannte Hilfspaket hinausgehen werde. Auch die Konzernmutter Infineon, die 77 Prozent der Anteile an Qimonda hält, will ihren Beitrag nicht aufstocken.

Derweil drängt die Zeit. Die drohende Insolvenz des Konzerns sei eher eine Frage von Tagen als von Wochen, hieß es im Management. Als Grund für das neue Millionenloch nannte Qimonda den Angaben zufolge den Preisverfall auf dem Markt für Speicherchips. Er sei selbst unter jenen Betrag gesunken, den man bei der Zusammenstellung des seit Dezember verhandelten Rettungskonzepts für das Hightech-Unternehmen als "Worst-case"-Szenario angenommen hatte. Allein im Dezember waren Preise für Chips, wie sie in Computern, Handys oder Digitalkameras Einsatz finden, um mehr als 60 Prozent eingebrochen.

Die Führung von Qimonda versuche nun, in hektischen Gesprächen frisches Geld aufzutreiben. So wurden am Donnerstag offenbar Verhandlungen mit der portugiesischen Regierung sowie mit Bankenvertretern geführt, um die Möglichkeit weiterer Bürgschaften auszuloten. Der Konzern wollte am Donnerstag weder den Finanzbedarf noch Angaben über neue Rettungsgespräche kommentieren. Anfang Dezember hatte der Konzern vor der möglichen Insolvenz bis Ende März gewarnt, sollte eine Finanzspritze scheitern.

Erst kurz vor Weihnachten hatten Sachsen, Portugal und der Mutterkonzern Infineon ein Rettungspaket über 325 Millionen Euro zugesagt. Sachsen will sich mit 150 Millionen Euro über einen Betriebsmittelkredit beteiligen, Infineon mit 75 Millionen Euro und Portugal als einer der Qimonda-Standorte mit 100 Millionen Euro. Als Voraussetzung für die Zahlung des Betriebsmittelkredits hatte die Landesregierung in Dresden, wo der Speicherchiphersteller rund 3000 Mitarbeiter beschäftigt, die exakte Einhaltung eines in den vergangenen Wochen erstellten Businessplans verlangt. Zudem pocht Sachsen auf eine Bestandsgarantie des Unternehmens von bis zu zwei Jahren. Dies lehne Infineon bislang ab, hieß es weiter.

Am Donnerstag schaltete sich auch die bayerische Landesregierung in die Verhandlungen ein. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sei über die schwierige Situation von Qimonda informiert, erklärte ein Sprecher der Staatskanzlei in München. Er habe Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) gebeten, alle Möglichkeiten auszuloten, Qimonda zu helfen. Das Management von Qimonda hat derweil bereits eine Anwaltskanzlei beauftragt, die ständig die Zahlen des Unternehmens im Blick haben soll. So will der Vorstand offenbar sicherstellen, dass er sich nicht der Insolvenzverschleppung schuldig macht. (Kommentare)

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

"Landesbanken bedrohen System"

IWF fordert Deutschland dazu auf, den Finanzsektor umzubauen

Von Nikolaus Piper

New York - Als Konsequenz aus der Finanzkrise hat der Internationale Währungsfonds (IWF) Deutschland zur umfassenden Reform seines Finanzsektors aufgefordert. Insbesondere sollen die Landesbanken restrukturiert, die Einlagensicherung für Bankkunden verbessert und die Bankenaufsicht vereinheitlicht werden. In ihrem Deutschlandbericht sagen die Experten des IWF einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 2,5 Prozent voraus, 2010 sei allenfalls mit einer "langsamen Erholung" zu rechnen. Offensichtlich hat sich die Einschätzung des IWF über die deutsche Konjunktur innerhalb weniger Wochen dramatisch verschlechtert. In der Langfassung des Berichts vom 9. Dezember 2008 ist noch von einem Wachstumseinbruch von lediglich 0,8 Prozent die Rede. Nach den Statuten des IWF beurteilen Experten-Teams des Fonds in regelmäßigen Abständen die Wirtschafts- und Finanzpolitik jedes Mitgliedslands.

Die Finanzkrise habe die "Verwundbarkeit des deutschen Finanzsystems deutlich gemacht", schreiben die Experten. Diese könne durch die Rezession noch erhöht werden. Sie begrüßen die bisherige Krisenpolitik der Bundesrepublik, fordern aber noch weitere Schritte, um die Gesundung des Finanzsektors voranzutreiben. So sollten die Behörden "proaktiv" die Landesbanken gesundschrumpfen; diese bedrohten die Stabilität des gesamten Systems. Die Experten legen nahe, die Landesbanken in "gute und "schlechte" aufzuteilen und die guten so umzubauen, dass sie privates Kapital aufnehmen können. Das Management des Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung solle direkt mit den Landesregierungen zusammenarbeiten, um die bisherige Reformblockade zu durchbrechen, heißt es in dem Bericht.

Darüber hinaus schlägt der IWF vor, die bisher getrennten Einlagensicherungsfonds von privaten Banken, Genossenschaften und Sparkassen zu vereinheitlichen und besser mit Kapital auszustatten. Der Schutz, den diese Fonds bieten, sei im internationalen Vergleich niedrig.

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Junghans-Uhren in neuen Händen

Unternehmer Hans-Jochem Steim und Sohn kaufen Traditionsfirma

Frankfurt - Insolvenzverwalter Georg Bernsau hat neue Eigentümer für den traditionsreichen, zuletzt aber zahlungsunfähigen Uhrenhersteller Junghans in Schramberg gefunden. Anfang Februar übernehmen der Schramberger Unternehmer Hans-Jochem Steim und sein Sohn Hannes Steim als private Investoren das Unternehmen. Junghans war bislang Tochter der angeschlagenen Egana-Gruppe in Hongkong.

Der 30 Jahre alte Hannes Steim ist Chef der Carl Haas GmbH, die seit 2007 zum Firmenverbund Kern-Liebers gehört, deren geschäftsführender Gesellschafter sein Vater ist. Kern-Liebers ist ein Zulieferer für die Auto-, Textil- und Konsumgüterindustrie. Mit 5400 Beschäftigten, darunter 1300 am Stammsitz in Schramberg, erzielt diese Gruppe einen Umsatz von 469 Millionen Euro.

Vater und Sohn Steim betonen, ihre Beteiligungen von zwei Dritteln bzw. ein Drittel an Junghans seien privater Natur. Sie übernehmen den Uhrenhersteller schuldenfrei. Über den Kaufpreis machen weder sie noch der Insolvenzverwalter Angaben. Von den zuletzt 115 Junghans-Beschäftigten bleiben 85 übrig. Die restlichen 30 Leute müssen in eine Transfergesellschaft wechseln. Den Steims ist klar, dass sie bei Junghans Mittel zuschießen müssen, damit die Firma eine Zukunft hat. Geld muss offenbar unter anderem in Werbung und die Entwicklung neuer Produkte fließen. Wie viel Mittel sie bereitstellen werden, will Hannes Steim nicht sagen.

Laut Bernsau interessierten sich insgesamt 20 Investoren für die Firma Junghans, deren Umsatz zuletzt bei unter 50 Millionen Euro lag. Ein Sprecher der IG Metall begrüßte das Engagement der Steims "aus regionaler Verbundenheit". Dies sei "nicht die schlechteste Lösung", hieß es. Der Stellenabbau gefalle ihm aber nicht.haz.

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Teurer Gasstreit

Eon Ruhrgas prüft Regressforderungen gegenüber Russland

Von Hans-Willy Bein

Essen - Der größte deutsche Gasimporteur Eon Ruhrgas prüft nach dem tagelangen Lieferausfall von russischem Gas Schadenersatzforderungen gegen den Gazprom-Konzern. "Wir werden mit Sicherheit mit Gazprom reden, wenn wir ermittelt haben, wie groß unser Schaden ist", kündigte Eon-Ruhrgas-Chef Bernhard Reutersberg in Essen an. Es gebe in den Verträgen klare Regelungen für den Fall eines Lieferstopps. Unter anderem seien Vertragsstrafen festgelegt. Reutersberg warf den Russen vor, Gas gegenüber der Ukraine als Druckmittel eingesetzt zu haben, um wirtschaftliche Forderungen durchzusetzen. Gleichzeitig warnte der Gasmanager mit Hinweis auf die Abhängigkeit Europas vom russischen Gas vor einer Überreaktion.

Der Schaden für Gazprom werde in der Branche auf 1,5 bis 1,8 Milliarden Euro geschätzt, sagte er. Den eigenen Schaden hat Ruhrgas noch nicht ermittelt. Anfang der Woche hatten sich Russland und die Ukraine auf neue Liefer- und Transitbedingungen geeinigt. Gazprom hatte daraufhin die Gaslieferungen wieder aufgenommen. Seit Mittwoch fließe das Gas uneingeschränkt und stünde an den Grenzübergangsstellen in vollem Umfang zur Verfügung, bestätigte Reutersberg. Obwohl Eon Ruhrgas vorübergehend auf 60 Prozent der üblichen Liefermengen aus Russland verzichten musste, seien alle Kunden versorgt worden. Zusätzlich seien verschiedene osteuropäische Länder mit Stützungslieferungen von bis zu 13 Millionen Kubikmetern am Tag unterstützt worden.

"Wir haben die bisher schwerste Krise der Gaswirtschaft gemeistert", bilanzierte Reutersberg. Die deutschen Gaskunden müssten durch den Konflikt keine höheren Preise befürchten. Nach der Preissenkung zum 1. Januar werde Gas für Ruhrgas-Kunden zum 1. April vielmehr noch einmal billiger. Ruhrgas beliefert aber nur Stadtwerke und Weiterverteiler und keine Haushalte. Wie schnell die Stadtwerke die Senkungen weitergeben, unterliegt deren eigener Kalkulation.

Ruhrgas warnte davor, nach der Beilegung des Konflikts sofort wieder zur Tagesordnung überzugehen. Der Zehnjahresvertrag zwischen Russland und der Ukraine gelte nur solange, wie das Land die Lieferungen auch bezahle. Die Ukraine leide aber unter erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. "Wir müssen die Lage im Auge behalten", mahnte Reutersberg. Um die europäische Versorgung sicherzustellen, seien Investitionen in die Infrastruktur nötig. Die EU müsse Mindeststandards für die Versorgungssicherheit der Mitgliedsstaaten entwickeln. Ruhrgas-Vorstand Jochen Weise warf den südosteuropäischen Staaten vor, sich vom billigen russischen Gas abhängig gemacht und jahrzehntelang nichts für die Versorgungssicherheit getan zu haben. Sie hätten etwa versäumt, ein Speichersystem aufzubauen.

Milliarden für Speicher

Ruhrgas selbst will bis zum Jahr 2011 gut vier Milliarden Euro in den Ausbau der Leitungs- und Speicherinfrastruktur stecken sowie Projekte vorantreiben, die die eigene Gasförderung erhöhen. Auch soll das Geschäft mit verflüssigtem Erdgas (LNG) ausgebaut werden. Die Speicherkapazität will der Konzern von heute 5,5 Milliarden Kubikmeter bis 2012 auf acht Milliarden Kubikmeter steigern. Mit 1,5 bis 1,6 Milliarden Euro dürfte die Beteiligung am Bau der geplanten Pipeline durch die Ostsee zu Buche schlagen. Reutersberg plädierte erneut für einen zügigen Baubeginn. "Nur zwei Korridore für russische Erdgaslieferungen nach Europa wie bisher sind entschieden zu wenig", sagte er. Wie Ruhrgas kündigte auch der Konkurrent Wingas hohe Investitionen in die Erdgasinfrastruktur an. Bis zum Jahr 2015 wollen die Wingas-Gesellschaften etwa drei Milliarden Euro in neue Leitungen und zusätzliche Speicher stecken.

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Ende einer Party

Die Luxuskonzerne hofften lange, die Finanzkrise würde an ihnen vorbeiziehen. Sie haben sich schwer getäuscht

Von Thomas Fromm und Ulrike Sauer

München/Rom - Es ist noch gar nicht so lange her, da tanzten sie noch ausgelassen. Bei der Luxusmesse für Superreiche "Millionaire Fair" im vergangenen Herbst in München war Partystimmung pur angesagt. Maseratis und Lamborghinis fuhren vor, Champagnerkorken knallten, und die Hersteller von Luxusuhren suchten und fanden ihre wohlbetuchte Kundschaft. Weltweite Finanzkrise? Nur etwas für Arme, hieß es damals.

Luxus und Reichtum gehen immer, Krise hin oder her - das war ein vornehmer Traum. Er hatte ja auch jahrelang funktioniert. Anfang der Woche aber war er dann endgültig ausgeträumt. Ausgerechnet der erfolgsverwöhnte Schweizer Luxusgüterkonzern Richemont war es, der mit seinem Umsatzeinbruch die Branche aus ihren Träumen zurück in die Realität holte. Dabei waren die schlechten Quartalszahlen des Herstellers von Cartier-Schmuck, Jaeger-LeCoultre-Uhren und Montblanc-Schreibfüllern gar nicht mal das Schlimmste. Schlimmer noch war, was der weltweit zweitgrößte Luxusgüterhersteller seiner Zunft mit auf den Weg gab. "Die Nachfrage nach Luxusgütern ist dramatisch gefallen", schrieben die Schweizer. Man erlebe zurzeit die "härtesten Marktbedingungen seit der Gründung vor 20 Jahren". Da sich die Lage in der nächsten Zeit nicht verbessern werde, sehe man "keinen Grund für Optimismus".

Der Schock saß tief, denn er zerstörte ein liebgewonnenes Weltbild. Bislang hatte die Branche alle Wirtschaftsabschwünge gut überstanden. Doch in Zeiten, in denen die Superreichen aus Europa, den USA und Russland an den Kapitalmärkten so viel Geld wie lange nicht mehr verlieren, sind selbst Haute-Couture-Kollektionen, edle Uhren oder Diamanten nicht mehr automatisch krisenresistent. Egal ob in München oder Moskau: Mal eben schnell ein Diamantenkettchen für die Gattin oder Geliebte kaufen, das war gestern. Zu spüren bekommen das alle. Die Granden der Branche, Richemont und die französische LVMH-Gruppe, haben innerhalb weniger Monate 40 Prozent ihres Werts an der Börse eingebüßt. Der römische NobelJuwelier Bulgari stellt sich auf einen schmerzhaften Gewinnrückgang ein, der US-Wettbewerber Tiffany steht offenbar vor einer Entlassungswelle, der französische Parfümier Chanel spart bereits kräftig am Personal.

Auch das britische Traditionslabel Burberry hat ein "massives Restrukturierungsprogramm" angekündigt. Hunderte Stellen sollen abgebaut werden. Der italienische Yachthersteller Ferretti wiederum, ein Nischenproduzent für die oberen Zehntausend, soll Medienberichten zufolge finanziell klamm sein und muss angeblich ein millionenschweres Schuldenpaket mit seinen Banken nachverhandeln. Allein der Umsatz der italienischen Modeindustrie brach im Oktober 2008 um zehn Prozent ein. Viele Unternehmen denken schon mit Grauen an die Zahlen für das vierte Quartal. "Die Konsumeiszeit im letzten Quartal, die durch die Finanzkrise im Oktober ausgelöst wurde, hat uns gezwungen, unsere Prognosen für 2008 zu revidieren", sagt der Chef der Mailänder Modekammer, Mario Boselli. Der Umsatz der italienischen Mode- und Textilbranche sei wohl um vier Prozent auf 66,5 Milliarden Euro gefallen. Für 2009 rechnet man in Mailand mit einem weiteren Rückgang. Es ist die Zeit der Durchhalteparolen. Die italienische Modeindustrie sei "gesund" und verstehe es, "auf die Krise zu reagieren", macht sich Boselli Mut. Alles sei "nicht so schlimm wie befürchtet", war dann in den vergangenen Tagen auch ein oft zu hörender Kommentar auf der Florentiner Pitti-Modemesse und an den Mailänder Laufstegen.

Und doch rücken die Einschläge in Norditalien spürbar näher. Es ist die Summe der Details, die aufhorchen lässt: Die Leitmesse Pitti Uomo gab den teuren Samstag als Ausstellungstag auf. Die Russen, bislang die große Hoffnung der Anbieter, waren diesmal gleich zu Hause geblieben. Ein Ausfall der kaufkräftigen Neukunden aus dem Osten wird schmerzlich. Er kann sich mit Umsatzeinbußen von bis zu 20 Prozent bemerkbar machen, warnen Brancheninsider. Der Showkalender wurde von fünf auf vier Tage verkürzt. Modekammerchef Boselli lud gar dazu ein, über "alternative und preisgünstigere Darstellungsformen nachzudenken". Und der Edel-Schneider Gildo Zegna wettert gegen das "selbstzerstörerische Verhalten" im Schlussverkauf und gegen die teure Manie immer früherer Vorabkollektionen.

Im Grunde aber geht es vor allem um die eine, die bange Frage, die sich viele stellen. Sie lautet: Wird es jemals wieder so sein wie früher? Oder hat ein Geschäftsmodell nach Jahrzehnten endgültig ausgedient? Luxus ist gerade deswegen Luxus, weil der Preis hoch ist und das Produkt damit automatisch für den Massenmarkt ausscheidet. Wer Luxus kauft, will sich abheben und schließt dabei andere aus. Für viele Käufer offenbar ein gutes Gefühl, das aber seinen Preis hat. Deswegen ist es in der Luxusindustrie normalerweise ein Tabu, beliebig mit Preissenkungen auf Krisen zu reagieren, dies würde ihr Selbstverständnis aushöhlen. Doch lässt sich der Kurs in diesen schweren Zeiten durchhalten?

Marketing-Experten warnen: Wer jetzt die Preise für Luxusartikel in großem Stil senkt, verwässert sein Image - und es dauert Jahre, bis man für den eigenen Namen wieder höhere Preise bekommt. "Wer in der Luxusbranche einmal nach unten geht, kommt so schnell nicht wieder nach oben", sagt ein Insider. Trotzdem sehen viele Anbieter offenbar keine andere Lösung: So räumt man beim Auftragshersteller Lardini ein, die Preise "von der gehobenen Mittel- bis zur Luxusklasse um über 10 Prozent" herabgesetzt zu haben. "Das drückt 2009 leider auf die Margen", geben Andrea und Luigi Lardini offen zu.

Andere Luxusfirmen gehen subtiler vor: Der Herrenausstatter Ermenegildo Zegna oder die Modemacherin Alberta Ferretti ergänzen ihre Edel-Kollektionen mit erschwinglicheren Stücken - und werden dafür von der Konkurrenz scharf angegangen. Miuccia Prada hält nichts davon, in Krisenzeiten Preise und Kollektionen den Geldbeuteln der Kunden anzupassen. "Der Moment ist schwierig, aber die Preise im Luxussegment sind nicht aus der Luft gegriffen. Qualität und Ideen kosten nun mal", sagt Prada. Allerdings verkaufte das Mailänder Kult-Label schon im Dezember Lederstiefel zum halben Preis. Designer wie der Mailänder Giorgio Armani versuchen es derweil mit Aktionismus. Mitte Februar eröffnet der italienische Luxusunternehmer in New York auf der Fifth Avenue ein Kaufhaus mit 3500 Quadratmetern.

Optimistisch gibt sich auch Diesel-Gründer Renzo Rosso: Er glaubt an die Wende (Interview). Der Nonkonformist aus Venetien hat gerade sein weltweit größtes Geschäft über drei Etagen mitten an der Mailänder Shopping-Kreuzung Piazza San Babila eröffnet. Rosso sucht das Besondere, um der Krise zu begegnen. Im neuen "Diesel Planet Store" hängt ein elektronischer Spiegel, mit dem die Kunden die Passform ihres neuen Outfits im 360-Grad-Blickwinkel begutachten können. Die selbst entwickelte Software soll zum Standard in den 300 Diesel-Läden weltweit werden. Zusätzlich soll eine computergesteuerte Beduftungsanlage die Sinne betören und so zum Kaufen einladen. Das Bezahlen geht dann ganz nebenbei - an mobilen Stationen überall im Laden.

So ganz geschlagen gibt sich die Modewelt also nicht. Die Farbe des Winters 2009/2010 soll übrigens Grün sein. Grün wie die Hoffnung.

"Die Nachfrage ist dramatisch

gefallen. Es gibt keinen

Grund für Optimismus."

"Wer einmal billiger wird,

kommt so schnell

nicht wieder nach oben."

Auf der Luxusmesse "Millionaire Fair" in München war im Oktober auch ein Maserati zu bewundern: Die Sale-, also Ausverkaufsschilder wurden in diese Fotomontage nachträglich eingefügt. Doch bleiben tatsächlich viele Edelhersteller gerade auf ihren Produkten sitzen und senken daher die Preise. Foto: dpa

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Deutsche Standorte in Gefahr

Die Metallhütten fürchten wegen der hohen Energiekosten um ihre Existenz

Von Wieland Kramer

Düsseldorf - Der Produktion von Aluminium, Kupfer und Zink droht in Deutschland das Aus. Das Ende der weltweiten Rohstoffrallye sorgt seit Wochen für einen freien Fall der Metallpreise. Die hohen deutschen Strompreise machen die Herstellung hierzulande damit unrentabel. An den großen Metallstandorten Hamburg, Unterweser und im Rheinland sorgen sich mindestens 15 000 Arbeitnehmer um ihre Stellen.

Der Aluminiummarkt befindet sich im Abwärtstrend. Bauxitminen und Hüttenbetriebe drosseln seit Wochen weltweit die Produktion, um den rapiden Preisverfall beim Leichtmetall zu stoppen. Binnen weniger Wochen haben sich an der Londoner Metallbörse LME hohe Aluminiumbestände aufgebaut. Die Preise fielen von 3 500 Dollar je Tonne im Sommer des vergangenen Jahres auf aktuell etwa 1 300 Dollar. "Nur ein schneller Abbau der LME-Bestände kann den Preisverfall stoppen," erklärt Peter-Michael Steffen, Sprecher der zum größten europäischen Aluminiumkonzern Norsk Hydro gehörenden Hydro Aluminium Deutschland. Hydro hat zunächst am Standort Neuss die Produktion um 13 Prozent oder 30 000 Tonnen gekürzt, was Steffen moderat nennt.

Hydro ist in einer Zwickmühle. Der Standort Neuss beliefert vor allem Zeitungshäuser mit Druckplatten und die Verpackungsindustrie. Beide Branchen sind vom Konjunktureinbruch weit weniger betroffen als die Autoindustrie oder der Maschinenbau. Trotzdem zittern nicht nur die 650 Arbeiter in der Neusser Aluhütte, sondern auch 1 200 Kollegen im nahegelegenen Walzwerk sowie weitere bei zahlreichen Abnehmern und Zulieferern in der Region.

Ohne einen drastisch reduzierten Strompreis befürchtet die deutsche Hydro bei anhaltend niedrigen Metallpreisen einen dreistelligen Millionen-Verlust bis zum Jahresende. "Das wäre das Aus", sagt Steffen. Hydro Deutschland benötigt nach SZ-Informationen aus der Branche dringend einen neuen Liefervertrag. Um die Bedingungen wird intensiv gefeilscht. Der Alukonzern fordert einen günstigen Preis. Der Bedarf von Hütte und Walzwerk sei höher als der der gesamten Landeshauptstadt Düsseldorf einschließlich der dortigen Wirtschaft, so ein Argument. Hydro bringt zudem die Möglichkeit einer kurzfristigen Abschaltung der Anlage für eine Dauer von bis zu mehreren Stunden in die Verhandlungen ein. "Damit kann uns RWE behandeln wie ein Ersatzkraftwerk", sagt Hydro-Sprecher Steffen. Vor allem bei schwankender Windstromeinspeisung benötigt der Versorger große Mengen an Regel- und Ersatzenergie.

"Erste konzeptionelle Gespräche" über einen neuen Liefervertrag werden von beiden Seiten bestätigt. Doch die Stimmung ist unterkühlt. Stromversorger und Metallhütten liegen seit Jahren im Clinch. Da RWE derzeit keinen Strom an Hydro liefert, obwohl die großen Braunkohlekraftwerke des Unternehmens auf Sichtweite stehen, fühlt man sich nicht in der Pflicht. Die Versorgung des bundesweit größten Aluminiumstandorts Neuss bei Düsseldorf mit Roh-aluminium bleibe trotz beschlossener Produktionskürzung sichergestellt, erklärte Hydro-Sprecher Steffen.

Auf der anderen Seite übersteigen die Verluste aus der Aluminiumerzeugung die Erlöse aus der Weiterverarbeitung derzeit um rund das Doppelte. Mindestens die Hälfte der Kosten entfällt bei der Aluminiumerzeugung auf den Strom für die Elektrolyse. Der Rest sind Kosten für Bauxit, Kohlenstoff-Elektroden und Personal. Während die Wettbewerber in Italien, Spanien und Frankreich schon seit längerem zu Sondertarifen versorgt werden und die EU-Kommission sich grundsätzlich für Stromlieferungen ohne Klimakosten an die Industrie ausgesprochen hat, halten die deutschen Stromkonzerne an einer Belieferung zu hohen Preisen fest. "Während bei uns Strom bis zu 70 Euro je Megawattstunde kostet, bezahlen unsere Wettbewerber in den Nachbarländern nur 20 Euro", beklagt sich der Chef einer Metallhütte an der Unterweser.

Die Herstellung von Aluminium ist sehr energieintensiv. Deshalb leiden die Produzenten besonders unter den hohen Energiepreisen und fürchten jetzt um ihre Wettbewerbsfähigkeit. Foto: dpa

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

"Die Preise sind verrückt"

Renzo Rosso, Chef der Modefirma Diesel, über Fehler der Branche

Luxusrebell Renzo Rosso, 53, sieht sich mal wieder auf der Gewinnerseite. Vor 30 Jahren gründete der Bauernsohn im norditalienischen Molvena seine schräge Jeansfirma Diesel. Unter dem Dach der Holding Only the Brave baute Rosso dann einen Luxusmode-Konzern auf. Nur ein Viertel des Umsatzes von 1,4 Milliarden Euro entfällt heute noch auf die Denim-Sparte. Der Krise kann Rosso nur Gutes abgewinnen.

SZ: Signor Rosso, alle reden in Mailand vom Kürzen. Sie haben dort gerade den größten Diesel-Laden der Welt eröffnet. Ist das nicht gewagt?

Rosso: Überhaupt nicht. Ich finde diese Krise phantastisch. Jetzt wird endlich ein bisschen ausgemistet. Die Luxusbranche ist voll von improvisierten Marken, die uns im Weg stehen. In Zukunft gibt es hoffentlich mehr Raum für Professionalität.

SZ: Was erwarten Sie von der Rezession?

Rosso: Eine Säuberung. Heute tummelt sich auf dem Luxusmarkt alles Mögliche. Die Label sind zu bürgerlich, zu snobistisch und zu teuer. Die Luxusbranche ist zügellos. Da ist vieles übertrieben und abgehoben. Die neuen Luxuskunden interessieren sich heute für so etwas wie den Klimawandel. Außerdem rechne ich damit, dass die überzogenen Immobilienpreise runtergehen. Das käme unserer Vertriebsexpansion entgegen.

SZ: Wie begegnet Diesel der Konsumkrise?

Rosso: Auch wir spüren die Weltrezession. Aber sie ist eine Chance für uns. Denn Diesel ist ein solides Unternehmen, und wir sind nicht verschuldet.

SZ: Also ändert sich für Ihr Unternehmen nichts?

Rosso: Doch, wir werden die Kosten schärfer kontrollieren. Wichtig ist jetzt, weiter Profite zu machen. Wenn woanders Äste abgesägt werden, bekommen wir eine Gelegenheit.

SZ: Haben Sie es nur auf die Marktanteile der Konkurrenz abgesehen, oder wollen Sie sogar Firmen kaufen?

Rosso: Durchaus das Letztere. Zum Beispiel in der Produktion oder im Vertrieb. Diesel soll ein noch besser strukturiertes Unternehmen werden. Darum begrüße ich diese Krise.

SZ: Ist auch in der Modebranche eine Blase geplatzt?

Rosso: Oh ja. Die Fashionbranche ist zu flüchtig, die Preise sind verrückt. So respektiert man die Welt der jungen Leute nicht. Die lehnen das Kurzlebige ab.

SZ: Wie ist 2008 für Diesel gelaufen? Was kommt 2009?

Rosso: Wir haben 2008 unsere gewohnten Wachstumssteigerungen nicht erzielt. Mit drei Prozent stieg der Umsatz kaum. 2009 wird es einen Konsumeinbruch geben. Das heißt nicht automatisch, dass wir weniger verkaufen werden. Der Markt will aber frischere Produkte.

SZ: Sie haben vergangene Woche in Berlin einen neuen Männerduft vorgestellt. Der heißt "Only the Brave", kommt in einem zur Faust geballten Flakon daher und verströmt pure Stärke und Selbstsicherheit. Halten Sie das für zeitgemäß?

Rosso: Ja, unbedingt. Es ist ja meine Faust. Und der Name "Only the Brave" reflektiert perfekt meine Denkweise, die ja auch zum Slogan von Diesel wurde. Wir haben immer Mut bewiesen und im Luxusgeschäft viel verändert. Wir sind Pioniere. Und Berlin gehört für mich zu den vier kreativsten Städten der Welt.

Interview: Ulrike Sauer

Diesel-Chef Renzo Rosso. Foto: AFP

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Das Auto und die deutsche Politik: Vom Anschaffen und Abwracken

Zu wenig Geld für die Prämie

Die eingeplanten 1,5 Milliarden Euro reichen nur für jeden zweiten Interessenten. Eschborner Bundesamt berechnet die Kosten

Von Michael Kuntz

München - Schon vor der endgültigen Verabschiedung der Abwrackprämie für alte Autos im Bundeskabinett zeigt sich, dass die dafür vorgesehenen 1,5 Milliarden Euro bei weitem nicht ausreichen werden. Von diesem Geld lassen sich Prämien für maximal 600 000 Fahrzeuge finanzieren. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Puls in Nürnberg zufolge erwägen aber 1,2 Millionen Autobesitzer, ihr mehr als neun Jahre altes Fahrzeug zu verschrotten.

270 000 Anrufe an einem Tag

Die Regierung sieht den Zeitraum vom 14. Januar bis zum 31. Dezember für die Aktion vor, doch dürfte es auch nach Ansicht des Automobilclubs Europa spätestens im Herbst knapp werden. Da die Prämien erst an diejenigen ausbezahlt werden, die sie zuerst beantragen, steigt die Wahrscheinlichkeit im Jahresverlauf, bei der Verschrottung eines Altwagens leer auszugehen. Die Prognose des mit der Umsetzung beauftragten Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle in Eschborn bei Frankfurt fällt sogar noch um einiges vorsichtiger aus: "Angesichts des großen Programmvolumens besteht für die kommenden Wochen nicht die Gefahr, dass die Mittel bis zur Entscheidung des Bundeskabinetts am 27. Januar 2009 erschöpft sind."

Die 600 000 Autos sind zudem ein rein rechnerischer Wert. Denn von den 1,5 Milliarden Euro gehen noch die Kosten ab, die beim Bundesamt für die Abwicklung der Abwrackprämie entstehen. Da ist schon jetzt einiges los, denn bei der Telefon-Hotline gehen am Tag bis zu 270 000 Anrufe an, von denen naturgemäß nur ein kleiner Teil tatsächlich die Beamten erreicht.

Das Interesse an der Abwrackprämie ist jedenfalls riesig. Zumal sich die beteiligten Ministerien für Finanzen, Umwelt, Verkehr und Wirtschaft darauf verständigen wollen, dass auch das Leasing eines neuen Autos gefördert werden soll. Auf diese Weise würden auch Hersteller wie Audi, BMW und Mercedes etwas von der Abwrackprämie haben. Denn die Besitzer von mehr als neun Jahre alten Autos kommen wohl eher als Käufer von Gebraucht- oder neuen Kleinwagen in Frage. Das wären dann unter Umständen Autos aus italienischer, französischer, rumänischer oder koreanischer Produktion. Der deutsche Staat würde dann zwar für Arbeitsplätze sorgen, aber nicht in Deutschland, kritisieren manche Automanager.

Einzelne Autohändler berichten, ihr Verkauf von Neuwagen habe sich nach dem Kabinettsbeschluss von Mitte Januar verzehnfacht. Die Prämie wirke wie eine Initialzündung, sagt Ansgar Klein vom Bundesverband freier Kfz-Händler.

Die Unternehmensberater von Ernst & Young ermittelten bei einer Umfrage, dass 57 Prozent der Käufer, die sich aufgrund der Abwrackprämie ein neues Auto anschaffen, einen verbrauchsarmen Kleinwagen für maximal 15 000 Euro erwerben wollen. Verbraucherschützer empfehlen Käufern, trotz der Prämie nicht auf die meist weiter möglichen Rabatte zu verzichten.

Ökologische Wirkung gering

Die wirtschaftlichen Folgen bleiben abzuwarten, die ökologischen Verbesserungen durch die Abwrackprämie sind überschaubar. Die 600 000 neuen Autos der Schadstoffklasse 4 ändern am Zustand der gesamten deutschen Fahrzeugflotte wenig. Denn derzeit rollen noch viele Wagen durchs Land, die nur den Abgasnormen Euro 1 bis 3 entsprechen. Das sind etwa 20 Millionen Autos mit veralteten Benzinmotoren und rund neun Millionen Dieselfahrzeuge, die nicht mehr dem neuesten Stand der Technik entsprechen. 16 Millionen Autos kommen dem Kraftfahrtbundesamt in Flensburg zufolge für eine Abwrackprämie in Frage. Sie sind älter als neun Jahre und bei einem Verkauf weniger als 2500 Euro wert.

Alte Autos werden beispielsweise bei der Deutschen Erz- und Metall-Union in Salzgitter verschrottet. Seit der Ankündigung der Abwrackprämie haben manche Autohändler bereits einen außergewöhnlichen Anstieg der Neuwagenverkäufe registriert. Kritiker fürchten aber, dass Besitzer alter Fahrzeuge vor allem kleine Neuwagen ausländischer Konzerne kaufen. Foto: dpa

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Streit um Reform der Kfz-Steuer

SPD beklagt Vorteile für Autos mit besonders hohem CO2-Ausstoß

Von Claus Hulverscheidt

Berlin - Die Pläne der großen Koalition für eine Reform der Kfz-Steuer sind sowohl intern als auch bei Opposition und Umweltverbänden auf teils heftige Kritik gestoßen. Ein Sprecher von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) machte deutlich, dass sein Ressort das Konzept der Koalitionsspitzen nicht mittragen könne. "Für uns ist entscheidend: Das ist noch kein Regierungsentwurf", sagte er. Dagegen sprach der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Michael Meister (CDU) von einem "sorgfältig ausgewogenen Kompromiss". "Der Umweltminister gefährdet mit seinen Nachverhandlungen dessen Tragfähigkeit und den Zeitplan", erklärte er.

Der Koalitionsvereinbarung zufolge soll sich die Höhe der Kfz-Steuer von Juli an vor allem nach dem Schadstoffausstoß des Fahrzeugs richten. Zugleich wird aber die bisherige Bindung an den Hubraum nicht gänzlich aufgegeben, sondern modifiziert und für besonders leistungsstarke Autos sogar gedeckelt. Das führt dazu, dass ausgerechnet Besitzer von Fahrzeugen mit besonders hohem CO2-Ausstoß weniger Steuern zahlen müssen als bisher. Die Idee stammt aus den Reihen der Union, die befürchtet, dass eine rein schadstoffbezogene Kfz-Steuer zu Lasten deutscher Hersteller wie Mercedes, BMW, Audi und Porsche gehen könnte. Sie bauen im Vergleich zu vielen ausländischen Konkurrenten deutlich mehr Modelle in der Oberklasse. Allerdings trugen auch die SPD-geführten Ministerien für Finanzen und Verkehr das Konzept mit Blick auf die vielen gescheiterten Kompromissversuche der Vergangenheit am Ende mit.

Der Umweltexperte der Linksfraktion, Lutz Heilmann, bezeichnete die Regierungspläne als "klimapolitischen Offenbarungseid". Die Reform sei nicht nur ein Förderprogramm für die falsche Produktpolitik der deutschen Autoindustrie, sondern auch für Großverdiener. So werde der Fahrer eines VW Golf um acht Euro entlastet, der eines Audi Q7 aber um 300 Euro. "Mit Winkelzügen werden Spritfresser verschont", sagte Heilmann.

Kritik des BUND

Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sprach von einer "bewussten Bevorzugung der Hersteller von Spritfressern". Ein Mix aus hubraum- und schadstoffbezogenen Komponenten bei der Berechnung der Kfz-Steuer verwirre zudem potentielle Autokäufer. Deshalb müsse die Koalition zum Modell einer rein CO2-bezogenen Kfz-Steuer zurückkehren, wie es auch im zweiten Konjunkturpaket der Regierung angekündigt worden sei. "Das längst überfällige Vorhaben der Bundesregierung, die Steuersätze für Autos an die Höhe des Schadstoffausstoßes zu knüpfen, darf nicht länger Spielball der Autolobby sein", so der BUND.

Er schlug vor, Fahrzeuge mit CO2-Emissionen von 100 Gramm pro Kilometer und mehr mit stufenweise steigenden Steuersätzen zu belasten. Für einen benzingetriebenen Golf 1.4 mit einem Ausstoß von 166 Gramm CO2 würde die Steuer dann nur leicht von 94 auf 120 Euro steigen. Bei einem Mercedes ML-350 mit 305 Gramm CO2 wäre der Anstieg gewaltig: Anstatt 256 Euro würden 1390 Euro fällig. Besitzer eines Smart Fortwo, der 112 Gramm ausstößt, müssten noch sechs statt 54 Euro im Jahr zahlen. "Ein solches klares Steuersystem wird nicht nur das Kaufverhalten beeinflussen, es wird auch entscheidende Innovationen für mehr Umweltschutz bei den Pkw-Herstellern anstoßen", so BUND-Verkehrsexperte Werner Reh. (Seite 4)

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Der Vertreter der

Arbeitnehmer will vermitteln.

Dabei ist der Stellenabbau schon beschlossene Sache.

Stochern im Nebel

Gespannt warten BayernLB-Mitarbeiter auf Neuigkeiten zum Jobabbau. Sie rechnen damit, dass ganze Abteilungen wegfallen

Von Thomas Fromm

München - Diethard Irrgang ist in einer besondern Situation. Seit Ende vergangener Woche sitzt der 53-jährige Personalratschef der BayernLB als erster Mitarbeitervertreter überhaupt im Verwaltungsrat der Bank. Dort soll er die Interessen seiner Kollegen vertreten, auf die ein harter Sparkurs zukommt. Und er wird trotzdem nicht viel ändern können an den Weichenstellungen des Instituts. Das Management der Landesbank, die mit Finanzspritzen und Garantien von rund 30 Milliarden Euro gestützt werden muss, will Tausende von Stellen abbauen - und auch der Arbeitnehmervertreter weiß, dass es dazu im Grunde keine Alternative gibt. So klingt sein Programm für die nächste Zeit auch wenig kämpferisch. "Ich verstehe mich hier als Vermittler und muss für Interessenausgleich sorgen", sagt er der Süddeutschen Zeitung. Das, was nun auf ihn zukomme, sei ein "notwendiger Spagat".

An diesem Donnerstag hatte Irrgang seinen ersten großen Termin. Tausende von BayernLB-Mitarbeitern waren am späten Nachmittag zur Personalversammlung ins Kongresszentrum MOC im Münchner Norden gepilgert, wo Bankchef Michael Kemmer über den neuesten Stand der Sparmaßnahmen unterrichten wollte. Einige gingen mit großen Erwartungen, andere rechneten nur mit Motivationsübungen des Managements. "Zurzeit ist es wie das berühmte Stochern im Nebel", sagt ein Sachbearbeiter am Standort München. "Wir wissen nur, wie viele Arbeitsplätze abgebaut werden sollen. Wo genau, wissen wir nicht."

Tatsächlich hatte BayernLB-Chef Michael Kemmer im Dezember angekündigt, bis 2012 insgesamt 5600 der 19 200 Stellen zu streichen. Klar ist nur: So lange wird das Management nicht warten. "2012 ist eine langfristige Planung; vieles wird schon früher abgearbeitet", heißt es im Unternehmen. Klar ist auch: Die BayernLB der Zukunft wird sich auf den Mittelstand, Großkunden, gewerbliches Immobiliengeschäft und Privatkunden konzentrieren. Die Bank wird dabei zu einem bayerischen Institut geschrumpft; im Ausland werden in den nächsten Jahren Niederlassungen dichtgemacht, so etwa in Asien. Standorte wie New York und London werden auf ein Minimum reduziert.

Nach außen hin scheint alles ruhig. Hinter den Kulissen aber wird die Bank in diesen Tagen und Wochen durchleuchtet wie niemals zuvor. Jetzt geht es um die bitteren Details des Abbaus.

"In vier bis fünf Wochen werden alle genau wissen, wohin die Reise geht", sagt ein Manager. Eine Kernmannschaft von 200 Mitarbeitern kämmt in diesen Tagen Abteilung für Abteilung durch, begleitet von einem Team des US-Beraterhauses Boston Consulting. 18 Teilprojekte gibt es zurzeit, dabei geht es um Themen wie Informationstechnologie (IT), Personal und Unternehmenskultur. Jede Woche kommt mindestens einmal der Vorstand um Michael Kemmer zusammen, um über den Stand der Dinge zu beraten.

Bis Ende Mai müssen die detaillierten Pläne dann zur Prüfung an die EU-Kommission nach Brüssel geschickt werden. Jeder BayernLBler weiß, dass sich die Bank von einigen ihrer zahlreichen Beteiligungen wird trennen müssen. Aber von welchen? Dass die Landesbankentochter SaarLB weitergereicht wird, gilt bereits als ausgemachte Sache. Aber sonst? Auf den Fluren der BayernLB wird seit Wochen darüber gemunkelt, die Kapitalanlagetochter BayernInvest könnte auf dem Verkaufstisch stehen. Andererseits: Hier bündelt die Bank große Teile ihres Anlagegeschäfts, hier arbeitet sie mit den Sparkassen zusammen, hier geht auch der bayerische Mittelstand ein und aus. "Wir haben über die BayernInvest viele gute Kunden", heißt es aus der Bank. Daher wäre es "unlogisch", die Tochter einfach ziehen zu lassen.

Was Kemmer auf jeden Fall behalten möchte, sind seine beiden wichtigsten und auch größten Töchter: die Kärntner Osteuropa-Bank Hypo Group Alpe Adria und die Direktbank DKB. Ob er sie tatsächlich behalten kann, wird sich erst im Frühjahr oder Sommer entscheiden - und zwar in Brüssel.

Und dann ist da noch die Frage, ob die Gespräche der BayernLB mit der Landesbank Baden Württemberg (LBBW) jemals in einer Fusion münden werden. Auch dies würde Jobs in München kosten. "Wir sind in konkreten Gesprächen", sagte Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) jetzt. Das aber hat nicht viel zu bedeuten. Schon häufig wurde von Gesprächen zwischen den beiden Banken berichtet. Und mindestens genauso oft wurden sie wieder vertagt. Auch in Stuttgart weiß man: Solange die Regierung im Freistaat nicht bereit ist, für ihre Landesbank eine Juniorrolle an der Seite der Stuttgarter zu akzeptieren, wird es nicht zu einem Zusammenschluss kommen.

Ein Arbeiter reinigt eine Fensterscheibe der BayernLB- Zentrale in München: Die Mitarbeiter wollen Klarheit über die Zukunft der angeschlagenen Bank. Fest steht nur, dass tausende Jobs gestrichen werden. Foto: ddp

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Lehman-Kunden bald entschädigt

Soffin springt ein, aber die meisten Privatleute gehen trotzdem leer aus

Berlin/Brüssel - Die Entschädigung von Kunden der deutschen Tochter der Pleite gegangenen US-Investmentbank Lehman Brothers rückt näher. Die EU-Kommission billigte am Donnerstag eine Garantie des Banken-Rettungsfonds Soffin von 6,7 Milliarden Euro für die Sicherungseinrichtungsgesellschaft deutscher Banken (SdB). Im Dezember hatte der Bankenverband angekündigt, dass deutsche Lehman-Kunden Ende Januar mit einer Entschädigung rechnen könnten.

Die neu gegründete SdB unterstützt die Einlagensicherung bei Entschädigungen von Einlegern. Die dank der Staatsgarantie möglich gewordene Ausgabe von Anleihen der SdB soll unter anderem dazu dienen, die Rückflüsse aus der Insolvenz der "Lehman Brothers Bankhaus Aktiengesellschaft" vorzufinanzieren, teilte der Bankenverband mit.

Damit erhalten auch Krankenversicherer wie die Barmer oder Träger der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung Geld zurück; sie hatten mehrere Millionen Euro bei Lehman angelegt. Die deutsche Tochter des US-Instituts hatte nach früheren Angaben von Anlegerschützern nur wenige direkte Privatkunden. Nicht abgesichert sind Privatkunden, die beispielsweise bei Sparkassen Lehman-Zertifikate gekauft haben.

Lehman hatte Mitte September Insolvenz angemeldet. Die deutsche Finanzaufsicht Bafin hatte daraufhin die Geschäfte der deutschen Lehman-Tochter gestoppt und Ende Oktober bei der Lehman Brothers Bankhaus AG (Frankfurt/Main) den Entschädigungsfall festgestellt. Damit wurde die rechtliche Voraussetzung für die Entschädigung betroffener Anleger geschaffen. Dazu gehören vor allem große institutionelle Kunden wie Banken oder Versicherungen.

Die Kundeneinlagen einschließlich auf den Namen lautender Sparbriefe sind laut Bankenverband von der Entschädigungseinrichtung deutscher Banken und darüber hinaus vom Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes deutscher Banken bis zur Sicherungsgrenze von rund 285,105 Millionen Euro je Einleger geschützt. dpa

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Hiobsbotschaften aus Turin

Fiat kämpft gegen Kapitalnot und 21 Prozent Absatzrückgang

Von Ulrike Sauer

Rom - Als Fiat vor drei Tagen den Einstieg beim krisengebeutelten US-Hersteller Chrysler ankündigte, überschlugen sich in Rom die Minister mit Komplimenten. "Das ist ein Zeichen außerordentlicher Vitalität", frohlockte Finanzminister Giulio Tremonti. Die Unternehmer im Lande wüssten sich selbst zu helfen, lobte er. Ihrerseits hat die römische Regierung bisher keinen Finger gerührt, um den Konjunktureinbruch abzufedern. Doch dann kam am Donnerstag die Vorlage des Jahresergebnisses des Turiner Autokonzerns. Nach dem Abschmieren der Fiat-Aktie sprang Silvio Berlusconi in die Bresche: "Hilfen für die Autoindustrie sind notwendig geworden", erklärte der Premier auf einmal. Am Dienstag will er darüber beraten lassen.

Die Turiner Hiobsbotschaften hatten den Aktienkurs kurz nach ihrer Verkündung um 14 Prozent nach unten getrieben: Italiens größter Industriekonzern zahlt trotz 1,7 Milliarden Euro Nettogewinn in 2008 keine Dividende. Das Aktienrückkaufprogramm ist gestrichen. Und im vierten Quartal fiel der Umsatz der Autosparte um 21 Prozent. Für 2009 rechnet Fiat-Lenker Sergio Marchionne für die gesamte Produktpalette mit einem Absatzrückgang um 20 Prozent. Zum ersten Mal seit seinem Antritt bei Fiat 2004 rückte der Sanierer von Zielvorgaben ab und kürzte die Gewinnprognose für 2009 von drei Milliarden Euro auf mehr als 300 Millionen Euro. Die Schulden stiegen unerwartet auf knapp sechs Milliarden Euro. Kürzlich hatte die Ratingagentur Moody's Fiat auf die Beobachtungsliste gesetzt, mit dem Ausblick, die Kreditwürdigkeit herabzustufen.

Spekulationen über mögliche Schritte zur Überwindung der Kapitalnot hielten am Donnerstag die Börse in Atem. Ein Konzernsprecher dementierte Gerüchte, nach denen die Aktionärsfamilie Agnelli eine Kapitalerhöhung bei Fiat um zwei Milliarden Euro erwäge. Die Finanzspritze solle in dem Fall gesetzt werden, dass sich der Konzern mit dem französischen Partner Peugeot zusammenschließe, schrieb die Zeitung La Repubblica. Das Wirtschaftsblatt Il Sole 24 Ore berichtete, Fiat bemühe sich in Gesprächen mit Banken seit einem Monat um eine Kreditlinie von bis zu fünf Milliarden Euro.

Trotz der sich rapide verschlechternden Lage werde Fiat "die Strategie gezielter Allianzen fortsetzen, um den Kapitaleinsatz zu verbessern und die Risiken zu senken", teilte der Konzern mit. Bereits Anfang der Woche hatte sich Marchionne beim Einstieg bei Chrysler offen für weitere Partnerschaften gezeigt. In Washington regt sich aber Widerstand gegen die strategische Allianz zwischen Fiat und dem am staatlichen Tropf hängenden US-Hersteller. Der bisher mit vier Milliarden Dollar gestützte Detroiter Konzern besteht auf zusätzliche Hilfen in Höhe von drei Milliarden Dollar. Kongresspolitiker kritisieren die mögliche Vergabe weiterer Kredite an Chrysler wegen des künftigen Großaktionärs Fiat. Sie fürchten, das Geld werde nicht der US-Wirtschaft zugute kommen.

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Kräftig verspekuliert

Viele Fluggesellschaften haben verfehlte Sicherungsgeschäfte für hohe Kerosinpreise abgeschlossen, nur die Lufthansa lag richtig

Von Jens Flottau

Frankfurt - Fluggesellschaften haben sich weltweit bei ihren Treibstoffkosten in großem Stil verspekuliert. Allein für die zweite Jahreshälfte 2008 bleiben sie laut Analystenberechnungen auf zusätzlichen Kosten in Höhe von mehreren Milliarden Dollar gegenüber Marktpreisen sitzen, weil sie bei ihren Sicherungsgeschäften von steigenden Ölpreisen ausgegangen waren. In Europa sind Air France-KLM und Easyjet am stärksten betroffen, während Lufthansa, British Airways und Ryanair glimpflicher davon kommen.

Bis zum 11. Juli 2008 war der Ölpreis auf die Rekordhöhe von 147 Dollar pro Barrel gestiegen, seither ist er aber um fast 70 Prozent gefallen. Angesichts von Prognosen seriöser Analysten, der Preis könne auf bis zu 200 Dollar steigen, haben viele Airlines zum Teil panikartig die so genannten Hedging-Verträge unterschrieben, zu aus heutiger Sicht astronomisch hohen Preisen. Weil die Verträge über einen längeren Zeitraum gelten, müssen die Fluggesellschaften nun deutlich mehr für Treibstoff ausgeben, als die Marktpreise erwarten lassen. Der International Air Transport Association (IATA) zufolge gibt es noch keine verlässlichen Zahlen darüber, wie viel Geld die Branche durch die ungünstigen Verträge verlieren wird. Die Fehlspekulationen haben aber verheerende Auswirkungen.

Die Investmentbank Merrill Lynch rechnet für die neun größten asiatischen Fluggesellschaften mit einer Belastung von 3,8 Milliarden Dollar für 2008. United Airlines hat das Hedging alleine im vierten Quartal des vergangenen Jahres fast eine Milliarde gekostet. Air France-KLM machte im abgelaufenen Quartal einen Verlust von 200 Millionen Euro und zahlte mehr als doppelt so viel für den Sprit. Easyjet konnte zwar den Umsatz um 32 Prozent steigern, weil vor allem Geschäftsreisende auf die meist günstigeren Verbindungen umgestiegen sind. Doch angesichts einer ähnlich ungünstigen Ausgangslage beim Hedging dürfte der Zuwachs beim (noch nicht veröffentlichten) Gewinn deutlich darunter liegen. Konkurrent Ryanair hatten die Rekordpreise nahezu voll getroffen, weil sich die Airline fast gar nicht abgesichert hatte, davon profitiert der Billig-Anbieter nun umso mehr.

Beim Hedging gibt es zwei unterschiedliche Instrumente. Die meisten Airlines decken sich mit sogenannten Swaps ein: Steigt dabei der Kerosinpreis über einen bestimmten Wert, übernimmt die finanzierende Bank einen Teil der Zusatzkosten. Im umgekehrten Fall profitiert die Airline nicht so stark von fallenden Preisen. Wesentlich komplexer sind Put- und Call-Optionen. Die Optionsgeschäfte erlauben aber mehr Flexibilität.

Als eine der wenigen Airlines setzt die Lufthansa auf diese Form des Hedging und macht damit gerade wieder einmal gute Erfahrungen. Obwohl sich die größte deutsche Fluggesellschaft für 2009 bereits vor dem Preissturz sehr weitgehend abgesichert hatte, sinken ihre Treibstoffausgaben im laufenden Jahr von 5,4 auf 3,7 Milliarden Euro. Laut UBS entspricht die Differenz ungefähr dem Betrag, den das Unternehmen auf der Umsatzseite durch den erwarteten Rückgang bei den Durchschnittserlösen (Yields) im laufenden Jahr verlieren wird.

Zu den Verlierern im Hedging-Poker gehört auch Austrian Airlines, die gerade von der Lufthansa übernommen wird. Sie hatte ihren Bedarf nach Angaben aus Branchenkreisen bei einem Ölpreis um die 120 Dollar teilweise abgedeckt. Nun sinken rezessionsbedingt auch die Passagierzahlen - im Dezember um sieben Prozent. Austrian wird voraussichtlich auch 2009 einen hohen Verlust einfliegen, hingegen rechnet die Konzerntochter Swiss trotz allem mit einem Gewinn.

United-Passagiere beim Einchecken: Die Ticketpreise steigen. Foto: AP

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Apple widersetzt sich dem Branchentrend

Der kalifornische Computerhersteller verdient zur Verblüffung aller so viel wie nie zuvor - auch wenn der Chef krank ist

Von Thorsten Riedl

München - Die Frage musste kommen. Tim Cook, Übergangschef beim Computerhersteller Apple, so lange Mitgründer Steve Jobs krank ist, hatte gerade das beste Quartalsergebnis in der Geschichte des Konzerns vorgelegt - in einer Zeit, in der fast alle Rivalen enttäuschen. Doch das war erstmal Nebensache. Wenn Jobs nicht mehr zurückkomme, wollte ein Analyst wissen, in diesem "schlimmsten aller Fälle": "Trauen Sie sich zu, das Steuer zu übernehmen?"

Tim Cook ließ sich etwas Zeit. Die Apple-Top-Manager seien "außerordentlich", sagte er dann, "und sie führen 35 000 Angestellte, die ich unheimlich clever nennen würde". Und weiter: "Wir glauben, wir sind auf diese Erde geschickt worden, um großartige Produkte zu machen - und das wird sich nicht ändern." Business as usual also, alles wie immer, auch ohne den Chef, so die Botschaft. Dem Ergebnis hat die Krankheit zumindest nicht geschadet. Vergangene Woche erst hat Steve Jobs in einem kurzen Schreiben an seine Beschäftigten mitgeteilt, sein Leiden sei schlimmer als befürchtet, und er ziehe sich bis Sommer zurück. Zwar will er weiter bei wichtigen Entscheidungen im Unternehmen mitwirken, doch zunächst übernimmt Cook, wie schon 2004, als sich Jobs wegen Bauchspeicheldrüsenkrebs hat behandeln lassen müssen. Der jüngsten E-Mail vom Apple-Mitgründer war eine schrittweise Verschlechterung der Lage vorangegangen: Im Sommer hieß es, Jobs habe einen "Bazillus", als sich Beobachter über seinen abgemagerten Zustand sorgten. Im Herbst erklärte der 53-Jährige, nach einer Operation könne er schlecht verdauen. Anfang 2009 teilte er mit, er habe eine hormonelle Störung, die leicht zu behandeln sei.

Wegen der schrittweisen Kommunikation war in den Staaten eine Debatte entbrannt, wie viel ein Unternehmen über den Gesundheitszustand des Chefs mitteilen muss, wenn solche Nachrichten wie bei Jobs den Aktienkurs bewegen. Die spärlichen Mitteilungen von Apple interessieren deshalb nun auch die US-Börsenaufsicht SEC, wie mehrere US-Medien mit Berufung auf nicht genannte Kreise berichten. Offiziell bezogen weder Apple noch die SEC zu dem Verfahren Stellung.

Die Börse störten die Ermittlungen und Spekulationen um Jobs am Donnerstag ausnahmsweise einmal nicht. Die Investoren belohnten das Rekordquartal von Apple mit einem Kurssprung von mehr als zehn Prozent. Die Anleger waren verblüfft, dass Apple trotz des für viele andere Firmen der IT-Branche schwierigen Konsumklimas im vierten Quartal so hohe Umsätze erzielt hat.

Cook konnte mit Finanzchef Peter Oppenheimer einen Umsatzsprung von sechs Prozent auf 10,2 Milliarden Dollar vorlegen - und damit zum ersten Mal in der 33-jährigen Geschichte des Konzerns über die Zehn-Milliarden-Dollar-Marke. Beim Gewinn verbuchten die beiden einen Zuwachs von knapp zwei Prozent auf 1,61 Milliarden Dollar.

Es lief in allen Bereichen von Apple gut. Von Oktober bis Dezember verkaufte das Unternehmen 2,5 Millionen Mac-Computer, ein Plus von 14 Prozent. Gefragt waren vor allem die tragbaren Macbook-Rechner. Der Trend zu Notebooks sei ungebrochen, hieß es dazu. Erstaunlich gut auch das Geschäft mit den iPod-Musikspielern. Viele Analysten hatten damit gerechnet, dass angesichts der Krise die Verbraucher lieber ihr altes Gerät behalten. Es kam anders: Drei Prozent mehr Geräte hat Apple verkauft, mit 22,7 Millionen iPod-Spielern insgesamt so viele wie nie zuvor. Verantwortlich seien vor allem die im September vorgestellten neuen Produkte gewesen, sagte Oppenheimer. Das Mobiltelefon iPhone verkaufte Apple 4,4-millionenmal. Das lag zwar unter den Erwartungen der Analysten - ist aber immer noch fast doppelt so viel wie im Jahr zuvor.

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Computer-Firmen streichen Tausende Jobs

Auch Microsoft muss erstmals kündigen: Wegen des Abschwungs häufen sich die Verluste in der erfolgsverwöhnten Industrie

Von Thorsten Riedl

München - Donnerstag war ein Tag der schwarzen Nachrichten für Angestellte in der Informationstechnik (IT) und Unterhaltungselektronik. Die Wirtschaftsflaute erwischt beide Branchen mit voller Wucht: Der Softwarekonzern Microsoft entlässt 5000 Mitarbeiter - die ersten Kündigungen in der 34-jährigen Firmengeschichte. Der Chiphersteller Intel schließt Fabriken in den USA und Asien: Bis zu 6000 Beschäftigte sind betroffen, viele verlieren ihren Job. Der Unterhaltungskonzern Sony erwartet das erste verlustreiche Geschäftsjahr seit 14 Jahren; der weltweit größte Festplattenhersteller Seagate erwirtschaftete einen hohen Verlust und gab zugleich eine Umsatzwarnung; das Online-Auktionshaus Ebay verfehlt den Umschwung, dem Unternehmen laufen die Verkäufer davon. Einen Lichtblick gab es allein vom Computerhersteller Apple (Artikel unten).

Einen Tag nur hat die gute Stimmung angehalten, die IBM am Mittwoch verbreitet hatte. Der weltweit zweitgrößte Computerkonzern hatte Quartalszahlen vorgelegt, die so gut waren, dass sie die Wirtschaftskrise für einen Moment vergessen machten. Am Donnerstag trübte sich das Klima schnell wieder ein. Softwarehersteller, Chipproduzent, Hardwarefirma, Unterhaltungskonzern, Onlineportal: Quer durch die Industrie summierten sich die schlechten Nachrichten.

Schwer traf es Microsoft. Seit Wochen gab es Gerüchte, das Unternehmen plane Entlassungen. Von bis zu 15 000 Stellen war zeitweise die Rede. Am Donnerstag nun zog Konzernchef Steve Ballmer unerwartet die Veröffentlichung der Quartalsbilanz vor: Statt abends nach Börsenschluss gab er sie morgens bekannt. Der Umsatz für das zweite Geschäftsquartal des Unternehmens stieg zwar leicht um zwei Prozent auf 16,7 Milliarden Dollar. Der Gewinn brach allerdings ein: um elf Prozent auf 4,2 Milliarden Dollar. Schuld trägt der Abschwung, den Microsoft-Deutschland-Chef Achim Berg als "sturzflugartige Konjunkturentwicklung" bezeichnete, sein Chef Ballmer als "schlimmste Rezession in zwei Generationen". Ballmer sagte weiter: "Unsere Antwort auf das wirtschaftliche Umfeld muss beides umfassen, das Festhalten an langfristigen Investitionen in Innovationen und die schnelle Reaktion, unsere Kosten zu reduzieren."

5000 Mitarbeiter müssen nun gehen. Das sind rund fünf Prozent der weltweit 91 000 Beschäftigten. Deutschland sei "nur in geringem Umfang betroffen", hieß es in einer Mitteilung des Unternehmens. Eine "kleine zweistellige Zahl an Stellen" werde beim Kundendienst wegfallen, die nicht für den deutschen Markt arbeiteten.

Auch Intel wird vor allem in anderen Teilen der Welt streichen. Das Unternehmen hatte in der vergangenen Woche einen Gewinneinbruch von 90 Prozent vermeldet. Intel schließt jetzt die letzte Chipfabrik im Silicon Valley, eine in der Nähe der Zentrale im kalifornischen Santa Clara, eine in Oregon, und zwei Fabriken in Malaysia und auf den Philippinen. Betroffen sind 6000 Mitarbeiter, einigen werden andere Positionen bei Intel angeboten. Weltweit beschäftigt Intel 83 000 Angestellte, 530 davon in Deutschland. In den vergangenen drei Jahren hat das Unternehmen 20 000 Stellen abgebaut. Das solle eigentlich genügen, um die Krise zu überstehen, hatte es noch vergangene Woche von Seiten Intels geheißen.

Sony, Ebay und Seagate gaben keine neuen Entlassungen bekannt. Die drei haben in den vergangenen Wochen und Monaten annähernd 20 000 Stellen gestrichen. Ebay und Seagate zogen Bilanz für das vierte Quartal. Ebay, weltweit größtes Online-Auktionshaus, schafft nicht den Umschwung. Zum zweiten Mal in der Firmengeschichte ging die Zahl der auf der Plattform gehandelten Güter zurück, dieses Mal um zwölf Prozent auf 11,5 Milliarden Dollar. Der Quartalsumsatz fiel um sieben Prozent auf zwei Milliarden Dollar, der Gewinn um 31 Prozent auf 367 Millionen Dollar. Der Ausblick war schlecht. Festplattenhersteller Seagate gab für das laufende Quartal sogar eine Umsatzwarnung bei Präsentation der aktuellen Bilanz. Sony erwartet für das aktuelle Geschäftsjahr, das noch bis Ende März geht, einen Verlust von 1,7 Milliarden Dollar - zuvor war mit einem Gewinn in dieser Höhe gerechnet worden. Die miesen Zahlen erhöhen den Druck auf Sony-Chef Howard Stringer.

Als Microsoft-Chef Steve Ballmer kürzlich auf der Messe CES eine Rede hielt, gab es schon Gerüchte über einen Stellenabbau. Am Donnerstag kündigte er nun die ersten Entlassungen der 34-jährigen Firmengeschichte an. Foto: Bloomberg

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Der Euro hat am Donnerstag zum Dollar leicht nachgegeben. Gegen 16 Uhr notierte die europäische Devise bei 1,2965 (Mittwoch: 1,3017) Dollar. Das Pfund Sterling setzte seine Talfahrt fort. Angesichts wachsender Befürchtungen vor einer ausgeprägten Rezession in Großbritannien und zunehmender Spekulationen auf eine weitere Leitzinssenkung fiel die britische Währung zum Dollar wieder unter 1,38 Dollar. Auch der Euro zog zum Pfund weiter an. Im Blickpunkt stand jedoch der japanische Yen, der vor allem zum Dollar deutlich zulegte. Händler machten unter anderem die höher als erwartet ausgefallene Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe in den USA für die Dollarschwäche verantwortlich.

Gold wurde teurer. In London kostete zum Nachmittagsfixing die Feinunze des Edelmetalls 860 (Mittwoch: 849,25) Dollar. SZ/Reuters/dpa

Devisen und Rohstoffe: Pfund setzt Talfahrt fort

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de