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Die Visionen der Künstler

Den Prado auf den Bildschirm holen: Was Google Earth heute möglich macht, gab es als Idee schon vor 80 Jahren

Über ein Google Earth Programm gelangt man auf diverse Bilder im Madrider Prado ("Lupenrein" - Google Earth holt Meisterwerke aus dem Prado ins Wohnzimmer, 14. Januar). Und diese sind so präzise dargestellt, dass es ein "lupenreiner Genuss" ist. Da nun alles seine Mütter und Väter hat, seine Traditionen und Vordenker, ist es nützlich, sich daran zu erinnern, wie Friedrich Kiesler (1890 - 1965), der schon früh nach USA emigrierte Allround-Künstler, sich 1929 - vor genau 80 Jahren also - an ein Manuskript machte, das 1930 veröffentlicht wurde. Unter dem Titel "Zeitgenössische Kunst, angewandt im Schaufenster und dessen Displays" beschreibt Kiesler sein New Yorker, 1929 eröffnetes Film-Guild-Cinema als plastisches Medium der Licht-Kunst (nicht nur der Filmprojektion), und imaginiert ein "Tele-Museum" mit fernübertragenen Bildern auch aus dem Prado folgendermaßen:

"Ebenso wie heute (das heißt 1929) Opern drahtlos übertragen werden, so wird dies mit Bildergalerien geschehen. Aus dem Louvre, aus dem Prado zu Ihnen, von überall zu Ihnen. Sie werden das Vorrecht genießen, jene Bilder auszuwählen, die zu Ihrer Stimmung passen oder die den Bedürfnissen irgendeiner bestimmten Situation entsprechen. Mit Hilfe der Wahlscheibe an Ihrem Teleset werden Sie zum Teilhaber an den größten Schätzen der Welt." Die Archive der Kunst sind voller Antizipationen. Wer Visionen hat, sollte also keineswegs zum Arzt gehen, wie das uninspirierte Diktum unseres Ex-Kanzlers Helmut Schmidt lautete, sondern diese festhalten. Manche künstlerische Vision wird spät, aber nicht zu spät eingelöst.

Prof. Dr. Jürgen Claus

München

Über den Unterschied

von Leistung und Energie

Grundsätzlich ist es angebracht, über den Stromverbrauch von Rechenzentren und folglich auch über Einsparpotentiale in diesen Bereichen nachzudenken ("Klimakiller Google", 13. Januar). Doch dann müssen auch die naturwissenschaftlich-technischen Überlegungen stimmen. Nur allzu oft, wie auch in vorliegendem Artikel, werden die physikalischen Größen Energie und Leistung verwechselt. 10,1 Terawattstunden ist die Energie, die jährlich zum Betrieb der Rechner aufgewendet wird. Ein mittelgroßes deutsches Kohlekraftwerk verfügt über eine Leistung von knapp zwei Gigawatt und erzeugt damit (ganz korrekt kann Energie nicht erzeugt, sondern nur umgewandelt werden) jährlich etwa zwölf Terawattstunden Strom. Folglich entspricht der "Stromverbrauch" der Rechenzentren in Deutschland nicht der Leistung von vier mittelgroßen Kohlekraftwerken, sondern der von einem. Gleichwohl sollte die gewaltige elektrische Gesamtleistung der Rechenzentren von über einem Gigawatt Anlass genug für den ansonsten durchaus aufschlussreichen Artikel sein.

Rüdiger Mrasek

Cuxhaven

Lächerliche

15 Gramm CO2

Zwei Suchanfragen bei Google setzen 15 Gramm CO2 frei. Nicht mehr? Klimaschonender geht es doch gar nicht. Wenn der Redakteur 20 Kilometer von seiner Wohnung in die Redaktion fahren, verbraucht er etwa 1,5 Liter Sprit und hat damit 3,7 Kilogramm CO2 produziert. Es sei denn, er führe aus Sorge ums Klima mit dem Rad. Doch wie viel CO2 setzt jede israelische Artilleriegranate frei? Oder wie viel der Aufklärungsflug eines deutschen Tornados in Afghanistan? Gemessen an dem überflüssigen Militär dieser Welt mit einem gigantischen CO2-Rucksack, den kein Journalist in Frage stellt, kann sich unser Weltklima sicher viele Google-Suchmaschinen leisten. Ich bin für Googeln statt Bomben.

Emmo Frey

Dachau

Integrativer Unterricht

ist nicht immer besser

Der gemeinsame Unterricht für alle Kinder ("Behinderte Schüler schlecht integriert", 13. Januar) ist sicher ein sehr positives und anzustrebendes Ziel. Als Pastorin für Schwerhörigenseelsorge befürchte ich dennoch, dass die Grünen mit der Forderung nach Abschaffung der Förderschulen das Kind mit dem Bade ausschütten. Denn beispielsweise für hörgeschädigte Kinder würde eine Schließung des Förderbereiches Hören bedeuten, dass sie von Lehrern unterrichtet werden, die nicht im Umgang mit ihrer Behinderung ausgebildet sind. Der bei integrativer Beschulung notwendige Förderunterricht wird nicht in der unerlässlichen Stundenzahl gegeben, da die Zahl der Förderlehrerinnen und -lehrer mit dem entsprechenden Spezialwissen zu gering ist. Die Klassenstärken sind in den Regelschulen zudem größer als in den Förderschulen.

Eine individuelle Betreuung der hörgeschädigten Kinder ist nicht in dem Maße möglich wie in den Förderschulen. Weiterhin sind in Regelschulen die zwingend erforderlichen technischen Hilfen nicht vorhanden. Nicht zuletzt sind Klassenräume in Förderschulen "Hören" oft zur Verringerung des Lärmaufkommens schallgedämpft. Eine Besserung all dieser Nachteile ist wegen der hohen Kosten auf lange Sicht nicht erreichbar. Hier wird nach meiner Einschätzung aus Kostengründen mit einer Schein-Integration argumentiert, die in Wahrheit hörgeschädigte und insbesondere stark schwerhörige Kinder noch mehr als heute benachteiligt.

Cornelia Kühne

Hannover

Wenn Schwerhörige

zur Kasse gebeten werden

Das Informationsfreiheitsgesetz enthält Ausnahmen, die dazu führen, dass unberechtigt Informationen verweigert werden ("Bürger als lästige Fragensteller", 31.Dezember). Dies führt sicher nicht selten zu Nachteilen von Bürgern, die diese Informationen zur Durchsetzung ihrer Interessen benötigen. Schwerhörige Menschen mit Hörgeräten und deren Interessenvertreter, der Deutsche Schwerhörigenbund (DSB), sind ebenfalls Opfer eines solchen Missbrauchs des Informationsfreiheitsgesetzes. Im Jahre 2004 haben die Spitzenverbände der Krankenkassen einen einheitlichen Festbetrag in Höhe von 421,28 Euro für ein Hörgerät festgelegt, ungeachtet der Schwere der Hörschädigung und des Umfanges der notwendigen Hörgeräteversorgung. Für das zweite Hörgerät wurde ein sachlich unbegründeter, nicht nachvollziehbarer Abschlag von 20 Prozent festgelegt.

Festbeträge sollen nach dem Gesetz eine ausreichende, zweckmäßige, wirtschaftliche und in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten. Der Festbetrag von 421,28 Euro deckt jedoch nur einen Bruchteil der tatsächlichen Kosten, den überwiegenden Kostenanteil - laut einer Erhebung des DSB im Durchschnitt etwa 1600 Euro pro hörgeschädigtem Patient - hat der Versicherte selbst zu tragen. Hörgeräteträger werden wie kaum eine andere Behindertengruppe zur Kasse gebeten!

Der DSB versucht daher seit langem zu erfahren, auf welche Weise dieser völlig unzureichende Festbetrag ermittelt worden ist. Das wird blockiert mit Hinweis auf die Ausnahmeregelungen im Informationsfreiheitsgesetz. Angeblich seien Geschäftsgeheimnisse berührt, wird behauptet. Dabei könnten alle bestimmten Betrieben eventuell zuordnungsfähigen Dateien problemfrei anonymisiert werden. Auf diese Weise wird Transparenz vermieden und eine Überprüfung des Festbetrages vereitelt.

Rolf Erdmann

Hannover

Jedes Opfer ist eines zu viel

- auch in Gaza

Auch wenn für die jüdischen Gemeinden Israel als Lebensversicherung gilt und deshalb Kritik an der Politik Israels an dieser Versicherung rührt, wie Matthias Drobinski anführt ("Ein Verhältnis voller Komplikationen", 10. Januar), ist es schwer hinnehmbar, wenn nach den schrecklichen Ereignissen im Gaza-Streifen die Solidarität mit den unter den mörderischen Bombenterror geschundenen Menschen in den Verdacht gerät, als antisemitisch diskriminiert zu werden. Wie anders sollte der Aufruf des Zentralrates der Juden in Deutschland als Antwort auf die weltweite Empörung über das entsetzliche Gemetzel zu interpretieren sein? Als Rechtfertigung der militärischen Führung Israels kann er kein Beitrag zur Lösung des Konfliktes sein, der ja nicht erst seit der Hamas das Nah-Ost-Szenarium bestimmt. Es sollte - bei aller Ursachenforschung - nicht verdrängt werden, dass Hunger und Verzweiflung, gnadenlose Erniedrigung von Menschen sich zu einem explosiven Sprengstoff verdichten können.

Im Übrigen muss nicht stereotyp wiederholt werden, dass die Solidarität mit dem Staat Israel Teil der deutschen Staatsräson ist. Aber seit dem Ende der Naziherrschaft gilt in unserem Land auch der moralische Imperativ, aufzubegehren, wenn Unrecht geschieht. Denn auch durch Schweigen kann man schuldig werden, wie wir aus unserer tragischen Geschichte gelernt haben sollten. Es ist Zeit, sich zu Wort zu melden, wenn selbst UN-Resolutionen skrupellos missachtet werden. In Fragen der Menschenrechte sollte es keine Tabus geben! Die Lebensbedingungen im Gaza-Streifen, die Drangsalierung der dort Eingeschlossenen mit der Hilflosigkeit in einem Konzentrationslager zu vergleichen, wie es der Präsident des Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden, Kurienkardinal Renato Martino, getan hat, lässt sich nicht - wie geschehen - mit Hamas-Propaganda gleichsetzen. Schließlich heißt es auch in dem Aufruf des Zentralrates der Juden, dass jedes Menschenleben zählt, jedes Opfer eines zu viel ist. Dann sollte auch beherzigt werden, dass Krieg und Hass kein Problem löst.

Dr. Hermann Beck

95028 Hof

Liebling

Israel

Typisch deutsch. Da tritt der sattsam bekannte Oberlehrer zutage, allenfalls durch historisch bedingte Beißhemmungen irritiert, wie Matthias Drobinski in einer ziemlich mutigen Selbstanalyse offenbart hat (möchte er von der Androhung des Liebesentzuges zügig zur körperlichen Züchtigung übergehen?). Gegenüber dem selbsterklärten Liebling Israel ist der moralische Oberstudienrat D. schon aus pädagogischer Sicht gern besonders streng. Den US-Amerikanern gestanden wir nach dem 11. September 2001 grundsätzlich durchaus noch so etwas wie ein Recht auf Reaktion zu. Bei Israel fordert der Mainstream gleich gerne kategorisch das katholische Prinzip der totalen Vergebung: von wegen die andere Wange hinhalten und so. Noch besser wäre natürlich Selbstgeißelung! Militärs moderner Prägung, gleich welcher Religion oder Nation, lassen sich bei einem Waffengang ungern in die Karten schauen. Bestenfalls Propaganda bekommen Journalisten in einem Krieg (der also bedauernswerter Weise nicht das ideale Feld für Glasnost, Perestroika oder demokratische Transparenz ist!) zu sehen. Eigentlich Binsen. Nur bedingt glaubhaft ist daher jetzt die beleidigte Überraschung, dass hier eine ganz normale Armee zu Werke geht und keine Herz-Jesu-Bruderschaft .

Frederik Birghan

Ottobrunn

Adenauer

sei Dank

Die Nähe zu Israel sei deutsche Staatsraison, schreibt der Autor - dem ist zuzustimmen und auch den Begründungen. Konrad Adenauer, der dieses Fundament deutscher Außenpolitik eher subversiv und gegen viele seiner Wähler und andere Bürger in der postfaschistischen Bundesrepublik durchgesetzt hat, muss man dafür noch heute öffentlich rühmen.

Heinz Klunker

Berlin

Auch Mexiko

gehört zu Amerika

"In einem mexikanischen Dorf können Touristen für 14 Euro die Flucht nach Amerika durchspielen" heißt es in dem interessanten Bericht "An der Grenze" (12. Januar). Das wäre wie hierzulande aus einem deutschen Nest "nach Europa" abzuwandern. Jeder Ort Mexikos ist Teil von Amerika. Die ständige Identifizierung der USA, gegen die ich keine Ressentiments hege, mit dem gesamten Kontinent oder gar Doppel-Kontinent ist eine sprachliche Sünde zugunsten der ohnehin vorhandenen Dominanz

Hans-Ulrich Knies

Unna

Wie viel Strom benötigt eine Anfrage mit der Internet-Suchmaschine Google? Das ist schwierig abzuschätzen. Foto: Reuters

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BLOGS zur Inauguration

Am morgigen Dienstag ist es soweit: Aus dem President-elect wird der 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Bevor Barack Obama feierlich auf die Lincoln-Bibel schwört und seine Antrittsrede hält, rollen ihm Blogger einen virtuellen roten Teppich aus.

Wenn die Obamas probehalber schon einmal den Weg beschreiten wollten, den sie bei der Parade am morgigen I-Day nehmen werden, sollten sie sich warm anziehen, empfiehlt Herndon Davis. Und der muss es wissen. Davis schreibt unter www.herndondavis.com ein tägliches Blog, das Obama-Anbeter wie ihn auf dem langen Weg zum großen Tag begleiten soll. Dazu recherchiert er selbst an vorderster Front, bei eisiger Kälte. "Die Obamas sollten mindestens drei bis vier Schichten Kleider übereinander tragen oder gute Thermo-Unterwäsche", empfiehlt Davis. Besorgt ist er aber nicht nur um Barack Obamas Gesundheit: "Immer noch bin ich wie in Trance aufgrund des Wahlergebnisses. Ein Farbiger als Präsident? Wer hätte das je für möglich gehalten?" Aber: "Meine Freude ist jetzt ein wenig getrübt, wenn ich bedenke, vor welch großen Herausforderungen der President-elect steht."

Schier überwältigt von ihren Gefühlen ist die 19-jährige Hannah Gladstone aus Sacramento, die am Dienstag in Washington D.C. dabei sein wird, wenn aus Barack Obama der 44. Präsident der Vereinigten Staaten wird. "Ich habe wirklich geträumt vom Inaugurations-Tag. ... Dieser Tag wird zweifellos nie vergessen sein und ein Teil der Menschheitsgeschichte werden, solange wir leben", schreibt sie als Gast-Bloggerin des Houston Chronicle (blogs.chron.com). Gladstone zieht gar Parallelen zum Allerhöchsten: zu jenem Helden, der das unaussprechlich Böse bereits besiegt und die Welt gerettet hat. "Obamas Inauguration ist keine Harry-Potter-Magie, sie ist ein Traum."

Ist die anstrengende Inaugurations-Zeremonie überstanden, darf gefeiert werden - wenngleich der Präsident selbst wenig Muße haben wird, die Festivitäten zu seinen Ehren angemessen zu würdigen. Kenny Yum schreibt im Blog der National Post (network.nationalpost.com/np/blogs) über den Feier-Marathon, der Barack Obama bevorsteht: "Präsident Obama ist Gastgeber eines Jugend-Inaugurations-Balls, zugleich von fünf Regional-Inaugurations-Bällen und einem Ball für seine Heimatstaaten Illinois und Hawaii. ... Diese Bälle runden die Liste offizieller Bälle ab, die am 20. Januar stattfinden werden, neben dem Nachbarschafts-Inaugurationsball ist das zudem der Commander in Chief´s Ball. Der Präsident und sein Vize werden auf jedem der zehn Bälle erscheinen."

So eine Inaugurations-Feier ist teuer, kostet Kraft - und setzt nicht nur Emotionen, sondern auch Unmengen CO2 frei. Warner Tedd Huston listet in seinem Blog (newsbusters.org/blogs/warner-todd-huston) die neuesten Klimakiller-Zahlen auf: Sage und schreibe 230 Millionen Kilogramm CO2 entstehen nach Berechnungen des Institute for Liberty. "Es ist nicht leicht, grün zu sein, und in Bezug auf Obamas Inaugurationsfeierlichkeiten scheint es, als versuche er noch nicht einmal, es ein wenig zu begrünen", spielt Huston auf eine melancholische Ballade an.

Nicht grün, sondern schwarz ist für viele die Farbe des Tages. So auch für DJ Mick Boogie, der bei Popwatch (popwatch.ew.com) eine spezielle ObamaPlayliste erstellt hat. Ausschließlich schwarze Musiker singen dort zu dessen Ehren. Die Musik soll die Aufgaben umreißen, vor denen Obama steht. Erster Song: "The O´Jays, "For the love of money": Die Finanzkrise ist eine der größten Herausforderungen, vor denen das Land steht, und dieser Song ist definitiv ein guter Auftakt für eine Party", schreibt der DJ. Am Ende singt Jay-Z, "Politics as usual".

Zusammengestellt von Katja Riedel

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Amerikas neuer Präsident Barack Obama bei seiner bevorstehenden Amtseinführung. Mit Innen- und Außenpolitik sowie der Wirtschafts- und Finanzkrise warten große Aufgaben auf ihn. Illustration: Kevin Kallaugher

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Neu auf DVD

Let's get lost

Klicks "Bübchen", Georg Tressler, Sophie Marceau im Widerstand

So sah sie aus, die vaterlose Gesellschaft der Sechziger - "Bübchen", 1967, von Roland Klick. Sein erster Film, produziert von Rob Houwer, konzipiert auf der Bahnfahrt zurück von Rom, wo er Fellini assistiert hatte. Eine Zeitungsmeldung gab den Impuls - ein Junge, der sein Schwesterchen getötet hat. Im Film erlebt man das als ein ungerührtes Sterbenlassen, Plastiktüte überm Kopf. Mit einem Wägelchen fährt der Junge die Leiche zu einem Schrottplatz und versteckt sie im Kofferraum eines Autowracks.

Der Schock der unerhörten Begebenheit wird aufgesogen von der Tristesse der Stadt Hamburg. Die Totalen sind so gnadenlos genau, dass nirgends ein Freiraum bleibt. Die Häuser haben keine Seele, man wechselt ziellos von Zimmer zu Zimmer. Die Männer sind zu laut und die Mädchen reichen nicht an ihr Vorbild Anna Karina heran. An Stelle eines richtigen Vaters gibt es Sieghardt Rupp, der ganz groß ist in diesem Film. Sieht aus, als wär er niemals jung gewesen, müde und zerfurcht das Gesicht, undurchschaubar. Steht in der Diele, sinniert, streicht mit der Hand über den Nacken - und steigt dann eine Treppe hoch, dass es einen gruselt wie bei Anthony Perkins in "Psycho". Der Film sucht nicht nach Motiven und Erklärungen. Rupp ahnt schnell, was passiert ist, hilft dann, die Leiche endgültig verschwinden zu lassen. Bleibt auf der Seite des Jungen. Einmal geht er mit ihm in die Kneipe ums Eck, stellt ganz selbstverständlich auch ein Bier vor ihn hin. Hast du mal einen Clown gesehen, fragt er, als sie wieder nach Hause gehen. Oder einen Seiltänzer? Einen Pinguin? Einen Seelöwen? Er macht das alles lustig nach, und die Straße ist so schwarz, dass sie die zwei fast verschluckt. Mit einem Schraubenzieher bastelt er mal an seiner Trompete rum, er ist ganz gelöst in seiner Konzentration, erinnert an Chet Baker.

Ein Sittenbild vom Anfang der Sechziger: "Geständnis einer Sechzehnjährigen", 1960. Mit diesem Film endet Georg Tresslers kurze Zeit im deutschen Kino, wo er drei gewaltige Filme schuf, "Die Halbstarken", "Endstation Liebe", "Das Totenschiff". Das "Geständnis" ist inszeniert wie ein Abgesang auf die Widersetzlichkeit der Fünfziger, nun dominiert die Kolportage, der Illustriertenroman. Kinder versuchen die Ehe der Eltern zu retten, sie meinen wirklich, sie wüssten, was sie tun, und das endet mit Mord. Darauf wurde Tressler von Disney geholt, um einen Beethoven-Film zu drehen mit Karlheinz Böhm. Aber Hollywood war ihm zu kalt. "Hollywood ist eine furchtbare Bretterbude, eine Schrebergartenkolonie. Mir ist dort klar geworden, dass ich Europäer bin", sagte Tressler, der 2007 starb, in einem Interview, das in der Filmzeitschrift 24 gedruckt ist.

Kinder im Grenzland, in "Zeit der trunkenen Pferde". Bahman Ghobadis unvergesslicher Film vom Überleben an der Grenzezwischen Iran und dem Irak. Schnee und Kälte schaffen hier eine Klarheit und ein Licht, in dem keine überflüssige Sentimentalität möglich ist. Die Natur ist hart, aber nicht grausam, grausam sind die gesellschaftlichen Verhältnisse - das Land ist mit Tretminen durchsetzt, die Mutter ist tot, der Vater fort. Ein Leben führen die Kinder, das allein für die Sorge um den täglichen Bedarf an Nahrung, Holz, Wärme, Gefühle drauf geht - ohne Gedanken zum Zustand und zur Zukunft der Welt und ihrer Gerechtigkeit, ohne Utopie. Ein auf den Kopf gestelltes Neverland, das aber voller magischer Momente ist. Die wahre Utopie ist immer nur das Leben heute, der einzelne Tag.

Frauen im Widerstand, im besetzten Frankreich, "Female Agents", von Jean-Paul Salomé, der gern französische Mythen filmt, von Arsène Lupin bis Belphegor. Als die Nazis einen englischen Geologen schnappen, der sich am Strand der Normandie rumtreibt, werden fünf französische Mädchen aus London losgeschickt, um den Mann zu befreien und das Geheimnis der Invasion zu bewahren. Sie agieren glamourös, aber dilettantisch, es gibt Mord und Totschlag und Folter. Die einzige Professionelle ist Sophie Marceau, eine Scharfschützin. Ein Thriller, der sich danach sehnt, Melodram zu werden, im Terror den amour fou aufleben zu lassen. Moritz Bleibtreu macht bonne figure als SS-Mann.

In memoriam Patrick McGoohan, der vor einigen Tagen starb - sein "Prisoner" ist auf DVD zu haben. Die Episode "Free for All" passt gut zum Super-Wahlzirkus hierzulande und zum Inaugurationsspektakel um Obama. Nummer 6 macht Wahlkampf, kandidiert für den Posten von Nummer 2, very surreal, indeed. Richtig heimelig dagegen dann Ende der Woche Oliver Stones "W.", im Fernsehen, Pro 7, und auf DVD. FRITZ GÖTTLER

Bübchen, Filmgalerie 451. Geständnis einer Sechzehnjährigen, Kinowelt. Zeit der trunkenen Pferde, Kool/Good movies! Female Agents, Koch Media. The Prisoner/Nummer 6, Koch Media.

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Lichtungen im Wald des Klangs

Das Münchner Rosamunde-Quartett initiiert eine neue Konzertreihe

Sogar ein Krater auf dem Planeten Merkur ist nach ihm benannt. Der 1722 in Tiflis geborene König des Gesangs, auf armenisch "Sayat Nova", ist ein Fixpunkt der beiden Eröffnungsveranstaltungen einer neuen musikalischen Reihe, in der Filmkunst und absolute, reine Musik zu einem neuen Verständnis beider Gattungen führen soll oder doch zu einem neuen Erleben altbekannter Kommunikations- und Kunstformen. Dazu wird jedes Konzert ergänzt durch einen Filmabend, im ersten Fall mit dem Film "Sayat Nova - die Farbe des Granatapfels", einer Art fiktiver Dokumentation über den armenischen Dichterkönig.

Das Münchner Rosamunde-Quartett hat sich für diese Aufgabe quasi mental neu formiert, hat in der vom Krieg verschonten historischen Aula der Kunstakademie eine eigene Konzertreihe aus dem Boden gestampft, wie sie andere Quartette in ihren Heimatstädten längst besitzen, hat sich in Sachen Marketing fachkundig beraten lassen und schaffte es, die Kulturstiftung des Bundes, das Bayerische Kultusministerium, die Stadt München, die Bayerische Akademie der Bildenden Künste, den Klassik-Sender Bayern-4, das Plattenlabel ECM sowie die Marketingfirma Metrum als Sponsoren für dieses Projekt auf seine Seite zu ziehen. Allein dies ist ein beachtlicher Erfolg für ein bis dato zwar bekanntes, aber nicht unbedingt weltberühmtes Streichquartett. Sollte es in den Kulturinstitutionen plötzlich Verständnis und Begeisterung für Kammermusik vom Himmel geregnet haben? Anja Lechner, derzeit federführende Cellistin des Rosamunde-Quartetts und aufgrund ihrer umfassenden musikalischen Aktivitäten in München selbst schon eine kleine Institution, möchte zumindest teilweise daran glauben. Denn dass in jedem der geplanten Konzerte mindestens ein Quartett von Haydn aufgeführt werde, falle eher zufällig mit dem Jubiläumsjahr zusammen.

Die übrigen Komponisten, zum Teil dem Quartett sehr vertraute wie der armenische Komponist Tigran Mansurian oder Boris Yoffe, stehen für einen ganz bestimmten Typus der gemäßigten Moderne, der nach wie vor ein relativ breites Publikum anspricht. Vor allem natürlich, weil allzu schroffe Dissonanzorgien vermieden werden und weil relativ einfach strukturierte, oft auch zeitlich überschaubare Gestaltungsmodelle vorherrschen. Bei Mansurian sind das in letzter Zeit vor allem kaum zehntaktige Kompositionseinheiten, den japanischen Haikus vergleichbar, in denen der Spieler einerseits enorme Freiheit der musikalischen Ausformulierung genießt, andererseits den Noten strengstens unterworfen ist. "So wie ich Mansurian erlebe", sagt Anja Lechner, "schreibt er langsam und sehr sorgfältig. Er nimmt sich die Zeit, zwei bis drei Jahre an einem Stück zu arbeiten. Ich denke, dass jemand, der sich die Töne so abringt, der Gattung des Streichquartetts enormen Respekt entgegenbringt. Mansurian selbst ist da sehr vorsichtig. Wenn er in Bildern spricht, dann oft in ganz einfachen Bildern. Das mag damit zusammenhängen, dass er nicht in seiner eigenen Sprache mit uns sprechen kann. Ich glaube, er überlässt es dem Spieler oder dem Hörer, welche Assoziationen sich einstellen. Aber er würde es selber nicht deuten."

Die ruhige, meditative Gestik der Mansurianschen Quartettkompositionen drängt auch nicht unbedingt nach Deutung und Verbalisierung. Es sind eher inspirierte Zustände, kleine Lichtungen inmitten unseres alltäglichen Klangdschungels, die zur Besinnung einladen und, wenn es hilft, auch zur Besinnlichkeit. Das Ambiente der historischen Aula der Kunstakademie dürfte ein übriges tun, um sich leichten Herzens in diese Musik zu versenken. HELMUT MAURÓ

"Aus dem Quartettbuch I": Freitag, 23. Januar, 19 Uhr in der Historischen Aula der Akademie der Bildenden Künste. "Sayat Nova - die Farbe des Granatapfels": Sonntag, 25. Januar, 11 Uhr im City Kino.

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Die Shakespeare-Slideshow

Stefan Pucher verlegt an den Münchner Kammerspielen die Justizkomödie "Maß für Maß" in die Fetischszene

Ein feines Netzmuster überzieht den Eisernen Vorhang in den Münchner Kammerspielen - es sieht aus wie gesplittertes Glas. Später schneiden geometrische Flächen von den Flanken in die Bühne hinein, spitze Glasscherben, die sich genauso wenig zu einem Ganzen fügen wie Stefan Puchers Inszenierung von Shakespeares "Maß für Maß".

Zweidimensional wie das Bühnenbild bleiben die Figuren, und das nicht nur, weil sie fast immer parallel zum Publikum aufgestellt sind. Jedes Bild wirkt wie geronnen, als seien die Darsteller in einer endgültigen Pose erstarrt. Der entscheidende Moment ihrer Geschichte soll festgehalten werden. Und man meint förmlich das Blitzlicht zu sehen, das ihr Bild in die Ewigkeit einbrennt.

Alle Inszenierungen von Stefan Pucher speisen sich aus der Trauer der Vollendung. Die Augen brennen, der Blick ist müde, denn man hat schon zu viel gesehen, um sich noch wundern zu können. Da ist nur noch das aschige Gefühl, das aufsteigt, wenn sich überall das wiederkehrende Muster zeigt. So kommen die Figuren auf die Bühne. Sie haben ihre Unschuld verloren, denn sie wissen, dass sie durchschaut worden sind. Schuldbewusst kehren sie zurück in ihr Drama wie an den Ort eines Verbrechens und schlüpfen in die Kreidemarkierungen am Tatort.

Noch einmal stellen sie ihr Leben nach, aber es ist nur zur Dokumentation. Die Leidenschaften, die sie trieben, können sie nicht wieder entflammen; das Wissen darum, wie ihre Sache ausgeht, hat alle Gefühle erstickt. Pucher nimmt sich Theaterstücke vor wie Prozessakten aus dem Archiv, und was wir sehen, sind kalte Wiederaufnahmeverfahren, die der Regisseur im Kopf durchspielt.

In der vergangenen Spielzeit, als Pucher hier an den Kammerspielen Shakespeares "Sturm" inszeniert hat, ging das wundersam auf. Die Aufführung war ein rauschhafter Fiebertrip und ein bunt getarnter Klagegesang auf die entzauberte Welt. Nun versucht er, mit demselben Team - Barbara Ehnes für die Bühne, Chris Kondek für die Videos - und derselben Pop-Ästhetik daran anzuknüpfen, und man weiß nicht: Ist er nicht weit genug gekommen, oder ist er vielleicht schon zu weit über das Stück hinaus? So oder so lässt einen das Geschehen kalt, als wären wir von ihm durch eine Glasscheibe getrennt.

Vor dieser unsichtbaren Wand, auf unserer Seite, befindet sich nur der Herzog Vincentio. Er kommentiert gewissermaßen einen animierten Diavortrag und knipst uns von Bild zu Bild. Was wir sehen, sind kompromittierende Schnappschüsse aus dem Bordell, Paparazzi-Aufnahmen, wie man sie nur macht, um jemanden damit zu erpressen. Shakespeares Vienna kann man hier getrost mit Gomorrha übersetzen. Vincentio, bei Thomas Schmauser ein ausgebranntes Houellebecqsches Nachtwesen, hat die Stadt verlassen, und im Video sieht man warum: Zu viele Sex-Partys. Lustsklavinnen und honorige Herren in Latex und Leder lassen in einem Fetisch-Club die Korken knallen. Vincentio braucht eine kreative Pause und setzt als Stellvertreter den Tugendterroristen Angelo ein, der mit per Gesetz gegen die allgemeine Zuchtlosigkeit vorgeht und jeden hinrichten lässt, der sich nicht beugt.

Zum Tode verurteilt wird auch Claudio, der seine Verlobte vor der Hochzeit geschwängert hat. Splitternackt wird er an einer langen Kette abgeführt. Die Kette ist an einem Hundehalsband befestigt, und jedes Mal, wenn der bucklige Kerkermeister daran zieht, erschauert Lasse Myhrs Claudio vor Lust. Neben ihm skandiert eine schwarze Domina die Worte "Liberté, Egalité, Fraternité, Justice"; es geht offenkundig nicht in den Kerker, sondern in den SM-Keller.

Dort ist Claudio in einem babyblauen Gummistrampler auf eine Arztliege geschnallt. Seine Schwester Isabella stellt die Folterbank senkrecht oder dreht sie wie ein Karussell im Kreis. Endlich kann sie den Bruder ein bisschen quälen, den sie zuvor lüstern betatschte. Denn Claudio ist das obskure Objekt ihrer Inzestbegierde. Und sie war selbst schon das Opfer auf ebendieser Liege. Angelo ließ sie per Fernsteuerung aus dem Boden hochfahren, als Isabella bei ihm um Gnade flehte für ihren Bruder.

Bummeln auf der Porno-Messe

Brigitte Hobmeier spielt sie, mit ondulierter Hochsteckfrisur und im strengem Kostüm zu Lackleder-Stilettos, als kühle, Porzellan-Teint und Bondage-Mieder gewordene Domina-Phantasie. Wenn sie ihre Hände vor ihren Schoß hält, weiß man nicht, ob es ist, um sich zu schützen oder um das Ziel einzukreisen, und wenn sie zittert und nach Atem ringt, bleibt offen, ob sie damit Empörung zum Ausdruck bringt oder Erregung. Das Leben ihres Bruders kann sie nur retten, indem sie Angelo sexuell zu Willen ist. Er verlangt, dass sie mit ihm schläft, dann will er Claudio verschonen.

Bei Christoph Luser ahnt man vom ersten Moment an, dass dieser falsche Moralapostel mit den Razzien im Rotlichtmilieu nur seine Bestrafungsphantasien auslebt. Ein bisschen erinnert die lange Haarsträhne, die ihm ins Gesicht fällt, an Blixa Bargeld, und mit seinen Schaftstiefeln zum Nadelstreifenanzug, dem engen Fledermaus-Capé und seinem perversen Dauergrinsen lässt Luser keinen Zweifel aufkommen, dass er in Isabelle die ideale Partnerin für seine sadomasochistischen Spiele gefunden hat. Das ist zwar auch bei Shakespeare nicht viel anders, doch im Stück zeigt sich erst nach und nach, dass das Verhalten in dieser ruchlosen Justizkomödie einzig und allein von den sexuellen Vorlieben bestimmt wird; bei Pucher ist das sofort klar, und seine Bilder sind so explizit, dass man bald das Interesse verliert.

Der Herzog zum Beispiel ist ein Spanner. Als Mönch verkleidet, schleicht er sich in die Stadt zurück, statt einer Kutte trägt er einen pailettenbesetzten Kapuzenpullover. Um Angelo zu überführen, fädelt er eine Intrige ein, und läuft als Moderator der großen Schluss-Sause, in der - Maß für Maß - jeder seiner gerechten Strafe zugeführt wird, zu Show-Form auf: "So, Freunde, jetzt wird die Luft dünn", sagt er in Jens Roselts freier Übersetzung, die vor allem frei ist von Kunst. Und gibt sich als Sadist zu erkennen, wenn er Angelo mit einer Hundepfeife ("Mach Platz!") zwingt, seine Marianna von hinten zu bespringen.

Wie dressiert wirken alle im unterforderten Ensemble, von denen die meisten nur Chargenrollen apportieren. Über das vordergründige Konzept kann das perfekte Artwork nicht hinwegtäuschen (die hinreißenden Kostüme sind von Annabella Witt). Der aufgemotzte Abend fördert nicht mehr Erkenntnisse über menschliche Abgründe zutage als jeder Bummel über eine Porno-Messe. Fasching steht ja vor der Tür, und da trägt man die Sexualmoral wieder etwas lockerer unterm Kostüm. CHRISTOPHER SCHMIDT

Er sagt: Quäl mich! Und sie schüttelt den Kopf. Brigitte Hobmeier als Isabella und Christoph Lusers Angelo sind Qualverwandte. Foto: Hilda Lobinger

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Wir entschuldigen uns!

Aus der Vogelschau wirkt das Land freier: Zwei Jahre nach der Ermordung des Journalisten Hrant Dink gibt es in der Türkei Debatten, die damals undenkbar waren

Es gebe Tage, heißt es in der Istanbuler Zeitung Radikal über den heutigen Montag, "da schnürt es einem den Atem ab und das Herz beginnt zu brennen." Heute, am 19. Januar, ist es genau zwei Jahre her, dass Hrant Dink erschossen wurde. Hrant Dink, der Istanbuler Journalist armenischer Abstammung. War er Türke, war er Armenier? "Er war", schreibt sein Freund Cengiz Candar, "der Einzige seiner Art". Einer ohne Scheu, ohne Tabus. Ein Vermittler. Seine Mörder - eine Bande von Ultranationalisten - hatten ihn wohl ausgesucht, gerade weil er einzigartig war: ein Grenzgänger, der alte Gewissheiten ins Schwanken brachte.

Man darf annehmen, dass auch Hrant Dink staunen würde über das, was seither passiert ist. Allerhand ist mittlerweile am Schwanken. Bloß, in welche Richtung er am Ende stürzt, der Turm der alten Gewissheiten, und wo die Brocken überall einschlagen, das ist noch nicht ausgemacht. "Das Verhältnis zwischen Türken und Armeniern rührt an die Fundamente der Türkei", sagt die Autorin Ece Temelkuran, "jeder, der daran rührt, setzt sich der Gefahr aus." Temelkuran, die die Türken ein "Volk ohne Erinnerung" nennt, hat sich selbst aufgemacht, die Armenier kennenzulernen und darüber ein Buch geschrieben. Ein Buch, zu dem Hrant Dink sie ermuntert hatte. Und dass dieses Buch zum Bestseller wurde, darf man auch als Zeichen nehmen.

Es gab natürlich - dies ist die Türkei -, in den letzten zwei Jahren genug Stoff, sensiblere Naturen einmal mehr in Fassungslosigkeit und Verzweiflung zu treiben: Die Polizisten, die den Mörder nach seiner Festnahme feierten. Die Enthüllungen, wonach hohe Beamte lange vor dem Attentat über die Anschlagspläne Bescheid wussten. Der quälend schleppende Fortgang des Prozesses gegen den Mörder und seine Hintermänner. Die Morddrohungen und rassistischen Emails, die bei Hrant Dinks Zeitung Agos bis heute eingehen. Jene Sendung im Staatssender TRT, bei der ein rechtsradikaler Politiker - selbst verdächtig der Organisation eines Massakers an Alewiten in Maras vor 30 Jahren - Hrant Dink als Drahtzieher ebendieses Massakers "entlarven" durfte.

Es gab aber auch Dinge, von denen vor zwei Jahren noch keiner zu träumen gewagt hätte. Etwa die überraschende Reise von Staatspräsident Abdullah Gül nach Armenien. Vor allem aber jene Kampagne, ins Leben gerufen von vier Freunden Hrant Dinks, unterschrieben von mittlerweile fast 30 000 Türken, die den Titel trägt "Özür diliyoruz" - Wir entschuldigen uns. Türken, die sich öffentlich entschuldigen bei den Armeniern für die Massaker von 1915, für "Ungerechtigkeit" und "Schmerz", das hat es nie zuvor gegeben. "Was ich mein Leben lang zu sehen wünschte", schrieb Dink-Freund Cengiz Candar, "das habe ich nun gesehen."

Natürlich gab es empörte pensionierte Diplomaten, die die Unterzeichner "Verräter" schimpften; und der Staatsanwalt in Ankara lässt ermitteln gegen die Initiatoren wegen "Verunglimpfung der türkischen Nation". So etwas sind vorhersehbare Reflexe. Für Aufsehen sorgte die Oppositionsabgeordnete Canan Aritman, die Staatspräsident Gül dafür an den Pranger stellte, dass er sich zu armenierfreundlich geäußert habe. Sie griff zur schlimmsten Beschimpfung: Gül, behauptete sie, habe eine armenische Mutter. Als Gül daraufhin für seinen "muslimisch-türkischen" Stammbaum garantierte, forderte sie einen DNA-Test. Das ging dann sogar ihrem Parteichef Deniz Baykal zu weit. "Unverschämt" nannte er seine Parteifreundin. Und wenn man auch die Hände ringen kann über ein Land, in dem nicht immer klar ist, ob die Unverschämtheit nun darin besteht, die rassistischen Instinkte zu bedienen oder aber darin, einen Türken Armenier zu heißen, so darf man doch hoffen. Es passiert etwas in der Türkei. Aus der Vogelschau, schrieb die Zeitung Milliyet anlässlich der Armenier-Debatte, sehe das Land heute freier aus denn je: "Selbst die heikelsten Themen können heute diskutiert werden."

Hrant Dink schrieb einst, er fühle sich wie eine Taube, die ihren Kopf ständig nervös in alle Richtungen wende. Aber, endete sein Artikel: "Ich weiß, dass die Menschen in diesem Lande Tauben nichts zuleide tun." Am Wochenende ließen Bürger in der Stadt Eskisehir Tauben in die Luft steigen. Hrant Dink zum Gedenken. KAI STRITTMATTER

"Wir sind alle Hrant Dink, wir sind alle Armenier": Demonstranten 2007 AFP

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Hinab in die Hölle, dem Neuen zu!

Über die Kunst, dem Maßlosen eine Form zu geben: Vor zweihundert Jahren, am 19. Januar 1809, wurde in Boston Edgar Allan Poe geboren

Wer das berühmte Foto-Porträt Edgar Allan Poes betrachtet, das in seinem letzten Lebensjahr entstand, der wird nicht schlau daraus. Es stammt aus einer Zeit, die noch keine Schnappschüsse kannte. Wer abgelichtet sein wollte, musste sich zusammennehmen, fast als würde er gemalt. Unmöglich, dass damals der Zufall knipste. Umso beunruhigender ist, was wir sehen. Dieser Mann blickt uns nicht entgegen, sein Blick rollt ins Unbestimmte nach oben, die Augäpfel zeigen bestürzend viel Weiß. Und es steckt in der Intensität seines Ausdrucks unberechenbar noch etwas Anderes, eine Pein, die sich von der Harlekinade nicht sicher scheiden lässt. Man braucht lang, bis man begriffen hat, wie asymmetrisch dieses Gesicht ist, dass es je nachdem, welche Hälfte man abdeckt, eine völlig andere Persönlichkeit zeigt. Seine linke Hälfte könnte einem Offizier der Südstaaten-Armee gehören (Poe starb gnädigerweise lang genug vor dem Bürgerkrieg, er hätte ihn schwerlich verwunden), bereit, für ein uns unbegreifliches Ideal in den Tod zu gehen; seine rechte Hälfte aber spricht, namentlich kraft ihrer Groucho-Marx-haften Augenbraue, von einem Kummer, der ein Spaß, und einem Spaß, der ein Kummer ist. Es ist ein Gesicht, das mit äußerster Mühe darum ringt, seinen Dämonen standzuhalten.

Deren sind zwei. Einer trägt den Namen "The Imp of the Perverse" . So lautet auch der Titel eines bemerkenswerten essayistischen Texts von Poe. Die deutschen Übersetzer tun sich schwer mit der Wiedergabe. "Der Geist des Bösen" schlagen Hedda Moeller-Bruck und Hedwig Lachmann vor. Arno Schmidt und Hans Wollschläger bieten "Der Alb der Perversheit", was mehr das Eingeständnis eines Problems als seine Lösung bedeutet. Ein "imp" ist ja eigentlich ein Kobold, behender als ein Geist und solider als ein Albtraum. Und "Perverseness" meint keinen wesenhaft unsittlichen Impuls (obwohl sie zuweilen auch zu gänzlich unverständlichen Mordtaten führen kann, so auch im weiteren Fortgang dieses Texts). Vielmehr kehrt sie sich, als wahre Qual, gegen denjenigen, den sie überkommt.

Das schlagende Beispiel, das Poe gibt, ist der Abgrund, von dessen schwindelerregendem Rand man sich nicht loszureißen vermag. "Auf einen Augenblick nur der Versuchung des Gedankens daran nachzugeben, heißt unentrinnbar verloren sein; denn ruhige Überlegung drängt uns, davon abzustehen, und eben darum, sag' ich, können wir es nicht. Wenn dann kein Freundesarm zur Stelle ist, uns zurückzuhalten, uns in jäher Anstrengung aller Kräfte rückwärts vom Schlunde weg niederzuwerfen, so springen wir - und springen ins tiefste Verderben."

Der Abgrund wird zu Poes zentraler Erzählfigur, die innere Unwiderstehlichkeit seines Sogs verlagert sich, um ins Darstellbare einzugehen, in die äußere Nötigung; und so entstehen, immer wachsend, die Grube in "Die Grube und das Pendel", der Mahlstrom und, von Poe zum gigantischsten Abgrund der Literatur gemacht, der Ozean der Südhalbkugel, der Gordon Pym zu unendlichem Schiffbruch down under in Richtung Antarktis reißt. Der andere Dämon heißt "The Angel of the Odd". Moeller-Bruck und Lachmann schlagen "Den Engel des Wunderlichen vor", Schmidt und Wollschläger den "Engel des Sonderbaren" .

Das ist beides zu matt. "Absurd" käme vielleicht am ehesten hin, wenn dieser Begriff nicht in der Zwischenzeit vom Existenzialismus zu einem Ernst verdonnert worden wäre, den Poe nicht meint. Im "Odd" nämlich steckt die Wurzel von Poes Humor, den man, weil er sich so ins Schauerliche verschränkt, zuweilen verkannt hat. The Angel of the Odd präsentiert sich dem Erzähler, der nicht mehr ganz nüchtern ist (so viel oberflächliche Rationalisierung gönnt Poe dem Leser immerhin), als dieser die Wahrheit einer Zeitungsmeldung in Zweifel zieht, ein Mann sei gestorben, als er einen Blasrohrpfeil, statt ihn abzuschießen, eingeatmet habe. Wie er hereingekommen ist, dafür gibt der Engel keine Erklärung ab, er sitzt plötzlich da, als Engel nicht auf Anhieb zu identifizieren, denn der Körper besteht aus einem Wein- oder Rumfass, als Beine hat er zwei Fässchen und anstelle der Arme zwei längliche Flaschen. Den Kopf aber bildet ein Flaschenkorb, dessen Öffnung sich dem Erzähler zukehrt und aus der eine Stimme wie ein Rumpeln oder Dröhnen dringt, ein Geräusch, wie wenn man gegen ein leeres Fass schlägt; bekrönt wird die Figur von einem Trichter als Hut.

Als der Erzähler zur Tür eilen will, um seinen Diener zu schellen, erhält er von dem Flaschenarm einen solchen Stoß versetzt, dass er verblüfft sitzen bleibt. Schließlich geht der Gast doch; aber was sich nun begibt, lässt sich nur als seine Rache begreifen. Der Ich-Erzähler hat am Abend eine Verabredung zur Erneuerung seiner Feuerschutzversicherung, verpasst sie aber, weil ein von ihm ausgespuckter Traubenkern den Minutenzeiger der Standuhr blockiert; prompt brennt, weil eine Ratte die Decke samt Kerze vom Nachttisch reißt und in ihr Loch schleppt, das Haus ab; der Erzähler wird über eine Leiter gerettet, doch es kratzt sich gerade eine Sau daran, er stürzt und bricht den Arm; da er beim Brand einen guten Teil seiner Haare verloren hat, legt er sich eine Perücke zu, die sich im entscheidenden Augenblick, als er einer Dame seinen Antrag macht, löst und ihn der Lächerlichkeit preisgibt; er will ins Wasser gehen, legt seine Kleidung ab, da stiehlt ein Rabe seine Hose, die er vorher noch glaubt retten zu müssen; er ergreift das zufällig herabhängende Tauende eines vorbeifliegenden Luftschiffs, es reißt ihn hoch, in der Gondel sitzt - wer sonst? - der Engel des Absurden und lässt ihn genau in den Kamin seines neu errichteten Hauses plumpsen. Von seinem vorwitzigen Zweifel dürfte dieser Mann kuriert sein, er wird im "Odd" von nun an eine Himmelsmacht ehren, die Anspruch auf bedingungslose Gefolgschaft hat.

Das Perverse von innen, das Absurde von außen, sie stellen die exzentrischen, zentrifugalen Kräfte dar, mit denen Poes Leben und Schreiben zu ringen haben, Inspiration so gut wie Bedrohung. Sich ihnen entgegenzustellen, hat keinen Zweck, sie würden den, der es versucht, einfach zermalmen. Aber es lässt sich ihnen mit List begegnen, indem man ihnen nachzugeben scheint und sein Fahrzeug diesen durchgehenden Pferden anvertraut. Als Farce, als Irrenwitz hat Poe diese Lage in "Das System des Doktors Pech und des Professors Feder" gestaltet. Hier sind es die Insassen einer Heilanstalt, die bei Ankunft des Erzählers längst die Macht an sich gerissen haben, wenn sie vor ihm täuschend als pflegendes und leitendes Personal figurieren. Das Befremden des Erzählers entwickelt sich langsam und erreicht den Grad des Argwohns, als ein Festessen aufgetragen wird.

"Drei sehr kräftige Diener hatten eben eine ungeheure Schüssel ohne weiteren Unfall auf den Tisch gesetzt. Sie war fast so groß wie ein Boot und enthielt, wie mir schien, das ,Monstrum, horrendum, informe, ingens, cui lumen ademptum'. Ein aufmerksamer Blick überzeugte mich jedoch davon, dass es nur ein kleines unzerlegt gebratenes Kalb sei, das auf seinen Knien lag und einen Apfel im Maule trug, wie man in England gewöhnlich einen Hasen serviert." "Nur" ist gut; es ist das eigentlich humoristische Wort in dieser Passage. Das Missverhältnis zwischen der großen kulinarischen Kunst und ihrer mangelnder Passung auf ihren unzerkleinerten Gegenstand erschreckt; hier hat jemand, der sonst äußerst geschickt ist, die grundsätzliche Differenz zwischen einem Hasen und einem Kalb verfehlt. Das Vergil-Zitat, welches bedeutet "das grässliche Monstrum, unförmig, ungeheuer, dem das Augenlicht genommen war", beschreibt das grauenerregend Formlose, hat der Beschreibung aber seinerseits die hochdisziplinierte Form des lateinischen Hexameters erteilt. "Informe" ist, was keine Form, "ingens", was keine Art hat. Poe ruft Vergil auf, um dem Maßlosen eine Fasson zu geben. (Man fragt sich, was aus ihm geworden wäre, hätte seine wild romantische Neigung nicht diesen Halt an seiner soliden klassischen Ausbildung gehabt.) An diesem Punkt hält Poes Erzählen vorübergehend inne, ehe sich der rasende Durchbruch vollzieht und die Patienten sich als all die verzweifelten tobenden Narren erweisen, die sie sind.

Von der Art dieses im Ganzen gerösteten Kalbes sind noch andere Details bei Poe. Die Mauern des Schlosses Usher sind unversehrt, aber wirken in der Beschaffenheit ihrer Oberfläche merkwürdigerweise wie Holz, das lang unter Wasser gelegen hat. Die Stämme, die vom Grund des Mahlstroms emportauchen, tragen ein feines Borstenkleid aus aufgerauten Fasern, dezente Spur der absoluten Zerschmetterung. Immer scheint das förmlich Intakte von einem Unerhörten überschauert, das Unbelebte von einer struktural gewordenen Gänsehaut bedeckt, wie sie nur jene Erfahrung, die alle Erfahrung sprengt, zu induzieren vermag. Dem einen menschlichen Überlebenden, der dem Strudel entrinnt, hat sich das Haar in einer Nacht von Schwarz zu Weiß umgefärbt.

Dass es dem Maßlosen eine Form gab, hat den Reiz am Werk Poes für seinen eigentlichen Entdecker, Charles Baudelaire, ausgemacht. Baudelaire war süchtig nach dem Neuen, aber da er alles, was das Leben betraf, von den Mächten des Banalen okkupiert sah, gab es für das Neue nur eine Richtung, hinab; den Tod, der das Erlebnis des Sturzes einschloss. Baudelaires Don Juan macht sich auf in die Hölle, "um das Neue zu suchen". Und diese Richtung des unausdenklichen Hinab sah er bei Poe vorgegeben. Poe hat eine große, diebische, aber ganz und gar unfreie Freude an solcher Neuerung. Bei ihm lässt es sich nur schwer angeben, ob die Vernunft die Unvernunft bemeistert oder bedient. Man lausche der Stimme im "Verräterischen Herz": "Es ist wahr! Nervös, schrecklich nervös war ich und bin ich noch; aber weshalb soll ich wahnsinnig sein? Mein Übel hatte meine Sinne nur geschärft, nicht zerstört oder abgestumpft. Vor allem war mein Gehörsinn außerordentlich empfindlich geworden. Ich hörte alle Dinge, die im Himmel und auf der Erde vor sich gingen, und auch vieles, was in der Hölle geschah. Wie könnte ich also wahnsinnig sein? Hören Sie nur zu, wie vernünftig und ruhig ich Ihnen die ganze Geschichte erzählen werde."

Dieses Ich wird einen alten Mann umbringen, aus keinem anderen Grund, als dass sein eines Auge eine Verschleierung aufweist, die den Erzähler tief beängstigt; er wird sich in dessen Schlafzimmer stehlen und, wenn der alte Mann schläft, den winzigen Lichtstrich einer abgedunkelten Laterne auf dieses Auge richten; ihn schließlich erwürgen, unter dem Bretterfußboden begraben und eine Polizeistreife, die auf den Schrei herbeikam, mit ihren Stühlen genau über dem Toten Platz nehmen lassen; und währenddessen wird der Herzschlag des Ermordeten im Ohr seines Mörders zu solcher Lautstärke anwachsen, dass dieser sich schließlich, schreiend, der Gerechtigkeit stellt.

Diesen Text vorzulesen, bereitet ein ganz wunderbares Vergnügen. Unschuldig möchte man es nicht nennen. Man sollte ein bisschen Alkohol zu sich genommen haben, um in die kongeniale Stimmung zu geraten: Das berauschte Spiel mit der Nüchternheit liefert das Pendant zu jener listigen Vernunft des Wahnsinnigen. Poe spannt die Vernunft, indem er sie gewissermaßen chemisch rein herstellt, zu ungeheuren Leistungen an, die ihr dort im normal gemischtem Zustand ihrer Alltagszwecke nicht gelingen. Mit diesem Vorsatz erfindet er seinen genialen Detektiv Dupin, der deduzierend den entwendeten Brief auftreibt und den Doppelmord in der Rue de la Morgue aufklärt.

Wie der Trick mit dem Brief genau funktioniert, ist heute, wo die Briefe anders aussehen, schwierig nachzuvollziehen; und auch den Orang-Utan, der sich als der Urheber jenes beispiellos grässlichen Doppelmords erweist, kennt Poe offenbar mehr vom Hörensagen als aus persönlicher Begegnung. Umso schärfer tritt der Gegensatz hervor zwischen der Bestie, die mit bloßen Händen einen Skalp herunterreißen kann, und dem Intellekt, der ihr nachspürt und sie bezwingt. Mit den Dupin-Geschichten hat Poe eine neue und ungeheuer erfolgreiche Gattung gestiftet, die Kriminalstory. Doch mit drei Geschichten ließ er es genug sein, danach, so darf man spekulieren, hätte ihm das Drama des Scharfsinns nur noch ein unriskantes, uninteressantes Spiel bedeutet.

Poe mag dem Wahnsinn entronnen sein (die zeitgenössischen Berichte klingen hier nicht ganz eindeutig), dem Alkohol entging er nicht. Sein Ende war schrecklich. Er geriet in einen "Hühnerkäfig", eine Art Obdachlosenasyl, wo während des Wahlkampfs mittellose Wähler unentgeltlich mit Schnaps versorgt wurden, damit sie für einen bestimmten Kandidaten stimmten, und brach dort zusammen. Ein befreundeter Arzt findet ihn und schildert seinen Zustand: "Das Gesicht war verstört, aufgedunsen und ungewaschen, die Haare ungekämmt, das ganze Aussehen abstoßend. Die hohe Stirn, die weiten und beseelten Augen, die für ihn so charakteristisch waren, als er noch er selbst war - jetzt waren sie ohne Glanz, überschattet von einem zerfetzten Hut, der fast keine Krempe mehr hatte. Er trug einen Rock aus dünnem, glänzenden Stoff, an mehreren Stellen aufgerissen und schmutzig, und eine ganz abgewetzte und bös zugerichtete Hose, soweit sich das überhaupt sagen lässt. Das Hemd war zerknittert und schmutzig." Der Arzt sorgt dafür, dass Poe in ein Krankenhaus geschafft wird. Dort leistet er den Pflegern Widerstand, schreit, es sei das Beste, ihm eine Kugel durch den Kopf zu jagen, und findet erst nach Tagen zu einer friedlicheren Verfassung. "Gegen fünf Uhr wandte er den Kopf zur Seite, sagte ,Gott helfe meiner armen Seele' und verschied."

Nun ist es immer eine fragwürdige Sache, vom Ende eines Menschen aus rückblickend sein ganzes Leben zu deuten. Aber dass es in dieser erniedrigenden Katastrophe schloss, gibt doch eine Ahnung davon, wie ungeheuer die ordnenden Mühen gewesen sein müssen, mit denen dieser Mann, so lang es ging, seinen bedrohten Geist beisammenhielt. Von diesem Leben lässt sich sagen, was er selbst dem alten Mann in den Mund legt, der immer am Rand des Mahlstroms gefischt hatte, weil dort die Ausbeute am lockendsten war, in ihn hineingeriet und gegen alle Wahrscheinlichkeit wieder zum Vorschein kam: "Um die Wahrheit zu sagen -: es war stets eine furchtbare Gefahr." BURKHARD MÜLLER

Der Abgrund ist Poes zentrale Erzählfigur: er stellt die innere Unwiderstehlichkeit des Sogs dar

Poe zeigt ein Gesicht, das mit äußerster Mühe darum ringt, seinen Dämonen standzuhalten

Poe mag dem Wahnsinn entronnen sein, dem Alkohol entging er nicht

Edgar Allan Poe in seinem letzten Lebensjahr. Das berühmte Porträt entstand in Lowell, Massachusetts. Poe starb im Oktober 1849 in Baltimore. Foto: Hulton-Deutsch Collection/CORBIS

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Das Tekeli der Phantasie

Glühend im Eis und frisch wie je: Edgar Allan Poes Meisterwerk "Arthur Gordon Pym" in neuer Übersetzung

Es gibt wohl keinen anderen Roman, der sowohl penible Philologen als auch Liebhaber reißerischer Abenteuergeschichten in ähnlichem Maß zu elektrisieren vermag: Diese schätzen an ihm die spannende Handlung und all ihre grausigen Details, jene bewundern die Dreistigkeit, mit welcher der Autor zeitgenössische Berichte und Erzählungen ausschlachtete, und erschauern, wenn sie bedenken, wie vielen Werke der Weltliteratur dieser Wahnwitz von einem Roman als Vorbild diente.

Die Rede ist von Edgar Allan Poes "Arthur Gordon Pym", Poes einzigem und gar nicht besonders umfangreichen Roman. Die vielleicht 260 Seiten aber haben es in sich: mit einem kleinen Schiffbruch geht es los, es folgen eine schaurige Zeit, die der Erzähler, eingeschlossen im Schiffsbauch, als im wahrsten Sinne blinder Passagier erlebt und erleidet, eine Meuterei samt anschließendem Gemetzel, alsbald ein zweiter Schiffbruch, Hunger und Durs, schließlich ein kannibalisches Mahl. Endlich folgt die Rettung der Schiffbrüchigen, ihre Fahrt in arktische Gewässer, die Begegnung mit Indianern auf einer seltsam un-weißen Insel, ein Hinterhalt, noch ein Gemetzel, die Flucht Pyms und seines Intimfreundes Peters, schließlich und plötzlich dann das schnelle, verstörende Ende.

Zuviel auf einmal? Einige zeitgenössische Kritiker winkten ab: das sei doch alles eher unwahrscheinlich. Sie meinten allerdings auch, einen authentischen Bericht in den Händen zu halten und ärgerten sich nun angesichts der anscheinend phantastischen Elemente, die er enthielt. Bei seinem Verfasser, so folgerten sie, müsse es sich um einen Lügner handeln, der den Leser auf den Arm nehmen wolle. Denn "Die Geschichte des Arthur Gordon Pym aus Nantucket" spielt überdies mit einer Herausgeberfiktion.

Das Ungefügte der Welt

Als Herausgeber fungiert eben jener Poe, der bereits die ersten zwanzig Seiten des Romans im Southern Literary Messenger veröffentlicht hatte, einem in Richmond erscheinenden Magazin, das, bis jener schandmäulige Poe dort das Regiment übernahm, durchaus ehrenwert, wenn auch ohne nennenswerte Leserschaft war. Beides änderte sich für kurze Zeit. Dann musste Poe, angeblich wegen Alkoholproblemen, seine Stelle wieder aufgeben. Im Großen und Ganzen aber gefiel der Roman durchaus, und er verkaufte sich auch einigermaßen, besser immerhin als sein großer Nachfolger, Herman Melvilles "Moby Dick". Vielleicht aber ist es gerade Moby Dicks mächtiger Schatten, in dem Poes "Pym" nach wie vor und gerade in Deutschland ein viel zu wenig beachtetes Dasein fristet. Dabei lassen sich die Bücher, obwohl beide See- und Abenteuerromane, nicht wirklich miteinander vergleichen. Wenn der eine einen geradezu walischen Welterklärungsversuch unternimmt, von der Selbsterfindung des Individuums und der Amerikas erzählt und so ausschweifend wie euphorisch vom Kampf zwischen Natur und Kultur handelt, so zeigt der andere eher die Unmöglichkeiten, mit denen wir konfrontiert sind, präsentiert das Ungefügte der Welt wie die irrigen Wege der Phantasie.

Tatsächlich hat Poe fast alle Ideen und fast ein Drittel des Romans wörtlich aus jenen zeitgenössischen Berichten und Quellen übernommen, die inzwischen von ganzen Forschergenerationen aufgespürt wurden. Am Ende von "Arthur Gordon Pym" aber steht ein bis dato unerhörtes, apokalyptisches Bild: da treiben Pym und Peters in einem alles umhüllenden weißen Nebel auf einen Katarakt zu, um sie herum kreischen die Vögel das unbegreifliche "Tekeli-li", als vor ihnen aus den Wassern eine riesige weiße Gestalt ersteigt. Mit ihr stößt jede Wahrscheinlichkeit, stößt in der Tat jegliches Verstehen an seine Grenzen. Und genau hier bricht das Buch brutal ab. Nur eines ist danach noch sicher: Großartiger kann man nicht vom Scheitern handeln.

Fragmentarisch-rätselhaft und zuweilen geradezu absurd erscheint Poes Roman, und so hat er eine Vielzahl von Deutern angezogen. Die neue, kommentierte Übersetzung von Hans Schmid legt davon Zeugnis ab. Endlich ist auch auf Deutsch, das Gewebe nachvollziehbar geworden, aus dem "Pym" entstanden ist und das der Roman so fleißig fortgesponnen hat. Spannend sind die literarischen Auseinandersetzungen, die in den nächsten 100 Jahren folgen sollten, angefangen von "Moby Dick" über Vernes lustige "Eissphinx" bis zu H.P. Lovecrafts großartigen "Bergen des Wahnsinns".

Aber auch die im Marebuch Verlag erschienene neue Übersetzung hat ihr Verdienst. Nehmen wir die Szene, in der Poe jenes kannibalische Mahl auf so verstörende Weise beschreibt und zugleich nicht beschreibt: "Solche Dinge mag man sich im Geiste ausmalen, aber Worte haben nicht die Kraft, einen Eindruck von den äußersten Schrecken der Wirklichkeit zu vermitteln. Es genügt wohl, wenn ich sage, dass wir, nachdem wir den brennenden Durst, der uns quälte, mit dem Blut des Opfers einigermaßen gelöscht und Hände, Füße und Kopf, die abzuschneiden wir übereingekommen waren, zusammen mit den Eingeweiden ins Meer geworfen hatten, den Rest des Körpers Stück für Stück verzehrten und zwar im Laufe von vier Tagen - es waren der Siebzehnte, Achtzehnte, Neunzehnte und Zwanzigste des Monats -, die ich auf ewig nicht vergessen werde." Schmid übersetzt hier schnörkellos, aber mit der nötigen Emphase. Indem er etwa die vier Daten ausschreibt, verleiht er ihnen zusätzliches Gewicht. Das niederdrückende Ereignis, vor dem selbst der Erzähler am liebsten die Augen verschließen möchte (und es doch nicht kann), wird hier anschaulich. Leider verliert der Absatz dadurch an Eindringlichkeit, dass das Satzende nachgestellt wurde.

Das Blut des Opfers

Arno Schmidt dagegen, in der soeben bei Suhrkamp wiederveröffentlichten Gesamtübersetzung der Poe'schen Werke, findet eine (schmidt'sche) Lösung für die durchaus knifflige Stelle: "Sei es genug, zu sagen, daß, nachdem wir den rasenden Durst, der uns verzehrte, einigermaßen mit dem Blut des Opfers gestillt hatten; auch dahin übereingekommen waren, Hände, Füße und Kopf abzutrennen, und sie, zusammen mit den Eingeweiden, dem Meer zu übergeben; wir den Rest des Leibes verschlangen; stückweis'; während der 4 unvergeßlich=folgenden Tage des 17.; 18.; 19.; und 20. dieses Monats."

Dies ist allerdings nur eine andere, keine bessere Übersetzung. So kantig-kraftmeierisch wie der Dichter von "Zettel's Traum" übersetzt, kommt die Prosa Poes nicht daher. Ganz so fest und verbindlich wie Hans Schmids Version aber geht es im Original auch nicht zu. Besser als alle anderen Übersetzungen sind diese beiden allemal. Der lange Zeit bei Diogenes erhältliche Versuch Gisela Etzels etwa verzichtet schändlicherweise sogar ganz auf den Kannibalen-Absatz. Geschweige denn dass es ihr gelänge, wie Schmid und Schmidt auf ihre je eigenen Weisen, den poe'schen Furor dieses von Verzweiflung und Verwirrung durchspülten Textes einzufangen. Dass nicht nur der grüblerische Interpret, sondern auch der schlichte Genießer seine Freude und seinen Schrecken an diesem Roman hat, liegt nämlich eben daran, dass Poes Prosa glüht, als habe der Dichter im arktischen Eis tatsächlich das Unermessliche erblickt. TOBIAS LEHMKUHL

EDGAR ALLAN POE: Die Geschichte des Arthur Gordon Pym aus Nantucket. Aus dem Englischen von Hans Schmid. Herausgegeben von Hans Schmid und Michael Farin. Marebuch Verlag, Hamburg 2008. 526 Seiten, 39,90 Euro.

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UNTERWEGS

Als der Mann vor mir stehenbleibt, ist es vorbei mit der Stille. Diesem kernigen Endsechziger sieht man eines schon von weitem an: Er wartet nur darauf, etwas loszuwerden. Etwas, das ihm so auf der Seele brennt, dass fast der Schnee unter ihm schmilzt. Und da sitze nun ausgerechnet ich. Am Rande der Loipe im steirischen Ramsau, in der Sonne, rechts das Dachsteinmassiv, links die Schladminger Tauern. Seit einer Viertelstunde ist niemand an der Bank vorbeigekommen, auf der ich stillvergnügt meinen Müsliriegel kaue und Tee aus der Thermoskanne schlürfe. Und jetzt das.

Der Mann trägt einen schnittigen Langlaufanzug, er hat Waden, auf die auch ein Mittdreißiger noch neidisch sein kann und er sieht überhaupt so aus, als habe er schon sehr viel Zeit in den Bergen und auf Skiern verbracht. "So, Brotzeit, hm?", startet er seine Konversation, mich aufmerksam taxierend. "Brotzeit, hmhm", antworte ich. Und mein Ton soll sagen: Ich will nicht reden. Mein Gegenüber überhört es.

Und dann beginnt er zu schimpfen. Darüber, dass die Loipe dauernd von breiten Traktorreifen überrollt und unterbrochen wird, dass man ständig umsteigen muss, dass das ein Skandal sei und dass "den Jaga-Loisl endlich mal jemand zur Vernunft bringen muss". Und dazu, das beginnt mir zu dämmern, hat er mich auserkoren. Denn er ist ein Einheimischer. Und ich nicht. Ich soll mich beschweren. Über den Zustand der Loipe. Und den Jaga-Loisl. Ich kenne aber weder den Jaga-Loisl noch stören mich die Fahrspuren. "Da muss man einen Haufen Geld für die Loipe zahlen - und dann ist sie dauernd kaputt", zetert der Mann weiter. Und zur Untermalung stochert er mit seinem Langlaufstock in die Luft, als würde er den Jaga-Loisl am liebsten daran aufspießen. "Dann beschweren Sie sich doch selber", halte ich ermattet dagegen. "Aber mich kennen hier alle. Sie sind eine Touristin, eine deutsche noch dazu. Sie können sich viel besser aufregen."

Dazu schweige ich so lange, bis der Mann aufgibt, seine Stöcke in den Schnee rammt und weiter loipelt. Schnurstracks auf den nächsten Langläufer zu. Wahrscheinlich beschwert er sich bei dem nun über die deutschen Touristen. Die auch nicht mehr das sind, was sie mal waren.Birgit Lutz-Temsch

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Sicher radeln für ein langes Leben

Ob Gelenkschutz oder Kräftigung der Muskulatur inklusive des Herzmuskels, ob Stärkung des Immunsystems oder Verbesserung der Lungenventilation: Für Mediziner gilt Radfahren als Gesundbrunnen - vor allem für die ältere Generation. Schon die Alltagsnutzung des Velos wirke für Senioren sozusagen als lebensverlängernde Maßnahme. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes sehen das anders, denn im letzten Jahr zählte jeder sechste verunglückte Radler zur Generation 65 plus. Und dramatisch hoch ist der Anteil der Älteren bei den tödlich verunglückten Fahrradfahrern: 45 Prozent.

Dass radelnde Senioren "deutlich häufiger in komplexen Verkehrssituationen verunglücken", weiß auch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt). Ihre Forderung: Wer den generationenübergreifenden Radverkehr wolle, dürfe die Sicherheitsbedürfnisse der Älteren nicht vernachlässigen. Wer im fortgeschrittenen Alter das Radeln wiederentdecken möchte, kann sich in vielen Städten in einer privaten Radfahrschule oder zu einem Kurs des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) anmelden. Die Landesverkehrswachten beteiligen sich an dem vom Bundesverkehrsminister geförderten Programm "Mobil bleiben, aber sicher!", bei dem das Fahrrad immerhin einen gleichberechtigten Status genießt. Die Botschaft hier wie dort: Radfahren hält fit und vergrößert den persönlichen Radius, Unfälle können vermieden werden.heda

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Das Risiko fliegt mit

Die Zahl der Todesopfer im internationalen Luftverkehr ist 2008 erneut gesunken, dennoch gab es mehr Unfälle / Entwicklung besorgt Experten

Fliegen war im vergangenen Jahr so sicher wie beinahe noch nie - nur 2004 fiel die Bilanz geringfügig besser aus. Vor dem Hintergrund weltweiter Passagierzahlen, die sich gegenüber dem Vorjahr nur minimal um 0,8 Prozent auf nunmehr 2,29 Milliarden Fluggäste erhöhten, ging die Anzahl der bei Flugunfällen Getöteten signifikant zurück.

So starben nach Angaben der unabhängigen Branchenwebsite Aviation Safety Network im Jahr 2008 bei Unfällen von mehrmotorigen Passagierflugzeugen weltweit 577 Menschen; im Vorjahr waren noch 750 Opfer zu beklagen. Allerdings stieg gleichzeitig die Zahl der Unfälle deutlich an - von 26 auf jetzt 32 Crashs mit Todesopfern. Experten warnen daher vor einem Stillstand im Bemühen um mehr Sicherheit am Himmel. "Die weltweite Flugsicherheit stagniert", mahnt David Learmount vom englischen Fachblatt Flight International, "nach einem Jahrzehnt stetiger Verbesserung zeigen die Daten für 2008, dass die Anzahl tödlicher Unfälle seit 2003 sogar angestiegen ist."

Die internationale Linien-Luftfahrtorganisation IATA ermittelt seit Jahren die Unfallraten für im Westen gebaute Jets; den Tiefststand verzeichnete sie 2006 mit nur 0,65 Totalverlusten je einer Million Starts. Nach einer Steigerung auf 0,82 im Vorjahr betrug dieser Wert 2008 nun 0,77. Trotzdem sieht man die Bilanz in der Branche als Erfolg an: "Das sind sehr beruhigende Statistiken", findet Paul Hayes, Direktor der Beratungsfirma Ascend, "obwohl es 2008 mehr schwere Unfälle als im Vorjahr gab, sind wesentlich weniger Menschen gestorben." Insgesamt habe sich die Sicherheit verbessert.

Obwohl Europa in allen Statistiken zu den sichersten Kontinenten im Flugverkehr zählt (0,45 Totalverluste je einer Million Starts 2008 gegenüber 0,32 im Vorjahr) ereignete sich das schwerste Flugzeugunglück des vergangenen Jahres hier: Am 20. August stürzte eine MD-82 der Spanair beim Start von Madrid-Barajas nach Gran Canaria noch auf dem Flughafengelände ab; 154 Menschen starben, nur 18 überlebten den schwersten Crash in Spanien seit 25 Jahren. Wie sich herausstellte, hatten die Piloten versäumt, Vorflügel und Klappen auszufahren, die beim Start den nötigen Auftrieb erzeugen. Ein automatisches Warnsystem, das sie auf diesen Fehler hätte aufmerksam machen müssen, war ausgefallen - wie meist bei Flugunfällen auch hier eine Verkettung unglücklicher Umstände. Offiziell ist die Ursache noch nicht festgestellt worden, aber auch die Wartungs- und Betriebspraxis von Spanair war in Verdacht von Versäumnissen geraten. Als Konsequenz aus dem Unfall müssen die Piloten aller rund 180 fliegenden Jets dieses Typs jetzt vor jedem Start das Warnsystem überprüfen.

Außer dem Spanair-Absturz gab es 2008 nur noch zwei weitere Unfälle mit mehr als 50 Toten, beide in Russland beziehungsweise einem GUS-Staat und beide kurz nach der Katastrophe von Madrid: Ende August stürzte eine Boeing 737-200 der lokalen Gesellschaft Itek Air beim Anflug auf die kirgisische Hauptstadt Bishkek ab, nachdem angeblich der Kabinendruck abgefallen war und der Pilot in schwierigen Wetterbedingungen umkehren wollte; 65 von 90 Insassen kamen dabei ums Leben. Itek Air gehört zu den Fluglinien, die auf der Schwarzen Liste der EU stehen und nicht auf europäischen Flughäfen landen dürfen. Mitte September stürzte eine Boeing 737-500 einer Aeroflot-Tochter beim Anflug auf Perm im Ural ab; angeblich gab es vorher einen Triebwerksbrand, alle 88 Menschen an Bord starben.

Diese Unfälle führen zur weltweit höchsten Rate von 7,92 Totalverlusten je einer Million Starts für die Region Russland/GUS in der IATA-Statistik - nach einer weißen Weste von 0,0 im Vorjahr. "Das ist auch auf die geringe Anzahl westlicher Jets zurückzuführen, die dort fliegen und die wir ausschließlich zählen", erklärt IATA-Experte Gunther Matschnigg, "aber das ändert nichts daran, dass uns diese vergleichsweise hohe Rate Sorgen macht."Andreas Spaeth

Weltweiter Flugverkehr

Auf und ab: Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Flugpassagiere weltweit auf 2,3 Millionen; 577 Menschen fanden bei Flugunfällen den Tod. Schwerstes Unglück im Jahr 2008 war der Absturz einer Spanair-Maschine in Madrid. Foto: dpa

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Ein Traum im Raum

Ende Januar eröffnet Porsche sein neues, 100 Millionen Euro teures Museum in Stuttgart-Zuffenhausen

Unbaubar, lautete das Urteil. Ingenieure und erfahrene Tragwerksplaner schüttelten den Kopf, als sie vor knapp vier Jahren auf die Pläne des Wiener Architekturbüros Delugan Meissl schauten: So gehe das nicht. Viel zu kompliziert.

Das war nur eines der Probleme. Ein anderes brannte schon länger. Es drehte sich rund um den Kreisverkehr der Schwieberdinger Straße, den Stuttgart in großer Geste Porscheplatz getauft hat. Was für ein Euphemismus für die leere Mitte zwischen dem betriebsamen Porsche-Werk, der blutarmen Fassade der Porsche-Niederlassung und einem wirr gewürfelten Gewerbe- und Industriegelände hintendran. Es ist ein Ort, an dem ehrlich geschafft wird. Hier strömt viel Verkehr. Doch mit dieser stadträumlichen Rumpelkammer architektonisch klarzukommen, ist nicht einfach. Was blieb, war ein eigenes Zeichen zu setzen.

Das gelingt dem neuen Museum. Hoch, dabei nicht graziös, reckt sich diese kantig gefaltete, brillantweiß belegte und spiegelnde Box. Nachhaltig dominiert der Bau die Beliebigkeit seines zerfaserten Umfelds. Der gewaltige Polyeder bietet 82 Autos auf 5600 Quadratmetern Platz. Doch seine große Last, 35 000 Tonnen sind es, darf er nur in drei Stützenpaare ableiten, was zu Spannweiten von bis zu 60 Metern führt - und zu spektakulären Überhängen: Rund 40 Meter weit kragt das Museum in seinem hinteren Teil aus. Hier verformt sich der Bau um bis zu acht Zentimeter. "Wir haben den konventionellen Hochbau verlassen", sagt Martin Josst, Partner im Büro Delugan Meissl, "und uns beim Brückenbau bedient." Letztlich hat es funktioniert, mit viel Nachdenken, Nachrechnen, Nachzahlen. 100 Millionen Euro, sagt Porsche, habe der Bau gekostet. Das ist rund doppelt so viel, wie ursprünglich gedacht.

"Das Schweben", sagt Elke Delugan-Meissl, "hat auch etwas mit der Marke zu tun." Für die Architektin ist im neuen Museum der gesamte Porsche-Kosmos zu Hause. Wer sich zu dessen Entdeckung aufmacht, taucht zunächst ab: Das tiefe, flach unter der großen Box lagernde Foyer lässt noch nichts vom Museum ahnen. Der Blick fällt zunächst in die große Werkstatt, wo künftig Spezialisten an Motorsport-Pretiosen schrauben sollen: Hier könnten sie, so Klaus Bischof, Ex-Rennmechaniker und Chef des Rollenden Museums, zum Beispiel einen 917/30 restaurieren.

Statt kühlem Marketing prägen so profunde Handarbeit und kurze Wege das erste Bild. Im Rücken ziehen sich die Fluchten zweier langer Rolltreppen weit nach oben. Die Architekten inszenieren eine enge Himmelsleiter. Nach der Fahrt durch den Flaschenhals weitet sich plötzlich der Raum. Der schwarzweiße Purismus bleibt, doch garnieren ihn jetzt bunte Porsche-Modelle. Als Empfang wartet eine schimmernd-nackte Aluminium-Karosserie des Berlin-Rom-Wagens, den Ferdinand Porsche 1939 konstruierte. Ihn inszeniert Porsche heute als Nullpunkt seiner Geschichte. Er ist das erste Auto, das den Schriftzug der Marke trug. "Das ist die Ur-Form aller Porsche", sagt Klaus Bischof über das Projekt, das einst der Zweite Weltkrieg ausbremste. Als Ferdinands Sohn Ferry 1948 seinen ersten 356 baute, führte er diese frühe Idee eines reisetauglichen, leichten Sportwagens weiter.

Der Ouvertüre folgen Fahrzeuge wie ein Käfer, ein Mercedes Monza oder der Cisitalia als wichtige Wegmarken der Entwicklung vor 1948. Von hier reicht der Blick längs durch den rund 140 Meter langen Bau: Porsche, Porsche, Porsche. Nicht zu voll, doch überall. Kaum etwas, was davon ablenken könnte: Vor der tiefschwarzen Außenwand reihen sich die Modelle in strenger Chronologie. Sie beginnt mit dem frühen Gmünd-Coupé und endet im Heute. Weil die Porsche-Geschichte ein Kontinuum ist, gibt es nur einen Raum, der jedoch ständig seine Form variiert: Er öffnet sich, steigt an, verjüngt sich, fächert sich auf. "Mobilität war zentraler Gegenstand unserer architektonischen Auseinandersetzung", sagt Architekt Roman Delugan. Im Entwurf spiegeln sich Dynamik und Geschwindigkeit, Konzentration und Gelassenheit. Porsche wollte keinen Klamauk: "Wir haben mit Absicht darauf verzichtet, eine inszenierte Erlebniswelt zu schaffen", sagt Museumsleiter Achim Stejskal. Nur beim Klang wurde man schwach: Aus drei Soundduschen strömen die Klänge von 356, 911 und 917. Der Boden vibriert dazu.

Doch die Ausstellung ist mehr als nur ein Schaudepot, auch wenn die Exponate sich mitunter irritierend introvertiert präsentieren. Das täuscht jedoch: "Fast alle sind fahrbereit", sagt Klaus Bischof. Der Weg zum Lastenaufzug, der direkt in die Werkstatt führt, ist nie weit. Ein schneller Check ist kein Problem. Damit wird für kein Exponat das Museum zur letzten Bleibe. Manchmal wird der Besucher dann wohl auf einen verwaisten Platz stoßen, wenn Bischof mit einem seiner Autos bei der historischen Mille Miglia oder beim Goodwood Festival of Speed startet. Anlässe gibt es genug.

Wer sich darauf einlässt, kann in den Autos lesen wie in einem Buch. Ferry Porsches Alltags-911 steht hier und auf unerbittlich weißem Terrain parken die siegreichen Targa Florio- und Le Mans-Teilnehmer. Auch eine große 917-Armada tritt auf. Dazu fokussiert Porsche in sechs Themeninseln die Eigenschaften, die für die Marke stehen. Doch bei aller Präzision zeigt die Marke auch ein paar Gefühle. Immerhin melden sich legendäre Haudegen wie Hans Herrmann, Vic Elford oder Derek Bell mit Anekdoten zu Wort, feiert Porsche mit einem Wald aus Pokalen seine bisher 28 000 Rennsiege und liegt in kleinen Vitrinen Symbolisches - wie eine schwäbische Spätzle-Presse. "Nur wer gut isst, kann auch gut schaffen", proklamierte Ferry Porsche.

Dass Essen auch heute noch eine tragende Rolle spielt, zeigt das Nobelrestaurant Christophorus, das weit oben hinter der prominenten Glasfassade seine Gäste verköstigt. Doch der Blick in diesen Gastraum zeigt, wie sehr die Architektur beeindruckt: In dieser weißen Welt irritiert das geerdete Ambiente. Wendelin Wiedeking, der Chef selbst, soll seine Hand im Spiel gehabt haben, die Architekten blieben außen vor.

Ein kleiner Fauxpas, doch er verblasst zur Randnotiz, rechnet man die gemeisterten Herausforderungen gegen. Wiedeking hat schließlich Porsche aus den tiefsten Tiefen in nie geahnte Höhen geführt. Und jetzt hat er auch noch, am Porscheplatz steht es, für seine Marke das Unbaubare bauen lassen.Thomas Wirth

Porsche Museum: ab 31. Januar geöffnet; Dienstag bis Sonntag 9 bis 18 Uhr; Eintritt: 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, freier Eintritt für Kinder bis 14 Jahre sowie angemeldete Schulklassen. Weitere Infos unter Telefon 01805/356 911.

Ein Museum setzt zum Fliegen an: Porsche hat sich einen mutigen Entwurf ausgesucht. Mehr als 80 Meilensteine wie das rote Gmünd- Coupé warten auf Besucher. Die nackte Alu-Karosse des Berlin-Rom-Wagens symbolisiert den Urknall der Idee vom Reisesportwagen. Fotos: Uli Jooß

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INHALT

Amerikanischer Traum

Auf der Autoshow in Detroit reden die Hersteller viel vom elektrischen Fahren. Mehr Schein als Sein, findet Joachim Becker. Seite 36

Last im Lastzug

Fernfahrer haben es nicht leicht in ihren engen Kabinen. Ein neues Wohnsystem soll nun mehr Bequemlichkeit bieten. Armin Scharf beschreibt es. Seite 36

Die Messe der Boote

In Düsseldorf

bieten 1650 Aussteller auf der boot viel Neues für

den Wassersport. Klaus Bartels hat sich dort umgesehen. Seite 37

Rodel in Handarbeit

Wie der Deutsche Meister im Naturbahnrodeln seine heißen Schlitten in Handarbeit baut, hat sich Birgit Lutz-Temsch am Tegernsee zeigen lassen. Seite 37

Die Apple-Revolution

Vor 25 Jahren wurde der erste Apple Macintosh vorgestellt und stellte prompt die Computerwelt auf den Kopf. Christopher Schrader erinnert. Seite 38

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Sturz in einer Monsterwelle

Der 37-jährige Surfprofi Darryl Virostko aus Kalifornien hat den Ruf, vor keiner Welle zurückzuschrecken. Fehler in den Riesenbrechern können tödlich sein. Doch einmal blieb Virostko hängen - an einem Wellenkamm in der Waimea Bay der hawaiischen Insel Oahu.

"Der Wasserberg rollt auf mich zu. Er wächst immer höher. Sofort drehe ich mein Surfboard Richtung Strand. Ich paddle mit kräftigen Armzügen. Seit Wochen habe ich auf diesen Tag gewartet: Heute startet der Eddie Aikau Surf Contest auf Hawaii. Die Brecher sind mehr als zehn Meter hoch. Meine Welle gehört zu den Größten. Ein Augenblick noch, und die blaue Wand wird sich nach vorne überschlagen. Ich springe auf, um den Ritt zu beginnen.

Aber nichts passiert. Der Wind bläst mir heftig entgegen. Er hält mich oben auf der brechenden Wellenkante fest und lässt mich nicht los. Ich kann die Wasserwand nicht auf meinem Board hinabrasen. Hilflos blicke ich auf die Wasseroberfläche 15 Meter unter mir und begreife, dass es keinen Ausweg mehr gibt. Mit einem Ruck wirft das Ungetüm seine brechende Lippe nach vorne, auf der ich noch immer tänzle. Spuckt mich in die Tiefe. Und ich stürze. Wie in Zeitlupe nehme ich jedes Detail wahr - sogar wie mein drei Meter langes Board in zwei Teile gebrochen wird. Zum Glück tauche ich mit den Füßen voran ein. Dann knallt die tonnenschwere Wellenlippe auf die Oberfläche. Selbst tief unten im Wasser hört sich der Aufschlag wie eine Bombenexplosion an.

Der Sog packt mich sofort. Wie im Schleudergang einer Waschmaschine werde ich umhergerissen. Ich mache wilde Überschläge und versuche dabei ruhig zu bleiben. Es hat keinen Sinn, gegen die Kraft des Wassers zu kämpfen. Aber der Waschgang nimmt kein Ende. Schon brennt meine Lunge und schreit nach Luft, da entlässt mich die Welle plötzlich aus ihrem Griff. Nur noch ein paar Meter bis zur Oberfläche und ich fülle gierig meine Lunge, endlich. Zurück am Strand greife ich mir ein neues Board. Nach so einem Sturz darf man keine Pause machen. Sonst bekommt man Angst."Protokoll: Stephan Bernhard

Ein Mensch im Schleudergang: Gegen solche Riesenwellen kommt niemand an. Foto: Karen Wilson/Tostee.com

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GESEHEN & GELESEN

Eine alte Bergsteigerregel lautet: Gehe nicht alleine auf den Berg. Nicht nur deshalb bilden sich unter Kletterern und Bergsteigern manchmal Verbindungen, die ein Leben lang halten. Horst Höfler hat sich in seinem Buch "Dream Teams - Die erfolgreichsten Seilschaften des Alpinismus" 20 solcher Paarungen vorgenommen. Es sind Freunde darunter, Brüder und Ehepaare. Natürlich sind viele Altbekannte zu finden, wie das durch den Film "Nordwand" im vergangenen Jahr medial besonders präsente Duo Toni Kurz und Andreas Hinterstoißer. Die Huberbuam Alexander und Thomas fehlen genauso wenig wie das Ehepaar Gerlinde Kaltenbrunner und Ralf Dujmovits. Paare wie diese kann wohl niemand mehr gänzlich neu beschreiben. Trotzdem bietet das Buch einen interessanten und abwechslungsreichen Blick auf das Miteinander am Berg, auf Konkurrenzdenken, Vertrauen und Fürsorge. Und beweist: Manche Dinge funktionieren wirklich nur zu zweit. bilu

Horst Höfler: Dream Teams - Die erfolgreichsten Seilschaften des Alpinismus; Bruckmann Verlag; 144 Seiten; 140 Fotos; 29,95 Euro.

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Auf der Bahn, aus der Bahn

Holzrodel sind angesagt: Wie der Deutsche Meister im Naturbahnrodeln am Tegernsee seine rasanten Gefährte baut

Das Eis spritzt durch die Luft, wenn sich Marcus Grausam richtig in die Kurve legt. Mit gemütlichem Schlittenfahren hat das, was der 32-Jährige an seinen Wochenenden macht, nichts mehr zu tun: Bis zu 90 Kilometer pro Stunde erreicht der amtierende Deutsche Meister im Naturbahnrodeln, wenn er richtig in Fahrt ist. "Fehler sollte man da keine machen", sagt er, "sonst prallt man mit voller Wucht gegen die senkrechte Holzbande." Das passiert zwar öfter, erzählt Grausam unaufgeregt, "aber wir sind hart im Nehmen". Der Rodelsport bestimmt sein ganzes Leben: Wenn er sich nicht gerade selbst in die Kurve legt, steht er in seiner Werkstatt in Kreuth nahe des Tegernsees und baut Schlitten. Keine Renn-, sondern Freizeitrodel allerdings. Für sein eigenes Profigerät, das er ebenfalls selbst gebaut hat, wäre der Markt nicht groß genug.

Die Nachfrage nach Freizeitrodeln wird dagegen immer größer: Vor allem an den Wochenenden ist in den Bergen nicht mehr nur in den Skigebieten viel los. Seit Jahren boomt der Schlittenmarkt. Grausam ist dabei einer der wenigen Rodelbauer, die ihre Gefährte komplett selbst und in Handarbeit fertigen. Damit trifft der gelernte Schreiner einen Nerv der Zeit: Die unvermeidlichen Plastikrutschen werden von soliden Holzrodeln mittlerweile klar abgedrängt.

Zum Rodelsport kam Grausam, weil er als Kind eine der besten Bahnen genau vor seiner Haustür hatte. In Stuben am Achenpass erlebte er 1984 seine erste Weltmeisterschaft - noch als Zuschauer. Später rodelte er im Eiskanal am Königssee, hörte aber bald wieder auf damit: "Da muss man zu wenig arbeiten", sagt er. Beim Naturbahnrodeln dagegen rasen die Sportler auf steilen und vereisten Forstwegen den Berg hinunter und müssen dabei tatsächlich ganz schön arbeiten, sprich mit vollem Körpereinsatz bremsen und lenken. 1992 nahm er zum ersten Mal am Weltcup teil, seitdem hat er ihn einmal gewonnen, acht Mal wurde er bisher Deutscher Meister.

2003 machte er aus seinem Sport einen Beruf und begann mit der Rodelkonstruktion. An seinen Gefährten ist kein Teil, über das er sich nicht lange Gedanken gemacht, an dem er nicht immer wieder gefeilt und optimiert hätte. Er wählt das Holz, ausnahmslos Esche, selbst aus - bei Bauern der Region oder aus Franken und lässt es zwei Jahre zum Trocknen lagern. In seiner Kreuther Werkstatt verleimt er dann die Leisten für Kufen und Holme und presst sie in einer selbst konstruierten Verleimpresse in die richtigen Biegungen. "Dabei sind gerade die kleinen Arbeiten manchmal wahnsinnig zeitaufwändig", schildert er. Allein 18 Arbeitsgänge sind zum Beispiel nötig, damit aus einem Holzklotz das Verbindungsstück von den Kufen zur Bank wird - dementsprechend klein ist die Stückzahl der gefertigten Schlitten.

Um die 300 Rodel baut Grausam jedes Jahr unter seiner Marke German Luge - so heißt Naturbahnrodeln unter Profis. Dass das kaum jemand weiß, merkte Grausam erst hinterher: "Jetzt rufen die Leute bei mir an und fragen nach Herrn Luge." Der Clou an den Rodeln ist, dass sie ausgesprochen gut lenkbar sind: Die aufgesetzten Metallkufen sind in einem genau definierten Winkel angebracht, der eine Steuerung möglich macht; einzelne Schrauben sind nicht festgezogen, damit der Rodel flexibel und damit steuerbar bleibt.

Das Lenken ist nach der Beschreibung des Meisterrodlers Grausam "ganz einfach": Für eine Linkskurve drückt der rechte ausgestreckte Fuß vorne gegen den Rodelholm, der linke bleibt ganz locker. Gleichzeitig zieht man mit der rechten Hand an der Schlittenschlaufe die Innenkufe nach oben und zieht mit der linken elegant durch den Schnee. "Wenn man generell schneller unterwegs ist, kann man außerdem die Sitzdecke meiner Rodel absenken", erklärt Grausam. Dadurch rutscht der Rodler zwischen die Seitenholme - und sitzt fast so sicher wie auf einem Profigerät. Dafür sind die Rodel aber nicht billig: Grausam fertigt je nach Körpergröße und Verwendungszweck unterschiedliche Längen, wobei der kleinste mit 95 Zentimetern schon 175 Euro kostet.

Neben seinen vielen Wettkämpfen hat Grausam kaum noch Zeit, seine Freizeitrodel selbst zu fahren. Wenn, dann ist die Kreuther Klamm seine Lieblingsstrecke.

Um bei seinen Geschwindigkeiten mithalten zu können, braucht es neben Mut aber auch eine ganze Menge Training. Das merkten zwei Koreaner, die sich seit kurzem im Internationalen Rodelverband zu etablieren versuchen. Als sie die Sportler über die steile und vereiste Bahn rasen sahen, gingen sie dann doch lieber wieder auf die Zuschauertribüne.Birgit Lutz-Temsch

Alles in Handarbeit: Marcus Grausam baut in seiner Kreuther Werkstatt 300 Holzrodel im Jahr, die fast Profiqualität haben. Foto: Andreas Heddergott

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Die Branche hofft auf guten Wind

Zahlreiche Premieren zur boot 2009 Die Werften auf der Suche nach neuen Kunden

Ein Sommer mit viel Sonne, hohen Temperaturen und wenig Regen - das waren bisher immer die Garanten für gute Geschäfte der Bootswirtschaft im darauffolgenden Jahr. Allerdings gilt das nur in jenen Zeiten, in denen die Wirtschaft funktioniert. Leichte Nervosität also bei den Ausstellern der boot 2009 in Düsseldorf, die am vergangenen Samstag eröffnet wurde; auch, wenn Messe-Geschäftsführer Wilhelm Niedergöker bei der Eröffnung darauf verweisen konnte, dass sich die boot mit rund 1650 Ausstellern aus 54 Ländern "besser als erwartet" gehalten habe. Tatsächlich präsentiert die Bootsmesse in 17 Messehallen am Düsseldorfer Rheinufer wieder die ganze Vielfalt des Wassersports, setzt Trends für die kommende Saison und bietet zudem ein umfangreiches Unterhaltungs- und Informationsprogramm. Rund 1800 Boote - vom Kajak bis zur fast 30 Meter langen Megayacht - sind ausgestellt und spiegeln so nahezu die ganze Bandbreite des internationalen Angebots wider.

Was beim Rundgang auffällt, sind die vielen kleineren Segelyachten um zehn Meter Länge, die sich alle durch modernes Design, gute Segeleigenschaften, Hochseetauglichkeit und einfache Bedienbarkeit auszeichnen. Den Premierenreigen in der Klasse ab knapp neun Meter Länge eröffnet die Jeanneau Sun Odyssey 30i, die rund 70 000 Euro kostet; die Yacht wird mit einem Schwenkkiel angeboten, der den Tiefgang von zwei Metern auf 85 Zentimeter reduzieren kann. 72 500 Euro werden für die neue, mit 9,30 Meter etwas größere Oceanis 31 der Bénéteau-Werft aufgerufen; die Yacht bietet mit 3,40 Meter Rumpfbreite besonders viel Lebensraum unter Deck. Zu den Premieren in Düsseldorf gehört auch die rund 90 000 Euro teure Bavaria Cruiser 35; die 10,76 Meter lange Yacht punktet durch ein modernes Innendesign und gute Segeleigenschaften bei 62 Quadratmetern Segelfläche und 5,8 Tonnen Verdrängung. Für Crews, die mit einem Cruiser-Racer auch auf Regattabahnen Erfolg suchen, präsentiert Dufour in diesem Marktsegment die neue Dufour 34 E für 118 000 Euro. Und die österreichische Schöchl-Werft stellt erstmalig ihre kleine, 9,50 Meter lange Edelyacht Sunbeam 30.1 auf einer Bootsmesse vor. Die Yacht mit vielen Extras und umfangreicher Standardausstattung kostet wenigstens 105 000 Euro.

Flaggschiff bei den Segelyachten ist die Najad 570 mit 17,50 Meter; der schnelle Fahrtenkreuzer aus der Feder des Konstruktionsbüros Judel/Vrolijk & Co. kostet mehr als 1,5 Millionen Euro. Ebenfalls in Skandinavien gebaut und viel beachtet ist auch die HR 372 der Hallberg-Rassy-Werft. Die 11,35 Meter lange Yacht bietet viel Wohnkomfort unter Deck und ist dank großer Segelfläche und schnellem Rumpf, gezeichnet von German Frers, die bisher sportlichste Yacht der für ihre robusten Langfahrtyachten bekannten Werft. Der Preis: rund 270 000 Euro. Dass Segelspaß aber nicht zwingend nach richtig viel Geld verlangt, zeigt das große Spektrum an Jollen. Zu den Überraschungen zählt die neu vorgestellte Speedbreed - eine nur 31 Kilo leichte Kunststoffjolle mit 4,5 Quadratmetern Segelfläche. Der Rumpf ist für ein Crewgewicht von bis zu 95 Kilogramm ausgelegt. Die Speedbreed kostet schlanke 1649 Euro.

Während sowohl bei den Segelyachten als auch bei den Motorbooten zu beobachten ist, dass sich das Ausstellungsangebot im Bereich der Mittelklasse bis etwa zwölf Meter Länge leicht reduziert hat, gibt es trotz angespannter Lage keinen Rückgang bei den Großyachten und den Anbietern der Düsseldorfer Super Yacht Show. 60 große Motoryachten werden gezeigt; Flaggschiff ist die knapp 28 Meter lange Exploreryacht Bandido 90, die mit 160 Tonnen Verdrängung auf Hochseefahrt ausgelegt ist und 7,8 Millionen Euro kostet. Albert Drettmann, Chef der Bremer Yachtagentur Drettmann und Aussteller der Bandido, blickt wie viele seiner Mitbewerber im gehobenen Segment eher gelassen auf das Jahr 2009 und setzt auf seine nach individuellen Eigneransprüchen gefertigten Superyachten der Elegance- und Bandido-Serie; zu letzterer gehört auch die 23,60 Meter lange Bandido 75, die von Ralf Schumacher gekauft wurde.

Wer die acht Hallen, in denen ausschließlich Boote und Yachten ausgestellt werden, besucht, könnte glauben, dass viele Werften dem angekündigten Abschwung mit einem Feuerwerk an neuen Booten und Yachten begegnen wollen - so beispielsweise Bavaria Yachtbau, Deutschlands größte Serienwerft mit Sitz in Giebelstadt, mit der Sport 46. Die 14,20 Meter lange Motoryacht in Form eines offenen Sportbootes bietet bis zu drei Kabinen und wird von zwei jeweils über 300 PS starken Dieselaggregaten angetrieben. Zeichen der neuen Zeit ist auch, dass Bavaria für diese Yacht den Konstrukteur gewechselt hat. Entworfen wurde das Schiff nicht mehr vom Hauskonstrukteur J & J Design in Slowenien, sondern von BMW Group Designworks. Die Designer in Kalifornien zeichnen auch für eine weitere Weltpremiere der Giebelstädter Bootsbauer verantwortlich - die 16,60 Meter lange Segelyacht Cruiser 55 mit 150 Quadratmetern Segelfläche und Platz für bis zu fünf Kabinen. Als Konstrukteur für die Details, die die Segeleigenschaften beeinflussen, konnte Bavaria den für seine schnellen Rümpfe bekannten Neuseeländer Bruce Farr gewinnen.

Gleichermaßen um Komfort und hohe Geschwindigkeit geht es bei den meisten der neuen Motoryachten. So erreichen Boote wie die 8,54 Meter lange Monte Carlo 27 Open der französischen Großwerft Bénéteau, eigentlich für unspektakuläre Gleitfahrten konstruiert, mit ihrem 320 PS starken Motor satte 35 Knoten, mithin fast 65 km/h; die Monte Carlo mit zwei Kojen und Nasszelle kostet rund 83 000 Euro. Der Trend zur höheren Geschwindigkeit wird auch bei der italienischen Pershing 64 deutlich: Die 20 Meter lange Yacht für rund 2,6 Millionen Euro bringt es mit zweimal 1550 PS auf 45 Knoten, mehr als 80 km/h.

Da erscheint die fast 15 Meter lange und 298 000 Euro teure Aquare 1500 wie ein Exot. Diese Premiere ist die Synthese zwischen Motoryacht und einem Haus auf dem Wasser - die winterfeste Wohnung mit Wohn- und Schlafzimmer, Küche und Bad ist wie ein Niedrig-Energiehaus isoliert und tuckert mit gemütlichen zwölf km/h dahin.Klaus Bartels

boot 2009: Messe Düsseldorf; bis 25. Januar; täglich von 10 bis 18 Uhr; Erwachsene 15 Euro, Schüler und Studenten 10 Euro. Infos unter www.boot.de.

Leinen los: Zu den bestaunten Motoryachten der boot zählt die Elegance Open 60 - 18,30 Meter lang und rund 1,6 Millionen Euro teuer (gr. Foto). Premiere feiern die Segelyacht Sunbeam 30.1 (rechts) und die pfiffige Jolle Speedbreed.

Sieger-Typen: Der acht Meter lange Daysailer Saffier 26 (oben), gebaut von der holländischen Werft Saffier Maritiem, wurde zur "European Yacht of the Year" in der Kategorie Special-Yachts gekürt. Zum "Powerboat of the Year" in der Klasse bis 50 Fuß wurde die Mochi Dolphin 54 Fly gewählt.

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WIE FÜHLT SICH DAS AN?

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40 Jahre boot

Am 27. November 1969, Punkt zehn Uhr, wurde die erste boot eröffnet. Seinerzeit stellten sich in der Halle B des ehemaligen Düsseldorfer Messegeländes 116 Aussteller und Werften aus acht Ländern dem zunächst noch zögerlichen Publikum - 33 600 Besucher wurden bei der ersten Bootsmesse gezählt. Als "Vater" der boot gilt der Fachjournalist Horst Schlichting, der auch die Seglerzeitung gründete und noch immer deren Herausgeber ist. Heute gehört die boot zu den weltweit größten Publikumsmessen zum Thema Wassersport. In diesem Jahr werden rund 250 000 Besucher in den 17 Messehallen am Rheinufer erwartet.

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Wer je im Dunkeln ein Zelt aufgebaut hat, fährt nie mehr ohne sie weg: die Stirnlampe. Petzl hat nun die Königin der Kopfbeleuchtungkreiert und sie schlicht und einfach Ultra genannt. Das passt, denn sie strahlt in der kräftigsten der drei Stufen 120 Meter weit. Diese Höchstleistung schafft der Akku zwei Stunden lang; in der niedrigsten hält er fast 17 Stunden. Natürlich kann man mit der Ultra auch Zelte aufbauen - aber mit so viel Power ist sie ideal für Skitouren und andere Aktivitäten, bei denen es Weitblick braucht. Allerdings leuchtet auch der Preis - mit 319,95 Euro.

Jedes Jahr das gleiche: Man will auch im Winter mit dem Rad zur Arbeit fahren. Aber wie bekommt man Laptop und Unterlagen trocken hin und zurück? Vom Packtaschenhersteller Ortlieb gibt es eine Lösung, die nicht so aussieht, als habe man sich von der Transalp in die Stadt verirrt: Das Office-Bag2 kommt so businesstauglich daher, dass es mit dem European Bike Award ausgezeichnet wurde. Der Hartschalenkoffer für 169,65 Euro ist einfach auf den mitgelieferten Gepäckträger-Adapter zu montieren. Im Inneren schützt eine Laptophülle den PC; eine sinnige Unterteilung sorgt dafür, dass nicht alles durcheinandergeschüttelt werden kann.

MITTEL & WEGE

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TECHNIK & TRENDS

Das Datenaufkommen im Internet hat sich gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Am Deutschen Internet Exchange

(DE-CIX), über den Leitungen aus 30 europäischen Ländern verknüpft werden, wurden im Dezember 2008 Spitzen von 600 Gigabit pro Sekunde erreicht. Als Grund für das enorme Wachstum vermuten die Betreiber des Knotenpunktes, dass viele Video-Inhalte abgefragt würden sowie Fernsehen übers Internet.

Der Internet-Explorer von Microsoft (IE) verliert nach Statistiken des Internetmarktforschungsunternehmens Net Applications weiter in der Gunst der Nutzer. Im November und Dezember 2008 sank sein Anteil weltweit auf unter 68,2 Prozent, im Februar waren es noch 74,9. Nutznießer ist vor allem der Browser Firefox, der von Programmierern weltweit als freie und quelloffene Software zur Verfügung gestellt wird.

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Der erste seiner Art

Vor 25 Jahren wurde der Macintosh-Rechner vorgestellt - ohne ihn hätte die Branche sich anders entwickelt

Nach einem Vierteljahrhundert auf dem Markt gibt es für Apple-Macintosh-Computer wenig Grund für düstere Gedanken. Schade eigentlich. Man könnte sonst für die Geburtstagsrede schamlos das Rezept von Frank Capras klassischem Kitschfilm "Ist das Leben nicht schön?" kopieren. Darin steht der verzweifelte Wohltäter vor dem Selbstmord, bis ihm ein Engel zeigt, wie die Welt ohne ihn ausgesehen hätte: grau, kalt, chaotisch.

Andererseits ist der Gedanke zu schön, ihn aufzugeben, bloß weil sich Apple trotz der Auszeit des Übervaters Steve Jobs nicht in einer Krise befindet und keine Rettung braucht. Selbst auf die Gefahr hin, das nicht unbeträchtliche Ego der Manager im Firmensitz Cupertino zu bedienen, sei hier also die Frage gestellt: Wie hätte die Welt ohne den Apple Macintosh ausgesehen? Dabei sei ein wenig künstlerische Freiheit gestattet, zumindest bei der Interpretation der Fakten. Wo es hier in Sachen Apple zu arg wird, meldet sich die Stimme des Gewissens.

Zuerst die Fakten. Angekündigt durch einen legendären Fernsehspot kam am 24. Januar 1984 der erste Apple Macintosh auf den Markt. Es war ein kleines, beiges Kistchen mit Schwarzweiß-Monitor und Diskettenlaufwerk, 128 Kilobyte Arbeitsspeicher, acht Megahertz Prozessortakt, ohne Festplatte und Gebläse zur Kühlung, mit einer klobigen Tastatur und einer Maus mit nur einer Taste. Preis: 2500 Dollar oder etwa 4000 Mark. Seither hat Apple der Computer-Industrie immer wieder durch Innovationen die Richtung vorgegeben. Was also wäre ohne den Macintosh aus der Branche geworden?

Zeilenweise kryptische Befehle

Ohne diesen Apple wäre der Computer an sich heute kein Gerät, das auf nahezu jedem Schreibtisch steht, das Kinder und Rentner sicher bedienen können und das ihnen den Zugang zu einem weltweiten Datennetz öffnet. Vor dem Ur-Macintosh nämlich musste der Benutzer seinem Computer zeilenweise kryptische Befehle eintippen. Der Apple hingegen hatte eine grafische Benutzeroberfläche. Der Bildschirm erinnerte an einen Schreibtisch, auf dem Dokumente lagen. Die Maus bewegte einen Zeiger auf dem Monitor, auf Klicks öffneten sich die Dokumente in eigenen Fenstern und konnten bearbeitet werden. Die Fenster legten sich zwanglos übereinander wie verschiedene Blätter Papier auf dem realen Schreibtisch. Wer eine Datei an anderem Ort speichern wollte, fasste sie mit dem Mauszeiger an und schob sie in den Zielordner; zum Löschen bugsierte man sie in den Papierkorb.

Das erscheint heute banal, damals war es revolutionär. Apple hatte mindestens ein Jahr Vorsprung bei Rechnern, die auf den Konsumenten-Markt zielten. 1985 kamen Computer von Atari und der Commodore Amiga mit grafischer Bedienung heraus, erst 1990 schaffte Microsoft mit Windows-Version 3 etwas halbwegs Vergleichbares. Daher muss die Stimme des Gewissens einräumen: Auch ohne den Macintosh gäbe es heute wohl Computer mit Maus, Ordnern und Papierkörben. Entscheidend an der Entwicklung beteiligt waren schließlich kluge Köpfe der Stanford University und des benachbarten Xerox-Parc-Forschungszentrums in Palo Alto, Kalifornien. Irgendwann wäre Apples Konkurrenz von allein draufgekommen. Doch es war eben Steve Jobs, der die Entwicklung als Erster auf einen Konsumenten-Computer übertrug.

Die Einführung des Macintosh hatte noch auf anderem Wege entscheidenden Einfluss auf die Computerindustrie: über den Werbespot. Er lief nur ein einziges Mal regulär im Fernsehen, in der Pause des "Superbowl", des Football-Endspiels am 22. Januar 1984. Starregisseur Ridley Scott hatte die 60 Sekunden für 900 000 Dollar gedreht. Eine Athletin hetzt darin durch eine graue Welt, in der gleichgeschaltete Menschen der Botschaft eines Diktators zuhören. Die Atmosphäre ist George Orwells Romanklassiker "1984" nachempfunden. Verfolgt von Wachen erreicht die Läuferin den wandgroßen Bildschirm, von dem der Große Bruder dröhnt, und schleudert ihm einen Vorschlaghammer ins Gesicht. Aus dem Off erklärt eine Stimme, mit dem neuen Apple Macintosh werde 1984 eben nicht wie "1984".

Nie zuvor und nie danach hat TV-Werbung ein vergleichbares Echo ausgelöst. Am nächsten Tag sprachen mehr Menschen über den Spot als über das Spiel. Er hat nicht nur die Werbebranche verändert, sondern auch eine Generation von Computer-Experten geprägt. Es war die Generation, die im Silicon Valley in Kalifornien schließlich die digitale Revolution lostrat und die Büroarbeit ebenso wie den privaten Umgang mit Unterhaltungsmedien umgekrempelt hat.

Ohne den Macintosh wüssten heute auch nur Insider, wo Bondi Beach ist. Dieser Strand östlich von Sydney wurde 1998 zum Namensgeber für den Blauton, in dem das durchsichtige Gehäuse des ersten iMac-Computers von Apple schimmerte. (Stimme des Gewissens: Im Jahr 2000 fanden die olympischen Beachvolleyball-Wettbewerbe in Bondi Beach statt, es gibt also eine Quelle für das Wissen, die unabhängig von Apple ist). Mit dem rundlichen iMac übernahm Steve Jobs bei Apple wieder die Macht und zeigte der Welt, dass auch Computer Designobjekte sein können. Plötzlich waren Bonbonfarben für Rechner akzeptabel, später griff Apple zu gebürstetem Aluminium und weißem Kunststoff in Hochglanzoptik. Es unterstrich damit seinen Anspruch, Computer für eine Avantgarde zu bauen.

Diese Zielgruppe bekommt auf ihren Rechnern vorgeführt, was eigentlich möglich ist. Apple stimmt seine Computer und Programme seit dem ersten iMac eng aufeinander ab, weil die Hard- nicht ohne die Software funktioniert und umgekehrt. So ist es möglich, dass ein Apple-Notebook in den Ruhezustand geht, wenn man den Bildschirm zuklappt. So konnte das Betriebssystem Mac OS X der installierten Software unabhängig vom Hersteller zentrale Dienste anbieten wie das Erzeugen von PDFs. Mac-Nutzer haben sich zudem daran gewöhnt, per Knopfdruck einen Überblick aller geöffneten Fenster zu sehen oder in nahezu jede Datei hineinzuschauen, ohne das entsprechende Programm öffnen zu müssen.

Dafür nahm es diese Zielgruppe viele Jahre lang hin, dass es für ihre Computer weniger Software gab als für die längst dominierenden Windows-PCs. Und dass der Austausch von Dokumenten zwischen den Rechnerwelten manchmal Probleme machte und merkwürdige Sonderzeichen in die Dateien brachte, wo vorher Umlaute standen. Diese Mängel begrenzten immer den Verkaufserfolg der Apple-Computer, sind inzwischen aber weitgehend behoben. Übriggeblieben sind Computer, die einfach gut funktionieren. Ohne den Macintosh hätte es diesen Maßstab nicht gegeben, an dem sich die Macken von Microsofts Windows abmessen lassen.Christopher Schrader

Apple-Mitgründer Steve Jobs versah als erster erschwingliche Computer mit einer grafischen Benutzer- Oberfläche. Foto: Getty Images

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MOBILES LEBEN

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TECHNIK-LEXIKON

Betriebssystem

Ohne Betriebssystem wäre ein Computer lediglich ein Haufen aus Blech, Elektronikbausteinen und Kunststoff. Es sorgt für den ordnungsgemäßen Betrieb, also für den richtigen Ablauf verschiedener Programme. Dabei ist ein Betriebssystem selbst eine Software, die sich aus vielen Programmen zusammensetzt. Im Zentrum steht der Betriebssystemkern - er bildet die Schnittstelle zwischen Hardware und Programmen und bestimmt unter anderem, wie viele Ressourcen einem Programm eingeräumt werden. Ein weiterer Baustein eines Betriebssystems sind die Gerätetreiber. Diese Programme ermöglichen die Kommunikation zwischen Hardware, angeschlossenen Geräten sowie Anwendungsprogramm, zum Beispiel also das Drucken aus einem Textverarbeitungsprogramm heraus. Laut Deutscher Industrie Norm 44300 muss ein Betriebssystem eine Benutzerschnittstelle bereitstellen. Also eine Eingabemaske, über die der Nutzer mit dem Computer arbeiten kann. In frühen Betriebssystemen wie DOS waren diese Schnittstellen rein textbasiert. Die heute gängigen Betriebssysteme bieten in der Regel eine grafische Benutzerschnittstelle. Diese sorgt unter anderem dafür, dass der Nutzer per Mausklick zwischen verschiedenen Ordnern und Dateien navigieren kann, ohne Befehle einzugeben. Trotz aller Kritik ist Windows mit Abstand das meistgenutzte Betriebssystem und wird Statistiken zufolge von 88,7 Prozent der Internetnutzer verwendet. 9,6 Prozent nutzen Mac OS X.hoch

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24 STUNDEN MIT . . .

. . . dem Mini-Laptop Sony Vaio P

Man will weg, einfach nur weg, ganz schnell. Aber es geht nicht. Eine unsichtbare Kraft lähmt alle Bewegungen. Wer dieses Gefühl aus Albträumen kennt, der kann ermessen, wie es ist, mit Windows Vista auf einem Gerät zu arbeiten, das dafür einfach eine Nummer zu klein ist.

Dabei ist Sonys neuer Vaio P eigentlich ein Schmuckstück. Mit seinem in drei Farben erhältlichen Metallic-Finish, der edlen, an Apple gemahnenden Tastatur und einem Gewicht von nur knapp 650 Gramm könnte er das Netbook sein, auf das designverliebte und betuchte Käufer gewartet haben. Er ist so klein, dass er in jede Tasche passt. Und so flach, dass die Sony-Ingenieure auf eine Netzwerk-Buchse verzichten mussten (es gibt aber einen Adapter).

Der Bildschirm hat zwar nur eine Diagonale von gut 20 Zentimeter, zeigt aber 1600 mal 768 Bildpunkte an. Damit kann man neben einer Webseite leicht noch ein anderes Programm mit auf den Schirm holen - vorausgesetzt man hat gute Augen oder einen solchen Optiker. Icons und Schriften sind wirklich winzig klein.

Der elektronische Begleiter, der 999 Euro kosten soll, empfiehlt sich nicht bloß als Reiseschreibmaschine und mobile Surf-Station. Mit seinem eingebauten GPS-Chip kann er auch die Position bestimmen und sie auf Googles Internet-Dienst Maps anzeigen. Damit das unterwegs auch dann klappt, wenn gerade kein Wlan in ist der Nähe ist, hat der Vaio P auch einen Chip zum Surfen über UMTS an Bord.

Bei Sony hat man wohl geahnt, dass das ressourcenhungrige Vista den Zwerg überfordert. Zwar hat man ihm großzügige zwei Gigabyte Hauptspeicher spendiert. Aber weil auch das Rechnerherz, ein Intel Atom Z 520, vor allem aufs Stromsparen ausgerichtet ist, bleibt zumindest das Vorseriengerät, das uns zum Test gestellt wurde, unerträglich lahm. Dazu trägt auch die 60-Gigabyte-Festplatte bei, die ebenfalls eher gemächlich ihre Daten herausrückt. Dem Minirechner wurde aber ein zweites Betriebssystem auf der Basis von Linux eingepflanzt, das auf Knopfdruck in wenigen Sekunden hochfährt und die wichtigsten Funktionen Musik hören, surfen und Video gucken ermöglicht.

Apropos Video: Hier glänzt das Mini-Notebook mit seinem brillanten Bildschirm so richtig. Erst aber muss man die Filme mal auf den Rechner bringen, denn ein DVD-Laufwerk hat er bei diesen Maßen natürlich nicht. Filme in Überlänge könnten im Mobilbetrieb auch den Akku überbeanspruchen, der im Betrieb recht heiß wird. Die geringe Größe wird also doch mit einigen Nachteilen erkauft. Am schlimmsten aber wirkt sich die Entscheidung für Vista aus. Die Geduld, damit zu arbeiten, dürfte die angestrebte Klientel wohl kaum haben.Helmut Martin-Jung

Winzling mit Software-Bremse: Sonys Vaio P leidet unter der Ausstattung mit Windows Vista. Foto: Buschmann

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Die grüne Seite

"Ein Stück Leben verloren": Jasmins Wut in Ramallah

Jasmin Srouji, 26, ist die Tochter eines Palästinensers und einer Deutschen. Sie wuchs in Freiburg zweisprachig auf und studierte dann in Bayreuth Medienwissenschaften. Seit einem Jahr lebt Jasmin in Ramallah, wo sie mit der Jugendorganisation Pyalara (Palestinian Youth Association for Leadership and Rights Activation) eine wöchentliche TV-Diskussionssendung für Jugendliche sowie die Zeitung The Youth Times produziert, die man im Westjordanland, im Gazastreifen und auf pyalara.org lesen kann.

jetzt.de: Jasmin, du kommst gerade von einer Demo, oder?

Jasmin: Ja, seitdem der Krieg begonnen hat, wird in Ramallah fast jeden Tag gegen die israelischen Angriffe protestiert.

jetzt.de: Es ist nur ein paar Monate her, da standen die Palästinenser noch vor einem Bürgerkrieg und jetzt seid ihr wieder solidarisch miteinander?

Jasmin: Natürlich haben die Fatah im Westjordanland, wo ich lebe, und die Hamas im Gazastreifen komplett unterschiedliche politische Vorstellungen davon, wie der Staat Palästina - der hoffentlich irgendwann existiert - aussehen soll. Aber jeder im Westjordanland kennt jemanden aus Gaza. Meine Organisation Pyalara hat zum Beispiel hat fünf feste Mitarbeiter dort, mit denen wir alle paar Tage eine Videokonferenz hatten - bis Israel ihnen jetzt den Strom abstellte. Und wenn ich dann höre, dass drei von ihnen aus ihren Häusern raus mussten und in einer Schule campieren, fühl' ich natürlich mit. Wir leiden auf beiden Seiten unter der Besatzung Israels.

jetzt.de: Die Hamas hat den seit Juni herrschenden Waffenstillstand nicht einen Tag eingehalten. Kannst du es nicht nachvollziehen, dass Israel reagiert?

Jasmin: Jeder weiß, dass Israel militärisch überlegen ist. Strategisch gesehen scheint es für Israel von Bedeutung zu sein, einmarschieren zu können, ohne dass die Weltgemeinschaft ihnen Einhalt gebietet. Insofern hat der Raketenbeschuss seine Funktion. Es ist bekannt, dass die Israelis ein Raketenabwehrsystem haben. Wenn sie wollten, könnten sie die Raketen abfangen und noch in der Luft sprengen. Es gibt auf jeden Fall andere, bessere Möglichkeiten, um die Hamas zu stoppen.

jetzt.de: Die Leute in deinem Alter haben beide Intifadas 1987 und 2000 miterlebt. Was bedeutet es, latent immer einen Krieg vor Augen zu haben?

Jasmin: Es nimmt einem ein Stück Leben weg. Glücklichsein, sich Verlieben, diese alltäglichen Dinge, kommen nicht in Frage. Die Menschen planen ihr Leben von einer Minute zur anderen. Vor allem die Leute in Gaza fühlen sich durch die Mauer total isoliert. Man hat das Gefühl, die Welt hat einen vergessen.

jetzt.de: Hat man da überhaupt noch einen Nerv für Dinge, die "normale" Jugendliche machen: Uni? Job? Weggehen?

Jasmin: Seit dem 27. Dezember hat keiner meiner Freunde mehr richtig gelacht, und das tut mir weh. So etwas kann ein Volk zerstören. Wenn in Deutschland irgendetwas passiert und ein Kind stirbt, redet man schon darüber, ob die Familie sich je von dem Verlust erholt, ob man so etwas verarbeiten kann. Hier gibt es hunderte Familien, aus denen jemand herausgerissen wurde. Unzählige zerstörte Biographien. Das ist einfach belastend.

jetzt.de: Seid ihr ein traumatisiertes Volk?

Jasmin: Die Leute haben Angst. Und diese Dauerangst ist etwas, was die Seele tief verletzt. Es gab hier noch nie Frieden. Immer wieder werden einfach so Menschen gefangen genommen, aber da redet niemand drüber. Dass israelische Soldaten einfach mal so in die Uni einfallen und irgendwelche Leute festnehmen, weil sie glauben, die würden zu einer terroristischen Gruppe gehören. Da wird so ein Hass geschürt.

jetzt.de: Hass, aus dem potenziell Terroristen werden?

Jasmin: Nein, die sind ja nicht doof hier. Die Leute sind gebildet und man glaubt an die Demokratie. Aber obwohl das Westjordanland ein autonomes Gebiet ist, werden die meisten Gesetze von Israel bestimmt und aufgezwungen. Niemand glaubt so richtig daran, dass es in absehbarer Zeit einen Staat Palästina geben wird, mit Demokratie und einer Rechtsordnung. Die meisten Jugendlichen denken, dass Politik nichts bringt und resignieren.

jetzt.de: Halten dich deine Freunde für bekloppt, dass du bleibst, obwohl du nach Deutschland zurück könntest?

Jasmin: Die meisten Palästinenser lieben ihr Land und ich tu's auch. Und ich glaube, es macht manchen Mut, wenn sie sehen, dass man hier sein will - weil es einfach ein besonderes Land ist.

Interview: rebecca-lucke.jetzt.de

Das ausführliche Interview mit Jasmin liest du online auf www.jetzt.de.

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Die rote Seite

Ständig liegt Krieg in der Luft. Dann, plötzlich, ist er da: Was die Angst aus jungen Israelis macht

Als der Krieg eine Woche alt ist, setzt Merav Maroody sich ins Auto und macht sich auf den Weg von Tel Aviv zum Journalistenhügel. Der Journalistenhügel ist der Ort, auf dem die Weltpresse herumsteht, weil die israelische Armee, die zwei Kilometer davon entfernt gegen die Palästinenser kämpft, sie nicht näher heran lässt. Ganz oben stehen zwei Bäume, darunter stecken weiße Säulen im Boden, die an einen anderen, älteren Krieg erinnern. Die Menschen, die hier Kameras aufbauen, Notizen machen und in Mikrophone sprechen, beobachten den neuen Krieg, der sich vor ihnen im Dunst abzeichnet.

Merav stellt sich auf dem grünen Hügel zwischen die Journalisten und hält ihren Fotoapparat in die Luft. In der einen Richtung sieht sie den Gazastreifen, in der anderen den Badeort Ashkelon, in dem ihre Eltern leben. Ihr Vater stammt aus dem Irak, von ihm hat sie die schwarzen Locken und dunklen Augen, von ihrer polnischen Mutter die helle Haut. Im Sommer lag Merav manchmal in der Nähe ihres Elternhauses in der Brandung des Meeres, blickte nach Süden und dachte daran, dass der Strand von Ashkelon der gleiche war wie der in Gaza.

Merav macht Bilder von den kastigen Häuser und den Moscheen Gazas im Staub; von den dicken Rauchsäulen der Bomben über den Dächern, von langen, einsamen Mikrophonen, die neben ihr im Boden stecken, um das Krachen und Dröhnen des Krieges aufzuzeichnen. Sie fotografiert, um zu verstehen, damit dieser Krieg für sie Gestalt annimmt. Und wenn es nur von weitem ist.

In Tel Aviv kriegt sie davon nichts mit. Die Stadt am Mittelmeer ist das Berlin Israels, deren lebenslustige Bewohner mit Religion wenig am Hut haben und traditionell eher links wählen. Wenn es irgendwo im Land Demonstrationen gegen den Krieg geben müsste, dann hier. Aber die Proteste halten sich stark in Grenzen. Das Boulevard-Blatt Maariv schreibt, es habe in einer Umfrage herausgefunden, dass fast alle Israelis dem Krieg zustimmen würden: 91 Prozent.

Seit fünf Monaten lässt Yotam sich die Haare wachsen, seit ihn die Armee entlassen hat. "Im Moment sind sie in diesem Zwischenstadium, in dem man immer blöd aussieht", sagt er, und wischt noch einmal mit dem Lappen über die Theke, bevor er seinen Dienst anfängt. Er ist Barkeeper im Alora, einem italienischen Restaurant am Rothschild-Boulevard, Tel Avis schönster Flaniermeile. Als kleiner Junge machte er zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem Krieg, als Saddam Israel mit Giftgas bedrohte. "Meine Eltern haben mir erzählt, es sei alles ein Spiel: Ich war der Space-Commander, weil meine Kindergasmaske wie ein Raummanzug aussah, und meine Eltern waren Schweine, weil ihre Masken diese Rüssel vorne hatten. Ich hatte richtig Spaß im zweiten Golfkrieg", erzählt er und grinst.

Im Moment hat er noch keine Angst, die Waffen der israelischen Gegner in Gaza reichen nicht bis nach Tel Aviv, noch nicht. Angst hätte er erst, wenn die Armee ihn nach Gaza rufen würde, was theoretisch passieren könnte. In Israel gilt die allgemeine Wehrpflicht, die Männer leisten nach der Schule drei Jahre ab, die Frauen zwei. Es gibt Ausnahmen, aber Yotam ist keine. Seit der Dienst vorbei ist, gehört er zur Reserve.

Vor dreieinhalb Jahren war er in Gaza. Er war 19 Jahre alt und Israel zog sich gerade aus dem Streifen zurück, den es 1967 besetzt hatte. Yotams Job bestand darin, alles zu beseitigen, was an Israel erinnerte. Er sah Graffitis an den Wänden, die die israelischen Soldaten als Nazis beschimpften, hingeschmiert von Siedlern, die auf Geheiß der Regierung das Gebiet verlassen mussten. Er fand es damals richtig, dass Israel sich zurückzog, auch heute meint er: "Wir haben da nichts zu suchen. Das ist nicht unser Land." Er weiß, dass die Armee ihn vielleicht rufen wird. Er weiß auch, dass er sich drücken könnte: Israel geht hart gegen die Wenigen vor, die aus Protest verweigern, aber Krankschreiben geht eigentlich immer. Yotam schüttelt den Kopf. Er würde hingehen. "Die Leute, die jetzt dort kämpfen, machen es, um mich zu verteidigen. Ich finde es nicht gut, wie sie das machen, aber ich kann mich da nicht raushalten. So ist das eben."

Arik Magal zuckt jedesmal zusammen, wenn sein Handy klingelt. Sein Bruder könnte dran sein. Tomer ist 23. Als die Armee anrief, war er gerade dabei, herauszufinden, ob er um die Welt reisen oder bei seiner Freundin bleiben wollte. Jetzt bereitet er sich auf den Krieg vor, die Brüder telefonieren jeden Tag. Gestern klang Tomer richtig aufgekratzt. Das Training tue ihm gut, sagte er, endlich habe sein Tag Struktur, er könne nicht mehr bis drei Uhr nachmittags im Bett liegen. Wann er nach Gaza müsse, wisse er nicht. "Stell' dir vor, es ist ein Computerspiel - nur mit viel, viel besser Graphik", riet sein Bruder.

Arik hat Angst um Tomer. Sein Trost liegt darin, dass die israelische Armee ihren Gegnern haushoch überlegen ist. Als Arik an diesem Morgen, dem zehnten Tag des Kriegs, aufwachte, waren etwa 700 Palästinenser gestorben - und neun Israelis. Der Gazastreifen ist nur ein Fetzen Land - etwa so groß wie München - aber eine der am dichtesten besiedelten Regionen der Welt. Israel sagt, es bemühe sich, keine Unschuldigen zu treffen, aber die Enge des Kampfgebiets macht es auch für Zivilisten zur Todesfalle. Arik wird wütend, wenn man ihn fragt, ob das gerecht sei? "Ich habe das Gefühl, die Welt würde sich freuen, wenn mehr Israelis sterben würden. Tut mir leid, das kann ich mir nicht wünschen." Noch wütender war er, als ein deutscher Freund ihm eine Unterschriftenliste schickte. Betreff: "Waffenstillstand, sofort!". Arik griff in die Tasten und schrieb: "Wie naiv bist du eigentlich?"

Er ist für den Krieg, obwohl sein Bruder dabei ist, und obwohl er bisher immer Parteien wählte, von denen er hoffte, sie würden mit den Palästinensern friedlich verhandeln. Aber Arik glaubt fest, dass die Palästinenser in Gaza Israel lieber heute als morgen zerstören würden. Allen voran die Hamas, die Gaza seit dem vorletzten Sommer kontrolliert. Die Bewohner des Gazastreifens haben den politischen Arm der radikal-islamistischen Organisation Hamas bei den paläsinensischen Parlamentswahlen vor drei Jahren mit einer Mehrheit gewählt. Später übernahm Hamas den Rest der Macht gewaltsam - zum Entsetzen Israels, der USA und der EU, die die Hamas als Terroristenorganisation einstufen.

Die Hamas lehnte Frieden mit Israel ab, immer wieder flogen in den vergangenen Jahren selbstgebaute und unlenkbare Raketen aus dem Gazastreifen und krachten in Autos und neben Schulen in israelischen Städten, immer wieder starben Menschen. Lange hielt Israel sich mit Gegenangriffen zurück, versuchte, die Hamas zu schwächen, indem es den Gazastreifen abriegelte. Bald mangelte es den Bewohnern an allem: Medikamente, Lebensmittel, Benzin. Die Palästinenser gruben Tunnel, durch die sie Lebensmittel in den Gazastreifen brachten, aber auch Waffen, immer wieder. "Ein tödliches Hamsterrad" hat Joschka Fischer den Nahost-Konflikt genannt.

Die Juden, schrieb Arik an seinen deutschen Freund, seien immer gehasst worden. Wenn sie sich nicht selbst verteidigen würden, täte es keiner. 10 000 Raketen, schrieb Arik, hätte die Hamas in den vergangenen Jahren aus dem Gazastreifen auf israelische Städte geschossen - die Menschen lebten in ständiger Todesangst. Die Bewohner Gazas, schrieb er, seien mindestens mit Schuld an ihrem Elend. Als die Mail abgeschickt war, rief Arik Tomer an. Sein Bruder ging nicht ans Telefon. Vor dem Einsatz müssen die Soldaten ihre Handys abgeben. Seitdem weiß Arik, dass sein Bruder in Gaza ist. Seitdem sitzt er vor dem Computer und sieht Filme, einen nach dem anderen, Actionfilme, Katastrophenfilme, die Wände seines Zimmers erzittern von dem Krachen, und Arik wartet darauf, dass er endlich müde wird.

Merav sitzt in einem Café, das einer Starbucks-Filiale sehr ähnlich sieht, aber Arcaffe heißt. Sie hat eigentlich keine Lust mehr, über den Krieg zu reden, der jetzt schon fast drei Wochen alt ist, sie hat sich fast daran gewöhnt. Auf dem Journalistenhügel bei Gaza habe es einen Moment gegeben, in dem sie einer Rakete zusah, die aus Gaza aufstieg und dann auf Ashkelon fiel. Das sei schon komisch gewesen, ihre Eltern dächten aber gar nicht nicht daran, Ashkelon zu verlassen. Und sie gibt ihnen recht.

Merav ist in Israel groß geworden, Krieg und Terror gehörten immer dazu. Vor zwei Jahren töteten Hisbollah-Kämpfer ihren besten Freund im Libanonkrieg, ein anderer starb bei einem Terroranschlag auf einen Bus. Vor zwei Tagen kam in Gaza ein Bekannter um. Sie trauert um ihre Freunde und ein bißchen trauert sie auch um die palästinensischen Toten, aber sie will ihr Leben weiterleben, so lange und so normal es geht. "Was in Gaza passiert, ist schrecklich, aber es ist nicht schlimmer als das, was in Sudan passiert, oder in Tibet. Es ist zufällig näher dran an mir, aber ich kann genauso wenig tun", sagt sie. Dann lacht sie, sie kann nicht anders, denn eigentlich geht es ihr gerade ganz gut. Sie mag den Winter in Tel Aviv, das kühle Sonnenlicht, sie glaubt, dass sie sich bald verlieben wird. Der Cappuccino auf dem Tisch, die Kamera im Rucksack, der Krieg nebenan und der Frieden dieses Moments, das alles sind Fakten, die zu ihrem Leben gehören.

Ihr guter Freund Tom, sagt sie, schreibe gerade eine Werbekampagne für eine Tanzshow im Fernsehen. HipHop- und Breakdancer treten darin gegen Tangotänzer an. Früher hieß die Show "Krieg der Welten". Wegen Gaza hat man sie unbenannt, sie heißt jetzt: "Hör' nie auf zu tanzen". theresa-baeuerlein.jetzt.de

"Waffenstillstand, sofort!" - "Wie naiv bist du eigentlich?"

"Der Gazastreifen ist nur ein Fetzen Land - etwa so groß wie München - aber eine der am dichtesten besiedelten Regionen der Welt": Die Karte des Nahost-Konflikts.

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Verantwortlich: Dirk von Gehlen

Illustration: Katharina Bitzl

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Der Krieg im Web oder die Suche nach einer Million Unterstützern

Während Israel in den Gazastreifen rückte, rüsteten die User beider Seiten zum Online-Gefecht - selbst Militärsprecher bezeichnen die Blogosphäre als "Kriegszone"

Es herrscht Krieg auf Facebook. Durch den Kulminationspunkt der globalen 2.0-Gemeinde läuft eine tiefe Verwerfung, die Kriegsbefürworter und -gegner, Hamassympathisanten und Israelunterstützer voneinander trennt. Kurze Zeit nachdem der Konflikt im Gazastreifen eskalierte, gründeten sich im Internet zahlreiche Gruppen, um die jeweilige Kriegspartei zu unterstützen. "I wonder how quickly i can find 1 000 000 people who support Israel" oder "Hamas? I don't like them" heißen sie beispielsweise. Die Pendants der Gegenseite nennen sich "I bet i can find 1 000 000 who dislike the state of Israel" oder profaner: "Fuck Israel". Teils umfassen diese Netz-Interessengemeinschaften mehrere 100 000 Mitglieder.

Die realen Auswirkungen der digitalen Entrüstung hielten sich zunächst in Grenzen. Man ruft zu Spenden für die Familien getöteter israelischer Soldaten auf, teilt der Gruppe Ideen für alternative Friedenspläne mit und beschimpft sich dabei ausgiebig. So genannte "Flame Wars" sind im Internet auch in Friedenszeiten nichts Ungewöhnliches und entzünden sich oft an Kleinigkeiten. Doch die Härte der Auseinandersetzung in Foren und Blogs erreichte in den vergangenen Tagen eine neue Qualität. Einige der oben genannten Gruppen waren in der vergangenen Woche über längere Zeit nicht erreichbar. Den Ruhm für die Blockade beanspruchte die so genannte Jewish internet defense force für sich. Eine Gruppe, deren Ziel es ist, "Antisemitismus und Terrorismus im Web zu bekämpfen".

Dieses Beispiel zeigt: Noch immer geht es um Territoriumsgewinne und Frontverläufe. Der Kampf verlagert sich vom realen Schlachtfeld auf das der öffentlichen Meinung. Im "Krieg 2.0" ist vor allem moralische Deutungshoheit das strategische Ziel. Informationsströme zu kontrollieren ist in Zeiten der dezentralisierten Online-Kommunikation und sozialen Netzwerke aber ein schwieriges Unterfangen. Früher wurden, sollte die feindliche Kommunikation lahmgelegt werden, Fernsehsender und Radiostationen bombardiert oder hinter der Grenze Flugblätter abgeworfen. Die Blogosphäre hingegen zum Schweigen zu bringen ist ungleich diffiziler.

Jedoch: Aus dem Gazastreifen selbst erreichen in den vergangenen Wochen nur wenige Berichte die Online-Öffentlichkeit. Deren geringe Zahl ist vermutlich auf den dort herrschenden Elektrizitätsmangel zurückzuführen. Ein Aufschrei der Entrüstung durchfährt dagegen den Rest der arabischsprachigen Blogosphäre: Zahlreiche Blogeinträge aus Ägypten, Syrien oder dem Iran befassen sich mit dem Konflikt. So genannte "Google-Bombs" werden benutzt, um Webseiten mit dem eigenen Anliegen auf der Trefferliste der Suchmaschinen nach oben und damit in die öffentliche Aufmerksamkeit zu treiben.

Einen direkteren Weg wählte eine marrokanische Hackercrew namens DNS-Team und griff in einem eher unkoordiniert scheinenden Akt der Cyber-Solidarität israelische Homepages an. Die überrannten Webseiten wurden mit Fotos toter palästinensischer Kinder und Durchhalteparolen gepflastert.

Die "Aufrüstung" á la Web 2.0 ist Teil einer umfassenden Strategie. Beide Seiten haben die Bedeutsamkeit der öffentlichen Meinung im postmodernen Krieg erkannt. "Die Blogosphäre und die neuen Medien sind grundsätzlich eine Kriegszone", sagte Major Avital Leibovich, Sprecherin der israelischen Armee (IDF) kürzlich in einem Interview mit der Jerusalem Post.

Es scheint als hätte man sich bei der IDF bereits mit dem nötigen Rüstzeug ausgestattet - die Streitkräfte befüllen ihren Blog und den hauseigenen YouTube-Channel. Die Videos von Präzisionsluftschlägen gegen Hamasstellungen erlauben in der verfremdeten Ästhetik der Wärmebildkameras einen Einblick in das Kriegsgeschehen. Die Kommentarfunktion unter den Einträgen hat die IDF wohlweislich abgestellt. Im visuellen Bereich herrscht ein asymmetrischer Krieg. Aqsatube, das Videoportal der Hamas, ist bereits seit längerer Zeit nicht mehr erreichbar.

Auch mobile Kommunikation wird Teil des Kampfes um die Köpfe. Der isralische Konsul in New York, David Saranga, gibt über seinen Twitter-Account Pressekonferenzen mit 140 Zeichen Länge in Leet-Speak. "we R pro nego...we talk only w/ ppl who accept R rt 2 live", so eine seiner Mitteilungen. Mobiltelefone werden auch andernorts zu Zielen im Informationskrieg. So verschickte die IDF nach einem Bericht des Guardian massenhaft SMS, um Zivilisten vor niedergehenden Bomben in ihrer direkten Nachbarschaft zu warnen. Ein Hamas-Sprecher bezeichnete diese Mitteilungen gegenüber der Zeitung jedoch als Propaganda, die viele Menschen ohne Not aus ihren Häusern getrieben habe. Die Antwort der Hamas auf dem SMS-Schlachtfeld besteht in Kurznachrichten an israelische Handy-Nutzer, in denen mit Vergeltungsschlägen in Form von fortgesetztem Raketenbeschuss gedroht wird.

Einen gänzlich neuen Ansatz wählen die Betreiber der Website help-israel-win. Sie fordern auf ihrer Homepage den Surfer auf, seinen eigenen Anteil zum Sieg beizutragen. So soll der Besucher ein Programm mit dem treffenden Namen patriotinstaller.exe auf seinen Computer laden, "um die Absicht unserer Feinde, den Staat Israel zu zerstören, zu behindern". Bei der Datei scheint es sich um einen Trojaner zu handeln, der die Computer des Downloaders in ein Bot-Netzwerk gliedert. So könnte help-israel-win konzertierte DoS-Attacken (Denial of Service) auf Hamas-freundliche Websites steuern und diese blockieren. Laut Angaben der Macher haben sich bereits über 8 000 Freiwillige das Programm heruntergeladen und ihre Rechner damit den selbst ernannten Cyber-Feldherren übereignet. Eine weitere kleine Armee im Krieg der Informationen.

michael-moorstedt.jetzt.de

Im Krieg 2.0 geht es um moralische Deutungshoheit.

Per SMS droht die Hamas israelischen Handy-Nutzern.

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Meutereiversuch bei Mecom

Medieninvestor David Montgomery hat vergangene Woche seinen Sturz verhindert. Sechs Direktoren seiner Beteiligungsgesellschaft Mecom hätten die Anteilseigner gedrängt, ihn abzulösen, berichtete der Guardian am Samstag. Der Verkauf von Zeitungen zur Tilgung der Schuldenlast von mehr als 600 Millionen Euro sei ihnen nicht schnell genug gegangen, heißt es. Montgomerys Investoren stellten sich jedoch am Freitag hinter ihn, woraufhin die sechs kündigten. Drei Tage zuvor hatte die Gruppe verkündet, ihre deutschen Blätter (Berliner Zeitung u. a.) für 152 Millionen Euro an M. DuMont Schauberg zu verkaufen. SZ

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Raab kopiert Raab

Stefan Raab bekommt eine neue Show auf Pro Sieben. Schlag den Star, eine Abwandlung seines erfolgreichen Formats Schlag den Raab, werde vom 13. März an vier Mal freitags um 20.15 Uhr ausgestrahlt, teilte der Sender am Sonntag mit. Statt Raab sollen Prominente in mehreren Disziplinen gegen Herausforderer aus dem Publikum antreten, er selbst nur moderieren. Schlag den Raab sei als Konzept inzwischen in 13 Länder verkauft worden. Am Samstag kam das deutsche Original bei den werberelevanten 14- bis 49-jährigen Zuschauern auf einen Marktanteil von 25,2 Prozent, mehr als das Doppelte des Senderdurchschnitts. SZ

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Die neue Nummer zwei

Seit einem Jahr ist Jeff Bewkes der Chef von Time Warner, dem weltgrößten Medienkonzern - nun zerlegt er ihn

Im Frühjahr 2002 kam es in New York zu einer Zusammenkunft der führenden Manager von Time Warner, die seitdem Legende ist bei dem Unternehmen. Heute, da Time Warner vor einer Zäsur steht und bald nicht mehr der führende Medienkonzern der Welt sein wird. Das Treffen geriet zum ersten Spatenstich für das Begräbnis des damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Steve Case, markiert aber auch die Geburt von Jeff Bewkes als heutigem Chef des Unternehmens. Damals hieß es noch AOL Time Warner, und der ehemalige AOL-Chef Steve Case stand an der Spitze. In jener Sitzung, die in der alten Konzernzentrale am Rockefeller Plaza stattfand, schwärmte Case von der Zukunft des weltweit führenden Medienunternehmens. Mit der 2001 geschlossenen, 112 Milliarden Dollar teuren Fusion, der größten der Mediengeschichte, bei der sich America Online (AOL) und Time Warner verbündeten, sei man der Konkurrenz von News Corporation, Disney, Viacom und Bertelsmann weit enteilt.

Die damals kaum 20 Jahre alte Internetfirma AOL würde dem 79 Jahre alten Inhalte-Koloss Time Warner neues Leben einhauchen, versprach Case. Er redete von Konvergenz und Synergie, den Zauberworten der Fusion. America Online würde helfen, die Hollywoodfilme und Musikstars von Warner zu verkaufen, und die Zeitschriften von Time würden Abonnements für AOL generieren. Case wollte gar nicht mehr aufhören, die Früchte der Fusion zu feiern. Dabei gab es ein Problem: Es schien, als wollte er ernten, ehe die Früchte gewachsen waren. In Wirklichkeit waren die Aktien im Wert stark gefallen, die Aussichten düster. Mitarbeiter von Time Warner fürchteten um ihre Pensionen, und der größte Aktienbesitzer, Ted Turner, fürchtete um sein Vermögen. Steve Case tat bei dem Treffen so, als hätte er von alledem nichts mitbekommen.

Irgendwann unterbrach ihn Jeff Bewkes, der seit zwei Jahrzehnten bei Time Warner arbeitete und damals den Bezahlsender Home Box Office (HBO) leitete. Bewkes hatte Erfolge mit Fernsehserien wie Sex and The City und Die Sopranos gefeiert und sprach nun deutlich aus, was er von Case' Versprechungen hielt: "Ich bin es leid", sagte er. "Das ist Bullshit. Die einzige Abteilung, die nicht funktioniert, ist deine. Jeder von uns wächst und erreicht seine Vorgaben. Das einzige Problem in diesem Konstrukt ist AOL." So berichtet es Alec Klein 2003 in seinem Buch "Stealing Time", der Geschichte des Zusammenbruchs von AOL Time Warner. Bewkes hat damals ausgesprochen, was alle dachten. Sein Ausbruch sei mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Richard Parsonsabgestimmt gewesen, glaubt Klein.

Ted Turners größter Fehler

Steve Case musste im folgenden Jahr gehen. Wie ein Betrüger wurde er vom Hof gejagt. Es gab Ermittlungen, wonach AOL seinen Aktienkurs mit Scheingeschäften hochgetrieben habe. Die Börsenkennung AOL wurde aus dem Firmennamen gestrichen, als wollte man diesen Teil der Geschichte schnellstmöglich vergessen. Vorstandschef Parsons musste 100 Milliarden Dollar abschreiben. Allein Ted Turner hat mit seinem Anteil von unter fünf Prozent nach eigenen Angaben bis heute rund acht Milliarden Dollar verloren. Kurz vor Weihnachten sagte er, die Fusion mit AOL sei der größte Fehler seiner Laufbahn gewesen.

Richard Parsons hielt den Konzern bis zu seinem vollständigen Ausscheiden aus allen Ämtern Ende 2008 (das Tagesgeschäft hatte er Bewkes bereits Ende 2007 übergeben) an der Weltspitze und betonte stets, dessen Summe sei wertvoller als die Einzelteile. Vermutlich war er sich stets bewusst, dass er ein Mann des Übergangs war. Als er im Sommer 2007 den Mitarbeitern den damaligen US-Präsidentschaftskandidaten Barack Obama vorstellte und Bewkes in seiner Einführung erwähnte, Parsons überlege auch, in die Politik zu wechseln, kommentierte dieser, Bewkes wolle ihn offenbar loswerden. Tatsächlich war Parsons lange im Gespräch als Nachfolger von Michael Bloomberg im Amt des Bürgermeisters von New York, doch mittlerweile will Bloomberg sich selbst nachfolgen.

Parsons und Bewkes verbindet die Liebe zum Weinanbau. Parsons besitzt ein Gut in Italien; Bewkes führte eines in Kalifornien, ehe er zur Citibank und dann, vor fast 30 Jahren, zu Time Warner wechselte. Aber es gibt auch deutliche Unterschiede. Es sei klar, daß Bewkes einen ganz anderen Kurs einschlage, sagte Parsons vor dem Wechsel, und Bewkes hat diese Worte bestätigt. Er zerlegt nun, was Case aufgebaut hat. Die Einzelteile seien mehr wert als die Summe, sagt Bewkes. Er schneidet Time Warner zu wie einen Weinstock und hofft, dass die Triebe so besser wachsen. Eine Zäsur.

Time Warner ist das Produkt mehrerer Zusammenschlüsse. Mehr als 60 Jahre nach der Gründung von Time (1922) und Warner (1923) fusionierte 1989 der Verlag Time, zu dem Zeitschriften wie Time, Fortune, Sport Illustrated und People gehören, mit dem Unterhaltungskonzern Warner, der Fernsehen, Filme und Musik produziert. 1995 fusionierte Time Warner mit CNN und den Fernsehsendern von Ted Turner, 2001 mit AOL. Am 4. Februar dieses Jahres wird Bewkes bekannt geben, wie viel Gewinn die 90 000 Mitarbeiter erwirtschaftet haben.

Jeff Bewkes ist seit Januar 2008 Vorstandsvorsitzender; seit Januar 2009 leitet er auch den Verwaltungsrat. Schon heute lässt sich sagen, dass er sich mit 56 Jahren zwar auf dem Höhepunkt seiner Macht bei Time Warner befindet, aber sein Unternehmen vor einem Machtverlust steht, den er eingeleitet hat. Er will die Kabelsparte abtrennen und verhandelt angeblich mit Yahoo und Microsoft über den Verkauf von AOL. Sogar über einen Verkauf der Zeitschriften wird spekuliert, obgleich das fraglich ist. Übrig blieben Musik, Film und TV. Die Trennung von der Kabelsparte Time Warner Cable hat Bewkes eingeleitet, wie er es im Mai 2008 ankündigte. Die Abspaltung soll noch im ersten Quartal abgeschlossen werden, bestätigte ein Firmensprecher. Der Konzern wird damit rund ein Drittel an Umsatz verlieren. Von April an wird Time Warner also nicht mehr die Nummer eins sein - nicht weltweit, nicht in den USA. Erstmals seit mehr als einem Jahrzehnt wird es eine neue Hackordnung geben. Soeben musste Bewkes weitere 25 Milliarden Dollar abschreiben. Falls er auch AOL verkauft, könnte es nicht einmal mehr zur Nummer zwei reichen, fürchtet die New York Times.

Weltmarktführer aus Mississippi

Vermutlich wird das Kabelfernsehunternehmen Comcast - die Nummer eins im Kabel-TV noch vor Time Warner Cable - künftig Weltmarktführer sein. Comcast, das die Zentrale in Philadelphia hat, ist ein von einer Familie geführtes, an der Böse notiertes Unternehmen, das vor allem in den USA, international aber kaum engagiert ist. In Deutschland ist der Konzern lediglich Anbieter von Spartenkanälen für Golf und Nachrichten aus Hollywood. Comcast wurde von der Familie Roberts vor 45 Jahren in Tupelo, Mississippi, gegründet. Gewachsen ist der Konzern vor allem durch Zukäufe, etwa durch das Kabelgeschäft von AT&T.

Kurz vor dem Führungswechsel im Januar 2008 versammelte Time-Warner-Chef Jeff Bewkes seine Mitarbeiter noch einmal in Miami und erinnerte sie an die große Tradition des Unternehmens. Er sprach von Henry Luce, dem Gründer von Time, und von Ted Turner, dem Gründer von CNN. Ob er auch von Steve Ross sprach, ist nicht überliefert. Ross war einst Chef von Warner, und hat als Bestatter angefangen. Dabei, sagte Ross später, habe er Wesentliches für das Mediengeschäft gelernt: Bestattungen seien eine Dienstleistung wie die Medien. Bewkes steht nun weniger in der Tradition von Luce und Turner, den Erbauern, als von Steve Ross, dem einstigem Bestattungsunternehmer. Es spricht nur keiner aus.

THOMAS SCHULER

Jeff Bewkes kann mild aus dem Fenster schauen, aber auch harte Kritik üben. Dem Aufsichtsratschef von Time Warner warf er einst vor, "Bullshit" zu reden, da war er selbst noch nicht Vorstandsvorsitzender. Für seine Vorgänger war die Summe des Medienriesen stets wichtiger als die Teile. Bewkes glaubt an das Gegenteil. Nun werden die ersten Teile verkauft. Foto: New York Times

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Verantwortlich: Christopher Keil

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Bahn fordert Schadenersatz

Berlin - Nach feinen Rissen in den Achsen von Hochgeschwindigkeitszügen prüft die Deutsche Bahn den Austausch aller Achsen ihrer ICE-T-Züge. "Unsere Experten schließen nicht mehr aus, dass wir bei der ICE-T-Flotte die entsprechenden Achsen austauschen müssen", sagte Bahnchef Hartmut Mehdorn der Bild am Sonntag. Die Bahn wolle deshalb bei der Industrie Schadenersatz geltend machen. "Ich gehe von einem dreistelligen Millionenbetrag aus", sagte Mehdorn. Der Ersatz sämtlicher Achsen werde "realistisch bis zu zwei Jahre" dauern. Die Bahn betreibt 70 ICE-T-Züge. Sie können sich seitlich neigen und sind daher auch auf kurvenreichen Strecken schnell unterwegs. Allerdings werden die Achsen besonders stark belastet.

Die Industrie kommt damit zunehmend unter Druck. Im vergangenen Sommer war ein ICE - allerdings der Baureihe ICE 3 - nahe dem Kölner Hauptbahnhof entgleist, weil eine Achse gebrochen war. Die genaue Ursache des Bruchs ist bis heute unklar. Ein Zwischenbericht der Bundesanstalt für Materialforschung deutet auf Materialfehler hin. Allerdings seien verschiedene Faktoren zusammengekommen, weshalb der Riss nicht rechtzeitig erkannt wurde. Das Intervall, in dem die Züge zur Inspektion müssen, wurde von 300 000 auf 30 000 Kilometer verkürzt. Anschließend wurden auch bei zwei Zügen des Typs ICE-T feine Risse in den Radsatzwellen gefunden. Diese Züge müssen seither ebenfalls alle 30 000 Kilometer zur Inspektion. Dort sollen per Ultraschall Schäden frühzeitig erkannt werden. Damit muss ein Großteil der ICE-Flotte alle drei Wochen für gut 24 Stunden in die Werkstatt, der Bahn entstehen Kosten in Millionenhöhe. Auch ist die Neigetechnik bei den ICE-T seither ausgeschaltet. Auf der Strecke von Berlin nach München etwa kommen sie deshalb etwas langsamer voran als sonst.

Die Bahn prüft schon seit Monaten Regressforderungen gegen die Hersteller, hat diese aber noch nicht eingereicht. Zudem will sie von den Konsortien, die die Züge gebaut haben, eine feste Zusage über die Belastbarkeit der Achsen. "Die Bahnindustrie hatte mir für Mitte Dezember eine Lösung in Aussicht gestellt", beklagte Mehdorn am Wochenende. "Ich habe immer noch keine Antwort bekommen." (Seite 4) Michael Bauchmüller

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Deutschkurse ohne Nutzen

Kindern hilft derzeitige Form der Sprachförderung nicht

Von Felix Berth

München - Manche Vorschläge sind so überzeugend, dass niemand sie in Frage stellt. Zum Beispiel den Plan, ausländischen Kindern bereits im Kindergarten besseres Deutsch beizubringen: Das soll verhindern, dass sie schon mit Defiziten in die Grundschule starten und kaum Chancen auf eine passable Schulkarriere haben. Deshalb kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem "Bildungsgipfel" im Oktober 2008 an, dass "die Sprachförderung vorangebracht wird"; der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich nickte und ergänzte, "dass bei der Sprachförderung die Länder in die Verantwortung gehen". Baden-Württemberg zum Beispiel plant nun Kurse für alle Kinder mit Sprachdefiziten.

Problematisch ist, dass diese Sprachkurse offenbar wirkungslos sind. Das jedenfalls zeigt die erste umfassende Analyse, die im Auftrag der baden-württembergischen Landesstiftung entstand. Demnach ist es völlig egal, ob ein Kind an den Kursen teilnimmt oder nicht: "Die Sprachförderung ist einer Förderung, wie sie im üblichen Kindergartenalltag erfolgt, nicht überlegen", lautet die Bilanz der Professoren Jeanette Roos und Hermann Schöler von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.

Das Forscherteam der beiden Entwicklungspsychologen hat knapp fünfhundert Kinder mehrere Jahre lang beobachtet. Ein Teil hatte im Kindergarten spezielle Sprachkurse erhalten; andere bekamen diese Förderung nicht, obwohl sie schlecht Deutsch sprachen; eine dritte Gruppe konnte passabel Deutsch. Das Ergebnis: Die Kinder aus den Spezialkursen waren danach nicht besser als jene, die trotz Sprachdefiziten nur im regulären Kindergarten waren. Und: Kinder mit Sprachproblemen konnten den Vorsprung der guten Schüler nicht aufholen. Selbst am Ende der ersten und zweiten Klasse hatte sich an all dem nichts geändert, stellten die Psychologen fest.

Die Wirkungslosigkeit der Kurse hat mehrere Gründe. "Manche Erzieherin wurde bei der kurzen Vorbereitung zum ersten Mal auf analytische Weise mit Grammatik konfrontiert", sagt Jeanette Roos. Andere Trainerinnen, die an der Universität "Deutsch als Fremdsprache" studierten, hatten keine Ahnung vom Umgang mit kleinen Kindern. Häufig entstand in den wenigen Stunden dann eine Art Schulunterricht, von dem Fünfjährige aber nicht profitieren: "In dem Alter müssen Kinder zum Reden gebracht werden und wahrnehmen, wie Sprache korrekt verwendet wird", sagt Roos. Manche seien in den Kursen so wenig zum Sprechen gekommen, "dass sie wahrscheinlich besser eine Stunde gespielt hätten".

Wichtiger als Sprachkurse wäre, dass Problemkinder mehr Gelegenheiten zum Sprechen bekommen und im "Sprachbad" erleben, wie das Deutsche funktioniert. Doch dafür bräuchte es erstens mehr und zweitens akademisch ausgebildetes Personal - was erheblich teurer als die simplen Kurse wäre.

Die Landesstiftung Baden-Württemberg erhielt kürzlich trotz der hauseigenen Forschungsergebnisse den Auftrag, die Kurse auf ganz Baden-Württemberg auszuweiten. Das beschloss der Aufsichtsrat der Stiftung, den der baden-württembergische Ministerpräsident Günter Oettinger leitet. Er kann dafür mit Beifall rechnen.

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Die Staatsgläubigkeit ist Vergangenheit

Hundert Jahre nach der Gründung zeichnet sich der Richterbund durch seine radikal-liberale Einstellung aus

Von Helmut Kerscher

Karlsruhe - Johannes Heesters war fünf Jahre alt, als auf Betreiben von königlich-bayerischen Richtern zum Jahresanfang 1909 der Deutsche Richterbund gegründet wurde. Anders als "Jopie" (jetzt 105) schaffte es der Verband aber bisher nicht, 100 Jahre alt zu werden. Er feiert das Jubiläum zwar an diesem Montag in Berlin mit einem Festakt, doch in Wirklichkeit fehlen ihm 16 Lebensjahre. Der damals stramm nationale Verband ließ sich nämlich Ende 1933 bereitwillig von den Nazis auflösen und wurde erst 1949 wieder gegründet. An das Versagen der Richter unter Hitler, für den sie 32 000 Todesurteile fällten, wird im Maxim-Gorki-Theater ebenso erinnert werden wie vor 25 Jahren beim Festakt in Bonn. Damals sprach der Vorsitzende Helmut Leonardy von Schande und kritikloser Autoritätsgläubigkeit.

Die Rede stand am Beginn des Wandels eines konservativen Lobby-Vereins zu einem liberalen, weltoffenen Verband. Ohne die klassischen Forderungen nach Unabhängigkeit und mehr Geld zu vergessen, machte der Richterbund unter seinem langjährigen Vorsitzenden Rainer Voss das Thema Menschenrechte zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit. 1991 wurde ein Menschenrechtspreis für mutige Juristen eingerichtet. Aktueller Preisträger ist der iranische Rechtsanwalt Nasser Zarafshan. Und bis heute leistet die von Voss betriebene "Kolumbienhilfe" viel Gutes zugunsten von Opfern und ihren Angehörigen.

Wahrscheinlich würden sich die Gründungsrichter in ihren Gräbern umdrehen, wenn sie wüssten, was ihre Nachfolger so umtreibt: Die Abkehr vom obrigkeitsstaatlichen Denken zu einer geradezu radikal-liberalen Einstellung. Nichts weniger als die Selbstverwaltung der Justiz fordern beharrlich die Spitzen des "Verbandes der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte", wie der Richterbund mit seinen 14 000 Mitgliedern offiziell heißt. Diese rebellische Forderung gegen die Herrschaft der Justizministerien über Kosten und Posten zeigt erste Früchte, vor kurzem etwa in Hamburg und Schleswig-Holstein. Für den amtierenden Vorsitzenden, den eher gemütlichen Freiburger Oberstaatsanwalt Christoph Frank, steht die Befreiung der dritten Gewalt von der Verwaltung an oberster Stelle seines Programms und wohl auch seiner Ansprache bei der 100-Jahr-Feier.

Frank schweben zwei für Deutschland neue Gremien vor, die den Rahmen für die Justiz gestalten und ihre Unabhängigkeit verbessern sollen: ein Justizwahlausschuss und ein Justizverwaltungsrat. Ersterer soll wegen der demokratischen Legitimation zur einen Hälfte aus Abgeordneten bestehen, zur anderen aus Richtern und Staatsanwälten; dem für Ernennungen und Beförderungen sowie für die Verteilung der Gelder zuständige Justizverwaltungsrat sollen nur noch gewählte Richter und Staatsanwälte angehören. Die Justizministerien wären damit eines großen Teil ihres Einflusses auf die Justiz beraubt. Nur so könne die strukturelle Unabhängigkeit der Justiz gesichert werden, sagt Frank. Sein bestes Argument in der vom Richterbund geschürten Debatte: Deutschland wäre mit der Selbstverwaltung der Justiz nicht die Ausnahme von der Regel, sondern würde sich im Gegenteil der Praxis in 23 von 27 EU-Staaten anpassen. Es kann durchaus sein, dass Jopie Heesters den Schritt in die Selbstverwaltung noch erlebt.

Das Bild hat sich gewandelt: Früher meist konservativ und staatsgläubig, fordern Richter heute die Unabhängigkeit von den Justizministerien. Foto: Ostkreuz

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Hohlmeier gewinnt - und Seehofer siegt

Die Strauß-Tochter und Kandidatin des Ministerpräsidenten schafft es auf einen sicheren Platz der CSU-Europaliste

Von Kassian Stroh

München - Trotz heftigen parteiinternen Widerstands hat sich die frühere bayerische Kultusministerin Monika Hohlmeier den sicheren sechsten Platz auf der Europaliste der CSU erkämpft. Bei der Delegiertenversammlung am Samstag setzte sie sich in einer Kampfabstimmung durch und erhielt 165 Stimmen; ihre Gegenkandidatin Gabriele Stauner, EU-Abgeordnete und Vorsitzende der CSU-Arbeitnehmerunion, bekam nur 115 Stimmen. Damit ersparten die Delegierten Parteichef Horst Seehofer eine Blamage. Er hatte die Kandidatur Hohlmeiers eingefädelt und sich im Vorfeld stark für sie eingesetzt.

Nach wie vor gebe es "viel Gegrummel" wegen Hohlmeier, berichteten Delegierte. Doch eine Niederlage bei der Listenaufstellung wäre auch für Seehofer fatal gewesen. Die Oberfranken-CSU hatte die Strauß-Tochter im Dezember auf Wunsch Seehofers nominiert. Seitdem gibt es in der CSU Proteste, die sich vor allem aus zwei Quellen speisen: Die einen erinnern an Hohlmeiers unglückliche Schulpolitik und ihre Verquickung in diverse Affären, deretwegen sie 2005 zurücktreten musste. Vor allem in Franken protestieren CSU-Mitglieder, weil eine Oberbayerin für sie antreten soll. Dort gab es auch Parteiaustritte.

Seehofer, der vor der Versammlung auf die "kollektive Intelligenz" der 300 Delegierten gesetzt hatte, warb nicht direkt für Hohlmeier. Er mahnte jedoch Geschlossenheit an und forderte, alle Regionen Bayerns bei der Vergabe der Spitzenplätze ebenso zu berücksichtigen wie die Frauen. Ansonsten sei die Delegiertenverssammlung "souverän". Sie werde "nicht bevormundet, nicht unter Druck gesetzt, nicht überfahren". Unter Seehofers Leitung hatte die Parteispitze einen Vorschlag für die vorderen Listenplätze vereinbart, der Hohlmeier auf Platz sechs vorsah. Er bestritt jedoch erneut, dass er Hohlmeier anfangs gar zur Spitzenkandidatin machen wollte.

Dass sie eine Kampfabstimmung überstehen musste, werteten nicht wenige Parteistrategen als ihr Glück: Hohlmeier hätte auch ohne Gegenkandidatin kaum ein besseres Ergebnis erhalten, hieß es. So aber seien 60 Prozent nicht blamabel. Auch Seehofer sagte: "Es ist gut, dass abgestimmt wurde." Hohlmeier lobte er für ihre ungeheuren Nerven: "Ich bewundere dich", sagte er. Gleichwohl verließen bei ihrer Rede Vertreter der mit ihr zerstrittenen Münchner CSU demonstrativ den Saal, nach der Bekanntgabe des Ergebnisses rührte sich bei den fränkischen Delegierten kaum eine Hand.

Seehofer freute sich dennoch: "Unsere Partei ist schon super." Dabei stand die Versammlung eine gute halbe Stunde zuvor noch auf der Kippe. Bei der Abstimmung um Platz fünf musste sich Parteivize Ingo Friedrich dem Landwirt Albert Deß geschlagen gegeben. Wäre Friedrich nun gegen Hohlmeier angetreten, hätte er nach Einschätzung mehrerer CSU-Führungsleute wohl gewonnen. "Dann wäre alles ins Rutschen geraten", hieß es hinterher. Hohlmeier wäre unter Umständen mehrere Plätze nach hinten durchgereicht worden. Doch Friedrich verzichtete. So konnte die Versammlung ähnlich reibungslos weiterlaufen, wie sie begonnen hatte: Die ersten vier Kandidaten Markus Ferber, Angelika Niebler, Anja Weisgeber und Manfred Weber erzielten alle Ergebnisse jenseits der 90 Prozent, Spitzenkandidat Ferber bekam 96,5 Prozent der Stimmen.

Zehn Jahre lang habe die Partei versäumt, sich zu erneuern, das habe er jetzt auf einen Schlag gemacht, lobte sich Seehofer selbst mit Blick auf sein junges Kabinett und die relativ jungen Europakandidaten: "Das ist eine Revolution, die hier seit zehn Wochen stattfindet. Wir haben die CSU um 180 Grad gedreht." Sein Ziel sei, eine Truppe von Nachwuchskräften zwischen 30 und 40 Jahren aufzubauen, ehe er seinen Hut nehme: sechs männliche, sechs weibliche. "Die zwölf Apostel" nennt Seehofer sein Projekt. Dazu zählt er Hohlmeier - auch wenn sie schon 46 Jahre alt ist. (Bayern)

"Wir haben die CSU um 180 Grad gedreht"

Horst Seehofer

Sie ist wieder da: Wegen ihrer Schulpolitik und diverser Polit-Affären musste die damalige bayerische Kultusministerin Monika Hohlmeier 2005 zurücktreten, sie gehört auch nicht mehr dem Bayerischen Landtag an. Trotz erheblicher Widerstände in der Partei wurde sie jetzt mit Unterstützung des CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer als Europakandidatin nominiert. Foto: dpa

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FDP will Präsenz in Europa stärken

Koch-Mehrin mit 96 Prozent zur Spitzenkandidatin gewählt

Berlin - Die FDP will ihre Präsenz im Europäischen Parlament nach der Europawahl am 7. Juni ausbauen. Angesichts ihrer steigenden Umfragewerte rechnen sich die Liberalen gute Chancen aus, künftig, statt bisher sieben, bis zu zwölf Abgeordnete stellen zu können. Sollte die CSU die bundesweit erforderlichen fünf Prozent nicht schaffen, könnten sogar noch zwei oder drei Mandate mehr für die FDP herausspringen. Am vergangenen Samstag stellte die Partei in Berlin ihre Kandidatenliste für die Europawahl auf. Spitzenkandidatin wurde wie schon 2004 Silvana Koch-Mehrin. Sie erhielt 95,9 Prozent der abgegebenen Stimmen. Auf Platz zwei der Liste bekam Alexander Graf Lambsdorff, 42, sogar noch einen Prozentpunkt mehr.

Die promovierte Volkswirtin Koch-Mehrin, Mutter von drei Töchtern, gilt als das Gesicht der FDP im Europa-Parlament. Die hochgewachsene 38-Jährige macht vor allem durch freimütige Äußerungen immer wieder von sich reden. So beklagte sie, dass viele Europa-Abgeordnete während der Sitzungswochen die Dienste von Prostituierten in Anspruch nähmen. Eines ihrer Lieblingsthemen ist der "Wanderzirkus" des Parlaments zwischen Straßburg und Brüssel. 200 Millionen Euro jährlich kosteten allein die Reisen der Parlamentsverwaltung, rechnete Koch-Mehrin in ihrer Parteitagsrede vor. Auch die Regelungswut der EU-Bürokraten vom Verbot der Glühbirne bis zu Richtlinien für das Aufstellen von Leitern geißelte Koch-Mehrin. "Wir Liberale wollen die EU nicht als Öko-Diktatur. Wir wollen die EU nicht als den Alltag regulierendes Bürokratiemonster." Die FDP wolle ein starkes Europa, das sich auf das Wesentliche konzentriere.

FDP-Chef Guido Westerwelle bezeichnete das geeinte Europa als "historisches Glück". Bei aller Kritik an den bürokratischen Auswüchsen in Brüssel gelte doch: Selbst wenn Europa nicht mehr gebracht hätte als jahrzehntelangen Frieden in Freiheit und Wohlstand, hätte es sich schon gelohnt. In Westerwelles Parteitagsrede nahm die Innenpolitik den größten Raum ein. Das Jahr 2009 mit seinen vielen Wahlen sei auch ein Jahr der Entscheidung darüber, welche Richtung das Land nehmen werde, sagte Westerwelle. Dem "Linksspuk" müsse ein Ende bereitet werden. Peter Blechschmidt

Gratulation: Silvana Koch-Mehrin und Guido Westerwelle. dpa

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Demonstration abgebrochen

Düsseldorf - In Duisburg ist es am Samstag bei einer Demonstration gegen den israelischen Militäreinatz im Gazastreifen erneut zu einem Zwischenfall gekommen. Aus den Reihen der etwa 2000 Teilnehmer waren Feuerwerkskörper auf Gegendemonstranten geworfen worden, die Israel-Flaggen schwenkten. Die pro-palästinensische Demonstration wurde daraufhin auf Wunsch der Veranstalter abgebrochen. Vor einer Woche war es in Duisburg bei einer Demonstration zu einem vielfach kritisierten Vorfall gekommen, als Polizeikräfte eine Wohnung aufbrachen, um zwei israelische Staatsflaggen aus dem Fenster zu entfernen. graa

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Geldstrafe nach Datenklau

Berlin - Mit einer Geldstrafe von 900 Euro ist ein früherer Mitarbeiter eines Call-Centers davongekommen, der dem Bundesverband der Verbraucherzentralen illegal sechs Millionen Datensätze verkauft hatte. Das berichtet der Spiegel. Die Verbraucherschützer hatten sich im Sommer vergangenen Jahres auf das Geschäft eingelassen, um zu beweisen, wie einfach selbst sensible Konto-Informationen auf dem Schwarzmarkt erworben werden können. Die Strafanzeige des Verbandes gegen den 22-jährigen Mann, der inzwischen arbeitslos ist, führte zu einem Strafbefehl des Amtsgerichts Münster. dpa

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Harsche Töne im Tarifkonflikt

Bundesländer und Verdi geben sich noch unversöhnlich

Von Detlef Esslinger

München - Der Mann scheint sich nicht verändert zu haben. Auf jede Frage antwortet er in genau einem Satz. Und könnte ein Mensch allein mit seiner Stimme eine Telefonleitung kappen, dann würde sie keine seiner Antworten überstehen; so schneidend spricht er. Wird es Lohnerhöhungen geben? "Acht Prozent sind ausgeschlossen", sagt er, "das geht nicht." Will er wirklich im Wahljahr lange Streiks riskieren? "Wer unter Zeitdruck verhandelt, der verhandelt schlecht." Wird er einen Schlichter . . . ? Hartmut Möllring (CDU), Finanzminister Niedersachsens, unterbricht: "Ein Schlichter kommt überhaupt nicht in Betracht."

An diesem Montag beginnen in Berlin die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten der Länder, und Möllring gibt sich wieder harsch. So hatte er als Verhandlungsführer der Länder vor knapp drei Jahren die Gewerkschaften bis aufs Äußerste gereizt. Dreieinhalb Monate dauerte ihr Streik, und doch holten sie am Ende nicht viel mehr als Einmalzahlungen für die Jahre 2006 und 2007 sowie ein Plus von drei Prozent für das Jahr danach heraus. Jetzt fordern sie acht Prozent. Wird Möllring darauf mit einem Angebot antworten? "Nicht am Montag." Wann dann? "Weiß ich nicht." Warum? "Zuerst müssen wir den Gewerkschaften ihre acht Prozent ausreden. Dann können wir vernünftig miteinander reden."

Drei Verhandlungstermine sind vereinbart, auf diesen Montag folgen der 26. Januar sowie der 14. Februar. "Weitere wird es kaum geben", sagt wiederum Achim Meerkamp, Verhandlungsführer von Verdi. Die Materie sei nicht besonders komplex, alle Argumente seien bekannt. Gebe es auch nach dem 14. Februar kein Ergebnis, "muss der Konflikt ausgetragen werden". Mit anderen Worten: Dann gibt es nicht nur Warnstreiks.

Beide Seiten behaupten, aus dem Arbeitskampf von 2006 gelernt zu haben - der Minister Möllring, dass er recht hat ("Dass wir einen Streik aushalten können, hat die Gewerkschaften beeindruckt"), die Gewerkschaften, dass sie den Streik anders anlegen müssen als damals, wollen sie die Länder wirklich treffen. Sie sind dort nicht so gut organisiert wie bei den Kommunen, also müssen sie es machen wie die Techniker bei der Lufthansa. Die legten im Sommer mit wenigen Streikenden das ganze Unternehmen lahm. Könnten die Arbeiter in den Kfz-Meistereien der Polizei nicht genau so effektiv deren Apparat treffen? Wären die Angestellten in den Rechenzentren der Länder nicht imstande, die Kfz-Zulassungsstellen, die Landeskriminal- oder die Finanzämter zu blockieren? Ganz abgesehen von den Lehrern im Osten und an den bayerischen Berufsschulen, die überwiegend Angestellte sind.

Enger, aber warmer Rock

Der Gewerkschafter Meerkamp sagt, die Beschäftigten der Länder dürften nicht schlechter bezahlt werden als die des Bundes und der Kommunen, und sowieso werde es für den Staat immer schwieriger, guten Nachwuchs zu gewinnen, so schlecht sei dort die Bezahlung. Aber dem Finanzminister Möllring fällt auch dazu eine knappe Antwort ein. In Niedersachsen hätten sich neulich 4000 Bewerber für 500 Stellen bei der Polizei beworben. Das heißt, in Möllrings Diktion: "Des Kaisers Rock ist eng, aber warm."

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Transparenz bei Bußgeld

Düsseldorf - Nordrhein-Westfalens Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) will die Vergabe von Bußgeldern an gemeinnützige Einrichtungen veröffentlichen. Die Ministerin sei bereit, dem Landtag eine Liste mit den begünstigten Einrichtungen auszuhändigen, teilte das Ministerium mit. Die bisher interne Verteilung war in die Kritik geraten, weil die frühere Bochumer Ermittlerin Margrit Lichtinghagen dabei private Interessen verfolgt haben soll. Die Pläne gelten nur für von Staatsanwaltschaften verhängte Geldbußen. dpa

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"Volkseigene Betriebe"

Düsseldorf - Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) trifft mit seiner Forderung nach einem Staatsfonds zur Beteiligung an in Not geratenen Unternehmen auf heftige Kritik bei seinem Koalitionspartner FDP. Fraktionschef Gerhard Papke nannte es am Sonntag in Düsseldorf bedauerlich, dass Rüttgers seinen "Verstaatlichungsfonds" noch einmal aufgewärmt habe. "Wer unsere Zustimmung zum Konjunkturpaket möchte, soll uns nicht mit dem Vorschlag volkseigener Betriebe kommen", sagte Papke. dpa

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Protest gegen Rechts

Magdeburg/Ludwigshafen - Mehr als 5000 Menschen sind am Samstag in Magdeburg und Ludwigshafen gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen. Anlass des Protestes in Magdeburg war ein Aufzug von Rechtsextremen, die aus Anlass der Zerstörung Magdeburgs im Zweiten Weltkrieg vor 64 Jahren demonstrierten. Auch in Ludwigshafen versammelten sich zahlreiche Gruppen gegen Rechtsradikale. Der Protest eines "Bündnisses Ladenschluss Ludwigshafen" richtete sich gegen Läden, die unter anderem Neonazi-Kleidung verkaufen. dpa

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Freilassung aus Guantanamo

US-Regierung schickt sechs Gefangene in ihre Heimat

Guantanamo/Berlin - Die USA haben sechs weitere Häftlinge aus dem Gefangenenlager Guantanamo Bay in Kuba freigelassen. Vier seien zurück in den Irak geschickt worden, einer nach Afghanistan und ein weiterer nach Algerien, teilte das US-Verteidigungsministerium am Wochenende mit. Die Beweise gegen die Männer seien zuvor umfassend überprüft worden. Weitere Einzelheiten nannte das Ministerium nicht. Derzeit befinden sich den Angaben zufolge noch etwa 245 Insassen in Guantanamo, von denen 60 demnächst freigelassen oder an ihre Herkunftsländer übergeben werden könnten. Das US-Militär hatte das Lager wenige Wochen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eingerichtet und Terrorverdächtige aus der ganzen Welt dorthin geschickt.

Der künftige US-Präsident Barack Obama, der an diesem Dienstag sein Amt antritt, will das weltweit kritisierte Gefangenenlager schließen. Allerdings müssen zuvor noch Aufnahmeländer für die Häftlinge gefunden werden, die weder in ihre Heimat zurückkehren können noch in den USA bleiben wollen. Die Bundesregierung hat noch nicht entschieden, ob Deutschland entlassene Guantanamo-Häftlinge aufnehmen wird. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sprach sich aber gegen die Aufnahme von Lagerinsassen aus - mit Ausnahme deutscher oder in Deutschland aufgewachsener Personen. Bundesbürger sind derzeit aber offenbar nicht unter den Terrorverdächtigen.

Im Gegensatz zu Innenminister Schäuble verlangt der Präsident des EU-Parlaments, Hans-Gert Pöttering, Häftlinge aus Guantanamo in der Europäischen Union aufzunehmen. "Wenn man die Schließung von Guantanamo fordert, muss man den Amerikanern auch dabei behilflich sein", sagte der CDU-Politiker dem Hamburger Abendblatt. Allerdings sei die Sicherheitsfrage in jedem konkreten Fall sorgfältig zu prüfen. "Verurteilte Terroristen müssten selbstverständlich auch in der EU ihre Haftstrafen verbüßen." Für den Fall, dass Zweifel an der Ungefährlichkeit einer Person bestünden, eine rechtsstaatliche Verurteilung aber nicht möglich sei, schlug Pöttering "ein System der Begleitung" vor. Auch der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Sebastian Edathy (SPD), kritisierte im Kölner Stadt-Anzeiger die abwehrende Haltung Schäubles: "Wenn wir der neuen amerikanischen Administration helfen können, das im Kern von ihr zu lösende Problem Guantánamo zu beseitigen, dann sollten wir uns dem nicht verschließen."Reuters/AFP/ddp

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Neuer Anlauf in Simbabwe

Oppositionsführer Morgan Tsvangirai kehrt an Verhandlungstisch zurück / Mugabe schließt Zugeständnisse aus

Harare/Johannesburg - Der Oppositionsführer Simbabwes, Morgan Tsvangirai, am Samstag nach zweimonatigem Exil in seine Heimat zurückgekehrt. Der Chef der Bewegung für Demokratischen Wandel (MDC) will an diesem Montag mit Präsident Robert Mugabe zu erneuten Verhandlungen über eine Koalitionsregierung zusammenkommen. Vier Monate nach dem bisher erfolglosen Abkommen zur Machtteilung soll das Treffen unter der Vermittlung des südafrikanischen Präsidenten Kgalema Motlanthe, seines Vorgängers Thabo Mbeki sowie Mosambiks Staatschef Armando Guebuza stattfinden. Motlanthe ist Vorsitzender des regionalen Staatenbundes SADC, Mbeki dessen offizieller Vermittler.

Tsvangirai hatte im März 2008 mit seiner oppositionellen Bewegung die Parlamentswahlen gewonnen und auch den Sieg der gleichzeitig abgehaltenen Präsidentschaftswahl beansprucht. Mugabe ließ jedoch im Juni einen international umstrittenen zweiten Wahlgang abhalten, den Tsvangirai aus Protest gegen die massive Einschüchterung seiner Anhänger boykottierte. Im September einigten sich die Rivalen auf die Bildung einer Einheitsregierung, die aber bisher nicht umgesetzt wurde. Das Abkommen scheiterte unter anderem am Streit über die Besetzung der Ministerposten. Das Land befindet sich nach jahrelanger Misswirtschaft am Rande des Kollapses.

Tsvangirai äußerte am Wochenende in Harare die Hoffnung, dass das geplante Treffen mit seinem Rivalen einen Ausweg aus der monatelangen politischen Krise bringen werde. Er machte allerdings deutlich, dass seine Bewegung MDC sich nicht in eine Vereinbarung zwingen lassen werde, die nicht den Erwartungen des simbabwischen Volkes entspreche. Außerdem forderte er als Voraussetzung für neue Gespräche die Freilassung von mehr als drei Dutzend seiner Anhänger, die nach seinen Angaben verschleppt und gefoltert wurden.

Der simbabwische Präsident Robert Mugabe hat mit einem Ende der Gespräche über eine Machtteilung gedroht, sollte Tsvangirai bei dem Treffen am Montag eine Einigung ablehnen. "Das ist die Gelegenheit, bei der sie entweder zustimmen, oder bei der es zum Abbruch kommt", sagte Mugabe der staatlichen Sonntagszeitung Sunday Mail. Seine Seite habe alle Zugeständnisse gemacht, die sie habe machen können, fügte der Staatschef hinzu.

Die Lage in dem verarmten südafrikanischen Land wird erschwert durch eine Cholera-Epidemie mit mehr als 2200 Toten und 42 000 Erkrankten, die auch Nachbarländer erfasst hat. Das UN-Kinderhilfswerk Unicef kündigte am Samstag Hilfe in Höhe von fünf Millionen US-Dollar für das Gesundheitssystem des Krisenstaates an. Unicef-Direktorin Ann Veneman hat bei einem Besuch in Harare am Wochenende in drastischen Worten vor einer humanitären Katastrophe gewarnt. "Die Cholera-Epidemie ist nur die Spitze des Eisbergs", sagte Veneman. Die Hälfte der Bevölkerung sei auf Lebensmittelhilfe angewiesen, Gesundheitszentren würden geschlossen, und auch der Schulbetrieb drohe vollends zusammenzubrechen. dpa/AFP/AP

Hoffnungsvoller Heimkehrer: Simbabwes Oppositionsführer Morgan Tsvangirai ist nach zweimonatigem Exil wieder in seiner Heimat und will mit seinem Rivalen Robert Mugabe verhandeln. Foto: AFP

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In die Ecke gedrängt

Die Hamas steht als Verlierer da - und muss der Bevölkerung in Gaza nun den Sinn ihres Leidens erklären

Von Tomas Avenarius

Kairo - Die erste Hamas-Erklärung nach dem Beginn des Waffenstillstands macht wenig Hoffnung auf ein dauerhaftes Ende der Kämpfe im Gaza-Streifen: "Dem Feind ist es nicht gelungen, unsere Raketenangriffe zu stoppen. Unsere Geschosse schlagen weiter tief im Zionisten-Gebiet ein." Hamas-Kämpfer hatten wenige Stunden nach Ende der Kämpfe noch mindestens fünf Raketen abgefeuert. Vier davon schlugen nahe dem südisraelischen Sderot ein. Die Israelis schickten sofort Flugzeuge, die den Abschussplatz bombardierten. Kurz darauf lenkten die Hamas-Führer ein: Auch sie wollen nun die Waffen schweigen lassen - für eine Woche. Bis dahin müsse die israelische Armee aus Gaza abgezogen sein. Sonst werde man den Kampf wieder aufnehmen "und Widerstand leisten".

Offenbar fühlt sich die Islamisten-Miliz an den von Israels Premierminister Ehud Olmert einseitig ausgerufenen Waffenstillstand nicht gebunden. Der Taktiker Olmert hat die Hamas aber fürs Erste ausgespielt: Die Islamisten drohen als Verlierer des Drei-Wochen-Kriegs um Gaza dazustehen. Während Israel die Spielregeln bestimmt, müssen die Islamisten irgendeinen Erfolg für das enorme Leiden der Bevölkerung vorweisen: mehr als 1200 Tote, 5500 Verletzte und ein verwüstetes Land.

Militärisch hat die israelische Armee mit ihren Jets und Panzern die Oberhand im Gaza-Streifen, auch wenn diese offenbar Schwierigkeiten hatte, gegen die Untergrundkämpfer der Hamas vorzugehen. Die Drohungen der Hamas können derzeit aber kaum überzeugen: Die Miliz ist zwar nicht vernichtet, aber sie ist schwer gebeutelt. Und sie hat der israelischen Armee kaum Verluste zufügen können. Noch weniger konnte sie diese ernsthaft bedrohen: Die Militärführer der Israelis haben auf ihre überlegene Feuerkraft gesetzt und den für sie gefährlicheren Häuserkampf vermieden. Sollten Israels Truppen in Gaza bleiben, obwohl Hamas ihren Abzug fordert, ist unklar, wie sie diese erfolgreich attackieren will.

Auch politisch hat Olmert die Hamas in die Ecke gedrängt. Er hatte sich vor seinem Waffenstillstand nur mit Ägypten, den USA und den Europäern abgesprochen. Die Hamas wurde - offiziell zumindest - nicht gefragt. Natürlich wurde die Führung der radikal-islamischen Gruppe über ihre Unterhändler in Kairo informiert. Mehr geschah aber nicht. An den internationalen Verhandlungsbemühungen über ein Ende der Kämpfe waren die Islamisten ohnehin nie direkt beteiligt. Ägypten und die Regierung von Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas sprechen für die international isolierte Führung der Gaza-Palästinenser. Auch das zeigt die Schwäche der Miliz.

Immer klar waren die Kriegsziele der Hamas, die den offenen militärischen Konflikt mit ihrem Raketenbeschuss provoziert - und dabei die Entschlossenheit der Israelis unterschätzt hatte. Die Islamisten wollen ein Ende der Wirtschaftsblockade im Gaza-Streifen und die Öffnung aller Grenzübergänge durchsetzen. Die Grenzen nach Israel und Ägypten sind seit mehr als einem Jahr geschlossen. Es mangelte schon vor dem Krieg an Lebensmitteln, Strom, Medikamenten und vielem anderen, die Bevölkerung hatte erwartet, dass die Hamas-Regierung die Not lindert. Jetzt, nach all den Toten und der Zerstörung der Infrastruktur, wird der Druck steigen.

Obwohl die Versorgungslage in Gaza nach dem dreiwöchigen Bombardement absolut desolat ist, wird Israels Premier Olmert die Blockade kaum aufgeben. Die Führung in Jerusalem will erreichen, dass der wichtige Grenzübergang nach Rafah wieder von den Ägyptern, den Palästinenser-Polizisten von Präsident Abbas und einem europäischen Beobachterteam kontrolliert wird, wie dies früher der Fall war. Hamas-Grenzer, die Pässe stempeln, will Olmert in Rafah nicht sehen. Auch die Schmugglertunnel als wichtige Versorgungslinie sollen zerstört werden: Durch die unterirdischen Gänge zwischen Ägypten und dem Gaza-Streifen kamen in den vergangenen Monaten nicht nur Waffen, sondern auch immer mehr Lebensmittel, Benzin und Medikamente ins Palästinensergebiet.

Auch bei einem dauerhaften Waffenstillstand wird sich Hamas also schwer tun, die 1,5 Millionen Menschen im Gaza-Streifen zu versorgen. Und sie hat ein weiteres Problem: Israelische Soldaten stehen jetzt im Gaza-Streifen. Sie werden erst abziehen, wenn die politische und militärische Führung in Israel dies für vorteilhaft hält. Solange israelische Soldaten in Gaza sind, können sich die Hamas-Führer kaum sicher fühlen: Israel dürfte wenig Hemmungen zeigen, gegen Hamas-Politiker wie Mahmud Zahar, Ismail Haniyje oder die Militärführer der Miliz vorzugehen, wenn es ihrer habhaft werden kann. So könnte Hamas versucht sein, doch weiter zu kämpfen - um am Ende bessere Waffenstillstandsbedingungen zu erreichen.

Die Versorgungslage ist absolut desolat

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Südkorea in Alarmbereitschaft

Seoul - Südkorea hat nach Drohungen aus dem Norden seine Streitkräfte in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Aus Kreisen des Verteidigungsministeriums in Seoul verlautete am Sonntag, es gebe keine ungewöhnlichen Truppenbewegungen in Nordkorea. Trotzdem seien die Streitkräfte auf alles vorbereitet. Nordkorea hatte den Süden am Samstag vor einer militärischen Konfrontation gewarnt. Die Koreanische Volksarmee bezeichnete den südkoreanischen Präsidenten Lee Myung Bak als Verräter und warf ihm vor, eine militärische Provokation zu planen, wie die amtliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA meldete. Außerdem bekräftigte der kommunistische Norden, er werde eine umstrittene Seegrenze mit dem Süden nicht anerkennen. Lee und seine "Kriegstreiber" müssten erkennen, dass sie einen hohen Preis für den von ihnen gewählten Weg der Konfrontation bezahlen müssten.

Beobachter gingen davon aus, dass die Äußerungen aus Pjöngjang eher an den künftigen US-Präsidenten Barack Obama als an Südkorea gerichtet waren. "Nordkorea will Obamas Aufmerksamkeit erringen", sagte Professor Kimg Yong Hyun von der Dongguk-Universität in Seoul. Offenbar wolle das nordkoreanische Regime seinen Forderungen nach einem Friedensvertrag und diplomatischen Beziehungen zu Washington auf diese Weise Nachdruck verleihen.

Südkorea hat die Anschuldigungen aus dem Norden zurückgewiesen und wiederholt zum Dialog aufgerufen. Die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel haben sich verschärft, seit Lee vor fast einem Jahr sein Amt antrat und eine härtere Haltung gegenüber Pjöngjang ankündigte. Ein US-Wissenschaftler vom Zentrum für internationale Politik in Washington sagte nach einem Besuch in Nordkorea, Nordkorea verfüge über waffenfähiges Plutonium für vier bis fünf Sprengköpfe. AP

Drohungen aus dem Norden: Diktator Kim Jong Il. Foto: Reuters

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Zerbrechliche Waffenruhe

Drei Wochen nach Kriegsbeginn sind immer noch viele Israelis der Ansicht, die Offensive müsse fortgesetzt werden

Von Thorsten Schmitz

Israel/Berlin - Als der Krieg im Gaza-Streifen zur besten Sendezeit im israelischen Fernsehen zu sehen war, rief er am Wochenende erstmals auch Mitleid in Israel hervor, Mitleid mit den Palästinensern. In der Hauptnachrichtensendung des Senders "10" schlug Korrespondent Schlomi Eldar dem Moderator vor, man wolle nun, wie fast jeden Abend, live von Issaldin Abu al-Aisch hören, wie die Lage im Norden des Gaza-Streifens sei. Al-Aisch ist Gynäkologe und arbeitet im Krankenhaus von Gaza-Stadt sowie in der Tel-Haschomer-Klinik nahe Tel Aviv. Al-Aisch verfügt über hervorragende Kontakte bis in Israels Regierung. Es gibt Filme, die ihn mit Verteidigungsminister Ehud Barak zeigen, der sich bei einem Besuch in Tel Haschomer gewundert hatte, dass in der Klinik ein Palästinenser aus Gaza arbeitet.

Als Eldar die Nummer wählte und al-Aisch antwortete, bekamen die Fernsehzuschauer herzzerreißendes Geschrei des Gynäkologen zu hören. Kurz vor der Live-Schaltung hatten israelische Soldaten das fünfstöckige Wohnhaus des Arztes bombardiert und drei seiner acht Töchter, eine Nichte und seinen Bruder getötet. Der israelische Journalist konnte kaum eine Frage stellen, so sehr war er vom Leid des Doktors erfasst. Abwechselnd auf Hebräisch und auf Arabisch schrie und weinte der Arzt, im Hintergrund war das Wehklagen seiner Frau zu vernehmen: "Warum nur? Gebt mir einen Grund!" Versteinert vor Erschütterung appellierte der Fernsehkorrespondent an die Armee, die Verletzten zu behandeln.

Am Samstag sprach der Arzt dann auf einer Pressekonferenz in Israel über das Unglück und sagte, er hoffe, dass seine drei Töchter die letzten sinnlosen Opfer eines sinnlosen Kriegs sein würden. Bis er von einer Mutter, deren drei Söhne zur Zeit im Gaza-Streifen kämpfen, unterbrochen wurde. Sie schrie, das Krankenhaus solle sich schämen, dem palästinensischen Arzt eine Plattform für "anti-israelische Propaganda" zur Verfügung zu stellen. "Wer weiß, welche Waffen er in seinem Haus versteckt gehalten hat?"

Mehr als drei Wochen nach Beginn der Gaza-Offensive herrscht in weiten Teilen Israels noch immer die Ansicht vor, der Krieg sei gerechtfertigt und müsse fortgesetzt werden, solange Hamas nicht einer zeitlich unbefristeten Waffenruhe zustimme. Das Unglück des Gynäkologen aus Gaza schaffte es zwar auf die Titelseiten der israelischen Zeitungen. Es vermochte aber nicht, den Zusammenhalt der israelischen Bevölkerung zu brechen oder Zweifel am Sinn der Operation "Gegossenes Blei" zu säen. Jüngsten Umfragen zufolge sind noch immer mehr als 85 Prozent der Israelis für den Krieg gegen die Hamas. Selbst Jossi Alpher, Ko-Autor des israelisch-palästinensischen Internetforums "bitterlemons", glaubt: "Israel ist jetzt in einer stärkeren Position und hat Hamas so schwere Verluste zugeführt, dass sie künftig keine Raketen mehr auf uns feuert."

Mit der brüchigen Waffenruhe hat auch der Wahlkampf wieder begonnen, der wegen des Krieges ausgesetzt worden war. Avigdor Lieberman von der russischen Emmigrantenpartei "Unser Haus Israel" sagte, die Waffenruhe sei "eine Todesfalle". Hamas würde sie nutzen, um sich wieder zu bewaffnen. Der rechte Likud, dessen Chef Benjamin Netanjahu Umfragen zufolge vom 10. Februar an die kommende Regierung stellt, ließ verlauten, da Hamas im jetzigen Krieg nicht zerstört worden sei, "droht uns in naher Zukunft ein neuer Krieg".

Viele Israelis finden, die Armee solle noch im Gaza-Streifen bleiben. Einige fordern gar, Israel möge eine Sicherheitszone nach dem Vorbild jener im Süden Libanons einrichten, um den Beschuss von Raketen aus dem Gaza-Streifen heraus zu verhindern. Der Gaza-Krieg gegen Hamas wird in Israel auch im Zusammenhang mit dem Westjordanland interpretiert. Jariv Oppenheimer von der israelischen Friedensgruppe "Peace now", die gegen jüdische Siedlungen kämpft, sagte, solange Israelis die Befürchtung hegten, die Hamas könnte im Westjordanland wie im Gaza-Streifen die Herrschaft an sich reißen, wenn Israel die jüdischen Siedlungen auflöst, "solange wird das Westjordanland besetzt bleiben". Der Kampf gegen die Besatzung von "Peace now" werde durch den Gaza-Krieg auch erschwert: "Die Menschen fragen sich, was passiert, wenn Israel das Westjordanland aufgibt. Hamas feuert schließlich Raketen auf Israel ab, nicht auf jüdische Siedlungen", sagte Oppenheimer. Solange die Gefahr bestehe, dass Hamas und andere palästinensische Terrorgruppen vom Westjordanland aus Israel angreifen, gäbe es in der israelischen Bevölkerung keine Mehrheit für die Aufgabe jüdischer Siedlungen. (Seite 4)

Der Zusammenhalt ist ungebrochen

Furcht um das Westjordanland

Israelische Soldaten verließen am Sonntagmorgen nach ihrem Kampfauftrag den Gaza-Streifen. Kurz darauf lenkten die Hamas-Führer ein. Foto: Reuters

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15 Tote in Pakistan

Islamabad - Bei Gefechten im unruhigen Nordwesten Pakistans sind mindestens 15 radikal-islamische Extremisten und ein Regierungssoldat ums Leben gekommen. Wie das Militär am Sonntag mitteilte, griffen die Sicherheitskräfte am Vortag Stellungen der Aufständischen im halbautonomen Stammesgebiet Mohmand an. Die Region im Grenzgebiet zu Afghanistan gilt als Extremisten-Hochburg und Rückzugsgebiet für Taliban-Kämpfer und Al-Qaida-Terroristen. dpa

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Hubschrauber abgestürzt

Paris - Beim Absturz eines Hubschraubers des französischen Militärs vor der Küste des zentralafrikanischen Staates Gabun sind vermutlich acht Soldaten gestorben. Nach Armeeangaben hatte der Transporthubschrauber am Samstagabend an einem Manöver mit den Streitkräften Gabuns teilgenommen. Die Unglücksursache war zunächst unklar. Kurz nach dem Absturz hatten die Rettungskräfte drei Überlebende und einen Toten bergen können. Von den anderen sechs Besatzungsmitgliedern fehlte zunächst jede Spur. dpa

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Tutsi-Miliz lenkt ein

Nairobi - Führende Offiziere der ostkongolesischen Tutsi-Miliz CNDP haben einen Waffenstillstand mit den Regierungstruppen angekündigt. Die diesen Offizieren unterstehenden Streitkräfte wollten sich künftig den Regierungstruppen anschließen, berichtete der britische Rundfunksender BBC am Samstag nach einem Treffen von Tutsi, die gegen ihren bisherigen Führer General Laurent Nkunda rebellieren, mit dem kongolesischen Innenminister und dem ruandischen Armee-Stabschef in Goma. dpa

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Bombenanschlag in Indien

Delhi - Bei einem Bombenanschlag im ostindischen Bundesstaat Jharkhand sind mindestens fünf Polizisten getötet worden, wie die Nachrichtenagentur IANS am Samstag berichtete. Die Polizei machte maoistische Aufständische für den Anschlag auf einer Fernstraße rund 140 Kilometer nordwestlich der Landeshauptstadt Ranchi verantwortlich. Maoistische Rebellen sind in 13 der 35 indischen Bundesstaaten und Unionsterritorien aktiv. Sie lehnen die parlamentarische Demokratie ab und kämpfen für ein kommunistisches Regime. dpa

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Flüchtlinge ertrunken

Sanaa - Vor der Küste der arabischen Halbinsel sind am Wochenende zahllose Elendsflüchtlinge aus Afrika ertrunken. Im Jemen wurden mehrere Leichen an Land gespült, nachdem ein Boot mit etwa 300 Menschen an Bord gekentert war. Nur 30 konnten gerettet werden, wie die Leiterin des Flüchtlingshilfswerks in Aden, Laila Nassiv, mitteilte. Im Arabischen Meer sank ein weiteres Flüchtlingsboot mit etwa 120 Menschen. Von ihnen erreichten etwa 80 den rettenden Strand. Beide Boote kamen nach Angaben der UN-Organisation aus Somalia. AP

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Vorwürfe gegen Thailand

Bangkok - Menschenrechtsgruppen haben Thailand für seinen unmenschlichen Umgang mit Flüchtlingen aus Birma scharf kritisiert. Die Tatsache, dass hunderte illegale Einwanderer auf dem Meer ausgesetzt wurden, sei "völlig inakzeptabel", sagte der Birma-Experte von Human Rights Watch, David Mathiesona, am Sonntag. Er forderte eine Untersuchung des Vorfalls durch die Vereinten Nationen und die thailändische Regierung. Premier Abhisit Vejjajiva will an diesem Montag mit Menschenrechtlern über die Vorwürfe sprechen. AFP

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Deutscher entführt

Sanaa - Bewaffnete Stammesangehörige haben im Süden des Jemen angeblich einen deutschen Ölexperten entführt. Das berichtete ein Sprecher der Ölgesellschaft LNG in Sanaa. Die Kidnapper fordern demnach die Freilassung eines ihrer Clanmitglieder aus jemenitischer Haft. Einzelheiten und die Identität des Deutschen waren zunächst nicht bekannt. Der Deutsche wurde offenbar zusammen mit zwei jemenitischen Mitarbeitern Hafenstadt Balhaf verschleppt. Der Mann arbeitet als Pipeline-Experte für ein Subunternehmen der LNG. dpa

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Entführer fordern Lösegeld

Manila - Muslimische Extremisten wollen die entführten Rotkreuz-Helfer auf den Philippinen nur gegen ein Millionenlösegeld freilassen. Das verlautete am Sonntag aus Militärkreisen. Die Armee geht davon aus, dass der Schweizer Andreas Notter und seine beiden Kollegen in den Dschungel von Indanan auf der Insel Jolo im Süden des Landes verschleppt wurden. Mehr als 1500 Soldaten suchen nach den Entführten. Das Militär glaubt, dass die Abu Sayyaf-Rebellenführer Albader Parad und Jumdail alias Dr. Abu Pula hinter der Entführung stecken. dpa

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Rebellen auf dem Rückzug

Colombo - Die Regierungstruppen in Sri Lanka haben die tamilischen Rebellen nach eigenen Angaben weiter zurückgedrängt. Sie nahmen einen Stützpunkt der Befreiungstiger von Tamil Eelam im Dorf Maruthampuvel ein, wie ein Militärsprecher am Sonntag mitteilte. Eine unabhängige Beurteilung der Lage ist unmöglich, da Journalisten die Einreise in das Gebiet verwehrt wird. Die Regierung will die Rebellen militärisch bezwingen und den seit 25 Jahren andauernden Bürgerkrieg so beenden. AP

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Reform der Reform

Hamburg will den Wechsel zur Primarschule flexibel gestalten

Die Hamburger Pläne sind ambitioniert: Die schwarz-grün Koalition will das Schulsystem komplett umbauen. Die Schüler sollen künftig in sogenannten Primarschulen sechs Jahre gemeinsam lernen, nicht mehr nur vier. An neuen "Stadtteilschulen" sollen die Schüler später den Hauptschul- oder Realschulabschluss oder auch das Abitur nach 13 Jahren machen können. An den Gymnasien müssen Abiturienten bereits nach der zwölften Klasse zur Prüfung antreten. Die Koalition will mit den Reformen das Schulsystem gerechter gestalten und Kinder aus armen Familien und Migranten besser fördern. An den Hauptschulen in Hamburg scheitern laut Pisa-Studie bis zu 75 Prozent der 15-Jährigen an einfachsten Lese- und Rechenaufgaben.

Die Reform, die die CDU mit der Grünen Alternativen Liste (GAL) in der Hansestadt vereinbart hatte, stößt aber inzwischen auf kräftigen Widerstand. Kritiker werfen Bürgermeister Ole von Beust und seiner grünen Schulsenatorin Christa Goetsch vor, sie würden die Schulen überfordern. Ende vorige Woche kündigte Goetsch an, dass sie die Reform zwar nicht verschieben wird, aber zumindest die Umstellung auf die Primarschule flexibler gestalten will. Ursprünglich war geplant, dass bereits 2010 keine Schüler mehr nach der vierten Klasse die Grundschule verlassen sollen. Jetzt will Goetsch den Schulen freistellen, ob sie zu diesem Zeitpunkt schon Primarschule sein wollen oder nicht. Verbindlich eingeführt werden soll diese Schulform nun erst ein Jahr später.

Obwohl viele Eltern und Lehrer begrüßen, dass die Schulen Zeit gewinnen, um die Reform besser vorzubereiten, stößt die Schulsenatorin mit ihrer Korrektur auch auf Kritik. Die SPD-Fraktion warf ihr vor, sie schiebe einmal mehr den Schwarzen Peter den Schulen zu. "Jetzt ist die Unklarheit perfekt. Was sie jetzt macht, ist nichts Halbes und nichts Ganzes", sagt der SPD-Abgeordnete Thies Rabe. Der Hamburger Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Klaus Bullan, sieht durch den flexiblen Übergang Planungsprobleme auf die Schulen zukommen. "Es ist nicht vorherzusehen, wie sich Schulen und Eltern entscheiden", warnt er. taff

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Unis suchen Partner in Entwicklungsländern

Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) will den wissenschaftlichen Austausch mit Entwicklungsländern fördern. Von Mai an sollen an fünf deutschen Hochschulen Kompetenzzentren für Entwicklungszusammenarbeit entstehen, teilte DAAD-Generalsekretär Christian Bode Ende voriger Woche mit. Das Bundesentwicklungsministerium stelle dafür 25 Millionen Euro bereit. Die neuen Zentren sollen mit Partnerhochschulen in Entwicklungsländern zusammenarbeiten und Spitzenwissenschaftler nach Deutschland einladen. Für die Förderung haben sich bereits 44 Universitäten beworben, 13 wurden nun für die Endrunde ausgewählt. Dazu gehören die TU Berlin und die Humboldt-Universität sowie die LMU München und die Fachhochschule Köln. SZ

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"Sport muss ausfallen"

Schulleiter Ulrich Thuleck über nötige Bauvorhaben in Duisburg

Nicht nur die Aula des Duisburger Landfermann-Gymnasiums ist in die Jahre gekommen, vor allem die Turnhalle muss dringend von Grund auf saniert werden. Schulleiter Ulrich Thuleck bemüht sich deshalb um Geld aus dem beschlossenen Konjunkturprogramm von Bund und Ländern.

SZ: Wird über Ihnen nun ein Füllhorn ausgegossen?

Tholuck: Der Eindruck ärgert mich sehr. Man tut plötzlich so, als ob Investitionen in Bildung hier auf hohem Niveau stattfänden. Tatsächlich sind die jetzt in Aussicht gestellten Gelder höchstens ein Beitrag zur Grundausstattung, die an öffentlichen Schulen kaum noch angeschafft werden kann. Mit dem Geld können wir uns höchstens dem geforderten Standard annähern.

SZ: Was werden Sie denn konkret beantragen?

Tholuck: Wir werden die Renovierung der Aula sowie die dringend benötigte Ergänzung unserer Physikausstattung beantragen. Weil beispielsweise von unseren 15 Strom-Transformatoren nur noch fünf funktionieren, können unsere Schüler viele Versuche nicht mehr machen. Bei anderen Experimenten arbeiten sie mit selbstgebastelten Konstruktionen aus Drähten und Lampenbatterien. Vor allem muss aber unsere Sporthalle grundsaniert werden. Wir brauchen einen neuen Boden und neue Wände, außerdem neue Toiletten und Duschen. Das alles kostet 600 000 Euro.

SZ: Sind das Wünsche, die das Konjunkturpaket erst geweckt hat?

Tholuck: Keiner davon. Für die Sanierung von Aula und Turnhalle haben wir 2002 bereits einen Antrag gestellt. Sie ist dann jedoch nicht erfolgt, weil das Geld ausgegangen ist. Über die Sportgeräte, die zum Teil 40 Jahre alt sind, redet schon keiner mehr.

SZ: Wie kommen Sie an das Geld?

Tholuck: Ich schildere der Stadt Duisburg, dem Träger der Schule, in einem Brief, was wir machen müssen. Daraufhin werden Vertreter der Stadt Turnhalle und Aula besichtigen und einen Zeitplan erstellen, der erfahrungsgemäß nicht eingehalten wird, weshalb ich die Stadt an ihre Zusagen erinnern muss. Vom ersten Brief bis zum Beschluss vergeht mindestens ein Vierteljahr.

SZ: Und bis tatsächlich gebaut wird?

Tholuck: Mindestens nochmal so lang. Alles muss europaweit ausgeschrieben werden. Ein langer, bürokratischer Weg. Das dauert sicher bis Herbst.

SZ: Die Sanierungen könnten also nicht in den Sommerferien erfolgen.

Tholuck: Das stimmt. Die Grundsanierung einer Turnhalle dauert allerdings ohnehin drei bis fünf Monate. Egal, ob wir in den Ferien beginnen oder nicht, der Sportunterricht hätte darunter immer zu leiden.

SZ: Wo findet er ohne Halle statt?

Tholuck: Wir versuchen, Ersatzhallen zu finden. In Duisburg gibt es da aber leider viel zu wenig Möglichkeiten, in die wir ausweichen könnten. Wahrscheinlich müssen wir Ersatzunterricht anbieten, Physik beispielsweise.

Interview: Jakob Biazza

Schulleiter Ulrich Thuleck Foto: privat

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Das Milliarden-Wagnis

Höchste Zeit, die Unis zu sanieren - doch die Sorge wächst, dass das Geld des Konjunkturpakets versickert

Von Birgit Taffertshofer

Der Weg zum Hörsaal führt in Bochum über kaputte Bodenplatten und bröckelnde Betontreppen. Überall auf dem Hochschulgelände mahnen Warnschilder zur Vorsicht. Wer an der Ruhr-Universität studiert oder lehrt, dem fallen auf Anhieb gleich mehrere Bauvorhaben ein, die dringend angegangen werden müssten. Das Konjunkturprogramm des Bundes soll nun dabei helfen: Rissige Fassaden sollen saniert, Fenster isoliert und Labore modernisiert werden. In den kommenden beiden Jahren sollen deshalb etwa 8,7 Milliarden Euro nicht in Straßen, sondern in Hochschulen, Schulen und Kindergärten investiert werden. Von "neuen, nachhaltigen Zukunftsinvestitionen" ist die Rede. Doch es sieht nicht so aus, als hätten die Politiker diese auch sorgfältig geplant. Deshalb wächst in den Hochschulen die Sorge, dass der unverhoffte Geldregen wirkungslos versickert.

"Wenn das Milliarden-Paket die Konjunktur ankurbeln soll, dann muss es wirklich in zusätzliche Bauvorhaben fließen", betont Wedig von Heyden, Generalsekretär des Wissenschaftsrats, der Bund und Länder in hochschulpolitischen Fragen berät. Die beabsichtigte Wirkung sei nur zu erzielen, wenn nicht bereits fest verplante Mittel der Länder ersetzt werden. Von Heyden schätzt, dass die Hochschulen in den nächsten beiden Jahren problemlos drei Milliarden vor allem in kleinere Bauprojekte  stecken könnten, um immer wieder aufgeschobene, aber dringende Investitionen umzusetzen.

Der Hochschulbau in Deutschland ist seit Jahrzehnten vernachlässigt worden. In vielen Gebäuden tropft, zieht und bröckelt es - und die Sanierung kostet Milliarden. Gerade Nordrhein-Westfalen plagt sich mit einem gewaltigen Sanierungsstau. Während der Bildungsexpansion in den sechziger und siebziger Jahren wurden an Rhein und Ruhr die Universitäten erweitert oder gleich neue gegründet. Die Bausünden der damaligen Architekten und den jahrelangen Sparkurs beim Bauunterhalt müssen die Länder nun teuer büßen.

Alleine an der Ruhr-Universität in Bochum, an der 32 000 Studenten lernen, belaufen sich die Sanierungskosten auf eine Milliarde Euro. Oft gehe es schlichtweg darum, Leib und Leben zu schützen, sagt Uni-Kanzler Gerhard Möller, der auch Sprecher der nordrhein-westfälischen Kanzler ist. Doch die Hoffnung, dass mithilfe des Geldes aus Berlin verhindert werden kann, dass an Hochschulen Fassadenteile auf Passanten fallen oder diese auf löchrigen Böden stürzen, dämpft er. "Es hilft ja nicht, ein paar Bodenplatten auszuwechseln, wenn die ganze Konstruktion darunter kaputt ist."

Kosmetische Korrekturen

Noch weiß Möller nicht, wie viel Geld seine Uni aus dem Konjunkturpaket erhalten wird, aber so viel ist sicher: Selbst wenn eine Hochschule, wie ursprünglich von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) angestrebt, 500 000 Euro bekäme, würde das nicht einmal ausreichen, um die Fassade eines einziges Gebäudes in Bochum zu sanieren.

Wie viel Geld nötig wäre, damit alle Hochschulen wieder eine würdige Heimat für die Wissenschaft sind, kann heute niemand mehr sagen. Denn seit der Föderalismusreform sind alleine die Länder für den Hochschulbau zuständig. Eine bundesweite Übersicht über den Sanierungs- und Modernisierungsbedarf fehlt seitdem. Lediglich einige Bundesländer haben sich zuletzt dazu geäußert: Bayern will in den nächsten zehn Jahren vier Milliarden Euro in Hochschulgebäude investieren, Baden-Württemberg immerhin zwei und Nordrhein-Westfalen sogar acht Milliarden Euro. Geht man von dieser Basis und Erfahrungen aus der Vergangenheit aus, schätzt von Heyden, dass bis 2020 bundesweit 30 Milliarden Euro nötig wären, um die Hochschulen zu sanieren.

Angesichts solcher Dimensionen vermischt sich die Freude über das Geldgeschenk aus Berlin schnell mit Ärger. "Hier werden keine nachhaltigen Lösungen angestrebt, sondern nur öffentlichkeitswirksame Schönheitsreparaturen", meint der Regensburger Rektor Alf Zimmer. Natürlich könne auch er jeden Cent gut gebrauchen - obwohl Bayern im nächsten Jahrzehnt ohnehin fast 400 Millionen Euro in den altersschwachen Betonkomplex in Regensburg stecken will. Von Programmen, bei denen der Bund mit der Gießkanne Geld für Bauvorhaben verteilt, hält Alf Zimmer aber nichts: "Der Bund steigt damit wieder da ein, wo er noch nie Kompetenz bewiesen hat ."

Aus Sicht des Regensburger Rektors wäre es ganz einfach gewesen, "aus dem kurzatmigen Milliardenpaket ein echtes Zukunftsprogramm" zu machen. Zum Beispiel indem der Bund den Bonus für die Infrastruktur drittmittelfinanzierter Forschungsprojekte ausbaut. Der Bonus, "Overhead" genannt, soll sicherstellen, dass forschungsstarke Hochschulen nicht auf den Kosten für Labore, Rechenzentren und Bibliotheken sitzen bleiben, wenn sie im Wettkampf um Fördermittel bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) besonders erfolgreich sind. Der Bonus entspricht derzeit 20 Prozent der Fördersumme. Das ist zwar mehr als früher, aber noch immer müssten arme Hochschulen Forschungsmittel ausschlagen, weil sie das Geld für die Infrastruktur nicht haben, sagt Zimmer.

In den meisten anderen Hochschulen hält man sich mit so deutlicher Kritik lieber zurück. Stattdessen bastelt man eifrig an Wunschlisten und freut sich, dass die große Koalition auch etwas gegen die lähmende Bürokratie unternehmen will. Geplant ist ein vereinfachtes Vergabeverfahren für öffentliche Aufträge. Mit wie viel Geld einzelne Unis rechnen können, ist aber noch unklar. "Die Hochschulrektorenkonferenz wird darauf drängen, dass die Hochschulen in einem angemessenen Umfang partizipieren", sagt Präsidentin Margret Wintermantel.

Blockierende Bürokratie

Doch auch die Vertreter der Schulen und Kindergärten melden nun Ansprüche an. Mancher stellt sich bereits die Frage, ob die Hochschulen nicht schon genug aus den Länderkassen erhalten. Einige Unis können sich mittlerweile tatsächlich nicht mehr über einen Mangel an Investitionen beklagen. In Frankfurt wird ein großer Teil der Goethe-Universität ganz neu gebaut. Das Land Hessen zahlt dafür fast zwei Milliarden Euro. Auch Hamburg denkt derzeit darüber nach, die Uni nicht mehr zu sanieren, sondern an anderer Stelle neu zu errichten.

"Am wichtigsten ist, dass die Hochschule selbst das Geld bekommt", sagt Kanzler Möller. Nur sie wisse, welche Investition sinnvoll sei. In Bochum möchte die Uni-Leitung eine zentrale Servicestelle für Studenten einrichten. Momentan sind die Büros auf drei Gebäude verteilt, und die wartenden Studenten versperren regelmäßig die Flure.

Viele Hochschulen sind marode. An der Uni Bochum müssen aus Sicherheitsgründen immer wieder Wege gesperrt werden (links oben). In Regensburg sind Gebäude eingezäunt, um Passanten vor herabfallenden Fassadenteile zu schützen (links unten). Auch Baustellen machen das Studieren mühsam: Hörsäle bleiben oft wochenlang geschlossen. Einige Bundesländer wollen jetzt Milliarden in Sanierungen stecken. Dass sie überfällig sind, zeigt auch ein Blick in die Toiletten der Uni Hamburg. Fotos: dpa, actionpress

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Erzieher werden Akademiker

Sachsen will die Ausbildung der Erzieher aufwerten. Zusätzlich zu bestehenden berufsbegleitenden Bachelor-Programmen sollen von Herbst 2009 an Studiengänge für angehende Erzieher in Dresden und an der Hochschule Zittau/Görlitz starten. Die TU Dresden bietet außerdem einen Masterstudiengang an, bei dem die wissenschaftliche Erforschung der Frühpädagogik im Zentrum steht. Erzieher wurden in Deutschland bisher nicht in Hochschulen, sondern in Fachschulen ausgebildet. SZ

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Mord und Margaritas

ZDF, 22.15 Uhr. Pierce Brosnan (l., mit Greg Kinnear) als Wiedergänger Tom Sellecks: Schnauzbärtig tritt er in der Nach-Bond-Ära nun als Privatunternehmer in Sachen Feindbekämpfung auf. Von der 007-Eleganz ist dieser Profikiller weit entfernt. Doch darauf kommt es Brosnan gerade an: sich als trauriger Clown zu emanzipieren von der Bond-Rolle. Foto: ZDF

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Noch nie wurde Ingo Friedrich von so vielen gelobt

Sein letzter Dienst an der Partei

Nach 30 Jahren verzichtet der 66-Jährige auf eine Kandidatur - und bewahrt Seehofer vor einer Blamage

Von Kassian Stroh

München - Der derart Geehrte war selbst überrascht und wusste nicht so recht, wie er es deuten sollte: Kaum hatte Ingo Friedrich seinen Rückzug aus der Politik erklärt, kamen so viele Parteifreunde wie nie, um ihm die Hand zu schütteln. "Das hat der Partei geholfen", sagten dabei nicht wenige. Was auch irgendwie doppeldeutig war.

Der 66-Jährige war der Held der CSU-Delegiertenversammlung am Samstag. Nachdem er verloren hatte. Platz fünf der Europaliste war von der Parteispitze für ihn vorgesehen, dann trat Albert Deß gegen ihn an, mit Unterstützung der Bauern und seines Heimatbezirks, der Oberpfalz. Friedrich verlor deutlich, nur 102 der knapp 300 Delegierten votierten für ihn. Da sprang er hinters Pult und gab kund, er werde nicht mehr antreten. "Jede politische Laufbahn geht irgendwann zu Ende", sagte er nach 30 Jahren im Europaparlament. "Ich werde mich daran gewöhnen müssen."

Und so blieb mit Friedrichs spontanem Rückzug aus, was im Vorfeld als "Domino-Effekt" befürchtet worden war: Kampfkandidaturen um jeden der vorderen Listenplätze, vor allem um den sechsten, der für Monika Hohlmeier vorgesehen war. Gegen Hohlmeier hätte Friedrich nach Einschätzung vieler Delegierter durchaus eine Chance gehabt. Wohl auch deshalb lobte Parteichef Horst Seehofer den Gescheiterten: "Wir haben gerade ein Beispiel für großes menschliches Format erfahren."

Ein bisschen galten die Ehrbezeugungen aber auch Friedrichs Lebenswerk: Seit der ersten EU-Wahl 1979 saß der Gunzenhausener im Parlament von Brüssel und Straßburg. Bis zum Vizepräsidenten stieg er dort zeitweise auf. 1999 und 2004 war er der Spitzenkandidat der CSU. Doch politisch sehr aufgefallen ist Friedrich in all dieser Zeit kaum. Als stiller Arbeiter im Hintergrund sah er sich eher. Und sein bekanntester Erfolg, von dem er heute noch gerne erzählt, liegt auch schon 25 Jahre zurück: Da beschloss das EU-Parlament, die blaue Fahne mit den zwölf goldenen Sternen im Kreis solle künftig die offizielle Flagge der EU sein. Initiiert hatte dies Friedrich - doch jenseits dessen, hielten ihm manche Parteifreunde vor, habe er in den 30 Jahren kein Profil entwickelt. Dabei feierten sie ihn in der CSU offiziell stets als "Mister Europa", als bestens vernetzt in der Brüsseler Szene, als Aushängeschild für den europapolitischen Anspruch dieser bayerischen Partei.

Dass er es in der CSU unter Horst Seehofer, der recht radikal auf Verjüngung setzt, nicht einfacher haben würde, ahnte der 66-Jährige schon vor Monaten. Bei Kandidatenlisten müssten alle Bevölkerungsgruppen vertreten sein, warb er intern. Auch die Senioren-Union machte sich für ihn stark: "Die Taktik des Trau-keinem-über-60 muss ein Ende haben", rief ihr Chef, Konrad Weckerle, Seehofer am Samstag noch zu. Doch das Argument zog nicht, da Deß konterte, er sei auch schon 61. Dafür sei er Bauer, und die müssten für die CSU als Wählergruppe zurückgewonnen werden.

Die Gruppen, für die Friedrich steht, waren dagegen weniger bedeutend: Er repräsentiert in der CSU die Evangelischen und den Mittelstand. In der an Quotierungen auch jenseits des Regionalproporzes nicht armen CSU wurde Friedrich so 1993 einer der vier stellvertretenden Parteivorsitzenden. Er ist es bis heute, deutete am Samstag aber bereits seine Bereitschaft zum Rückzug an.

Manche Delegierte vermuteten hinter Friedrichs Niederlage sogar taktisches Geschick Seehofers. Hätte er ihm von Anfang an einen schlechten Listenplatz zugestanden, hätte er seinen Vize desavouiert. So aber gab er ihm die Fünf, wohl wissend, dass er damit Gegenkandidaturen herausfordern würde, denen Friedrich zum Opfer fallen könnte. "Das riecht doch", sagte ein versierter CSU-Kommunalpolitiker - wenngleich sich nicht viele fanden, die seine Meinung teilten. Denn Friedrichs Niederlage dürfte die ohnehin kritische Stimmung in Franken eher verstärken: Erst der Ärger um die Oberbayerin Monika Hohlmeier, nun die Niederlage eines der bekanntesten CSU-Politikers in Mittelfranken. Vom "Notstandsgebiet Franken" war am Samstag schon die Rede. Das werde sich bei der Europawahl noch zeigen.

Ingo Friedrich (li.) unterlag Albert Deß bei Kampfabstimmung. Fotos: ddp/oh

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Seehofer stellt klar: CSU ist nicht verfilzt

München - Im Streit über die "Filz"-Studie der CSU-Fraktion hat Parteichef Horst Seehofer ein Ende der "Selbstgeißelung" gefordert. "Die Leute wollen nicht, dass wir uns pausenlos selbst bespiegeln, dass wir uns in den Staub werfen", sagte Seehofer bei der CSU-Delegiertenversammlung am Samstag. "Ich denke, wir sollten jetzt allmählich mehr in die Zukunft blicken und weniger in die Vergangenheit." In der CSU sind nach wie vor viele verärgert über eine Umfrage der Landtagsfraktion. Bei dieser hatten drei Viertel der Befragten angegeben, sie hielten die CSU für verfilzt. Solch einen Begriff hätte man nie abfragen und das Ergebnis schon gleich gar nicht veröffentlichen dürfen, sagen Kritiker von Fraktionschef Georg Schmid. Andere hingegen unterstützen ihn und fordern, die CSU müsse selbstkritisch sein und an sich arbeiten. "Letztmalig" wolle er klarstellen, dass er Vorsitzender "einer weltoffenen, modernen und frischen Partei" sei, keiner verfilzten, sagte Seehofer am Samstag. Dies sah auch Marcus Wöhrl so, der auf dem aussichtslosen Listenplatz 28 für das EU-Parlament kandidiert. Bei seiner Vorstellungsrede sagte der Sohn der Wirtschaftsstaatssekretärin Dagmar Wöhrl mit Blick auf die diversen Kampfabstimmungen: "Wenn wir eine verfilzte Partei sind, bin ich das gerne - lieber als in Latex", und fügte an: "Ich find's geil."kast

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Partnerbörse für Vögel war Betrugsgeschäft

Mindelheim - Mit einer angeblichen Partnervermittlung für einsame Papageien soll eine 35-jährige Unterallgäuerin Vogel-Freunde aus dem ganzen Bundesgebiet betrogen haben. In einschlägigen Medien habe die Frau mit einer Papageien-Auffangstation und einer Vermittlung von passenden Partnervögeln geworben, teilte die Polizei in Mindelheim mit.

Papageien sind gesellige Tiere und neigen zu Depressionen, wenn sie keinen Partner haben. Das brachte die Unterallgäuerin auf ihre lukrative Geschäftsidee. In einem Schwarm sollten sich die einsamen Vögel selbst ihren Wunschpartner aussuchen können. Die Nachfrage nach diesem ungewöhnlichen Service war verblüffend groß. Aus dem Großraum Augsburg, Günzburg, Nürnberg, aber auch aus Baden-Württemberg und sogar aus Berlin meldeten sich die Besitzer von Papageien mit Partnersorgen im Unterallgäu. Mindestens 40 Tiere von 25 Besitzern aus ganz Deutschland wurden abgeliefert - ein erheblicher Wert, denn die exotischen Vögel kosten zwischen 400 und 2000 Euro pro Exemplar. Die Tiere wurden nach bisherigen Erkenntnissen der Polizei zum Teil ins Ausland verschoben. Insgesamt soll die betrügerische Vogelpartner-Vermittlerin mindestens 20 000 Euro ergaunert haben "ganz abgesehen vom ideellen Verlust", betonte die Polizei. Fünf Papageien davon konnten zwischenzeitlich ihren Besitzern zurückgegeben werden. ddp

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Ein göttliches Ständchen

Die Regensburger Domspatzen singen in der Sixtinischen Kapelle in Rom zum 85.Geburtstag von Papstbruder Georg Ratzinger

Von Stefan Ulrich

Rom - An einem Sommertag des Jahres 1941 radeln zwei junge Burschen von Traunstein nach Salzburg. Der 17 Jahre alte Georg und der drei Jahre jüngere Joseph lieben klassische Musik. Da es mitten im Krieg ist, haben die Ratzinger-Brüder für wenig Geld Festspiel-Karten bekommen. In Salzburg prägen in jenem Jahr nicht Prominente aus ganz Europa das Publikum, sondern Soldaten auf Fronturlaub und Arbeiter der Munitionsfabriken. Georg und Joseph hören erstmals die Regensburger Domspatzen singen und erleben in der Stiftskirche Wolfgang Amadeus Mozarts Große Messe in c-Moll. Für die Brüder ist dies der Beginn einer lebenslangen Leidenschaft für den Komponisten.

67 Jahre später, am vergangenen Samstag, hören Georg und Joseph Ratzinger wieder nebeneinander die Große Messe - diesmal nicht in Salzburg, sondern in der Sixtinischen Kapelle zu Rom. Ihre einst blonden Haarschöpfe sind weiß geworden. Georg, der Musiker, trägt das gewellte Haar im Nacken länger als sein Bruder, der Papst. Beide lauschen, teils mit geschlossenen Augen. Offensichtlich sind sie genauso angerührt wie damals, in jenem fernen Sommer in Salzburg.

Was schenkt man einem Mann zum 85. Geburtstag, der auf ein reiches Leben zurückblickt und versichert: "An sich habe ich keine Wünsche?"

Darüber mussten sich das Bistum Regensburg und die Domspatzen den Kopf zerbrechen. Immerhin war Georg Ratzinger, der Jubilar, 30 Jahre lang Domkapellmeister und damit Leiter des berühmtesten und ältesten Knabenchors der Welt. Er hatte die Domspatzen von 1964 bis 1994 in tausend Konzerten geführt und bis in die USA, nach Korea und Japan begleitet.

Sein Nachfolger Roland Büchner hatte die Idee, ein Festkonzert zu geben und Mozarts Große Messe in c-Moll aufzuführen. Der Ort war bald gefunden: die Sixtina, die päpstliche Hauskapelle von Bruder Joseph, der dort im April 2005 zum Papst gewählt worden war.

Leidenschaft in c-Moll

In Regensburg gab es dann einige Kritik an den aufwendigen Plänen. Kirchenmittel könnten besser eingesetzt werden, hieß es. Georg Ratzinger betonte daher unlängst, es stimme nicht, dass er sich das Konzert gewünscht habe. Es sei die Idee der Domspatzen gewesen. Die Aufführung in der Sixtina sei für ihn "eine große Freude, obwohl ich persönlich meinen Geburtstag lieber in aller Stille feiern würde". Wie auch immer: Am Samstag sitzen die beiden Brüder auf zwei Sesseln unter dem Deckenfresko, das zeigt, wie Gottvater seinen rechten Zeigefinger ausstreckt, um auf Adam den Odem überspringen zu lassen. Vor ihnen, an der Stirnwand der Kapelle, wirbeln die Geretteten und die Verstoßenen von Michelangelos Jüngstem Gericht durcheinander. Darunter haben sich die 60 Knaben- und 30 Männerstimmen der Domspatzen postiert, sowie das Barockorchester L'Orfeo aus Linz und die Solisten. Gut eine Stunde lang beleben sie nun die Sixtina, während die Bischöfe und anderen Prälaten, römische Prinzessinnen wie die Papst-Vertraute Alessandra Borghese, Politiker wie Gianni Letta, die graue Eminenz der Regierung Berlusconi, und viele Gäste aus Regensburg Mozarts Messe lauschen und Michelangelos Fresken betrachten.

Als die Stimmen des Chors verklungen sind, geht Benedikt XVI. nach vorn und erinnert an jene Aufführung 1941 in Salzburg: "Obwohl ich damals noch ein ziemlich einfältiger Bub war, habe ich begriffen, dass wir mehr als ein Konzert erlebt hatten, dass es gebetete Musik, dass es Gottesdienst war." Die Messe in c-Moll sei kein "leicht dahingeworfenes Werk eines Rokoko-Menschen". Sie offenbare Mozarts "Ringen, seine Suche nach Vergebung, nach der Erlösung Gottes". Tatsächlich entzieht sich diese Messe, die Mozart zum Dank für seine Hochzeit mit Constanze komponiert haben soll, dem Klischee einer strahlend-heiteren Musik des Meisters. Der Regensburger Philosophie-Professor Ulrich Hommes bemerkt, es gehe auch um Menschen, "die um die Brüchigkeit ihres Lebens wissen, um Schuld und Versagen und die sich ihre Erlösungsbedürftigkeit eingestehen".

Benedikt zieht eine Parallele zum Leben des Bruders, in dem "schwierige Steilwände, dunkle Passagen nicht fehlten". Georg aber, sein letzter noch lebender enger Verwandter, habe eine doppelte Berufung zu Musik und Priestertum gefunden. Er habe "der Welt und den Menschen die Freude an Gott durch die Schönheit der Musik und des Gesanges vermittelt." Dann bittet der Papst: "Gott möge Dir, lieber Georg, noch einige gute Jahre schenken."

"Hat der Welt die Schönheit der Musik vermittelt", sagt Papst Benedikt über seinen Bruder Georg, der 85 Jahre alt geworden ist. Foto: Reuters

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Kommentar

Seehofers Geheimnis

Horst Seehofer hat schon recht: In der CSU muss sich viel ändern, und zwar rasch. Da kann er auf all das keine Rücksicht nehmen, was schon immer so war und alleine deshalb ein Recht auf Fortbestand haben muss. Bei Personen ebenso wenig wie bei inhaltlichen Positionen, die die CSU derzeit in zum Teil atemberaubender Manier revidiert. Drei Ziele müssen die Christsozialen dabei angehen: Sie müssen attraktiver werden für jüngere Wähler, vor allem für Frauen, sie müssen in ihren Inhalten moderner werden und ihren Politikstil ändern.

Doch unerklärlich bleibt, warum Seehofer gerade Monika Hohlmeier als zentralen Bestandteil dieser Erneuerung auserkoren hat. Warum er die 46-Jährige als Teil der kommenden CSU-Führungsgeneration sieht. Denn sie steht für keines dieser Ziele. Zum einen wählen Frauen eine Partei nicht alleine deshalb, weil dort Frauen auf den Listen stehen. Ihnen ist mindestens so wichtig, für welche Politik die CSU steht. Die Debatten über Wickelvolontariat, Krippenplätze und Betreuungsgeld haben aber gezeigt, wie schwer sich die CSU hier mit ihrer Modernisierung tut. Punkt zwei, die Inhalte: Da dürfte Hohlmeier gerade bei Eltern eher abschreckend wirken, ist sie als frühere Kultusministerin doch zu einem Gutteil für die verkorkste Schulpolitik der vergangenen Jahre mitverantwortlich. Und schließlich ist Hohlmeier alles andere als die Repräsentantin eines neuen Politikstils - wenn schon, dann eher eines vorgestrigen. Schließlich musste sie zurücktreten, weil sie nach Zeugenaussagen in Wahlfälschereien in der Münchner CSU verwickelt war, weil Parteifreunde ihr vorwarfen, ihnen mit Dossiers gedroht zu haben, weil sie es als Ministerin nicht immer so ganz genau nahm mit dem Dienstweg.

Freilich: Hohlmeier hat ein gewinnendes Auftreten, sie sichert der CSU viel Aufmerksamkeit im Europawahlkampf und sie hat persönlich ein hervorragendes Ergebnis bei der Landtagswahl erzielt. Und nichts anderes als Wahlergebnisse zählen für Seehofer in seinem ersten Jahr als Parteichef. Doch das war in Oberbayern - und nachdem er mit ihrer Nominierung derart viel Salz in die alten fränkischen Minderwertigkeits-Wunden gestreut hat, ist auch dieses Plus Hohlmeiers hinfällig. Warum Seehofer so viel auf Hohlmeier gibt - es bleibt sein Geheimnis.Kassian Stroh

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Schluss mit Samba

Gläubiger von "Do Brazil" gehen vermutlich leer aus

München - Die Dinnershow "Giovane Elbers Do Brazil" ist pleite. Am Freitag wurden sämtliche bis 22. Februar noch ausstehende Vorstellungen abgesagt. Das Spiegelzelt am Hirschgarten stellte den Betrieb sofort ein, die Homepage ist aus dem Netz genommen. "Es ist quasi kein Geld mehr da", sagt Insolvenzverwalter Axel Bierbach, der auch die Schrannenhalle verwaltet. "In diesen Ausmaßen habe ich so etwas noch selten gesehen."

Vergangene Woche hatte die Krankenkasse AOK Insolvenzantrag gestellt: Seit Showbeginn im Oktober hatte die "mtp entertainment group", die die Show veranstaltete, keine Sozialabgaben bezahlt. Bierbach prüfte am Donnerstag die Situation und stellte fest: "Das Unternehmen ist so defizitär, dass man es nicht fortführen kann." In der Kasse fanden sich noch 2000 Euro, dafür häuften sich die unbezahlten Rechnungen von Lieferanten, Köchen und Künstlern. Viele hatten seit Monaten kein Geld bekommen.

In einer Pressemitteilung nannte mtp-Geschäftsführer Thorsten Küppers die ausbleibenden Firmenbuchungen in den vergangenen Wochen als Grund für die desaströse Finanzsituation. "Im Moment ist die Show nur zu 50 Prozent ausgelastet", bestätigt Bierbach. Bernhard Appelius, der im vergangenen Jahr die Medienarbeit für "Do Brazil" erledigte, sagt: "Man darf einfach nicht davon ausgehen, dass bei so einer Show immer alle Plätze belegt sind. Man muss auch Unwägbarkeiten einplanen." Das hätten die Verantwortlichen versäumt.

Das Gehalt der festangestellten Mitarbeiter ist per Gesetz zumindest für Dezember und Januar gesichert. Das Menü von Drei-Sterne-Koch Dieter Müller aber wurde von einer externen Firma zubereitet. Und auch die Künstler waren nicht festangestellt, nicht einmal deren Unterkünfte seien bezahlt worden. "Für alle Gläubiger wird das jetzt sehr schwierig", sagt Bierbach. Zumindest für jene Menschen, die schon Tickets für "Do Brazil" gekauft haben, zeichnet sich eine Lösung ab. "Wir arbeiten daran, die Gäste in anderen Dinnershows unterzubringen", sagt der Insolvenzverwalter. Sobald feststeht, ob das klappt, wird dies den Gästen per Post, Telefon oder Mail mitgeteilt. Christina Warta

Vergeblich geworben: Giovane Elber bei der "Do-Brazil"-Vorstellung. ahed

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Bergwanderer stürzt in den Tod

Schwangau - Ein nordrhein-westfälischer Bergwanderer ist am Branderschrofen in den Ammergauer Alpen (Landkreis Ostallgäu) in den Tod gestürzt. Rettungskräfte entdeckten am Sonntagmorgen die Leiche des 66-Jährigen. Der Mann war nach einer Wanderung am Samstag nicht zum Abendessen in seiner Pension in Füssen erschienen. Daraufhin hatte der Vermieter die Polizei alarmiert. Offenbar war der Mann vom Weg abgekommen und 150 Meter in die Tiefe gestürzt. Er galt laut Polizeiangaben als erfahrener Bergwanderer. dpa

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Warten auf die Weißwürste

Beim 36. Deutschen Filmball müssen Til Schweiger, Bernd Eichinger und Co zunächst hart arbeiten

Der Star des Filmballs biegt falsch ab - links zum Aufzug statt rechts zum Ballsaal. Vorher hat Daniel Craig, ganz der lässige Bond, gemütlich Interviews gegeben, Autogramme geschrieben, permanent gelächelt und vor allem eine perfekte Figur gemacht. Er wirkt kontrolliert, immer im Einsatz, immer fotogen, immer gut gelaunt, zeigt keine Schwächen, aber auch kaum Menschliches. Damit passt er eigentlich wunderbar zu der oberflächlichen Veranstaltung im Ballsaal, dem 36. Deutschen Filmball, oder? Ja und Nein. Für den ersten Teil, der bis Mitternacht dauert, ist Craig wie geschaffen, für den anschließenden, dem wichtigsten Teil der Veranstaltung, allerdings wohl kaum.

Zehn Minuten ist Craig nur da. Aber die reichen, um die Ordnung im Bayerischen Hof am Samstagabend durcheinander zu bringen.Denn hier ist alles genau aufgeteilt. Da sind auf der einen Seite die deutschen Filmstars in Smoking und Abendkleid, die nacheinander von dunklen Limousinen ausgespuckt werden, auf dem 30 Meter langen roten Teppich von Kamera zu Kamera, von Mikrophon zu Mikrophon und von Heizstrahler zu Heizstrahler schreiten, bis sie zuletzt durch die goldene Drehtür drinnen verschwinden. Auf der anderen Seite sind die Fotografen und Kameraleute in der ersten Reihe, in Reihe zwei die Autogrammjäger und dahinter die Schaulustigen, die zwischen den Bäumen des Promenadeplatzes auf das Treiben vor dem orange und blau beleuchteten Gebäude blicken. Und dann ist da noch Daniel Craig.

Horst Seehofer wartet um kurz nach 20 Uhr minutenlang in der Kälte, um mit ihm ein Foto zu machen, die Sicherheitsleute halten anschließend im Foyer extra einen Korridor zum Aufzug frei. Als sich die Aufzugtüren hiner ihm schließen, öffnen sich die des Ballsaals für ein einmaliges Schauspiel, der Jagd nach dem besten Bild.

Die Gäste stärken sich erst einmal mit Champagner, um diesen Teil des Abends abzumildern. Manche Damen sind bei der Tischsuche ausschließlich mit der Vorwärtsbewegung beschäftigt, denn permanent steigt ihnen im dichten Gedrängel jemand auf die Schleppe. Die einen suchen ihre Plätze, die Fotografen ihre Motive. Til Schweiger sagt zum ersten Mal, was er noch zwanzig Mal wiederholen wird. "Ich bin hier, um Leute zu treffen, die ich sonst nicht so oft sehe." Es sei ja wie ein Klassentreffen. Er beantwortet stoisch Reporterfragen, während Ministerpräsident Horst Seehofer zur Ansprache nach vorne schreitet. Nur eine kleine Panne unterläuft ihm, als er den Gastgeber des Abends, den Präsidenten der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft, Steffen Kuchenreuther, zweimal "Küchenreuther" nennt.

An Tisch 15 werden derweil die Fotografen fündig. Heiner Lauterbach mit Sohn Oscar und Martin Krug räumen alle überflüssigen Accessoires vom Tisch, um Platz für die Champagnerkübel zu haben. Bernd Eichinger an Tisch 19 hält sich beim Essen extra zurück, um jederzeit loslächeln zu können. Die schmale Caroline Herfurth neben ihm hat noch nicht so viel Erfahrung. Sie isst lieber, dafür wird sie nicht so oft abgelichtet.

Nur im vorderen Teil des Saales blitzt es. Denn die etwa 1200 Gäste aus der Filmbranche sind aufgeteilt, vorne die bekannten, hinten die unbekannten. Vorne sitzt Seehofer an einem Tisch mit Edmund Stoiber, hinten sitzt Günther Beckstein, noch hinter Bushido. Der ist zunächst ein wenig irritiert. "Das ist mir alles zu wichtig hier", sagt er. Daran wird sich erst um 23 Uhr etwas ändern, wenn die Kameras ausgeschaltet werden müssen. Bis dahin zeigen die Profis, wie man's macht. Uwe Ochsenknecht nutzt den Gang zur Toilette gleich mehrfach. Er flaniert zuerst wie zufällig bei Bernd Eichinger und dessen Frau vorbei. Man drückt und küsst sich kurz und Ochsenknecht sagt noch schnell: "Wir sitzen da hinten." Schon blitzt es gewaltig, die Fotografentraube wächst in Sekunden auf 15 an. "Der Moritz ist nicht da, oder?", fragt Ochsenknecht noch. Eichinger schüttelt den Kopf, Moritz Bleibtreu ist nicht gekommen. Ochsenknecht schreibt draußen vor dem Saal noch Autogramme für die seit Stunden wartenden Fans und kann sich dann wieder bei Frau und Söhnen niederlassen. Um kurz vor Mitternacht ist das Spiel vorbei.

Zunächst leeren sich fast unmerklich die Tische, Bars und Tanzfläche füllen sich. Ochsenknecht steht plötzlich auf der Bühne und singt den Winehouse-Hit "Valerie". Es ist der Startschuss zur richtigen Party. Die einen tanzen, die meisten sichern sich schon einen Platz im Keller. Hier in den Gewölben wird aus der Foto-Veranstaltung ein Filmklassentreffen. Man trinkt Bier statt Wein, Weißwurst statt Filet, das Ballgehabe wird von Stammtischstimmung ersetzt. Niemand muss mehr all zu sehr auf sich achten. Man spricht mit vollem Mund, Gesichter und Augen beginnen zu glänzen. Doris Dörrie hier, Christiane Paul da, Christine Neubauer hier, Katja Flint da. Auf den Keller freut er sich immer am meisten, sagt Christian Berkel. Das gibt es eben nur hier: Eine Mischung aus bayerischer Gemütlichkeit, Wiedersehensfreude, Partydurst und ein bisschen Intimität. Oberflächlich war oben, hier in den Gewölben geht den Gästen der Filmball unter die Haut. Philipp Crone

Gemischtes Doppel auf glattem Parkett: Ministerpräsident Horst Seehofer mit Soo Leng Kuchenreuther und Steffen Kuchenreuther mit Karin Seehofer (oben) überstehen den ersten Walzer ohne größere Kamerakollisionen. Gut gelaunt zeigten sich auf dem 36. Deutschen Filmball auch Til Schweiger (links) mit Constantin-Chef Bernd Eichinger und dessen Ehefrau Katja. Fotos: Rumpf

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Geduld mit den langen Brettern

Bei der Umstellung von Slalom auf Abfahrt verliert Maria Riesch ihre Weltcup-Führung an Lindsey Vonn

Zauchensee - Der Weg von Zagreb nach Maribor führte über Garmisch-Partenkirchen und ebenso der Weg von Maribor zum Zauchensee. Wann immer es ging, übten die deutschen Skifrauen Abfahrt und Super-G auf dem Kreuzeck. Nicht nur, weil dort in zwei Wochen der HeimWeltcup stattfindet, sondern ebenso, weil sie im Jahr 2009 praktisch noch überhaupt nicht auf die langen Ski gekommen waren - fast vier Wochen lang folgte ein Torlauf-Derby dem anderen, und Maria Riesch ritt die Slalomwelle in unvergleichlich erfolgreicher Manier mit vier Siegen nacheinander. Die Slalom-Festwochen sind nun zu Ende, in Zauchensee begann eine Speed-Periode, und Maria Riesch musste absteigen von der Welle als Ausgeschiedene in der Kombination und Siebte in der Abfahrt: "Nicht das Traumergebnis", gestand die Erfolgsverwöhnte später.

"Es war eine lange Slalomserie, deshalb bin ich jetzt wirklich glücklich, zurück beim Speed zu sein - denn das ist es, was ich wirklich mag", hatte die Amerikanerin Lindsey Vonn gesagt, die Titelverteidigerin im Weltcup ist, und die in diesem Wettbewerb ihrer Freundin Maria Riesch die Führung wieder abgenommen hat, weil sie das Schnellfahren nicht nur mag, sondern immer noch ausnehmend gut kann und am Zauchensee ebenso Erste (in der Kombination) und Dritte wurde wie die Schwedin Anja Pärson (die sich den Abfahrtssieg mit der Schweizerin Dominique Gysin teilte). "Das Problem ist, dass man das Timing ein bisschen verliert. Es dauert ein bisschen, bis man sich wieder dran gewöhnt hat", sagt Lindsey Vonn. Tatsächlich sei es nicht die ganz normale Routine, von den 1,60 Meter langen Slalombrettern auf die einen halben Meter längeren Geräte für die Abfahrt umzusteigen, bestätigt Andreas Fürbeck, der Speedtrainer der deutschen Frauen.

Rudernd auf Platz sieben

Auch Maria Riesch hatte verkündet, sie freue sich auf die langen Ski, "denn es war wirklich Zeit für die zweite Abfahrt" (die erste hatten sie Anfang Dezember in Lake Louise bestritten). Aber freilich: "Man hatte sich auf die kurzen Ski eingefahren - man kann kein besseres Gefühl haben als für die Ski, auf denen man viermal nacheinander gewonnen hat." Man müsse keine Bedenken haben, hatte Cheftrainer Mathias Berthold beschwichtigt, "Maria ist eine, die den Wechsel sehr gut hinkriegt". Sogar am besten, schätzte Fürbeck, "für sie ist das kein Problem - denn sie hat das ja immer. Wir simulieren das im Training im Herbst, indem wir zwei Disziplinen an einem Tag fahren". Es gebe einige, die das gut können, schränkte die Partenkirchenerin ein und gestand als Dritte der Kombinationsabfahrt am Samstag ihre Überraschung darüber, "dass ich mich so weit vorn platzieren konnte - weil ich Lindsey und Anja auf den langen Ski doch stärker eingeschätzt habe".

Es geht um die Gewöhnung an die Geschwindigkeit, und es geht um die Umstellung auf die langen Radien: "Es braucht Geduld in den Abfahrtskurven", sagt Fürbeck. Maria Riesch bringt diese Geduld nicht immer auf, "aber wir haben keine Probleme, wenn sie sich dessen besinnt, was sie kann", sagte der Cheftrainer. Im gleichen Sinn der Abfahrtscoach: "Was sie kann, das reicht." Noch nicht ganz: Platz sieben ist nicht die Region, in die sich Maria Riesch hineinwünscht. "Auch im Speed ist es mein Anspruch, vorne mitzufahren." Das Podium war für sie am Sonntag aber sechs Zehntelsekunden entfernt.

Das Positive für sie in Zauchensee blieb, ein halbwegs annehmbares Rennen ins Tal gebracht zu haben nach der Enttäuschung in der Kombination am Tag zuvor, "als ich doch ziemlich am Boden war". Zur Einordnung dieses annehmbaren Ergebnisses benötigte sie nicht das Urteil von Mathias Berthold, dies sei einfach skitechnisch keine saubere Fahrt gewesen. Das hatte sie selbst schon unterwegs erfahren: "In den Sprüngen habe ich gerudert und kam in Rücklage, einige Kurven bin ich auch nicht sauber gefahren." Es war noch mal ein Stück finsterer in der Kälberlochpiste, so was hatte sie in früheren Jahren mal als störend erwähnt: Inzwischen ist das kein Thema mehr, Maria Riesch sagte: "Die Sicht war für alle gleich."

Fahren, nicht reden

Die Piste auch: Eine schöne Abfahrt, sagte Maria Riesch, "aber nicht unbedingt nach unserem Geschmack" - nach ihrem und dem von Lindsey Vonn, zu unrhythmisch, zu untypisch die Kurvenradien. Die Amerikanerin hat allerdings schon mehr rausgeholt aus dem Kälberloch. Für die Deutsche dagegen war der siebte Platz vom Sonntag tatsächlich ihr bestes Resultat am Zauchensee bei fünf Starts binnen sieben Jahren. "Das ist nicht unbedingt meine Lieblingsabfahrt", sagt sie. Aber darum geht es nicht, das weiß sie selbst: "Man muss die Ergebnisse auch fahren, nicht nur davon reden. Ich muss noch was tun im Speed. Aber ich habe es drauf, und ich werde mich steigern. Kommendes Wochenende in Cortina geht es bestimmt ein Trumm besser." Die Gewöhnung an die langen Ski geht weiter. Wolfgang Gärner

"Ich bin jetzt wirklich glücklich, zurück beim Speed zu sein": die Gesamtweltcup-Führende Lindsey Vonn (USA) in Zauchensee Foto: AFP

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Bobfahrer André Lange

Freude wie Ärger

St. Moritz/Leipzig (dpa) - An der Wiege des Bobsports hat sich André Lange mit dem siebten EM-Titel fünf Wochen vor der WM im kleinen Schlitten eindrucksvoll zurückgemeldet. Mit Nervenstärke und fahrerischer Extraklasse holte sich der Doppel-Olympiasieger in St. Moritz mit Anschieber Martin Putze den Titel und zog mit dem Rekordchampion Christoph Langen gleich. Im Viererbob musste Lange am Sonntag als Dritter ins Rennen und wurde erneut Opfer der Startnummern-Lotterie. Zudem lief sein Gefährt nicht wie gewünscht. Am Ende landete er im parallel ausgetragenen Weltcup auf Rang neun, was am Ende Platz sieben in der EM-Wertung bedeutete.

Thomas Florschütz, der unmittelbar nach dem Abschlusstraining dank seines Mechanikers noch einen gravierenden Einstellungsfehler im FES-Bob beheben konnte, raste im Viererbob hinter den siegreichen Russen Alexander Subkow auf Rang zwei. Karl Angerer aus Königssee wurde mit zwei Hundertstelsekunden Rückstand auf seinen Teamkollegen Dritter. "Das ist total super. Mein bislang bestes Ergebnis im Vierer", jubelte Florschütz, dessen Trainer Gerd Leopold die Glückwünsche direkt an Mechaniker Bernd Steinecker weitergab: "Er hat unmittelbar nach dem Abschlusstraining einen schweren Einstellungsfehler gefunden. Das war der Schlüssel zum Erfolg." Karl Angerer war mit dem Gewinn seiner ersten internationalen Medaille überglücklich: "Ich hatte zwar zweimal den gleichen Fehler im horse shoe, doch über EM-Bronze bin ich total happy."

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Deutsche Skispringer mit Chancen

Nur Austria fliegt davon

Zakopane (sid) - Nach seinem dritten Rang vom Freitag flog Martin Schmitt am Samstag als Fünfter an einem Podestplatz vorbei, dafür folgte ihm sein alter Weggefährte Michael Uhrmann als Sechster in die Weltspitze. Beim Skisprung-Spektakel in der polnischen Wintersport-Hochburg Zakopane nährte Uhrmann rund vier Wochen vor der WM die Hoffnungen auf eine Team-Medaille. Lediglich die Austria-Adler um den überragenden Sieger Gregor Schlierenzauer scheinen derzeit unbesiegbar zu sein. "Ich habe endlich einen Schritt nach vorn gemacht. Zuletzt bin ich mit meinen Ergebnissen ja eher auf der Stelle getreten", sagte Uhrmann, der auch in Zakopane mit den Nachwirkungen eines Infekts zu kämpfen hatte.

Der sonst so reservierte Bayer aus Rastbüchl wirkte in der Hohen Tatra gelöst. Von Bundestrainer Werner Schuster gab es postwendend ein Sonderlob: "Es ist toll, wie sich die Mannschaft inspirieren ließ. Wir sind mitten in der Weltspitze." Auf das oberste Podest reicht es aber noch lange nicht, zu Sieger Schlierenzauer und dessen zweitplatziertem Landsmann Wolfgang Loitzl fehlten Schmitt und Uhrmann mehr als 15 Meter.

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Eissprint-WM in Moskau

Friesinger ist zurück

Moskau (sid) - Jenny Wolf, 29, winkte nach ihrem Endspurt zur Silbermedaille ausgepumpt ins Publikum, Anni Friesinger riss nach ihrem gelungenen Comeback beide Arme in die Höhe: Die deutschen Eisschnellläuferinnen haben bei der Sprint-WM in Moskau zwar den ganz großen Wurf verpasst, aber dennoch überzeugt. Während Titelverteidigerin Wolf diesmal in Erzrivalin Wang Beixing aus China ihre Meisterin fand, fehlten Friesinger nach dem ersten Wettkampf seit zehn Monaten als Sechste nur gut anderthalb Sekunden auf Bronzegewinnerin Yu Jing (China).

Zwei 500-Meter-Siege im klassischen Sprint-Vierkampf (2 x 500, 2 x 1000 Meter) reichten Weltrekordlerin Wolf nicht zur Goldmedaille. Die Berlinerin ärgerte sich aber nicht über ihre zehnten Plätze in den ungeliebten 1000-Meter-Rennen, sondern über die Auftritte auf ihrer Spezialdistanz. "Die 500-Meter-Läufe waren nicht so perfekt wie die im Vorjahr, das ist der Wermutstropfen. Das Wochenende war mehr Kampf und Krampf, nicht so wie ich mir das vorgestellt habe", meinte Wolf. Derweil feierte Friesinger vor allem ihren 1000-Meter-Sieg in Bahnrekordzeit (1:16,01) zum Abschluss.

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Rodel-Weltcup in Oberhof

Doppelter Dreifachsieg

Oberhof (dpa) - Angeführt von Jan Eichhorn und den Doppelsitzern Tobias Wendl/Tobias Arlt haben die deutschen Rennrodler beim Weltcup in Oberhof eine perfekte Vorstellung abgeliefert. Der Oberhofer Eichhorn gewann am Samstag das Wetter-Roulette auf seiner Heimbahn und fuhr mit einer unglaublichen Aufholjagd von Rang 15 noch ganz nach vorne. Weltmeister Felix Loch und David Möller, der sich beim Krafttraining einen Kreuzbandriss zuzog und nach der Saison operiert wird, mussten sich bei nachlassendem Eis mit den Podestplätzen begnügen, durften sich aber über den ersten Dreifacherfolg der deutschen Männer in diesem Winter freuen. Damit machten es die Einsitzer den Doppelsitzern nach, die beim Weltcup-Debütsieg der WM-Zweiten Wendl/Arlt der Konkurrenz ebenfalls keine Chance ließen und alle drei Podestplätze belegten. "Das ist der Wahnsinn. Aber ich habe wirklich sehr, sehr viel Glück gehabt", bejubelte Eichhorn seinen zweiten Weltcup-Sieg. Nach fehlerhafter Fahrt im ersten Durchgang profitierte der WM-Dritte von 2007 im entscheidenden Lauf vom drastisch nachlassenden Eis und ließ einen Konkurrenten nach dem anderen hinter sich.

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Olympia-Tests in Vancouver

Logistisch ausbaufähig

Whistler (sid) - Die deutsche Bilanz stimmte bei den Weltcup-Rennen in Whistler: Kombinierer Björn Kircheisen jubelte über die Plätze drei und zwei, Langläufer Josef Wenzl stand als Überraschungsdritter im Sprint zum zweiten Mal in seiner Karriere auf dem Weltcup-Podest, außerdem wurde Stefanie Böhler Fünfte im 15-km-Jagdrennen. Aber um die deutsche Bilanz ging es nur am Rande an diesem Wochenende in Kanada: Wichtiger waren für Teilnehmer und Beobachter die Erkenntnisse über den Schauplatz der nordischen Wettbewerbe bei den Olympischen Winterspielen 2010 in Vancouver. Ergebnis: landschaftlich herrlich, logistisch ausbaufähig.

Langlauf-Bundestrainer Jochen Behle sagte: "Für einen Weltcup mag das gehen, aber für Olympia reicht das nicht. Das ist alles ein bisschen zu klein angelegt, und wenn noch mehr Zuschauer kommen, wird das hier alles sehr kompliziert." John Furlong, Chef des Olympia-Organisationskomitees Vanoc, hatte den Wettkampfort für alle nordischen Disziplinen und Biathlon zuvor als einen der "besten in der ganzen Welt" gelobt.

Vancouver befindet sich allerdings gerade in einer schweren Krise: Ein Baustopp im Olympischen Dorf droht, weshalb die Stadt einen Kredit über 485 Millionen Euro braucht, um den Bau zu sichern. Entsprechende Verhandlungen mit Banken laufen. Bedingung für den Kredit ist die Zustimmung des Provinz-Parlaments von British Columbia, das in den nächsten Tagen in einer Sondersitzung abstimmen wird. Vancouver muss seit Oktober die offenen Rechnungen für den Bau der Athletenwohnungen bezahlen, da die Finanzierungsgesellschaft Fortress ihre Zahlungen an den Bauträger eingestellt hat. Bürgermeister Gregor Robertson hatte unlängst einräumen müssen, dass die Steuerzahler komplett auf den Kosten für das Olympische Dorf sitzenbleiben könnten. Damit droht ein finanzielles Fiasko wie bei Olympia 1976 in Montreal, das mit einem Milliardenverlust endete. Auch Vanoc hatte im letzten Quartal einen Verlust von 39 Millionen Euro geschrieben.

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Snowboard-WM in Gangwon

Alpin als letzte Hoffnung

Gangwon (sid) - Die deutschen Snowboard-Crosser sind zum Auftakt der WM in Gangwon/Südkorea der Elite hinterhergefahren. Sowohl der Oberstdorfer David Speiser als auch Michael Layer (Dettingen) scheiterten in der Runde der letzten 32 und verpassten die Medaillenränge klar. Sie belegten die Ränge 18 und 27. Konstantin Schad (Miesbach) und Gesine Sahlfeld aus Stuttgart waren bereits in der Qualifikation ausgeschieden.

Nach dem verletzungsbedingten Ausfall von Halfpipe-Starter Christophe Schmidt liegen nun alle verbliebenen Hoffnungen auf den Alpinfahrern. Die Torläufer um die Olympia-Zweite Amelie Kober kämpfen am Dienstag und Mittwoch um Edelmetall. Cross-Gold ging bei den Männern an Markus Schairer aus Österreich, bei den Frauen siegte die 18 Jahre alte Norwegerin Helene Olafsen.

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Riesch scheitert in Superkombination

Der Einfädler

Altenmarkt - Dieses Bild hatte man lange nicht mehr gesehen: Maria Riesch kauernd am Pistenrand, weit über dem Ziel. Im Ziel hebt in diesem Moment Lindsey Vonn ratlos die Arme: Wie konnte das passieren? Wie konnte ihre Freundin ausscheiden im zweiten Teil der Superkombination, ausgerechnet in der Disziplin, die sie seit Ende vergangenen Jahres beherrscht hatte - dem Slalom, in dem sie viermal nacheinander gewonnen hatte? Das passiert meist durch den Fehler, der Einfädeln genannt wird: Eine Torstange gerät zwischen beide Ski. "Ein Einfädler ist schnell geschehen", verlautbarte die Gescheiterte, "es war klar, dass das früher oder später kommt."

Der Einfädler kommt unerwartet und oft in Phasen, in denen man am wenigsten mit ihm rechnet, sich schon eine Aura der Unbesiegbarkeit, Unfehlbarkeit ausgebreitet hat. Es sei ihr klar gewesen, "dass früher oder später wieder ein Ausfall kommt. Ärgerlich", befand Maria Riesch, sei es, ausgerechnet im Slalom auszuscheiden, "in dem ich bisher so sicher und konstant unterwegs war, nicht den geringsten Wackler hatte. Es war nie brutal eng, sondern ich fuhr einfach sicher herunter." Bis zum Samstag in Zauchensee. "Da war es nicht ganz so sicher, ich kann es mir auch nicht erklären."

Da war es vorbei mit ihrer Unfehlbarkeit im Slalom, da hatte Maria Riesch den Kombinations-Weltcup bereits verloren, den sie sich im vergangenen Winter mit einem Sieg und zwei zweiten Plätzen souverän aneignete. Lange blieb sie am Hang, und als sie endlich im Ziel ein-traf, war ihre Freundin Lindsey als ers-te bei ihr und nahm sie tröstend in die Arme, was neuerlich starken Tränenfluss auslöste. "Ich trauere mit Maria, weil ich weiß, wie sich so was anfühlt", sagte die Amerikanerin. Letztes Mal erfuhr sie selbst es im Slalom von Zagreb. "Das wollte ich nicht, dass ich gewinne, und meine Freundin steht im Ziel und weint. Lieber hätte ich sie neben mir auf dem Podest gehabt." Sie gewann aber vor der österreichischen Torläuferin Kathrin Zettel und der schwedischen Titelsammlerin Anja Pärson, versagt blieb Maria Riesch die Erfüllung des Wunsches, "dass wir drei - Anja, Lindsey und ich - es untereinander ausmachen, weil wir die stärksten Kombiniererinnen sind". Diesmal nicht, ebenso wenig wie voriges Mal in St. Moritz. Es gibt aber auch noch eine Kombination bei der WM in Val d'Isere. gä

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Abgeschwungen, umgefallen

Beim Abfahrtssieg des Schweizers Didier Defago am Lauberhorn kassiert Österreichs Ski-Elite eine denkwürdige Niederlage

Wengen/Altenmarkt (SZ) - Etwas wie das, was sich am Samstag am Lauberhorn ereignete, könne man "sicher ein Debakel nennen", sagt Anton Giger. Ihm muss dieses Geständnis extrem schwer gefallen sein, denn er ist Cheftrainer von Österreichs alpinen Skifahrern. Die schnitten in der Weltcup-Abfahrt von Wengen so schlecht ab wie seit 15 Jahren nicht mehr: Dass der Beste der ruhmreichen rotweißroten Equipe an Platz 18 landet wie Georg Streitberger unterm Eiger, kommt tatsächlich nur alle Jubeljahre mal vor, markiert tiefe Einschnitte in der Disziplin, die Österreich so wichtig ist wie nichts sonst im Sport, und war auch nicht getilgt durch den Doppelsieg von Manfred Pranger und Reinfried Herbst am Sonntag im Wengener Slalom. "Was heute passiert ist, tut weh", sagte Alpinchef Hans Pum zum Debakel am Samstag. Dabei hatten sie nicht mal besondere Häme zu ertragen, weil die Gastgeber in Wengen anerkannt zurückhaltend sind und lieber den ersten Abfahrtssieg von Didier Defago, 31, feierten, als sich über die Schlappe der Nachbarn zu amüsieren. Zumal ihnen eine Woche zuvor in Adelboden Ähnliches beschieden war.

Die Verletzten, die Gleitstücke

Während sich der Walliser Defago für seine zwei Zehntelsekunden Vorsprung auf den Amerikaner Bode Miller, den Gewinner in den vergangenen zwei Jahren, feiern ließ, leckte Team Austria die Wunden, suchte nach Gründen dafür, dass sie geschlagen wurden in einem Maß wie zuletzt im März 1994 in Aspen, als Patrick Ortlieb als bester Österreicher 18. war. "Wir haben eben im Moment in der Abfahrt nur zwei Podestfahrer", erklärte Chefcoach Giger. Die zwei sind Michael Walchhofer, immer noch Spitzenreiter im Abfahrts-Weltcup, und der Steirer Klaus Kröll. "Leider sind wir im Moment nur zu zweit", bestätigt Walchhofer.

Dieser Personalstand ergab sich durch eine Verletztenserie, die durchwegs Athleten betrifft, welche die nächste Generation nach Walchhofer und Hermann Maier darstellen: Hans Grugger (Kreuzbandriss vergangene Woche im Training für die Europacup-Abfahrt auf dem Lauberhorn), Andreas Buder (außer Gefecht seit seinem schweren Sturz vergangenen Januar in Kitzbühel), Mario Scheiber (Arthroskopie im Knie nach Sturz im Super-G von Lake Louise). "Einerseits die Verletzten", umschrieb ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel die Situation, "andererseits dieser spezielle Kunstschnee auf den langen Gleitstücken", da komme Hermann Maier nicht mehr richtig in Fahrt, weil er dafür nicht genug Gefühl habe in dem bei seinem Motorradunfall 2001 schwer beschädigten Bein.

"Ein bisschen einarmig"

Dass das für ihn nichts würde am Lauberhorn, ahnte Maier schon nach dem Training, nach dem Rennen meinte er als 26. (zwei Plätze hinter dem Deutschen Stephan Keppler, was auch selten ist) zum zeitgleichen Walchhofer sarkastisch: "Gut bist' gefahren." Walchhofer fuhr als Fünftschnellster in die Schlüsselstelle Brüggli-S ein, aber kam als Geschlagener heraus: "Ich weiß nicht, warum ich dort abgeschwungen habe." Kollege Kröll, der im Training eine schwere Handprellung davontrug, fuhr "ein bisschen einarmig aus dem Starthaus raus, blieb nach zwei Schritten hängen und ist praktisch umgefallen". Platz 41.

"Wir wurden als Mannschaft schwerst geschlagen", gestand der Tiroler Christoph Gruber, einen Rang hinter Streitberger und einen vor Romed Baumann zweitbester Österreicher, "so eine Niederlage kann man nicht stehen lassen." Durch solche Niederlagen müsse man durch, "umso mehr kann man die Siege feiern", beschwichtigte Hans Pum drüben am Zauchensee. Unterstützung erhielt er vom emeritierten Stephan Eberharter, Lauberhorn-Sieger 2002 und '03: So schlecht, wie sie in Wengen aussahen, seien sie nicht. Das Schlusswort sprach Christoph Gruber: "Besser, so was passiert hier als dort." Dort ist: Kitzbühel, kommendes Wochenende.

Zweifelhaftes Erfolgserlebnis: Georg Streitberger war Österreichs bester Abfahrer in Wengen - auf Platz 18. Foto: AFP

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Das Gewehr als einzige Last

Beim Weltcup von Ruhpolding zeigt sich ein erstarktes deutsches Biathlon-Team

Ruhpolding - Zum Abschluss ist Magdalena Neuner die gewünschte Demonstration doch gelungen. Viel war zuletzt spekuliert worden, wie schnell die Biathletin nun wirklich ist und ob sie das Tempo des vergangenen Jahres rechtzeitig zur WM Mitte Februar wieder aufnehmen könnte. Aber dann waren die letzten Schüsse dieses Verfolgungsrennens abgefeuert worden, und für Neuner hatte sich vor der letzten Schleife eine perfekte Ausgangslage ergeben. 15 Sekunden Rückstand auf die Führende hatte sie nach vier Strafrunden, 15 Sekunden, das ist eigentlich zu viel auf eine wie Ekaterina Iouriewa, die Zweite des Gesamtweltcups. Der Abstand wirkte respektabel und ergab doch eine Gelegenheit für Neuner, sich in Szene zu setzen. Kein echtes Duell war das, ein Duell ist wegen gleicher Mittel meistens fair. Schon zur Hälfte der letzten Runde überholte Neuner die Russin in einer Art, wie eine Radfahrerin eine Spaziergängerin passiert, die hinter einer Biegung auftaucht: höflich, mit gebotenem Abstand, ohne Blick zur Seite. Später sagte sie: "Plötzlich war die Ekaterina schon vor mir."

Neuner ist also wieder in der Verfassung, die ihr erlaubt, einen Fehler mehr als die anderen zu schießen. Beide Einzelrennen gewann sie in Ruhpolding, zudem war sie am Mittwochabend Schlussläuferin beim Staffelsieg. Zur Dominanz der deutschen Biathletinnen trug auch ein zweiter und dritter Platz von Kati Wilhelm bei. Von Tag zu Tag schwollen die Zuschauermassen in Ruhpolding an, bis am Sonntag mehr als 24 000 Gäste kamen und teils etwas unruhig versuchten, einen vernünftigen Stehplatz zu bekommen. Deren Erwartungen haben Neuner und Wilhelm am Ende alleine bedient, was ein Glück war für den anderen Teil der DSV-Mannschaft. In ihrem Windschatten konnten Andrea Henkel, Martina Beck, Simone Hauswald und Kathrin Hitzer an ihrer Form arbeiten. Vor allem aber ermöglichte der Erfolg den Biathleten von Männertrainer Frank Ullrich entspannte Tage mit konzentrierter Arbeit, obwohl ihnen nach Staffelplatz zwei am Mittwoch kein weiterer Platz auf dem Treppchen gelang.

Ullrichs Gruppe ist seit zwei Wochen nicht wiederzuerkennen. In den Tagen von Oberhof und Ruhpolding ist aus einer Mannschaft mit einem Kapitän (Michael Greis) und vier eher unsicheren Kollegen ein starkes Ensemble entstanden, das aus drei Untergruppen besteht. Die erfahrenen Olympiasieger Michael Rösch und Greis dürften für die WM-Staffel gesetzt sein. Ähnlich lange sind die beiden aus Gruppe zwei (Alexander Wolf und Andreas Birnbacher) dabei, weil sie aber im entscheidenden Moment der Karriere bislang nicht zur Stelle waren, müssen sie sich nun mit der dritten Gruppe auseinandersetzen: Christoph Stephan, 22, Arnd Peiffer, 21, und Toni Lang, 26. Wegen der Krankheiten der Läufer aus Untergruppe zwei hatten das junge Trio zuletzt plötzliche Bewährungsproben im Weltcup zu bestehen. Es waren jeweils entscheidende Momente, und alle drei waren zur Stelle.

Im Staffelrennen hatten sie alle Arten von Störfaktoren überstanden, die ihr Sport so bereithält: Lampenfieber, großer Lärm, die Versuchung, sich zu früh zu übernehmen. Der Eindruck, dass es irgendwo in Deutschland eine Art Produktionsstätte junger Biathleten gibt, die erst jetzt entdeckt wurde, täuscht aber. Trotz der Ähnlichkeit im Auftreten gingen die drei bislang unterschiedliche Wege. Christoph Stephan ist noch eines der herkömmlicheren Biathlontalente, auch wenn er aus Rudolstadt stammt, einer Thüringer Kleinstadt, die Stephan als "im Prinzip wintersportlos" bezeichnet. Toni Langs Elternhaus steht in Hauzenberg im bayerischen Wald, der bislang auch nicht bekannt war für seine Biathlonhochburgen. Als solider Langläufer kam Lang nach Ruhpolding, bis er 2006 die dortigen Skijäger bat: "Jetzt lasst's mich auch mal schießen." Seitdem ist er Biathlet. Arnd Peiffer schließlich kommt ursprünglich aus Clausthal-Zellerfeld, einer Stadt im Oberharz, die durchaus von Sportlern geschätzt wird, allerdings mehr wegen des heilsamen Klimas, als wegen der Biathlontradition. Peiffer schaffte es trotzdem irgendwie, ein guter Biathlet zu werden, irgendwann verließ er Clausthal-Zellerfeld ("Die Trainingsgruppe dort bestand aus mir") und schloss sich den großen Biathleten in Oberhof an. Jetzt zählt er zu dem Kreis, der um die WM-Teilnahme kämpft.

Vielleicht sind die drei gerade deshalb so unbeschwert, weil sie aus der Provinz kommen, und über ihr Talent in höheren Zirkeln nie sonderlich oft geraunt wurde. Peiffer, Stephan und Lang laufen drauflos, und die einzige Last, die sie tragen, ist das Gewehr. Die Umstände ihres Auftauchens waren zudem etwas glücklich. Die drei empfahlen sich in einem Moment, als die Zeit der festgezurrten deutschen Männermannschaften gerade vorbei war. Ullrich, der stets in großer Treue zu schwächelnden früheren Titelträgern hielt, hatte plötzlich nur noch Greis und Rösch als WM-Kandidaten, die Tür zum Team stand also offen.

Die Mitglieder aus Untergruppe drei haben unterschiedliche Stärken, aber dass einer wie Stephan nach dem Rennen lange erschöpft im Schnee liegt, gefällt Ullrich besonders: "Der hat ein Kämpferherz." Der Weg aus Rudolstadt, Hauzenberg und Clausthal-Zellerfeld nach Olympia ist noch ziemlich weit, aber er dürfte schon wegen der Unbekümmertheit der drei weniger steinig werden, als bei manch anderer Generation. Und den ersten Schritt haben sie ja bereits geschafft. Volker Kreisl

Mit gewohnter Stärke: Magdalena Neuner läuft in Ruhpolding Kati Wilhelm davon. Foto: dpa

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Ole Einar Björndalen

Er siegt und siegt und siegt

Solche Gesten waren nie die Sache von Ole Einar Björndalen. Der Norweger gilt seit seinen vier Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City als Verkörperung des Siegens im Biathlon. Doch in all den Jahren verlor er nie die Fassung. In exakt geplantem Rhythmus zog er seine Bahnen durch die Biathlonloipen, und egal ob dabei ein Sieg oder eine Niederlage wie bei Olympia 2006 herauskam - weder jubelte er übertrieben, noch schimpfte er, man sah ihn nicht mal abwinken. Björndalen wirkt schon einen Meter hinter Ziellinie, als wäre er gedanklich beim nächsten Rennen, insofern musste die rechte Faust einiges bedeuten, die ihm am Samstag nach dem Sprintsieg in Ruhpolding nicht mehr gehorchte und in die Höhe schoss, kurz und zackig.

Der Name Björndalen begleitete natürlich auch in den bisherigen Weltcups dieses Winters die Biathlonszene, obwohl der fast 35-Jährige nach seiner schweren dreiwöchigen Grippe im Oktober mit zu wenig Grundlagentraining in die Saison gestartet war. Björndalen wurde zuletzt mehr als Experte zitiert, der diesem oder jenem Talent großes Potential bescheinigte, und wenn die Resonanz eines großen Sportlers mal so weit ist, dann wirkt das Ende der Laufbahn nicht mehr weit.

Weltcuperfolge 83 und 84

An diesem Wochenende stellte Björndalen aber mit seinen beiden Siegen klar, dass er noch lange dabei sein wird und dies nicht nur deshalb, weil er nicht loslassen kann. Als einer der Ersten war er in den Sprint gestartet, mit allen Konkurrenten im Rücken gelang ihm dennoch eine Vorstellung wie zu den besten Zeiten. Ole Einar Björndalen traf alles und hatte am Ende fast eine halbe Minute Vorsprung, die er im Verfolgungsrennen am Sonntag gar nicht gebraucht hätte, so klar gewann er auch hier. Die norwegische Staffel hatte er schon am Donnerstag zum Sieg geführt.

Drei Rennen, dreimal Erster, es war durchaus eine fulminante Rückkehr von Ole Einar Björndalen in den Kreis der WM-Favoriten. Doch die Erleichterung darüber verbarg sich bald wieder hinter Björndalens Fassade, wie es eben ist wenn einer seine Weltcupsiege Nummer 83 und 84 verbucht. Björndalen trägt schon seit längerem diese dunkle Spiegelbrille, die während des Rennens das halbe Gesicht schützt, und nach den Siegen von Ruhpolding fand er auch wieder die nüchternen Worte, die seinen inneren Zustand abschirmen: "Der Sieg mit der Staffel hat mir einen Schub gegeben; es war, denke ich, ein perfektes Rennen." vk

Kein bisschen müde: Ole Einar Björndalen, bald 35. Foto: dpa

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Schön paradox

Kaum hat die Rallye Dakar Afrika verlassen, gewinnt erstmals ein Afrikaner: Giniel de Villiers - assistiert vom deutschen Co-Piloten Dirk von Zitzewitz

Buenos Aires - Auch auf den letzten Metern von 9754 Kilometern Abenteuer war Wolfsburg picobello. Andere Finalisten auf zwei oder vier Rädern trafen verdreckt, verbeult oder beides ein, als diese Rallye Dakar drei Wochen nach der Abreise am Samstag wieder das Messegelände La Rural des argentinischen Landwirtschaftsverbandes in Buenos Aires erreichte. Manche ließen noch mal die Motoren aufheulen, am lautesten die Amerikaner Robby Gordon und Andy Grider in ihrer furchterregenden Mutation eines schwarzen Hummer mit Aufdruck "Monster Energy". Der metallicblaue Volkswagen Touareg mit der Autonummer WOB - VW 783 und Startnummer 305 dagegen rollte vergleichsweise sauber und ruhig ins Ziel. Den Schalensitzen entstiegen zwei glückliche, aufgeräumte Männer. "Dirk hat uns den Weg gewiesen", lobte Pilot Giniel de Villiers seinen Beifahrer Dirk von Zitzewitz, und de Villiers steuerte geschickter durch Argentinien und Chile als alle Rivalen.

Die Beteiligten dieses Kollektivs zogen souverän ihre Spur, während ein Gegner nach dem anderen verloren ging. Für Volkswagen war es der erste Triumph als Werksteam bei der wahnwitzigen Wettfahrt, obwohl selbst ihr Star Carlos Sainz zu den Opfern gehörte. Gegen den 280 PS starken Diesel Touareg hatte Mitsubishi nach zuvor sieben Siegen in Serie keine Chance. Auch die Zweiten, Mark Miller (USA)/Ralph Pitchford (Südafrika), 8:59 Minuten langsamer, und die Sechsten, Dieter Depping (Wedemark)/Timo Gottschalk (Berlin), saßen in einem VW Touareg. Dirk von Zitzewitz, 40, aus Karlshof war der beste Lotse, eine Art Christian Geistdörfer der Wüste. Und kaum hatte die Dakar im 29. Durchgang Afrika verlassen und war nach Südamerika übergesiedelt, saß erstmals ein Afrikaner am Steuer der Sieger: Giniel de Villiers aus Südafrika. "Schön paradox", schrieb Babacar Ndiaye von Senegals Zeitung Le Soleil, der einzige afrikanische Berichterstatter.

Auf seinem Heimatkontinent hatte es de Villiers, 36, siebenmal vergeblich probiert, zuletzt schon mit von Zitzewitz. Argentinien, wo Österreichs früherer Bundeskanzler Viktor Klima VW vorsteht, brachte mehr Glück. "War eine großartige Idee, hierher zu kommen", fand de Villiers, ein zurückhaltender Zeitgenosse. "Es wurde eine echte Dakar, obwohl sie woanders stattfand." Ohne diesen Umzug hätte es diesen Ritt durch die Wildnis wohl nicht mehr gegeben, Terrorgefahr in Mauretanien und Mali hatte 2008 zur Absage geführt. Pampa, Anden und Atacama-Wüste ersetzten die Sahara ausgezeichnet, jedenfalls für die überlebenden Teilnehmer. An den Pisten standen etwa zwei Millionen Zuschauer, kein Vergleich zur afrikanischen Einsamkeit. Und die Kameras lieferten grandiose Bilder, unbezahlbare Werbung für Argentinien und Chile. Beim Versuch, es ähnlich kompliziert wie auf der anderen Seite des Atlantiks zu machen, übertrafen sich die Veranstalter allerdings selbst.

Drei Tote werden bis jetzt gemeldet, das liegt im Trend der bisweilen selbstmörderischen Prüfung. Der französische Motorradfahrer Pascal Terry starb einsam in der Pampa, ein Lungenödem tötete ihn am Rande der Piste, bei besserer Koordinierung hätte ihn die Rennleitung womöglich retten können. Zwei Peruaner erlagen nach einem Zusammenprall mit einem LKW ihren Verletzungen. Der Spanier Cristóbal Guerrero liegt nach seinem Unfall immer noch im Koma. Insgesamt zählt die Dakar seit ihrer Erfindung 1979 nun offiziell 59 Todesfälle. Außerdem unterstützte die Streckenführung prominente Ausfälle in Serie. Der Franzose Stéphane Peterhansel, Autosieger 2007, und sein Landsmann und Vorgänger Luc Alphand gaben mit ihren überforderten Mitsubishis auf. "Wir haben Peterhansel gereizt, zu schnell zu fahren", berichtete Dirk von Zitzewitz. Der zunächst brillante Kataer Nasser al Attiyah ließ sich disqualifizieren, auch seinem BMW X3 war das Terrain zu schwer. Auf der zwölften und tückischsten Etappe zwischen Fiambal und La Rioja erwischte es dann den Favoriten und Führenden: Carlos Sainz, Spaniens ehemaliger Rallye-Weltmeister, purzelte mit seinem Co-Piloten Michel Périn aus Frankreich im VW Touareg in den Graben eines ausgetrockneten Flussbettes.

Am Wochenende war Sainz bereits in Madrid gelandet und schickte seine Wut zurück. "Kurz vor Schluss hat uns ein Fehler im Streckenbuch aus der Bahn geworfen", klagte der Havarist. Ein Pfeil habe ihn "in die Falle geführt", die Ausrichter hätten es mit den Schwierigkeiten übertrieben. VW-Kollege von Zitzewitz, dessen Duo danach freie Fahrt hatte, sah das anders. "Das war ein Fehler von Fahrer und Navigator, das kommt vor. Die zwei hatten Pech, dass sie neben der Spur waren, hohes Tempo gefahren sind und dann nicht mehr reagieren konnten. Profis wie Sainz und Périn legen sich nicht ohne weiteres aufs Dach." Auch wegen solcher Missgeschicke sei die Dakar nun mal "das härteste Rennen der Welt, das weiß man vorher. Das ist die Mutter aller Rallyes, deshalb kommt jedes Jahr kaum die Hälfte durch, sonst wäre es ja langweilig". Der Norddeutsche hatte sich mit de Villiers auf dem neunten Teilstück von La Serena nach Copiapó in Chile verfahren und danach besonnen statt überhastet auf den Kurs zurückgefunden. "Vernünftig, ohne Harakiri", berichtete von Zitzewitz. Auf der zehnten Etappe durch die chilenischen Sandberge geriet das Tandem sogar in einen Krater, der Touareg hielt durch.

Am Sonntag gab es noch ein Schaulaufen durch Buenos Aires, erneut gesäumt von Menschenmassen, ein galizischer Motorradfahrer erzählte von Freudentränen. Es war wohl nur ein Abschied für ein Jahr, 2010 will die Dakar ihr argentinisch-chilenisches Exil fortsetzen, Afrika scheint der Verlierer zu sein. Für Dirk von Zitzewitz "gehört die Dakar nach Afrika, aber das hier ist ein vollwertiger Ersatz, ich komme gerne wieder". Ihn hat begeistert, was er sehen konnte bei all dem Staub und all der Hektik, "diese Landschaften, diese Weite". Bei Gelegenheit will er mit Muße und Geländewagen durch Argentinien fahren, er wird sich sicher nicht verirren. Peter Burghardt

So werden Sieger bei der Rallye Dakar umjubelt - in diesem Fall der Spanier Marc Coma, Gewinner des Motorrad-Wettbewerbs Foto: Reuters

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Entspannt im Eiskanal

Frank Rommel ist Deutschlands erster Skeleton-Europameister

St. Moritz/München - Im Skeletonsport bilden Mensch und Gerät idealerweise eine Einheit, erzählt Frank Rommel, doch am Sonntag musste er sich in St. Moritz von seinem Schlitten trennen. Während das Gefährt nun in einem großen Container mitsamt den Fahrzeugen der Kollegen aus der Bob-Abteilung nach Kanada verfrachtet wird, fuhr Rommel selbst erst einmal heim nach Oberhof, "Kraft tanken für die Übersee-Tournee", wie er sagte. Fünf Wochen lang werden die deutschen Bob- und Skeletonsportler demnächst durch Nordamerika kurven, erst zum Trainieren auf der künftigen Olympiabahn von Vancouver, dann zu Weltcups ebendort und in Park City, dem Olympiaort von 2002, schließlich zur Weltmeisterschaft in Lake Placid. Und für die will sich Frank Rommel noch stärken, denn bei der WM wird er zu den Titelanwärtern zählen. "Das freut und ehrt mich", sagt er, "aber das war klar, dass ich nun als Mitfavorit gehandelt werde."

Am Samstag hat der 24-Jährige in St. Moritz seinen vierten Sieg im fünften Weltcuprennen dieses Winters gefeiert; gleichzeitig holte er dabei als erster Deutscher den Europameistertitel, mit fast einer Sekunde Vorsprung auf Weltmeister Kristan Bromley aus Großbritannien. Nur beim Saisonauftakt in Winterberg kam Rommel nicht in die Punkteränge, da wurde er wegen eines Frühstarts disqualifiziert. Der Start ist ja generell seine Schwäche, "da hat er immer noch ein bisschen Rückstand", sagt Bundestrainer Jens Müller. Auf den ersten Metern verliert Rommel bis zu drei Zehntelsekunden auf den Russen Alexander Tretjakow, den Führenden im Gesamtweltcup, und bis zu zwei auf den Letten Martin Dukurs. "Das Starttempo der beiden ist jenseits von Gut und Böse, das lässt jeden blass aussehen", findet Rommel.

Dafür sei dessen Fahrgefühl "momentan das Nonplusultra", schwärmt Bundestrainer Müller: "Er hat eine sehr, sehr aerodynamische Fahrlage, macht relativ wenige Lenkbewegungen, kommt fast immer an die Ideallinie heran." Der angehende Bankkaufmann, der vor zehn Jahren direkt zum Skeletonsport kam, ohne den üblichen Umweg übers Rennrodeln, sei von jeher "ein begnadeter Fahrer" gewesen, erzählt Müller, der Rodel-Olympiasieger von 1988, "aber jetzt kann er seine Trainingsleistungen im Wettkampf umsetzen und sogar noch steigern."

Rommels Schlüsselerlebnis sei der dritte Platz bei der WM 2008 in Altenberg gewesen, findet Trainer Müller: "Da hat Frank zum ersten Mal über vier Läufe hinweg eine konstante Leistung gezeigt, und dieses Ergebnis hat dazu geführt, dass er optimistisch in diese Saison gestartet ist." Rommel bestätigt: "Das war ein zusätzlicher Motivationsschub - und eine Bestätigung dafür, dass die Arbeit der vergangenen Jahre richtig war." Um beim Skeleton erfolgreich zu sein, erklärt Rommel, müssten viele Faktoren zusammenpassen, wie bei einem Puzzle: "Und im Moment passt alles bei mir."

Athletisch fühle er sich fit, sein Schlitten sei vom Leipziger Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES) ideal auf seine Fahrweise zugeschnitten worden, auch privat sei alles im Lot mit Freundin Julia, Schwester des Rennrodlers Jan Eichhorn und bis zu dieser Saison ebenfalls auf dem Skeleton unterwegs, ehe sie ihre Karriere mangels Perspektive beendete.

Maßgeblich ausschlaggebend für seinen internationalen Durchbruch in diesem Winter ist jedoch eine andere Komponente gewesen, die mentale. Sagt Trainer Müller, und sagt auch der Athlet selbst. "Ich bin perfektionistisch veranlagt", gibt Rommel zu, "und bin mir deshalb früher oft selbst im Weg gestanden." Der Athlet habe es immer zu gut machen wollen, erklärt Müller, und sei deshalb oft verkrampft gefahren. "Mittlerweile will ich nicht mehr alles erzwingen", findet Rommel: "Man muss entspannt auf dem Schlitten liegen. Wer mit dem geringsten Aufwand runterfährt, kommt automatisch weit vorne an."

Mit dieser Einstellung ging Frank Rommel also in den Wettbewerb vom Wochenende. Die Bahn in St. Moritz liegt ihm ohnehin, da feierte er im Jahr 2006 als EM-Zweiter seinen ersten größeren Erfolg, dem lange kein zweiter folgte. "Ich habe den Schlitten einfach laufen lassen", berichtete er von seiner Herangehensweise: In beiden Läufen kam er mit der Bestzeit aller Teilnehmer an.

Wie er gedanklich und praktisch an welche Bahn herangeht, bespricht Frank Rommel oft mit Andy Böhm, dem Skeleton-Weltmeister des Jahres 2000. "Schon als ich angefangen habe, habe ich sehr profitiert von seinem Wissen", berichtet Rommel. Der ebenfalls aus Oberhof stammende Böhm ist mittlerweile als Physiotherapeut mit den deutschen Biathletinnen unterwegs, gibt seinem potentiellen Nachfolger aber weiterhin Tipps per Telefon. "Er ist schon auf allen Bahnen dieser Welt gefahren", sagt Frank Rommel, "seine Meinung gibt mir zusätzlich Sicherheit."Joachim Mölter

"Ich bin perfektionistisch veranlagt, und bin mir deshalb früher oft selbst im Weg gestanden": Skeleton-Europameister Frank Rommel Foto: AP

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Navigationshilfe für Microsoft

EU droht mit Bußgeld. Konzern soll Browser von Windows lösen

Brüssel - Die EU-Wettbewerbshüter lassen bei Microsoft nicht locker: Sie drohen dem weltgrößten Softwarekonzern erneut mit einem hohen Bußgeld. Diesmal geht es um den Webbrowser Internet Explorer. Die EU-Kommission kritisiert, dass Microsoft die Software an das Betriebssystem Windows koppelt. Damit werde der Wettbewerb erschwert und die Auswahlmöglichkeiten der Kunden verringert. Microsoft hat acht Wochen Zeit, um auf die Vorwürfe zu reagieren.

Brüssel hatte Microsoft in anderen Fällen bereits mit hohen Strafen belegt, die sich bisher auf knapp 1,7 Milliarden Euro summieren. Der norwegische Konkurrent Opera hatte sich wegen des Internet Explorers in Brüssel beschwert. Weltweit laufen etwa neun von zehn Computern mit Microsofts Betriebssystem Windows. Der Internet Explorer kommt nach verschiedenen Schätzungen auf Marktanteile zwischen knapp 50 und 75 Prozent. Opera hat schätzungsweise weniger als ein Prozent Marktanteil.

Der Internet Explorer wurde Mitte der 90er Jahre bei Windows integriert. Das half Microsoft damals, den Pionier Netscape Navigator aus dem Feld zu schlagen. Browser sind notwendig, um im Internet zu navigieren. Mit der zunehmenden Bedeutung des Datennetzes gibt es in dem Bereich auch immer mehr Wettbewerber. Stark verbreitet ist vor allem der Firefox, dessen Quelltext frei verfügbar ist und dessen Marktanteil auf knapp 20 bis 45 Prozent geschätzt wird.

Wie die EU-Kommission am Wochenende in Brüssel mitteilte, wurde Microsoft die Beschwerde zugestellt. "Wir wollen unser Geschäft so führen, dass es europäisches Recht einhält", teilte der Konzern dazu mit. Die Vorwürfe der Kommission würden nun genau geprüft. Microsoft habe das Recht auf eine mündliche Anhörung in Brüssel, teilte die Behörde mit. Falls die Kommission ihre Vorwürfe beweisen kann, droht in dem neuen Missbrauchsverfahren ein Bußgeld von bis zu zehn Prozent eines Jahresumsatzes. "Die Stellungnahme der Kommission zeigt, dass sie ernst damit machen will, Microsoft zur Öffnung von Windows für echte Konkurrenz bei Internet-Browsern zu bringen", sagte Opera-Chef Jon von Tezchner in Oslo.

Kontakte zu Yahoo

Derweil gibt es fast ein Jahr nach dem ersten Versuch von Microsoft, den Internet-Konzerns Yahoo zu übernehmen, neue Annäherungsversuche. "Microsoft-Chef Steve Ballmer habe sich mit dem Vorsitzenden des Yahoo-Verwaltungsrates, Roy Bostock, getroffen, berichtete die New York Times. Auch die neue Yahoo- Chefin Carol Bartz habe ein Treffen mit Ballmer gehabt. Konkrete Bewegung in Richtung eines möglichen Deals kündige sich jedoch nicht an: An den Gesprächen seien keine Investmentbanker beteiligt gewesen, hieß es unter Berufung auf informierte Personen. Microsoft hatte 2008 mehr als 40 Milliarden Dollar für Yahoo geboten. Yahoo-Mitgründer Jerry Yang hatte die Offerte abgewiesen. dpa

Wieder muss Microsoft bei den europäischen Wettbewerbsbehörden Rechenschaft ablegen. Foto: dpa

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Agrarminister lehnen Exporthilfen ab

Politiker wollen die Produktion in armen Ländern fördern und befürworten den Abbau von Handelsschranken

Von Daniela Kuhr

Berlin - Im Kampf gegen den Hunger haben Landwirtschaftsminister aus aller Welt am Wochenende den Abbau von Exportbeihilfen gefordert. "Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, neue Handelsbarrieren aufzubauen", sagte Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU), die zum ersten Berliner Agrarministergipfel am Rande der Grünen Woche geladen hatte. Das Treffen soll künftig jährlich stattfinden und sich als eine Art "Davos der Landwirtschaft" etablieren. Am Samstag diskutierten Agrarminister aus 26 Ländern, darunter China, Indonesien und Burkina Faso, über das Thema "Sicherung der globalen Welternährung - globale Herausforderung für Politik und Wirtschaft". Nach einer mehrstündigen Sitzung unterzeichneten die Konferenzteilnehmer eine Abschlusserklärung: "Der Marktzugang ist zu verbessern, alle Formen handelsverzerrender Exportfördermaßnahmen müssen abgeschafft und handelsverzerrende Subventionen vermindert werden, um einen fairen landwirtschaftlichen Handel zu gewährleisten", heißt es darin.

Nur zwei Tage zuvor hatte EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer-Boel angekündigt, dass die EU wegen der dramatischen Lage der Milchbauern die vor zwei Jahren abgeschafften Exportsubventionen für europäische Milchprodukte wieder einführen wolle. Dieses Vorhaben stieß nicht nur bei Menschenrechtlern und Hilfsorganisationen wie "Brot für die Welt" auf Kritik. Auch Laurent Sedego, Landwirtschaftsminister im afrikanischen Burkina Faso, reagierte mit scharfen Worten: "Das bringt unsere Landwirtschaft um, damit gehen wir in die Knie", sagte er nach dem Treffen. Seine Kritik richtete sich dabei aber vor allem gegen Exportsubventionen für Baumwolle und Fleisch. "Es sind Millionen und Abermillionen von Produzenten, die in die Armut geraten", sagte er.

Aigner verteidigte die Pläne der EU und betonte, es gehe ausschließlich um das Thema Milch. Außerdem seien die Subventionen lediglich ein Ausgleich dafür, dass Europas Milchbauern wegen der hohen Standards teurer produzieren müssten. Die Exporterstattungen würden nicht dazu führen, dass die europäischen Preise unter das Weltmarktniveau fallen, betonte sie.

Russland strebt in die WTO

Russland forderte einen schnellen Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO). "Wir möchten, dass das noch im Jahr 2009 passiert", sagte der russische Agrarminister Alexej Gordejew. Er kritisierte mangelnden politischen Willen vor allem der westlichen Länder und bürokratische Hindernisse. Eine Einigung auf eine Aufnahme Russlands war bisher mehrfach gescheitert. Gordejew schlug eine gemeinsame Landwirtschaftspolitik der EU mit seinem Land vor. "Es wäre sinnvoll, die beiden Systeme zu harmonisieren", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. "Wir haben ja gar keinen anderen Ausweg." EU-Kommissarin Fischer-Boel zeigte sich dagegen skeptisch. "Ich sehe nicht, dass wir nächsten Sommer eine gemeinsame Agrarpolitik haben", sagte sie. Es sei aber wichtig, den konstruktiven Dialog fortzusetzen.

Trotz der von ihr angekündigten Wiederbelebung der Exporterstattungen für bestimmte Milchprodukte ist Fischer-Boel optimistisch, dass die seit Jahren geführten Gespräche über eine weltweite Liberalisierung des Handels doch noch erfolgreich beendet werden können. Die Verhandlungen waren im November 2001 in Doha (Qatar) beschlossen worden. "Ich hoffe, dass wir in der Lage sein werden, die Verhandlungen der Doha-Runde abzuschließen", sagte sie. Die WTO will den Handel vor allem zugunsten der Entwicklungsländer liberalisieren. Das letzte Ministertreffen im Juli 2008 hätte fast zum Erfolg geführt, war dann aber am Streit zwischen den USA sowie Indien und China über die Bevorzugung kleiner Landwirte ohne Ergebnis abgebrochen worden.

Die Teilnehmer des Agrarministergipfels wollen die Bauern in armen Ländern fördern. "Es ist dringend notwendig, die landwirtschaftliche Produktion in diesen Staaten zu erhöhen", erklärten sie zum Abschluss des Treffens. Dazu könnten Bauern zum Beispiel mit Kleinkrediten unterstützt werden. "Hunger konzentriert sich paradoxerweise in den ländlichen Räumen", sagte Aigner. Das führe zu Landflucht, wodurch wiederum weniger Menschen in der Nahrungsmittelproduktion arbeiteten. Gerade deshalb müsste der ländliche Raum gestärkt und die Agrarproduktion vor Ort erhöht werden, sagte sie. (Kommentare)

Gipfeltreffen in Berlin: Wie sich der Hunger stillen lässt

GRÜNE WOCHE

vom 16. bis 25. Januar 2009

Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner führt den russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin über die Grüne Woche. AP

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Taiwan gibt Gutscheine aus

Taipeh - Mit der Ausgabe von Einkaufsgutscheinen an seine Bürger will Taiwan die ins Stocken geratene Wirtschaft wieder ankurbeln. Regierungsangestellte begannen am Sonntag an mehr als 14 000 Ausgabestellen landesweit mit der Verteilung von Gutscheinen im Wert von je 3600 Taiwan Dollar (gut 80 Euro). Jeder der 22,7 Millionen Taiwaner, unabhängig vom Alter, hat Anrecht auf die Unterstützung. Die Konjukturmaßnahme beläuft sich damit auf ein Volumen von 1,9 Milliarden Euro. Der Schein kann für Lebensmittel, Kleidung oder auch Elektronikartikel eingetauscht werden. Die im November als Reaktion auf die wirtschafliche Flaute in Taiwan getroffene Entscheidung hat eine ähnliche Aktion in Japan im Jahre 1999 zum Vorbild. In den vergangenen drei Monaten hat Taiwans Notenbank in Hoffnung auf einen ökonomischen Impuls bereits sechsmal die Leitzinsen gesenkt. AFP

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DGB unmäßig

Berlin - DGB-Chef Michael Sommer hat Appellen, die Gewerkschaften mögen sich wegen der Wirtschaftskrise bei ihren Lohnforderungen zurückhalten, eine Absage erteilt. "Geht es nach den Arbeitgebern und ihrem neoliberalen Chor, gäbe es am besten gar keine Lohnerhöhungen", sagte Sommer der Zeitschrift Super Illu. "Wenn es aufwärts geht, sollen wir bescheiden bleiben, weil angeblich sonst der Abschwung droht. Ist der Abschwung da, soll Lohnzurückhaltung die angeblich sonst drohende Katastrophe verhindern", bemängelte der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Die Arbeitnehmer hätten Anspruch auf einen gerechten Anteil am Erwirtschafteten. Sommer appellierte an die Arbeitgeber, nicht zu versuchen, die Krise mit Personalabbau zu bewältigen. "Wer jetzt entlässt, programmiert den Fachkräftemangel der Zukunft", sagte er. (Kommentare) Reuters

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Flaute in Europa

Berlin - Die europäische Konjunktur hat nach den Worten von EU-Industriekommissar Günter Verheugen im letzten Quartal katastrophal abgeschnitten. "Die Zahlen, die die Kommission präsentieren wird, werden leider zeigen, dass wir noch tiefer in die Rezession gerutscht sind", sagte Verheugen in einem am Samstag vorab veröffentlichten Interview des Deutschlandfunks. "Das letzte Quartal 2008 war in jeder Hinsicht katastrophal." Es war nicht eindeutig, ob sich Verheugen auf die EU insgesamt oder auf die Euro-Zone bezog. An diesem Montag wird Währungskommissar Joaquin Almunia in Brüssel die Konjunkturprognose der Euro-Zone präsentieren. Verheugen beharrte darauf, "dass unsere langfristige Agenda unverändert bleibt". Die europäische Wirtschaft müsse in puncto Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität und Innovationsfähigkeit fit gemacht werden. Reuters

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Lichtinghagen widerspricht

München - Kurz vor Beginn des Prozesses gegen den früheren Postchef Klaus Zumwinkel hat die abgetretene Bochumer Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen Berichte über Absprachen zum Strafmaß zurückgewiesen. "Eine solche Prozessabsprache hat es nie gegeben, dies wäre auch mit diesem Gericht in Bochum nicht zu machen gewesen", sagte die ehemalige Anklägerin dem Magazin Focus. Zumwinkel soll laut Anklage von 2001 bis 2006 mehr als 1,2 Millionen Euro Steuern hinterzogen haben. Er muss mindestens mit einer zur Bewährung ausgesetzten Haftstrafe und einer Geldbuße in Millionenhöhe rechnen. Den von Lichtinghagen nun dementierten Spekulationen zufolge will die Anklage nicht mehr als zwei Jahre Haft auf Bewährung fordern, wenn Zumwinkel ein Geständnis ablegt. Für den Prozess sind zwei Verhandlungstage angesetzt. Am 26. Januar soll das Urteil gesprochen werden. AP

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Mehr Ertrag, weniger Fläche

In zwanzig Jahren werden doppelt so viel Nahrungsmittel benötigt. Landwirtschaft und Ernährungsindustrie sind gefordert

Von Silvia Liebrich

Berlin - Die Ernährung der Weltbevölkerung ist nach Einschätzung der Lebensmittelindustrie die größte Herausforderung für die Menschheit in den nächsten Jahrzehnten. Branchenvertreter machten am Wochenende beim 1. Internationalen Forum Agrar- und Ernährungswirtschaft in Berlin deutlich, dass nur dann ausreichend Nahrung zur Verfügung gestellt werden kann, wenn alle technischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Zudem müssten Handelsbarrieren abgebaut werden und stabile politische Verhältnisse herrschen. "Das zeigen die Beispiele diktatorisch regierter Länder wie Nordkorea und Zimbabwe, die die größten Versorgungsprobleme haben", sagte Norbert Steiner, Vorstand des Düngemittelherstellers K+S. Das Hungerproblem könne nur gelöst werden, wenn der politische Wille vorhanden sei.

Um genügend Nahrungsmittel zu erzeugen, muss nach Ansicht von Branchenvertretern die landwirtschaftliche Produktivität in den nächsten Jahren deutlich gesteigert werden. "Wir brauchen eine zweite grüne Revolution", sagte BASF-Vorstandsmitglied Stefan Marcinowski in Anspielung auf den Produktionsschub im Agrarsektor Mitte des vergangenen Jahrhunderts durch Fortschritte in Pflanzenzüchtung und Anbau. Damals stand die Welt schon einmal am Rande einer Ernährungskrise. Derzeit ist knapp eine Milliarde Menschen von Hunger bedroht - nach Angaben der Vereinten Nationen 75 Millionen mehr als vor einem Jahr. Pro Jahr wächst die Weltbevölkerung um etwa 80 Millionen. Schätzungen zufolge werden 2050 etwa neun Milliarden Menschen auf der Erde leben.

Eines der größten Probleme ist laut Marcinowski der Rückgang der verfügbaren Ackerfläche. Grund dafür sind unter anderem klimatische Veränderungen und die Ausbreitung von Siedlungen. "Ackerland können wir nicht beliebig vermehren", warnte er. Für die Ernährung eines Menschen stehe heute nur noch halb so viel Fläche zur Verfügung wie vor 50 Jahren. Um den wachsenden Nahrungsmittelbedarf zu decken, muss sich nach Berechnungen von BASF der Ernteertrag auf den bestehenden Flächen in den nächsten 20 Jahren verdoppeln. Dies könne nur mit Hilfe von Gentechnik, Düngemitteln, Pestiziden sowie moderner Landmaschinentechnik und besserem Wassermanagement geschehen, ergänzte Marcinowski. Er kritisierte in diesem Zusammenhang die starke Ablehnung der Gentechnik in der EU, von der auch BASF betroffen ist. Das Unternehmen ist einer der großen Hersteller von gentechnisch verändertem Saatgut, Düngemitteln und Pestiziden.

In der deutschen Ernährungsindustrie sieht man sich grundsätzlich für die Anforderungen der Zukunft gerüstet. "Wir exportieren für fast 50 Milliarden Euro in alle Welt, aber wir erreichen nicht diejenigen, die Hunger haben", sagte Jürgen Abraham, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie. Er forderte die Politik auf, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. "Man muss den Menschen keine Fische schicken, sondern Angeln." Abraham sprach sich zugleich für einen Abbau von Handelsbarrieren aus. Nur so könnten sich die Chancen der Bauern in den Entwicklungsländern verbessern.

Nach Einschätzung von Eckart Guth, Botschafter der EU-Kommission, sind es vor allem die Überschüsse in der Europäischen Union, die den Aufbau einer funktionierenden Landwirtschaft in den armen Ländern verhindern. Durch Billigimporte aus der EU sei das Preisniveau für viele Agrarrohstoffe so niedrig, dass der Anreiz für eine eigene Produktion fehle. Guth forderte deshalb, wie andere Industrievertreter, eine rasche Wiederbelebung der Welthandelsrunde Doha.

Eine sudanesische Bäuerin reinigt gedroschene Hirse. Foto: dpa

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GEWINNZAHLEN

Glücksspirale: 10 Euro auf Endziffer 2, 20 Euro auf Endziffer 26, 50 Euro auf Endziffer 172, 500 Euro auf Endziffer 1803, 5000 Euro auf Endziffer 62 203, je 100 000 Euro auf die Endziffern 583 783 und 431 876.

Prämienziehung: je 7500 Euro monatlich auf die Losnummern 9 777 643 und 8 077 099.

Süddeutsche Klassenlotterie: 1 000 000 Euro fiel auf die Losnummer 0 779 420; je 100 000 Euro auf die Losnummern 1 517 305 und 1 731 863; je 50 000 Euro auf die Losnummern 0 734 651 und 1 969 870; je 1000 Euro auf die Endziffern 0796 und 7072; je 125 Euro auf die Endziffern 01 und 47. Es sind keine Ergänzungszüge angefallen.

ARD-Fernsehlotterie (nur Mega-Lose): 1 000 000 Euro oder Haus auf Losnummer 5 427 470; 100 000 Euro auf Endziffer 372 025; 10 000 Euro auf Endziffer 12 466; 1000 Euro auf Endziffer 5443, 10 Euro auf Endziffer 46. Wochenziehung: Alfa Romeo 147 auf Losnummer 4 313 424; Alfa Romeo 159 Sportwagen auf Losnummer 9 369 990; Reise mit South African Airways nach Kapstadt ins "Westin Grand Cape Town Arabella Quays" auf Losnummer 6 542 493; Wellness-Woche für zwei Personen im Hotel Dollenberg auf Losnummer 5 242 053; 100 000 Euro auf Losnummer 2 845 361. (Ohne Gewähr)

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Deutschland, USA, Großbritannien: In vielen Ländern kommen die Geldhäuser nicht aus der Krise

Bilanzen im Nebel

Angeblich haben deutsche Banken Schrottpapiere für mehrere hundert Milliarden Euro in ihren Büchern. Immer lauter wird nun der Ruf nach weiteren Staatshilfen

Von Helga Einecke, Thomas Fromm und Klaus Ott

Frankfurt - Wie geht es weiter bei der Hypo Real Estate (HRE)? Und bei vielen anderen deutschen Banken? Die angeschlagene HRE verhandelt derzeit mit der Regierung um weitere Milliardenhilfen, im Gespräch ist auch eine Mehrheitsbeteiligung des Staates. Doch innerhalb der Bundesregierung ist das weitere Vorgehen umstritten. "Gegen eine völlige Übernahme von Banken habe ich erhebliche ordnungspolitische Bedenken", sagte etwa Unions-Bankenexperte Otto Bernhardt der Süddeutschen Zeitung. Dies sei ein "zu starker Eingriff in die Rechte und in das Eigentum der Aktionäre". Zuletzt hatte es in Berlin geheißen, der HRE könnten mindestens zehn Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden.

Dies allerdings würde bedeuten, dass der Staat eine klare Mehrheit an der Bank bekäme. Bei einer Staatsbeteiligung von mehr als einem Drittel müsste aber das Finanzmarktstabilisierungsgesetz geändert werden, in dem die Hilfen für die Bankenbranche geregelt sind. Das Gesetz sieht vor, dass sich der Staat über den Stabilisierungsfonds Soffin mit höchstens 33 Prozent direkt an einer Bank beteiligen darf.

Der im Oktober gegründete Soffin gibt Banken staatliche Bürgschaften in Höhe von 400 Milliarden Euro. 100 Milliarden Euro davon sind bereits abgerufen. Außerdem kann der Soffin Eigenkapitalhilfen von 80 Milliarden Euro zuschießen, wovon erst 18 Milliarden Euro beansprucht wurden. "Es gibt also noch Spielraum", sagte Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Er brachte diese Zahlen nicht ohne Grund ins Spiel, denn die Rufe nach einer staatlichen "Bad Bank" nehmen nicht ab. Eine Bad Bank ist ein neu zu gründendes Institut, das von anderen Banken alle Wertpapiere übernimmt, die als zu riskant gelten, um sie in den Büchern zu behalten. Über den Umfang dieser Papiere kursieren neue Zahlen: Sie sollen sich bei den 20 größten deutschen Instituten auf 300 Milliarden Euro aufgetürmt haben, aber erst zu einem Viertel abgeschrieben sein, meldete der Spiegel. Das Bundesfinanzministerium bestätigte zwar eine Umfrage unter den Banken zum Abschreibungsbedarf, nannte aber keine Zahlen. Wie es also aussieht in den Bank-Bilanzen, bleibt im Nebel. Die gesamte deutsche Kreditwirtschaft könnte auf riskanten Papieren in Höhe von einer Billion Euro sitzen.

Steinbrück sagte, eine staatliche Bad Bank müsse mit Steuergeldern von mindestens 150 bis 200 Milliarden Euro bestückt sein. Dies sei weder ökonomisch noch politisch vorstellbar. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann wirbt seit Monaten für die Idee einer Bad Bank. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident, Günther Oettinger (CDU), und die Privatbank Sal. Oppenheim plädieren für eine solche Auffanglösung.

Dagegen hält Deutschlands oberster Bankenaufseher Jochen Sanio nichts von der Idee. Der Staat müsste dann jeder Bank den bisher bekannten Giftmüll abnehmen und eine Blanko-Ankaufsgarantie für die Zukunft geben, argumentiert der Chef der Finanzaufsicht Bafin. Damit würde der Staat finanziell stärker verpflichtet als erforderlich. Verwunderlich findet Sanio auch, dass die Diskussion um eine Bad Bank nur drei Monate nach der Gründung des Soffin geführt werde. "Man hat den Instrumentenkasten des Soffin noch gar nicht richtig ausprobiert." Bestimmte Risiken ließen sich auch innerhalb einer Bank isolieren und mit staatlicher Hilfe neutralisieren.

Dagegen scheinen in den USA Finanzministerium, Notenbank und die Behörde zur Einlagensicherung ernsthaft die Gründung einer Bad Bank zum Aufkauf schlechter Wertpapiere zu erwägen. Ziel ist es, privates Kapital in das Bankensystem zu locken. Auch soll die Kreditvergabe an private Haushalte und an Firmen in Gang gehalten werden. "Wir wollen, dass der Kreditfluss wieder in Gang kommt", sagte ein Berater Obamas. "Wir wollen nicht, dass sie auf irgendwelchen Geldern sitzen, das sie vom Steuerzahler bekommen haben." Die US-Regierung hatte in einem ersten Schritt bereits 700 Milliarden Dollar für die Rettung der US-Finanzbranche zur Verfügung gestellt. Ursprünglich sollte das Geld dazu verwendet werden, die US-Banken von den riskanten Wertpapieren zu befreien.

Daraus wurde aber nichts; vielmehr entschied sich die Regierung für direkte Kapitalspritzen, vor allem für die größten Banken des Landes. Deshalb sitzen die Kreditinstitute weiter auf den teils wertlosen Papieren und müssen in ihren Bilanzen immer größere Löcher offenbaren. Der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, der US-Wissenschaftler Dennis Snower, sieht für das Finanzsystem der Vereinigten Staaten ziemlich schwarz. Er sagte in einem Interview, die Sanierung der amerikanischen Banken würde dreimal so viel kosten wie bisher veranschlagt. (Kommentare)

Manager abgetaucht

Anleger befürchten nach dem Verschwinden eines Hedgefonds-Managers aus Florida einen weiteren Betrugsfall in der US-Finanzbranche. Die Kunden seien besorgt, mehrere Hundert Millionen Dollar verloren zu haben, berichteten Medien. Seine Familie hatte den 76-jährigen Manager, der bis zu 350 Millionen Dollar verwaltet haben soll, am Mittwoch als vermisst gemeldet. Ein Partner des Managers alarmierte Investoren, dass die Fonds verschwunden sein könnten. Der Partner sagte weiter, der 76-Jährige sei noch am Leben. dpa

Die Hochhäuser der Frankfurter Banken liegen im Dunst: Ähnlich verhält es sich auch mit den Bilanzen der Institute. Foto: AP

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Urteile zur doppelten Haushaltsführung

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat 2007 einige Fragen zur doppelten Haushaltsführung geklärt, die nun bei der Steuer für 2008 relevant sein können. Eine kurze Zusammenstellung:

- Wenn Alleinstehende über lange Jahre Ausgaben für die doppelte Haushaltsführung ansetzen, ist es den Finanzämtern erlaubt, dies einer genaueren Kontrolle zu unterziehen und zu prüfen, ob der ursprüngliche Lebensmittelpunkt vielleicht doch aufgegeben wurde (Aktz. VI R 10/06).

- Lebt ein unverheiratetes Paar berufsbedingt an zwei verschiedenen Orten und entscheidet es nach der Geburt eines gemeinsamen Kindes, eine der beiden Wohnungen zum gemeinsamen Wohnsitz der Familie zu machen, so darf es auch weiterhin für die andere Wohnung Ausgaben im Rahmen der doppelten Haushaltsführung absetzen (Aktz. VI R 31/05).

- Grundsätzlich akzeptiert der Fiskus Ausgaben für eine doppelte Haushaltsführung nur, wenn die Zweitwohnung nicht größer als 60 Quadratmeter ist. Dies bestätigte der BFH in einem Urteil vom Sommer 2007: Auch bei einem Mangel an kleinen Wohnungen oder Eile bei der Wohnungssuche gelte diese Grenze (Aktz. VI R 23/05).

- Wenn ein junger Mensch in Ort B einem Job nachgeht, Wochenende und Urlaub aber an Ort A bei seinen Eltern verbringt, dann kann er Ausgaben für die doppelte Haushaltsführung geltend machen - allerdings nur, wenn die Bleibe in A im Haus seiner Eltern eine abgetrennte, eigenständige Wohnung ist, in der er einen eigenen Hausstand führt (Aktz. VI R 60/05). mvö

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Alle Jahre wieder

Steuererklärung für 2008: Die Bürger tragen die Teile für das große Puzzle zusammen. Welche Elemente neu sind

Von Marco Völklein

München - Es ist eine Qual, jedes Jahr. Und trotzdem muss sie gemacht werden: die Einkommensteuererklärung. Eine "positive Nachricht vorneweg" hat Einkommensteuerexpertin Sabine Ziesecke vom Steuerberatungsunternehmen Pricewaterhouse-Coopers (PwC) für 2008: "Die Formulare haben sich gegenüber denen für das Jahr 2007 nicht wesentlich verändert." Auch sonst gab es zum Jahresanfang nicht so viele Neuerungen im Steuerrecht wie noch ein Jahr zuvor. Dennoch sind auch für 2008 einige Dinge zu beachten. Ein Überblick:

Pendlerpauschale

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat der Gesetzgeber umgehend gehandelt: Rückwirkend zum 1. Januar 2007 zahlen sich Fahrtkosten zur Arbeitsstätte wieder ab dem ersten Kilometer aus. "Steuerzahler können nun in der Steuererklärung wieder den gesamten Fahrweg eintragen", sagt Albert Elsenberger von der Steuerkanzlei Ecovis. Wichtig ist allerdings, dass der Fiskus nur die einfache Strecke akzeptiert, nicht Hin- und Rückweg.

Umzugskosten

Wer beruflich bedingt in eine andere Stadt umzieht, kann diese Kosten bei der Steuer geltend machen. Neben den tatsächlich angefallenen Ausgaben, die per Rechnung nachzuweisen sind, kann der Steuerzahler noch eine Umzugskostenpauschale geltend machen. Diese wurde beispielsweise für Inlandsumzüge zum Januar 2008 angehoben: für Ledige von 561 auf 585 Euro (Verheiratete: 1171 statt 1121 Euro). Übrigens: Zum 1. Januar 2009 stieg die Pauschale erneut auf jetzt 602 Euro (1204 Euro). Und zum 1. Juli 2009 steigt sie auf 628 (1256 Euro).

Doppelte Haushaltsführung

Bereits 2007 hat der Bundesfinanzhof (BFH) einige wichtige Urteile zur doppelten Haushaltsführung gesprochen. Diese könnten nun in der Steuererklärung für 2008 von Interesse sein (siehe Kasten).

Schulgeld

Eltern, die ihre Kinder auf eine Privatschule schicken, können zwar 30 Prozent der Privatschulkosten absetzen - auch wenn sich die Schule in einem EU-Staat oder einem Land des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) befindet. Rückwirkend zum 1. Januar 2008 wird der maximal absetzbare Betrag aber auf 5000 Euro gedeckelt, erläutert der Bundesverband der Lohnsteuerhilfevereine.

Kinderbetreuungskosten

Wenn beide Partner berufstätig sind und ihr Kind zum Beispiel von einer Tagesmutter betreuen lassen, können sie zwei Drittel der Ausgaben (höchstens 4000 Euro) als Werbungskosten ansetzen. Absetzbar sind aber nur reine Betreuungskosten; Fahrtkosten oder die Ausgaben für die Verpflegung im Kindergarten erkennt das Finanzamt nicht an. Wichtig: Für 2008 müssen Eltern keine Belege mehr von sich aus einreichen; "es genügt, den Betrag im Formular einzutragen", sagt PwC-Expertin Ziesecke. Aber: Sollte das Finanzamt nachfragen, muss man die Unterlagen vorlegen können.

Bewirtungskosten/Werbegeschenke

Auch bei Bewirtungskosten und Werbegeschenken hat der BFH im Jahr 2007 ein interessantes Urteil gefällt: Lädt ein Außendienstmitarbeiter Kunden zum Beispiel zum Arbeitsessen ein und verteilt er Werbegeschenke, sind diese Ausgaben als beruflich bedingte Werbungskosten absetzbar - auch wenn der Arbeitnehmer kein erfolgsabhängiges Gehalt bezieht. Voraussetzung ist aber, dass der Chef die Aufwendungen nicht bereits steuerfrei ersetzt hat (Aktz. VI R 78/04).

Hilfen im Haushalt

Erledigen selbständige Dienstleister Aufgaben im Haushalt, etwa Putzdienste, Schneeräumen oder Gartenpflege, kann der Auftraggeber 20 Prozent der Ausgaben für diese "haushaltsnahen Dienstleistungen" absetzen. Allerdings gilt eine Obergrenze von 3000 Euro, maximal sind also 600 Euro absetzbar. "Seit Januar 2008 gilt dies auch innerhalb der EU", sagt Ecovis-Steuerberater Elsenberger - also zum Beispiel auch für die Putzhilfe in der Ferienwohnung in Spanien.

Auslandsreisen

Wer zeitweise im Ausland tätig ist, kann seit Januar 2008 keine pauschalen Übernachtungskosten mehr geltend machen. "Mit der Steuererklärung 2008 müssen für Übernachtungen nun Einzelbelege eingereicht werden", sagt Ziesecke. Für die Fahrt zum Einsatzort außerhalb der regelmäßigen Arbeitsstätte kann der Steuerzahler nun 30 Cent pro Kilometer ansetzen - unabhängig davon, wie lang der Einsatz dauerte und wie weit der Anfahrtsweg war. Im Jahr 2007 galten hier noch Beschränkungen.

Aktienoptionen

Unternehmen beteiligen ihre Mitarbeiter gerne mit Aktienoptionen am Erfolg der Firma. Dabei erhält der Arbeitnehmer eine Option, die ihn berechtigt, diese einige Zeit später in Aktien umzutauschen. Bei der Umwandlung der Option in Aktien muss der Arbeitnehmer den Erlös als "geldwerten Vorteil" versteuern. Der BFH entschied aber, dass dies zu einem ermäßigten Steuersatz möglich ist, wenn zwischen dem Zeitpunkt der Gewährung der Option und der Ausübung mindestens zwölf Monate vergangen sind (Aktz. VI R 136/01). Steuerexpertin Ziesecke sagt: "Wurde bereits vom Arbeitgeber die volle Steuer an den Fiskus abgeführt, sollte der Arbeitnehmer nun auf das Urteil hinweisen und eine mögliche Rückerstattung beantragen."

Für viele Bürger ist die Steuererklärung jedes Jahr wieder eine Herausforderung: Zahlreiche Einzelteilchen wollen zu einem großen Ganzen zusammengefügt werden. Foto: Grabowsky

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Browns letzter Ausweg

Die britische Regierung plant zusätzliche Milliardenhilfen für die angeschlagene Finanzbranche. Auch von Komplettverstaatlichungen ist mittlerweile die Rede

Von Andreas Oldag

London - Die britische Regierung arbeitet an einem weiteren Hilfspaket für die angeschlagenen Banken. Es hat ein Volumen von bis zu 200 Milliarden Pfund (etwa 220 Milliarden Euro), für die der Steuerzahler gerade stehen muss. Kernelement ist eine Art staatliche Versicherung, um die angeschlagenen Banken von faulen Krediten und Wertpapieren zu entlasten. Demnach sollen die Kreditinstitute ihre Ramschpapiere offenlegen und mit einer Gebühr gegen Zahlungsausfälle und Verluste absichern. Regierung, Notenbank und Finanzaufsicht wollen das neue Hilfspaket Anfang dieser Woche vorstellen.

Dem Vernehmen nach gibt es auch Pläne, große Geldinstitute voll zu verstaatlichen. Durch diesen Schritt könnte sich etwa der Staatsanteil an der Royal Bank of Scotland (RBS) von derzeit 58 auf 70 Prozent erhöhen. Diesen Schritt sieht Premierminister Gordon Brown offenbar als letzten Ausweg an, die Kreditklemme zu durchbrechen, in der die Wirtschaft steckt. Trotz milliardenschwerer Hilfen ist das Kreditgeschäft blockiert. Großbritannien steckt in der schwersten Wirtschaftskrise seit 1990.

Browns Berater haben zudem die Gründung einer Bad Bank (wörtlich: schlechte Bank) diskutiert. "Wir spielen verschiedene Optionen durch", hieß es in Londoner Finanzkreisen. Die Gründung einer Bad Bank gilt aber als wenig wahrscheinlich. Sie würde die Gründung einer staatlichen Auffanggesellschaft erfordern, die sämtliche problematischen Papiere aufkauft. Nachteil wäre ein erheblicher Bürokratie-Aufwand. Außerdem zeigen die Erfahrungen in den USA, das es schwierig ist, den Aufkaufpreis dieser Papiere objektiv zu bestimmen. Dies war nicht zuletzt der Grund, dass der scheidende US-Finanzminister Henry Paulson von seinem Aufkauf-Programm für US-Banken abrückte.

Premier Brown forderte indes die britischen Kreditinstitute auf, das Ausmaß ihrer faulen Kredite offen zu legen. Zugleich warnte er in der Financial Times vor einer finanzpolitischen Isolation, bei der sich die Banken auf ihre Heimatmärkte zurückziehen. Offenbar arbeitet die Regierung auch daran, die bereits verstaatlichte Hypothekenbank Northern Rock als Good Bank (wörtlich: gute Bank) einzusetzen. Sie soll mit Hilfe der Regierung dafür sorgen, dass Privatleute und Unternehmen ausreichend mit Krediten versorgt werden. Vor allem kleinere Firmen klagen, dass sie von Großbanken kaum noch Darlehen erhalten.

Mit einem spektakulären Schritt ver-sucht unterdessen die Barclays Bank ihre verunsicherten Anleger zu beruhigen. Nach einem drastischen Kurseinbruch um fast 25 Prozent am vergangenen Freitag gewährt die Bank einen vorgezogenen Einblick in ihre Bilanzen. Danach beträgt der Gewinn vor Steuern für das vergangene Jahr 5,3 Milliarden Pfund - mehr als Analysten voraussagten. Der Einbruch der Aktien sei unbegründet, teilte Barclays mit.

Bereits im Oktober hatte die britische Regierung ein erstes Hilfspaket im Volumen von 500 Milliarden Pfund für die Banken verabschiedet. Neben Garantien für Leihgeschäfte und frischem Geld der Notenbank konnten sich die Banken im Tausch gegen Aktien auch mit direkten staatlichen Finanzspritzen versorgen. Bisher nahmen die Royal Bank of Scotland (RBS), die Halifax Bank of Scotland (HBOS) und Lloyds TSB davon insgesamt 37 Milliarden Pfund in Anspruch. Die Großbanken HSBC und Barclays verzichteten bislang auf staatliches Geld.

Am Montag sollen Medienberichten zufolge erstmals Aktien der fusionierten Bank Lloyds und HBOS an der Börse gehandelt werden. Der Staat hält infolge der Kapitalspritzen einen Anteil von etwa 43 Prozent an dem neuen Geldgiganten. Llodys-Chef Eric Daniels wird den 140 000-Mitarbeiter-Konzern führen und hofft auf 1,8 Milliarden Pfund Kostenersparnisse pro Jahr. Analysten warnen aber, die HBOS-Bilanzen könnten wegen der Abhängigkeit vom Hypothekengeschäft weitere Risiken bergen.

Den britischen Großbanken drohen nach Schätzungen von Finanzexperten in diesem Jahr neue Verluste in Höhe von bis zu 70 Milliarden Pfund. Grund sind Darlehen für Gewerbeimmobilien, die im kommenden Jahr weiter drastisch an Wert verlieren dürften. Auch die Preise für private Immobilien sind im freien Fall: Vergangenes Jahr brachen sie um fast 16 Prozent ein. Der Dienstleistungssektor, der etwa drei Viertel der Wirtschaftsleistung ausmacht, befindet sich ebenso in einer schweren Krise.

"Hilfe" steht auf einem Schild vor dem britischen Premier Brown. Foto: Reuters

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Die Stimmung am deutschen Aktienmarkt dürfte auch in der neuen Woche frostig bleiben. "Die Finanzkrise ist noch längst nicht ausgestanden", urteilt die Landesbank Berlin (LBB). Vergangene Woche hatten zahlreiche schlechte Nachrichten aus dem krisengeschüttelten Bankgewerbe die Kurse deutlich ins Minus gedrückt. Für die neue Woche erwarten Aktienstrategen kaum Besserung. Die LBB-Experten sehen gar die Tiefststände vom vergangenen Herbst wieder in Reichweite, als die Talfahrt des Dax bei knapp über 4000 Punkten zum Stillstand kam. "Die jüngsten Indikatoren signalisieren, dass die Unternehmen derzeit mit dem stärksten globalen Wirtschaftsabschwung seit 1945 konfrontiert werden", sagt Commerzbank-Analyst Andreas Hürkamp. Sein Haus habe deshalb die Gewinnerwartungen für deutsche Unternehmen für 2009 um durchschnittlich 20 Prozent gesenkt.

Deutsche Börse: Die Stimmung bleibt frostig

Termine

Am Dienstag wird das ZEW-Konjunkturbarometer vorgelegt. Einige Analysten erwarten bei der Beurteilung der Lage sogar negative Überraschungen.

Für Freitag lädt Thyssen-Krupp zur Hauptversammlung ein.

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Den US-Börsen steht inmitten der Rezessioneine verkürzte Handelswoche mit dem Amtsantritt von Barack Obama und einer Flut an Quartalszahlen bevor. Wo die Börsen am kommenden Freitag stehen werden, wagt indes kaum jemand vorherzusagen. Zu überraschend fielen schon in der vergangenen Woche wieder Quartalszahlen und Konjunkturdaten sowie die Kursreaktionen darauf aus. Am Montag steht mit dem Martin Luther King Jr. Day zunächst einmal ein Feiertag an - die Börsen sind geschlossen. Am Dienstag dann wird Barack Obama ins Präsidentenamt eingeführt. Anleger erwarten gespannt, wie der neue Präsident weiter bei der Rettung von Banken vorgeht. Daneben werden die Börsianer die Quartalszahlen vieler Unternehmen dahingehend studieren, ob sich Hinweise auf ein Ende der wirtschaftlichen Talfahrt ablesen lassen. Reuters

Wall Street: Quartalszahlen erwartet

Termine

Im Lauf der Woche legen unter anderem die Konzerne IBM, Microsoft, Johnson & Johnson, General Electric und Google Geschäftszahlen vor.

Am Donnerstag werden Zahlen zum Baubeginn neuer Häuser vorgelegt.

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Ich habe einen Großteil meines Vermögens in einen offenen Immobilienfonds gesteckt, der bislang mit fünf Prozent rentierte. Der Fonds wurde für drei Monate geschlossen. Soll ich meine Anteile verkaufen oder einfach abwarten? Wird der Anteilswert sinken?

Christine P., München

Im Oktober hat die Finanzmarktkrise die offenen Immobilienfonds mit voller Wucht getroffen. Investoren zogen so viel Geld ab, dass den Fonds am Ende die Liquidität fehlte. Einige mussten geschlossen werden. Viele Anleger nutzen die Anlageform, um mit Entnahmeplänen ihr Einkommen aufzubessern. Mit der Schließung wird die Zusatzrente vorübergehend ausgesetzt. Bei einer hinreichenden Streuung des Vermögens kann der Anleger das durch andere Ersparnisse ausgleichen. Besteht die Möglichkeit nicht, kann man letztendlich nur warten, bis der Fonds wieder öffnet.

Daher halte ich es auch für höchst bedenklich, einen Großteil seines Vermögens in nur eine Anlageform zu stecken. Streuung ist heute wichtiger denn je. Alleine schon aus diesem Grund empfehle ich nach Möglichkeit einen Abbau dieser übergewichteten Position. Die betroffenen Fonds bleiben zunächst bis Ende Januar geschlossen. Was dann passieren wird, hängt sehr stark von der allgemeinen Verfassung der Finanzmärkte und dem Abgabedruck der Anleger ab. Ich könnte mir vorstellen, dass die Fonds für einen weiteren Zeitraum von drei bis sechs Monaten geschlossen bleiben. Für Anleger, die sich unbedingt von ihren Anteilen trennen wollen oder müssen, besteht die Möglichkeit des Verkaufs über die Hamburger Fondsbörse mit einem Abschlag von etwa vier bis fünf Prozent.

Ob der Anteilswert nach der Öffnung sinken wird, hängt sehr stark von der konjunkturellen Entwicklung ab. Das negative wirtschaftliche Umfeld wird sich generell sicherlich in niedrigeren Renditen der Fonds ausdrücken. Das Ausmaß möglicher Abwertungen ist stark abhängig von dem jeweiligen Immobilienportfolio. Wichtige Kriterien sind die regionale Streuung, die Mieterstruktur und die Laufzeit der Mietverträge.

Rüdiger Sälzle

ist Vorstand des Fondsanalysehauses FondsConsult mit Sitz in München.

Foto: oh

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Gepfefferte Renditen

Aktien, Investmentfonds oder Spareinlagen - wer Geld anlegen will, der hat eine große Auswahl an Produkten. Doch wer hat's eigentlich erfunden?

Von Grit Beecken

Lange Jahre drehte sich alles um den Pfeffer. Der wurde aus Indonesien nach Europa verschifft und lieferte darüber den Grund für die erste Volksaktie der Welt: 1606 gab die Händlergemeinschaft "Vereenigde Oostz-Indische Compagnie" (VOC) Anteilsscheine aus und sammelte im Gegenzug Kapital ein. Auf diese Weise kam der Zusammenschluss niederländischer Kaufleute, die gemeinsam rund 70 Schiffe pro Jahr nach Asien und Übersee schickten, zu frischem Kapital. Die Niederländer griffen beherzt zu: Erstmals konnten sich Menschen nur mit ihrem Geld, aber ohne eigene Arbeit an einem Geschäft beteiligen.

Denn bis zum Spätmittelalter hatte man sein Vermögen nicht durch Geldanlagen vermehrt, sondern indem man Handel trieb. Rohstoffe, Gewürze, Lebensmittel und Stoffe wurden damals Tausende Kilometer weit durch Länder und über Meere transportiert. Anfang des 15. Jahrhunderts entstanden die ersten Banken, bei denen Großkaufleute ihr Geld anlegen und vermehren konnten. Und erst nach und nach entwickelten Unternehmen und Investoren die Anlageklassen, die wir heute kennen.

Aktien: Gemeinsam sind wir stark

Was in Deutschland mit der magenta-roten Telekomaktie vor einigen Jahren wenig siegreich daher kam, war im 17. Jahrhundert ein ungeheurer Erfolg: Zeitweise zahlte die niederländische VOC Dividenden in Höhe von75 Prozent der Einlage. In den ersten 80 Jahren warf das Papier eine Dividendenrendite von 19 Prozent ab - denn Kriege und gesunkene Schiffe sorgten auch für ertragslose Jahre. In den Anfangsjahren gab es manchmal auch Naturalien als Dividende: zum Beispiel Pfeffer. Auch die Kursentwicklung lief prächtig: Wer die Aktie im Jahr 1606 erwarb, der verbuchte schon wenige Tage später einen Kursgewinn von 116 Prozent. Jahrzehnte später war die Aktie das Fünffache wert.

Die VOC wirtschaftete lange Jahre erfolgreich, bis sich in der Führung Misswirtschaft und Korruption mehrten. Im Jahr 1800 war die Gesellschaft bankrott und wurde aufgelöst. Zu diesem Zeitpunkt gab es aber bereits Alternativen: "Die Ausgabe von Aktien gehörte seit dem 19. Jahrhundert zu einer der wichtigsten Finanzierungsquellen großer Unternehmen - auch in Deutschland", sagt Werner Abelshauser, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bielefeld. Hierzulande sei die private Nachfrage nach Aktien zunächst allerdings gering gewesen - obwohl es weder an Kapital noch an Projekten mangelte. "Die Gründung von Universalbanken sollte dies kompensieren", erläutert der Historiker. "Sie übernahmen anstelle risikoaverser Wirtschaftsbürger die Finanzierung der Industrie."

Die erste deutsche Aktiengesellschaft wurde 1682 gegründet: Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm rief die "Handels-Compagnie auf denen Küsten von Guinea" ins Leben. 1850 existierten in Preußen bereits 130 Aktiengesellschaften, 1900 waren es schon mehr als 4500. Die Aktiengesellschaft hatte sich als Rechtsform endgültig durchgesetzt, wurde anerkannt und diente nun auch zur Finanzierung kleinerer Unternehmen.

Doch schon damals bereiteten Spekulanten den Behörden Sorgen: Zweimal, 1897 und 1908, wurde das "Aktiengesetz des Norddeutschen Bundes" geändert - um den mit Börsentermingeschäften verbundenen Gefahren entgegenzuwirken.

Investmentfonds:

Schottisches Kapital

Das Grundprinzip des Investmentfonds entstammt dem Land, in dem gerüchtehalber die wirklich sparsamen Menschen wohnen. Im 19. Jahrhundert wollten auch schottische Anleger vom amerikanischen Wirtschaftsaufschwung profitieren. Da es jedoch für den Einzelnen nahezu unmöglich war, die Zahlungsfähigkeit der Schuldner in Übersee zu beurteilen, legten die Schotten ihr Geld zusammen und besorgten sich einen Treuhänder in Amerika, der ihr Kapital direkt anlege und dabei das Risiko über verschiedene Anleihen streute. So erzählt der Bundesverband Investment und Asset Management die Geschichte der Fonds.

Denn während die Zinsen auf der britischen Insel niedrig und die Kapitalstöcke hoch waren, benötigten die USA damals dringend Geld. Nach dem Bürgerkrieg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mussten große Flächen des Landes wieder aufgebaut werden. Zudem wollte man weite Teile des Landes durch Eisenbahnen und andere Infrastrukturmaßnahmen miteinander verbinden. In Amerika, bis vor kurzem noch das große Vorbild in Sachen Investments, setzte sich der Fondsgedanke erst Ende des 19. Jahrhunderts durch. In Deutschland wurde die erste Kapitalanlagegesellschaft 1949 gegründet. Aber erst in den 1990er Jahren wagten sich große Teile der deutschen Privatanleger in diese Investmentklasse.

Anleihen: Mittel zum Defizit

Städte und Kommunen brauchten schon immer viel Geld. Und wenn die Steuereinnahmen den Kapitalbedarf nicht decken konnten, dann mussten Schulden gemacht werden. Italienische Städte finanzierten ihren Kapitalbedarf bereits im Spätmittelalter durch die Ausgabe von Anleihen. Wer ein solches Papier erwarb, erhielt im Gegenzug einen urkundlich verbrieften Zins. Später übernahmen dann auch Staaten dieses Instrument, um ihre Haushaltsdefizite zu decken - insbesondere in Kriegszeiten.

Über die Jahrhunderte hinweg hatten Anleihen jedoch immer wieder große Vertrauensprobleme. Die Ausgaben für den Ersten Weltkrieg beispielsweise finanzierte das Deutsche Reich zu 60 Prozent mit Kriegsanleihen. Als Deutschland den Krieg aber verlor, stand es vor einem gigantischen Schuldenberg - zu dem sich noch eine galoppierende Geldentwertung gesellte. Festverzinsliche Wertpapiere wurden so in kurzer Zeit wertlos.

Um die Zahlungsfähigkeit einzelner Anleihenschuldner transparent zu machen, wird inzwischen die Kreditwürdigkeit des Ausgebers geprüft und veröffentlicht. Deutsche Staatsanleihen erreichen dabei bislang Spitzenwerte, auch die großen Konzerne werden in der Regel gut benotet. Denn inzwischen geben auch Unternehmen Anleihen. Da bei ihnen die Insolvenz jedoch wahrscheinlicher ist als bei einem Staat, zahlen sie einen höheren Zinssatz - zur Freude vieler Anleger. Gilt es doch als unwahrscheinlich, dass ein Dax-Mitglied bankrott geht.

Sparbuch: Retter in

der Not

Das Sparen ist so alt wie die Menschheit selbst: Wer bei der Herbsternte keine Samenkörner für das kommende Frühjahr aufbewahrte, hatte bald nichts mehr zu essen. Institutionalisiert wurde das Sparen aber erst, als die Nachfahren der Geldwechsler ihre Tische an Handelsplätzen aufstellten, um ihrem Geschäft auch stationär nachzugehen. 1407 wurde schließlich die Banca di San Giorgio in Genua gegründet. Zunächst konnten nur wenige Großkaufleute Geld investieren. Die Kontenführung ähnelte aber bereits der heutiger Sparbücher. Auch dort werden die Einzahlungen, Auszahlungen und die Zinsen des dazugehörigen Kontos aufgelistet.

In Deutschland ist das Sparbuch eine der beliebtesten Anlageformen. Experten erwarten für das kommende Jahr eine Sparquote von 11,3 Prozent - ein Rekordwert. Doch auch nach dem Zweiten Weltkrieg war das Sparbuch sehr gefragt, weil wieder mehr Menschen einen Teil ihres Einkommens ansparen konnten. Ähnlich wie ein Sparbuch funktioniert auch das Girokonto: In den 1950er Jahren bekamen die Arbeitnehmer ihren Lohn meist noch bar ausgezahlt. Die bargeldlose Gehaltszahlung wurde erst im Jahr 1957 für breite Bevölkerungsschichten eingeführt. Ganze 351 Jahre nach der Emission der ersten Volksaktie.

Um die Zahlungsfähigkeit

der Schuldner zu

beurteilen, engagierten

Schotten einen Treuhänder.

Mit exotischen Waren verdienten Händler im 17. Jahrhundert ihr Geld - hier ein Sack mit Beeren des brasilianischen Pfefferbaums. Das ist kein richtiger Pfeffer; die Beeren sind milder. Mit echtem Pfeffer aus Indonesien handelte die "Vereenigde Oostz-Indische Compagnie" (VOC), die die erste Volksaktie der Welt ausgab. Foto: Bildmaschine

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Terrordrohung gegen Deutschland nach Anschlag in Kabul

Vermummter kündigt im Internet Gewalttaten an / Selbstmordattentäter reißt in der afghanischen Hauptstadt fünf Menschen mit in den Tod

Von Daniel Brössler

Berlin - Ein Selbstmordanschlag in Kabul und ein im Internet aufgetauchtes Video mit Terrordrohungen haben am Wochenende die Sorge vor islamistischen Angriffen gegen Deutsche genährt. Der Anschlag in Kabul am Samstag richtete sich nach Einschätzung von Regierungskreisen in Berlin allerdings nicht unbedingt gegen die deutsche Botschaft. Der Selbstmordattentäter hatte sich vor der Botschaft in einem Geländewagen in die Luft gesprengt und fünf Menschen mit in den Tod gerissen. Mehr als 30 Menschen wurden verletzt, unter ihnen ein deutscher Diplomat und zwei afghanische Mitarbeiter der Botschaft. Für sie bestand keine Lebensgefahr. Die deutsche Vertretung in Kabul befindet sich in unmittelbarer Nähe eines US-Ausbildungslagers für afghanische Polizisten und Soldaten. Als eigentliches Ziel des Attentäters kommt daher auch dieses Camp in Frage. Ein US-Militärsprecher, Chris Kubik, sagte, die Mauer um das Gelände des Stützpunktes habe der Explosion standgehalten. "Es war ziemlich nahe, aber ich kann Ihnen nicht sagen, ob sie uns angegriffen haben oder nicht", sagte der Oberstleutnant.

Die Nachrichtenagentur AP zitierte einen Taliban-Sprecher mit den Worten, der Selbstmordattentäter habe zwei Fahrzeuge angegriffen, in denen er deutsche Soldaten vermutet habe. "Die Taliban werden alle Länder zum Ziel machen, deren Truppen in Afghanistan sind", sagte er. Deutsche Soldaten seien im Norden des Landes an der Tötung Unschuldiger beteiligt. Im Rahmen der internationalen Isaf-Truppe sind etwa 3300 Bundeswehr-Soldaten in Afghanistans stationiert.

Trotz massiver Sicherheitsmaßnahmen kam es durch den Anschlag zu Schäden am Botschaftsgebäude in Kabul. Das Auswärtige Amt will nun prüfen, ob die Schutzvorkehrungen noch verbessert werden können. In einem Gespräch mit dem deutschen Botschafter Werner Hans Lauk versprach der afghanische Präsident Hamid Karsai Bemühungen um verstärkte Sicherheitsmaßnahmen für die Vertretung, die sich an einer belebten Straße befindet. Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich entsetzt über den "menschenverachtenden Terrorakt". Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier verurteilte "diesen feigen Akt der Barbarei auf das Schärfste". Deutschland stehe auch künftig zu seinem Engagement in Afghanistan. Der Afghanistan-Experte der Grünen im Bundestag, Winfried Nachtwei, warnte vor einer "Distanzierungsspirale" durch Anschläge wie jenen vom Samstag. Bezweckt werde eine Abschottung der Ausländer. "Das Kunststück besteht darin, sich durch solche Anschläge nicht immer weiter von den Afghanen isolieren zu lassen", sagte er. Auch er äußerte aber Zweifel daran, dass sich der Anschlag gegen die Botschaft gerichtet habe.

Am Wohnende tauchte im Internet ein angeblich vom Terrornetzwerk al-Qaida stammendes Video auf, in dem wegen des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr Drohungen gegen Deutschland ausgestoßen werden. Zu sehen ist ein als "Abu Talha, der Deutsche" firmierender vermummter junger Mann, der in fließendem Deutsch mit leichtem Akzent allgemein vor Anschlägen warnt. "Unsere Atombombe heißt Autobombe", droht er. Die Deutschen sollten nicht " leichtgläubig und naiv meinen, als drittgrößter Truppensteller ungeschoren davonzukommen" und "unnötigen Ärger" vermeiden. Den deutschen Sicherheitsbehörden ist das Video nach Angaben des Innenministeriums in Berlin bekannt. "Es wird derzeit ausgewertet. Seine Diktion bestätigt erneut die Einschätzung der Sicherheitsbehörden, dass sich Deutschland im Zielspektrum des islamistischen Terrorismus befindet", sagte eine Sprecherin.

Sollte sich die Echtheit des auf einer arabisch-islamischen Webseite veröffentlichten Videos herausstellen, handelt es sich um die erste ausschließlich an Deutschland gerichtete Botschaft des Terrornetzwerks. Neben stark gestikulierend vorgetragenen Drohungen enthält das Band eine Reihe von Anspielungen auf die deutsche Innenpolitik und zahlreiche Phrasen wie "Wahre Liebe gibt es nur unter Muslimen" und "Wisset: Taliban und al-Qaida sind wie eine Primzahl, die nur durch sich selbst oder durch eins teilbar ist."

Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer erneuerte am Wochenende seine Forderung nach einer gerechteren Lastenverteilung in Afghanistan. "Wir sollten mehr gemeinsame Ansätze in unseren Anstrengungen verfolgen. Das schließt auch ein, die geographischen Restriktionen zu verringern, wo Kräfte hingehen können, um sich zu unterstützen." Wegen des Einsatzes der Bundeswehr ausschließlich im relativ ruhigen Norden war Deutschland wiederholt kritisiert worden. Für die Probleme in Afghanistan machte Scheffer zudem in scharfer Form die Regierung in Kabul verantwortlich. (Seite 4)

Die Explosion war gewaltig, als sich der Selbstmordattentäter am Samstag vor der deutschen Botschaft in Kabul in einem Geländewagen in die Luft sprengte. Nach Angaben von Ärzten wurden zudem mehr als 30 Menschen verletzt, darunter auch Mitarbeiter der Botschaft. Auf dem am Wochenende im Internet aufgetauchten Video droht ein vermummter junger Mann erstmals explizit Deutschland Terroranschläge an. "Unsere Atombombe heißt Autobombe", sagt er in fließendem Deutsch. Fotos: Reuters/AFP

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Sperren für Ersatzlizenz

Regierung erschwert Führerscheintourismus

Berlin - Der sogenannte Führerscheintourismus wird für deutsche Autofahrer künftig schwerer. Wer seine Fahrerlaubnis etwa wegen Trunkenheit am Steuer verloren hat, darf von diesem Montag an nicht mehr mit einer Ersatzlizenz aus einem anderen europäischen Land fahren. "Fahrer mit deutschem Wohnsitz, die ihren Führerschein wegen Alkohol- oder Drogenmissbrauch verloren haben, können sich ab Montag den Weg nach Polen, Tschechien oder in ein anderes EU-Mitgliedsland sparen", sagte Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) am Samstag in Berlin. "Dort ausgestellte Fahrerlaubnisse werden für sie hier nicht mehr gültig sein."

Bisher galt der Führerscheintourismus als Ausweg für alle, die nicht nur billig ihren Führerschein wiederhaben wollten, sondern auch die heikle "Medizinisch-psychologische Untersuchung", vulgo: Idiotentest, umgehen wollten. Er wird fällig, wenn Autofahrer wiederholt oder stark betrunken am Steuer angetroffen werden. Allein 2006 mussten Zahlen der Bundesanstalt für Straßenwesen zufolge mehr als 105 000 Autofahrer zu diesen Untersuchungen; mehr als ein Drittel fiel durch und darf kein Auto mehr führen. Die Angst davor wurde für die Anbieter der sogenannten Euro-Führerscheine zum guten Geschäft, die Eignung spielte hier keine große Rolle. Mit dem Verbot werde es deswegen auf deutschen Straßen künftig "deutlich sicherer", sagte Tiefensee.

"Ordentlicher Wohnsitz": Polen

Ob damit der Tourismus ein Ende hat, ist allerdings fraglich. Spezial-Anbieter umschiffen sogar die neuen Regeln, nach denen die "Fahrschüler" etwa ein halbes Jahr lang einen echten Wohnsitz in Polen haben müssen, um einen polnischen Führerschein zu erhalten. Anbieter wie "eurolappen.com" (Slogan: "Legal. Gesetzeskonform. Unantastbar") melden deutsche Autofahrer für ein halbes Jahr in Polen an. "Das ist ein ganz ordentlicher Wohnsitz in Polen, keine Briefkastenadresse", sagt Eurolappen-Mitarbeiter Dirk Schemmel. Ob sie sich dann tatsächlich dort aufhalten, sei eine andere Frage. "Wir haben doch Niederlassungsfreiheit in der EU." Den Führerschein sollen die Prüflinge binnen vier Tagen machen können, die Fahrschule ist in Slubice, also einen Steinwurf von Frankfurt an der Oder entfernt. "Dieser Führerschein wird weiter rechtsgültig und legal sein", beteuert Schemmel. Schließlich handele es sich um ein staatliches Dokument polnischer Behörden. Werde dieses von deutschen Behörden entzogen, sei dies ein Fall für die europäischen Gerichte.

Autofahrer sollten sich den Kurztrip dennoch gut überlegen. "Entscheidend ist, ob der Führerschein hier überhaupt noch anerkannt wird", heißt es im Bundesverkehrsministerium. Das sei nicht der Fall. Nach Auffassung von Verkehrsjuristen könnte die Gültigkeit der Auslands-Führerscheine für deutsche Verkehrssünder künftig sogar an Kriterien gebunden werden - etwa einen bestandenen Idiotentest. Dann nutzt auch der Wohnsitz nichts. Michael Bauchmüller

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Moskau und Kiew beenden Streit um Gastransporte

Russland will von diesem Montag an wieder Energie nach Westeuropa liefern / Ukraine akzeptiert höhere Preise

Von Frank Nienhuysen und Michael Bauchmüller

Moskau/Berlin - Nach dem Ende des Gasstreits zwischen Russland und der Ukraine soll von diesem Montag an erstmals seit fast zwei Wochen wieder Gas nach Westeuropa fließen. Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin und seine ukrainische Kollegin Julia Timoschenko einigten sich am Wochenende in Moskau auf ein Abkommen, das von der Ukraine deutlich höhere Gaspreise verlangt. Das Land muss vom nächsten Jahr an jene Weltmarktpreise an Gazprom bezahlen, die schon jetzt auch für die meisten europäischen Staaten gelten. Bisher lag der Preis für die Ukraine bei 179,50 Dollar pro tausend Kubikmeter Gas, von 2010 an muss Kiew etwa 450 Dollar bezahlen. Für dieses Jahr gewährt Moskau einen Abschlag von 20 Prozent; dafür rang Putin Timoschenko jedoch ab, dass die Ukraine in diesem Jahr noch keine höheren Transitgebühren von Russland verlangt. Erst im nächsten Jahr muss Moskau mehr Geld für den Transport des russischen Gases durch die Ukraine in den Westen ausgeben. Die Details wollen der russische Energiekonzern Gazprom und der ukrainische Versorger Naftogaz bis zu diesem Montag klären, dann soll das russische Gas wieder in vollem Umfang in den Westen geliefert werden.

Die ukrainische Regierungschefin Timoschenko sagte, die Verhandlungen seien nicht leicht gewesen seien. Im Dezember hatte Gazprom noch 250 Dollar von der Ukraine gefordert. Unklar war deshalb zunächst, wie der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko auf das Ergebnis reagieren würde. Juschtschenko ist ein Rivale der Premierministerin und hatte sich zunächst gegen das Treffen in Moskau zum Thema Gas ausgesprochen. In Moskau hieß es jedoch, dass Timoschenko von Juschtschenko für die Moskauer Gespräche ein volles Verhandlungsmandat erhalten habe.

Gazprom hat am 7. Januar im Streit mit der Ukraine die Gaslieferung in den Westen gestoppt. Beiden Seiten hatten sich nicht auf die Rückzahlung ukrainischer Schulden sowie auf einen neuen Gaspreis einigen können und mit gegenseitigen Schuldzuweisungen den Konflikt geschürt. Die russische Führung warf der Ukraine vor, Gas für den eigenen Verbrauch zu stehlen. Kiew wiederum behauptete, Moskau blockiere die Gaslieferung, um die Ukraine als unsicheres Transitland darzustellen. Etwa 80 Prozent des für Westeuropa bestimmten russischen Gases fließt durch die Ukraine, die unter Präsident Juschtschenko seit Jahren die Aufnahme in Nato und Europäische Union wünscht.

Die Europäische Union begrüßte das Ende des Gasstreits, blieb aber auch skeptisch. Sie wolle erst abwarten, ob ab Montag auch tatsächlich wieder Gas fließe, sagte ein Sprecher der EU-Kommission in Brüssel. Vor einer Woche hatten Moskau und Kiew schon einmal eine Einigung verkündet, in deren Folge Gazprom begann, russisches Gas in die Pipeline einzuspeisen. Dann aber warf Russland der Ukraine erneut vor, den Weiterfluss Richtung Westen für eigene Zwecke zu blockieren. Kiew wiederum beschuldigte Gazprom, zu wenig Gas in die Leitungen zu pumpen, sodass der Druck nicht ausreiche, um die Energie weiter nach Europa zu schleusen.

Auch die Bundesregierung reagierte zurückhaltend. "So erfreulich die Einigung ist, kommt es jetzt darauf an, dass bei den Kunden tatsächlich Gas ankommt", sagte Bundeswirtschaftsminister Michael Glos. Auch müssten die Gaslieferungen nun dauerhaft zuverlässig sein. Wann genau das russische Erdgas wieder durch die Ukraine nach Deutschland und Osteuropa geleitet werden kann, blieb zunächst unklar. "Wir gehen davon aus, dass die Wiederaufnahme der Lieferungen jetzt rasch erfolgt", sagte ein Sprecher des Gasversorgers Eon-Ruhrgas. Es werde aber auch dann noch einige Tage dauern, bis das Gas in Deutschland ankomme.

Es wird noch einige Tage dauern, bis das Gas in Deutschland ankommt.

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Gerichtshof in Den Haag prüft US-Todesurteile

Den Haag - Der Internationale Gerichtshof in Den Haag entscheidet an diesem Montag, ob die USA Todesurteile gegen 51 Mexikaner erneut überprüfen müssen. Ein vorangegangenes Urteil der obersten Rechtsinstanz der Vereinten Nationen war trotz eines Appells von Präsident George W. Bush von mehreren US-Gerichten ignoriert worden. Nach der Hinrichtung eines Mexikaners im US-Bundesstaat Texas im August 2008 hatte Mexiko sich erneut an den Internationalen Gerichtshof gewandt, um die Vollstreckung weiterer Todesurteile zu verhindern. Mexiko hatte bereits 2004 vor dem "Weltgericht" darin Recht bekommen, dass die USA gegen die Wiener Konvention verstoßen haben, indem sie den zum Tod verurteilten Mexikanern den Beistand durch Konsularbeamte verweigerten. Der Internationale Gerichtshof hatte 2004 die USA aufgefordert, angesichts der offenkundigen Verstöße gegen die Konvention die 51 Todesurteile auszusetzen und die Verfahren zu prüfen. dpa

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"Ich habe über die Ukraine die reine Wahrheit gesagt"

Bei seiner Deutschland-Visite gibt Russlands Premier Putin den Krisenmanager, der weiß, wo im Gasstreit die Schuldigen sitzen

Wladimir Putin wirkt müde, abgespannt. Seine Gesichtsmuskel sind ständig in Bewegung, es zuckt um die Mundwinkel, die Zunge fährt hastig über die Lippen. Nervös und ungeduldig spielt er mit einer Büroklammer, dreht sie ständig zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand. Ein langer Tag liegt hinter dem russischen Ministerpräsidenten: Am Morgen wirbt er bei Angela Merkel im Kanzleramt um Verständnis für die russische Position im Gasstreit, dann beruhigt er beim Besuch der "Grünen Woche" einige ums Gas besorgte Berliner: "Wir haben aufgedreht." Am Abend erscheint er im Smoking beim vierten Semperopernball in Dresden, wo ihm Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich den "Sächsischen Dankorden" überreicht. Den bekommen Menschen, die "gegen den Strom schwimmen" und "unbeirrt und voller Mut" etwas Besonderes für Sachsen geleistet haben. Putin war 1985 bis 1990 als Agent des sowjetischen Geheimdienstes KGB in der DDR im Einsatz, vorwiegend in Dresden. Und sorgte dann nach dem Mauerfall dafür, dass drei im Zweiten Weltkrieg geraubte Gemälde in die Staatlichen Kunstsammlungen nach Dresden zurückkehrten. Etliche Kunstwerke fehlen allerdings noch.

Es ist später Freitagabend, neun Minuten vor Mitternacht. Putin, wieder in Zivil, hat eine kleine Schar deutscher Journalisten ins "Kempinski" im Dresdner Taschenbergpalais gebeten, weil er am nächsten Morgen nach Moskau muss, um den Streit um das russische Gas beizulegen. "Es ist ein großer politischer Schaden", sagt der russische Ministerpräsident, "aber wir haben keine Wahl."

Zwei Stunden lang schimpft er auf die Ukraine, den Präsidenten Viktor Juschtschenko und die Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, mit der er sich dann in der darauffolgenden Nacht im Gasstreit einigen wird, zumindest vorläufig.

Putin gefällt sich in der Rolle des Krisenmanagers, auch als Premierminister hält er in Russland die Fäden fest in der Hand. Und sein Schönstes ist es, wenn er die europäischen Regierungschefs gegeneinander ausspielen kann. Darüber klagt auch Kanzlerin Angela Merkel, und sie hat es ihm am Freitag offenbar in aller Deutlichkeit gesagt: "Sie hat mit mir geschimpft", gesteht Putin und schaut dabei so listig verschlagen, dass ihm jeder anmerkt, wie sehr er sich darüber freut. Mit der Kanzlerin hat er sich auf eine Expertengruppe verständigt, die das Gasleitungsnetz der Ukraine überprüfen und überwachen soll, damit es nicht abermalig zu einseitigen Lieferstopps kommt. "Ein Monopol", kritisiert Putin, "ist immer schädlich" und bezichtigt die Ukraine der "technologischen Barbarei", die erst dann überwunden werde, wenn die geplante Ostsee-Pipeline gebaut sei und sich Russland nicht mehr erpressen lassen müsse. Zu Zeiten der Sowjetunion hätten die Russen "nie gegen ihre Verpflichtungen verstoßen, auch im Kalten Krieg nicht". Und dann spricht der Ministerpräsident, als wolle er alle Zweifel endgültig beseitigen, plötzlich deutsch: "Ordnung muss sein."

Für die Deutschen, beruhigt Putin, gebe es "keinen Grund zur Besorgnis", er lasse einen treuen Verbündeten nicht im Kalten sitzen. Und als wolle er das deutsch-russische Verhältnis noch einmal besonders bekräftigen, erteilt er dem anwesenden russischen Regisseur Alexander Sokurov das Wort, der gerade Goethes "Faust" als abendfüllenden Spielfilm dreht - in deutscher Sprache und mit internationaler Besetzung. Deutschland sei "ein nahes Land, ein geliebtes Land", schwärmt Sokurov, auch Nazismus und Stalinismus hätten es "nicht vermocht, uns zu trennen".

Mit dem neuen amerikanischen Präsidenten Barack Obama hat Putin noch nicht gesprochen, er sei aber "bereit zu gemeinsamer Arbeit", beim Kampf gegen Massenvernichtungswaffen, im Nahen Osten und bei Iran. Die große Begeisterung der Europäer für Obama resultiere wohl "aus der großen Enttäuschung über die Bush-Ära", meint Putin. Auch auf ihn mache der künftige US-Präsident den Eindruck eines "aufrichtigen und offenen Menschen". Doch: "Ich hatte bisher noch keinen Kontakt."

"Ich weiß ja nicht, was Sie schreiben wollen", sagt Putin, als er kurz vor zwei Uhr nachts die letzte Frage zulässt, "schreiben Sie, was Sie wollen. Aber ich habe über die Ukraine in den vergangenen Wochen die reine Wahrheit gesagt." Putin kommt mit sechs Stunden Schlaf aus. Aber in dieser Nacht, vor dem Aufbruch zum Moskauer Gasgipfel, "werden es nur dreieinhalb Stunden sein." Hans Werner Kilz

Ministerpräsident Stanislaw Tillich zeichnete den russischen Regierungschef Wladimir Putin (links) mit dem "Sächsischen Dankorden" aus. Foto: Reuters

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Bulgaren wollen mehr Atomkraft

Sofia - Angesichts der Gaskrise haben in Bulgarien mehr als 10 000 Menschen am Sonntag den Neustart von Reaktoren im Atomkraftwerk Kosloduj an der Donau gefordert. Die Teilnehmer an der Kundgebung vor dem Regierungssitz in Sofia waren aus dem ganzen Land zusammen gekommen. "Für eine starke bulgarische Wirtschaft" und "Vorwärts zum Hochfahren der Blöcke 3 und 4!", hieß es auf Transparenten. Zu der Demonstration hatten kleinere politische Parteien sowie die Gewerkschaften aufgerufen. Einer der beiden Reaktoren könnte nach Abstimmung mit der Europäischen Union binnen einer Woche wieder ans Netz gehen, erläuterte Kosloduj-Direktor Iwan Genow im Staatsrundfunk. Als Voraussetzung für den EU-Beitritt Bulgariens 2007 waren die beiden 440-Megawatt-Blöcke zuvor wegen Sicherheitsbedenken in Brüssel stillgelegt worden. Doch die Regierung in Sofia bekräftigt immer wieder, dass die Reaktoren sowjetischer Bauart nach einer umfassenden Modernisierung sicher seien. Das zu 95 Prozent von den russischen Gaslieferungen abhängige Land erhält wegen des Streits zwischen Moskau und Kiew seit fast zwei Wochen kein Gas mehr. dpa

Viele Bulgaren sind sauer, weil sie seit zwei Wochen in kalten Wohnungen sitzen. Foto: AP

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Allein unter Glatzen

Hans Hennig Paar schickt "Copy Coppelia" ins Tanzlabor

Hans Henning Paar, Jahrgang 1966, pflegt eine Moderne, wie sie, damals häufig im Trikot getanzt, auf den Bühnen der fünfziger und sechziger Jahre en vogue war. Der Choreograph und Ballettchef des Tanz-Theaters München am Gärtnerplatztheater lag also in Stramplern, als noch halbwegs frisch aussah, was er jetzt, mit fast 43, als zeitgenössische Tanzkunst verkauft. Das Schöne für ihn: Er ist damit erfolgreich. Denn seine Erzähl-Ballette, die er fleißig mit vielen, vielen Schritten versieht, meiden das Korsett des klassischen Handlungsballetts und suggerieren durch die Wahl der Themen literarischen Tiefgang und die gezielte Wahl des jeweils adäquaten Stilmittels.

Paar liebt es, Bücher und Filme in seinen Balletten zu verarbeiten, das tat er bei Jean Genet, bei Saint Exuperys "Kleinem Prinzen" und tut es nun bei seinem neuesten Stück "Copy Coppelia". Das Publikum dankt es ihm offensichtlich, dass er gestisch und mimisch vereinfacht, was sich in Leben und Literatur komplizierter darstellt; und er stört sich nicht daran, das, was im Film als Spezialeffekt fasziniert, als naturgemäß leicht holprige Live-Rekonstruktion für die Bühne zu inszenieren.

Hans Henning Paars Choreographien kommen von der Stange, sind konventionell. Es muss sich niemand verschreckt fühlen oder einen zweiten Blick wagen, um das Bühnengeschehen zu begreifen oder gar dessen Mittel zu reflektieren. Aus einem Paar-Ballett kann man hinausgehen und sagen: Heut hab ich was ganz Modernes gesehen. Ähnlich verfährt Paar mit der Musikauswahl, die bei "Copy Coppelia" von elektronischem Schluckauf über atonales Saitengezupfe von Ake Parmerud bis zum pathetischen Orchesterbombast reicht, als hätte Komponist Reinhard Febel Wagner mit Gorecki durch den Kompositions-Computer gejagt. Die Musik kann man gleichermaßen als Teil der Dekoration betrachten, so illustrativ, wie sie eingesetzt ist.

Die romantischen Motive des Maschinenmenschen, des Doppelgängers geistern durch eine graue SciFi-Szenerie, E.T.A. Hoffmann meets "Matrix". Und weil hier die Maschinenmenschen in der Überzahl sind und nur am Ende eine Frau aus Fleisch und Blut, das Blondchen Coppelia der Lieke Vanbiervliet, unter lauter Androiden mit künstlichen Glatzen barmt, ist die vorherrschende Blutleere wohl Programm.

Dr. Coppelius (Pedro Dias) jedenfalls brütet in einem gekippten Glaskubus Prototypen des perfekten Frauenimitats aus, bis endlich das Spitzenmodell in Gestalt einer gliederpuppigen Asiatin einherstakst (Hsin-I Huang). Eine schwarze Medusa im Reifrock kreiselt an ihrem Zopf aus dem Schnürboden wie ein Relikt aus Schlemmers "Triadischem Ballett", und irgendwie haben sich die Wunderland-Zwillinge Tweedledee und Tweedledum, nunmehr zweieiig einhertorkelnd (Carolina Constantinou und Antonin Comastaz), in dieses sterile Labor verirrt. Die Tänzer machen sich achtzig Minuten lang trefflich als Maschinenmenschen. Man wünschte ihnen, sie dürften Substantielleres tanzen.

EVA-ELISABETH FISCHER

Szene mit Lieke Vanbiervliet als Coppelia und Pedro Dias Foto: Ida Zenna

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Maler des Volkes

Helgas heile Welt: Andrew Wyeth, Schilderer des amerikanischen Traums, ist tot

Als er, nach einem Vorschlag von John F. Kennedy, die "Medal of Freedom" erhielt, die höchste zivile Auszeichnung, die die USA zu vergeben haben, hieß es in der Laudatio: "Er hat in der großen humanistischen Tradition die Wahrheiten des Lebens erleuchtet und klargemacht." Das war 1963. Ein anderer US-Präsident, Richard Nixon, soll mal einen Toast auf ihn ausgesprochen haben: Er habe "das Herz Amerikas" gewonnen. Ein vergleichbarer Ritterschlag für einen der abstrakten Maler-Heroen jener Zeit ist nicht bekannt. Das hat seine Gründe. In den Bildern von Andrew Wyeth spiegelte sich Amerika so, wie das Land sich selbst gerne sah.

In Pennsylvania, im idyllischen Chadds Ford (140 Einwohner), wurde er 1917 geboren, und Chadds Ford verließ er so gut wie nie - es sei denn, die Familie fuhr zur Sommerfrische nach Maine, ins Dorf Cushing (130 Einwohner). Ländliche Stille war Wyeths Sujet, die Sommerhitze, wenn die Luft flirrt und die Welt stillsteht - oder aber ein schneeloser Winter, eine karge, bräunlich-erdige Anhöhe, über die ein Junge hastet, einsam, unbekannten Zielen entgegenhetzend.

Im Wald von Sherwood Forest

Auch in den Aufnahmen der großen dokumentarischen Fotografen Amerikas, Walker Evans oder Dorothea Lange, die das Land während der Depression bereisten, gibt es diese Stille - doch ist sie kühler, ausgezehrter, schroffer. Aus Wyeths Gemälden der amerikanischen Provinz dagegen ist jedes Anzeichen der Moderne - Strommasten, Autos, Werbeflächen - verbannt. Er ist für die weiten Ebenen Amerikas, für das verlorene Sehnsuchtsland der Pioniere und Puritaner das, was Edward Hopper für die vereinsamten Metropolen der USA war: ein Maler der Melancholie, seltener der unbeschwerten Heiterkeit, öfters schon der Düsternis, eines drohenden Unheils vielleicht.

Graue Dämmerung, verlassene Strände, aufziehender Sturm - nein, reine Idyllen waren Wyeths Bilder nie. Das diffuse Gefühl, bedroht zu werden, gehörte immer zum amerikanischen Selbstverständnis, auch und gerade in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts. "America's absolutely it", hat er einmal gesagt. Keine Frage: Er war Patriot.

Schon der schwächliche Schüler, der zu Hause von Privatlehrern unterrichtet wurde, schuf sich eine malerische Traumwelt. Der Tod des Vaters, im Jahr 1945, der zusammen mit einem dreijährigen Neffen mit dem Auto auf einem Bahnübergang vom Zug erfasst wurde, prägte sein Schaffen. Die Landschaft habe, sagte er, mit dem Tod des Vaters "Bedeutung, sein Wesen" angenommen. Newell Convers Wyeth war ein bekannter Illustrator gewesen, hatte Bildwelten für die "Schatzinsel", für "Robin Hood", den "Letzten Mohikaner" oder "Robinson Crusoe" geschaffen. Der junge Andrew muss gleichwohl unter dem familiären Tyrannen gelitten haben. "Pa hat mich fast gefangengehalten", erzählte er, "er behielt mich bei sich, in meiner eigenen Welt. Ich war fast dazu geschaffen, in Sherwood Forest zu leben, mit Marianne und den Rebellen."

Dass Wyeth für die Vertreter der künstlerischen Moderne eine Nemesis war, ist auch klar. "Mein Ziel", sagte er, "ist es, dem Medium, mit dem ich arbeite, zu entfliehen und keine Reste einer technischen Manieriertheit zurückzulassen, die zwischen meinem Ausdruck und dem Betrachter steht". Er wurde zum populärsten Maler des Landes - und war den Abstrakten, die damals daran arbeiteten, just die Eigenschaften des Mediums Malerei, Farbe, Form und Rhythmus, zu betonen, ein Dorn im Auge. Die Menschen, die Wyeth male, schrieb ein wohlwollender Kritiker im Jahr 1963, trügen ihre Nasen wenigstens am üblichen Fleck.

Der Held des jungen Wyeth war Winslow Homer gewesen, ein Maler erhabener Landschaftspanoramen. In der Wahl seiner Bildausschnitte, der kühnen Verdrängung des Horizonts an den oberen Bildrand, im klaustrophobischem Zug vieler seiner Bilder, war Wyeth modern - doch geschult war sein Auge unzweifelhaft an der deutschen Malerei des späten 19. Jahrhunderts, auch an den Romantikern. Einsame Figuren, Statthalter der Betrachter vor dem Bild, blicken in eine unbestimmte Ferne.

Kein Bild hat dies so deutlich zum Ausdruck gebracht wie "Christina's World", vielleicht sein Hauptwerk, geschaffen 1948. Das verkrüppelte Mädchen, "wie eine Krabbe an der Küste New Englands sitzend", hatte ihn schon beim ersten Anblick fasziniert. Damals war sie nicht mehr jung, doch das Gemälde, das sie abgewandt zeigt, auf unerreichbar ferne Häuser auf einer Hügelspitze blickend, verrät ihr Alter nicht. Der Himmel ist leer, das Gras verdorrt. Das Bild wurde zur Rückprojektion in die Zeit der Großen Depression mit ihren verwaschenen Häusern und ebenso verwaschenen Träumen. Das Museum of Modern Art, welches das Bild erwarb, hat den Kaufpreis durch Reproduktionen inzwischen vielfach wieder reingeholt. In den Achtzigern erzielten Gemälde Wyeths dann schon mehr als eine Million Dollar.

1986 machte Wyeth noch einmal auf spektakuläre Weise von sich reden, mit 240 Bildern, auf denen ein einziges Sujet dargestellt ist, eine Frau namens Helga. Angeblich ohne Wissen seiner Gattin hatte Wyeth sie über zehn Jahre lang immer wieder porträtiert; als Betsy Wyeth gefragt wurde, worum es in diesen Bildern ginge, antwortete sie: "Liebe". Die Serie wurde für 45 Millionen Dollar an einen japanischen Sammler verkauft.

Am Freitag ist Wyeth in seinem Geburtsort Chadds Ford gestorben, im Schlaf, wie es heißt. Er wurde 91 Jahre alt. HOLGER LIEBS

Der Künstler Andrew Wyeth (1917-2009), fotografiert 1991 in Pennsylvania Foto: David Alan Harvey/Magnum/Ag. Focus

Unbekannten Zielen entgegenhetzend: Andrew Wyeths Bild "Winter" aus dem Jahre 1946. Foto: Andrew Wyeth/North Carolina Museum of Art

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Nach dem Sonntagsfrühstück ein Spaziergang ins KZ

Claude Lanzmann erzählt in den "Berliner Lektionen" sehr spannend über seine frühen Jahre in Deutschland

Als Claude Lanzmann 1944 am Pariser Lycée Louis Le Grand deutsche Philosophen zu lesen begann, da hatte der 1925 geborene Regisseur von "Shoah" schon am Lycée Blaise Pascal in Clermont-Ferrand den Widerstand organisiert, hatte an diversen Partisanenkämpfen teilgenommen, und dabei, wie er am Sonntag im Berliner Renaissance-Theater sagte, auch "einige" von ihnen "getötet".

Einen Augenblick lang war es still im Zuschauerraum. Sofort war klar, dass man es nicht mit einem widerspenstigen Beispiel der Berliner "Lektionäre" zu tun hatte. Lanzmann zeigte sich nicht als vage Unrecht "Vergebender", auch nicht als klassischer Ankläger. Es ging ihm auch nicht um den Überblick, den der Titel seiner "Lektion" , also "Berlin 1948 bis 2008 - von der Blockade bis zur Wiedervereinigung" zu versprechen schien. Er folgte ganz offensichtlich vor allem seinen Erinnerungen, und die waren, wie die Wirklichkeit, gemischt.

Dazu beigetragen hat, dass der Jude Lanzmann sein Studium der deutschen Philosophie, bei Lanzmann war es vor allem Leibniz, 1947 im französisch besetzten Tübingen fortsetzte. Sein Mitschüler und Freund, der spätere Schriftsteller und Germanistensohn Michel Tournier, war ihm vorausgegangen und hatte Lanzmann überredet, ihm zu folgen. Die französische Besatzungsmacht offerierte unter anderem sechzig Mahlzeiten im Monat und Unterkunft bei einer einheimischen Familie.

Doch vor allem die Bekanntschaft mit Damen unterschiedlicher Herkunft zeigte Lanzmann früh die Relativität der Verhältnisse. So wurde er von einer französischen Sekretärin der Militärregierung, die ihm in seine Studentenbude in der Hegelstraße gefolgt war, brüsk zurück gewiesen. "Ich könnte nie mit einem Juden schlafen", sagte sie, und erzählte, so Lanzmann, eine herzzerreißende Geschichte, die kein Nazi besser hätte erfinden können: ihre Familie sei von Juden ruiniert worden.

Mehr Glück hatte Lanzmann mit deutschen Mädchen. Wendi von Neurath, eine Nichte von Konstantin von Neurath, Außenminister unter von Papen, lud ihn ein auf das Familiengut. Eine seltsame Welt habe sich ihm da eröffnet, meinte Lanzmann: Bauern, die noch vor den Gutsbesitzern knieten, und am Sonntagsfrühstück mindestens fünfzehn Wehrmachtsgeneräle zu Gast. Deutschland habe ihm keinen besiegten Eindruck mehr gemacht. Am Nachmittag führte ihn Wendi durchs Gut, von dem aus beide, makabererweise, ohne jede Grenze, ohne jedes äußere Zeichen, zu den Resten von Stuttgart-Vaihingen gelangt seien, dem ersten KZ, das er gesehen habe.

Lanzmann kam kaum bis in die Gegenwart, erzählte Geschichte um Geschichte aus der Nachkriegszeit, seine "Lektion" hörte sich an, wie eine Vorbereitung auf höchst spannende Memoiren. Nach dem Mauerfall, sagte er nur, habe ihn die leere Mitte Berlins, "dieses Loch der Erinnerung" am meisten beeindruckt. Damals habe er sich soviel Respekt vor Geschichte gewünscht, es frei zu lassen. Lanzmann war 1948 zum erstenmal nach Berlin gekommen, er hatte gehört, dass eine Stelle frei sei, habe sich beworben und sei genommen worden.

Eine Entscheidung, die so mancher in Berlin bereut haben mag, denn Lanzmann zeigte sich, in der damals noch von ehemaligen Nazis durchsetzten Freien Universität, auch hier von seiner widerständigen Seite, ließ sich von Bespitzelungen durch die Universitätsverwaltung nicht beeindrucken, und führte, auf Wunsch von Studenten, ein inoffizielles Seminar zum Antisemitismus durch. Er las mit ihnen Sartres "Überlegungen zur Judenfrage", was ihm der französische Besatzungsgeneral Ganeval verbot.

Lanzmann gab keine Ruhe und veröffentlichte seine Geschichten aus der FU auf zweimal zwei Seiten pikanterweise in der (Ost-)Berliner Zeitung. Diese hatte, zu allem Unglück, Gedichte des damaligen Rektors der FU, Edwin Redslob, entdeckt, die Emmy Sonnemann gewidmet waren, Görings Frau, und druckte sie mit ab. Natürlich war der Skandal perfekt.HANS-PETER KUNISCH

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Ein Wunsch

Rettungsgelder auch für die Kultur?

Die Konjunkturprogramme der Bundesregierung sollen auch den Kultureinrichtungen zu Gute kommen. Diesen Wunsch hat der Deutsche Kulturrat zum bevorstehenden Wechsel in der Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz (KMK) geäußert. Mecklenburg-Vorpommerns Kulturminister Henry Tesch (CDU) übernimmt heute dieses Amt (siehe Seite 4). Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, ermahnte Tesch erwartungsgemäß, er solle "seine Gesamtverantwortung für Bildung und Kultur offensiv wahrnehmen". dpa/SZ

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Zartheit und Gemetzel

Julia Fischers Prokowjew und Mariss Jansons' Strawinsky

Wie mit Metall in Metall meißelnd erzählt Dirigent Mariss Jansons von einer Opferung, wobei er in keinem Moment daran denkt, das blutige Ritual zu überhöhen, ihm einen Sinn jenseits des Gemetzels zu verleihen. Kein Frühlingsopfer, keine ekstatisch lustvollen Tänze hin zu einem wie teuer auch immer erkauften Neubeginn. Jansons versetzt sich vielmehr in die Psyche des Opfers, das die ganze Handlung als sinnlos grausamen Akt empfindet, dem es von einer anonym totalitären und hoch technisierten Macht unterworfen wird. So die Lesart des BR-Symphonieorchesters im Münchner Gasteig: Ein furchterregend und grell in sich tobender, nie über sich hinausweisender "Sacre du printemps", der vergessen lässt, dass Igor Strawinskys Hauptwerk auch ein ironisches Spiel sein könnte, das mit dem sadomasochistischen Behagen einer verfeinerten Hochkultur die wunderlich grausamen Reize unverstellt primitiver Kulturen beschwört.

Die feinen Naturbilder, in denen Strawinsky mit wunderlich lang gesponnenen, melismatisch sich entgrenzenden Linien luzide Geflechte webt, sind bei Jansons kalte Entwürfe feindlicher Welt. Es beeindruckt die Kraft, die klare Zeichnung, die sich fernhält von aller tänzerischen Abfederung. Dass der "Sacre" ein doppeldeutiges Ballett ist, macht Jansons direkte Lesart vergessen. Er will ein eindeutiges Bild böser Machenschaften.

Durchaus mutig ist es von Julia Fischer, diesem Moloch vor der Pause das erste Violinkonzert von Sergej Prokofjew entgegenzusetzen. Das Stück ist nicht zugkräftig, weil trotz immenser technischer Herausforderungen intim. Es fehlt, dankenswerterweise, ein traditionelles Kehraus-Finale. Selbst das kurze Scherzo in der Mitte ist nur vorbeihuschender Gespensterspuk, selten laut, nie sarkastisch und deutet Exzentrisches bloß an. Statt dessen dominieren auch hier Naturbilder, die in den ähnlich gebauten Schlusspassagen der mäßig schnellen Außensätze kulminieren: ruhige, reflektierende Tableaux, in denen sich Harfenarpeggi und Solistenvirtuosität zart verweben.

Julia Fischers konzentrierter Ton, ihr anstrengungslos genaues Spiel, ihre texttreu, fast brave Exegese gehen mit der Partitur gut zusammen. Dass die Geigerin viel weniger objektiv auf das Stück blickt als Jansons, wird in ihren Versuchen erkennbar, durch Leidenschaft die langen, fast etüdenhaft dahineilenden Laufpassagen aufzubrechen - brauchen die vielleicht einen selbstherrlicheren, eigenwilligeren Interpreten? Jedenfalls zeigt sich das Publikum nach dieser mühelosen Aufführung leicht reserviert, bricht erst nach Paganinis zwanzigstem Capriccio in großen Jubel aus.

Vielleicht hatte sich Alexander Tschaikowskys davor gegebene, erst vier Jahre alte 4. Symphonie allzu beruhigend aufs Publikum gelegt. Dieser Tschaikowsky denkt beim Komponieren nach eigener Aussage gern ans Publikum - jedenfalls sehr viel mehr als sein Namensvetter, mit dem er nicht verwandt ist. Vielleicht aber sollte er sich ein paar mehr Gedanken machen zu Fragen wie Kunstwollen, Stil, Form, Originalität, Schlüssigkeit und Kongruenz von Mitteln und Gedanke. Das hier kompositorisch bedachte Thema "Krieg" wird derart harmlos durchdekliniert, dass man allenfalls gewillt ist, an das antike Mini-Epos "Froschmäusekrieg" zu denken - auch wenn Alexander Tschaiwosky durchaus nicht zur Ironie begabt zu sein scheint. REINHARD J. BREMBECK

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Auftritt vor dem Abtritt

Ein leiser Michel Piccoli spielt Thomas Bernhards "Minetti"

Eine alte Hotelhalle mit verblassten Tapeten, trüben Lampen und abgewetzten Sesseln in Oostende. In einer Ecke sitzt eine einsame alte Trinkerin im Abendkleid. Die Tür geht auf. Ein Hoteldiener schafft einen schweren, alten Koffer in die Halle. Wenig später erscheint auch dessen Eigentümer: Minetti, der sich den Schnee vom Mantel klopft, die Klingel auf dem Hoteltresen betätigt und zu dem Portier, der sich ihm erst jetzt zuwendet, nur sagt: "Minetti".

So, fast behutsam didaktisch, beginnt am Théâtre national de la Colline in der Regie von André Engel das gleichnamige Stück, das man als wütenden Text in Erinnerung hatte, eine Hommage an den Schauspieler Bernhard Minetti, in die Thomas Bernhard seine eigene Auflehnung gegen die Welt, die Literatur, das Theater und vor allem auch das Publikum gegossen hat. Hier wird daraus die introvertierte Altersmilde eines gebrochenen Mannes, der sich in monologische Erinnerungen flüchtet, sein Leben ausbreitet, immer wieder dessen Brüche und die Aversionen, die diese bei ihm auslösten, zur Sprache bringt. Das Besondere daran ist, dass der große alte Schauspieler Bernhard Minetti vom großen alten Schauspieler Piccoli gemimt wird.

Aus dem stockenden Selbstgespräch erfährt man, was diesen Minetti in der Silvesternacht in die Hotelhalle führt. Ein Jugendfreund, der Direktor des Theaters in Flensburg, habe sich hier mit ihm verabredet, weil er ihn gebeten habe, Shakespeares "Lear" zu spielen. Nur deshalb habe er, Minetti, Dinkelsbühl verlassen, wo er seit 30 Jahren fern des Theatergetriebes in selbstgewählter Einsamkeit lebe. Man habe ihn von der Bühne vertrieben, weil er sich "der klassischen Literatur verweigert" habe.

Der Zuschauer ahnt sofort, dass diese Erklärung nur eine Grille, eine verworrene Ausrede ist. Der "Lear" war angeblich seine große Rolle, das einzige Theaterstück, in dem er sein Talent wirklich entfalten konnte. Der Maler James Ensor habe das erkannt, weshalb er ihm vor Jahrzehnten die Maske für den Lear anfertigte, die er auch jetzt als seinen wertvollsten Besitz in dem Koffer mit sich führe. Und in der Rolle des "Lear" will Minetti noch einmal brillieren. Es ist also eben diese Versuchung eines letzten Auftritts vor dem Abtritt von der Bühne des Lebens, die ihn hierher gelockt hat.

Minetti wartet vergebens. Der Direktor erscheint nicht. Auch wenn Minetti sich wiederholt den Anschein gibt, auf dessen Kommen fest zu rechnen, weiß er darum, dass die Erwartung trügt. Das ist auch gut so, denn wenn er in seinem Monolog verschiedentlich Passagen aus dem "Lear" vorträgt, packt ihn die Angst vor dem Versagen: Der Piccoli, der den Minetti gibt, weiß, dass er der Rolle des "Lear" nicht gewachsen ist, es vielleicht auch nie war. In dieser Einsicht in das Unvermögen blitzt das nahe Ende des eigenen Lebens als Vorschein jäh auf.

Piccoli versagt sich jede lautstarke Auflehnung oder Empörung. Die Bernhardsche Verachtung dem Theater und dem Publikum gegenüber, die der wirkliche Minetti teilte, kommt ihm nur als Seniorengebrabbel über die Lippen. Er agiert als irgendwie verwirrter, aber harmloser, freundlicher alter Herr, der sich bei jedem Anflug von Heftigkeit sofort wieder diszipliniert und zurücknimmt.

Der Regisseur André Engel hat mit diesem Minetti den Monolog eines gescheiterten Lebens inszeniert. In seiner Interpretation, die Bernhards rabiate Intentionen einer von existentieller Sinnlosigkeit umwitterten Auflehnung in wohltemperierte Versöhnlichkeit überführt und damit die Erwartungen, die mit dem Stück verknüpft sind, konterkariert, riskiert der Regisseur eine Enttäuschung. Dass sich der Verdruss in Grenzen hält, ist vor allem der phänomenalen schauspielerischen Leistung Michel Piccolis zu danken, der der harmlos anmutenden Melancholie, die über der Inszenierung liegt, den Glanz seines Könnens mit freundlicher Zurückhaltung aufprägt. Leider kennt aber sein Vortrag des schwierigen Textes in der vorzüglichen Übersetzung von Claude Porcell keine Veränderungen in Lautstärke und Sprechtempo. Das lässt eine Monotonie aufkommen, die durch die häufigen Wiederholungen der Aussagen noch betont wird. Daran ändern auch die Komparsen nichts, die ab und an synkopierend quer über die Bühne lärmen.

Die Hommage von Thomas Bernhard an den Schauspieler Minetti wird in dieser Inszenierung zu einer an den Schauspieler Piccoli. Allerdings machte man es sich zu leicht, wollte man darin eine Schwäche erkennen, denn womöglich ist die Intention des Stücks allzu "teutsch" und verweigert sich einfach deshalb einer adäquaten französischen Umsetzung. Vom 12. bis 14. März wird die Pariser Inszenierung in Berlin gezeigt. Auf die dortigen Reaktionen darf man gespannt sein. JOHANNES WILLMS

Monotones Seniorengebrabbel in Paris: Michel Piccoli als Minetti Foto: Richard Schroeder/Getty Images

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Im Dickicht der Lager

Die detailreichen Bände der Reihe "Der Ort des Terrors" - ein schon jetzt unentbehrliches Nachschlagewerk

In Fred Zinnemanns Verfilmung von Anna Seghers' Roman "Das siebte Kreuz" aus dem Jahr 1944 verkündet - während die Kamera über das "Konzentrationslager Westhofen" schweift - eine Stimme aus dem Off: "Deutschland im Jahr 1935. Die Konzentrationslager sind überfüllt." So stellte man sich in Exilkreisen die Lage und Lager im Dritten Reich vor. Fragt man heute Geschichtsstudenten unterer Semester, wie viele KZ-Häftlinge es denn 1935 gegeben habe, so bekommt man Zahlen zwischen 100 000 und einer Million genannt. In Wirklichkeit waren es zu diesem Zeitpunkt "erst" dreieinhalbtausend.

Denn 1935 war das Jahr, in dem die frühen, spontan eingerichteten Lager, in denen meist politische Gegner eingesperrt waren, geschlossen wurden und die SS mit der Errichtung eines Lagersystems betraut wurde, das unter rassepolitischen und "rassehygienischen" Vorzeichen stehen und bis Ende des Krieges sich über nahezu ganz Europa erstrecken sollte. Zu diesem Lagersystem gehörten völlig unterschiedliche Typen von Lagern, vom "Jugendschutzlager" bis zum Vernichtungslager. Sie wiesen zwar gewichtige Gemeinsamkeiten wie die exzessive Gewalt oder die Zwangsarbeit auf -, dass allerdings eine Massenvernichtungsstätte wie Auschwitz eine qualitativ andere Dimension hatte als das SS-Sonderlager/KZ Hinzert im Hunsrück liegt auf der Hand.

Einen systematischen und vergleichenden Überblick über Konzeption und Praxis, Entwicklung und Funktionswandel des Lagersystems im Ganzen wie der einzelnen Lager selbst bietet die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager von Wolfgang Benz und Barbara Distel leider nicht. Die auf neun Bände angelegte Reihe "Der Ort des Terrors" ist mittlerweile bei Band 8 angekommen, und man muss schon den ersten Band in die Hand nehmen, um die Konzeption zu verstehen: Die Herausgeber folgen der Chronologie der Entstehung der Lager und nicht etwa seiner Funktion.

So kommt es eben, dass das bereits 1943 aufgelöste Lager Niederhagen neben dem Vernichtungslager Lublin-Majdanek oder Auschwitz zusammen mit Hinzert abgehandelt werden, denn das Konzentrationslager Auschwitz wurde bereits im Mai 1940 errichtet und war zunächst eine Haft- und Folterstätte für oppositionelle Polen, ehe es im Sommer 1941 zu einem zentralen Lager des Massenmordes an Juden und "Zigeunern" wurde. Die äußerst knappen Einleitungen sind ebenfalls wenig geeignet, Orientierung im Dickicht der Lager zu bieten. Immerhin: Je später die Bände, desto klarer werden die verschiedenen Lagertypen, die sich zwischen zwei Buchdeckeln vereinen, kenntlich gemacht und herausgestellt. Die Herausgeber haben damit der seit Entstehung der Reihe schon häufig geäußerten Kritik in Fachpublikationen Rechnung getragen.

Das lexikalisch angelegte Projekt hat ohnehin eigene Stärken. Die Topographie der Konzentrationslager beeindruckt durch akribische Recherche und Detailfülle, vor allem durch seine Konzentration auf die vielen KZ-Außenlager, die nicht selten mitten in den deutschen Städten lagen. Manch ein sich gut informiert glaubender Bürger wird verwundert zu Kenntnis nehmen, dass auch seine Heimatstadt in das Netz der Lager eingebunden war. Es ist vor allem Geschichtswerkstätten und anderen lokalen Initiativen zu verdanken, dass nun in lexikalischer Form die manchmal üppigeren, manchmal schmaleren Informationen über die Außenlager gebündelt werden konnten. Ein Orts- und Lagerregister ermöglicht dem gezielt Suchenden hier schnelle Rechercheerfolge.

Gerne hätte man mehr über den Kontakt zwischen Lagergesellschaft und der sie umgebenden "Volksgemeinschaft" erfahren, zumal die Orte des Terrors eben nicht nur in abgelegenen Moorlandschaften wie Westhofen lagen. Immerhin spielt der Faktor Zwangsarbeit eine tragende Rolle in allen Beiträgen. Und hier waren nicht nur die in der Rüstungsindustrie engagierten Großunternehmen an der brutalen Ausbeutung von KZ-Häftlingen beteiligt, sondern auch lokal verankerte mittelständische Unternehmen. Mit Band 8 sind alle Konzentrationslager im nationalsozialistischen Herrschaftsgebiet erfasst und vorgestellt, einschließlich der Vernichtungslager Chelmno, Belzec, Sobibór und Treblinka, die formell nicht im KZ-System integriert waren. Der abschließende Band 9 soll einen Überblick über die anderen Lagerwelten bieten: Ghettos, Gefängnisse, "Arbeitserziehungslager", "Zigeunerlager".

Die Forschung, aber auch das an Detailfragen interessierte Publikum ist mit der Reihe um ein unentbehrliches Nachschlagewerk reicher, auf dessen Grundlage nun eine strukturgeschichtliche Analyse der NS-Konzentrationslager in Europa entstehen kann. Der quantitative Zugriff ist schon deshalb sinnvoll, weil es insgesamt nicht weniger als 24 Hauptlager mit rund 1000 Außenlagern gab, in denen nicht weniger als zwei Millionen Menschen gelitten haben, von denen wiederum 800 000 bis 900 000 ums Leben kamen - die Unzähligen nicht eingerechnet, die in den Vernichtungslagern ohne Registrierung direkt ermordet wurden. Das siebte Kreuz, das für den aus Westhofen entflohenen Georg Heisler bestimmt war, blieb anders als in Seghers' Roman in der Regel nicht leer. JÖRG SPÄTER

WOLFGANG BENZ/BARBARA DISTEL (Hg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 5: Hinzert, Auschwitz, Neuengamme. 591 Seiten, 59,90 Euro. Band 6: Natzweiler, Groß-Rosen, Stutthof. 840 Seiten, 69,90 Euro. Band 7: Niederhagen/Wewelsburg, Lublin-Majdanek, Arbeitsdorf, Herzogenbusch (Vught), Bergen-Belsen, Mittelbau-Dora. 360 Seiten, 59,90 Euro. Band 8: Riga-Kaiserwald, Warschau, Vaivara, Kauen (Kaunas), Plaszów, Kulmhof/Chelmno, Belzec, Sobibór, Treblinka. 464 Seiten, 59,90 Euro. C. H. Beck, München 2007 und 2008.

In dem fiktiven Konzentrationslager "Westhofen", das an die realen Lager in Osthofen, aber auch in Dachau erinnert, spielt der Ro- man "Das siebte Kreuz" von Anna Seghers. Das Buch, das später Pflichtlektüre in der DDR wurde, hat der aus Österreich emigrierte amerikanische Regisseur Fred Zinnemann 1944 verfilmt - hier ein Bild mit den Baumkreuzen, an die nach ihrer Flucht gefasste Häftlinge gebunden wurden. Foto: Cinetext

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Kuba des Mittleren Ostens

Die schwierige Umgang mit den nuklearen Ambitionen Irans

Wie kompliziert der Fall ist, bringt Volker Perthes am Ende seiner Studie auf den Punkt: Es geht um Sicherheit für Iran und um internationales Vertrauen in die Absichten des Landes. Aber es geht gleichzeitig auch um Sicherheit für die Nachbarn und um iranisches Vertrauen in die internationale Gemeinschaft. Das eigentliche Problem liegt also in der prekären Balance von Sicherheit und Vertrauen.

Wie lässt sich dieses Problem lösen? In naher Zukunft kaum, lautet die ernüchternde Antwort des Leiters der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin: Barack Obama ist noch damit beschäftigt, die Minister und hohen Beamten seiner Regierung vom Kongress bestätigen zu lassen. Dann wird noch eine umfangreiche Positionsbestimmung folgen, bevor die neue US-Regierung größere außenpolitische Schritte unternimmt. Außerdem sind die iranischen Präsidentenwahlen im Sommer 2009 abzuwarten. Auch wenn die innenpolitische Position von Mahmud Ahmadinedschad gegenwärtig geschwächt erscheint, warnt Perthes davor, eine weitere Wahl des im Westen so unbeliebten Iraners auszuschließen. Erst danach könne ein neuer oder der wiedergewählte Präsident sich darum bemühen, einen Neuanfang mit den Vereinigten Staaten zu suchen.

Eine Schlüsselfunktion bei diesem Neuanfang misst Perthes einem Staat zu, der bislang nicht als Verhandlungspartner im Fall Iran aufgetreten ist - Südafrika. Diese Idee hat in der Tat einen gewissen Charme: Als einer der wichtigsten blockfreien Staaten und als Führungsmacht auf seinem eigenen Kontinent genießt Südafrika in Teheran großen Respekt. Vor allem aber wäre Pretoria, das sein eigenes militärisches Nuklearprogramm freiwillig aufgegeben hat, ein besonders glaubwürdiger Gesprächspartner bei weiteren Atomverhandlungen. Denn südafrikanische Diplomaten verstehen nach Perthes Einschätzung häufig besser als amerikanische und europäische, wie wichtig es bei Vorschlägen an Iran ist, zum Ausdruck zu bringen, dass seine Souveränität respektiert wird.

Leider verzichtet Perthes in diesem Zusammenhang darauf, die Ironie der Geschichte, die seiner Idee innewohnt, zu benennen: Mit Südafrika erhielte ausgerechnet das Land eine Schlüsselrolle im Nahen Osten, dem Irans offizieller Gegner Israel die Entwicklung seiner eigenen Nuklearstreitmacht nicht ganz unmaßgeblich verdankt. Teheran hat das sicherlich nicht vergessen. Die Verhandlungsgruppe soll mit Teheran eine Übereinkunft herbeiführen, in welcher die internationale Gemeinschaft die technologischen Errungenschaften Irans anerkennt und dieser auf eine eigenständige Urananreicherung oder Plutoniumproduktion verzichtet. Der Reiz eines solchen Abkommens liegt auf der Hand: Der UN-Sicherheitsrat könnte es zu einem internationalen Modellabkommen erklären und die dauerhafte Versorgung von Staaten mit Nuklearbrennstoffen garantieren. Damit erhielte der in den letzten Jahren oftmals verletzte Atomwaffensperrvertrag eine neue Relevanz.

Perthes ist jedoch kein Träumer. Daher hält er dieses Szenario gegenwärtig für wenig realistisch. Auch schließt er einen regionalen Krieg nicht aus. Als wahrscheinlicher sieht er ohnehin, dass der Nuklearkonflikt auf einige Zeit ungelöst bleibt und sich Iran und die internationale Gemeinschaft in einem Zustand der Stagnation wiederfinden werden - einem Zustand der gegenseitigen Blockade und Nichtkooperation, an dem sich auch durch wiederholte Versuche, die Verhandlungen in Gang zu bringen, wie durch Drohungen und gegenseitige Vorwürfe wegen der Situation im Irak und auf anderen Konfliktfeldern nichts Grundlegendes ändern wird.

Iran könnte nach Perthes' Analyse so etwas wie ein Kuba im Mittleren Osten werden - ein Kuba mit nuklearem Brennstoffkreislauf, mit Mittelstreckenraketen und einigem Einfluss im Irak und in anderen Staaten der Region. Gleich, ob Teheran sich dann offen Nuklearwaffen zulegen würde - was, wie Perthes glaubt, eher unwahrscheinlich ist -, sich mit einer militärischen Nuklearfähigkeit begnügte oder dem israelischen Beispiel nuklearer Zweideutigkeit folgte: Die USA und ihre Alliierten würden nach Perthes' Prognose alle im Kalten Krieg erprobten Instrumente des Containment und der Abschreckung einsetzen. Wie richtig Perthes mit dieser Vorhersage liegen könnte, zeigen Medienberichte aus den USA: Obama soll Israel einen Pakt anbieten wollen, um Iran vor einem atomaren Angriff abzuschrecken. Das Versprechen eines amerikanischen Gegenschlages könnte in der Tat die entscheidende Garantie für einen nuklearen Frieden in Nahost sein. THOMAS SPECKMANN

VOLKER PERTHES: Iran - Eine politische Herausforderung. Die prekäre Balance von Vertrauen und Sicherheit. Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008. 160 Seiten, 9,00 Euro.

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Der Schatzsucher

Aaron Regent leitet Barrick Gold, Kanadas größten Bergbaukonzern

Der Kanadier Aaron Regent hat eine Schwäche für Größe: Vor vier Jahren, als der heute 43-Jährige noch Chef des kanadischen Rohstoffkonzerns Falconbridge war, wollte er sein Unternehmen mit dem Rivalen Inco zum größten Nickelproduzenten der Welt verschmelzen. Das Unterfangen schlug fehl, im Jahr 2006 übernahm die Schweizer Xstrata Falconbridge. Regent war kurz zuvor zurückgetreten. "Der Zusammenschluss hätte eine phänomenale Firma und einen großen kanadischen Champion ergeben", sagte er später über die verpasste Chance. Jetzt muss er sich nicht mehr grämen: Seit Freitag ist er Chef von Barrick Gold, Kanadas größtem Bergbaukonzern - ein echter Champion. Im vergangenen Jahr förderte Barrick mehr als acht Millionen Feinunzen Gold, das sind fast zehn Prozent der Weltproduktion.

Mit dem Rohstoff Gold hatte der in Irland geborene und in der kanadischen Provinz Alberta aufgewachsene Regent bislang wenig zu tun, aber das war für seine Berufung kein Hindernis. Barrick will wie bisher durch Übernahmen und Zukäufe wachsen, und da sind Regents Erfahrungen in der Branche - vor Falconbridge war er Finanzchef des Minenunternehmens Noranda - und im Finanzierungsgeschäft gefragt. Die Barrick-Gruppe, die sich vor sieben Jahren den US-amerikanischen Goldkonzern Homestake Mining und 2006 die kanadische Placer Dome einverleibte, sieht im aktuellen Umfeld viele Kaufmöglichkeiten.

Regent tritt die Nachfolge von Greg Wilkins an, der an einer schweren Krankheit leidet und im vergangenen Jahr als Vorstandschef zurücktrat, aber immer noch tageweise in leitender Stellung bei Barrick arbeitet. Und da ist auch noch die graue Eminenz, der 81-jährige Peter Munk, der Barrick Gold 1983 gründete und heute immer noch Chairman ist. Ratgeber gibt es also durchaus. Doch Regent gilt als ein Manager, der gut im Team arbeiten kann. Das bescheinigen ihm ehemalige Partner des Mischkonzerns Brookfield (ehemals Brascan), wohin er nach seinem Rücktritt bei Falconbridge wechselte, obwohl ihm Xstrata einen Job offeriert haben soll.

Während seiner Zeit bei Brookfield engagierte sich Regent für das Kinder-Krankenhaus in Toronto, früher war er auch im Aufsichtsrat des kanadischen Nationalballetts. Demnächst wird sich der Kanadier als Chef von Barrick mit der Realität in Ländern wie Tansania auseinandersetzen müssen. Dort stürmten im Dezember Tausende aufgebrachte Menschen Barricks Goldmine North Mara, weil sie ihre wirtschaftliche Existenz verloren haben und Barrick dafür die Schuld geben. Regent wird als umgänglich und geschickt im Verhandeln beschrieben. Das wird ihm in diesem Fall von Nutzen sein. Bernadette Calonego

Aaron Regent Foto: Bloomberg

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Neuer Partner bei Permira

Die internationale Beteiligungsgesellschaft Permira baut die Deutschland-Geschäftsführung aus. Christian Neuss, 40, wurde jetzt zum fünften Partner ernannt. Permira ist in Deutschland unter anderem mehrheitlich am Münchner Fernsehkonzern Pro Sieben Sat 1 und beim schwäbischen Modeunternehmen Hugo Boss beteiligt. Im vergangenen Jahr wurden hohe Ausschüttungen bei beiden Unternehmen vorgenommen, was auf erhebliche öffentliche Kritik stieß. Seit dem Ausscheiden von Thomas Krenz per Ende 2008 gab es bei Permira nur vier Partner. Als Sprecher der Geschäftsführung fungiert Jörg Röckenhäuser. Neuss ist seit Sommer 2002 bei Permira und war davor unter anderem für die Hypo-Vereinsbank und die ehemalige BHF Bank tätig. Er ist unter anderem für Finanzdienstleistungen zuständig. cbu

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Hochbezahlter Disney-Manager

Geldregen für den Disney-Chef: Robert Iger bekam bei dem US-Medienkonzern im vergangenen Geschäftsjahr insgesamt eine Vergütung von 30,6 Millionen Dollar. Zum Grundgehalt des 57-Jährigen von zwei Millionen Dollar kamen dabei Bonuszahlungen von knapp 14 Millionen Dollar hinzu, wie Disney in einer Mitteilung an die Börsenaufsicht SEC bekanntgab. Der zweite große Posten waren Aktien und Optionen, deren Volumen auf 13,7 Millionen Dollar beziffert wurde. Die Gesamtvergütung des Konzernchefs stieg im Vergleich zum Geschäftsjahr davor um gut zehn Prozent. Der Gewinn von Disney war in dem Ende September abgeschlossenen Geschäftsjahr um knapp sechs Prozent auf 4,4 Milliarden Dollar gesunken. In der Mitteilung gab Disney auch bekannt, dass Apple-Chef Steve Jobs in den Verwaltungsrat des Konzerns wiedergewählt werden soll. Seit dem Verkauf des Trickfilm-Studios Pixar an Disney hält Jobs rund 7,5 Prozent an dem Konzern. dpa

Robert Iger Foto: Reuters

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Deripaska wieder Rusal-Chef

Beim russischen Aluminium-Konzern Rusal hat der Besitzer Oleg Deripaska wieder den Chefposten übernommen. Der Milliardär werde eine "Serie von Krisenmaßnahmen" umsetzen, teilte Rusal am Sonntag mit. Deripaska, der bis zum Ausbruch der Finanzkrise als reichster Russe galt, war von 2000 an bereits drei Jahre lang Rusal-Chef gewesen. dpa

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Ex-Medion-Mann verdächtigt

Gegen einen ehemaligen Bereichsleiter des Essener Elektronikgroßhändlers Medion ermittelt die Frankfurter Staatsanwaltschaft. Die Vorwürfe lauten auf Vorteilsnahme und Untreue. Der Mann soll zwischen 2002 und 2008 als Ein- und Verkäufer für Medion einen Schaden von zwei Millionen Euro angerichtet haben, sagte die Frankfurter Staatsanwältin Doris Möller-Scheu. Medion bestätigte ebenfalls die Ermittlungen. Das Unternehmen habe sich von dem Mitarbeiter getrennt und prüfe zudem zivilrechtliche Schritte. Der Beschuldigte habe gestanden und sei daher gegen Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen worden, sagte Möller-Scheu. Dort hatte er bereits im September eine Woche wegen Verdunklungsgefahr gesessen. dpa

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10 000 Herzen für einen Brummi

Der Arzt Markus Studer kündigte seinen Job, um sich seinen Traum zu erfüllen: Er wurde Fernfahrer

Von Dagmar Deckstein

Damit muss er jetzt leben. Daran ist er selber schuld. Mal titulieren sie ihn als "Dr. Dieselherz", mal als "Dr. Cargo". Unter den Kapitänen der Landstraßen und Autobahnen ist Lkw-Fernfahrer Markus Studer mit seinem Doktortitel eine absolute Ausnahmeerscheinung. Wiewohl sein Kollege Walo, der für die gleiche Schweizer Transportfirma "Transfood" mit dem Lkw quer durch Europa schippert, nichts auf den Herrn Doktor kommen lässt: "Markus ist Spitze. Er hat das so richtig angenommen von uns, das Proletarische. Absolut solidarisch. Echt. Markus ist einer von uns." So jedenfalls zitiert der Schweizer Journalist Markus Maeder jenen Walo in seinem Buch, das er über Markus Studer geschrieben hat. Maeder hat Studer dafür wochenlang auf dem Beifahrersitz über Europas graue Asphaltbahnen begleitet. Titel: "Vom Herzchirurgen zum Fernfahrer. Der Spurwechsel des Dr. med. Markus Studer. Ein Bordbuch."

Damit ist die ganze, nicht gerade alltägliche Geschichte eines ziemlich radikalen beruflichen Umstiegs schon umrissen. Aber was treibt einen Herzchirurgen mit Bilderbuchkarriere nach 25 Jahren aus dem Operationssaal in die Führerkabine eines Trucks, in einen Job, der hinsichtlich Verdienst und Renommee nicht gerade einen Spitzenplatz in der sozialen Rangskala einnimmt?

Einsatz für Osterhasen

An einem trüben Winternachmittag an der Raststätte Wonnegau Ost an der A61 fährt der knallrote Actros vor, 460 PS stark und 40 Tonnen schwer, in weißen Buchstaben leuchtet "Markus Studer Internationale Transporte" auf der Kühlerhaube über dem Mercedes-Stern. Schwungvoll steigt der 62-Jährige mit dem kurzgeschnittenen Grauschopf die Stufen unter der Fahrertür hinunter. Seine Berufsuniform besteht aus einer blauen Jeanshose und einem Jeanshemd, über dessen Brusttasche mit weißem Nähgarn "Markus Studer" eingestickt ist.

Heute ist der Ex-Herzchirurg in Sachen Osterhasen unterwegs. Am Morgen hat er in der Schweiz Kakaomasse in den Tank gefüllt, die am Abend in Aachen sein muss, für einen Produzenten der Schweizer Firma Lindt&Sprüngli. Jetzt aber nimmt er sich erst einmal einen Tee von der Selbstbedienungstheke der Raststätte und erzählt, wie alles anfing, damals, an seinem 45. Geburtstag. "Da habe ich mich entschieden: Diesen Job als Herzchirurg machst du nicht bis 65." Bei aller erworbenen Routine in diesem anspruchsvollen Beruf mit hoher psychischer und physischer Belastung lassen die Kräfte irgendwann nach, dachte er sich. Und überhaupt: "Eine Party sollte man dann verlassen, wenn sie auf dem Höhepunkt angelangt ist. Oder finden Sie das toll, wenn Sie bis morgens um vier ausgeharrt haben und nur noch von Bierleichen umgeben sind?"

Das mit den Leichen will der Ex-Herzchirurg natürlich nicht wörtlich verstanden wissen, er, der im Laufe seines Medizinerlebens etwa 10 000 Operationen am offenen Herzen durchgestanden hat. Er hat Bypässe gelegt, Geburtsfehler korrigiert, neue Klappen eingesetzt. "Klar, ich könnte natürlich auch heute noch operieren. Aber ich wollte einfach nicht mehr." Es war Ende 2002, als ihn sein Nachfolger am Herzzentrum Hirslanden, Louis Egloff, in sein neues Leben verabschiedete: "Er winkt uns, seinen Patienten und dem Spital Adieu, um einer neuen Zukunft mit hellem Horizont entgegenzufahren."

Diese Zukunft liegt nun schon wieder fünf Jahre und 500 000 Kilometer hinter Markus Studer. Am 1. Mai 2003 hat er sein neues Leben begonnen, auf das sich der Mediziner beizeiten vorbereitet hat. Schon anno 2000 erwarb er den Lkw-Führerschein Klasse C, dazu die E-Berechtigung für Anhänger, und anschließend nahm ihn Freund Fritz, selbst langjähriger Fernfahrer, unter seine Fittiche, um Studer in die Kniffe und Finten der eingeschworenen Truckergemeinde einzuweihen. Dann ging es auf eigene Faust los, und Studer kam es vor "wie die späte Fortsetzung einer alten Liebesgeschichte". Schon Klein-Markus hatte den Lastwagen, die an seinem elterlichen Haus in Schaffhausen vorbeibrummten, sehnsüchtig nachgeschaut. Später auf dem Gymnasium hatte er sich eigentlich schon auf der Ingenieurschule in Biel gesehen, aber als es soweit war, entschied er, dass er doch lieber mit Menschen zusammen arbeiten wolle, und studierte Medizin. Nicht ahnend, dass auch Autoingenieure im Team arbeiten.

"Red' nicht, tu es"

Studer spezialisierte sich auf die Herzchirurgie und gründete schließlich 1987 mit einigen Kollegen das Herzzentrum Hirslanden in Zürich. Doch mit den Jahren wuchs die Unruhe, bis Ehefrau Katharina ein Machtwort sprach: "Red' nicht immer davon, tu es!" Gesagt, getan.

Als selbständiger "Camionneur", wie die Trucker in der Schweiz heißen, transportiert er Flüssiglebensmittel für die Spedition Transfood - Kakao etwa oder Milch, Apfelsaft oder Orangensaftkonzentrat. "Für einen älteren Knaben wie mich ist das besser, da muss ich nur die Pumpe ansetzen und nicht selber Waren auf- und abladen." Fünf Tage in der Woche kutschiert Studer heute seinen Actros über Europas Landstraßen und Autobahnen, die Wochenenden hat er, sehr zum Wohlgefallen von Frau Katharina, frei. Und alle 20 Tage gibt es von der Spedition das Fuhrgeld, so hat Studer selbst kein Inkassorisiko.

"Na ja", gibt er zu, "ich habe natürlich von früher etwas zurückgelegt. Allein vom Brummifahren könnte ich nur sehr bescheiden leben." Also ist es die legendäre Fernfahrerromantik, die große Freiheit der Straße, die er suchte? Von der kann im Zeitalter der Tempolimits und Ruhezeitvorschriften, der Zollbürokratie und Mautverordnungen, der Dumping-Konkurrenz aus Osteuropa und allgegenwärtiger Polizeikontrollen doch kaum noch die Rede sein? Einerseits nein, sagt Studer, andererseits aber habe alles seine Sonnen- und Schattenseiten. "Und so lange die sonnigen überwiegen . . ." Das Schlimmste für einen Fernfahrer sei etwas ganz anderes. Nicht von ungefähr hatte Studer noch vor dem Treffen auf der Raststätte angerufen und geraten, einen Stau in Höhe Mannheim zu umfahren. "Ein Fernfahrer im Stau, das ist eine persönliche Niederlage".

MutMacher

In jeder Veränderung steckt eine Chance. Eine SZ-Serie

Streng nach Vorschrift

Den Angaben des Statistischen Bundesamtes zufolge hat der Straßengüterverkehr den größten Anteil am Transportaufkommen. So wurden nach den letzten Zahlen aus dem Jahr 2007 etwa 3430 Millionen Tonnen - 77 Prozent aller Güter - auf Deutschlands Straßen befördert. Das Transportgewerbe ist mit 57 000 Unternehmen überwiegend klein- und mittelständisch geprägt und zersplittert, zum Teil aber auch hoch spezialisiert. Mit etwa 550 000 Beschäftigten in Deutschland ist der gewerbliche Straßengüterverkehr der stärkste Verkehrsträger.

Wenn Markus Studer als selbständiger Fuhrunternehmer und Unterauftragnehmer seiner Spedition "Transfood" in seinen Actros steigt, ist er aber nicht Herr im eigenen Cockpit. Er muss sich an die seit April geltenden, strengen Lenk- und Ruhezeiten halten. Drei mal die Woche darf er höchstens neun Stunden fahren, und auch nur 4,5 Stunden am Stück. Dann sind 45 Minuten Pause vorgeschrieben. An zwei Wochentagen sind zehn Stunden Lenkzeit erlaubt. Die Gesamtlenkzeit von zwei aufeinanderfolgenden Wochen darf insgesamt 90 Stunden nicht überschreiten. dad

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Burkhard Roozinski, erst Einkäufer bei VW, eröffnete einen Blumenladen.

"Irgendwann war mir klar: Diesen Job als Herzchirurg machst Du nicht bis 65." Seit fünf Jahren fährt der Schweizer Mediziner Markus Studer nun mit seinem knallroten, 40 Tonnen schweren Actros über Europas Fernstraßen. Für ihn ist das "die späte Fortsetzung einer alten Liebesgeschichte". Denn Fernfahrer wollte er schon als Kind werden. Foto: Focus

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Ein Zuhause für Bücher

Das Familienunternehmen Paschen fertigt nicht einzelne Regale, sondern Bibliotheken - und zwar in Maßarbeit. Zu den Kunden zählt auch Papst Benedikt

Von Stefan Weber

Unter Möbelkäufern gibt es vermutlich kaum jemanden, der noch nicht von "Billy" gehört hat. Das Bücherregal ist wohl das bekannteste Produkt des Möbelherstellers Ikea. Seit mehr als 25 Jahren im Programm, zählt das Regalsystem nach wie vor zu den meist verkauften Artikeln des schwedischen Unternehmens. Das freut Jan Paschen, obwohl der Unternehmer aus Wadersloh in Ostwestfalen mit dem Billy-Anbieter um die Gunst von Bücher-Liebhabern konkurriert, die nach einem Aufbewahrungsort für ihre gedruckten Schätze suchen. Auch Paschen verkauft Regal-Systeme, freilich keine von der Stange, nicht zur Selbstmontage. Der 44-Jährige bietet Maßarbeit: Handgefertigte Modelle aus edlen Hölzern, falls gewünscht nach dem Vorbild historischer Bibliotheken. Trotzdem freut er sich über die große Beliebtheit des Ikea-Regals, denn er spekuliert: "Wenn die Leute anspruchsvoller werden und mehr Geld zur Verfügung haben, tauschen sie Billy aus - hoffentlich gegen ein Produkt aus unserem Haus."

Das Familienunternehmen, das Paschen gemeinsam mit seinem ein Jahr jüngeren Bruder Christian in fünfter Generation führt, gilt als einer der führenden Hersteller von Bibliotheken in Deutschland, aber zunehmend auch im Ausland. Eine Bibliothek, wie sie der Firmenchef versteht, muss freilich keine meterlange Ansammlung von Büchern sein, womöglich noch in einem eigenem Raum oder gar Gebäude. "Es geht darum, ein Möbel zu fertigen für Menschen, die Büchern in ihrer Wohnung ein Zuhause geben möchten", sagt Paschen. Das könne auch ein individuell gefertigtes, schmales Regalsystem sein. Ein solches 2,50 Meter breites Modell bietet Paschen, je nach Material, bereits für 500 bis 1000 Euro an. Meist sind die Auftragssummen aber deutlich höher. Wer den Möbelbauer aus Wadersloh beauftragt, gibt im Durchschnitt zwischen 6000 und 10 000 Euro aus. In seltenen Fällen lassen sich Bücherliebhaber ihren Traum aber auch ein Vielfaches dieser Summe kosten. Auftraggeber aus Russland beispielsweise, die Paschen in den vergangenen Jahren immer häufiger gewonnen hat, seit er mit Innenarchitekten in Moskau und St. Petersburg zusammenarbeitet. Da kommt es vor, dass ein vermögender Privatmann in einem französischen Schloss eine Bibliothek entdeckt und beschließt: So etwas möchte ich auch haben. Dann machen sich Mitarbeiter von Paschen auf den Weg, besichtigen das Original, vermessen die Räumlichkeiten des Kunden und machen sich ans Werk. Auch der Vatikan ist Kunde bei dem Mittelständler aus Ostwestfalen. Nach dem Vorbild niederländischer Universitätsbibliotheken im Stil des flämischen Spätbarock hat Paschen im vergangenen Jahr für Papst Benedikt eine Bibliothek gebaut. Der Firmenchef möchte jedoch nicht den Eindruck erwecken, "eine Schmiede für Eigenanfertigungen" zu sein: "Wir brauchen auch das Brot- und Butter-Geschäft." Konkurrenten sind weniger Nobelhersteller wie Interlübke oder Hülsta mit ihren Regalsystemen. Denn diese Wohnprogramme seien bei echten Bücherliebhabern weniger gefragt, beobachtet Paschen. Sehr viel häufiger beauftragten Privatpersonen und Geschäftsleute, die nach einer anspruchsvollen Herberge für Gedrucktes suchten, Kunsttischler und Schreiner.

Eine Konsumzurückhaltung, wie sie andere Branchen beklagen, spürt der Möbelbauer bisher nicht. Seine Kunden sind weniger anfällig gegen die Widrigkeiten der Konjunktur. Allerdings, so stellt Paschen fest, habe sich die Nachfrage aus Asien, Großbritannien und Russland in den vergangenen Monaten ein wenig abgeschwächt. Seit 2000 hat das Familienunternehmen den Umsatz auf zuletzt knapp 45 Millionen verdoppelt. Zur Ertragssituation möchte der Firmenchef keine Angaben machen. Er verschweigt aber nicht, dass "wir in den neunziger Jahren harte Zeiten erlebt haben." Da habe es Spitz auf Knopf gestanden, ob das Unternehmen überhaupt eine Zukunft haben würde.

Lange Zeit hatte die von Carl Paschen 1883 in Hamburg gegründete und erst nach dem Zweiten Weltkrieg nach Ostwestfalen umgezogene Firma Möbel für Speisezimmer und Büros gefertigt. "Spießermöbel", wie Jan Paschen sagt. Anfang der neunziger Jahre beschloss sein Vater, sich auf etwas zu konzentrieren, was ihm Freude bereitete: das Leben mit Büchern. Schon als Kind habe er davon geträumt, einmal eine Bibliothek zu besitzen, sagt der Sohn. Von da an orientierte sich der Familienbetrieb neu und stellte ausschließlich Bibliotheken her.

Dass Jan und Christian Paschen das Unternehmen führen würden, war lange Zeit ungewiss. Denn beide hatten zunächst andere Pläne. Jan Paschen, der sich heute vornehmlich um die Bereiche Vertrieb, Marketing und Strategie kümmert, verdiente sein Geld früher als Schlagzeuger. Mühsam hat er sich eingearbeitet in die Welt des Möbelmarktes - und sich dabei anfangs auch "viele blaue Augen geholt", wie er einräumt. Bruder Christian, der gelernte Tischler und Bootsbauer, hatte in vielen Ländern gearbeitet und die Welt umsegelt, ehe er zurück in das familieneigene Unternehmen fand. Er ist verantwortlich für Produktion und Gestaltung der Bibliotheken.

Gefertigt wird ausschließlich am Firmensitz in Wadersloh. Eine Produktion im Ausland, wo Handarbeit, wie sie für die Herstellung der Möbelstücke erforderlich ist, viel preiswerter ist, haben die Brüder nie in Betracht gezogen. "Das rechnet sich nicht", sagt Jan Paschen. Nur eine Produktion in Deutschland garantiere eine hohe Qualität, eine termingerechte Logistik und einen schnellen Service.

-DYNASTIEN -AUSSENSEITER -NEWCOMER

Einige Tausend Euro kostet eine Bibliothek von Paschen. Von der Krise spürt das Familienunternehmen bisher nichts. Foto: oh

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Profil

Jan Paschen,

geschäftsführender Gesell-

schafter

Name: Pasch & Companie

GmbH & Co. KG

Sitz: Wadersloh

Gegründet: 1883

Umsatz: 45 Millionen Euro

Beschäftigte: 180 Fotos: oh

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Schwachstelle Wasser

Das Problem ist 72 Kilometer lang und liegt bis zu 400 Meter tief unter der Erde. Dennoch offenbart der Rondout-West-Aquädukt im Bundesstaat New York eine der Schwachstellen Amerikas. Der Kanal, der Wasser nach New York City transportiert, hat ein riesiges Leck. 70 Millionen Liter, so viel wie der Oktoberfest-Bierkonsum von zehn Jahren, sickern täglich in den Boden und zeigen, wie kaputt Amerikas Infrastruktur ist.

Deichbrüche nach Hurrikan Katrina 2005 und der Einsturz einer Brücke in Minnesota 2007 waren die auffälligsten Hinweise auf den Kollaps der US-Grundeinrichtung. Doch die American Society of Civil Engineers, der Berufsverband der Bauingenieure, gab bei seiner Generalprüfung keinem Infrastruktur-Sektor so schlechte Noten wie der Wasserversorgung. Da für Trinkwasser-Anlagen jährlich elf Milliarden Dollar fehlten und jede Menge Abwasser in Seen fließe, wurde die Ausstattung beider Kategorien auf die Mindestnote "D Minus" herabgestuft.

Viele Wasserleitungen wurden Anfang des 20. Jahrhunderts verlegt, als die Städte kleiner und die Landwirtschaft bedeutender war. Heute investieren die USA nur 2,4 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts in die Infrastruktur, während es in der EU fünf und in China neun Prozent sind. Da es für die Vergabe der Regierungsmittel keine zentrale Stelle gibt, hängt die Zuteilung vom Kuhhandel im Kongress ab. Abgeordnete versuchen, Geld für ihre Heimatstaaten zu sichern und fördern auch nutzlose Projekte wie Alaskas "Bridge to Nowhere", die eine Kleinstadt mit einer entlegenen Insel verbindet. Um Verschwendung zu stoppen, plant Obama eine Infrastruktur-Bank, die privates Kapital in profitable Projekte investiert. So hofft er, dass das Geld nicht mehr versickert wie das New Yorker Wasser. Janek Schmidt

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100 Milliarden Dollar für Schulen und Studenten

"Klug zu sein war noch nie so cool wie heute" verkündete der neue US-Bildungsminister Arne Duncan

in der vergangenen Woche, und versprühte dabei einen Optimismus, den der bisherige Schulintendent aus Chicago für seinen neuen Posten brauchen wird. Das US-Schulsystem muss dringend saniert werden, in manchen Großstädten des Landes liegt die Schulabbrecherquote bei über

50 Prozent, überall fehlen Lehrer.

Die College-Gebühren sind in den letzten fünf Jahren drastisch gestiegen, im Durchschnitt verlässt jeder College-Absolvent die Hochschule mit 19 000 Dollar Schulden im

Gepäck.

Fast 100 Milliarden Dollar aus dem Konjunktur-

paket hat der US-Bewilligungsausschuss nun für

eine umfangreiche Bildungsoffensive in Aussicht

gestellt. Rund 80 Milliarden sind für Neugründungen von Schulen und verschiedene Bildungsprogramme vorgesehen, weitere 16 Milliarden für die finanzielle Unterstützung von College-Studenten, zum Beispiel

in Form von höheren Bildungskrediten. Öffentliche

Schulen sollen besonders gefördert und zunehmend als Ganztagsschulen und "Gemeinschaftszentren" konzipiert werden, die abseits des Lehrplans auch praktische Lebenshilfe bieten - etwa medizinische und soziale Dienstleistungen für bedürftige Schüler. Als Herzstück der Bildungsoffensive gilt die Reform des "No child left behind", eines Bildungsgesetzes

der Bush-Regierung. Das Gesetz, das seit 2002 in Kraft ist, wird scharf kritisiert, die Lehrergewerkschaft NEA bezeichnete es kürzlich als "gescheitert". Unter dem "No child"-Gesetz wurden flächendeckende Leistungstests eingeführt, bei denen Schulen, deren

Schüler bei diesen Prüfungen schlecht abschneiden, weniger Fördergelder vom Staat bekommen.

Es gibt viel zu tun für den 44 Jahre alten Schulexperten aus Chicago, der wie Obama die Elite-Universität Harvard besuchte. Nach seinem Abschluss in

Soziologie verdiente Duncan zwischenzeitlich

sein Geld als Basketballprofi in Australien. Die Leidenschaft für diesen Sport verbindet den neuen Präsidenten und seinen Bildungsminister: Kennengelernt

hatten sich beide in den achtziger Jahren auf den Basketballplätzen Chicagos. Simone Lankhorst

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"Sozialistische Staaten von Amerika"

Die Rezession wird die Präsidentschaft Barack Obamas auf Jahre hinaus überschatten

Von Nikolaus Piper

New York - Barack Obama hat die Wahl am 4. November mit der Forderung nach "Wechsel", gewonnen. Die Mehrheit vor allem der jungen Amerikaner haben das Gefühl, ihr Land habe sich acht Jahre lang in die falsche Richtung bewegt. Die Sehnsucht nach Umkehr verwandelte der junge Senator aus Illinois in Wählerstimmen. Doch im Laufe des Wahlkampfs hat sich die Bedeutung des Wortes "Change" gewandelt. Zwar geht es immer noch um die Gesundheitsreform, mehr Geld für die Schulen oder erneuerbare Energie. Das zentrale Thema aber ist die Wirtschaftskrise. Obama muss ein Land regieren, das sich gewandelt hat, aber zum Schlechteren. Die Vereinigten Staaten stecken in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit der Großen Depression. Der gesamte Finanzsektor und die Autoindustrie stehen faktisch unter Staatskontrolle. "Wir leben in den Vereinigten Sozialistischen Staaten von Amerika," spottet der Ökonom Nouriel Roubini.

Die Erwartungen an Obama sind übermenschlich. Von dem 47-Jährigen hängt ab, ob der Absturz ins Bodenlose gestoppt wird. Die Risiken zeigen sich vor allem im Staatshaushalt: Der Präsident muss die Konjunktur mit Ausgaben in beispielloser Höhe stabilisieren und zugleich verhindern, dass Zweifel an der Solidität der Finanzen aufkommen.

Eines der Wahlkampfthemen Obamas war die unsolide Haushaltspolitik seines Vorgängers George Bush. Doch die Zahlen, um die es im vergangenen Frühjahr ging, wirken lächerlich im Vergleich zur heutigen Realität. Nach der jüngsten Schätzung des Haushaltsbüros des amerikanischen Kongresses wird das Defizit dieses Jahres auch ohne neues Konjunkturprogramm auf 1,2 Billionen Dollar steigen; die Ursache sind Steuerausfälle wegen der Wirtschaftskrise, Mehrausgaben für Arbeitslose und vor allem das Rettungsprogramm für die Banken (bisher 350 Millionen Dollar). Das Defizit entspricht 8,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Solche Werte hat Amerika zuletzt in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg erreicht. Nach dem Europäischen Stabilitätspakt dürfen sich Regierungen für höchstens drei Prozent des BIP neu verschulden.

Nun haben aber Obama und die Demokraten ein Konjunkturpaket von 825 Milliarden Dollar über zwei Jahre beschlossen. Dadurch wird sich das Defizit nach einer Studie der Deutschen Bank auf 11,1 Prozent des BIP erhöhen, ein Wert, der in einem Entwicklungsland als Indiz für den drohenden Staatsbankrott gelten würde. In Amerika gibt es derartige Sorgen nicht. Die Renditen amerikanischer Staatspapiere bewegen sich in der Nähe historischer Tiefststände - ein Zeichen fast grenzenlosen Vertrauens in die Sicherheit dieser Papiere. Amerika gilt weiter als sicherer Hafen. Obama kann mit seiner Politik nur Erfolg haben, wenn es ihm gelingt, dieses Vertrauen trotz der schockierenden Zahlen zu bewahren.

Die Gefahren sind groß. Sobald ausreichend viele Anleger glauben, wegen der hohen Staatsschulden könne die Inflation steigen, dann gehen auch die Zinsen in die Höhe, die Belastung des Haushalts wird größer und private Kreditnehmer werden von den Märkten verdrängt. Diese Wirkung mit Namen "Crowding-Out-Effekt" ist in anderen Ländern nach einem exorbitanten Anstieg der Staatsverschuldung aufgetreten, zum Beispiel in Schweden 1992. Der neue Präsident steht vor einem Balanceakt: Er muss die Staatsschulden zurückführen, aber er darf es nicht zu früh tun, um den Aufschwung nicht zu gefährden, aber auch nicht zu spät, um private Investitionen nicht abzuschrecken.

Der Prozess der Umsetzung eines Konjunkturpakets birgt dabei eigene Gefahren. Wenn der Staat plötzlich Hunderte Milliarden Dollar ausgibt, strömen Heerscharen Lobbyisten und Interessengruppen nach Washington, um sich ihren Anteil zu sichern. Es ist fast unvermeidlich, dass ein Teil des Geldes in Gefälligkeitsprojekte gehen wird. Viele Kongressabgeordnete werden versuchen, mit dem Geld Industriepolitik zu betreiben. Einige der möglichen Projekte passen zu den Zielen Obamas, etwa Investitionen in erneuerbare Energien und in die Infrastruktur, andere vermutlich nicht. Es wird schwer für Obama, unter diesen Bedingungen einen neuen, ehrlichen Stil einzuführen. Als bemerkenswerte Vorsichtsmaßnahme schuf Obama ein neues Amt im Weißen Haus: den Chief Performance Officer. Die erste Inhaberin, die frühere McKinsey-Beraterin Nancy Killefer, soll jede Verschwendung im Budget bekämpfen.

Schließlich sind die mittelfristigen Haushaltsrisiken nicht abzusehen. Weil die Bevölkerung altert, drohen die Ausgaben für die Sozialversicherung und die Krankenversicherung der Rentner nach 2018 das Budget zu sprengen, und zwar unabhängig von den jetzt beschlossenen Schulden. Vom neuen Präsidenten wird viel mittelfristiges Denken verlangt.

Das Haushaltsdefizit ist so groß wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr.

Warten auf den Retter

Den großen Wechsel, auf englisch: Change, hat Barack Obama den Amerikanern versprochen. Sie haben ihn gewählt, am Dienstag tritt er sein Amt an. Jetzt muss er sich der Realität dieser schwierigen Aufgabe stellen. Er wird weniger Gelegenheit haben zu gestalten, als er am Anfang des Wahlkampfes noch hoffte. Die maroden Schulen oder die schlechte Infrastruktur des Landes, die sich etwa in einem mangelhaften Straßennetz zeigt, werden auf eine Erneuerung warten müssen. Zunächst geht es darum, das Land mit riesigen Milliardenbeträgen aus der Wirtschaftskrise zu führen und ganze Branchen wie die Banken oder die Autoindustrie zu retten.

Der neue Präsident Barack Obama verbreitet die Hoffnung auf Wandel. Die 300 Millionen Amerikaner erwarten von ihm nicht weniger als die Lösung der Wirtschafts- und Finanzprobleme. Möglicherweise muss er im Laufe seiner Präsidentschaft viele enttäuschen. Foto: AP

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Ausgeträumt

Die Finanzkonzerne haben nur noch einen einzigen Investor - die Regierung in Washington

Von Moritz Koch

New York - Die Finanzkrise hat Amerikas Großbanken erneut zu verzweifelten Sanierungsschritten gezwungen. Die Citibank spaltet sich auf, und die Bank of America zapft zum zweiten Mal den staatlichen Rettungsfonds an. In den vergangenen Monaten haben beide Finanzkonzerne schwere Verluste erlitten.

Für die gebeutelte Citigroup war es schon der fünfte Quartalsverlust in Folge. Die einst weltweit größte Bank verbuchte Einbußen von mehr als acht Milliarden Dollar. Damit hat die Citigroup im vergangenen Jahr insgesamt 19 Milliarden Dollar verloren. Nun wird der Allfinanzkonzern zweigeteilt. Das klassische Bankgeschäft soll unter dem Namen Citicorp weitergeführt werden. Risikoreiche Vermögenswerte sollen ausgegliedert und künftig von der neugeschaffenen Citi Holdings verwaltet werden.

Mit der Aufspaltung kehrt die Citigroup zu der Struktur von 1998 zurück, als Citicorp mit der Travelers Group fusionierte. Frühere Konzernchefs träumten davon, einen Supermarkt zu schaffen, der Finanzdienstleistungen aller Art im Angebot haben sollte. Dieser Traum ist geplatzt. Stück für Stück zerschlägt der heutige Citigroup-Chef Vikram Pandit den globalen Konzern. Erst Anfang der Woche hatte sich die Citigroup von ihrer erfolgreichen Vermögensverwaltung Smith Barney getrennt und sie in ein Gemeinschaftsunternehmen mit Morgan Stanley eingebracht. Die ehemalige Investmentbank zahlt der Citigroup 2,7 Milliarden Dollar dafür und wird 51 Prozent der Anteile besitzen, die Citigroup erhält den Rest. Die neue Brokerfirma soll Morgan Stanley Smith Barney heißen und mehr als 20 000 Anlageberater beschäftigen. Im vergangenen Jahr hatte die Citigroup schon ihr deutsches Privatkundengeschäft verkauft.

Auch die Bank of America befindet sich in akuter Not. Zwar hat das Institut aus North Carolina im vergangenen Jahr noch einen Gewinn von 2,6 Milliarden Dollar erzielt, doch im abgelaufenen Quartal beliefen sich die Verluste auf 2,4 Milliarden Dollar. Damit reichen die eigenen Kapitalreserven nicht mehr aus, um die bereits beschlossene Übernahme der Investmentbank Merrill Lynch zu stemmen.

Erneut musste die Bank of America den Staat um Hilfe bitten. Nach wochenlangen Verhandlungen stellte die US-Regierung am Freitag 20 Milliarden Dollar bereit und garantiert darüber hinaus Verluste aus faulen Kreditgeschäften in Höhe von 118 Milliarden Dollar. Schon im September hatte die Bank of America 25 Milliarden Dollar vom Staat erhalten. Am Freitag erklärte sie, die neue Finanzspritze erlaube es ihr, die Geschäfte "so normal wie möglich" fortzuführen. Die Bank of America hatte die einst drittgrößte Investmentbank Merrill Lynch im September für 50 Milliarden Dollar übernommen und sitzt seither auf einem Berg fast unverkäuflicher Kreditderivate. Allein im vergangenen Quartal erwirtschaftete Merrill Lynch ein Minus von 15,3 Milliarden Dollar.

Bisher hat die Regierung in Washington vermieden, Mehrheitsanteile der angeschlagenen US-Banken zu übernehmen. Dabei ist sie längst der einzige Investor, der noch bereit ist, den Finanzkonzernen Geld zu geben. Allein für die Citigroup und die Bank of America summieren sich Garantien und Kapitalzufuhren inzwischen auf 420 Milliarden Dollar.

Als Schatten-Verstaatlichung kritisieren Experten das System, da es das Ausmaß der Risiken verschleiere, das die Regierung eingehe, um die Banken zu retten. Der künftige US-Präsident Barack Obama, der in dieser Woche vereidigt wird, hat bereits grundlegende Änderungen bei der Verwendung der Hilfen für die Wall Street angekündigt. Sollten sich die Verluste der Branche weiter häufen, könnte er gezwungen sein, das gesamte Finanzsystem unter staatliche Kontrolle zu stellen.

Die Amerikaner werden sich einschränken müssen. Sie haben mehr importiert, als sie sich leisten konnten. Der Lebensstandard wird sinken. Foto: Bloomberg

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Citigroup und Bank of America hängen am Tropf.

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Modell FDR

Franklin D. Roosevelt schaffte in seinen ersten 100 Tagen im Amt die Wende in der Weltwirtschaftskrise

Von Nikolaus Piper

New York - Kaum einer der Vorgänger Barack Obamas wird in diesen Tagen so oft zitiert wie Franklin Delano Roosevelt, der am 4. März 1933, dem Tiefpunkt der Weltwirtschaftskrise, sein Amt antrat. Roosevelts als "New Deal" bekannt gewordenes Wirtschaftsprogramm ist bis heute hoch umstritten. Konservative Republikaner glauben, dass er die Krise nur unnötig verlängert hat. Für linke Demokraten ist er der Retter des Landes, manche bezeichnen sich heute noch als "New-Deal-Demokraten". Unbestritten ist dagegen, dass der 32. Präsident in seinen ersten 100 Tagen die USA in einer verzweifelten Lage stabilisiert hat.

Am Vorabend des Amtsantritts von "FDR" war mehr als ein Viertel aller arbeitsfähigen Amerikaner arbeitslos. In Industriestädten wie Toledo (Ohio) lag die Quote bei 80 Prozent. Die New Yorker Börse hatte für unbestimmte Zeit geschlossen, in den meisten Bundesstaaten war keine einzige Bank mehr geöffnet. An diesem Abend soll ein Besucher zu Roosevelt gesagt haben: "Wenn Sie Erfolg haben, werden Sie der größte Präsident in der Geschichte der USA sein." Worauf Roosevelt antwortete: "Und wenn ich scheitere der letzte."

Roosevelts Erfolg begann mit seiner Antrittsrede: Dort verlangte er Vollmachten wie im Krieg und sagte den legendären Satz: "Wir haben nichts zu fürchten als die Furcht selbst". Tags drauf verkündete er einen "Bankfeiertag". Alle Kreditinstitute wurden für vier Tage geschlossen; anschließend durften die meisten wieder öffnen, allerdings erst nachdem sie vom Finanzministerium überprüft wurden. Sie hatten nun das staatliche Siegel der Unbedenklichkeit und bekamen frisches Geld, die anderen verschwanden vom Markt. Der Kreditverkehr normalisierte sich. Der Bankfeiertag war zwar willkürlich, er führte zur Enteignung vieler Sparer, aber er war letztlich ein Geniestreich, der die Bankenkrise auf einen Schlag beendete.

Mit dem Bankgesetz begannen die berühmten ersten 100 Tage Roosevelts. In schwindelerregendem Tempo beschloss die Regierung ein Gesetz nach dem anderen. Rooseveelt führte eine staatliche Versicherung von Bankeinlagen ein, die Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC). Sie hat das Zeitalter des klassischen Bankenkrachs beendet und spielt derzeit eine wichtige Rolle bei der Beruhigung der Stimmung in den USA. Roosevelt hob die Bindung des Dollar an das Gold auf und löste so eine dramatische Abwertung des Dollar aus. Das erleichterte amerikanische Exporte, löste aber auch einen internationalen Abwertungswettlauf aus. Vor allem gab der Schritt der Notenbank Federal Reserve den Spielraum, die Zinsen zu senken.

Viele Maßnahmen waren widersprüchlich. Roosevelt beschäftigte Hunderttausende junger Amerikaner bei öffentlichen Arbeiten, gleichzeitig kürzte er die Gehälter von Regierungsangestellten und die Renten von Kriegsveteranen, um den Staatshaushalt auszugleichen. Er ließ Lebensmittel vernichten und versuchte, die landwirtschaftliche Produktion einzuschränken, um den Verfall der Agrarpreise zu stoppen. Die Lehren der Ökonomen John Maynard Keynes, wonach es in der Depression auf die Nachfrage ankommt, akzeptierte Roosevelt nie.

Vermutlich kannte er den Namen Keynes 1933 noch gar nicht. Unbestritten richtig allerdings war ein fundamentaler Schritt der Deregulierung: Am 13.März fiel die Prohibition; Bier, Wein und Whiskey waren wieder legal.

Am Ende hat Roosevelt die Abwärtsspirale der amerikanischen Wirtschaft gestoppt, es gelang ihm jedoch bis zum Zweiten Weltkrieg nicht, die Arbeitslosigkeit substantiell zu senken. Ein Jahr nach seinem Amtsantritt lag die Quote noch bei 21 Prozent.

Mit seinem "New-Deal-Programm" holte Präsident Franklin Delano Roosevelt Amerika 1933 aus einer schweren Krise. Foto: Scherl

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Illustration: Stefan Dimitrov/SZ, Fotos: ddp, dpa (2)

Lernen von Hillary

46 Millionen Amerikaner sollen endlich eine Krankenversicherung bekommen

Von Moritz Koch

New York - Im dritten Anlauf soll es klappen. Zwei Mal schon haben die Demokraten im US-Kongress ein Gesetz verabschiedet, das vier Millionen Kindern aus armen amerikanischen Familien eine Krankenversicherung gewähren soll. Jedes Mal hat George W. Bush ein Veto eingelegt. Nun brachten die Abgeordneten die Reform erneut auf den Weg, schließlich wird von Dienstag an ein neuer Mann das Land regieren. Barack Obama will den Gesundheitsschutz für sozial schwache Kinder in Kraft treten lassen. Damit will er sich aber nicht begnügen.

Kongressabgeordnete nannten das wiederentdeckte Gesetz eine Anzahlung auf Obamas Versprechen, allen Amerikanern eine bezahlbare Gesundheitsversicherung anzubieten, ein Versprechen, das schon viele demokratische Politiker gegeben haben, aber nicht halten konnten. Die Erinnerung an das grandiose Scheitern von Hillary Clinton ist noch frisch: Gleich nach der Vereidigung ihres Mannes Bill hatte sich die Präsidentengattin 1993 daran gemacht, eine Radi-kalreform des Gesundheitswesens durch den Kongress zu peitschen. Doch sie scheiterte am Widerstand der Republikaner und der Versicherungskonzerne, die mit teuren Privatversicherungen viel Geld verdienen.

So blieb es beim Status quo. 46 Millionen Amerikaner haben keine Krankenversicherung, und täglich werden es mehr. Betriebe, die der Rezession zum Opfer fallen, hinterlassen Arbeiter, die nicht nur ihren Job, sondern auch ihren Gesundheitsschutz verloren haben. Krankheit ist für sie ein sicherer Weg in die Privatinsolvenz. Die in den 1960er Jahren von Präsident Lyndon B. Johnson geschaffenen Staatsprogramme Medicare und Medicaid bieten nur rudimentären Schutz. Sie gelten für Rentner, Behinderte und die Ärmsten der Armen. Die Masse schützen sie nicht. Obama will die Mängel von Johnsons Sozialgesetzgebung beheben und zugleich aus Clintons Fehlern lernen. Hillary wollte eine Pflichtversicherung, er setzt auf Freiwilligkeit. Wo sie polarisierte, will er Allianzen schmieden. Obama schlägt einen Mittelweg zwischen einem rein staatlichen und einem völlig privaten Gesundheitssystem vor. Die öffentlichen Programme will er ausbauen und mit privaten Anbietern konkurrieren lassen. Gleichzeitig sollen auch Kleinunternehmer verpflichtet werden, Angestellten eine Versicherung anzubieten. Das unabhängige Tax Policy Center schätzt, dass Obamas Plan innerhalb von zehn Jahren die Zahl der unversicherten Amerikaner um 30 Millionen senken und etwa 1,6 Billionen Dollar kosten würde. Experten sind skeptisch, ob das Vorhaben mitten in der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten durchsetzbar ist.

In jedem Fall bedarf das Projekt sorg-fältiger Planung und detaillierter Ab-sprachen mit dem Kongress. Deshalb will Obama Tom Daschle, einen der Veteranen des Washingtoner Politikbetriebs, zum Gesundheitsminister machen. Fest steht, dass konservative Republikaner erbitterten Widerstand leisten werden. Auch in den Reihen der Demokraten gibt es Politiker, die meinen, das Land befände sich auf einer Rutschbahn in den Sozialismus, wenn es die staatliche Versicherung ausweite. Solche Vorbehalte bekam schon Präsident Johnson zu hören.

Private und öffentliche Programme müssen konkurrieren.

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Cadillac One

Der neue Staatschef fühlt sich der Autoindustrie verbunden - nicht bloß, weil seine Dienstwagen von General Motors stammen

Von Michael Kuntz

Detroit - Der neue Präsident wird die Leistungsfähigkeit der amerikanischen Autoindustrie unmittelbar und persönlich erfahren. Rechtzeitig zur Amtseinführung hat General Motors den "Cadillac One" an das Weiße Haus geliefert. Von der sechs Meter langen Präsidentenlimousine wird es mindestens fünf Exemplare geben, denn der 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika fährt stets im eigenen Wagen vor - überall auf der Welt. Die gepanzerte Sonderanfertigung mit Konferenztisch und Nebelwerfer hat mit einem normalen Cadillac wenig zu tun. Es handelt sich um einen Panzer, der einer "Limo" ähnelt, allenfalls 160 Kilometer pro Stunde schafft und für hundert Kilometer deutlich über 20 Liter Benzin verbraucht.

Die Ingenieure von General Motors waren beim "Cadillac One" besonders gefordert. Nicht nur, weil es sich um eine Kleinserie von Einzelanfertigungen handelte. Vor allem darf GM seinen wichtigsten Kunden nicht verprellen. Ohne Barack Obama läuft nichts mehr in der Schlüsselindustrie, von der etwa 15 Millionen Arbeitsplätze abhängen.

Automanager hoffen auf einen konjunkturellen Obama-Schub. Der erste farbige Präsident werde alles in seiner Macht stehende tun, um den Zusammenbruch der "Big Three" von Detroit zu v erhindern. Zu viel hängt für Obama davon ab, dass dies gelingt. Denn angesichts einer ganz überwiegend nichtweißen Bevölkerung im Bundesstaat Michigan und 16,2 Prozent Arbeitslosen dort bereits heute, kann er sich Konkurse von GM, Chrysler und Ford nicht leisten. Sie kämen einem politischen Selbstmord des neuen Präsidenten gleich. Außerdem: Die Gewerkschaft der Automobilarbeiter UAW zählte zu Obamas bedeutenden Helfern im Wahlkampf.

Deshalb sind auf der Automesse in Detroit alle davon überzeugt, dass Obama die amerikanischen Autohersteller am Leben erhalten wird - koste es, was es wolle. Allein für GM gab es bisher 13 Milliarden Dollar. Dabei wird es nicht bleiben. Bis Ende März muss die einstige Industrie-Ikone ihr Konzept für eine umfassende Sanierung vorlegen.

Die Aussichten sind finster. GM teilte mit, man rechne für 2009 nur noch mit 10,5 Millionen verkauften Fahrzeugen in den USA. Bisher war der Konzern von zwölf Millionen Autos ausgegangen.

Zwar setzen asiatische Konkurrenten die "Big Three" seit den achtziger Jahren unter Druck, doch begonnen hat die akute Krise der US-Hersteller acht Tage nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Da startete GM seine patriotische Rabatt-Aktion "Keep America rolling" - es muss weitergehen in Amerika. GM eröffnete eine Preisschlacht, die heute noch tobt und letztlich jene selbst traf, die damals das Land retten wollten. Sie müssen nun selbst gerettet werden.

Die Aktion war zunächst erfolgreich, die Autos in den USA sind im Schnitt 3,5 Jahre und damit weniger als halb so alt wie in Deutschland. Doch bei den bis zum Herbst sehr hohen Benzinpreisen konnten sich die Amerikaner ihre Lieblingsautos nicht mehr leisten, die großen Geländewagen und Pick Ups. Genau mit denen hatten GM, Ford und Chrysler klotzig verdient. Der Absatz brach ein, inzwischen sind auch sparsame Kleinwagen nur noch schwer verkäuflich.

Besser als unter George W. Bush dürfte es GM, Ford und Chrysler beim Präsidenten Obama in jedem Fall ergehen. Erst nach langem Zögern rückte der Texaner kurz vor Weihnachten Staatsgeld heraus und hielt die Konzerne am Leben.

Die Rolle von General Motors als Hoflieferant des Weißen Hauses hat sehr lange Tradition: Präsident Woodrow Wilson nahm mit einem Cadillac nach dem Ersten Weltkrieg die Siegesparade ab. Das war 1919 in Boston.

Die asiatischen Anbieter setzen Detroit seit den achtziger Jahren zu.

Der neue Präsident wird die US-Autoindustrie voraussichtlich retten. Wie zum Dank stellt ihm General Motors ein gepanzertes Auto zur Verfügung. Foto: GM

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Treffpunkt Wohnzimmer

In unsicheren Zeiten bleiben viele lieber zu Hause und verschönern ihr Heim

Von Stefan Weber

Düsseldorf - Auf eins konnte sich die Möbelbranche in den vergangenen Jahren stets verlassen: Ihre Geschäfte liefen immer dann besonders gut, wenn die Autohersteller über einen schleppenden Absatz klagten - und umgekehrt. Beide Branchen konkurrieren um den Teil des Budgets, das viele Verbraucher für langfristige Anschaffungen reserviert haben. Und da heißt es in den meisten Fällen: Entweder ein neues Auto oder eine neue Küche.

Die Zulassungszahlen sind in den vergangenen Monaten dramatisch zurückgegangen. Aber anders als bisher prognostizieren viele Fachleute auch den Möbelanbietern eine düstere Zukunft. Nach einer Umfrage der Unternehmensberatung Boston Consulting Group gehören sowohl Autos als auch Möbel zu den größeren Anschaffungen, die die Verbraucher in diesem Jahr eher meiden. Und Timo Renz, Geschäftsbereichsleiter Möbel bei der Unternehmensberatung Wieselhuber & Partner, sagt Herstellern und Handel kräftige Umsatzrückgänge und eine verstärkte Auslese voraus. Im schlimmsten Fall würden die Möbelverkäufer zehn Prozent weniger umsetzen als 2008.

Die Branche will von solchen Vorhersagen nichts wissen. Das sei durch nichts gerechtfertigtes Krisengerede, schimpft Dirk-Uwe Klaas, der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Deutschen Möbelindustrie (VDM). Er ist überzeugt, dass die Firmen der schwierigen Konjunktur trotzen werden: "Die Möbelbranche kann sogar zum Gewinner der Krise werden. Denn in unsicheren Zeiten wie diesen sind viele Menschen gerne zu Hause und sparen deshalb nicht an der Wohnungseinrichtung." Tatsächlich registrieren Trendforscher seit einiger Zeit eine Lebensart, bei der das Zuhause zum sozialen Mittelpunkt wird. Soziologen sprechen von "Homeing": Statt in Restaurants zu gehen trifft man sich zum Kochen am heimischen Herd, das Wohnzimmerkino ersetzt den Besuch im Lichtspielhaus.

In den achtziger Jahren gab es einen ähnlichen Trend: Cocooning bezeichneten Trendforscher damals die Neigung vieler Menschen, sich in die eigenen vier Wände zurückzuziehen. Große Umsatzzuwächse hat diese Lebensart der Möbelwirtschaft nicht beschert. Aber Klaas bleibt zuversichtlich: "2009 wird die Branche eine schwarze Null schreiben."

Im vergangenen Jahr erwirtschafteten die Möbelhersteller ein Plus von zwei Prozent auf 19,9 Milliarden Euro. Selbst in den letzten drei Monaten des Jahres, als sich die allgemeine Krise bereits deutlich abzeichnete, seien die Auftragseingänge weder in der Industrie noch beim Handel eingebrochen, heißt es beim VBM. Beflügelt wurde das Geschäft von der regen Nachfrage aus dem Ausland. In Deutschland hatten vornehmlich die Anbieter von Büromöbeln und Küchen Grund zur Freude. Andere Hersteller, etwa von Polstermöbeln, verzeichneten schon 2008 einen kräftigen Umsatzeinbruch.

Der Blick auf das Branchenumfeld vermittelt ein uneinheitliches Bild: Pessimisten verweisen auf die weiter sinkende Zahl der fertiggestellten Wohnungen und steigende Arbeitslosenzahlen. Optimisten betonen, dass die Zahl der Haushalte immer noch steigt. Obendrein hätten die Verbraucher dank gesunkener Energiepreise und zum Teil kräftiger Lohnzuwächse einen größeren finanziellen Spielraum als im vergangenen Jahr.

Sicher ist, dass die wenigsten Möbelanbieter über größere Reserven verfügen, um eine länger andauernde Durststrecke durchzustehen. Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform beziffert die durchschnittliche Eigenkapitalquote der Hersteller mit nur zehn Prozent. Branchenkenner Renz ist deshalb überzeugt, dass einige Hersteller direkt in die Krise oder gar Insolvenz steuern, wenn die Umsätze um ein paar Prozent zurückgehen.

Spektakuläre Fälle wie die Pleite des Branchenführers Schieder im Jahr 2007 sind zwar bisher ausgeblieben, die Dramen spielen sich eher in kleinerem Ausmaß ab - wie im Oktober, als der fränkische Hersteller Völker Design in Finanznöte geriet oder kurz vor Weihnachten, als das branchenweit bekannte, traditionsreiche Kölner Einrichtungshaus Pesch Insolvenz anmeldete. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der produzierenden Betriebe mit mehr als 20 Mitarbeitern um 500 auf etwa 1000 gesunken. In dieser Zeit sind in der deutschen Möbelindustrie 50 000 Stellen weggefallen.

Kurzfristige Strategien zur Umsatzsteigerung helfen den Möbelbauern nach Einschätzung von Fachleuten nicht weiter. "Die Unternehmen müssen ihre Effizienz erhöhen", meint Renz. Wie das funktionieren kann, deutet VDM-Hauptgeschäftsführer Klaas an: Durch eine Reduzierung der häufig sehr breiten Produktpalette beispielsweise. Oder ein Abspecken der Produkte: "Vielen Kunden ist es gleichgültig, ob die Füße eines Sofas aus Edelstahl sind, oder nur noch in Edelstahloptik daherkommen."

Möbelmesse: Der Kampf ums schmale Budget der Kunden

IMM KÖLN

Die internationale Einrichtungsmesse

vom 19. bis 25. Januar 2009

Wohlgefühl im Jahr 1967. Wenn das Geld knapper wird, wird das Zuhause wichtiger. Foto: SV-Bilderdienst

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Kago-Zentrale durchsucht

Postbauer-Heng - Polizei und Staatsanwaltschaft haben die Zentrale der Kamin- und Kachelofenfirma Kago in Postbauer-Heng bei Nürnberg durchsucht. Dies bestätigte ein Sprecher der Nürnberger Staatsanwaltschaft. Hintergrund sind laufende Ermittlungen gegen Firmeninhaber Karl-Heinz Kago. Er steht im Verdacht, über Jahre hinweg Schwarzarbeiter aus Litauen in seinem Unternehmen, einem dazugehörigen Hotel und seinem Privatzoo beschäftigt zu haben. Auch das Hotel und der Privatwohnsitz des Unternehmers wurden durchsucht. Nach SZ-Informationen wurden zahlreiche Unterlagen beschlagnahmt. Die Ermittler interessieren sich dem Vernehmen nach vor allem für Vorgänge ab dem Jahr 2004. Ehemalige Beschäftigte des nach Umfragen bekanntesten deutschen Ofenbau-Unternehmens belasten ihren früheren Chef. Kago war für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Er hat die Vorwürfe bereits mehrfach vehement bestritten. urit

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HEINRICH DINCKELACKER

Geld für Porsche-Chef

Bietigheim-Bissingen - Porsche-Chef Wendelin Wiedeking hat Erfolg mit seinem Hobby als Schuhfabrikant: Die Heinrich Dinckelacker GmbH in Bietigheim-Bissingen, an der Wiedeking beteiligt ist, hat ihren Umsatz nach einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung 2008 um 13 Prozent gesteigert. Erstmals winke den Gesellschaftern eine Ausschüttung. Der frühere IBM-Manager Norbert Lehmann hält 60 Prozent, 30 Prozent Wiedeking, weitere zehn Prozent dessen Kommunikationschef Anton Hunger. 2005 übernahmen sie die Firma von Nachfahren des Gründers Heinrich Dinkelacker. Inzwischen verkauft die Manufaktur 9000 Paar handgefertigte Schuhe im Jahr. dpa

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KION

Kurzarbeit geplant

Frankfurt - Der Gabelstaplerhersteller Kion will die Beschäftigten in seinen deutschen Werken in Kurzarbeit schicken. Der Wiesbadener Konzern reagiere damit auf einen Einbruch bei den Bestellungen, berichtete die Tageszeitung Die Welt. Demnach sollen 1200 Kion-Mitarbeiter am Standort Hamburg ab Februar in Kurzarbeit gehen. Im Werk in Aschaffenburg seien 1000 Beschäftigte betroffen, am Standort Reutlingen mehrere Hundert Mitarbeiter. Die Kurzarbeit sei zunächst bis Ende März geplant. Kion war 2006 aus Gabelstapler-Sparte von Linde hervorgegangen und gehört den US-Finanzinvestoren KKR und Goldman Sachs Capital Partners. Reuters

Bis Ende März wird bei Kion weniger gearbeitet. Foto: dpa

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TOYOTA

Bänder stehen still

Tokio - Der weltweit größte Autobauer Toyota will angesichts der Absatzkrise seine inländische Produktion zwischen Februar und April halbieren. Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Kyodo vom Samstag unter Berufung auf Quellen in der Industrie sollen die Bänder für zwei Wochen stillstehen, die tägliche Produktion soll von 20 000 Autos auf weniger als 11 000 Wagen sinken. Erstmals seit August 1993 verringere Toyota die Produktion in dieser Größenordnung. Toyota erwartet erstmals in seiner Geschichte einen operativen Verlust. Im Konzern dürfte für 2008/09 (31.3.) operativ ein Fehlbetrag von 150 Milliarden Yen (1,2 Milliarden Euro) anfallen. Bei der Zahl der verkauften Autos erwartet Toyota einen Einbruch um 15,4 Prozent auf 7,54 Millionen Wagen. dpa

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Versicherung zahlt für Siemens

München - Die Siemens AG ist nach Informationen der Süddeutschen Zeitung zuversichtlich, im Korruptionsskandal einen höheren Millionenbetrag aus einer vor Jahren abgeschlossenen Versicherung zu erhalten. Aus Konzernkreisen hieß es am Wochenende, ein Assekuranz-Konsortium unter Führung der Allianz sei offenbar bereit, zu zahlen. Siemens hat sich für Schäden, die von Vorständen oder Aufsichtsräten verursacht werden, bei diesem Konsortium mit 250 Millionen Euro versichert. Das Konsortium will nach Angaben aus Siemens-Kreisen aber "nicht die volle Deckungssumme" zahlen. Offiziell äußert sich Siemens dazu nicht. Der Korruptionsskandal hat den Industriekonzern bislang fast zwei Milliarden Euro gekostet. Von ehemaligen Vorständen, die ein System von schwarzen Kassen und Schmiergeldzahlungen ermöglicht haben sollen, verlangt Siemens zwischen einer Million und sechs Millionen Euro Schadenersatz. Diese Beträge sollen die Ex-Vorstände aus ihrem privaten Vermögen zahlen. o.k.

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Manager sollen Bus fahren

Siemens will seine Top-Manager dazu bringen, mehr U-Bahn oder Bus zu fahren, wie ein Sprecher des Münchner Technologiekonzerns am Wochenende erklärte. Demnach sollen Führungskräfte ab 1. Februar eine monatliche "Mobilitätszulage" von 650 Euro brutto bekommen, wenn sie ganz auf ihren Dienstwagen verzichten und stattdessen den öffentlichen Nahverkehr nutzen. Wer trotzdem einen Firmenwagen haben möchte, der soll sich nach dem Willen von Konzernchef Peter Löscher für ein sparsames Auto entscheiden: Je höher der Schadstoffausstoß sei, desto geringer werde der Zuschuss des Unternehmens für das Fahrzeug ausfallen und umgekehrt, erläuterte der Sprecher, der von einer positiven Resonanz der Belegschaft ausgeht. Die Manager seien in einer Hausmitteilung über die Neuregelung informiert worden. Reuters

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Neues Lebensgefühl für 300 Euro

Jürgen Grabowski verrückt Tische, Schränke und Stühle bei Menschen, die mit ihrer Einrichtung unzufrieden sind

Von Stefan Weber

Würselen - Möbelhersteller und Einrichtungshäuser können von Glück sagen, dass es nicht mehr Menschen gibt wie Jürgen Grabowski. Denn dann liefen ihre Geschäfte womöglich noch schleppender. Der 52-jährige gelernte Werbekaufmann war lange Zeit in der Modebranche tätig, bis er eine ausgefallene Geschäftsidee hatte: Er verspricht Menschen, die mit der Einrichtung ihrer eigenen vier Wände unzufrieden sind, ein "neues Wohngefühl", in dem er die Möblierung der Zimmer ändert. Und das nicht etwa mit Hilfe umfangreicher Neuanschaffungen aus dem nächsten Möbelhaus, sondern allein unter Nutzung des vorhandenen Hab und Gut.

Ob Keller, Garage oder Speicher: "Ich sichte zunächst das gesamte Mobiliar, höre mir an, was die Kunden für ein Problem haben und entwickle dann Ideen, wie die Räume anders eingerichtet werden können", sagt Grabowski. Knapp sechs Jahre ist der Mann, der sich "Möbelflüsterer" nennt, bereits in seinem Job quer durch Deutschland unterwegs. Mehr als 1000 Wohnungen hat er in dieser Zeit umgestaltet.

Darunter auch das Haus von Barbara Freiwald-Kuckartz und ihrem Mann in Würselen, nahe Aachen. Zwei Jahre wohnte das Paar in dem schmucken Altbau, ohne sich dort jemals richtig wohl zu fühlen. "Aufteilung und Einrichtung der Räume gefielen uns nicht. Aber wir hatten keine Idee, wie wir es besser machen könnten", erzählt die selbständige Kosmetikerin, die im Wohnhaus auch ein Studio zur Schönheitspflege betreibt. Schon gab es Pläne umzuziehen, aber Barbara Freiwald-Kuckartz konnte sich vom alten Zuhause doch nicht trennen. Über private Kontakte lernte das Paar im Herbst vergangenen Jahres den "Möbelflüsterer" kennen und ließ ihm bei der Umgestaltung von Wohnung und Studio freie Hand. So viel Vertrauen ist wichtig, denn Grabowski entwickelt kein Konzept, das er mit den Auftraggebern bespricht, sondern legt gleich los. Verrückt Schränke, stellt Sitzecken um, hängt Bilder ab, und so manches Möbelstück, das zuvor im Keller oder auf dem Speicher schlummerte, findet plötzlich in der Wohnung einen neuen Platz. So wie ein alter Esstisch mit mehreren Stühlen, der im Haushalt von Freiwald-Kuckartz im Keller stand und nun ein Blickfang im Wohnzimmer ist. Und wenn der vorhandene Fundus bescheiden ist? "Irgendetwas geht immer. Da ist Phantasie gefragt", sagt Grabowski. Seinen Kunden aus Würselen bastelte er aus zwei Blumenkübeln und einer Glasplatte, die zuvor einen Tisch im Garten geziert hatten, eine Abstellfläche im Wohnzimmer. Handwerkliche Aufgaben wie Anstreichen, Kabel verlegen oder gar Wände mauern lässt er - falls notwendig - von anderen erledigen. "Bei solchen Dingen habe ich zwei linke Hände." Grabowski ist Einzelkämpfer. Wenn schwere Dinge zu verrücken sind, wird meist der Hausherr gebeten, Hand anzulegen. Gut sechs Stunden benötigt der Möbelflüsterer in den meisten Fällen, um eine Wohnung neu zu gestalten. Für die ersten drei Stunden stellt er jeweils 60 Euro in Rechnung; ab der vierten Stunde verlangt er jeweils 40 Euro. "Für 300 Euro gibt es ein neues Wohngefühl", verspricht der 52-Jährige.

Sorge, dass ihm die Kunden ausgehen, hat Grabowski nicht. Die Krise könne sein Geschäft sogar beflügeln, hofft er. Denn statt neue Möbel zu kaufen könnten künftig mehr Verbraucher auf die Idee kommen, ihre Wohnung mit professioneller Hilfe umzugestalten. Ähnlich wie die Möbelwirtschaft setzt er darauf, dass die Trendforscher Recht behalten. Sie sagen voraus, dass sich die Menschen in Krisenzeiten gerne in die eigenen vier Wände zurückziehen - und mehr Wert auf die Verschönerung ihres Zuhauses legen.

Privatsphäre

Bis sie aber Grabowski beauftragen, müssen manche Wohnungsinhaber freilich über ihren Schatten springen. Denn ihre Wohnung empfinden viele Menschen als ihre Privatsphäre. Da lassen sie ungern einen Fremden in jeden Winkel gucken und Schränke verrücken. Grabowski dagegen vermutet, dass sich weit mehr Menschen in ihren vier Wänden unwohl fühlen als sie zugeben. "Eine Sitzgarnitur wirkt im Möbelhaus immer anders als im heimischen Wohnzimmer. Aber wer gesteht schon gerne einen Fehlgriff ein."

Erst Werbekaufmann, dann Einrichtungsberater: Jürgen Grabowski gestaltet Wohnungen um. Neue Möbel müssen sich seine Kunden nicht anschaffen, Grabowski verwendet die alten. Foto: Vennenbernd

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Klamotten statt Ambiente

Weil Italiener mehr Wert auf Mode und gutes Essen als auf Möbel legen, suchen die Designschmieden das Weite

Mailand. Irgendwie ist hier alles Design. Schon in der Bar am Bahnhof fängt es an. Mit den Espressotässchen von Illy. Kleine, illustrierte Meisterwerke. Der Besuch im Restaurant. Lampen von Artemide, die Parmesandose von Alessi, die Salzstreuer sowieso. Die Auslagen der kleinen Möbelgeschäfte im Stadtteil Brera - ein Traum. Orange Brionvega-Radios, die so sehr nach den 70ern aussehen, dass man nicht so genau weiß: Ist das nun noch Secondhand oder schon die neue Vintage-Linie? Dazwischen Danese Milano, Flos, Edel-Sofas von Poltrona Frau, bunte Plastiksessel von Kartell, Glastische von Zanotta. Die Verkäufer tragen Armani, Prada, Dolce & Gabbana. Was sonst. Und die Kunden sind - auffällig oft - ausländische Touristen. Italienisches Design landet überall, nur nicht in Italien: in Asien, den USA, in Russland. Es schmückt edle Lofts in Hamburg, Berlin und Schwabinger Altbaufluchten. Und die Italiener? Ein Gang durch die Wohnwelten zwischen Mailand und Palermo ist ernüchternd. Dafür, dass wir in einem Land sind, das als das globale Design-Zentrum gilt, gibt es nur wenige, die sich zu Hause auf Kartell-Stühle setzen und sich von Flos-Installationen beleuchten lassen.

Schränke von Oma

Stattdessen: Da steht die alte Kommode von der Tante im Schlafzimmer. Der Bauernschrank von der Oma im Wohnzimmer. Oder man hat sich gleich eine komplette Wohnungseinrichtung vom Schreiner machen lassen. Richtig schön schwer natürlich, am besten gleich als massive norditalienische Alpen-Adaption im Stil von Ludwig XIV. Besonders ältere Generationen mögen es gerne barock. Leichtigkeit? Wenig. Fragt man Italiener, warum das so ist, gibt es kaum Antworten. Vielleicht liegt es daran, dass man Design am eigenen Leib trägt. Designer-Klamotten sind ein Muss in einem Land, in dem es wichtig ist, bella figura zu machen. Designer-Möbel im eigenen Schlafzimmer? Für die bella figura vielleicht nur bedingt relevant. "Dafür sind halt Restaurants sieben Tage in der Woche voll", erzählt ein Mailänder. In den Designschmieden in der nördlich von Mailand gelegenen Möbelhochburg Brianza weiß man, dass man vor allem produziert, um zu exportieren. Zuletzt brummte das Geschäft noch. 2007 etwa haben die Italiener ihren Umsatz mit Möbeln und Holzprodukten um 4,5 Prozent auf fast 40 Milliarden Euro ausgebaut. Doch die Finanzkrise hat auch die Designer in Mailand und Florenz erwischt. Daher ziehen Italiens Möbelmacher jetzt gleich zum Verkaufen ins Ausland. Erste Möbelmessen haben die Mailänder bereits in Moskau und New York organisiert; zuletzt waren 500 Designschmieden in der russischen Hauptstadt angerückt, um ihre edlen Stücke anzubieten. Geplant sind jetzt auch große Design-Schauen in China und Indien. Thomas Fromm

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DE BEERS

"Geheiratet wird immer"

London/Johannesburg - Der weltweit größte Diamantenproduzent De Beers will sparen. In der ersten Jahreshälfte werde die Produktion in der Minen-Sparte zurückgefahren, kündigte De Beers in einem Interview mit Reuters an. Zu Stellenstreichungen könne es an Standorten in Botswana, Südafrika, Namibia und Kanada sowie am Hauptsitz in London kommen. Pläne zur Schließung von einzelnen Minen gebe es nicht. Diamanten gelten als krisensicher, im Weihnachtsgeschäft gingen aber auch die Verkäufe der Edelsteine wegen der Rezession zurück. Bei De Beers heißt es aber, es gebe eine grundlegende Nachfrage: "Nach wie vor verloben die Menschen sich, heiraten und haben Geburtstag." Reuters

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Streichkonzert in den USA

Der angekündigte Stellenabbau geht quer durch alle Branchen

New York - Massive Welle von Jobverlusten in der US-Wirtschaftskrise: Ein Unternehmen nach dem anderen kündigte am Wochenende den Abbau tausender Arbeitsplätze an. Am Schlimmsten trifft es die 30 000 Mitarbeiter der zweitgrößten US-Elektronikkette Circuit City. Der Handelskonzern ist pleite und wird liquidiert, alle Mitarbeiter dürften ihre Jobs verlieren. Der Mischkonzern General Electric (GE) erwägt laut einem TV-Bericht, 7000 bis 11 000 Stellen in seiner Finanzsparte zu streichen. Bei Hertz fallen mehr als 4000 Arbeitsplätze weg, bei AMD 900, beim Ölkonzern ConocoPhilips 1350. Der weltweit größte Pharmakonzern Pfizer will angeblich mit 2400 Stellen jeden dritten Arbeitsplatz in seinem Vertrieb streichen.

Circuit City versuchte noch bis zuletzt, einen Käufer für das Unternehmen oder neue Kredite zur Fortführung des Geschäfts zu finden. Am Freitag musste das Management jedoch das Scheitern eingestehen. Der anstehende Verlust von 30 000 Arbeitsplätzen auf einen Schlag dürfte der schwerste bei einem einzelnen Unternehmen seit Beginn der aktuellen Wirtschaftskrise werden. Circuit City sieht sich als Opfer des massiven Absatzeinbruchs bei Elektrogeräten in den USA, für den die seit fast 50 Jahren bestehende Kette schlechter gerüstet war als seine Konkurrenten wie Marktführer Best Buy oder der weltweit größte Supermarkt-Betreiber Wal-Mart.

Bei General Electric gehe es um mindestens 7000 der 75 000 Stellen in der Finanzsparte GE Capital, berichtete der US- Fernsehsender CNBC, der ebenfalls zu dem Mischkonzern gehört. Der Bereich, der in besseren Zeiten einen Großteil des Konzerngewinns lieferte, leidet seit Monaten schwer unter den Folgen der Finanzkrise.

Der Stellenabbau bei Hertz soll alle Bereiche und alle Regionen treffen. Da das Geschäft schrumpft, sollen die Kosten gesenkt werden. Der Wegfall der mehr als 4000 Arbeitsplätze soll helfen, im laufenden Jahr 150 bis 170 Millionen Dollar einzusparen.

Bei Pfizer treffen die Stellenstreichungen dem Wall Street Journal zufolge Außendienstmitarbeiter und das mittlere Management. Erst kürzlich hatte Pfizer den Abbau von 800 Arbeitsplätzen in der Forschung beschlossen. Bei Conoco-Philips ist der Abbau von 1350 Jobs, etwa vier Prozent der Belegschaft, eine Folge der drastisch gefallenen Ölpreise.

AMD streicht wegen der aktuellen Schwäche der Computerbranche weitere 900 Arbeitsplätze. Zusammen mit früheren Plänen zum Abbau von 200 Jobs gehe es um 1100 Stellen, etwa neun Prozent der Belegschaft, berichteten US-Medien.

Konzernchef Dirk Meyer und der Verwaltungsratsvorsitzende Hector Ruiz verzichteten zudem zeitweise auf ein Fünftel ihres Grundgehalts. Auch andere Angestellte müssen mit Einkommenseinbußen rechnen, wenn auch in geringerem Maße. In der aktuellen Krise werden Lohnkürzungen in den USA wieder häufiger als Sparmaßnahme eingesetzt. Unter anderem hatte der Baumaschinen-Hersteller Caterpillar im Dezember dazu gegriffen. dpa

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Alles eine Frage des Karmas

Kaum eine Stadt ist so chaotisch und voller Widersprüche wie Mumbai. Und kaum jemand verleiht ihr eine kräftigere Stimme als Shobhaa Dé. Die Bestsellerautorin, die als Souffleuse der Massen gilt, sieht Indiens Metropole vom Terror zwar getroffen, aber nicht erschüttert

Von Oliver Meiler

Mumbai - Ihre Tochter hätte im Hotel Taj Mahal Palace heiraten sollen, natürlich im Taj. Das war der Plan gewesen, vor den Anschlägen von Mumbai. Shobhaa Dé sagt: "Im Taj wurde schon mir der Hof gemacht, dort habe ich geheiratet, das Taj ist mein zweites Zuhause." Es kam anders, alles kam anders, vielleicht ist für immer alles anders.

Ihr Name hört sich wie eine schöne Erfindung an, wie eine verträumte Kreation. Shobhaa Dé. Aber der Name ist echt, wie alles echt ist an dieser Frau aus der verwöhnten Oberschicht Bombays, dem heutigen Mumbai. Sie ist geradeaus, selbstironisch, tabulos. In your face, würden die Engländer sagen. Und so ist auch ihr Schreibstil. "Ich schreibe manisch und manisch schnell." Sie trommelt mit den Fingern auf den Laptop, der vor ihr liegt. "2000 bis 3000 Wörter am Tag, immer, egal wo, es geht ganz einfach." Sie schreibt Kolumnen in mehreren Zeitungen und Zeitschriften, darunter die Times of India, die Bombay Times und The Week. Sie schreibt einen Blog. Und fünfzehn Bücher hat sie auch geschrieben, neun davon sind Romane, viele sind auch auf Deutsch erschienen. Sie handeln von den dekadenten Nächten Bollywoods, von der korrupten Politik und von Sex. Von Indien. Alles muss raus, wie es gerade kommt, einfach nur raus.

Niemand in Indien schreibt wohl mehr als Shobhaa Dé. Sie ist eine Souffleuse der Massen, eine Tabubrecherin. Niemand wird von mehr Indern gelesen als sie, über die Klassen und Kasten hinweg. In Delhi, in Ahmedabad, in Kalkutta, in Bangalore, in Chennai. Shobhaa Dé schreibt in Englisch. Übersetzt wird sie in Hindi, Marathi, Gujarati, in alle möglichen Sprachen des großen Landes. Sie hat "Hinglish", den bis dahin nur gesprochenen Slang aus Englisch und Hindi, der als Sprache der Filmindustrie und der kitschigen Fernsehserien dient, zur geschriebenen Sprache erhoben. Heute reden sie auch in Delhis Politik so, und im Parlament sind Abstimmungsvorlagen mit "Hinglish" durchsetzt. Die Zeitungsmacher benutzen den Slang für möglichst verständliche Überschriften.

Shobhaa Dé ist die Stimme des neuen Indien, mögen die Literaturkritiker das auch anders sehen. Mögen sie die Bestsellerautorin auch als Indiens Antwort auf Jackie Collins verschreien. "Das ist mir egal", sagt sie, und der Erfolg gibt ihr Recht. Ihre Bücher werden massenweise illegal kopiert und am Straßenrand des Colaba Causeway verkauft. Sie nennt dieses neue Indien "Superstar Indien" und meint damit den jungen Mix aus Boom und Bollywood, dieses neue und aggressive Selbstwertgefühl der größten Demokratie der Welt, die kein Terror und keine Krise zu zerstören vermögen. Höchstens etwas bremsen, trüben. Indien kommt von so weit her, hat schon so viel Weg hinter sich gebracht.

Shobhaa Dé, 61 Jahre alt, genau so alt wie das Land, einst Mannequin und Schönheitskönigin und studierte Psychologin, Mutter von sechs Kindern, in zweiter Ehe mit dem reichen Geschäftsmann Dilip Dé verheiratet, ist ein Teil von diesem neuen Indien. Ein Teil der Habenden, da oben, günstiges Karma. Sie ist selber ein Star. Sie lebt den Jetset, den sie beschreibt, sie glänzt mit der Glitzerwelt, geht auf ihre Partys, gibt selber welche. Sie frequentiert privat alle diese superreichen Inder, die sich in den Listen der obszön wohlhabenden Menschen der Welt etabliert haben. "Hier bist du niemand, wenn du nicht mit einer Armee schwerbewaffneter Bodyguards auf eine Party kommst", sagt sie, "oder wenn dir nicht mindestens zehn Leute am Flughafen das Zeug hinterhertragen, wenn du verreist." In den siebziger und achtziger Jahren hat sie als Journalistin drei Hefte verlegt, alle setzten diese Welt in Szene: Stardust, Society, Celebrity.

"Ich bin privilegiert", sagt sie und streicht eine ihrer langen Haarsträhnen aus dem Gesicht, "natürlich bin ich privilegiert mitten in der schockierenden Armut, die uns in dieser Stadt umgibt. Die Chinesen hätten die Armen längst aus dem Stadtbild entfernt, aufs Land hätten sie sie gebracht, damit sie niemand sieht, vor allem die Investoren nicht. In Indien ist alles da und sichtbar, alle Widersprüche." Überall und überall gleichzeitig. Mumbai ist eine Stadt ohne Übergänge, ohne jede Scheinheiligkeit.

Das Treffen mit Shobhaa Dé war eigentlich im Taj-Mahal-Hotel vorgesehen, natürlich im Taj. Wahrscheinlich hätte das Gespräch im Innenhof stattgefunden, neben dem Pool. Sie wäre wohl auf einem dieser schweren, weißen, metallenen Stühle gesessen, die auch in einem Schlosspark in Yorkshire stehen könnten. Livrierte junge Herren wären in der Nähe gestanden. Hätten mit vornehmer Zurückhaltung auf jede Geste geachtet, hätten sicher ungefragt Tee gebracht. Oder Shobhaa Dé wäre unter Kronleuchtern drinnen gesessen, in einem der Cafés, gewogen in dieser kolonialen Atmosphäre des Taj - fünf Sterne, Mumbais erste Adresse, 105 Jahre alt.

Das Taj - das war der Salon des Jetsets, eine Enklave, eine Raststätte des neuen Indien inmitten des alten und rasenden Indien, eine stolze Bühne für die Stars und Politiker, für die Intellektuellen und Neureichen, eine Art Café de Flore Mumbais ohne dessen intellektuellen Anspruch. Bis Granaten in den Hof fielen. Die schweren, weißen, metallenen Stühle flogen durch die Luft, als wären sie aus Plastik oder Holz. Mit Kalaschnikows zogen die Terroristen durch die Flure, auf einer Selbstmordmission, töteten Gäste und Angestellte, steckten die Suiten in den oberen Stockwerken in Brand, hüllten die Kuppel über dem Haupttrakt in Rauch und Flammen. Am 26. November 2008 war das 26/11, sagen die Inder. Das soll an 9/11 erinnern.

Shobhaa Dé hat dann zu sich nach Hause eingeladen, in ein Hochhaus unten an der Cuffe Parade, South Bombay. Mumbais Süden ist das chaotische Herz der Stadt, die Spitze der Halbinsel, höchste Bodenpreise. Danach kommt nur noch Meer, das Arabische Meer. Um vom Norden her, vom Flughafen etwa, hier runter nach Colaba zu kommen, wo Mumbai immer schmaler wird, braucht man meist viele Stunden, müht sich durch viel zu enge Straßen mit viel zu vielen Autos, Bussen, Taxis, Schubkarren, Motorrädern und auch Kühen.

Auf dieser Strecke, auf einigen Kilometern Straße nur in Mumbai, sieht man Dinge, verstörende und bizarre, wie man sie im Westen in einem ganzen Jahr nicht zu sehen bekommt. Junge Menschen ständig nahe am Tod, im Tanz zwischen den Autos, manchmal auch darunter. Alte Menschen mit erschütterter Würde und unerschütterlicher Fröhlichkeit. Menschen, die auf dem Sattel eines Motorrads schlafen, unter alten Bäumen leben, in Slums so groß wie Millionenstädte. Menschen, die aus offenen Bustüren hängen, als vollbrächten sie Figuren aus dem Zirkus. "Ist diese Stadt nicht der reine Wahnsinn?", fragt Shobhaa Dé und will keine Antwort. Sie würde nie anderswo leben wollen als hier drin, mitten drin, in einer Stadt, die in mehreren Jahrhunderten gleichzeitig lebt, unter Menschen im lauten Freudentaumel, in Trance um eine Gottheit, in Chören verloren. Menschen, Menschen, überall Menschen, so viele Menschen, 20 Millionen wohl, dass am Abend der Kopf dröhnt und pocht. Nach einigen Tagen hat man dann so viel gesehen, dass einen nichts mehr erstaunt. Da könnte ein Mann mit vier Beinen die Straße überqueren, man würde ihm nachschauen und nur mit den Schultern zucken.

Erst am Tor des Hochhauses, in dem Shobhaa Dé wohnt, hört dieses verstörende Mumbai auf. Nur der Geruch, der kriecht hinein in die Turmschluchten von Cuffe Parade. Auszumachen ist feuchte Modrigkeit und salzige Meeresluft, der Geruch aus frei getätigter Notdurft und aus Abfall, Räucherstäbchenduft und Moschus, Schwaden von Masala und Curry.

Shobhaa Dé sitzt an einem runden Tisch im Wohnzimmer vor dem Computer, zwei abgewetzte Handys darauf, die später ständig klingeln werden, die jüngste Tochter sitzt im Nebenzimmer und schaut fern. Die Fensterfront öffnet den Blick aufs offene Meer, auf große und lange Schiffe, die da im Dunst zwischen Ost und West kreuzen, scheinbar träge, als lägen sie nur im Wasser. So muss es hier immer schon ausgesehen haben, damals schon, als die Portugiesen die Stadt "Gute Bucht", Bombay, nannten. Wahrscheinlich hatte es damals noch mehr von diesen schönen Karavellen gegeben mit den großen Segeln, die sich festgesetzt haben in der Vorstellung über die alte Seefahrt. Die Stellung als Handelshafen hat aus Mumbai eine kosmopolitische Stadt gemacht, die weltoffenste Stadt Indiens. Ein Pool für alles, ein Sündenpfuhl auch.

Die Lebensgeschichte von Shobhaa Dé war nur hier möglich. "Ich wurde in eine progressive, gebildete, wohlhabende Familie geboren", sagt sie. Shobhaa Dé versucht nicht, ihre Saga zu schönen. Es ist nicht die Geschichte eines trotzigen sozialen Aufstiegs. Sie war immer schon oben. "Ich musste mich nicht befreien, von nichts, ich habe nur irgendwann entschieden, mich zu exponieren." Und sie tat das, indem sie Tabus brach. Vor allem waren es Tabus rund um die Intimität. In ihren Büchern beschrieb sie den Sex so explizit, wie das zuvor niemand gemacht hatte, keine Frau jedenfalls. Für eine traditionelle Gesellschaft wie die indische, in der schon ein flüchtiger Kuss in der Öffentlichkeit ein Sakrileg sein kann, war das eine Revolution, von oben. "Ich provoziere meine Leser mit meinen Texten. Auf viele wirkt das befreiend." Wahrscheinlich hat Shobhaa Dé mehr erreicht für das Selbstwertgefühl der indischen Frauen als viele Regierungsprogramme. Sie hat die Frauen wohl auch auf Ideen gebracht, die sie davor nicht gehabt hatten oder nicht gewagt hatten zu haben. Sie brachte ihnen zum Beispiel bei, wie der Flirtfaktor wirkt, wie körperliche Attribute in Szene zu setzen sind. "Als Aktivistin oder gar als Feministin will ich aber nicht bezeichnet werden, ich habe keine politische Agenda, bin keine Lobbyistin. Ich würde mich für einen Mann genauso einsetzen, wenn er es denn verdienen würde. Nur ist es meistens so, dass die Frau die Rolle des Underdogs einnimmt, überall auf der Welt, bei uns ganz besonders."

Eine berühmte Ausnahme gab es da schon, Shobhaa Dé schrieb mit aller Macht gegen sie an: Sonia Gandhi. Die Witwe des ermordeten Premierministers Rajiv Gandhi, stieg nach dessen Tod zur mächtigsten Frau Indiens auf. "Es ist doch absurd", sagt Shobhaa Dé, "dass es dieses Milliardenvolk nötig hat, eine Italienerin ohne jeden politischen Leistungsausweis, ohne intellektuelle Brillanz zur Anführerin zu machen, nur weil sie zufällig die Witwe aus der führenden Dynastie ist. Ich war schockiert. Diese Frau hatte eine Helikoptersicht auf das Land." Eine Perspektive ohne Bodenhaftung, ohne Berührung mit der indischen Wirklichkeit.

Diese Distanz haben mittlerweile viele Inder aus der neuen Oberschicht. Sie entfremden sich vom alten Indien, sie stehen nie Schlange, entgehen dem Chaos, lassen den Verkehr für sich sperren, kennen die richtigen Polizisten dafür. Auch Shobhaa Dé lebt so. "Ich will nicht heucheln, auch ich profitiere von vielen Annehmlichkeiten." Doch sie glaubt, dass sie die richtigen Reflexe behalten hat. Sie würde sich als impulsiv beschreiben. Shobhaa Dé erzählt, wie sie einmal aus dem Auto stieg, als ein Mob von 40 Leuten einen Mann und eine Frau schlug und an den Haaren über die Straße zerrte. "Wir waren auf dem Weg zum Flughafen, ich überlegte nicht viel, wusste auch nicht, worum es ging, stieg einfach aus und stellte mich dazwischen." Die Kinder im Fond hatten Angst. "Ja, die Kinder der neuen Mittel- und Oberschicht sind schon weit weg vom alten Indien", sagt Shobhaa Dé, "sie wissen nicht, wie Indien einmal war, sie wollen es gar nicht wissen, sie verdrängen auch die sozialen Gräben. Dabei ist es noch nicht so lange her, dass die meisten Inder Hunger litten." Dass das nationale Schicksal in der Schwebe lag.

Nach der Unabhängigkeit dachten viele, die Inder würden scheitern ohne die ordnende Hand von außen. Hungersnöte würden das Land in die Knie zwingen, alles würde auseinanderfallen. Schließlich war Indien, bevor die Briten es einten, keine Einheit, sondern ein halber Kontinent mit vielen Fürstentümern und Königshäusern, vielen Kulturen und Sprachen.

"Indien ist noch immer nur ein Gefühl, eine Emotion", sagt Shobhaa Dé. Ihr Mann ist Bengale, aus der Gegend von Kalkutta. "Er kommt von einem Ort, der liegt 2000 Meilen weg von hier, uns vereinte fast nichts, unsere Leben folgten einem völlig unterschiedlichen Script, bis wir uns kennenlernten, 1981. Anderes Essen, andere Sitten, andere Sprache. Nur die Religion verband uns. Und natürlich Bollywood, die zweitgrößte Religion dieses Landes." Jeder in Indien versteht Bollywood. Nichts hat Sinn: die Musik nicht, die Geschichten nicht, die Dialoge triefen vor Belanglosigkeit. "Der Inhalt ist immer derselbe: ,Küss mich, küss mich, berühr mich, berühr mich'." Doch Bollywood ist ein sozialer Katalysator. Mumbais Filmwelt dient der nationalen Identitätsstiftung. "Wir sind besessen von Bollywood, alle. Auch die Armen in den Slums träumen den Traum der Stars, sie gönnen ihnen den Erfolg."

Da sei fast kein Neid, sagt sie, fast nur Verehrung. Und die innere Gewissheit, dass es das nächste Leben besser mit einem meinen könnte, dass das Karma ja nicht ewig währt. "Auch das ist einmalig an Indien, ist es nicht so?", fragt Shobhaa Dé und will wieder keine Antwort.

Eine schöne Verklärung ist das. Die Habenden hoffen, dass sich die Habenichtse dem Fatalismus genügsam ergeben, dass sie überzeugt sind, ihr Schicksal werde von höheren Mächten gelenkt und dass die Zeit der Revanche bald kommt - im nächsten Leben.

Am 26. November 2008, 19.30 Uhr, saß Shobhaa Dé in ihrer Welt, im Taj Mahal Palace, natürlich im Taj. Als die Terroristen Granaten in den Hotelhof warfen, um 21.30 Uhr, war sie schon weg. In ihrem Blog schreibt sie: "Das Bild des brennenden Taj wird mich nie mehr loslassen. Doch meine Tochter wird bald heiraten, und ja, das Fest wird im Taj stattfinden, irgendwann. Es mag getroffen sein, gebrochen ist es nicht."

Das ist eine schöne Metapher auf das neue Indien, auf Superstar Indien und seine Wehen, seine Leiden und Mühen. Nie war Mumbais Oberschicht direkter getroffen worden. Der Glamour, der Stardust verzog sich. Sogar Bollywood verstummte. Für einige Tage.

"Die Chinesen hätten die Armen längst aus dem Stadtbild entfernt"

Sie musste nicht kämpfen, sie war schon immer oben

Vielleicht meint es ja das nächste Leben besser mit einem

"Hier bist du niemand, wenn du nicht mit einer Armee schwerbewaffneter Bodyguards auf eine Party kommst": Die 61-jährige Shobhaa Dé in ihrer Wohnung in Mumbai. Foto: Times of India/AFP

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Triumphzug nach Washington

Wie einst Abraham Lincoln benutzt Barack Obama die Eisenbahn, um zu seiner Amtseinführung zu fahren - und ebenso wie dieser stimmt er die jubelnden Menschen an den Gleisen auf harte Zeiten ein

Von Reymer Klüver

Baltimore - Es ist das Ende einer langen Reise. Einer Reise, die ihn aus einem Provinzparlament im Mittleren Westen nun ins Weiße Haus führt. Zehn Waggons umfasst der Sonderzug, mit dem Barack Obama an diesem Samstag von Philadelphia nach Washington fährt, seiner Inauguration, seiner Amtseinführung am Dienstag entgegen. Am Ende dieses Zuges haben sie einen nachtblauen Salonwagen gespannt, mit Rosetten in den Nationalfarben blau-weiß-rot geschmückt, so einen Waggon, wie man ihn von Schwarz-Weiß-Fotos kennt und wie sie Präsidenten früher für ihre Reisen benutzten. Das gibt natürlich auch heute schöne Bilder, nur in Farbe. Obama genießt diese Fahrt offenkundig. Er winkt, im schwarzen Wintermantel gegen die Brüstung gelehnt, als der Zug an jubelnden Menschen vorbeigleitet. Und dreimal betätigt er die Signalpfeife des Zuges. So wie einst die Zugschaffner. "Dafür ist man nie zu alt", sagt er später.

Es ist eine Zugfahrt der Symbole, sorgfältig inszeniert, wie alles, was Obama in der Öffentlichkeit macht. Abraham Lincoln hatte diese Strecke 1861 zu seiner Amtseinführung genommen, es war der letzte Abschnitt einer Reise, die ihn wie nun Obama aus dem Kongress des Bundesstaats Illinois in Springfield bis ins Weiße Haus nach Washington führte. Und wie einst Lincoln die Fahrt nutzte, seine Landsleute auf die damals bevorstehenden harten Zeiten einzustimmen - er kam auf 100 Reden in zwölf Tagen -, so tritt auch Obama an diesem Tag immerhin dreimal ans Rednerpult, um zu Anhängern zu reden und zu einer frustrierten, aber hoffenden Nation.

Tatsächlich gleitet Obama auf einer Welle des Wohlwollens ins Amt. Fast vier Fünftel aller Amerikaner haben einen "vorteilhaften Eindruck" von ihm, wie es im Kauderwelsch der Meinungsforscher heißt. Will sagen: Amerika mag seinen neuen Präsidenten. Eine Generation liegt es zurück, dass die US-Bürger den neuen Vormann der Nation ähnlich aufgeschlossen begrüßten: Jimmy Carter kam 1977 auf 78 Prozent, bei Obama sind es nun sogar 79 Prozent mit "vorteilhaftem Eindruck". Aber nicht nur Carters oft qualvolle Präsidentschaft beweist, wie rasch ein Präsident den Rückhalt verlieren kann. Nur wenige Amerikaner möchten daran erinnert werden, dass George W. Bush nach 9/11 auf Beliebtheitswerte kam, die kein anderer erreicht hat. Und nun verlässt er das Amt, so ungeliebt wie selten ein Präsident.

In jedem Fall ist es ein gewaltiger Vertrauensvorschuss - und ein gewaltiger Erwartungsdruck. Und Obama vollführt unter den Augen der Nation einen Drahtseilakt. Zum einen schürt er die Hoffnungen mit all der geschichtsbefrachteten Symbolik. Wenn er Lincolns Zugfahrt nachfährt, ist allein diese Geste ein Versprechen. Lincoln ist den Amerikanern der Bewahrer der Einheit der Nation. Und wenn er in Philadelphia, der Stadt der Unabhängigkeitserklärung, die Gründerväter der Nation beschwört, ist es ein Ton, der bei vielen Amerikanern an ihr Innerstes rührt. "Wir brauchen eine neue Unabhängigkeitserklärung, nicht nur für unsere Nation, sondern für unser Leben", deklamiert Obama an diesem Samstagmorgen im kühlen, hohen Wartesaal des Bahnhofs an der 30. Straße von Philadelphia, ehe der Zug in Richtung Süden fährt, "eine Unabhängigkeitserklärung von Ideologie und Kleingeist, von Vorurteilen und Engstirnigkeit, einen Appell nicht an unsere niederen Instinkte, sondern an unsere besseren Engel." Von den besseren Engeln hatte auch Lincoln damals gesprochen.

Das ist der hohe Ton seines Wahlkampfs, den er an diesem Tag wieder bemüht. Und die ganze Fahrt ist nichts als eine Mutmachtour. "Wenn wir Amerikaner auch einmal niederstürzen", ruft er nur Stunden später vor dem roten Gründerzeit-Backsteinbahnhof von Wilmington in Delaware, "kommen wir immer, immer wieder auf die Beine." Das wärmt nicht nur die Tausenden, die bei froststarrender Kälte auf dem Bahnhofsvorplatz ausharren. Die Botschaft soll die vielen Amerikaner aufrichten - ebenfalls vier Fünftel -, die glauben, dass sich ihr Land auf dem falschen Kurs befindet, auf Kurs Richtung Abgrund.

Doch zugleich versucht Obama die Erwartungen zu dämpfen. Erst am Donnerstag, bei einem Besuch in der Redaktion der Washington Post, sagte er, dass er nichts "überversprechen" wolle, wie er sich ausdrückte, also nicht zu viel verheißen will. Sonst werde man schnell gegen die Wand fahren: "Wenn man die gedrückte Stimmung heben will, gehört es dazu, dem Volk ehrlich zu sagen, wie tief das Loch ist, in dem wir stecken. Und dann muss man die Zuversicht vermitteln, dass wir uns da rausschaufeln."

Beides versucht er auch auf dieser Zugfahrt in seine Präsidentschaft. Es werde "Fehlstarts und Rückschläge und Enttäuschungen" geben, warnt er auf seinem letzten Halt in Baltimore, vor dem mit Sternenbannern geschmückten Rathaus der Stadt. Doch dann hebt er noch einmal an. Nie, sagt er unter dem Jubel Zehntausender auf dem Rathausplatz, dürfe man den Geist der Gründerväter vergessen, "die glaubten, dass sie die Kraft haben, die Welt zu erneuern".

Viele glauben, das Land befinde sich auf Kurs in Richtung Abgrund

"Wir kommen immer, immer wieder auf die Beine": Barack Obama und sein Vize Joe Biden werden bei ihrer Zugfahrt von Anhängern gefeiert. Foto: AP

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Karikatur

Putins Verstrickungen SZ-Zeichnung: Horsch

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Blick in die Presse

Gut und Böse

Die internationale Presse schreibt über George Bush und Barack Obama. Am Dienstag findet in Washington der Amtswechsel statt.

SUNDAY INDEPENDENT (London):

"Er ist der neue Kennedy, der neue Roosevelt, sogar der neue Lincoln. So wie Kennedy ist er ein Idealist ohne Illusionen. Gleichzeitig ist er ein Außenseiter, ein Kandidat, der eine ganz neue Präsidentschaft verspricht. Seine Neuartigkeit geht über seine Hautfarbe hinaus. Er verkörpert den Wechsel durch sein Alter, seine Herkunft und sein Temperament. Er ist der erste Präsident des 21. Jahrhunderts. Wir wissen, dass der neue Präsident nicht alle Erwartungen erfüllen kann, doch wir wissen auch, dass sich etwas Grundlegendes ändert. Diese Woche werden wir einen Präsidenten bekommen, der die Welt nicht mehr in schwarz-weiß sieht, sie nicht mehr in Gut und Böse aufteilt. Darin liegt unsere Hoffnung."

GÖTEBORGS-POSTEN (Göteborg):

"Das Gute und das Böse sind in dieser Welt zu finden, und zwischen beiden gibt es keine Kompromisse. So drückte sich Präsident George W. Bush in seiner letzten Rede vor der Nation, der Welt und der Geschichte aus. Sicher gibt es Gutes und Schlechtes auf der Welt. Aber zwischen Gutem und Schlechtem liegt eine unendlich lange Grauskala. Große Politiker können zwischen falsch und richtig unterscheiden, beherrschen vor allem aber auch die Kunst, Politik auf der Grauskala und damit Kompromisse zu machen. Bush hat diese unerlässliche Kunst nicht beherrscht. Als er überdies den fatalen Fehler beging, böse Handlungen für einen guten Zweck zuzulassen, endete das Ganze in der Katastrophe. Bush geht in die Geschichte als einer der schlechtesten Präsidenten der USA ein."

LE FIGARO (Paris):

"Bush leistet Obama einen großen Dienst. Auf seinen Schultern lastet alle Kritik an Amerika: der Krieg im Irak, das Hochsicherheitsgefängnis Guantánamo, die Finanz- und Wirtschaftskrise. Im Gegensatz dazu wird uns Obama als der Träger einer wunderbaren Erneuerung vorgeführt. Doch Obama macht sich keine Illusionen. Er ist sogar der Erste, der den Weg für eine Rehabilitierung Bushs frei macht. Dass Verteidigungsminister Robert Gates auch nach dem Wechsel im Weißen Haus zunächst im Amt bleibt, spricht für den Pragmatismus Obamas und ist ein Zeichen dafür, dass die Politik Bushs gar nicht so schlecht war, zumindest in seiner zweiten Amtszeit. Der Misserfolg der Präsidentschaft Bushs ist in vielen Bereichen offensichtlich, doch sein Porträt ist oft zu vereinfacht und karikaturenhaft gezeichnet worden."

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Putin Spielführer, die Ukraine Spielball

Russlands Ministerpräsident wahrt im Gasstreit seine Interessen noch besser als die seines Landes

Von Frank Nienhuysen

Der Gasstreit ist beendet, aber damit ist längst noch nicht alles in Ordnung. Gern würde man der Ukraine einen Dauerauftrag empfehlen oder Gazprom zu einer Einzugsermächtigung raten, denn formal begann die Krise mit einem Streit über die Schulden der Ukraine. Niemand kann sagen, ob Kiew und Moskau zu Beginn des nächsten Winters nicht wieder genauso streiten werden. Dass sich der Konflikt zu einer solchen Groteske über Leitungsdruck und Pumpstationen auswachsen konnte, ist bitter nicht nur für die frierenden Menschen in Südosteuropa. Dem Westen hat das demonstriert, welch begrenzten Spielraum in der Energiepolitik die Europäer trotz ihrer geballten Konsumentenkraft haben.

Die EU hat zwar mit dem Hinweis auf die erkalteten Heizkörper enormen und am Ende auch erfolgreichen Druck aufgebaut. Andererseits hat Moskau den Druck effektiver an die Ukrainer weitergeleitet als die Gasströme. Russlands Vorwurf, die Ukraine habe sich wie ein Dieb verhalten und sei deshalb allein schuld an den Kalamitäten gewesen, ist die auftrumpfende Geste eines Landes, das sich seiner Macht sicher ist. Dass Kiew von 2010 an westeuropäische Preise zahlen muss, zeigt, wie richtig Moskau mit dieser Einschätzung lag.

Für Europa sind das schlechte, aber keineswegs neue Nachrichten. Den Beschluss, nun nach Alternativen zu suchen zum mächtigen Gasexporteur Russland, hat Brüssel im Prinzip bereits nach dem ersten russisch-ukrainischen Gasstreit getroffen. Aber so leicht und schnell lassen sich die Energieströme nun einmal nicht umlenken. Mit rohstoffreichen Ländern wie Kasachstan, Turkmenistan oder Aserbaidschan direkt zu verhandeln, ist einerseits sinnvoll, und die EU hat damit längst begonnen. Aber auch Russland versucht hartnäckig, diese postsowjetischen Staaten energiepolitisch auf seine Seite zu ziehen. Die Abhängigkeit von der Ukraine als Transitland zu verringern, wäre eine andere Überlegung für die Europäer.

Zwar hat sich die Ukraine nicht selber in diesem Gasstreit diskreditiert, wie die Russen dies gern behaupten. Aber die Ukraine ist nun einmal Spielball russischer Machtpolitik, und im Winter ist davon auch stets halb Europa betroffen. Wenn weniger Gas durch die Ukraine flösse, stünde Russland als Sieger da, das sich nach dem Ende des Scharmützels um die geplante Ostsee-Pipeline von Russland direkt nach Deutschland nun wohl keine Sorgen mehr machen muss.

Vielleicht war dies ein Teil des Moskauer Kalküls. Auffällig war jedenfalls, wie früh sich Ministerpräsident Wladimir Putin zum Wortführer in einem Konflikt machte, der eigentlich zwischen zwei Unternehmen ausgefochten wurde. Nebenbei zementierte er seinen Ruf, noch immer der Oberstratege der russischen Politik zu sein, ganz unabhängig von Präsident Dmitrij Medwedjew. Putin in Moskau, Präsident Viktor Juschtschenko in Kiew: Dies war das Fernduell, und im Kern war der Zwist von Anfang an politisch. Doch während Putin dem russischen Volk nun erklären kann, er habe der Ukraine den Übergang zu Weltmarktpreisen abgerungen, ist der ukrainische Präsident in rhetorischer Not.

Zuerst hatte Juschtschenko die Moskauer Konferenz abgelehnt und im eigenen Land einen unbedeutenden Gegengipfel angesetzt. Nun aber kommt seine Gegnerin Julia Timoschenko aus Moskau mit einer Einigung in einem Streit zurück, welcher der Ukraine im Westen mehr geschadet als genutzt hat. Große Chancen auf eine Wiederwahl als Präsident im nächsten Jahr hat Juschtschenko nicht. Durch den Gasstreit hat er sie gewiss nicht mehren können.

Sicher, in Brüssel ist auch die ohnehin große Skepsis gegenüber Russland weiter gewachsen. Pragmatismus statt strategischer Partnerschaft dürfte künftig das Verhältnis der EU zum Kreml bestimmen. Aber anders als die Ukraine will Russland ja auch nicht der EU beitreten.

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Olmerts angeblicher Sieg ist eine Niederlage

Verwüstung in Gaza, mehr Unsicherheit in Israel - nach der Offensive steht es schlechter als zuvor

Von Thorsten Schmitz

Seit Wochen ist die halbe Welt damit beschäftigt, den Gaza-Krieg durch eine anhaltende Waffenruhe zu ersetzen. Keine Mühen, keine Reisen werden gescheut, um Israel und die radikal-islamische Hamas davon zu überzeugen, dass Raketen weder Frieden noch Freiheit bringen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat sein Büro in New York verlassen, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy den Elysee-Palast, sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel am Wahlsonntag Berlin, um die brüchige Waffenruhe abzusichern und den Wiederaufbau des Gaza-Streifens zu koordinieren. Doch Herrscherin über Krieg und Ruhe bleibt die Hamas. Eine Woche lang will auch sie nun die Waffen schweigen lassen, aber wenn sich Israel bis dahin nicht aus dem Gaza-Staub gemacht hat, wieder Kassams abfeuern.

Was eigentlich hat Israels Vergeltungsoffensive, was hat der Gaza-Krieg gebracht - außer mehr als 1300 Tote, mehr als 5300 Verletzte und eine relativ unergiebige Krisendiplomatie? Israels Regierungschef Ehud Olmert verkündet, das Ziel der Offensive sei erreicht worden. Doch bislang ist er eine Erklärung schuldig geblieben, was das Ziel des Kriegs gegen Hamas überhaupt gewesen ist. Nur vage hat er davon gesprochen, man wolle die Sicherheitssituation im Süden Israels ändern. Aber allein in den vergangenen drei Wochen haben Hamas-Terroristen mehr als 700 Raketen auf Israel abgefeuert. So redet sich Olmert kurz vor Ende seiner Amtszeit seinen zweiten Krieg schön - wie er es bereits beim Libanonkrieg getan hat.

Hamas mag zerstritten sein und mehrere hundert Kämpfer verloren haben, doch die Mehrheit der 1,5 Millionen Menschen im Gaza-Streifen sieht Israel als den Schuldigen an Verwüstung und Zerstörung. Der angebliche Sieg Israels, von dem Olmert spricht, ist in Wahrheit eine Niederlage. Die Offensive hat Hass und Wut gesät und Israel Unsicherheit gebracht. Anstatt sich darauf zu beschränken, die Tunnel zwischen Ägypten und Gaza zu bombardieren und dadurch die Versorgung der Hamas mit Waffen und Munition zu stoppen, hat Israel den Gaza-Streifen flächendeckend mit einem Krieg überzogen, der auch ein Krieg gegen die Zivilbevölkerung war.

Israels Offensive führt auch die Machtlosigkeit der internationalen Staatengemeinschaft vor Augen. Sie besitzt keine einheitliche Strategie im Nahost-Konflikt, reagiert immer nur dann, wenn es längst brennt, und verfügt noch nicht einmal über den Einfluss, Ägypten zur wirksamen Kontrolle seiner Grenze zu zwingen. Wenn das Ergebnis des Gaza-Kriegs nur die vage formulierte Vereinbarung zwischen Israel und den USA über die Grenzkontrolle im Süden des Gaza-Streifens und eine internationale Konferenz ist, welche die Tunnelwirtschaft beenden und zum Wiederaufbau beitragen soll, zeigte das zweierlei: Um die Beziehungen zwischen Jerusalem und Kairo ist es trotz Friedensvertrags nicht gut bestellt. Und der Gaza-Krieg war überflüssig.

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Wirre Drohungen

Zwei Nachrichten von diesem Wochenende scheinen sich zu fügen wie Teile eines Puzzles. In Kabul hat sich ein Selbstmordattentäter vor der deutschen Botschaft in die Luft gesprengt und fünf Menschen in den Tod gerissen. Im Internet wiederum tauchte ein angebliches Video des Terrorbundes al-Qaida auf, in dem wegen des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr Drohungen gegen Deutschland ausgestoßen werden. Es drängt sich die Sorge auf, dass Deutschland stärker als zuvor ins Visier des islamistischen Terrors gerät. Schon allein diese Sorge können die Islamisten als Erfolg verbuchen, denn ihre effizienteste Waffe im Kampf gegen den Westen ist nicht Sprengstoff, sondern Angst.

Stumpf wird diese Waffe dort, wo sie auf Besonnenheit trifft. Zwar ist offensichtlich, dass die Deutschen in Zeiten weltweiter Terrorgefahr nicht auf einer Insel der Seligen leben. Allzu eilfertig aber wäre es, den Anschlag vor dem Botschaftsgelände und das Video zum Beleg eines gestiegenen Risikos zu nehmen. Es bestehen erhebliche Zweifel daran, ob die deutsche Botschaft in Kabul tatsächlich das Ziel des Anschlages vom Samstag gewesen ist. Auch die Echtheit des recht wirren Drohvideos ist nicht erwiesen. In jedem Fall aber wurde es lange vor dem jüngsten Anschlag aufgenommen. Die scheinbaren Puzzleteile passen nicht zusammen.

Ohnehin kann sich Deutschland in seiner Afghanistan-Politik weder von Videos noch davon leiten lassen, wen sich zynische Mörder in Kabul zum Opfer wählen. Die Deutschen stehen in Afghanistan in der Verantwortung. Wer sich aus ihr stehlen will, sorgt nicht für mehr Sicherheit. Weder in Afghanistan noch in Deutschland. dbr

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Neue Achsen braucht die Bahn

Wie viel Glück der Mensch hat, wie viel Pech ihm erspart bleibt, das erfährt er glücklicherweise fast nie. Bei der Bahn ist das ähnlich. In langsamer Fahrt entgleiste im vorigen Sommer in Köln ein ICE, die Achse war gebrochen. Das hätte auch kurz vorher oder kurz nachher passieren können, die Folgen wären katastrophal gewesen. Die Bahnmechaniker, durch den Achsbruch besonders aufmerksam, fanden kurz danach winzige Risse bei anderen ICE. Was noch alles hätte passieren können - keiner weiß es.

Sicher ist, dass die Achsen der betroffenen ICE-Baureihen seitdem zu den meistgeprüften Bauteilen Deutschlands gehören. Wenig wird seit dem Achsbruch so akribisch, so häufig untersucht wie der Zustand ihres Stahls. Was Bahnkunden beruhigen kann, ist für die Bahn ein ziemliches Ärgernis. Prüfen kostet viel Geld, Züge fehlen, Fahrpläne geraten durcheinander. Bahnchef Mehdorn möchte die Mehrkosten bei der Industrie eintreiben. Schließlich hat man die Achsen gekauft, damit sie rollen, möglichst viel und möglichst lange. Und deshalb hätte Mehdorn auch gern eine Zusicherung, wie lang eine solche Achse garantiert ohne Bruch fahren kann. Die Hersteller schweigen.

Aus gutem Grund. Gäbe es dann doch früher einen Achsbruch, einen verheerenden Unfall, müssten sie womöglich haften. Kein Hersteller wird dieses Risiko auf sich nehmen. Auch ist noch nicht erwiesen, dass Materialfehler allein schuld waren am Beinahe-Unglück in Köln. Nein, sie werden noch eine Weile streiten über das wichtigste Bauteil eines Hochgeschwindigkeitszugs. Irgendwann werden die Achsen vielleicht gegen solche aus besserem Stahl ausgetauscht. Dann wären alle Beteiligten aus dem Schaden sogar noch klug geworden. miba

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Amerikas Hoffnung

Was für einen Unterschied zwei Jahre doch ausmachen. Als Barack Obama im Februar 2007 offiziell seine Präsident-schaftskandidatur bekannt gab, schickte sich der Dow-Aktienindex an der Börse gerade an, in ungeahnte Höhen zu steigen. Amerikas Wirtschaft brummte, und allfällige Signale, dass faule Kredite eine Krise hervorrufen könnten, wurden geflissentlich übersehen. Es war der Überdruss am fernen Krieg im Irak, der Amerika beschäftigte - und Obamas Aufstieg ermöglichte.

Nun tritt er sein neues Amt unter diametral entgegengesetzten Vorzeichen an. Der Krieg ist der öffentlichen Aufmerksamkeit fast entrückt. Es besteht praktisch Einigkeit in allen Lagern, dass er so rasch wie möglich beendet werden muss. Es ist die Wirtschaftskrise, die alle Aufmerksamkeit absorbiert - und die Nation niederdrückt wie seit Jahrzehnten nicht mehr: Neun von zehn Amerikanern sehen die Wirtschaft des Landes am Rande des Abgrunds.

Obama hat auf doppelte Weise reagiert. Zum einen lässt er keine Gelegenheit aus, seine Landsleute auf bevorstehende harte Zeiten einzustimmen. Aber zugleich vermittelt er auf ansteckende Art und Weise Zuversicht, dass die Krise am Ende zu bewältigen ist. So hat schon einmal ein Präsident die Nation aus der kollektiven Niedergeschlagenheit geführt: der legendäre Franklin Delano Roosevelt. Und Obama knüpft ganz ungeniert an dessen Vermächtnis an. Tatsächlich sehen vier Fünftel aller Amerikaner den vier Jahren von Obamas kommender Amtszeit trotz der Krise mit Optimismus entgegen. Fast zwei Drittel glauben, dass er innerhalb dieser Frist die Krise in den Griff bekommen wird. Das ist nicht schlecht für den Anfang. rkl

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Hui und Pfui in Hessen

Von Heribert Prantl

In der Bibel gibt es einen Hirten namens David, in Hessen einen Politiker namens Schäfer-Gümbel. Beide sind Helden des Zufalls. David der Biblische war zunächst, wie Schäfer-Gümbel, nur ein Helferlein: Er wollte seinen Brüdern Brot und Käse bringen, um sie im Kampf gegen die Philister und den Riesen Goliath zu stärken. Das war auch die subalterne Rolle Schäfer-Gümbels vor einem guten Jahr, im Wahlkampf vor einem guten Jahr in der Ypsilanti-SPD. Dann verspielte diese ihren Beinahe-Sieg auf entsetzliche Weise. Und auf einmal stand er, der Zwerg, ganz vorne vor dem schwarzen Riesen - und musste sich die Lästereien des Roland Koch anhören.

Hier endet nun der Vergleich: Thorsten-David Schäfer-Gümbel konnte seinen Gegner natürlich nicht besiegen. Die Verhältnisse in Hessen sind zu komplex, die SPD ist zu zerstritten. Das mindert nicht die Leistung des vor kurzem noch unbekannten Sozialdemokraten: Er hat die SPD vor noch größerer Schmach bewahrt. Seine Partei ist in Hessen nicht komplett aufgerieben worden. Die Hessen-SPD stürzt zwar furchtbar ab, ist aber nicht völlig demoralisiert. Sie stürzt ab wie die Koch-CDU vor einem Jahr; sie steht nun so schwach da wie die SPD im Bund - und das in einem Land, das einst als das "rote Hessen" galt. Die SPD hat schon lang kein Stammland mehr.

Hessen ist ein neuerliches Beispiel dafür, wie immer mehr frühere Stammwähler zu kritischen Wechselwählern werden. Hessen ist zweitens ein Beispiel für den Aufstieg der ehedem kleinen Parteien zu Mittelparteien. Es ist drittens ein Exempel für die Verkurzfristigung der Politik: Hui und Pfui wechseln in immer schnellerem Tempo. In Hessen zeigt sich viertens, dass auch unter der schüttersten Personaldecke ein respektabler Kandidat herauskrabbeln kann: Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Gümbel her.

Bundespolitisch am bedeutsamsten ist der schier unaufhaltsame Aufstieg der Liberalen. Freidemokraten und Grüne sind Liberale verschiedener Ausprägung, sie wurzeln im gleichen Milieu. Die Krise der alten Volksparteien befördert die eher rechtsliberale FDP und die eher linksliberale grüne Partei in einem Maß, das mit den eigenen Verdiensten dieser Parteien nicht zu erklären ist. Es gibt eine großliberale Kraft als gesellschaftspolitische Strömung, die nur wegen der gegenseitigen Animositäten der sie verkörpernden Parteien koalitionspolitisch nicht zum Tragen kommt.

Geradezu wundersam ist die neue Stärke der FDP. Die Finanzkrise schadet ihr nichts, die Wähler nehmen es ihr nicht krumm, dass sie den Neoliberalismus zu ihrer Glaubenslehre gemacht hatte. In immer mehr großen Bundesländern regiert die FDP mit, sie macht der großen Koalition im Bund via Bundesrat das Regieren schwer. Bundesgesetze erreichen nach dem Wahlsonntag in Hessen ohne die FDP nicht mehr das Bundesgesetzblatt. Der Frust der Wähler über SPD und CDU nobilitiert die FDP.

Deutschland war jahrzehntelang Zweistromland: Da gab es den schwarzen und den roten Strom, die bei ihrem Mäandrieren einen kleinen Zufluss fanden. Aus diesem Zweistromland ist ein Dreistromland geworden: Nun gibt es den roten, den schwarzen und den gelb-grünen Strom. Das könnten gute Voraussetzungen für die Bewässerung des Landes, also für ein stabiles Regieren sein. Aber das bleibt Theorie, weil und solange diejenigen zwei Parteien, die vom roten Wählerstrom, und diejenigen zwei Parteien, die vom liberalen Wählerstrom gespeist werden, sich jeweils nicht vertragen.

Landtagswahlen zeitigen neuerdings wunderliche Ergebnisse: Zuletzt hat Bayern einen Ministerpräsidenten gekriegt, den keiner gewählt hat. Nun kriegt Hessen wieder einen Ministerpräsidenten, den die Mehrheit der Hessen (obwohl diese CDU und FDP gewählt hat) eigentlich nicht will. Koch ist unpopulär. Er ist eine Mischung aus einem Neoliberalen und einem Nationalkonservativen mit einem Schuss kalkulierter Unberechenbarkeit, die er als Liberalität verkauft. Kein anderer Unionspolitiker hat einen so maliziösen Ruf wie Koch. Er kann Staub aufwirbeln und später den Nachdenklichen mimen, der darüber klagt, dass es so staubt. In den Monaten des Ypsilanti-Durcheinanders hatte er Kreide genommen, weil Demut angesagt war. Nun ist das Ende der hessischen Kreidezeit da.

Diese Auferstehung Kochs könnte zu dem Fehlschluss verleiten, dass sich seine Kaltschnäuzigkeit im Wahlkampf 2007/2008 letztlich doch rentiert hat. Koch hatte damals das Thema Jugendkriminalität so infam intoniert, dass selbst Ypsilanti-skeptische Wähler nicht mehr so skeptisch waren. Die Hessen-Wahl 2009 ist nun nicht die Rehabilitierung der damaligen Unverfrorenheit, sondern die Quittung für die Dummheit Ypsilantis. Die Wahl von 2008 wird noch lang als Beleg dafür gelten, dass Wahlkampf-Primitivität Grenzen hat. Vom Typ Landesvater bleibt Koch so weit weg wie die Erde vom Mond. Als Wirtschaftsminister in Berlin wäre er besser aufgehoben.

Und was wird aus Schäfer-Gümbel? Es wäre gescheit, wenn er jedenfalls den Fraktionsvorsitz der SPD übernähme. Der Wahlkampf in Hessen war erst der Beginn des Kampfs der Sozialdemokratie um Läuterung und Besserung.

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Henry Tesch Kanufahrer und neuer Chef der Konferenz der Kultusminister

Manchmal, sagt Henry Tesch, fehlen ihm seine Schüler. Nein, amtsmüde sei er sicher nicht, aber er sehe sich weiterhin als Pädagogen. Früher war Tesch Lehrer und Direktor eines Gymnasiums in Neustrelitz. Nun steht er nicht mehr einer Klasse und einem Kollegium vor, sondern kann seine pädagogischen Künste in der Runde der Kultusminister anwenden. An diesem Montag übernimmt Tesch die Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz (KMK), der 46-Jährige wird dadurch bundesweit etwas bekannter werden.

Als Mann aus der Praxis wurde Tesch Ende 2006 Kultusminister in Mecklenburg-Vorpommern. Dort regiert eine große Koalition, weshalb Tesch, der erst nach Übernahme des Ministeramts in die CDU eintrat, es gewohnt ist, mit Sozialdemokraten Kompromisse zu suchen. In der KMK kommt ihm das zugute, denn wichtige Beschlüsse können die Minister nur einstimmig treffen.

Tesch ist ohnehin davon überzeugt: "Die Zeit der Ideologien in der Bildungspolitik ist vorbei."' Wie viele ostdeutsche Politiker betrachtet er die Frage der Schulstruktur pragmatisch. Im weitflächigen Mecklenburg-Vorpommern muss der Vater von zwei Kindern vor allem darum kämpfen, dass es überhaupt genügend wohnortnahe Schulen gibt. Seit der Vereinigung hat sich die Zahl der Erstklässler etwa halbiert, ein neues Schulgesetz soll nun helfen, flexibler auf den demographischen Wandel zu reagieren. Schulen sollen die Größen ihrer Klassen selbst bestimmen dürfen; Privatschulen beklagen allerdings, sie könnten durch die neue Art der Mittelberechnung schlechter gestellt werden.

Nicht nur der Schülerschwund, auch das Abwandern von Pädagogen bereitet Tesch Sorgen. Die Bundesländer konkurrieren heftig um den Lehrernachwuchs, Länder wie Hessen und Baden-Württemberg versuchen, Lehrer abzuwerben und sie mit einer besseren Bezahlung zu locken. In einem "konstruktiven Föderalismus'' müssten die Länder bei der Rekrutierung von Lehrern zusammenarbeiten, sagt Tesch. Der gebürtige Schweriner will außerdem eine bessere Ausbildung der Erzieherinnen und den Status der Sonderschulen zum Thema in der KMK machen. Den Sonderschulabschluss, regt er an, könnte man zu einem regulären Schulabschluss aufwerten. Das dürfte Tesch den ersten größeren Konflikt in der KMK bescheren: Kritiker werfen ihm vor, nur die Statistik der Schulabbrecher schönen zu wollen.

Ein bisschen politisches Gerüttel müsste Tesch aushalten können. Als Lehrer nahm er zweimal an einem Raumfahrt-Seminar in Houston und Kap Canaveral teil. Der Philologe, der Hesse und Heine verehrt, ist der Technik und den Naturwissenschaften gegenüber sehr aufgeschlossen. Die Simulation eines Weltraumflugs hat ihn fasziniert, zu einem echten Flug würde er nicht Nein sagen. Vielleicht wünscht er manchmal auch einen Minister-Kollegen auf den Mond, aber das sagt der umgängliche Schweriner natürlich nicht. Tesch wirkt, bei aller Freude am Fliegen, bodenständiger, er begann als Kommunalpolitiker in Roggentin. Wenn er Erholung sucht, befährt Henry Tesch mit einem Kanu die mecklenburgischen Seen. Tanjev Schultz

Foto: dpa

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Mysteriöser Blitz über Deutschland

Rostock - Ein greller Lichtblitz am Himmel hat am Samstagabend Menschen in Deutschland und Skandinavien in helle Aufregung versetzt. Möglicherweise handelte es sich um einen Meteoriten. Um kurz nach 20 Uhr flackerte laut Augenzeugen-Berichten ein bläulich-grünes Leuchten am Abendhimmel über der mecklenburgischen Ostseeküste auf - gefolgt von einem Grummeln, das an Gewitter-Donner erinnerte. "Ich dachte erst, da hätte jemand eine verspätete Silvester-Rakete oder eine bengalische Fackel gezündet", erzählte die Rostockerin Ivonne Machotzek am Sonntag. "Danach gab es ein dumpfes Grollen, und ich spürte einen Druck auf der Brust." Auch bei Polizeidienststellen und Radiosendern in Süd-Mecklenburg, Vorpommern, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt standen die Telefone vielerorts nicht still. Zwar sei noch nicht zweifelsfrei geklärt, ob die mysteriöse Erscheinung auf einen aus dem All herabstürzenden Gesteinsbrocken zurückzuführen sei, meinte ein Mitarbeiter des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Neustrelitz. Andere Erklärungen wie ein Wetterleuchten oder Nordlicht seien aber eher auszuschließen. "Es war wahrscheinlich ein Meteorit. So wären jedenfalls die Druckwelle und der Knall zu erklären - das sind Anhaltspunkte." dpa

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Sonderzug ins Chaos

Zum chinesischen Neujahrsfest reisen 188 Millionen Menschen mit der Bahn quer durchs Land - der Kampf um die Fahrkarten endet manchmal tödlich

Von Henrik Bork

Peking - Eine Rekordzahl von Chinesen kämpft derzeit auf den Bahnhöfen des Landes um Fahrkarten. Rund um das chinesische Neujahr, das dieses Jahr auf den 26. Januar fällt, werden 188 Millionen Bahnreisende erwartet. Das sind mehr als je zuvor und acht Prozent mehr als im vergangenen Jahr.

Das Neujahrsfest nach dem traditionellen Mondkalender, auf Chinesisch auch Frühlingsfest ("chun jie") genannt, ist das wichtigste Familienfest des Landes. In der Hauptreisezeit vom 11. bis zum 19. Januar wird zusätzlich die Rekordzahl von rund 24 Millionen Flugreisenden erwartet, eine Steigerung von 12 Prozent zum Vorjahr. 31 Millionen Menschen werden mit dem Schiff reisen. Und es werden, weil jeder Chinese mehr als eine Strecke zurücklegt, schätzungsweise zwei Milliarden Busfahrscheine verkauft werden. Doch nirgends wird es so ungemütlich werden wie in den schon jetzt hoffnungslos überfüllten Zügen, in denen die Menschen oft mehrere Tage und Nächte lang stehend eingequetscht sind, bis sie ans Ziel gelangen. Trotz eigens eingerichteter Sonderschalter herrscht derzeit auf allen Bahnhofsvorplätzen des Landes eine Art von Ausnahmezustand. Der Kampf um die Tickets ist hart. Dabei kam es in Hangzhou zu dem ersten tödlichen Unfall dieser Reisesaison. Ein 60-jähriger Mann brach nach einer durchwachten Nacht in einer Warteschlange zusammen und starb wenig später in einem Krankenhaus.

Der Fall erinnert viele Chinesen an die Tragödie kurz vor dem Neujahrsfest des letzten Jahres, als eine 19-jährige Studentin von einem mit 600 Menschen völlig überfüllten Bahnsteig geschoben wurde und von einem einfahrenden Zug getötet wurde. Ein anderer Mann war in Guangzhou im Februar 2008 zu Tode getrampelt worden, nachdem in einer Menge von 260 000 Menschen eine Panik ausgebrochen war.

Vergangenes Jahr mussten die Reisenden besonders viel leiden. Millionen Menschen campierten tagelang vor den Bahnhöfen, weil wegen schwerer Schneefälle ein Teil des Streckennetzes ausgefallen war. Chinas Premier Wen Jiabao hatte damals eine Bahnhofshalle besucht und sich für das Chaos entschuldigt. Dieses Jahr wird daher im Verkehrsministerium und auf allen Bahnhöfen rund um die Uhr gearbeitet. Angesichts des riesigen Passagieraufkommens fließt der Verkehr bislang erstaunlich reibungslos.

Schnee gibt es in diesem Jahr kaum. Dafür aber macht sich die internationale Wirtschaftskrise bemerkbar, die auch China schwer getroffen hat. Sie lässt die Zahl der Heimreisen offenbar noch weiter ansteigen. "In ganz China haben 4,8 Millionen Wanderarbeiter ihre Arbeitsplätze auf Baustellen in den Städten und in Fabriken verloren und sind auf dem Weg in ihre Heimatdörfer", berichtet die Zeitung Südliches Wochenende.

Solche Zahlen sind in China in der Regel nur eine Annäherung, weil nur regulär angestellte Arbeiter gezählt werden. In den vom Export lebenden Textilfabriken an der Ostküste hat seit Beginn der weltweiten Wirtschaftskrise eine Konkurswelle eingesetzt. "670 000 kleinere Betriebe haben bereits geschlossen und 6,7 Millionen Menschen sind arbeitslos geworden", sagte der Berater des Staatsrates Chen Quansheng. Doch Millionen von Bauernsöhnen, die sich als Wanderarbeiter verdingt hatten, tauchen erst gar nicht in solchen Statistiken auf.

Ein Beispiel dafür ist der 23-jährige Chen Hemei, der bis vor kurzem in einer Aluminiumfabrik in der südchinesischen Stadt Qingyuan gearbeitet hat. Vor einigen Tagen hat er sich die 150 Yuan (rund 17 Euro) für eine Bahnfahrkarte geliehen, um einen wenig ruhmreichen Rückzug in sein Heimatdorf in der Provinz Sichuan anzutreten. Als die Auftragsbücher der Aluminiumfabrik leer waren, hatte das Management die Löhne reduziert. "Ich bin nicht entlassen worden, aber ich habe einfach kein Geld mehr für die Miete und mein Essen", erzählte Chen einem chinesischen Reporter. Wie viele andere Wanderarbeiter wird er dieses Jahr wohl ein eher freudloses Frühlingsfest verbringen. Aber erst nach einer 17-stündigen Zugfahrt dritter Klasse, also im Stehen.

Bahnhof in Shanghai: Fast alle Chinesen wollen zum Neujahrsfest verreisen, nicht allen gelingt es. Foto: AP

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Eine Tat mit lebenslangen Folgen

Klaus Bourquain tötete vor 49 Jahren einen Fremdenlegionär - nun hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass er dafür nicht mehr bestraft werden darf

Von Hans Holzhaider

Riedenburg - Fast 49 Jahre ist das jetzt her: Es war der 4. Mai 1960, am frühen Nachmittag, im Grenzgebiet zwischen Algerien und Tunesien. Klaus Bourquain, 21 Jahre alt, ein Brauergeselle aus Magdeburg und seit drei Monaten Mitglied der Fremdenlegion, war als Wachposten eingeteilt. Er sollte die ligne bewachen, die mit Stacheldrahtrollen und Hochspannungsdrähten gesicherte Grenze zum Niemandsland, wo die Fellaghas, die algerischen Aufständischen operierten. Aber Klaus Bourquain wollte nicht gegen die Rebellen kämpfen. Im Gegenteil: Er wollte zu ihnen hinüber, er wollte sie in ihrem Befreiungskampf gegen die Franzosen unterstützen.

Nur deshalb hatte er sich in der Fremdenlegion anwerben lassen - um bei der ersten Gelegenheit zu desertieren und sich den Aufständischen anzuschließen. Und jetzt wäre die Gelegenheit da - wenn da nicht der caporal wäre, der mit ihm zusammen Wache schiebt. Klaus Bourquain hebt einen Stein vom Wüstenboden auf, aber er zögert. Er bringt das nicht fertig. Dann kommt ein Nebelfetzen, der die Anhöhe einhüllt. Da schlägt er zu, aber nicht fest genug. Der caporal springt auf, schreit ihn an: "Bist du verrückt" , und läuft weg. Bourquain gerät in Panik. Wenn der andere den nächsten Wachposten erreicht, werden sie ihn erwischen und erschießen. Er hebt die Maschinenpistole und schießt dem Fliehenden nach. Er zielt auf die Beine. Der caporal stürzt. Er steht nicht mehr auf. Er heißt Deisler, Erich Deisler, ein Deutscher wie Bourquain, gerade eineinhalb Jahre älter.

Klaus Bourquain gelingt es, die Grenze zu überwinden. Eine Streife der Rebellen greift ihn auf, er bleibt bei ihnen, bis der Krieg zu Ende ist. Ein französisches Militärgericht verurteilt ihn am 26. Januar 1961 in Abwesenheit zum Tode. 48 Jahre dauert die juristische Odyssee, die an jenem verhängnisvollen 4. Mai ihren Anfang nahm. Erst jetzt hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg einen Schlussstrich gezogen: Nach den Bestimmungen des Schengen-Abkommens darf Klaus Bourquain wegen seiner Tat nicht mehr vor Gericht gestellt werden.

Als der Krieg in Algerien beendet war, entschloss sich Klaus Bourquain, in die DDR zu gehen, wo er aufgewachsen war, ehe die Familie 1955 nach Dortmund übersiedelte. Die französische Regierung erließ schon 1968 eine Generalamnestie für alle Straftaten, die von Angehörigen der Fremdenlegion in Algerien begangen worden waren. Das Todesurteil des Militärgerichts war damit hinfällig. In Dortmund dagegen führte die Staatsanwaltschaft, einst von den französischen Behörden um Amtshilfe gebeten, weiterhin eine Akte über den Fall Bourquain. Sie stellte sogar einen Auslieferungsantrag an die DDR, der natürlich abgelehnt wurde. Erst 1983 wurde das Ermittlungsverfahren wegen Verjährung endgültig eingestellt. Man wertete die Tat als Totschlag, nicht als Mord. Das erfuhr Klaus Bourquain aber erst 1990, nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Gleich nach der Wende begab er sich ins Polizeipräsidium Dortmund, zeigte seinen Ausweis und fragte, ob gegen ihn etwas vorliege. "Alles in Ordnung", sagte man ihm. "Sie können gehen".

In der DDR hatte Bourquain angefangen zu schreiben. Auch über seine Erlebnisse in Algerien. Er hat nie versucht, seine Schuld am Tod des Legionärs Erich Deisler zu vertuschen, sie lag ihm schwer auf der Seele. Er unternahm Reisen, nach Indien, in die Sahara. Er beschäftigte sich intensiv mit Religionen, er las die Bibel und den Koran, die Edda und die Upanischaden, Laotse und Konfuzius. Er schrieb ein Buch: "Das Göttliche", in dem er auch noch einmal die Geschichte des Caporals Deisler erzählte. Er erinnerte sich, wie man ihm in Dortmund gesagt hatte, es sei alles in Ordnung. "In mir ist nicht alles in Ordnung", schrieb Bourquain, "und wird es auch bis an mein Lebensende nicht sein."

Im Jahr 2001 entschloss sich Bourquain, seine Stasi-Akte einzusehen, weil er sich sicher war, dass er in der DDR bespitzelt worden war. Im Amt des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen stieß eine Mitarbeiterin bei Durchsicht der Akte auf den alten Auslieferungsantrag der Staatsanwaltschaft Dortmund. In Dortmund beschloss ein Staatsanwalt nach einem entsprechenden Hinweis, die Akten anzufordern. Es solle überprüft werden, "ob sich neue Erkenntnisse ergeben haben, die eine Wiederaufnahme der Ermittlungen erforderlich machen". Weil Bourquain inzwischen in Riedenburg an der Donau lebte, schickte der Staatsanwalt die Akten an die Kollegen in Regensburg. Dort las sich der Staatsanwalt Karl Pfeiffer die Akte durch und kam zu dem Schluss: Es war Mord - Mord zur Verdeckung einer Straftat (der Schlag mit dem Stein auf den Kopf des Caporals Deisler) und zur Ermöglichung einer anderen Straftat - die Mitnahme der Maschinenpistole, die Eigentum der Republik Frankreich war. Pfeiffer erließ einen Haftbefehl. Am 10. Juli 2002 standen zwei Kriminalbeamte vor Bourquains Wohnungstür in Riedenburg und forderten ihn auf, mitzukommen: "Sie wissen ja, warum".

Fast ein Jahr lang blieb Klaus Bourquain in Untersuchungshaft. Am 26. Juni 2003 begann vor dem Landgericht Regensburg der Prozess wegen Mordes an Erich Deisler. Aber das Gericht erkannte schnell, dass die Rechtslage höchst kompliziert war. Bourquain war ja schon einmal verurteilt worden, und der Vertrag von Schengen enthält ein ausdrückliches Verbot der Doppelbestrafung. Andererseits war das Urteil des Militärgerichts ja nicht vollstreckt worden. Durfte man Klaus Bourquain nun noch einmal vor Gericht stellen oder nicht?

Diese Frage hat nun der Europäische Gerichtshof beantwortet. Es ist eine sehr komplizierte Entscheidung, aber im Ergebnis ist sie eindeutig: Das Verbot der Doppelbestrafung gilt auch dann, wenn das in einem anderen Vertragsstaat ergangene Urteil nicht vollstreckt werden konnte. Klaus Bourquain kann für seine fast 49 Jahre zurückliegende Tat nicht mehr bestraft werden.

Jedenfalls nicht von einem Gericht. "Ich bin erleichtert", sagt Klaus Bourquain, "aber die Schuld gibt es immer noch. Das ist etwas Bleibendes."

Der ehemalige Fremdenlegionär Klaus Bourquain darf nicht doppelt für eine lange zurück liegende Tat bestraft werden. Foto: Rolf Thym

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Mordopfer Kardelen in der Türkei beigesetzt

Istanbul - Das achtjährige Mädchen Kardelen aus Paderborn ist am Sonntag im Heimatort ihrer Familie an der türkischen Schwarzmeerküste beigesetzt worden. An der Trauerfeier nahmen die Eltern des Mädchens, Lokalpolitiker und viele Bürger teil. Das Mädchen war am Montag in Paderborn verschwunden. Seine Leiche wurde am Donnerstag entdeckt. Laut Obduktionsbericht war das Kind sexuell missbraucht und erstickt worden. Die Polizei in Paderborn hat bislang 410 Hinweise erhalten. Die Mordkommission habe aber noch keine heiße Spur, teilte die Polizei mit. AFP

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Vier Bergsteiger am Montblanc verunglückt

Lyon - In den französischen Alpen sind vier italienische Bergsteiger verunglückt. Wie die Gendarmerie mitteilte, wurden die Leichen der Männer am Sonntag im Mont-Blanc-Massiv geborgen und zur Identifizierung ins Tal gebracht. Die Alpinisten waren am Samstag zu einer Wanderung am Fuß des Gipfels Aiguille du Midi aufgebrochen. Die Männer seien möglicherweise bei einem 1000 Meter tiefen Sturz ums Leben gekommen, sagte der Sprecher. Die Bergsteiger waren zwischen 35 und 40 Jahre alt und stammten aus der Gegend von Turin. AFP

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Skifahrer aus Franken tödlich verunglückt

Kufstein/Wien - Ein 68 Jahre alter Skiläufer aus Franken ist am Wilden Kaiser in Tirol in den Tod gestürzt. Nach Angaben eines Polizeisprechers war der Urlauber am Samstagnachmittag im Skigebiet Scheffau abseits einer markierten Piste unterwegs und stürzte mehr als hundert Meter in die Tiefe. Er erlitt schwere Schädelverletzungen und einen Genickbruch. Im Skigebiet Lackenhof in Niederösterreich wurde bei einem Liftunfall am Wochenende eine Neunjährige schwer verletzt. Das Mädchen war beim Aussteigen mit dem Anorak am Liftbügel hängengeblieben und dann aus vier Metern Höhe auf die Piste gestürzt. dpa

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Putin-Gemälde erzielt hohen Erlös

Moskau - Ein von Russlands Regierungschef Wladimir Putin gemaltes Bild mit einem Fenster und Eisblumen ist für 37 Millionen Rubel (860 000 Euro) versteigert worden. Das Erstlingswerk mit dem Titel "Usor" (deutsch: Muster) erzielte bei der Wohltätigkeitsveranstaltung in Putins Heimatstadt St. Petersburg den Rekordpreis unter den Gemälden von 28 Prominenten, wie die Organisatoren mitteilten. Ungeachtet der Finanzkrise und sinkenden Preisen auf dem Kunstmarkt entschied sich eine Moskauer Galeristin für den "Putin". "Wladimir Wladimirowitsch ist ein ausgezeichnetes Bild gelungen, obwohl er als Künstler gerade erst angefangen hat", lobte die St. Petersburger Gouverneurin Valentina Matwijenko. Russische Medien zeigten Fotos von Putin mit Pinsel und Farbe in der Hand vor einer Staffelei. dpa

Werk mit großem finanziellen Wert: Putins erstes Ölbild. Foto: rtr

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Nonsens der Spitzenklasse

Die herrlich absurden Geschichten über Winnie-the-Pooh, den berühmten Bären von geringem Verstand, werden endlich fortgesetzt

Von Birgit Weidinger

Persönlichkeiten wie er können nicht in die Jahre kommen - sie sind immer da, heute, gestern und übermorgen. Deshalb ist keine Überraschung, was nun gemeldet wird: Die berühmten Pu-Geschichten des englischen Journalisten und Redakteurs A. A. Milne werden fortgesetzt.

Autor ist der gebürtige Londoner David Benedictus, Jahrgang 1938. Er hat in Eton, Oxford und an der State University von Iowa studiert, hat in verschiedenen Funktionen für den Rundfunk gearbeitet, zahlreiche Romane und Sachbücher veröffentlicht und an Schauspielschulen unterrichtet. Der Vater von vier Töchtern ist mit dem Pu-Thema sehr vertraut, weil er einschlägige CDs und Hörkassetten bearbeitet hat; er versichert, wie stolz ihn die Aufgabe gemacht habe, den Faden von Milnes Erzählungen weiterzuspinnen. Harry Rowohlt, dessen erfolgreiche Bärenübersetzung ins Deutsche alle Fans kennen und lieben, hat auch die Benedictus-Stories übertragen - und findet sie "ganz organisch anmutend". Im Herbst soll die deutsche Fassung bei Dressler erscheinen, gleichzeitig kommt in England und in den USA die englische Version heraus.

Die erste öffentliche Nachricht über den "Bären mit dem geringen Verstand" erschien zu Weihnachten, am 24. Dezember 1925, in der englischen Zeitung Evening News. In großen Lettern zog sich die Schlagzeile über eine Seite: "Eine Geschichte für Kinder von A. A. Milne." Sie wurde exklusiv in der Zeitung gebracht und am Tag darauf im Radio gesendet.

Am 14. Oktober 1926 erschien das Buch "Winnie-the-Pooh" in London, am 21.Okober wurde es in New York veröffentlicht. Die New York Herald Tribune war begeistert: "Das ist Nonsens der Spitzenklasse, in bester Tradition". Der Illustrator Ernest H. Shepard schuf die unverwechselbaren Zeichnungen zu den Pu-Geschichten. Gleich im ersten Jahr der Veröffentlichung wurden eine Million Exemplare verkauft. Auch die weiteren Bände erreichten hohe Auflagen. 1960 kam die lateinische Fassung "Winnie ille pu" auf den Markt, 1973 die griechische Ausgabe, Übersetzungen in zahlreichen anderen Sprachen kamen dazu. In den englischen Sprachgebrauch sind einige von Pus Spielgefährten eingegangen. So wissen die Engländer, was es heißt, wenn sich jemand so benimmt wie der eingebildete Tiger oder wenn von einem ganz besonderen I-Ah-Tonfall die Rede ist.

"Meinungen und Deinungen eines Bären von geringem Verstand "schrieb Harry Rowohlt als Untertitel zur deutschen Übersetzung, er habe ihn geträumt, behauptet er. Und Autor Milne fragte sich: Wie kann man behaupten, dass man irgend etwas über jemanden weiß? Was also wiegen Pus Träume? Wieviel zählen seine Fragen? Auf dieser schwankenden Ebene balanciert ein Teil von Pus großem Erfolg: Der wunderbare Bär will sich nicht mit der Latte des IQ messen lassen und ist damit unsterblich geworden.

Eine seiner vielen Fan-Gemeinden hat sich vor einigen Jahren über einen Forschungsbericht aus Berlin amüsiert, der sich dem aktuellen Stand der sogenannten Pu-Philologie widmete und unter anderem die wichtige Frage erörterte, woher der Bestandteil Pu in des Bären Namen Winnie-der-Pu stamme; so lautet Pus vollständiger Name. Vater Milne schenkte Sohn Christopher, der im Buch als Christopher Robin eine Hauptrolle spielt, zum Geburtstag einen Bären. der hieß zunächst Eduard Bär. Der Namensteil Winnie, das weiß man, geht auf Christophers geliebten Eisbären im Zoo zurück. Und was ist mit "Pu"? Als der Bär einmal mittels eines raffinierten und erfolglosen Manövers den Bienen ein wenig Honig abluchsen wollte, brauchte er seine Puste zur Abwehr einer Fliege, die sich auf seine Nase gesetzt hatte. Seine Hände und Arme waren nämlich damit beschäftigt, einen Luftballon zu halten. Also blies er: Pu, pu, pu.

Das Kind Christopher zieht seinen Bären immer hinter sich her, wenn es die Treppen hinuntergeht, dabei schlägt Pu mit dem Hinterkopf auf - rumpeldipumpel. Milne beobachtete solche Abgänge genau. Der studierte Mathematiker legte sich auf die Lauer, wenn sein Sohn mit seinen Tieren fantastische Abenteuer erlebt: Wer, bitte, hat schon mal einen Heffalump getroffen oder wer könnte die wahrhaftige Geschichte über den Verlust eines Eselschwanzes berichten? Auf "Pu der Bär" folgte zwei Jahre später "Pu baut ein Haus". Pu macht den Autor Milne reich und berühmt, doch er lässt ihn auch nicht mehr los: Die Werke für Erwachsene, die er schreibt, werden an den Bärengeschichten gemessen - und verrissen. Die Biographin Anne Thwaite hat das in Milnes Lebensbeschreibung einfühlsam geschildert. Dem Sohn geht es ähnlich: Schon als Jugendlicher hasst er es, dauernd nach seinen Kuscheltieren gefragt zu werden. Er zieht sich als Buchhändler nach Devon zurück, schreibt eine bittere Autobiographie: "Ich hatte das Gefühl, dass mein Vater dahin gekommen war, wo er war, indem er auf meine kindlichen Schultern kletterte, dass er mir meinen guten Namen gestohlen hatte und mich mit nichts als dem leeren Ruhm, sein Sohn zu sein, zurückließ."

Pus Erfolg wird dadurch nicht beeinträchtigt: Als Milne 1956 stirbt, haben seine Kinderbücher eine Auflage von sieben Millionen erreicht. In den 60er Jahren machen die Disney-Studios den Bären zum Trickfilmstar. Mittlerweile gibt es alle möglichen Poohphernalia, wie der Pu-Gedenk-Kitsch genannt wird.

Der Bär selbst und vier seiner Spiel- und Kampfgefährten sind in der New Yorker History and Social Science Library wie echte VIPs zu besichtigen: das ängstliche Ferkel, der melancholische Esel, das alerte Känguru Kanga mit dem kleinen Ru und der vorlaute Tiger.

Ob der berühmte Pu nun nochmal einen Karriereschub macht? Harry Rowohlt hat die Benedictus-Story gutgeheißen, und das heißt schon etwas. "Man könnte sagen, Christopher Robins Geist sei über Benedictus gekommen", meint er einem Interview.

Und wie findet Pu die Sache? Typisch: Er antwortet mit einem Lied. "Fragen, Fragen, immer nur Fragen. Ein Fisch kann nicht pfeifen, und ich kann nicht klagen. Gib mir ein Rätsel auf, ich werde sagen: Du must jemand anders fragen."

Pu auf einer Original-Zeichnung von E. H. Shepard (links): Mehr als 80 Jahre nach der ersten Geschichte von Autor A. A. Milne (rechts mit seinem Sohn Christopher Robin) erscheint bald eine Fortsetzung. Fotos: rtr, dpa

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Heute bei

Wohin Ribéry Bayern zieht

Mit Franck Ribéry kann der FC Bayern alles gewinnen - auch die Champions League. Ein Pro und Contra in der Serie "Steile Thesen" zur Rückrunde.

www.sueddeutsche.de/bundesliga

Ferien fatal

Manche buchen Abenteuerreisen, andere erleben so etwas ungeplant: Orientierungslos am Airport, Angriffe von Teletubbys, vergessene Ehefrauen etcpp.. www.sueddeutsche.de/pannen

Foto: dpa

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Gewaltexzess in der Werkstatt

Zwei Rechtsradikale sollen in Templin einen Saufkumpanen erschlagen haben - vor Gericht geht es auch um die Gesinnung der Täter

Von Constanze von Bullion

Berlin - Es wird ein Prozess, der in eine Lebenswelt führt, die viele nur vom Wegschauen kennen. Sie befindet sich am unteren Rand der ostdeutschen Gesellschaft, wo Obdachlose hausen, Alkoholiker, Rechtsextremisten und junge Leute, mit denen sich zuhause schon lange keiner mehr befasst. Manche von ihnen dürften Mühe haben, vor Gericht einen klaren Satz herauszubringen, denn nach elf Uhr vormittags sind sie in der Regel sturzbetrunken. Andere trinken nicht ganz so viel, aber haben das Sprechen nie gelernt und so ihre eigenen Formen der Kommunikation.

Sven P. und Christian W. gehören wohl zu ihnen, ab Montag müssen sie sich vor dem Landgericht Neuruppin wegen gemeinschaftlichen Mordes verantworten. Es geht um eine Tat, die sich vergangenen Juli im brandenburgischen Templin abgespielt hat und so brutal war, dass sie weit über die Stadtgrenzen hinaus für Aufsehen sorgte. Sven P., der 19 Jahre alt war, soll mit dem 21 Jahre alten Christian W. einen stadtbekannten Alkoholiker so lange gegen den Kopf getreten haben, bis der 55-Jährige tot war. Dann sollen die beiden vorbestraften Rechtsextremisten die Leiche mit Brandbeschleuniger übergossen und angesteckt haben.

Der Bürgermeister von Templin behauptete damals, es gebe keine rechte Szene in der Stadt, das hat ihm einigen Ärger eingebracht. Die Staatsanwaltschaft hat die politische Einstellung der Angeklagten sogar ins Zentrum des Verfahrens gerückt. "Die Anklage geht davon aus, dass die Täter entsprechend ihrer rechten Gesinnung das Opfer verachtet haben, weil es Hartz IV bezog und im Obdachlosenheim gelebt hatte", sagte die Sprecherin des Landgerichts vor Prozessbeginn. Weil dies als niederer Beweggrund gilt, wird auf Mord angeklagt.

Dass die Angeklagten sich zu den Vorwürfen äußern, steht eher nicht zu erwarten. Zu Wort kommen werden also vor allem die anderen, Uwe Liem zum Beispiel, ein Mann mit Rübezahlbart und wilden Tatoos, der einen guten Teil seines Lebens im Gefängnis verbracht hat. In der Nacht zum 22. Juli 2008 saß er im Obdachlosenheim von Templin, wo er lebt, und trank Bier mit Christian W., dem Sohn eines arbeitslosen Fleischers. Bei der Polizei ist Christian W. bestens bekannt, weil er schon als Kind geklaut hat, Keller anzündete, im Knast landete und nicht nur schnell zuschlägt, sondern sich auch mit Neonazis herumtreibt.

Mit am Tisch sitzt in jener Nacht auch das spätere Opfer: Bernd K., ein kleiner Kerl mit rotem Bart, in der Stadt nennen sie ihn "Stippi". Er kann keiner Fliege etwas zuleide tun, sagen die Leute, aber mit der Familie hat er Krach. Bernd K. hat eine Frau, zwei Töchter und ein Haus, aber er trinkt, bis alles den Bach hinunter geht. Mal schläft er jetzt bei den Obdachlosen, mal in einer vergammelten Werkstatt, die er geerbt hat. In der Tatnacht soll er Christian W. vom Obdachlosenheim dorthin mitgenommen haben.

Uwe Liem, der mit dem Rauschebart, war zu diesem Zeitpunkt wohl schon im Bett, dafür gesellt sich ein anderer Saufkumpan zu den beiden: Sven P., ein blasser junger Schulabbrecher mit Brille, der wegen diverser rechtsextremistischer Übergriffe zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Mal schlug er einen Passanten mit einem Teleskopstock und beschimpfte ihn als "Juden", mal belagerte er mit 30 anderen eine Kneipe, weil da einer mit dunkler Haut arbeitete.

Am Abend vor der Tat soll Sven P. auf dem Markplatz von Templin mal wieder mit "Sieg-Heil"-Rufen aufgefallen sein. Für die Staatsanwaltschaft ist dieses Detail neu - und nicht ganz unwichtig. Denn während unstrittig ist, dass beide Angeklagten zur rechtsextremistischen Szene von Templin gehören, muss sich vor Gericht noch erweisen, ob ihre politische Gesinnung auch tatsächlich die Motivation der Tat war.

Laut Anklage trinken Christian W. und Sven P. zwar Bier mit Bernd K., verachten ihn aber als "Penner". In der alten Werkstatt soll es dann zum Streit gekommen und Bernd K. zu Boden gegangen sein. "Insbesondere der Angeklagte P. soll auf den am Boden Liegenden mit großer Wucht im Kopfbereich eingetreten haben", sagt die Sprecherin des Landgerichts Neuruppin. Als Uwe Liem am Morgen seinen Saufbruder Bernd K. in dessen Werkstatt besuchen wollte, lag der mit zertrümmertem Schädel in einer Blutlache, die Wände seiner Werkstatt waren mit Blut bespritzt, Ermittler sprachen von einem "Gewaltexzess".

Ob es dem Gericht gelingt, seine Ursachen zu erklären, wird auch von Stephanie Z. abhängen. Sie ist 17 Jahre alt und ist in einem ärmlichen Plattenbau am Stadtrand aufgewachsen, in dem man viele eingetretene Haustüren sieht und auf betrunkene Mütter und Nachbarn trifft, von denen kaum noch einer Arbeit hat.

Stephanie Z. soll auf eine Sprachheilschule gegangen sein und war mit Christian W. zusammen. Am Morgen nach dem Mord soll er in ihrer Küche mit Sven P. über die Tat gesprochen haben. Sie hat das dann gleich der Bildzeitung erzählt, erst daraufhin wurden die beiden Angeklagten festgenommen. Ob Stephanie Z. noch einmal so freimütig sprechen wird, ist ungewiss. Nach ihrem Auftritt in der Zeitung hielt sie sich bei ihrer Mutter versteckt, es hieß, sie werde von Rechtsextremisten bedroht.

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"Wir schaffen es nicht"

Pilot spricht über die Notlandung in New York - Airbus geborgen

Nach der spektakulären Notlandung eines Airbus im Hudson in New York haben Taucher am Wochenende die Maschine aus dem eiskalten Wasser gehoben und die beiden Flugschreiber geborgen. Die Bergung war durch Kälte und Eis erschwert worden, bei einer Lufttemperatur von minus 15 Grad trieben am Samstagmorgen Eisschollen auf dem Hudson. Ein Kran hievte die Unglücksmaschine aus dem Fluss. Im Flutlicht waren die Schäden zu sehen, die der Aufprall auf dem Wasser verursacht hat: Die Spitze der rechten Tragfläche ist abgebrochen, aus dem Rumpf ragen Kabel und zerfetzte Metallteile, und die vordere Tür ist abgerissen.

Die Aufzeichnungsgeräte aus der Maschine wurden nach Angaben der New York Times in eisgekühlten Spezialbehältern zur Analyse nach Washington gebracht. Eines der beiden Triebwerke fehlte am Sonntag zunächst noch. Taucher hatten nach Angaben der Verkehrssicherheitsbehörde NTSB mit Sonargeräten eine mögliche Fundstelle geortet. Das zweite Triebwerk befand sich entgegen früheren Angaben noch an der Maschine. Nach der Bergung sollte der Airbus zur weiteren Untersuchung ins benachbarte New Jersey gebracht werden.

Von der Untersuchung des Triebwerks sowie der Auswertung der Flugschreiber erhoffen sich die Ermittler Aufschluss zur genauen Ursache des Unglücks. Der Pilot Chesley Sullenberger hatte sich am Donnerstag im Bruchteil einer Sekunde zur Notwasserung auf dem Hudson entschlossen, nachdem eine Kollision mit Vögeln beide Triebwerke beschädigt hatte. Alle 155 Menschen an Bord des Airbus A320 überlebten die harte Landung.

Eine Rückkehr zum Flughafen LaGuardia hätte zu einer Katastrophe in einer dicht besiedelten Wohngegend führen können, sagte Sullenberger den Ermittlern. Er habe rasch bemerkt, dass er "zu niedrig, zu langsam" gewesen sei, um noch die Landebahn in Teterboro in New Jersey zu erreichen, erklärte der ehemalige Kampfpilot. "Wir schaffen es nicht. Wir werden im Hudson landen", gab der Kapitän an den Tower durch.

Der künftige US-Präsident Barack Obama würdigte die Notwasserung als "heldenhaften und tollen Job". Obama versicherte dem Piloten am Freitag in einem fünf Minuten langen Telefonat, dass jedermann sehr stolz auf seine Leistung sei. Die New Yorker Stadtverwaltung und die Wasserwacht stellten Videos von der Landung zur Verfügung.

SZ

Komplizierte Bergung: Eisschollen und niedrige Lufttemperaturen erschwerten das Heben des verunglückten Airbus aus dem Hudson in New York. Bei der Notwasserung am Donnerstag hatten alle 155 Passagiere überlebt. Foto: Reuters

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DIE FRAGE

Warum gehen immer weniger Leute in Spielcasinos?

Die Berliner Spielbanken verzeichnen Umsatzrückgänge. Nach Angaben der Senatsverwaltung für Finanzen führten die Casinos im vergangenen deutlich weniger Geld an die Landeskasse ab als 2007.

Clemens Teschendorf, Sprecher der Senatsverwaltung für Finanzen: "Die Spielbank-Abgabe betrug 39,79 Millionen Euro im Jahr 2008, im Vorjahr waren es 71,16 Millionen Euro. Den Grund für den drastischen Rückgang sehe ich in der 2008 eingeführten Zutrittskontrolle beim Automatenspiel. Die Besucher müssen neuerdings ihren Ausweis vorzeigen. Auch das weitgehende Berliner Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden, Lokalen und Spielhallen hat Spieler abgeschreckt."

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LEUTE

Muntassir Jacob, 27, Friseur, hat seinen Herrensalon in Khartum, der Hauptstadt des Sudans, dem künftigen US-Präsidenten Barack Obama gewidmet. Den Salon Obama ziert ein riesiges Porträtfoto des künftigen US-Präsidenten, sein Name prangt in arabischer Schrift am Laden. "Ich habe das Geschäft kurz vor der Präsidentschaftswahl eröffnet, aber ich habe den Sieg Obamas abgewartet, um es zu benennen", erläuterte Jacob - dabei hätte er seinen Salon niemals nach dem Republikaner John McCain benannt.

Prinz Harry, 24, britischer Thronfolger, ist von einem pakistanischen Soldat, der von Harry abwertend "Paki" genannt wurde, nachträglich verteidigt worden. "Wir waren bei der Ausbildung enge Freunde, und ich weiß, dass er kein Rassist ist", sagte Ahmed Raza Khan der britischen Zeitung Sun. "Der Prinz rief mich mit einem Spitznamen, der normalerweise sehr verletzend ist. Aber ich weiß, dass er es nicht so gemeint hat." Die Äußerung war im Jahr 2006 gefallen, als Harry gemeinsam mit Khan in der Armee war.

Frau Antje, 36, Käse-Expertin, will heiraten. Das Gesicht der holländischen Käseindustrie heißt eigentlich Madeleen Driessen und ist Physikerin. Mit dem zukünftigen Herrn Antje, dem TV-Produzenten Roel Kooi, lebt sie bei Amsterdam. Kennengelernt hat sie ihn im Fernsehen als Frau Antje. Wird sie in Kittelschürze und Holzschuhen heiraten? So ein Käse: "Ich trage ein elegantes rotes Kleid mit tief ausgeschnittenem Rücken," sagte sie bei der Ernährungsmesse "Grüne Woche" in Berlin. Foto: AP

Patrick Swayze, 56, Schauspieler, ist nach einer Lungenentzündung wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden. Seine Sprecherin Annett Wolf sagte dem People-Magazin, der krebskranke Star sei nach einem einwöchigen Klinikaufenthalt wieder nach Hause zurückgekehrt und erhole sich bei seiner Frau Lisa, 52. Swayze ist seit 2007 an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt. "Ich bin lebendig und ich plane, das auch weiter zu bleiben", sagte er.

Heiner Lauterbach, 55, Schauspieler, hat seit seiner Hochzeit im Jahr 2001 nicht mehr mit seiner Frau getanzt. "Wir haben das gerade festgestellt", sagte Viktoria Lauterbach am Samstagabend auf dem 36. Deutschen Filmball in München. Für den Ball habe ihr Mann Besserung gelobt. Auf der Tanzfläche wurde das Paar allerdings nicht gesichtet. Die beiden verbrachten den Abend mit Lauterbachs Sohn Oscar aus erster Ehe.

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Im Hüllenbad

Berliner Badetriebe lassen erstmals muslimische "Burkinis" zu

Berlin - Auf den ersten Blick wirkt der Anzug nicht schwimmtauglich: Mit langen Ärmeln und Beinen, Kapuze und Tunika verhüllt der sogenannte Burkini die Schwimmerin komplett. Für gläubige Musliminnen ist er allerdings das einzige Kleidungsstück, mit dem sie sorglos ins Wasser gehen können. In Berliner Hallenbädern wird der Burkini - eine Kreation aus Burka und Bikini - jetzt erstmals probeweise zugelassen.

Ohne großes Aufsehen und im Einvernehmen mit den Berliner Bäder-Betrieben genehmigte Innensenator Ehrhart Körting im Dezember den zunächst bis Sommer befristeten Versuch. Damit folgte der SPD-Politiker der Praxis auch in anderen Bundesländern. Der Vorstandsvorsitzende der Berliner Bäder-Betriebe, Klaus Lipinsky, sagte, es gebe keine vernünftigen Gründe, den Burkini nicht zuzulassen: "Wir sind eine multikulturelle Stadt. Hier ist ein bisschen Toleranz gegenüber Andersgläubigen gefragt." Gleichzeitig dürfe der Burkini nicht dazu führen, dass Frauen dazu gezwungen würden, diese Ganzkörper-Badebekleidung statt eines normalen Badeanzuges zu tragen. Die Nachteile würden aber schon dann aufgewogen, wenn auch nur ein paar muslimische Mädchen infolgedessen schwimmen lernten, meinte er.

Erfunden wurde der Burkini von einer Tochter libanesischer Einwanderer in Australien, der es wenig Spaß machte, in ihrer Burka ins Wasser zu steigen, denn diese wurde schwer wie Blei, wenn sie sich mit Wasser vollsog. Inzwischen tragen den Burkini in Australien sogar Rettungsschwimmerinnen.

In Berlin setzte sich Nele Abdallah für die Zulassung in Schwimmbädern ein, die die vierteiligen Anzüge über ihre Firma Dressed To Swim vertreibt. Dort gibt es Modelle aus Polyester und Elasthan in verschiedenen Farben und Mustern ab rund 70 Euro. Andere Internetseiten bieten "Slim Fit"-, "Modest Fit"- und "Active Fit"- Schnitte an, je nachdem, wie sehr sie die Silhouette des Körpers verschleiern.

In Berlin wird laut Lipinsky nur zugelassen, was keine Rüschen und Schlaufen hat, in denen sich die Schwimmerin verheddern könnte. Sicherheit und Hygiene sind die obersten Gebote. Das Material muss leicht sein und darf sich nicht wie Baumwolle voll Wasser saugen. Im Juli ließ sich der Vorstand zusammen mit Schwimmmeisterinnen und Fachleuten eine Kollektion vorführen. Sie warfen auch einen Anzug einfach mal ins Wasser, um sich davon zu überzeugen, dass er oben treibt.

Probeweise wird der Burkini nun zunächst in zwei Berliner Hallenbädern zugelassen, nur während der Frauenschwimmzeiten. Stichprobenartig sollen die Bademeisterinnen kontrollieren, ob es sich tatsächlich um einen Badeanzug handelt und nicht um Straßenkleider oder gewöhnliche Sportbekleidung. Das weibliche Personal der Badeanstalten soll sich auch davon überzeugen, dass die Schwimmerin keine Unterwäsche trägt. Hält sie sich nicht an die Vorschriften, kann sie des Bades verwiesen werden. Verläuft der Pilotversuch erfolgreich, soll der Burkini in der Sommersaison auch in den Berliner Freibädern zugelassen werden. AP

Burkini im Einsatz: Musliminnen dürfen nun auch in zwei Berliner Hallenbädern verhüllt schwimmen gehen. Foto: Reuters

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Heute in der SZ

Alles eine Frage des Karmas

Für die Autorin Shobhaa Dé wurde Mumbai vom Terror zwar getroffen, aber nicht erschüttert. Von Oliver Meiler 3

Hui und Pfui in Hessen

Aus dem politischen Zweistromland Deutschland wird ein Dreistromland.

Leitartikel von Heribert Prantl 4

Eine Tat mit lebenslangen Folgen

Klaus Bourquain tötete vor 49 Jahren einen Fremdenlegionär.

Von Hans Holzhaider 9

Erst die Daten, dann das Geld

Beim Ausspähen von Magnetspur und Geheimzahl wenden Kriminelle ausgefeilte Techniken an. Von Helga Einecke 17

Tremolo der Bigotten

Nach dreieinhalb Jahren gibt Lance Armstrong ein umstrittenes Comeback.

Von René Hofmann 25

Das Milliarden-Wagnis

Die Sorge an den Hochschulen wächst, dass das Geld des Konjunkturpakets versickert. Von Birgit Taffertshofer 40

TV- und Radioprogramm 34

Politisches Buch 16

München · Bayern 32

Forum 33

Jetzt.de 39

Rätsel 15

Familienanzeigen 16

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HEUTE MIT

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Gewinnzahlen vom Wochenende

Lotto (17.01.): 4, 12, 32, 38, 42, 46

Zusatzzahl: 47, Superzahl: 1

Toto: lag noch nicht vor

Auswahlwette: lag noch nicht vor

Zusatzspiel: lag noch nicht vor

Spiel 77: 8 4 7 4 6 0 2

Super 6: 2 7 0 8 6 2

Weitere Gewinnzahlen: Geld,

Seite 27 (Ohne Gewähr)

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Das Streiflicht

(SZ) Am Anfang waren nur die Vögel im Luftraum. Also brauchten sie ihn sich mit niemandem zu teilen außer, eventuell, mit dem einen oder anderen Ufo. Dann trat der Mensch auf den Plan beziehungsweise den Planeten, gebückt zunächst, seine Vorderläufe ins Erdreich krallend. Er richtete sich auf und entdeckte - oh, wie schön, Darling, sieh doch, wie das flattert - über sich so ein Vöglein. Er versuchte, es diesem nachzutun, er streckte seine Arme und zog seine Beine hoch, aber außer, dass er dadurch ein paar Muckis kriegte, geschah nichts. Lange noch blieb der Mensch Bodenpersonal. Dann, 1889, erschien Otto Lilienthal auf der Bildfläche. Er war der erste, der sich die Tiere, denen er sich hinzugesellen wollte, zuvor intensiver anschaute. So entstand das Buch "Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst". Er las nun sein Buch noch ein paarmal, um sich ja auch alles einzuprägen, und konstruierte die ersten Flugapparate. Indes, mit dem Hinzugesellen hatte es ein schreckliches Ende: Am 9. August 1896 stürzte Lilienthal ab. Er fand, ohne dass er ihn gesucht hätte, den Tod. Ein wenig, ein wenig noch hatten die lieben Vögel Ruh'.

Jetzt, das wissen seit Freitag selbst die Fische im Hudson, herrscht Mordsverkehr im Luftraum. Der Mensch hat, erstens, Flugapparate sonder Zahl geschaffen und, zweitens, den Umweltschutz. Der ist zwar noch nicht sehr entwickelt, doch reicht er schon, dass wieder mehr Vögel herumflattern als früher, vor Jahrzehnten. In den USA hat sich die Zahl der Kanadagänse seit 1990 vervierfacht. Wo nun aber zwei Populationen rapide wachsen - Vögel und Flugzeuge -, muss es zu mehr Kollisionen zwischen beiden kommen; und siehe, auch die Zahl der Crashs hat sich vervierfacht. Schon ist die Rede von einem Kampf um den Platz da oben, von einem Wettbewerb um die Hoheit, schon sagt Herr Heinrich Weitz vom "Ausschuss zur Verhütung von Vogelschlägen im Luftverkehr", der Mensch müsse sich entscheiden: mehr Naturschutz oder mehr Flugsicherheit.

Herr Weitz, bitte beenden Sie den Kampf, ehe es zu spät ist! Die Fische im Hudson wissen, wer ihn gewinnen wird. Es ist anders als auf dem Boden, wo die Indianer verloren haben. In der Luft werden die Bewohner mit den älteren Rechten siegen. Weil sie die Fähigkeit zur Modernisierung besitzen. Eine Fünf-Kilo-Gans, die in eine Turbine brettert, hat die Zerstörungskraft einer 500-Kilo-Bombe. Herr Weitz, man muss kooperieren, Konzepte entwickeln, es gibt doch technische Möglichkeiten, oder? Was ist mit Flugrouten, die den Gänsen, schmerzfrei, versteht sich, per Laserstrahl vorgezeichnet werden? Mit himmlischen Infrarotleitplanken? Mit hübschen UV-Ampeln? Natürlich müssten sie an so einer Ampel Vorflug haben, die Vögel, denn wir, wir haben die Luft doch nur von ihnen geborgt! Schwerter zu Flugscharen, Herr Weitz!

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CSU nominiert Monika Hohlmeier

München - Die CSU-Politikerin Monika Hohlmeier steht vor ihrem Comeback. Bei der Aufstellung der CSU-Europaliste am Samstag in München setzte sich die frühere Kultusministerin und Tochter von Franz Josef Strauß im Kampf um einen sicheren Listenplatz durch. Ministerpräsident Horst Seehofer hatte sich für die umstrittene Kandidatin starkgemacht. (Seite 5 und Bayern) SZ

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Landtagswahl in Hessen

FDP-Triumph sichert Koch die Macht

Liberale legen deutlich zu, nur leichte Gewinne für die CDU / SPD stürzt dramatisch ab

Von Peter Fahrenholz

München - Dank starker Zugewinne der FDP kann Roland Koch in Hessen weiter regieren. Der geschäftsführende Ministerpräsident kam laut Wahlnachfrage bei der Landtagswahl auf knapp 40 Prozent der Stimmen. Die FDP konnte sich mit etwa 16 Prozent stark verbessern. Die SPD musste mit weniger als 25 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis in dem Bundesland hinnehmen. Die Grünen dagegen legten deutlich zu und lagen bei 13 Prozent. Unklar war kurz nach Schließung der Wahllokale, ob die Linken in den Landtag einziehen würden. Die Partei lag an der Fünf-Prozent-Hürde.

Knapp 4,4 Millionen Bürger waren am Sonntag aufgerufen, die Zusammensetzung der Volksvertretung in Wiesbaden neu zu bestimmen. Die Wahlbeteiligung war zunächst gering. Wie das Büro des Landeswahlleiters in Wiesbaden mitteilte, gaben bis 14 Uhr nur 29,7 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Bei der letzten Wahl vor einem Jahr hatte die Wahlbeteiligung zum gleichen Zeitpunkt bei 34,6 Prozent gelegen. Aus der Wahl am 27. Januar 2008 war die CDU mit 36,8 Prozent der Stimmen als stärkste Partei hervorgegangen. Die SPD kam auf 36,7 Prozent. Drittstärkste Partei wurde die FDP mit 9,4 Prozent. Die Grünen erreichten 7,5 Prozent und die Linkspartei 5,1 Prozent.

Stark beeinflusst wurde der Wahlkampf von der Auseinandersetzung um den Wortbruch der SPD. Die hessische SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti hatte vor der letzten Landtagswahl eine Zusammenarbeit mit der Linken ausgeschlossen. Ihr Versuch, nach der Wahl dennoch eine rot-grüne Minderheitsregierung mit den Stimmen der Linken an die Macht zu bringen, scheiterte am Widerstand von vier SPD-Abgeordneten. Daraufhin blieb als einziger Ausweg aus den "hessischen Verhältnissen" nur die vorgezogene Neuwahl.

Bundesfinanzminister und SPD-Vize Peer Steinbrück legte Ypsilanti am Tag der Wahl den Rücktritt nahe. "Für die Stabilisierung der hessischen SPD wird es erforderlich sein, dass diejenigen, die für die Entwicklung dieses Jahres verantwortlich sind, die diesbezüglichen Funktionen in Partei und Fraktion niederlegen", sagte Steinbrück. Der SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel müsse die Chance erhalten, die SPD in Hessen als Partei- und Fraktionschef "neu zu organisieren". Schäfer-Gümbel, der lange zu den Vertrauten Ypsilantis gehört hatte, war kurz nach seiner Berufung zum Spitzenkandidaten auf Distanz zu ihr gegangen. Er räumte offen ein, dass der Wortbruch der SPD-Landeschefin ein "Fehler" gewesen sei.

Der Landtagswahlkampf war stark geprägt von den Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise. CDU und FDP betonten ihre Wirtschaftskompetenz und warben vor allem für den Ausbau der Flughäfen in Frankfurt und Kassel und für mehr Autobahnen. SPD, Grüne und Linke forderten mehr Investitionen in Bildung und Klimaschutz sowie eine bessere Absicherung von Arbeitnehmern und sozial Schwachen in der Krise.

Der CDU-Spitzenkandidat und amtierende Ministerpräsident Koch versuchte, Vertrauen in der Bildungspolitik zurückzugewinnen und vermied jede Polarisierung, so wie vor einem Jahr beim Thema Jugendkriminalität. Die FDP als der eigentliche Wahlgewinner setzte von Anfang auf eine Koalition mit der CDU. Die Grünen betonten dagegen ihre Eigenständigkeit und versuchten, sich von der Krise der SPD abzusetzen. Dieser Kurs wurde von den Wählern honoriert. Die Linken machten zuletzt vor allem mit innerparteilichen Streitigkeiten von sich reden. (Seiten 2 und 4)

Die Sieger: Ministerpräsident Roland Koch (links) und FDP-Spitzenkandidat Jörg-Uwe Hahn - hier beim letzten gemeinsamen Auftritt vor dem Wahlsonntag - können nach ihrem klaren Erfolg in Wiesbaden eine schwarz-gelbe Koalition bilden. Die SPD musste der Wahlnachfrage zufolge das mit Abstand schlechteste Ergebnis bei einer Landtagswahl in Hessen hinnehmen. Foto: action press

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Einigung im Gasstreit

Moskau will wieder Energie nach Europa liefern

Moskau - Russland und die Ukraine haben ein Ende des Gasstreits verkündet. Die EU geht nun davon aus, dass die Lieferungen an den Westen, die von Moskau gestoppt worden waren, an diesem Montag wieder aufgenommen werden. In der Nacht zum Sonntag hatten sich die ukrainische Regierungschefin Julia Timoschenko und Russlands Präsident Wladimir Putin darauf verständigt, dass Kiew von 2010 an Gaspreise auf Weltniveau zahlen muss; für dieses Jahr erhält das Land noch einen Rabatt von 20 Prozent. Fraglich ist aber, ob der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko die hohen Gaspreise akzeptiert. Unklar ist auch noch, wann das Gas die EU-Kunden erreichen wird. (Seiten 4 und 6) SZ

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Bahn erwägt Tausch von ICE-Achsen

Berlin - Die Deutsche Bahn erwägt den Austausch aller Achsen ihrer 70 ICE-T-Züge. Bahnchef Hartmut Mehdorn kündigte an, er werde bei den Herstellern Schadenersatz in dreistelliger Millionenhöhe geltend machen. Die Bahn zieht damit die Konsequenz aus der Pannenserie des vergangenen Sommers. An mehreren ICE-Zügen waren Risse der Radsatzwellen festgestellt worden. (Seite 5) SZ

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Fünf Tote bei Anschlag auf deutsche Botschaft

Kabul - Ein Selbstmordattentäter hat vor der deutschen Botschaft in Kabul fünf Menschen mit in den Tod gerissen. 28 weitere wurden teils schwer verletzt, darunter auch drei Mitarbeiter der Vertretung. Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff. Die Terrororganisation al-Qaida drohte in einem am Wochenende aufgetauchten Video mit Anschlägen gegen die Bundeswehr. (Seiten 4 und 6) SZ

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Israel und Hamas verkünden Waffenstillstand

Olmert: Wir haben Extremisten entscheidend geschwächt / Bisher 1300 Tote bei Kämpfen im Gaza-Streifen

Von Thorsten Schmitz

Berlin - Drei Wochen nach Beginn der israelischen Militäroffensive im Gaza-Streifen haben Israel und die radikal-islamische Hamas am Wochenende in einseitigen Schritten eine Waffenruhe ausgerufen. Israels Regierungschef Ehud Olmert hatte am Samstag trotz andauernden Raketenbeschusses aus dem Gaza-Streifen erklärt, die Ziele der Offensive seien erreicht worden und Hamas wesentlich geschwächt. In einer Ansprache hatte er in der Nacht zu Sonntag erklärt, die Führer der Hamas versteckten sich und viele ihrer Kämpfer seien getötet worden. Israel werde seine Truppen aus dem Gaza-Streifen abziehen zu einem Zeitpunkt, "der uns passt". Falls Hamas erneut Raketen abfeuere, werde Israel zurückschlagen. Am Sonntag erklärte Hamas, die Gruppe werde den Beschuss Israels mit Raketen für eine Woche einstellen. Israels Armee müsse in diesen sieben Tagen seine Truppen aus dem Gaza-Streifen abziehen, die Grenzübergänge öffnen und die Versorgung der palästinensischen Bevölkerung mit Hilfslieferungen in vollem Umfang gewähren.

Hamas-Sprecher im Gaza-Streifen erklärten nach Angaben israelischer Medien, die Gruppe habe Israels Armee besiegt. Dem Feind sei es nicht gelungen, Hamas zu zerstören, führten sie weiter aus. Nach Angaben der Extremisten sind etwa 400 Hamas-Mitglieder bei der Offensive getötet worden. Der israelische Generalstabschef Gabi Aschkensai sagte am Sonntag, Hamas habe zwar einen schweren Schaden erlitten durch die israelische Militäraktion im Gaza-Streifen, doch die Gruppe sei "nicht verschwunden". Der Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes Juval Diskin sagte, es sei wichtig, dass die internationale Staatengemeinschaft und Ägypten die Grenze zwischen Ägypten und dem Gaza-Streifen effektiv kontrollierten. Zwar seien bei der Offensive Hunderte Tunnel zerstört worden, doch "wenn wir nicht aufpassen, haben wir in ein paar Monaten wieder genauso viele Tunnel".

Die Feuerpause wurde umgehend vom künftigen US-Präsidenten Barack Obama begrüßt. Auch Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerten sich positiv über die Waffenruhe. Merkel war am Sonntag überraschend zu einem eilig einberufenen Krisen-Gipfel nach Ägypten gereist, auf dem die Konditionen einer Waffenruhe und auch der Wiederaufbau des Gaza-Streifens diskutiert wurden. Merkel sagte im ägyptischen Badeort Scharm el-Scheich, es gebe keine Alternative zu einer Zwei-Staaten-Lösung, Großbritanniens Premierminister Gordon Brown, der ebenfalls nach Ägypten gereist war, erklärte, es müsse jetzt "schnell an der Verwirklichung" eines palästinensischen Staates gearbeitet werden. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte von Israel ein "Maximum an Zurückhaltung" im Gaza-Streifen. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) äußerte sich am Sonntag erleichtert über die Waffenruhe, wies aber daraufhin, dass "der Weg zum Frieden noch weit" sei. Bei der israelischen Offensive wurden nach palästinensischen Angaben mehr als 1300 Palästinenser getötet und 5300 Palästinenser verletzt. Auf israelischer Seite kamen 13 Menschen ums Leben, darunter zehn Soldaten. Am Wochenende protestierten Zehntausende Menschen in mehreren Großstädten gegen den Krieg im Gaza-Streifen. (Seiten 4 und 7)

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Das Wetter

München - Meist dichte Wolken, später von Westen immer häufiger Regen. Anfangs in den höheren Lagen Schneeflocken. Später steigende Schneefallgrenze. Nur in Bayern und Sachsen anfangs noch etwas Sonne. 3 bis 8 Grad. (Seite 33)

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Amerikaner feiern Obamas Amtsantritt

Washington - Mit einer Zugfahrt haben die viertägigen Feiern zum Amtsantritt Barack Obamas begonnen. Der künftige US-Präsident reiste mit seiner Familie am Samstag von Philadelphia nach Washington D. C. - wie einst Abraham Lincoln im Jahr 1861. Zehntausende Menschen jubelten ihm entlang der Strecke zu. In Reden vor und während der Tour schwor Obama seine Landsleute auf einen Neubeginn ein. (Seiten 3 und 4) SZ

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Verspätete Reise

Der türkische Premier besucht erstmals nach vier Jahren Brüssel

Es soll ja in der Europäischen Union wie in der Türkei Menschen geben, die einen Beitritt der Türkei zur EU für ein Unglück halten. Für diese Leute waren die vergangenen Jahre ein fortwährendes Fest. Der letzte Tag nämlich, an dem Europas Türkeifreunde etwas zu feiern hatten, war der 3. Oktober 2005: Damals wurden die Beitrittsverhandlungen eingeläutet; getan hat sich seither aber kaum etwas. Stattdessen regieren Frust und Enttäuschung. Das liegt zum Teil an der EU, wo die Türkei-Skeptiker zahlreicher geworden sind. Mehr noch aber ist Ankara für die Entwicklung verantwortlich; das Land fiel 2005 schlagartig in einen großen Reformschlaf, aus dem es bis heute nicht erwacht ist.

Wer das wachsende Desinteresse an Europa in der Türkei illustrieren wollte, der bräuchte bloß darauf hinzuweisen, dass Premier Tayyip Erdogan geschlagene vier Jahre lang seinen Fuß nicht mehr nach Brüssel gesetzt hatte. Bis jetzt. An diesem Montag führt der türkische Premier in Brüssel Gespräche. Und nicht nur das: Er führt auch den neuen türkischen EU-Unterhändler, Egeman Bagis, ein; sein Vertrauter hat überraschend den blassen Außenminister Ali Babacan als Vermittler abgelöst. Dass Erdogan damit neuen Schwung in die Sache bringen will, ist klar. Unklar ist, ob es bei einer reinen Geste bleibt.

Sollte Erdogan es ernst meinen, käme sein Tatendrang keinen Tag zu früh. Das Forschungs- und Beratungsinstitut "International Crisis Group" nennt das Jahr 2009 das "Jahr der Entscheidung": Tatsächlich dürfte sich der Zypernkonflikt erneut zwischen die EU und die Türkei schieben, weil in diesem Jahr ein Ultimatum aus Brüssel abläuft: Sollte die Türkei weiter die Öffnung ihrer Häfen für griechisch-zyprische Schiffe verweigern, dann wäre das Einfrieren der Verhandlungen nicht ausgeschlossen.

Zwar hat Erdogan recht, wenn er sich beim Thema Zypern von der EU ungerecht behandelt fühlt. Gleichzeitig meint er, mit dem Pfund seiner neuen diplomatischen Aktivitäten wuchern zu können: Die Türkei vermittelt im Nahen Osten wie im Kaukasus, und sie hat vorsichtig den Kontakt zu alten Feinden wie Armenien oder den irakischen Kurden aufgenommen. Dennoch werden seine Brüsseler Gesprächspartner ihm erklären, dass die Europäer - Regierungen wie Bürger - von ihm nun Vorleistungen erwarten. Und dass das Argument von der geostrategischen Bedeutung der Türkei allein dem Land nicht die Tür öffnen wird: Die Europäer wollen zuallererst Demokratie und Rechtsstaat etabliert sehen. Sie erwarten einen Reformschub, der so fulminant ist wie jener von 2004. Unverständnis hat Erdogan in Brüssel vor allem damit ausgelöst, dass er den Plan für die so dringend benötigte zivile Verfassung still beerdigt zu haben scheint.

Einfach wird es die Türkei ohnehin nicht haben; umso mehr müsste sich Erdogan also ins Zeug legen: Die Bundestagswahlen in Deutschland und Wahlen zum Europa-Parlament dürften viel antitürkische Stimmungsmache mit sich bringen. Gleichzeitig macht die Wirtschaftskrise der Türkei deutlich, wie sehr das Land den Anker EU braucht: Den Boom der letzten Jahre verdankte es zu einem guten Teil der EU-Perspektive. Und nicht nur das: Wie eine Klammer hielt die Aussicht auf die EU-Mitgliedschaft auch die verfeindeten Lager im Land zusammen: die Kurden und die Türken, die Religiösen und die Säkularen. Vielen Türken ist angst und bange bei der Aussicht, diese Klammer könnte nun wegfallen. Kai Strittmatter

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Hessische Verhältnisse

Es hat schon einige turbulente Jahre in der hessischen Landespolitik gegeben, doch die vergangenen zwölf Monate waren ein ganz besonderes Jahr. Sicher, die Mehrheitsverhältnisse nach der Wahl 2008 waren schwierig - doch es gehört schon einiges dazu, ein gutes Wahlergebnis in eine allumfassende Niederlage umzuwandeln. Das ist den Sozialdemokraten gelungen. Sogar ihr Bundesvorsitzender Kurt Beck stürzte über die Frage, wie Hessens SPD mit der Linken halten sollte. Und Roland Koch musste nur abwarten.

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Aktuelles Lexikon

BAFA

"Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle" (BAFA) - das klingt nicht gerade nach einer besonders aufregenden Behörde. Doch das Amt, das zum Wirtschaftsministerium gehört, hat durchaus brisante Aufgaben: Es kontrolliert nicht nur die deutsche Rüstungsausfuhr, sondern prüft etwa auch, ob deutsche Werkzeugmaschinen im Ausland zum Bau von Massenvernichtungswaffen missbraucht werden. Das Amt mit Sitz in Eschborn bei Frankfurt ist also verantwortlich für die nationale Sicherheit und den internationalen Frieden. Neben der Außenkontrolle kümmert sich das BAFA auch um den Bereich Energie. 600 Mitarbeiter betreuen die Förderprogramme, die das Wirtschaftsministerium für diese Branche entwickelt hat. Jetzt hat das BAFA eine neue Aufgabe übernommen: Es soll die Vergabe der Abwrackprämien regeln. Die Prämie in Höhe von 2500 Euro wird an Personen gezahlt, die bis 31. Dezember ihr mindestens neun Jahre altes Auto der Schadstoffklasse 4 verschrotten lassen, und sich dafür einen Neuwagen zulegen. Insgesamt 1,5 Milliarden Euro wurden für das Programm bereitgestellt, das reicht für 600 000 Prämienzahlungen. Das BAFA soll nicht nur das Geld verteilen, sondern auch prüfen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind. Der Ansturm der Bürger dürfte nicht auf sich warten lassen: Die Telefon-Hotline, die das Amt am Freitag eingerichtet hat, lief bereits am ersten Tag heiß.lawe

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Wie ein Land die Republik verändert hat

Kurt Beck musste gehen, Roland Koch ist zurück - und die FDP regiert im Bund jetzt praktisch mit

Von Nico Fried

Der Moment, in dem die letzte hessische Landtagswahl historisch wurde, war der Moment, als Kurt Beck vor fast genau einem Jahr in Berlin vor die Presse trat. Allerdings war es nicht das, was der damalige SPD-Vorsitzende zu sagen hatte, was diesen Augenblick so bedeutsam machte, sondern dass im selben Moment die Agenturen den sicheren Einzug der Linkspartei in den Landtag vermeldeten. Das war für sich genommen schon eine Sensation. Aber die Folgen, die sich daraus entwickelten, waren in Hessen wie in der Bundespolitik dramatisch.

Ein Jahr später, im Rückblick, liest sich die Bilanz in etwa so: Die Ereignisse in Hessen haben mit Kurt Beck einen SPD-Chef im Bund das Amt gekostet, mit Andrea Ypsilanti dürfte eine Landesvorsitzende in Hessen früher oder später folgen. Mit Wolfgang Clement hat ein ehemaliger Bundeswirtschaftsminister die SPD verlassen, gegen drei Sozialdemokraten laufen Ausschlussverfahren der eigenen Partei, weil sie in letzter Minute ihre Zustimmung zur Regierungsbildung verweigerten. Und ein Ministerpräsident, der sein Amt praktisch verloren hatte, bekommt es wieder.

Steinmeier wehrte sich nie

Das erstaunliche Comeback des Roland Koch ist auch für die Bundes-CDU von einiger Bedeutung. Weil Koch ein Jahr lang politisch auf dem Abstellgleis war, stand die CDU ausgerechnet in der Finanz- und Wirtschaftskrise personell ziemlich blank da. Die Kompetenz Kochs - oder doch zumindest sein unverwüstliches Image, in Wirtschaftsfragen kompetent zu sein - hätte der CDU-Kanzlerin Angela Merkel die Verlegenheit ersparen können, in der Krise in den Sozialdemokraten Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier die kundigsten Mitstreiter zu haben.

Den größten Sturm aber entfachte das hessische Wahlergebnis von 2008 in der SPD. Kurt Beck, zu jener Zeit eigentlich fest im Sattel, beteiligte sich mit Andrea Ypsilanti an dem Versuch, einen gefühlten Sieg in Hessen in einen wirklichen Erfolg, sprich: in eine Regierungsbildung umzufummeln. Entgegen allen Versprechen wollten Beck und Ypsilanti nun doch eine Kooperation mit der Linken, die eine rot-grüne Minderheitsregierung tolerieren sollte. Das einzige allerdings, was von da an regierte, war der Dilettantismus. Kurt Beck bescherte dieser Sinneswandel und die Art und Weise, wie er ihn beiläufig verkündete, einen Verlust an Glaubwürdigkeit und Reputation, den er nicht mehr gutmachen konnte und der seinen vielen innerparteilichen Kritikern letztlich den Hebel in die Hand gab, um Parteichef Beck aus dem Amt zu hieven.

Freilich gehen in der SPD auch die Gegner einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei nicht als wirkliche Sieger vom Platz. Vorneweg erwiesen sich Steinbrück und Steinmeier als wenig souverän. Die beiden waren zwar angeblich immer gegen die Kooperation mit der Linken, hatten aber nicht den Mut, in der Öffentlichkeit klar Position zu beziehen. In der Partei hatten Steinmeier und Steinbrück nicht die Kraft, erfolgreich gegen das Projekt anzuarbeiten; in den entscheidenden Abstimmungen segneten sie alle Beschlüsse wie von Beck gewünscht ab, inklusive der Nominierung von Gesine Schwan als Präsidentschaftskandidatin, was die SPD immer tiefer in die Debatte um den Umgang mit der Linkspartei trieb. Auch die dritte stellvertretende Vorsitzende Andrea Nahles schwieg vor allem, dürfte nun aber froh sein, dass ihr mit einer SPD-Ministerpräsidentin Andrea Ypsilanti nicht eine Konkurrentin um den Führungsanspruch auf dem linken Parteiflügel erwachsen ist.

Es war der Polit-Rentner Wolfgang Clement, der - wenn auch aus persönlicher Eitelkeit - die Richtungsfrage offen stellte, und es waren die vier "Abweichler" in Hessen, die der Bundes-SPD nach dem Wechsel von Beck zu Franz Müntefering weitere Wochen und Monate des Rumeierns ersparten. Ein Jahr nach der ersten Wahl, viele Wählerstimmen weniger und mutmaßlich nach einem Umbau auch an der hessischen Parteispitze sind freilich all diese Fragen noch immer nicht geklärt. Der Umgang mit der Linkspartei kommt spätestens bei der Bundespräsidentenwahl oder bei den nächsten Landtagswahlen wieder auf die Tagesordnung, was in der SPD fast immer gleichbedeutend ist mit Streit.

Der blieb den kleinen Parteien nach dem ersten Wahlgang in Hessen erspart - in der Linkspartei aus verständlichen Gründen, schließlich bedeutete der damalige Einzug in das Wiesbadener Parlament die endgültige Ankunft der Partei in Westdeutschland. Die Debatte, wie mit der Linken verfahren werden sollte, konnte sich die Linke selbst in aller Ruhe anschauen. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass der zweite Wahlgang in Hessen erstmals auch zu einer Krise der Linken führt. Selbst wenn die Partei noch einmal ins Parlament kommen sollte, haben die vergangenen Wochen doch offenbart, dass auch die Linke, die nur für das Gute und Friedliche einzustehen scheint, eine Partei wie jede andere ist: Intrigen, Vorwürfe, Krawall und Zerfall prägten das Bild. Welche Auswirkungen das auf Bundesebene haben wird, ist noch nicht absehbar.

Die Grünen konnten 2008 hinter den Debatten um die Regierungsbildung ihr schlechtes Ergebnis verstecken. Deshalb hatte das schwache Abschneiden auch keine Konsequenzen. Im zweiten Wahlgang am Sonntag war ihnen absehbar ein deutlicher Zuwachs beschieden - allerdings keine Chance auf eine Regierungsbildung. Und so tragen die hessischen Grünen auch ihren Teil zur Diskussion in der Bundespartei bei, welche Optionen man für sich eigentlich anstreben möchte: Von einer schwarz-grünen, über eine Ampelkonstellation mit SPD und FDP bis zu einer rot-rot-grünen Kooperation steht die Partei derzeit mehr oder weniger für alles bereit.

Wirklicher Gewinner nach einem Jahr und zwei Wahlen ist die FDP. Eine kurzzeitig zu erwartende Debatte, ob die Liberalen mit ihrer einseitigen Ausrichtung auf die CDU richtig lägen, kam 2008 nicht wirklich in Gang. Die FDP in Hessen verweigerte sich den Annäherungsversuchen der SPD - und beschert nun als Koalitionspartner der CDU in Wiesbaden der Bundes-FDP eine Position im Bundesrat, mit der die Liberalen zum vierten Rad am Wagen der großen Koalition aus CDU, CSU und SPD werden.

Abgehängt: Die hessische SPD-Chefin Andrea Ypsilanti hat mit aller Macht die Macht gesucht, und sie dabei verloren. Foto: dpa

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Opel, Banken und der Flughafen

Die Wirtschaftskrise trifft das Land Hessen besonders stark - die neue Regierung steht trotz der Vorarbeit des alten Kabinetts vor gewaltigen Aufgaben

Von Christoph Hickmann

Über Bildung haben sie wieder gesprochen, über die anderen klassischen Themen und natürlich über den Wortbruch mitsamt Folgen - die einen so, die anderen so. Doch über allen Themen des hessischen Wahlkampfs schwebte die Wirtschaftskrise. Jede Partei versuchte, sie für ihre Zwecke zu nutzen und mit den vermeintlich richtigen Rezepten Stimmen zu gewinnen. Nun, da der Wahlkampf vorbei ist, muss die neue Landesregierung beweisen, dass sie mit der Krise und ihren Folgen umgehen kann.

Es ist eine Krise, deren Epizentrum - der Finanzplatz Frankfurt - in Hessen liegt. Was die dortigen Banken angeht, liegen die Handlungsoptionen jedoch vor allem beim Bund. Doch im Fall der zweiten schon jetzt schwer angeschlagenen Branche, der Automobil-Industrie, ist Hessen selbst gefordert. Es geht um die Sicherung des Opel-Standorts Rüsselsheim. Angesichts der Lage des Unternehmens hat der Landtag in seiner letzten Sitzung einstimmig das sogenannte Unternehmensstabilisierungsgesetz verabschiedet. Es erhöhte den Bürgschaftsrahmen des Landes, das nun mit bis zu 500 Millionen Euro für in Bedrängnis geratene Firmen einstehen kann. Immer wieder wurde betont, dass es sich dabei keinesfalls um eine Lex Opel handele - vielmehr gehe es ebenso um die ebenfalls gefährdete Zulieferindustrie.

Bereits Mitte Dezember kündigte der geschäftsführende Ministerpräsident Roland Koch (CDU) zudem ein sogenanntes Sonderinvestitionsprogramm an. Für 1,7 Milliarden Euro sollen Schulen und Hochschulen saniert werden, um Bauindustrie und Handwerk in der Krise zu stärken. Während für 1,2 Milliarden Euro Schulen saniert, modernisiert und neu gebaut werden sollen, sind für die Hochschulen des Landes 500 Millionen Euro vorgesehen. Dabei werden ohnehin geplante Investitionen einfach vorgezogen; die öffentlichen Aufträge müssen so schnell wie möglich ihre Wirkung entfalten. Bis Ende März sollen die Schulträger ihren Bedarf und ihre Wünsche angemeldet haben. Bereits in der ersten Sitzung des Landtags am 5. Februar soll ein sogenanntes Vorschaltgesetz zum Haushalt verabschiedet werden, damit von April an Geld fließen kann. Zwar setzten die einzelnen Parteien unterschiedliche Akzente und präsentierten eigene Vorschläge, doch im Grundsatz werden die vorgezogenen öffentlichen Investitionen von allen als sinnvoll angesehen.

Um noch deutlich mehr Geld und Arbeitsplätze geht es bei der zentralen Großbaustelle des Bundeslandes. Etwa vier Milliarden Euro will der Betreiber Fraport in den Ausbau des Frankfurter Flughafens investieren - wobei schon die Verlegung des Chemiewerks Ticona mehr als eine halbe Milliarde kosten wird. Die Fabrik liegt derzeit noch in der Einflugschneise der geplanten Nordwest-Landebahn. Auch hier hat die Landesregierung mit dem Planfeststellungsbeschluss von Ende 2007 bereits Fakten geschaffen. In der vergangenen Woche wies der hessische Verwaltungsgerichtshof sämtliche noch ausstehenden Eilanträge gegen den Ausbau ab und machte damit zunächst einmal den Weg frei.

Allerdings erklärten die Richter unter anderem, dass die im Beschluss erlaubten 17 Nachtflüge zwischen 23 und 5 Uhr einer rechtlichen Überprüfung kaum standhalten dürften. Jahrelang hatte die Regierung ein Nachtflugverbot für diese Zeit in Aussicht gestellt, dann aber argumentiert, ein Verbot würde den Beschluss wegen der Interessen der Fluglinien rechtlich angreifbar machen. Entschieden wird über diese Regelung erst im Hauptsacheverfahren, das im Sommer beginnt. Die neue Landesregierung wird bei diesem zentralen Konfliktthema der Rhein-Main-Region vor allem als besonnener Moderator auftreten müssen. Hinzu kommen weitere Infrastrukturprojekte vor allem in Nordhessen.

Schließlich bleibt der öffentliche Dienst. Kurz vor der Wahl hatten die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die SPD den Vorwurf erhoben, die CDU plane dort einen massiven Stellenabbau. Die geschäftsführende Koch-Regierung dementierte umgehend. In Zeiten knapper Haushalte bleibt gleichwohl abzuwarten, wie eine neue Landesregierung in Aussicht gestellte zusätzliche Stellen etwa an den Schulen finanziert.

Ein Sorgenfall der Landesregierung: Das Opel-Werk in Rüsselsheim. AP

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HEUTE

FEUILLETON

Die Shakespeare-Slideshow

Fetischszenen: "Maß für Maß" an den Münchner Kammerspielen Seite 19

LITERATUR

Hinab in die Hölle

Dem Maßlosen Form geben: Zum 200. Geburtstag von Edgar Allan Poe Seite 14

MEDIEN

Die neue Nummer zwei

Time Warner ist der weltgrößte Medienkonzern - nun wird er zerlegt Seite 15

POLITISCHES BUCH

Kuba des Mittleren Ostens

Der schwierige Umgang mit den nuklearen Ambitionen Irans: In naher Zukunft gibt es wohl keine Lösung Seite 16

www.sueddeutsche.de/kultur

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Wer war noch mal Ingmar Bergman?

Die Lehren aus dem Bayerischen Filmpreis: Es wird unbeirrt weitergewurstelt. Und am besten laufen Amphibienfilme

So einfach lassen wir uns nicht aus der Ruhe bringen, das könnte die Botschaft sein, die der deutsche Film an die Welt sendet. Andere Branchen mögen über bedrohliche Einbrüche klagen - die heimischen Kinos aber melden für 2008 ein Umsatzplus von 3,5 Prozent, der Anteil deutscher Produktionen liegt mit 22,5 Prozent ebenfalls deutlich über dem Vorjahr. Der Bayerische Filmpreis hat diese Botschaft am Freitagabend auf seine Weise bekräftigt: Wir halten Kurs, scheint die Jury allen Zweiflern zu bedeuten.

Da mag Bernd Eichinger von Kritikern, Prozessen und Kontroversen um seinen "Baader Meinhof Komplex" durchgeschüttelt sein - hier kriegt er wie zum Trost den Produzentenpreis. Da hat Caroline Link mit "Im Winter ein Jahr" erstmals erfahren, wie sich eine Enttäuschung an der Kinokasse anfühlt - hier wird sie vielleicht gerade deshalb für ihre hervorragende Regie bedacht (Hauptdarstellerin Karoline Herfurth erhält den Nachwuchspreis). Da mögen die Kritiker über die gescheiterte Ausstattungsorgie "Buddenbrooks" stöhnen - hier dreht man das Argument um und zeichnet die Szenen- und Kostümbildnerei aus, die Verantwortlichen für die ganze Opulenz. Und als man sich fragt, ob es jetzt nicht genug ist mit den historischen Amphibienfilmen, die als Kinofilm und Fernsehzweiteiler gleichermaßen funktionieren sollen, hat die Jury noch einen weiteren preiswürdigen entdeckt: "John Rabe", der im April anläuft und vorab einen Produzentenpreis und einen Darstellerpreis für Ulrich Tukur abräumt.

Als Ursula Werner ihren verdienten Darstellerinnenpreis für "Wolke 9" entgegennimmt, enthüllt sie, dass ihr Regisseur Andreas Dresen sich von seinen Freunden "Ändy" nennen lässt. Franz Xaver Kroetz, der mit Bully Herbig einen Sonderpreis für den "Brandner Kaspar" erhält, ist selbst nicht da, lässt seine Tochter aber eine gnadenlose Selbsteinschätzung vorlesen - dass er für diese Rolle nämlich "aus dem Massengrab der vergessenen Schauspieler gekratzt" wurde. Solche Dinge werden dann aber höchst folgenlos weggeklascht - genau wie die Ermahnungen eines Einspielfilms, in dem Christoph Süß erstaunlich überzeugend den Tod aus Bergmans "Siebentem Siegel" parodiert, damit im Publikum aber bloß auf Befremden stößt. Wer war jetzt gleich wieder Bergman?

Horst Seehofer, der dritte Ministerpräsident in drei Jahren, gibt sein Debüt als Ehrenpreis-Laudator für Peter Schamoni und versteht es, die Pannen seines Vorgängers zu vermeiden, der den Namen Scorsese in "Sorkäse" verwandelt hatte. Daher traut man Seehofer jetzt auch zu, länger als ein Jahr im Amt zu bleiben.

Bernd Eichinger schließlich nutzt seinen Bühnenmoment, um nach der gerade abgewehrten Einstweiligen Verfügung der Jürgen-Ponto-Witwe gegen den "Baader Meinhof Komplex" nachträglich gegen den "sogenannten Medien- und Filmanwalt" der Gegenseite, Christian Schertz, zu polemisieren. Er nennt ihn "durchgeknallt" und beschuldigt ihn, nur seinen "Promi-Faktor" erhöhen zu wollen. Das gibt wieder Stoff für aufgeregtes Partygeschnatter, ändert aber nichts an der Botschaft: Mag die Krise draußen schon bald ihre ganze Wucht entfalten - im Biotop des deutschen Films zieht erst einmal jeder unbeirrt sein Ding durch. TOBIAS KNIEBE

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Hölderlin Reparatur

Lyrik-Preis für Gerhard Falkner

Der diesjährige Peter-Huchel-Preis für deutschsprachige Lyrik geht an den 1951 geborenen Autor Gerhard Falkner für seinen Gedichtband "Hölderlin Reparatur". Die vom Südwestrundfunk und dem Land Baden-Württemberg gestiftete Auszeichnung ist mit 10 000 Euro dotiert. dpa

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NACHRICHTEN AUS DEM NETZ

Der große Knall blieb aus. Als am vergangenen Donnerstagabend um 19.50 Uhr die Versteigerung des Blogs

basicthinking.de beendet wurde, waren die Gebote nicht einmal in die Nähe einer sechsstelligen Summe gekommen. Der Verkauf seiner Internetseiten samt Domain und Inhalt brachte dem geschäftstüchtigen Autor Robert Basic 46 902 Euro ein. Das ist deutlich weniger, als sich viele Blogger, die Basics Versteigerung aufmerksam beobachteten und kommentierten, erhofft hatten. In den USA erzielten Blogverkäufe schon sechs- bis achtstellige Summen. Basic ist dennoch zufrieden: Er hatte einen Mindestpreis von 30 000 Euro mit dem Online-Auktionshaus Ebay vereinbart.

Für den Auktionsgewinner Thomas Strohe, Geschäftsführer beim IT-Unternehmen Serverloft aus Hürthbei Köln, dürfte die Sache eine vergleichsweise billige Marketingmaßnahme sein. Zahlreiche Medienberichte, darunter auch Texte im US-Fachmagazin Techcrunch und der Washington Post, haben das Blog und seinen Verkauf in den letzten Tagen noch bekannter gemacht.

Robert Basic schrieb auf seinen Seiten launig über beliebige Themen rund um das "Web 2.0". So erreichte er nach eigenen Angaben um die 185 000 Besucher und verzeichnete 254 000 Millionen Page Impressions (PI) im Dezember 2008. Das Blog gehört damit zu den größten und erfolgreichsten in Deutschland. Sehr viele Links externer Seiten verweisen auf Basics Seiten und garantieren so hohe Zugriffszahlen. Das wiederum ermöglichte eine gezielte Vermarktung: 37 000 Euro brutto will Basic im vergangenen Jahr mit dem Blog verdient haben.

Käufer Thomas Strohe sagte der SZ, er habe das Blog ersteigert, weil "wir seit Jahren echte Fans sind". Man wolle es in seiner "jetzigen Form am Leben erhalten". Für eine clevere Marketingkampagne ist diese Behauptung kein schlechter Anfang. Tatsächlich aber dürfte die Entscheidung, 46 902 Euro für eine Internetpräsenz zu bezahlen, von etwas mehr als der selbstlosen Rettung eines Nerd-Blogs getrieben sein. Denn Thomas Strohe hat etwas, was Robert Basic nicht hatte: eine große Firma im IT-Bereich. Für die ist das Blog mit seiner technikaffinen Leserschaft ein ideales Kommunikationswerkzeug. Ziel der neuen Eigentümer dürfte es sein, ihr bisheriges Geschäft und das neue Blog möglichst eng miteinander zu verzahnen. Das dürfte jedoch nicht ganz leicht sein - ausschließlich im Interesse des eigenen Betriebes geschriebene Texte, Eigenwerbung und PR-Maßnahmen vertreiben schnell jedes Publikum. JOHANNES BOIE

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Tumbe Toren

"Die Sprache Deutsch", ausgestellt im Deutschen Historischen Museum in Berlin

"Tief, rätselhaft, dramatisch vortrefflich behandelt" schreibt Goethe 1806 in seiner Besprechung von "Des Knaben Wunderhorn" über "Großmutter Schlangenköchin": 14 Zweizeiler, abwechselnd sprechen Mutter und Kind. Das Kind ist von der Großmutter vergiftet worden und klagt es der verzweifelten Mutter. "Maria, wo soll ich dein Bettlein hin machen? / Maria, mein einziges Kind! // Du sollst mir's auf dem Kirchhof machen./ Ach weh! Frau Mutter, wie weh!" Eduard Mörike hat sich davon eine Abschrift gemacht, auch er war offenbar berührt. Aber was bedeutet dieses Manuskriptblatt nicht literatur-, sondern sprachgeschichtlich? Rätselhaft.

Das Deutsche Historische Museum präsentiert es in seiner Ausstellung "Die Sprache Deutsch". Doch wie so manches hier reicht dieses Stück zwar tief, teilt sich aber nicht mit. Wer wird die Handschrift in der notwendig schwach beleuchteten Vitrine lesen? Und wer sie liest, was erfährt er über das Deutsche im 19. Jahrhundert? Goethe hoffte, die Lieder, "vom Volke . . . gewissermaßen ausgegangen", könnten dahin zurückkehren, in "Leben und Bildung der Nation" übergehen. Haben sie das sprachliche Empfinden im 19. Jahrhundert geprägt? Und wie verhalten sich dazu die Einflüsse von Wissenschaften, Technik, Industrie?

Die Ausstellung ist historisch angelegt und greift weit aus. Sie beginnt mit dem ältesten Buch der deutschen Sprache, dem St. Galler Abrogans, und endet in der Gegenwart mit Jugendsprache, Werbung und Migrantendeutsch, hängt dialektgeographische Karten aus und bietet auch etwas zu den physiologischen Voraussetzungen des Sprechens. Alles aber muss auf 400 Quadratmetern abgemacht sein. Im Zentrum steht die sogenannte Leseinsel, ein kreisförmiges Kabinett, das der Reclam Verlag mit deutscher Literatur ausgestattet hat. In die Außenseite sind Vitrinen zur Literatur des 18. bis 20. Jahrhunderts eingesetzt.

Hier finden sich die Mörike-Handschrift, ein Tucholsky-Typoskript oder eine Kompositionsskizze Wagners zum "Rheingold", "Woge, du Welle!". Ernst Jünger hat in einem Zettelkasten letzte Worte berühmter Persönlichkeiten gesammelt, Theodor Mommsen bekam zum Nobelpreis eine goldene Medaille. Schöne Dinge, doch wer sie nicht gesehen hat, muss sich als Liebhaber der deutschen Sprache keine Vorwürfe machen. Solange nur von Wagners Eigenwilligkeiten als Autor seiner musikdramatischen Texte die Rede ist, bewegen wir uns auf dem Feld der Kunst. Auf das der Sprache kämen wir durch die Frage, wie er weitergewirkt hat. Davon ist im Deutschen Historischen Museum nicht die Rede.

Viel hält sich die Ausstellung darauf zugute, auch Erika Fuchs zu würdigen, die Übersetzerin der Donald-Duck-Geschichten ("Das beste Werkzeug ist ein Tand / in eines tumben Toren Hand"). Auch hier wird eine persönliche sprachschöpferische Leistung gezeigt. Sprache ist aber das, was allen oder doch vielen gemeinsam ist. Wie ist unser Sprachgebrauch durch Erika Fuchs, Loriot oder Wilhelm Busch geprägt? Das wäre zu zeigen, statt das einfallsreiche Individuum zu verehren. Aber da genau liegt das Problem einer solchen Ausstellung. Leicht lässt sich das Individuelle in seinem Glanz zeigen, das Kollektive, das Sprache ausmacht, sehr viel schwerer.

Das gilt auch für das Nachkriegsdeutsch. Entwickelte die DDR einen eigenen Sprachgebrauch? Die Ausstellung präsentiert die Heiterkeitserfolge, den Broiler auf der Speisekarte, die Formeln der Parteisprache. Aber das war Gekräusel an der Oberfläche. In einem anderen Punkt könnte die DDR einen eigenen Ton entwickelt oder einen älteren bewahrt haben, im Dialektgebrauch. Gründe gab es mehrere, einer wird das Selbstbewusstsein der Arbeiter gewesen sein; die Defa-Filme haben daran mitgearbeitet. Das fehlt in der Ausstellung.

Die Anfänge der wissenschaftlichen Germanistik, die Brüder Grimm und ihre Kollegen, sind dafür mit einer Detailfreude hergerichtet, die ein gut vorsortiertes Publikum verlangt. Was Schule und Theater dagegen für die Sprache der Deutschen bedeuten, bleibt dann wieder blass. Solche Disproportionen sind wohl unausweichlich. Die deutsche Sprache in einer kleinen Ausstellung zu zeigen ist ein Ding der Unmöglichkeit. Warum man es doch probiert hat? Das Goethe-Institut wird im Herbst aus dieser Ausstellung und der stärker gegenwartsorientierten im Bonner Haus der Geschichte (SZ vom 17.12. 2008) eine dritte zusammenstellen, die dann im Ausland auf Tour gehen soll. STEPHAN SPEICHER

Deutsches Historisches Museum, Berlin, bis 3. Mai 2009. Info: www.dhm.de. Das Begleitbuch kostet 25 Euro.

Kleiner Flirt des Deutschen mit dem Englischen: "Mies Schörmeni", irgendwann zwischen 1950 und 1965. Foto: DHM

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Gegen Donald Rumsfeld wurde in Deutschland eine Strafanzeige wegen Kriegsverbrechen gestellt

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Die leere Anklagebank

Eine heikle Aufgabe der Regierung Obama: die juristische Aufarbeitung der Bush-Ära / Von Wolfgang Kuleck

Der scheidende amerikanische Präsident hinterlässt seinem Nachfolger nicht nur innen- und außenpolitische Probleme, sondern zugleich ein heikles juristisches Erbe. Bereits im Wahlkampf wurde die Frage debattiert, wie sich eine Regierung Obama zur möglichen Strafverfolgung von Angehörigen der Bush-

Regierung wegen der Folterung von Terrorismusverdächtigen verhalten würde. Barack Obama äußerte im April 2008, er wolle nach einer Untersuchung der Vorgänge durch seinen Justizminister herausfinden, ob es sich nur um dumme Politik handele oder um Politik, die den Grad krimineller Handlungen erreiche. In seinem jüngsten Interview mit dem Fernsehsender ABC stellte er klar, dass er in nationalen Sicherheitsfragen eher nach vorne schauen wolle als in die Vergangenheit. Aber wenn jemand offenkundig das Recht gebrochen habe, stünde niemand über dem Gesetz.

Unabhängig von dem weiteren Vorgehen der Obama-Regierung markieren die breite öffentliche Debatte und Obamas bisherige Kommentare eine Zäsur: Erstmals in der US-Geschichte wird ernsthaft politisch und juristisch diskutiert, ob ein abtretender Präsident und seine Regierung Folterstraftaten begangen haben und Einzelne dafür strafverfolgt werden sollen. Dies ist bemerkenswert. Denn zwar begann die Geschichte des Völkerstrafrechts bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen mit dem großen Versprechen des amerikanischen Chefanklägers Robert Jackson im Eröffnungsplädoyer vom 21. November 1945, dass "wir . . . nur dann in der Lage" sind, "Tyrannei, Gewalt und Aggression durch die jeweiligen Machthaber gegen ihr eigenes Volk zu beseitigen, wenn wir alle Menschen gleichermaßen dem Recht unterwerfbar machen".

Doch blieb das Versprechen uneingelöst: In der gesamten Welt wurden während der Nachkriegszeit jahrzehntelang Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, ohne dass eine Strafverfolgung einzelner Verantwortlicher ernsthaft erwogen, geschweige denn durchgesetzt wurde. Dies gilt auch und gerade für die in Nürnberg zu Gericht sitzenden westlichen Siegermächte, deren massenhafte Verbrechen im Algerienkrieg (Frankreich), im Vietnamkrieg und den schmutzigen Kriegen im Latein- und Mittelamerika der siebziger und achtziger Jahre nur bruchstückhaft juristisch aufgearbeitet wurden.

Die Luft für mordende und folternde Machthaber wurde in den neunziger Jahren dünner - mit der Etablierung der UN-Sondertribunale für Ruanda und Jugoslawien, später den gemischt national-internationalen Tribunalen für Sierra Leone und Kambodscha und schließlich dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (2002) nahm die internationale Verfolgung von Völkerstraftaten Formen an. Von der Unterwerfung aller unter das Gesetz kann aber noch nicht die Rede sein. Die Strafverfolgung blieb bisher selektiv gegen Täter aus schwachen Staaten des Osten und Südens gerichtet. Doch begannen Menschenrechtsorganisationen, der Willkür entgegenzuwirken, indem sie für "Universelle Jurisdiktion" plädierten und - beginnend mit dem spektakulären Pinochet-Prozess - in einzelnen Ländern Europas nationale Strafverfahren initiierten.

Dies führte vor allem in Spanien und Belgien, aber auch in Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien und Deutschland zu über fünfzig Ermittlungsverfahren zu Verbrechen in Lateinamerika (Argentinien, Chile, Guatemala), Israel (Massaker von Sabra und Shatila), China, USA, Russland, Jugoslawien und afrikanischen Ländern. Die ohnehin geringe Zahl von Verurteilungen betraf jedoch keinen Angehörigen mächtiger Staaten. Die Bush-Regierung machte seit ihrem Amtsantritt deutlich, dass sie sich internationalen Strafverfolgungsmechanismen nicht zu unterwerfen gedenke, und zog die von der Regierung Clinton geleistete Unterschrift unter das Rom-Statut zum Internationalen Strafgerichtshof zurück. Mehr noch: Die Anschläge vom 11. September 2001 wurden vor allem von Dick Cheney, seinem Chefjuristen Addington, John Yoo und anderen benutzt, um ihre lang gehegte Theorie von den unbeschränkten Befugnissen des Präsidenten in Kriegszeiten in die Realität umzusetzen.

In der Folge wurden ganze Personengruppen (als Terroristen, feindliche Kämpfer etc.) aus dem Bereich bürgerlicher und menschenrechtlicher Schutzsysteme ausgeschlossen - von Guantanamo bis zu Abu Ghraib und den CIA-Entführungsflügen. Regierungsamtliche Untersuchungen durch Politiker (wie den früheren Verteidigungsminister James Schlesinger), Militärs (Fay/Jones-Report, Taguba-Report) und zuletzt der Kongressbericht von McCain und Levin belegten schon zur Amtszeit der Bush-Regierung das systemische Ausmaß der Folterungen sowie die Beteiligung des Nationalen Sicherheitskabinetts, insbesondere von Dick Cheney, Donald Rumsfeld und ihren Juristen.

Nach der Veröffentlichung der Abu-Ghraib-Folter-Fotos und den ersten Untersuchungsberichten favorisierten einige Gruppen der US-Bürgerrechtsszene die Einrichtung von Untersuchungsausschüssen im Kongress, andere zogen mit Schadenersatzforderungen gegen verantwortliche Politiker vor Zivilgerichte und scheiterten. Das Center for Constitutional Rights (CCR), das vor allem die Vertretung der Guantanamo-Inhaftierten durch 500 Anwälte koordiniert, zog aus den anhaltenden Misserfolgen vor US-Gerichten die Konsequenz und reichte im November 2004 im Namen von Abu-Ghraib-Opfern in Deutschland nach dem deutschen Völkerstrafrecht eine erste Strafanzeige gegen den damals noch amtierenden Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und andere ein.

Viele Kommentatoren sahen von vornherein keine ernsthaften Erfolgschancen für die Strafanzeige. Dann wurde sie vom Pentagon und Rumsfeld selbst öffentlich wie mit diplomatischen Mitteln attackiert. Rumsfeld kündigte an, er werde nicht mehr nach Deutschland einreisen, solange das Verfahren nicht abgeschlossen sei. Die Tatsachenschilderungen und die rechtlichen Bewertungen der Strafanzeige selbst wurden nicht in Frage gestellt. Es ging ausschließlich um die Frage, ob deutsche Strafverfolger sich mit Vorwürfen gegen Angehörige einer befreundeten westlichen Regierung befassen dürften.

Die zuständige Bundesanwaltschaft zog sich im Februar 2005 mit einer Entscheidung aus der Affäre, wonach "keine Anhaltspunkte" bestünden, dass die Behörden und Gerichte in den Vereinigten Staaten selbst von strafrechtlichen Maßnahmen Abstand nähmen. Als sich dann in den Jahren 2005 und 2006, zeigte, dass die militärischen und politischen Spitzen, nicht zuletzt durch die Selbstamnestie im "Military Commissions Act", für die Verbrechen in Abu Ghraib und anderswo straffrei bleiben würden, wurde, nun mit weltweiter Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen, eine weitere Strafanzeige eingereicht. Deren erneute Ablehnung durch die Bundesanwaltschaft liegt derzeit dem Oberlandesgericht Frankfurt zur Entscheidung vor. Die Diskussion über die Durchsetzung des Völkerstrafrechtes gegenüber mächtigen Tatverdächtigen hält an.

Das "Weltrechtsprinzip" erlaubt es Staaten, Kriegsverbrecher strafrechtlich zu verfolgen, unabhängig davon, wo die Straftat begangen wurde. Darauf berief sich das Vorhaben, ein Strafverfahren gegen Rumsfeld in Deutschland zu initiieren, solange Ermittlungen in den USA politisch nicht möglich waren. Zur Zeit diskutieren US-Juristen und Bürgerrechtlern erneut, wie und durch wen die Menschenrechtsverletzungen der Bush-Regierung im Antiterrorkampf umfassend ermittelt und gegebenenfalls strafverfolgt werden. Während die einen lediglich Wahrheitskommissionen und Kongressausschüsse für politisch durchsetzbar halten, fordern zahlreiche Juristen, aber auch der Ökonom und Nobelpreisträger Paul Krugman strafrechtliche Ermittlungen. Welcher Ansatz sich durchsetzen wird, hängt nicht nur vom neuen Präsidenten Barack Obama ab. Entscheidend wird sein, ob sich in den Vereinigten Staaten eine gesellschaftliche Übereinkunft über das Verhältnis von nationaler Sicherheit und Menschenrechten erzielen lässt. Diese Frage ist nicht darauf zu reduzieren, ob sich Bush und Rumsfeld irgendwann auf einer Anklagebank wiederfinden werden.

Schon jetzt wird - trotz politischer Hindernisse auch in Europa - sowohl die Aufklärung als auch die Sanktionierung von Straftaten im Anti-Terror-Kampf betrieben. Es gibt die detaillierten Berichte des Europarates, in Italien stehen in Abwesenheit CIA-Agenten vor Gericht, die mit Haftbefehlen gesucht und verdächtigt werden, an der Entführung verdächtiger Personen und Verbringung in Drittländer wie Afghanistan und Ägypten mitgewirkt zu haben. In Spanien laufen umfangreiche Ermittlungen zu den CIA-Entführungsflügen, in Polen zu den dort betriebenen CIA-Geheimgefängnissen.

Zu diesen und zu zukünftigen Strafverfahren, die eröffnet werden könnten, wenn ehemalige, der Folter verdächtige Regierungsfunktionäre nach Europa reisen, wird sich die Obama-Regierung verhalten müssen. In und außerhalb der Vereinigten Staaten stellt sich die Frage der Entschädigung für Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Die neue Regierung wird zu den bereits laufenden Schadenersatzprozessen gegen Mitglieder der alten Administration und gegen private Sicherheitsfirmen Position zu beziehen haben. Die internationalen Menschenrechtsorganisationen werden weiterhin auf allen politischen und juristischen Ebenen dafür arbeiten, dass das absolute Folterverbot garantiert wird.

Der Autor ist Rechtsanwalt und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights in Berlin. Er erstattete 2004 und 2006 in Zusammenarbeit mit dem Center for Constitutional Rights in New York die deutschen Strafanzeigen wegen Kriegsverbrechen und Folter gegen den damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, den damaligen CIA-Chef George Tenet und weitere Mitglieder der amerikanischen Regierung und Streitkräfte.

Die Strafverfolgung traf bisher nur Täter aus schwachen Staaten des Osten und Südens

Wie und durch wen lassen sich Menschenrechtsverletzungen im Antiterrorkampf verfolgen?

Gegen Donald Rumsfeld wurde in Deutschland eine Strafanzeige wegen Kriegsverbrechen gestellt

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Küsse für das System

Von Andreas Burkert

Australien ist ein schönes Land, daran werden auch die Tonnen Ungeziefer und Insekten nichts ändern, mit denen sich dort deutsche Fünftliga-Promis in einem sogenannten TV-Dschungelcamp übergießen oder füttern lassen. Und auch Lance Armstrong dürfen sie diese Woche down under bis zur Besinnungslosigkeit zujubeln, die Australier lieben eben den Sport, und ein Sportler ist Armstrong ja jetzt doch wieder, irgendwie. Im Grunde muss man dem 37-jährigen Fitnessfreak sogar dankbar sein für das dreisteste Comeback, das der Sport bisher sah. Denn es soll ja zuvor doch Menschen gegeben haben, die wirklich an ein Umdenken im Radsport glaubten.

Niemand behauptet, dass Armstrong zurzeit dopt, denn das ist fast einerlei. Wertvoll genug ist das Signal, das seine Branche aussendet, indem sie vor einem mutmaßlichen Großmeister des Mobbings und medizinischen Betrugs kuscht und ihn feiert, als verlöre man beim Strampeln nicht nur Kalorien, sondern auch Hirn. Armstrongs allseits goutierte Rückkehr belegt eindrucksvoll, wie intakt das alte System ist, ein System, das selbst die Puerto-Affäre um den Madrider Arzt Fuentes überstanden hat. Dass jetzt ein Madrider Berufungsgericht diesen Skandal und damit die entlarvenden Ermittlungsergebnisse der eigenen Guardia Civil wieder thematisieren möchte, mag einige Drahtzieher der Blutbank beunruhigen. Aber Armstrongs Radsport?

Nein, dieser Radsport zittert jetzt bestimmt nicht, denn zu weit reichen seine Arme. Denn Claqueure sitzen ja nicht nur im Weltverband, sondern angeblich sogar in Laboren und ganz sicher, siehe Spanien, in der Regierung: Jaime Lissavetzy ist dort ein Sportminister, der sich nicht etwa vom aktenkundigen Fuentes-Kunden Alberto Contador fernhält - sondern dem Landsmann nach Erfolgen bei der Tour oder im Giro küssend um den Hals fällt. Lissavetzky besitzt zudem die Exlusivsicht, nur Radler wie Ullrich, Basso, Hamilton oder Schleck hätten sich von Fuentes flottmachen lassen - spanische Tennis- und Fußballidole entgegen Fuentes' Hinweisen aber nicht, Ehrenwort! Folgerichtig wurde Lissavetzky soeben - kein Scherz - zum europäischen Vertreter in der Weltantidoping-Agentur ernannt. Präsident der Wada ist übrigens John Fahey. Seine Empfehlung fürs Amt: War mal Finanzminister. In Australien.

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Tremolo der Bigotten

Nach dreieinhalb Jahren gibt Lance Armstrong ein umstrittenes Comeback - viele Australier und etliche Rivalen freuen sich darüber

Adelaide - Bevor es losging, kam das Pathos. "Wenn sie Ali nie Boxen gesehen haben und nie dabei waren, als Pelé ein Tor schoss - hier ist ihre Chance, Sporthistorie zu erleben", rief Mike Rann, der Ministerpräsident von Südaustralien, als er die 133 Radprofis am Sonntagabend in Adelaide auf 30 Runden durch einen der Parks der Stadt schickte. Ganz vorne an der Startlinie hatte sich im milden Licht der tiefstehenden Sonne Lance Armstrong aufgebaut. Drahtig, fit, mit einem Lächeln im Gesicht. Die Down Under Classics sind als Rennen nicht allzu ernstzunehmen. Sie zählen noch nicht einmal zu der nicht allzu ernstzunehmenden Tour Down Under, die an diesem Dienstag beginnt. Aber sie sind ein Profi-Rennen, und die Ausgabe 2009 wird deshalb tatsächlich einen kurzen Eintrag in die Historie des Sports finden: Als erster Auftritt des siebenmaligen Tour-de-France-Siegers Lance Armstrong nach dreieinhalb Jahren Pause. Als der Auftakt seines zweiten Comebacks. Im Alter von 37 Jahren. Mit dem Sieg hatte der Ali auf Rädern an diesem Abend nichts zu tun. Armstrong rollte weit hinter dem Tagessieger Robbie McEwen als 64. ins Ziel. "Das hat Spaß gemacht", beschied Lance Armstrong trotzdem. Um das Ergebnis ging es an diesem sonnigen Sonntag nicht. Es ging um eine Botschaft - und die war angekommen.

Krieger mit Armbändchen

"Unterstützen sie Livestrong!", hatte es unmittelbar vor dem Startschuss aus den Lautsprechern geschallt. "Unterstützen sie Lance bei seinem Kampf gegen den Krebs!", hatte der Conférencier die Zuschauermenge bei der Präsentation des Astana-Teams aufgefordert, und Armstrong selbst hatte mit ernster Stimme zwei Zahlen erklärt, die er sich auf sein Rad hatte lackieren lassen: 1274 - so viele Tage sind seit seinem letzten Rennen vergangen -, und 27,5. So viele Millionen Menschen seien seitdem weltweit an Krebs gestorben.

Armstrong, das ist schon oft erzählt worden, hatte selbst Krebs. Metastasiert, im fortgeschrittenen Stadium. Doch er überlebte, kam zurück und kämpfte bei der Tour alle nieder. Sieben Mal nacheinander. Nun führt er einen anderen Kampf. Der Krebs ist sein Gegner, gegen den er mit einer Stiftung antritt. Die "Livestrong-Armee" nennt die sich selbst. Zu erkennen sind die Krieger an gelben Gummi-Bändern am Handgelenk. Armstrong gibt den Oberbefehlshaber. Gut möglich, dass ihn der Kampf eines Tages in die Politik führt.

Aber so weit ist es noch nicht. Im Sommer will er bei der Tour de France antreten, zuvor schon den zweiten großen Klassiker bestreiten, den Giro. "Die Aufmerksamkeit ist jetzt schon größer, als ich gedacht habe", sagt er: "Das ist gut für den Radsport und gut für die Krebs-Kampagne. Es ist gut für all die Gründe, wegen denen ich zurückgekommen bin." Nicht wenige sehen das ein wenig anders.

Tyler Hamilton, Floyd Landis, Ivan Basso, vielleicht auch Alexander Winokurow - in diesem Jahr kehren viele Radfahrer zurück, die als Betrüger entlarvt wurden. Dazu Armstrong, ein in Nachtests überführter, aber nicht verurteilter Doper. 1999 hatte eine Probe des Amerikaners bei der Tour de France einen ungewöhnlichen Kortikoid-Wert aufgewiesen. Mit Verweis auf ein nach dem Test eingereichtes Rezept blieb das folgenlos. Aus dem gleichen Jahr sind sechs Urinproben dokumentiert, die Epo-Spuren zeigten. Diese wurden allerdings erst Jahre später bei Nachtests gefunden und von der Zeitung L'Équipe enthüllt. Armstrong bezeichnete das als "Hexenjagd" und versicherte: "Ich habe nie leistungssteigernde Mittel genommen." Der Radsport-Weltverband UCI glaubte ihm. Sanktionen blieben aus. Beim Comeback jetzt ist die UCI Armstrong behilflich. Obwohl er sich ein paar Tage zu spät für das Kontrollprogramm angemeldet hat, darf er in Australien starten. Den Sportgewaltigen ist er offenbar hochwillkommen. Die vergangenen Jahren waren fatal für ihre Show: Reihenweise purzelten die Helden, Sponsoren sprangen ab, in Deutschland stiegen die öffentlich-rechtlichen Sender aus. Armstrong braucht mit derlei allerdings keiner kommen. Ob er sich schon einmal Gedanken über die moralischen und wirtschaftlichen Folgen des Dopings gemacht habe? Die Antwort kommt schnell und mit fester Stimme: "Nein." Wirklich nicht? "Nein."

Für den Absturz, den der Sport im Kernmarkt Deutschland erlebt, hat Armstrong eine einfache Erklärung, eine rein kapitalistische: "Die Sponsoren haben mit einem bestimmten Ziel in den Sport investiert. Sie wurden enttäuscht. Deshalb ziehen sie sich jetzt zurück. Mit dem Fans ist es genauso. Sie haben Emotionen investiert und wurden enttäuscht. Deshalb wenden sie sich ab." Er selbst hat noch nie enttäuscht. Deshalb sei die Aktie Armstrong ein lohnendes Investment. Immer noch. Fritz Pleitgen, dem Präsident der Europäischen Rundfunkunion, der die Tour in diesem Jahr nicht live in der ARD sehen will, habe er das auch so erklärt: "Ich habe ihm gesagt: Ich fahre. Ich fahre, weil ich einen mächtigen Grund habe. Und es ist mir egal, was sie oder ihr Land darüber denken." Ein freundliches Gespräch kann das nicht gewesen sein. "Ich finde es interessant, dass es einige Länder gibt, die gegen mein Comeback sind", hat Lance Armstrong in Adelaide gesagt, "und hier ist das ganz anders."

Antrittsgage in Millionenhöhe

Die Bigotterie der Australier beim Thema Doping ist kaum zu übertreffen. Einerseits wird der Fairplay-Gedanke gehegt und gepflegt und jede außergewöhnliche Leistung mit Argusaugen betrachtet, andererseits schwemmt die Sportbegeisterung alle Zweifel fort, sobald irgendwie die Heimat im Spiel ist. Und bei Armstrongs Auftritt war das Land mächtig mit von der Partie. Die Tour Down Under gehört dem Bundesstaat South Australia. Ausrichter ist die Tourismusbehörde. Armstrong kam nicht umsonst. Angeblich kassierte er für sein Gastspiel eine Millionen Euro. Als Gegenwert gab es Aufmerksamkeit. Seit die Formel 1 nach Melbourne zog, dürften auf einen Schlag nicht mehr so viele ausländische Journalisten nach Adelaide gefunden haben wie am Wochenende. 2008 waren 200 für die Tour Down Under akkreditiert, dieses Mal doppelt so viele. Zum ersten Mal wurden die TV-Rechte international verkauft. Statt wie im vergangenen Jahr 75 000, säumten bei der Stadtrundfahrt dieses Mal mehr als 120 000 Menschen die Straßen. Sie hießen Armstrong mit warmem Jubel willkommen, was bei dem Jubel-Tremolo der Medien auch nicht anders zu erwarten war.

Im Radio liefen Armstrongs Lieblingshits, der Adelaide Advertiser legte eine Posterserie auf. Ein Kolumnist forderte, Armstrongs Biographie "It's not about the bike", in der schon auf den ersten zehn Seiten 198 Mal das Wort "ich" vorkommt, sollte zur Pflichtlektüre in den Schulen erhoben werden. Das Testosteron-Blatt Alpha schwärmte über "die zwei Laserstrahler, die er Augen nennt", das Bicycling-Magazin geißelte böse "Gruppen, die aus egoistischen Gründen Schmutz auf ihn geworfen haben", und brav wurde überall die Versicherung der Sportministerin wiedergegeben, das Anti-Doping-Programm bei der Rad-Veranstaltung sei das strengste, das es in ihrem Land je gegeben habe. Dass viele Mittel gar nicht nachzuweisen sind, wurde dagegen selten geschrieben. Etwas unter ging auch, dass aus Armstrongs groß angekündigtem Versprechen, er werde sich vom Mediziner Don Catlin regelmäßig durchleuchten lassen und die Ergebnisse im Internet veröffentlichen, bisher noch nichts geworden ist. Catlins Aufsicht begann offenbar erst in Australien, was sie reichlich entwertet.

Rechtzeitig begonnen haben dagegen die Aufnahmen für die Dokumentation, die der nicht uneitle Armstrong über seinen Comeback-Versuch fertigen lässt. Viele Kollegen, so hatte es am Sonntag den Anschein, würden darin gerne eine Nebenrolle spielen. Der Australier Stuart O'Grady bewarb sich mit der Aussage, Armstrongs Rückkehr sei "phänomenal": "In jeder Zeitung steht auf jeder Seite etwas darüber." Oscar Pereiro, spanischer Tour-de-France-Sieger 2006, sprach von einem "sehr mutigen Schritt", der das Peloton wieder zurück in die Aufmerksamkeit rücke. Selbst Neil Stephens, als Manager des Caisse-d'Epargne-Teams eigentlich ein Gegner, sagte: "Als Radsportfan finde ich es großartig, dass in diesem Jahr so viele zurückkehren. Das wird eine spannende Tour de France." Fürwahr. René Hofmann

Astana leuchtet: Lance Armstrong, der neue alte Mann im Pulk, führt die Farben seines Teams vor. Foto: dpa

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Rad-Szene zittert vor Fuentes

Affäre wieder aufgerollt

Madrid - Gut zweieinhalb Jahre nach ihrem Ausbruch gibt es in der Dopingaffäre "Operación Puerto" eine ungeahnte Wendung. Wie El País am Wochenende berichtete, werden die Verantwortlichen des damals polizeilich zerschlagenen Dopingrings um den spanischen Arzt Eufemiano Fuentes nun doch vor Gericht gestellt. Entgegen der Argumentation von Ermittlungsrichter Antonio Serrano sah ein Berufungsgericht in Madrid sehr wohl Indizien für Delikte gegen die öffentliche Gesundheit. Serrano hatte dies bislang bestritten und den Fall bereits zweimal zu den Akten gelegt, zuletzt im Oktober vorigen Jahres.

Offen ist, wann der Prozess zustande kommen kann. Spaniens Justiz versinkt im Chaos, zum Jahresende waren mehr als 2,5 Millionen Verfahren anhängig. Vorerst angeordnet worden ist erstens, dass Serrano die Ermittlungen nicht ein drittes Mal einstellen darf und - zweitens - ein verkürztes Verfahren zwingend ist. Sollte einer der Nebenkläger auf einer mündlichen Verhandlung bestehen, würde es zu einer mutmaßlich öffentlichen Verhandlung kommen. Laut El País ist davon auszugehen. Unklar ist, ob dann alle acht ursprünglich Beschuldigten und Festgenommenen - unter anderen Doktor Fuentes, seine Schwester Yolanda, der Blutexperte José Luis Merino Batres und der Radsportdirektor Manolo Saiz - angeklagt werden. Sportler können keinesfalls angeklagt, allenfalls als Zeugen geladen werden.

Besonders interessant würde ein Prozess vor allem dann, wenn Fuentes vollumfänglich auspackt. Bislang hat er stets erklärt, nicht nur Radprofis, sondern auch Berufssportler aus anderen Disziplinen betreut zu haben. Seine Gattin, die frühere Leichtathletin Cristina Pérez, sagte jüngst, Spaniens Sport würde zusammenbrechen, wenn sie alles offen lege, was sie wisse. US-Radprofi Lance Armstrong erklärte am Samstag, dass "die Medien die Verantwortung haben, sich zu vergegenwärtigen, dass die Operación Puerto keine Rad-, sondern eine Sportkontroverse ist". Wer über Radsport spreche, müsse "über Fußball, Tennis, über jeden sprechen, der (in die Affäre/d. Red.) verwickelt ist."

Laut El País könnte die Neuaufnahme des Falls auch sportrechtliche Konsequenzen haben. So könnten die sichergestellten Asservate, unter anderem 200 Blutproben und Trainingspläne, nach einem Urteil auch von Sportverbänden ausgewertet werden. Zwar waren in den Fuentes-Unterlagen die Namen von 50 Radprofis zu finden, darunter auch Decknamen, die spanischen Radgrößen wie Alberto Contador oder Alejandro Valverde zugeordnet werden können. Aber nur in Italien und in Deutschland wurden insgesamt vier Radprofis gesperrt. Einige Sportler haben ihre Karriere beendet, unter ihnen der Deutsche Jan Ullrich. Andere dürften es bis zu einem Urteil noch tun. Javier Cáceres

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Sport heute

FUSSBALL

Die Millionen des Scheichs

Für Nigel de Jong erwartet der HSV eine Ablöse von 20 Millionen Euro. Seite 26

WINTERSPORT

Entspannt im Eiskanal

Frank Rommel ist der erste deutsche Skeleton-Europameister. Seite 28

SKI ALPIN

Geduld mit langen Brettern

Maria Riesch verliert ihre Weltcup-Führung an Lindsey Vonn. Seite 29

Ergebnisse Seite 30

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Wie eine Schachtel Pralinen

Die Leistung der deutschen Mannschaft zum Auftakt der Handball-EM gegen Russland gibt Rätsel auf: Ist das Team jugendlich frisch oder doch nur naiv?

Varazdin - Die gute Nachricht für Freunde des Handballs im Land: Der Weltmeister muss nun doch nicht zu den Zwergen gerechnet werden, wie die Pessimisten vermutet hatten; es finden sich im größten Handballverband der Welt doch noch einige Spieler, die einigermaßen mit der Kugel umgehen können. Die weniger gute Nachricht: Zwar sind die Deutschen keine Zwerge, aber was sie stattdessen sind, das ist nach dem ersten Wochenende der Handball-WM in Kroatien schwer zu sagen (das zweite Spiel gegen Tunesien war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht beendet). Eine junge, schwungvolle Mannschaft, die auf dem Feld mit Begeisterung und Wucht zu Werke geht? Eine naive Auswahl, die blind in die Fallen des Gegners rennt? Eine Mannschaft mit toller Abwehr und müdem Angriff oder doch eher eine mit kraftvoller Attacke und löchriger Defensive? Die Antwort ist: Sie sind das alles, und noch viel mehr. Und deshalb ist überhaupt nicht vorherzusagen, was sie in diesem Turnier noch alles anstellen werden.

Auch Bundestrainer Heiner Brand weiß nicht so genau, was er von der Mannschaft halten soll. Er selbst hat diese Auswahl zusammengestellt, er hat ein paar Etablierte nicht mehr berücksichtigt und ein paar Neulinge dazugebeten. Und nun schaut er auf sein Werk und sieht - nun ja, dass es wächst, immerhin. "Wenn man sieht, wie die Mannschaft kämpft, dann gibt das Zuversicht für die nächsten Spiele", brummt er zufrieden. Bei den Olympischen Spielen hatte Brand den Eindruck gewonnen, dass nicht alle an ihre Grenzen gegangen waren. Diesen Eindruck erweckt die jetzige Mannschaft nicht mehr. Aber hat sie die Nerven für dieses Turnier? Die Erfahrung hat sie nicht, das ist klar, und deshalb sagte Brand am Samstagabend nach dem 26:26 gegen Russland: "Wenn mir vorher jemand das Unentschieden angeboten hätte, dann hätte ich es vielleicht angenommen." Was er aber auch sagte: "Wenn man sich den Spielverlauf ansieht, kann man mit den Ergebnis nicht zufrieden sein." Was wiederum daran liegt, dass die Deutschen das Spiel hätten gewinnen können und mit mehr Erfahrung auch gewonnen hätten.

Mit fünf Toren Vorsprung führten sie neun Minuten vor dem Ende; zwar ist Handball ein Sport, in dem Rückstände schnell aufgeholt sind, aber in dieser Phase dominierte die deutsche Auswahl die Partie; die Abwehr arbeitete hervorragend, den Russen fiel kein Mittel ein, den Verbund zu knacken, und vorne trafen Spieler wie Michael Müller, ganz neu dabei und eine große Hoffnung im rechten Rückraum. In dieser Phase lief es für die Deutschen wie im Traum, alles klappte, und es bestand Anlass zu der Hoffnung, dass hier überraschend etwas Großes entstehen könnte: eine neue Mannschaft, die fehlende Erfahrung mit Freude und Energie überspielt. Dann aber verloren die Deutschen die letzten neun Minuten der Partie 1:6, so dass es am Ende ein Unentschieden wurde. "Ich weiß, was Sie fragen wollen", sagte Pascal Hens, "war es ein Punktgewinn oder ein Punktverlust?" Er beantwortete die Frage dann auch, indem er ausführte: Es war ein bisschen was von beidem. Das Ergebnis passte also gut zu einer Mannschaft, die ein bisschen was von allem ist.

Bei allen Unwägbarkeiten gibt es auch einige Konstanten im Team; die wichtigste ist die Hamburger Fraktion um Hens. 17 von 26 Toren gegen die Russen gingen auf das Konto von Torsten Jansen (sieben), Stefan Schröder (eins) und eben Hens, der neun Treffer erzielte. Dazu kommt Torwart Johannes Bitter, der zum Spieler des Spiels gewählt wurde - eine etwas übertriebene Ehrung vielleicht, da Bitter einige Fehler unterliefen, die er allerdings mit einer ganzen Reihe von spektakulären Paraden ausglich. An diesem Kern vom HSV Hamburg kann sich der Rest der Mannschaft orientieren. Selbst der mit Lob traditionell sparsame Brand sagte am Samstag: "Man hat gesehen, welche Bedeutung Pascal Hens für die Mannschaft hat.An ihm richten sich die anderen auf."

Dass nun auch der Hamburger Rechtsaußen Schröder ein bedeutender Spieler fürs Team ist, liegt daran, dass sich mal wieder ein Spieler schwer verletzt hat: Der Magdeburger Christian Sprenger erlitt einen Innenbandriss am Knie und reiste am Sonntag ab. Ob auch das Kreuzband beschädigt ist, wird sich in Deutschland zeigen. "Das ist ein Schock für uns", sagte Dominik Klein, "wir müssen das jetzt als Mannschaft auffangen." Damit immerhin haben sie alle bereits Erfahrung, denn dass sich deutsche Nationalspieler bei großen Turnieren verletzen, ist mittlerweile so selbstverständlich wie die drei großen Tatsachen des Lebens: Wasser ist nass, der Himmel ist blau, Frauen haben Geheimnisse. Es bestünde für Brand die Möglichkeit, den erfahrenen Lemgoer Florian Kehrmann nach der Vorrunde nachzunominieren, doch erst einmal wird er abwarten, wie sich Schröder macht.

Die Rechtsaußen-Position ist also eine weitere Unwägbarkeit in einer Mannschaft, die sich ausprobiert. Schröder hat nun die Chance, zu einer Größe aufzusteigen, wie die ganze Mannschaft die Chance hat zu wachsen. Im Hollywood-Film "Forrest Gump" zitiert die Titelfigur mehrmals eine Art Weisheit: "Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man bekommt." Wenn man nun in diesem Satz "Das Leben" ersetzt durch "Die deutsche Handball-Nationalmannschaft", dann hat man die unberechenbare Auswahl von 2009 trefflich beschrieben. Christian Zaschke

Pascal Hens wollte sich über die Härte der Russen gar nicht beschweren, als er sagte: "Da sind einige Ochsen drin." Er wollte das nur festhalten. AFP

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Barça schafft Rekord

Der FC Barcelona schreibt mit seiner beispiellosen Erfolgsserie Fußballgeschichte: Mit einem 5:0 über Deportivo La Coruña schlossen die Katalanen die Hinserie in der Primera División mit der Rekordbilanz von 50 Punkten ab. Sie überboten damit die bisherige Bestzahl von Real Madrid, das erst vor einem Jahr mit seinem damaligen Trainer Bernd Schuster einen Liga-Rekord mit 47 Hinrunden-Punkten aufgestellt hatte. Beim 5:0 feierte der FC Barcelona feierte wieder einmal seine Sturm-Asse Samuel Eto'o, Thierry Henry und Lionel Messi. Die "Drei Musketiere", wie sie El Mundo Deportivo nannte, erzielten die fünf Treffer beim 5:0 über La Coruña. Allerdings leisteten die Galicier auch wenig Gegenwehr. La Coruñas Trainer Miguel Angel Lotina hielt seinen Spielern später denn auch übertriebenen Respekt vor dem Tabellenführer vor. "Fußball ist kein Mensch-ärgere-dich, da gehört auch Körperkontakt dazu", schimpfte er. Der FC Barcelona verlor in der Hinrunde nur das Auftaktspiel beim Aufsteiger Numancia Soria, spielte gegen Racing Santander und FC Getafe remis und gewann die übrigen 16 Partien. dpa

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Manchester führt

Mit späten Toren haben die Spitzenteams der englischen Premier League drohende Pleiten verhindert. "Berba-Top!", jubelte das Boulevardblatt News of the World nach dem Treffer des Bulgaren in der 90. Minute gegen die Bolton Wanderers. Mit 47 Zählern schob sich United dank des 1:0 einen Punkt vor den FC Liverpool (46) und erhöhte den Druck auf den Konkurrenten, der am Montag gegen den FC Everton antritt. Grund zum Jubel hatte aber auch der FC Chelsea. Die Londoner verwandelten in den letzten sechs Minuten eine drohende Heimniederlage gegen Aufsteiger Stoke City in einen 2:1-Sieg und bleiben Manchester mit 45 Zählern auf den Fersen. Dabei entdeckten Ballack und sein FC Chelsea auch ihre Kämpferqualitäten wieder. Erst glich der eingewechselte Belletti in der 88. Minute aus, dann gelang Ersatz-Kapitän Frank Lampard mit einem Schuss von der Strafraumlinie, den Michael Ballack mit seinem Rücken leicht abfälschte, der Siegtreffer zum 2:1 (90.+3). Zuvor hatte die Londoner aber eine deprimierende Nachricht ereilt: Nationalspieler Joe Cole fällt mit einem Kreuzbandriss bis zum Ende Saison aus. dpa

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Derdiyok sagt ab

Klub-Mäzen Dietmar Hopp vom Bundesligisten 1899 Hoffenheim hat sich mit Manager Jan Schindelmeiser mündlich über eine vorzeitige Vertragsverlängerung geeinigt. "Jan Schindelmeiser ist für uns eine Idealbesetzung", sagte Hopp im Trainingslager im spanischen La Manga. Die Unterzeichnung des bis 2014 datierten Kontraktes sei nur noch Formsache. Schwierig gestaltet sich unterdessen die Suche nach einem Ersatz für Vedad Ibisevic, der inzwischen erfolgreich am rechten Knie operiert wurde. Der Mittelstürmer, der sich einen Riss des vorderen Kreuzbandes zugezogen hatte und für den Rest der Saison ausfällt, wird definitiv nicht vom Schweizer Eren Derdiyok ersetzt. Der 20-Jährige hatte Leverkusen bereits die Zusage für einen Wechsel im Sommer gegeben und sagte Hoffenheim ab. "Er hätte Interesse gehabt, sagte aber, dass er bei Leverkusen im Wort stehe. Das respektieren wir", sagte Schindelmeiser. Gehandelt werden nun Kandidaten wie Theofanis Gekas (Leverkusen) Marko Pantelic (Hertha) oder Ivan Klasnic (FC Nantes), die aber altersbedingt eigentlich nicht ins Konzept passen. sid

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Die Millionen des Scheichs

Für Nigel de Jong erwartet der HSV die höchste Ablösesumme der Klubgeschichte

Hamburg - Der Fußballtrainer Martin Jol, 53, ist ein Sammler. Er hat Häuser in den Niederlanden, in London, und auch das Haus im feinen Hamburger Stadtteil Othmarschen hat er nicht gemietet, wie es in seinem schnelllebigen Job vielleicht normal wäre. "Meine Oma", erzählt er gern, "hat mir damals gesagt, ich soll in Steine investieren." Auch Gemälde häuft der Coach des Hamburger SV an. Nur mit Spielern klappt das nicht so, wie er es gerne hätte. Jedenfalls nicht, solange Jol bei einem Klub tätig ist, der zwar talentierte Profis beschäftigt, diese aber gern mit großem Gewinn an die reiche internationale Konkurrenz weitergibt.

Der jüngste Fall ist jetzt Nigel de Jong, 24. Eigentlich hatte Sportchef Dietmar Beiersdorfer bereits mündliche Einigung mit dem holländischen Nationalspieler erzielt über die Verlängerung des Vertrages bis 2011. Dann kam Manchester City - jener Klub, der mit dem Geld seines neuen Besitzers Scheich Mansour Bin Zayed Al Nahyan aus Abu Dhabi auf Spielersuche geht und dem großen Rivalen Manchester United alsbald Paroli bieten will. Zu Saisonbeginn luchste man Real für 42 Millionen Euro das brasilianische Ausnahmetalent Robinho ab, derzeit buhlt man mit der Rekordsumme von 120 Millionen Euro um Milans Regisseur Kakà.

Das inzwischen aufgestockte Angebot für de Jong, der im Januar 2006 für 1,5 Millionen Euro von Ajax Amsterdam kam, ist mit knapp 20 Millionen Euro zwar vergleichsweise bescheiden, würde den Hamburgern aber immer noch die höchste Ablöse der Klubgeschichte einbringen, nachdem die Citizens im August schon neun Millionen für den HSV-Profi Vincent Kompany gezahlt hatten. Natürlich hat de Jong den in England derzeit nur auf Tabellenplatz 15 liegenden Verein sofort zum "Kult-Klub" erhoben und seine Entscheidung via Bild schon fast vorweggenommen: "Wenn alles passt, werde ich wechseln." Auch der Vorstand des HSV will sich den Millionen des Scheichs offenbar nicht verschließen.

Es ist immer noch das Konzept der Hamburger, junge Spieler mit internationalen Ambitionen zu verpflichten und später bei einem Transfer ordentlich zu kassieren, um so den eigenen wirtschaftlichen Rahmen Stück für Stück zu erweitern. Deshalb weiß Jol auch, dass man "manchmal einen Schritt zurück gehen muss, um drei Schritte nach vorn machen zu können". Denn natürlich muss sich diese HSV-Mannschaft nach den Verlusten permanent neu erfinden.

Beiersdorfer geht einkaufen

So war es auch, als Kapitän Rafael van der Vaart im August 2008 für 14 Millionen zu Real Madrid wechselte. Plötzlich stand der HSV ohne jenen Mann da, der an 50 Prozent aller Tore Anteil hatte. Und selbst als Sportchef Beiersdorfer innerhalb von 14 Tagen für das van der Vaart- und Kompany-Geld die Bundesliga-Konkurrenz schockte und vier neue, vielversprechende Spieler erstand (Mladen Petric, Marcell Jansen, Alex Silva und Thiago Neves), musste sich das erneuerte Team erst einspielen.

Immerhin: Obwohl der als Spielmacher vorgesehene Neves die Erwartungen bislang nicht erfüllte, hat sich der HSV in der Spitzengruppe festgesetzt. Ganz anders übrigens als 2006. Damals, als das bis dahin überragende Abwehr-Duo Daniel van Buyten und Khalid Boulahrouz für zusammen 5,3 Millionen Euro erworben und für über 20 Millionen Euro zum FC Bayern beziehungsweise FC Chelsea verkauft wurde, geriet die Balance so durcheinander, das der HSV nach der Winterpause Letzter war und Trainer Thomas Doll vom Disziplinfanatiker Huub Stevens abgelöst wurde. Erst Stevens und die Wintereinkäufe Frank Rost und Ivica Olic trugen zur Wende bei, womit man aber auch beim bittersten Personalflop angekommen ist. Beiersdorfer muss sich vorhalten lassen, den Kontrakt mit dem Kroaten Olic nicht schon im Januar 2008 verlängert zu haben. Damals hätte Olic sofort verlängert, nun aber geht er nach Vertragsende im Sommer ohne Ablöse zum FC Bayern.

Mit dem Geld für de Jong aber will Beiersdorfer bis zum Ende der Wechselfrist am 31. Januar erneut einkaufen gehen. Am Freitag brach er schon früh vom Trainingsquartier im spanischen La Manga auf, um irgendwo in Europa zu verhandeln. Womöglich wird er seinem Trainer gleich drei neue Profis mitbringen. Spekuliert wird unter anderem über den früheren Schalker Christian Poulsen, 28, derzeit bei Juventus Turin unglücklich, und den Niederländer Denny de Zeeuw, 25, vom AZ Alkmaar.

Den Namen Mark van Bommel dagegen wird man streichen müssen, Bayern-Manager Uli Hoeneß verweigerte eine sofortige Freigabe. Außerdem passt van Bommel ja auch nicht ins Suchschema des HSV. Er ist 31 Jahre alt. Mit so einem "alten Mann" lässt sich nichts mehr verdienen. Und für einen echten Sammler gibt es, auch wenn Martin Jol seinen Landsmann schätzt, gewiss bemerkenswertere Objekte. Jörg Marwedel

Wer findet schneller den Weg aus dem Hamburger Stangen-Labyrinth? Ivica Olic (links) wechselt im Sommer nach München - Nigel de Jong könnte schon vorher nach Manchester übersiedeln. Foto: Getty

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Gelungener Einstand in Abu Dhabi

Kaymer Zweiter

Abu Dhabi (dpa) - Martin Kaymer hat in Abu Dhabi einen glänzenden Einstand in die Golf-Saison gefeiert. Ein Jahr nach seinem aufsehenerregenden ersten Sieg auf der Europa-Tour in Abu Dhabi reichte es für den 24-Jährigen aus Mettmann am Sonntag mit einem Eagle am letzten Loch zum geteilten zweiten Platz. Mit 268 Schlägen (68+68+65+67) auf dem Par-72-Kurs am Persischen Golf musste Kaymer zusammen mit dem schlaggleichen Südafrikaner Louis Oosthuizen nur Sieger Paul Casey (267) aus England den Vortritt lassen. Immerhin ließ er den Weltranglisten-Dritten Padraig Harrington (271/Irland) und den Branchenzweiten Sergio Garcia (272/Spanien) noch hinter sich. In der Weltrangliste wird Kaymer sich mit knapp 128 000 Euro Prämie vom 25. Platz weiter verbessern.

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Kiefer reist ab

Knöchel-Verletzung verhindert Start bei den Australian Open

Melbourne (dpa) - Nicolas Kiefer wollte so schnell wie möglich das Land verlassen. "Ich will jetzt ganz schnell weg", sagte Kiefer nach seiner Absage für die Australian Open. Die Hoffnung auf eine Wunderheilung nach seinem doppelten Bänderriss am Knöchel blieb aus. "Ich habe versucht, richtig Tennis zu spielen. Aber das ging nicht", berichtete der 31-Jährige, der sich beim Hopman-Cup zu Beginn des Jahres in Perth verletzt hatte. "Ich kann nicht riskieren, dass sich die Verletzung verschlimmert und ich dann noch länger ausfalle", erklärte der enttäuschte Hannoveraner.

Von Verletzungen waren zuletzt auch Tommy Haas, Rainer Schüttler und Philipp Kohlschreiber geplagt, sie können aber antreten. Kohlschreiber hat das schwerste Los: Er tritt gegen Sam Querrey an (ca. 7 Uhr MEZ, live in Eurosport), am Samstag noch Finalist in Auckland. Haas fehlt nach fünf Monaten Pause Spielpraxis. "Ich muss mich durchbeißen", sagte er vor seinem Match am Dienstag gegen den Argentinier Eduardo Schwank, "das ist immerhin keine haushohe Hürde." Schüttler kommt nach seiner Handgelenk-Entzündung ebenfalls zu Gute, dass er noch nicht am Montag gegen den Israeli Dudi Sela aufschlagen muss.

Gleich 20 deutsche Tennisprofis haben down under den Sprung in das Hauptfeld geschafft - in den Kampf um die erste Grand-Slam-Krone des Jahres werden Haas, Schüttler, Grönefeld & Co. aber kaum eingreifen können. Bei den Männern gilt das Augenmerk vor allem dem Top-Quartett: Rafael Nadal, Roger Federer, Titelverteidiger Novak Djokovic und Andy Murray, der momentan vielleicht am besten in Form ist. "Es wird interessant werden", sagte Federer am Sonntag nach seinem lockeren Sieg im Finale des Einladungsturniers von Kooyong (6:1, 6:3 gegen Stanislas Wawrinka). "Vergangenes Jahr ging es nach meiner Krankheit nur darum, dieses Turnier zu spielen - diesmal will ich es gewinnen."

Noch nicht richtig in Tritt: Venus Williams beim Training am Tag vor dem Beginn der Australian Open Foto: AFP

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Kakà entscheidet

Auch wenn die Anhänger des AC Mailand am Wochenende für einen Verbleib des Brasilianers Kakà demonstrierten, stehen die Zeichen eher auf Trennung. Selbst Ministerpräsident und AC-Mailand-Eigner Silvio Berlusconi ist skeptisch, den Mittelfeldspieler halten zu können. "Es ist noch nichts beschlossen, es ist aber sehr schwierig, einen Spieler zum Bleiben zu überreden, der so viel mehr verdienen würde. Die Frage ist, mit welcher Motivation Kakà bei Milan bleiben würde, wenn er in England so viel mehr verdienen könnte", sagte Italiens Regierungs-Chef. Kakà will offenbar an diesem Montag eine Entscheidung über das Rekord-Angebot von Manchester City und einen möglichen Wechsel nach England treffen. Wie italienische Medien berichteten, ist zu Wochenanfang ein Treffen zwischen Kakàs Vater und Manager Bosco Leite sowie dem Geschäftsführer von Manchester City, Gary Cook, geplant. Der englische Traditionsklub bietet Milan für Kakà 125 Millionen Euro Ablöse und dem Mittelfeldstar einen Fünfjahresvertrag mit einem Netto-Jahresgehalt von 15 Millionen Euro. sid

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39 Punkte beim Sieg gegen Utah

Nowitzki überragt

Dallas (sid) - Mit einer Gala-Vorstellung hat Dirk Nowitzki die Talfahrt der Dallas Mavericks in der nordamerikanischen Basketball-Profiliga NBA gestoppt. Nach zuletzt vier Niederlagen hintereinander führte der gebürtige Würzburger seinen Klub zu einem 115:108-Sieg gegen Utah Jazz. Der deutsche Nationalspieler war mit 39 Punkten und einer Trefferquote aus dem Feld von 80 Prozent der überragende Akteur auf dem Parkett. "Das war eines von den Spielen, bei denen alles klappte, was sonst nicht geht", sagte Nowitzki. Durch den 23. Saisonerfolg verkürzten die Texaner als Neunte der Western Conference den Rückstand auf einen Play-off-Platz auf einen Sieg. Nun stehen Dallas vier Auswärtsspiele im Osten bevor.

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Springreiter in Leipzig

Nicht ohne meinen Anwalt

Leipzig - Hat jemand was von Krise gesagt? Finanzkrise? Glaubwürdigkeitskrise des Sports durch Doping- und Medikationsfälle? In den Leipziger Messehallen sind die Katastrophenszenarien weit weg. Beim Weltcupturnier der Springreiter waren alle Plätze fürs Wochenende lange ausverkauft und Turnierleiter Volker Wulff konnte drei neue Sponsoren präsentieren, einen davon aus der Gasbranche. Wulff hat große Pläne: Im Jahre 2011 will er in Leipzig das Weltcupfinale in den drei Disziplinen Springen, Dressur und Fahren ausrichten. Darüber wird im Herbst entschieden, es bewerben sich auch Göteborg, Hertogenbosch, Lyon und Estoril. Außerdem plant Wulff im Juli in Gera ein neues internationales Turnier, das über drei Wochenenden geht, gleichermaßen für zwei- und vierbeinige Youngsters und Routiniers.

Mehr Dopingkontrollen

Die europäische Springreiterelite ist fast wieder vollzählig beisammen. Noch leicht hinkend absolviert der Niederländer Albert Zoer die Parcoursbesichtigung vor dem Weltcupspringen. Der Sieger im Großen Preis von Aachen 2008 und einer der Olympiafavoriten musste wenige Wochen vor den Spielen seine Hoffnungen begraben: Beim Training stürzte der 33-Jährige mit einem jungen Pferd; als er, am Boden liegend, sein Bein in merkwürdigem Winkel abstehen sah, rief er per Handy den Notarzt. Ein 40 Zentimeter langer Nagel wurde eingesetzt, aber die Knochen heilten nicht so wie erhofft, Olympia fand ohne ihn statt. Jetzt will Zoer die nächsten Ziele ansteuern: das Weltcupfinale im April in Las Vegas, die Europameisterschaft in Windsor im August. Mit Sam gewann Zoer das Championat von Leipzig, mit Oki Doki hat er ein zweites Weltklassepferd im Stall. Beide Pferde haben er und sein Vater entdeckt, als sie noch jung und bezahlbar waren. Jetzt sind sie unverkäuflich.

Christian Ahlmann und Denis Lynch aus Irland, zwei der fünf bei den Olympischen Spielen wegen verbotener Medikation aufgefallenen Reiter, saßen nach abgelaufener Sperre in Leipzig wieder im Sattel, wie auch Jessica Kürten, die der Weltverband ebenfalls wegen positiver Dopingprobe vorübergehend zur Fußgängerin gemacht hatte. Alles wie immer also? Nicht ganz. Christian Ahlmann gibt kein Interview mehr ohne einen seiner fünf Anwälte, zu oft fühlte er sich missverstanden und falsch zitiert. Er will erstmal nur reiten, und das machte er gut in Leipzig, gewann auf Cassus das Hauptspringen am Samstagabend. Seine Fans sind ihm ohnehin treu geblieben: Wo er sich blicken lässt, wird er von Autogrammjägern bestürmt, das Publikum beklatscht jeden seiner Ritte. "Die sind der Meinung, jetzt ist die Sperre abgesessen, jetzt muss es auch genug sein", interpretiert Volker Wulff Volkes Stimmung.

Die Veranstalter der großen deutschen Turniere, die sich nach den Dopingdiskussionen um Schadensbegrenzung bemühten, um das Fernsehen bei der Stange zu halten, haben Konsequenzen gezogen: Die Zahl der Dopingkontrollen wurde erhöht, in Leipzig wurden in jedem Springen die ersten drei Pferde getestet. 20 Proben bei 400 Starts, das erscheint auf den ersten Blick immer noch nicht allzu viel. Auch tun mehr Stewards als früher Dienst im Stall und auf dem Abreiteplatz. "Ständig geht einer von uns durch den Stall", versicherte Hans Wallmeier.

Todesfall bei den Vierspännern

Der langjährige Angestellte der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), bei den Reitern bekannt als wachsamer Kontrolleur, benutzt jedes Mal einen anderen Eingang, um nicht vorzeitig entdeckt zu werden. Die Pferdedecken vor einer Box ließ er abnehmen, damit auch nicht ansatzweise der Verdacht auf verbotene Machenschaften hinter verhängten Boxenwänden aufkeimt. Allen Pferden wurden nach ihrem Parcours die Gamaschen abgenommen, um die Beine auf Verletzungen und unnatürliche Erwärmung zu kontrollieren. Ein Steward lebt nicht ungefährlich, musste dabei Evi Eisenhardt aus Bayern erfahren. Das Pferd von John Whitaker ließ sich bei der Kontrolle mit dem eisenbeschlagenen Vorderhuf auf ihrem Zeh nieder und war eine halbe Minute nicht zu bewegen, ihn freizugeben.

Einen Todesfall meldeten die Vierspännerfahrer, auch sie fuhren in Leipzig um Weltcup-Punkte. Der 15-jährige Wallach Rambo, der seit elf Jahren brav hinten links die Kutsche des Deutschen Christoph Sandmann zog, brach nach der Prüfung zusammen und starb wenig später. Die Tierärzte vermuteten innere Blutungen infolge einer gerissenen Blutbahn und ließen das Tier in einer Pferdeklinik obduzieren, das Ergebnis wird morgen erwartet. Gabriele Pochhammer

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Auf dem sinkenden Schiff

Ein Reeder soll Real Madrid als Übergangspräsident retten

Madrid - Seine erste Amtshandlung vollzog Vicente Boluda Fos am Samstag, nur die Kameras des vereinseigenen Senders Real Madrid TV waren als Protokollanten zugelassen. Rund 24 Stunden, nachdem der 53-jährige Boluda, Real-Sozius mit der Mitgliedsnummer 47 936, das Präsidentenamt bei Real von Ramón Calderón übernommen hatte, stattete er der Fußballmannschaft einen kurzen Antrittsbesuch ab. Ohne Krawatte, das himmelblaue Hemd unter dem grob karierten Sakko offen, legte er auf dem Trainingsplatz in der Sportstadt Valdebebas, vor den Toren Madrids, den Arm um den erst seit einem Monat amtierenden Trainer Juande Ramos und wünschte ihm und der Mannschaft gutes Gelingen. Um "Einheit" bat er die Belegschaft, um "ein Maximum an Konzentration auf die sportlichen Belange"; für alles andere, also die Beilegung der institutionellen Krise des Vereins, wolle er schon sorgen. "Ich habe mein Berufsleben lang nichts anderes gemacht als sinkende Schiffe zu retten", versicherte Boluda im Interview mit Marca. Er ist Spaniens größter Privatreeder und Kommandeur über Europas zweitgrößte Schlepperflotte.

"Zwei Titel, 1000 Skandale"

Krisen hat Real Madrid nicht wenige erlebt, doch so dermaßen aufgelaufen wie diesmal ist Spaniens Rekordmeister lange nicht mehr. Boluda eingeschlossen hat der Klub seit seiner Gründung 18 Vorsitzende gehabt; allein in den letzten drei Jahren hat der Klub fünf Vorsitzende zerschlissen. Schon jetzt steht fest, dass Reals Fußvolk nach Ende dieser Saison einen presidente número 19 erleben wird. Zwei wichtige Voraussetzungen für eine Kandidatur bringt Boluda mit: Eine zehnjährige Mitgliedschaft sowie ausreichend finanzielle Muskulatur, um eine Bürgschaft über 15 Prozent des Etats vorlegen zu können - rund 60 Millionen Euro. Doch er hat schon ausgeschlossen, sich bei den für Juli angestrebten Wahlen zu stellen. Offenbar ist er schlau genug, sich als bisheriger Vize von Ramón Calderón für verbrannt zu halten.

Somit ist der Weg frei für andere Interessenten, die ersten haben sich schon in Position gebracht. Selbst eine Rückkehr von Bauunternehmer Florentino Pérez (oder eines Strohmannes) wird nicht ausgeschlossen; seinerzeit begründete er mit der Verpflichtung von Ikonen wie Figo, Zidane, Beckham oder Ronaldo die Ära der Galácticos. Vor einigen Monaten wurde spekuliert, dass José María Aznar, von 1996 bis 2004 spanischer Regierungschef, das Präsidentenamt anstrebe. Doch er ist erst seit wenigen Jahren Klubmitglied. Wer auch immer sich um Spaniens heißesten Stuhl bewirbt: Es kommt eine Menge Arbeit auf ihn zu. Denn Real ist in den vergangenen Jahren einer fortschreitenden Diskreditierung ausgesetzt gewesen. Die letzten Monate waren, so die Zeitung Marca, bloß "die Apotheose des Desasters", das vor zweieinhalb Jahren begann. Mit dem Beginn des Mandats des Rechtsanwalts Ramón Calderón, einem Mann aus ultrareaktionärem Hause.

Schon sein Wahlkampf ums Präsidentenamt war schmutzig geraten, die Wahl an sich war es auch. Per Gerichtsbeschluss sorgte Calderón dafür, dass Stimmen für seine Rivalen nicht ins Ergebnis einflossen. Andernfalls wäre er wohl nie Präsident geworden. Als die trägen Ermittler der spanischen Justiz zu Ende gerechnet hatten, war 2008 fast vorüber - und die erste Biographie über sein Wirken erschienen. Ihr Titel: "Der weiße Teufel." Es folgte die instabilste, am meisten angefochtene Präsidentschaft der Vereinsgeschichte. Die Ära Calderón fasste die (allerdings im Feindesland Barcelona) erscheinende Zeitung Sport so zusammen: "Zwei Titel und 1000 Skandale".

Der einstige Adabei aus der spanischen Stierkampfszene verschliss mit Fabio Capello und Bernd Schuster zwei Trainer, die ihm in aufeinanderfolgenden Jahren den Meisterpokal nach Madrid holten. Er verpulverte 300 Millionen Euro in Zukäufe und schaffte es doch nicht, vollmundig versprochene Stars wie Kakà, Cesc Fabregas und vor allem Cristiano Ronaldo nach Madrid zu holen. Zumeist gefiel er sich in eitlen Posen, mal beleidigte er die Spieler der ersten Mannschaft als Ignoranten ("keine Bildung, keine Kultur") und Schnorrer ("die zahlen nirgends"). Das Geraune über angeblich künstlich aufgeblähte Transfers, damit Führungsmitglieder des Klubs an den Kommissionen mitverdienen, konnte Calderón nie verstummen lassen. Doch er stolperte schließlich, weil er die Mitgliederversammlung türkte. "Ramongate", schrieb Marca, dessen Redakteure sich nun fühlen dürfen wie die Watergate-Enthüller.

An sie besonders war die Botschaft der Stärke und Unbeugsamkeit gerichtet, die Calderón am Freitagabend übermitteln wollte. Er sei kein Feigling, sagte Calderón, und er habe auch nichts zu verbergen, und "wenn ich nun dennoch meinen übrigens seit Amtsbeginn so verfolgten Kopf darbiete", dann nur, weil er den Klub befrieden wolle. "Der Erfolg derer, die meinen Abmarsch betrieben haben, ist der Erfolg der Ungerechtigkeit und Bosheit." Dann brach seine Stimme, und seine Augen füllten mit Tränen, als er seiner Familie und seiner Frau Teresa dankte, die in Demut alle Unannehmlichkeiten ertragen hätte, die das Präsidentenamt so mit sich bringe.

Welcher Art diese sind, musste der Übergangsnachfolger Boluda bereits erfahren. König Juan Carlos rief an, um Glück zu wünschen. Und nachdem er am Freitagabend daheim Pizzas für die Familie orderte, ging er, wie immer, an die Tür, und doch war nichts wie sonst: "Der Bote schaute mich an, als wäre ich ein Außerirdischer." Javier Cáceres

Vicente Boluda Foto: Reuters

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Der Toto-Tipp

3. Veranstaltung

1 Chelsea London - Stoke City 2:1 1

2 Bolt. Wanderers - Manchester Utd. 0:1 2

3 Blackburn Rovers - Newcastle Utd. 3:0 1

4 Hull City - Arsenal London 1:3 2

5 Manchester City - Wigan Athletic 1:0 1

6 FC Sunderland - Aston Villa 1:2 2

7 Bromwich Albion - Middlesbrough 3:0 1

8 Tottenham Hotspur - Portsmouth

9 West Ham United - FC Fulham

10 AC Mailand - AC Florenz 1:0 1

11 Atalanta Bergamo - Inter Mailand

12 FC Turin - AS Rom

13 AC Chievo Verona - SSC Neapel

(Ohne Gewähr)

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Kurz gemeldet

1. FC Köln, Fußball-Bundesligist, muss wohl zwei Monate auf Linksverteidiger Pierre Wome verzichten. Bei dem Kameruner wurde ein Sehnenanriss im linken Oberschenkel diagnostiziert.

Diego, Fußball-Profi bei Werder Bremen, wurde in der Nacht zum Sonntag mit einem Alkoholwert von rund 0,8 Promille im Blut am Steuer seines Autos erwischt. Die Bremer Polizei bestätigte einen entsprechenden Bericht.

Athanasia Tsoumeleka, griechische Geher-Olympiasiegerin von 2004, ist laut Fernsehsender NET positiv auf das Blutdopingmittel Epo getestet worden. Die Probe soll am 6. August zwei Tage vor Beginn der Spiele in Peking genommen worden sein. In Peking belegte die 27-Jährige in persönlicher Bestzeit von 1:27:54 Stunden Rang neun. Tsoumeleka bestreitet, gedopt zu haben, und kündigte ihren Rücktritt an.

Für Dominik Stehle, Skirennfahrer, ist die Alpin-Saison wegen eines Kreuzbandrisses vorzeitig beendet. Der 22-Jährige aus Obermaiselstein zog sich die Verletzung bei einem Europacup-Rennen am Oberjoch im Allgäu zu.

Tadd Fujikawa, 18, hat den Golfstars bei der Sony Open auf Hawaii die Show gestohlen. Mit seiner 62er Runde am dritten Tag des Wettbewerbs mischte der Lokalmatador die Elite auf und schob sich mit 202 Schlägen vom 50. auf den geteilten sechsten Rang vor.

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Aktuelles in Zahlen

Basketball

BBL, All-Star-Spiel in Mannheim

Süd-Auswahl - Nord-Auswahl 97:98 (53:57).

NBA

Dallas - Utah 115:108.

Biathlon

Weltcup in Ruhpolding

Männer: Sprint über 10 km: 1. Björndalen (Norwegen) 23:25,8 Minuten/0 Strafrunden nach Schießfehlern, 2. Landertinger (Österreich) 0:33,4 Minuten zurück/0, 3. Svendsen (Norwegen) 0:35,3/1, 4. de Lorenzi (Italien) 0:56,0/0, 5. Bergman (Schweden) 0:57,2/1, 6. Maric (Slowenien) 0:57,3/1, 7. Rösch (Altenberg) 0:57,5/1, 8. Pinter (Österreich) 1:00,7/0, 9. Birnbacher (Schleching) 1: 02,1/0, 10. Tschudow (Russland) 1:06,8/1; 30. Peiffer (Clausthal-Zellerfeld) 1:45,4/1; 37. Stephan (Oberhof) 1:57,9/2; 40. Greis (Nesselwang) 2:01, 3/3; 49. Lang (Hauzenberg) 2:08,8/2, 50. Wolf (Oberhof) 2:09,1/3.

Jagdrennen über 12,5 km: 1. Björndalen 36:17,4 Minuten/1 Strafrunde nach Schießfehlern, 2. Svendsen 0:34,4 Minuten zurück/1, 3. Landertinger 0:46,5/2, 4. Bergman 1:06,6/0, 5. Tscheressow (Russland) 1:19,4/0, 6. Rösch 1:19,5/3, 7. Berger (Norwegen) 1:34,9/2, 8. Sikora (Polen) 1:41,4/2; 14. Greis 2:12,4/2; 21. Birnbacher 2:34, 9/4; 33. Peiffer 3:10,1/4; 35. Wolf 3:27,1/4; 42. Stephan 4:22,6/5; 47. Lang (Hauzenberg) 4:39,7/7.

Gesamtweltcup (11/26): 1. Svendsen 460 P., 2. Sikora 427, 3. Björndalen 408, 4. Bergman 370, 5. Tschudow 354, 6. Greis 7. Sumann beide 307, 8. Os (Nor) 305; 12. Rösch 235; 16. Wolf 207; 20. Birnbacher 171; 21. Stephan 165; 42. Lang 76; 52. Peiffer 53.

Frauen; Jagdrennen über 10 km: 1. Neuner (Wallgau) 32:56,5 Minuten/4 Strafrunden nach Schießfehler, 2. Jurjewa (Russland) 0:08,9 Minuten zurück/1, 3. Wilhelm (Zella-Mehlis) 0:21,7/3, 4. Berger (Nor) 0:29,0/2, 5. Slepzowa (Rus) 0:32,5/4, 6. Xianying (China) 0:33,2/1, 7. Olofsson-Zidek 0:34,8/2, 8. Jonsson (beide Schweden) 0:41,0/1; 14. Henkel (Großbreitenbach) 1:50,8/2; 21. Hitzer (Gosheim) 2:35,9/3; 23. Beck (Mittenwald) 2:46,1/1.

Gesamtweltcup (11/26): 1. Slepzowa 481 Punkte, 2. Jurjewa 461, 3. Neuner 409, 4. Jonsson 397, 5. Wilhelm 389, 6. Berger 351; 9. Henkel 316, 10. Beck 300; 19. Hauswald (Gosheim) 204; 23. Hitzer 175; 54. Buchholz 34.

Bob

EM und Weltcup in St. Moritz

Zweier: 1. Lueders/Bissett (Kanada) 2:12,08 Minuten (1:06,21+1:05,87), 2. Lange/Putze (Oberhof) 0,02 Sekunden zurück (1:06,23+1:05,87), 3. Hefti/Lamparter (CH) 0,15 (1:06,36+1:05,87), 4. Florschütz/Kühne (Riesa) 0,31 (1:06,52+1:05,87), 5. Stampfer/Lachkovics (Ö) 0,34 (1:06,33+1:06,09), 6. Angerer/Bermbach (Königssee) 0,47 (1:06,48+1:06,07). - EM-Wertung: 1. Lange, 2. Hefti, 3. Florschütz; 5. Angerer.

Stand im Zweier-Gesamtweltcup nach 6 von 8 Rennen: 1. Hefti 1171 Punkte, 2. Lange 1141, 3. Rüegg 1020, 4. Florschütz 1018, 5.

Subkow (Russland) 928, 6. Hays (USA) 912; 16.

Angerer 624; 18. Höpfner (Winterberg) 568.

Vierer: 1. Subkow/Oreschnikow/Trunenkow/Stepuschkin (Rus) 2:10,48 Min. (1:05,20+ 1:05,28), 2. Florschütz/Kühne/Metzger/Barucha (Riesa) 0,31 Sek. zurück (1:05,61+1:05, 18), 3. Angerer/Udvari/Pöge/Bermbach (Königssee) 0,33 (1:05,53+1:05,28), 4. Stampfer (Ö) 0,34 (1:05,69+1:05,13), 5. Hays (USA) 0,37 (1:05, 70+1:05,15); 9. Lange/Hoppe/Rödiger/ Putze (Oberhof) 0,70 (1:05,78+1:05,48). - EM-Wertung: 1. Subkow, 2. Florschütz, 3. Angerer; 7. Lange.

Stand im Vierer-Gesamtweltcup (5/8): 1. Subkow 1046 Punkte, 2. Lange 955, 3. Minins (Lettland) 904, 4. Angerer 880, 5. Holcomb (USA) 818; 8. Florschütz 758; 20. Höpfner 496.

Eishockey

DEL, 41. Spieltag

Ingolst. - Nürnberg 2:5 (0:1, 2:2, 0:2)

Duisburg - Hamburg 2:5 (0:2, 2:2, 0:1)

Wolfsburg - Mannh. n.V. 1:2 (1:0, 0:1, 0:0)

Köln - Iserlohn n.V. 2:1 (0:0, 0:0, 1:1)

Straubing - Hannover 4:1 (2:0, 2:1, 0:0)

1 Hannover Scorpions 41 136:109 82
2 Eisbären Berlin 40 150:110 75
3 Adler Mannheim 40 114:84 73
4 Frankfurt Lions 41 123:117 72
5 Krefeld Pinguine 41 130:103 67
6 DEG Metro Stars 39 120:104 66
7 Grizzly Wolfsburg 42 147:116 64
8 Iserlohn Roosters 40 134:135 63
9 Augsburger Panther 40 122:139 63
10 Nürnberg Ice Tigers 39 113:104 62
11 Hamburg Freezers 40 108:116 55
12 ERC Ingolstadt 40 106:116 53
13 Straubing Tigers 41 112:130 52
14 Kölner Haie 41 111:129 48
15 Kassel Huskies 40 112:131 48
16 Füchse Duisburg 41 84:179 26

Schwenningen - Heilbronn n.V. 1:2 (1:0, 0:1, 0:0), Freiburg - Crimmitschau 5:0 (2:0, 2:0, 1:0), München - Dresden 5:4 (3:1, 0:2, 2:1), Ravensburg - Lausitzer Füchse 7:1 (2:1, 3:0, 2:0), Bietigheim - Landshut 7:2 (2:1, 4:1, 1:0), Bremerhaven - Riessersee 4:1 (1:0, 1:0, 2:1).

Tabelle: 1. Tölz 113:75/73, 2. Bietigheim 129:71/71, 3. München 118:86/66, 4. Ravensburg 114:98/54, 5. Schwenningen 131:122/50, 6. Heilbronn 86:84/50, 7. Bremerhaven 107:103/49, 8. Landshut 102:108/48, 9. SC Riessersee 106:127/45, 10. Lausitzer Füchse 87:107/44, 11. Freiburg 112:134/43, 12. Dresden 100:136/37, 13. Crimmitschau 91:145/30.

NHL

Freitag: Columbus - New Jersey 1:2, Atlanta - Toronto 4:3 n.V., Florida - Philadelphia 2:3 n.V., Pittsburgh - Anaheim 3:1, Chicago - New York Rangers 2:3, Colorado - Edmonton 2:3.

Samstag: San Jose - Detroit 6:5, Buffalo - Carolina 3:1, Washington - Boston 2:1, Ottawa - Montreal 4:5 n.P., Tampa Bay - Florida 3:4, Nashville - Atlanta 2:7, Dallas - Los Angeles 3:2 n.P., New York Islanders - New Jersey 1:3, St. Louis - Chicago 1:2 n.V., Minnesota - Anaheim 0:3, Calgary - Phoenix 3:4.

Eisschnelllauf

Sprint-WM in Moskau

(Vierkampf/2 x 500, 2 x 1000 m); Männer

1. Tag und 2. Tag; 500 m, 1. Lauf: 1. Kyou-Hyuk 34,96, 2. Nagashima (Japan) 35,01, 3. Fengtong (Japan) 35,08, 4. Fredricks (USA) 35,10, 5. Koskela (Finnland) 35,27, 6. Kuipers (Niederlande) 35,44; 18. Ihle (Chemnitz) 36,12; 23. Schwarz (Berlin) 36,51.

2. Lauf: 1. Nagashima 34,91 Sekunden, 2. Yu 34,94, 3. Poutala 35,14, 4. Koskela 35,15, 5. Lee Kyou-Hyuk 35,16, 6. Davis 35,18; 18. Ihle 36,01; 28. Schwarz 37,49.

1000 m, 1. Lauf: 1. Davis (USA) 1:08,84 Min., 2. Kuipers 1:08,93, 3. Groothuis (NL) 1:09,32, 4. Nagashima 1:09,41, 5. Kyou-Hyuk 1:09,47; 19. Schwarz 1:10,97; 25. Ihle 1:12,00.

2. Lauf: 1. Davis 1:08,66, 2. Morrison 1:08,77, 3. Lalenkow (Russland) 1:09,52, 4. Kuipers 1:09,55, 5. Groothuis 1:09,70, 6. Koskela 1:09,80, 7. Obara 1:09,94, 8. Nagashima 1:10,19; 17. Schwarz 1:11,06; 19. Ihle 1:11,16.

Endstand nach 4 Rennen: 1. Davis 139,560, 2. Nagshima 139,720, 3. Kuipers 140,450, 4. Koskela 140,580, 5. Morrison 141,125, 6. Poutala 141,370, 7. Obara 141,415, 8. Lobkow 141,425; 21. Ihle 143,710, 22. Schwarz 145,015.

Frauen

500 m, 1. Lauf: 1. Wolf (Berlin) 38,00 Sekunden, 2. Beixing (China) 38,10, 3. Sang-Hwa (Südkorea) 38,33, 4. Jing (China) 38,42, 5. Nemaja (Russland) 38,55, 6. Peiyu (China) 38,57; 12. Friesinger (Inzell) 39,08; 14. Angermüller (Berlin) 39,17; 20. Hartmann (Inzell) 39,62.

2. Lauf: 1. Wolf 37,86 Sekunden, 2. Wang 37,91, 3. Lee 38,38, 4. Yu 38,40, 5. Gerritsen 38,49; 12. Angermüller 39,01; 17. Friesinger 39,34; 22. Hartmann 39,73.

1000 m, 1. Lauf: 1. Boer 1:16,29 Minuten, 2. Friesinger 1:16, 48, 3. Wang 1:16,53, 4. Gerritsen 1:16,82, 5. van Riessen (beide Niederlande) 1:16,95, 6. Yoshii (Japan) 1:17,05, 7. Yu 1:17,07; 10. Wolf 1:17,58, 11.

2. Lauf: 1. Friesinger 1:16,01 Minuten, 2. Wang 1:16, 40, 3. Boer 1:16,66, 4. Yu 1:16,77, 5. van Riessen 1:16,81, 6. Yoshii 1:16,83, 7. Rempel (Kanada) 1:17,03, 8. Rodriguez (USA) 1:17,27; 10. Wolf 1:17,52; 13. Angermüller 1:17,80; 22. Hartmann 1:19,23.

Endstand nach 4 Rennen: 1. Wang 152,475 Punkte, 2. Wolf 153,410, 3. Yu 153,740, 4. Boer 154,165, 5. Jin 154,590, 6. Friesinger 154,665, 7. Yoshii 154,810, 8. Shinya 155,150; 11. Angermüller 155,950; 21. Hartmann 158,420.

Fußball

Italien, 19. Spieltag

AC Siena - Reggina Calcio 1:0
AC Mailand - AC Florenz 1:0
Atalanta Bergamo - Inter Mailand
Cagliari Calcio - Udinese Calcio
Catania Calcio - FC Bologna
Chievo Verona - SSC Neapel
US Lecce - CFC Genua
Sampdoria Genua - US Palermo
FC Turin - AS Rom
Lazio Rom - Juventus Turin

1 Inter Mailand 18 32:12 43
2 Juventus Turin 18 31:13 39
3 AC Mailand 19 31:20 37
4 SSC Neapel 18 26:16 33
5 CFC Genua 18 27:17 32
6 AC Florenz 19 26:17 32
7 Lazio Rom 18 29:24 30
8 AS Rom 18 25:25 27
9 US Palermo 18 24:23 26
10 Catania Calcio 18 18:21 25
11 Atalanta Bergamo 18 23:22 24
12 Udinese Calcio 18 26:27 23
13 Cagliari Calcio 18 20:22 22
14 AC Siena 19 14:19 22
15 Sampdoria Genua 18 16:21 20
16 US Lecce 18 16:25 17
17 FC Bologna 18 20:28 16
18 FC Turin 18 18:32 15
19 Reggina Calcio 19 17:37 13
20 Chievo Verona 18 10:28 10

Spanien, 19. Spieltag

FC Barcelona - Deportivo La Coruña 5:0
FC Sevilla - CD Numancia 1:0
FC Villarreal - RCD Mallorca
Real Madrid - CA Osasuna
FC Getafe - Racing Santander
Recreativo Huelva - Sporting Gijon
Real Valladolid - Betis Sevilla
FC Málaga - Espanyol Barcelona
Athletic Bilbao - FC Valencia
UD Almeria - Atlético Madrid

1 FC Barcelona 19 59:13 50
2 FC Sevilla 19 28:16 38
3 Real Madrid 18 38:26 35
4 FC Valencia 18 36:24 34
5 Atlético Madrid 18 41:29 30
6 FC Villarreal 18 30:25 30
7 Deportivo La Coruña 19 23:27 30
8 FC Málaga 18 27:27 28
9 Sporting Gijon 18 26:37 24
10 Real Valladolid 18 26:27 23
11 Athletic Bilbao 18 24:27 23
12 Racing Santander 18 20:23 22
13 FC Getafe 18 24:29 21
14 UD Almeria 18 19:27 20
15 CD Numancia 19 24:37 20
16 Betis Sevilla 18 22:25 18
17 Recreativo Huelva 18 15:28 17
18 Espanyol Barcelona 18 17:28 15
19 RCD Mallorca 18 18:35 14
20 CA Osasuna 18 19:26 13

England, 22. Spieltag

West Bromwich - FC Middlesbrough 3:0
FC Sunderland - Aston Villa 1:2
Manchester City - Wigan Athletic 1:0
FC Chelsea - Stoke City 2:1
Bolton W. - Manchester United 0:1
Blackburn Rovers - Newcastle United 3:0
Hull City - FC Arsenal 1:3
West Ham United - FC Fulham 3:1
Tottenham Hotspur - FC Portsmouth

1 Manchester United 21 34:10 47
2 FC Liverpool 21 35:13 46
3 FC Chelsea 22 42:13 45
4 Aston Villa 22 37:24 44
5 FC Arsenal 22 37:24 41
6 FC Everton 21 29:25 35
7 Wigan Athletic 22 25:23 31
8 West Ham United 22 29:31 29
9 Hull City 22 29:42 27
10 FC Fulham 20 19:17 26
11 Manchester City 21 39:30 25
12 Bolton Wanderers 22 22:30 23
13 Newcastle United 22 28:37 23
14 FC Sunderland 22 23:32 23
15 FC Portsmouth 20 21:33 23
16 Blackburn Rovers 21 25:36 21
17 FC Middlesbrough 22 18:33 21
18 Stoke City 22 19:35 21
19 West Bromwich Albion 22 20:37 21
20 Tottenham Hotspur 21 20:26 20

Schottland, 22. Spieltag

Hamilton FC - Caledonian Thistle 1:0
Hibernian Edinburgh - FC St. Mirren 2:0
FC Kilmarnock - Heart of Midlothian 0:2
Glasgow Rangers - FC Falkirk 3:1
FC Aberdeen - Celtic Glasgow
Dundee United - FC Motherwell

1 Celtic Glasgow 21 47:20 51
2 Glasgow Rangers 22 51:18 49
3 Dundee United 21 30:22 35
4 Heart of Midlothian 22 22:22 35
5 FC Aberdeen 21 25:22 33

Frankreich, 21. Spieltag

Grenoble Foot - Olympique Lyon 0:2
FC Lorient - AFC Valenciennes 1:1
Olympique Marseille - AC Le Havre 2:0
OGC Nizza - AJ Auxerre 2:0
AS St. Etienne - Le Mans UC 72 1:1
FC Toulouse - AS Nancy 3:0
FC Nantes - Girondins Bordeaux 1:2
SM Caen - AS Monaco
Paris St. Germain - FC Sochaux
OSC Lille - Stade Rennes

1 Olympique Lyon 21 26:13 42
2 Girondins Bordeaux 21 37:20 41
3 Olympique Marseille 21 37:24 38
4 Stade Rennes 20 25:13 37
5 FC Toulouse 21 23:15 37
6 OGC Nizza 20 25:19 33

Golf

Europa-Tour, Abu Dhabi Championship (1,52 Millionen Euro, Par 72)

Endstand: 1. Casey (England) 267 (69+65+ 63+70), 2. Kaymer (Mettmann) 268 (68+68+ 65+67), Oosthuizen (Südafrika) 268 (67+69+ 68+64), 4. Wall 270 (67+67+69+67), 5. Harrington (Irland) 271 (71+66+68+66).

Handball

Männer, WM in Kroatien

Gruppe A in Osijek: 1. Spieltag: Slowakei - Argentinien 27:25 (12:13) Ungarn - Australien 41:17 (20:8) Frankreich - Rumänien 31:21 (12:9). - 2. Spieltag: Australien - Slowakei 12:47 (6:20). - Tabelle: 1. Slowakei 74:37 Tore/4 Punkte, 2. Ungarn 41:17/2, 3. Frankreich 31:21/2, 4. Argentinien 25:27/0, 5. Rumänien 21:31/0, 6. Australien 29:88/0.

Gruppe B in Split: Kroatien - Südkorea 27:26 (14:13), Spanien - Kuwait 47:17 (18:9) Schweden - Kuba 41:14 (19:7).

Gruppe C in Varazdin

Deutschland - Russland 26:26 (15:14)

Deutschland: Bitter (Hamburg) - Hens (9/Hamburg), Jansen (7/2/Hamburg), Glandorf (3/Nordhorn), Müller (2/Großwallstadt), Kaufmann (1/Lemgo), Preiß (1/Lemgo), Klein (1/Kiel), Strobel (1/Lemgo), Schröder (1/Hamburg), Sprenger (Magdeburg), Tiedtke (Großwallstadt), Roggisch (Magdeburg). - Bester Werfer bei Russland: Rastworzew 5, Igropulo 5. - Schiedsrichter: Gjending/Hansen (Dänemark). - Zeitstrafen: 5 - 9. - Siebenmeter: 3/2 - 6/3 Zuschauer in Varazdin: 3500.

Polen - Algerien 39:22 (17:8), Mazedonien - Tunesien 24:25 (14:13).

Gruppe D in Porec: Norwegen - Saudi-Arabien 39:23 (19:10) Ägypten - Serbien 22:30 (12:12) Dänemark - Brasilien 40:27 (19:12).

Frauen, Bundesliga, 13. Spieltag

Frankfurt/Oder - Thüringer HC 26:30 (15:15), Buxtehude - Trier 33:24 (17:10), Dortmund - Rhein-Main Bienen 29:29 (16:15), Göppingen - Blomberg-Lippe 29:25 (14:12).

Tabelle: 1. Leverkusen 17:7 Punkte, 2. Leipzig 16:8, 3. Frankfurt 16:10, 4. Oldenburg 15:9, 5. Buxtehude 14:12.

Judo

Deutsche Meisterschaften in Bayreuth

Männer, Klasse bis 60 kg: 1. Kopiske (Potsdam), 2. Leitert (Rostock), 3.Walter (Osnabrück), Kalala Ngoy (Hollage). - bis 66 kg: 1. Kulisch (Esslingen), 2. Focke (Osnabrück), 3. Dahn (Pforzheim,), Falk (Harksheide). - bis 73 kg: 1. Seidlmeier (Abensberg), 2. Lackner (München), 3. Völk (Abensberg), Schulze (Leipzig). - bis 81 kg: 1. Maresch (Berlin), 2. Gess, 3. Conrad (beide Leipzig), Hofmann (Rüsselsheim). - bis 90 kg: 1. Pinske, 2. Dumke (beide Berlin), 3. Dedek (Leipzig), Rutz (Sindelfingen). - bis 100 kg: 1. Peters (Rotenburg), 2. Pille (Frankfurt/Oder), 3. Villwock (Lübeck), Krause (Langenfeld). - über 100 kg: 1. Tölzer (Mönchengladbach), 2. Hubert (Leipzig), 3. Bierau (Berlin), Finzelberg (Frankfurt/Oder).

Frauen, Klasse bis 48 kg: 1. a Baschin (Backnang), 2. Kraus, 3. Vogl (beide München), 3. Goller (Rodewisch). - bis 52 kg: 1. y Tarangul (Frankfurt/Oder), 2. Kräh (Spremberg), 3. Gerstl (Abensberg), Rau (Rüsselsheim). - bis 57 kg: 1. Wächter (Schweitenkirchen), 2. Loselein (Bottrop), 3. Nisser (Weimar), Müller (Berlin). - bis 63 kg: 1. Malzahn (Halle), 2. Pufahl (Potsdam), 3. Trajdos (Hamburg), Ahrens (Potsdam). - bis 70 kg: 1. Thiele (Leipzig), 2. Kucznierz (Köln), 3. Bandel (Speyer), Mayer (Ravensburg). - bis 78 kg: 1. Wollert, 2. Hofmann (beide Leipzig), 3. Basler (Potsdam), Vostry (Leipzig). - über 78 kg: 1. Konitz (Berlin), 2. Külbs (Speyer), 3. Daher (Chemnitz), Martens (Tarp).

Motorsport

Rallye Dakar

Endstand nach 14 Etappen (9340 km), Automobile: 1. de Villiers/von Zitzewitz (Südafrika/Karlshof) 48:10:57 Stunden, 2. Miller/Pitchford (USA/Südafrika) beide VW 8:59 Min. zurück, 3. Gordon/Grider (USA) Hummer 1:46:15 Std., 4. Tollefsen/Evans (Norwegen/GB) Nissan 6:04:34, 5. Holowczyc/Fortin (Polen/Belg) Nissan 6:37:49, 6. Depping/Gottschalk (Wedemark/Berlin) VW 8:43:29, 7. Zapletal/Ourednicek (CR) Mitsubishi 11:03:08, 8. Nowizky/Tjupenkin (Rus) BMW 13:15:13, 9. Chicherit/Baumel (Frankreich) BMW 14:49:49, 10. Roma/Senra (Spanien) Mitsubishi 17:27:46; 15. Kahle/Schünemann (Köln/Hamburg) Honda 21:38:55.

Motorräder: 1. Coma (Spanien) 52:14:33, 2. Despres bd. KTM 1:25:38, 3. Fretigne Yamaha 1:38:56; 4. Casteu (alle Frankreich) 2:17:54, 5. Rodrigues (Portugal) 2:22:11, 6. Ullevalseter (Norwegen) 2:25:02, 7. Viladoms (Spanien) 2:28:29, 8. Verhoeven 2:50:39; 82. Norman Kronseder (Regensburg) KTM 34:30:58.

Pferdesport

Weltcup-Turnier in Leipzig

Springen, Rahmenprogramm, Championat: 1. Zoer (Niederlande) mit Sam 0/39,95 Sek., 2. Knippling (Hennef) mit Mandy 0/44,51, 3. Weishaupt (Riesenbeck) mit Souvenir 4/39,46, 4. van de Pol (Niederlande) mit Dan 4/40,31, 5. Wettstein (Schweiz) mit Celerina 8/44,43 (alle im Stechen), 6. Pollmann-Schweckhorst (Steinfeld) mit Chacco-Blue 4/61,60.

Rodeln

Weltcup in Oberhof

Männer: 1. Eichhorn (Oberhof) 1:31,377 Minuten (45,811+45, 566 Sekunden), 2. Loch (Berchtesgaden) 0,035 Sekunden zurück (45,495+45,917), 3. Möller (Schalkau) 0,117 (45,549+45,945), 4. Demtschenko (Russland) 0,118 (45,606+45,889), 5. Pfister (Österreich) 0,154 (45,775+45,756), 6. Ludwig (Oberhof) 0,155 (45,593+45,939), 7. Zöggeler (Italien) 0,210 (45,677+45,910), 8. Langenhan (Zella-Mehlis) 0,218 (45,663+45, 932). - Stand im Gesamtweltcup nach 6 von 9 Rennen: 1. Zöggeler 501 Punkte, 2. Möller 455, 3. Eichhorn 375, 4. Pfister 327, 5. Langenhan 297, 6. Demtschenko 282, 7. Ludwig 245, 8. Loch 240.

Doppel: 1. Wendl/Arlt (Berchtesgaden/Königssee) 1:26,169 Minuten (43,055+43,114 Sekunden), 2. Leitner/Resch (Königssee/Berchtesgaden) 0,062 Sekunden zurück (43,074+43,157), 3. Florschütz/Wustlich (Friedrichroda/Oberwiesenthal) 0,068 (43,238+42,999), 4. Oberstolz/Gruber 0,120 (43,175+43,114), 5. Plankensteiner/Haselrieder (alle Italien) 0,334 (43,226+43, 277), 6. Linger/Linger (Österreich) 0,381 (43, 268+43,282).

Gesamtweltcup (6/9): 1. Oberstolz/Gruber 480 P., 2. Wendl/Arlt 405, 3. Linger/Linger 400, 4. Leitner/Resch 399, 5. Plankensteiner/Haselrieder 374, 6. T.&M. Schiegl (Österreich) 335; 11. Eggert/Oster (Oberhof/Suhl) 172; 25. Florschütz/Wustlich 70.

Frauen: 1. Hüfner (Oberwiesenthal) 1:26,493 Minuten (43,277+43,216 Sekunden), 2. Geisenberger (Miesbach) 0,128 Sekunden zurück (43,356+43,265), 3. Wischnewski (Oberwiesenthal) 0,615 (43,597+43,511), 4. Jakuschenko (Ukraine) 0,863 (43,536+43,820), 5. Martini (Winterberg) 0, 926 (43,635+43,784).

Gesamtweltcup (6/9): 1. Hüfner 585 Punkte, 2. Geisenberger 500, 3. Wischnewski 392, 4. Jakuschenko 348, 5. Reithmayer 335, 6. Hamlin (USA) 226; 9. Sieger (Berchtesgaden) 196; 21. Martini 115.

Skeleton

EM und Weltcup in St. Moritz

1. Rommel (Zella-Mehlis) 2:15,77 Minuten (1:08,08+1:07,69), 2. Bromley (Großbritannien) 0,97 Sekunden (1:08,37+1:08,37), 3. Stähli (Schweiz) 1,02 (1:08, 36+1:08,43), 4. Halilovic (Königssee) 1,21 (1:08,73+1:08,25), 5. Bernotas (USA) 1,27 (1:08,76+1:08,28), 6. Pain (Kanada) 1,51 (1:08,72+1:08,56); 15. Grassl (Königssee) 2,55 (1:08,99+1:09,33). - EM-Wertung: 1. Rommel, 2. Bromley, 3. Stähli, 4. Halilovic; 10. Grassl.

Gesamtweltcup: 1. Tretjakow (Russland) 924 Punkte, 2. Grassl 907, 3. Rommel 900, 4. Dukurs (Lettland) 890, 5. Pain 832.

Ski alpin

Männer, Weltcup in Wengen/Schweiz

Abfahrt: 1. Defago (Schweiz) 2:31,98 Minuten, 2. Miller 0,20 Sekunden zurück, 3. Sullivan (beide USA) 0, 39, 4. Hoffmann (Schweiz) 0,58, 5. Osborne-Paradis (Kanada) 0,65, 6. Büchel (Liechtenstein) 1,13, 7. Innerhofer (Italien) 1,23, 8. Hudec (Kanada) 1,25, 9. Fill (Italien) 1,26, 10. Cuche (Schweiz) 1,36; 24. Keppler (Ebingen) 3,29; 31. Andreas Strodl 4,00; 43. Peter Strodl (beide Partenkirchen) 5,46; 52. Stechert (Oberstdorf) 7,62.

Abfahrts-Weltcup (nach 5 von 9 Rennen): 1. Walchhofer (Österreich) 230 Punkte, 2. Miller 225, 3. Kröll 215, 4. Defago 198, 5. Fill 177, 6. Innerhofer 176, 7. Guay (Kanada) 171, 8. Svindal (Norwegen) 166; 36. Keppler 12; 40. Peter Strodl 9; 47. Andreas Strodl 5.

Slalom: 1. Pranger 1:40,36 (48,10/52,26), 2. Herbst (beide Österreich) 1:40,70 (48,44/52,26), 3. Kostelic (Kroatien) 1:40,75 (48,80/51,95), 4. Hirscher 1:40, 84 (49,25/51,59), 5. Raich (beide Österreich) 1:41,29 (48, 60/52,69), 6. Grange (Frankreich) 1:41,38 (48,66/52, 72), 7. Hargin (Schweden) 1:41,90 (49,90/51,49), 8. Janyk (Kanada) 1:41,69 (50,10/51,90). - Ausgeschieden im 2. Lauf: Neureuther (Partenkirchen/15. nach dem 1. Lauf). - ausgeschieden im 1. Lauf: Kogler (Schliersee), Wagner (Hindelang). - Stand im Slalom-Weltcup (5/10): 1. Grange 349, 2. Kostelic 305, 3. Pranger 219, 4. Herbst 216, 5. Raich 169, 6. Mölgg 150, 7. Hargin 147, 8. Hirscher (Österreich) 126; 17. Neureuther 71; 33. Kogler 28; 43. Stehle (Obermaiselstein) 12.

Gesamt-Weltcup (20/37): 1. Raich 638 Punkte, 2. Grange 576, 3. Kostelic 546, 4. Svindal 518, 5. Janka (Schweiz) 488, 6. Defago 455, 7. Cuche 429, 8. Albrecht (Schweiz) 427, 9. Miller 385, 10. Fill 378; 55. Neureuther 78; 88. Kogler 28; 92. Peter Strodl 22; 103. Keppler 13; 105. Stehle 12; 124. Andreas Strodl 5.

Frauen, Weltcup in Zauchensee

Super-Kombination: 1. Vonn (USA) 2:40,53 Minuten (1:48,02 Minuten/52,21 Sekunden), 2. Zettel (Österreich) 2:40,83 (1:48,65/52,18), 3. Pärson (Schweden) 2:41,19 (1:47,72/53,47), 4. Kirchgasser 2:41,83 (1:49,74/52,09), 5. Görgl 2:41,86 (1:48,33/53,53), 6. Fenninger (alle Österreich) 2:42,00 (1:49,38/52,62), 7. Marchand-Arvier (Frankreich) 2:42,40 (1:48,28/54,12), 8. Merighetti (Italien) 2:42,55 (1:49,64/52,91); 28. Stechert (Oberstdorf) 2:46,54 (1:50, 11/56,43). - ausgeschieden im Slalom: Maria Riesch (Partenkirchen/3. nach der Abfahrt).

Stand im Kombinations-Weltcup (nach 2 von 3 Wettbewerben): 1. Pärson 160 Punkte, 2. Zettel 102, 3. Vonn 100, 4. Suter (Schweiz) 84, 5. Görgl 81; 12. Maria Riesch 50; 36. Susanne Riesch (Partenkirchen) 7; 40. Stechert 4.

Abfahrt: 1. Pärson und Gisin (Schweiz) je 1:47,52 Minuten, 3. Vonn 0,17 Sekunden zurück, 4. Marchand-Arvier 0,40, 5. Brydon 0,71, 6. Fischbacher (Ö) 0,72, 7. Maria Riesch 0,78, 8. Görgl 0,93, 9. Jacquemod (Frankreich) 1,23, 10. Maze 1,24; 45. Stechert 3,26.

Stand im Abfahrts-Weltcup (2/8): 1. Vonn 160 P., 2. Gisin 126, 3. Pärson 100, 4. M. Riesch 96, 5. Fanchini (Ita) 95; 10. Stechert 50.

Stand im Gesamtweltcup (17/35): 1. Vonn 776 Punkte, 2. Maria Riesch 765, 3. Pärson 702, 4. Zettel 651, 5. Poutiainen (Finnland) 644, 6. Hosp (Österreich) 404, 7. Zahrobska (Tschechien) 401, 8. Gut 359 (Schweiz); 19. Hölzl (Bischofswiesen) 202; 39. Stechert 78; 45. Chmelar 65, 46. Susanne Riesch (beide Partenirchen) 63; 47. Bergmann (Lam) 62; 76. Rebensburg (Kreuth) 22; 80. Geiger (Oberstdorf) 16; 94. Perner (Karlsruhe) 9; 97. Dürr (Germering) 8; 101. Mair (Reichersbeuern) 7.

Ski nordisch

Nordische Kombination,

Weltcup in Whistler/Kanada

Endstand nach einem Sprung von der Großschanze und dem 10-km-Langlauf: 2. Wettbewerb: 1. Moan (Norwegen) 25:18,7 Minuten, 2.

Kircheisen (Johanngeorgenstadt) 0:00,4 Minuten zurück, 3. Demong (USA) 0:00,5, 4. Koivuranta (Finnland) 0:06,3, 5. Stecher (Österreich) 0:20,3, 6. Chappuis (Frankreich) 0:34,7, 7. Edelmann (Zella-Mehlis) 0:56,5, 8. Denifl (Österreich) 0:56,8; 10. Haseney (Zella-Mehlis) 1:06, 6; 17. Rydzek (Oberstdorf) 1:21,3; 22. Beetz (Biberau) 2:33,9.

1. Wettbewerb: 1. Demong 25:07,9 Minuten, 2. Koivuranta 0:18,4 Minuten zurück, 3. Kircheisen 0:32,3, 4. Stecher 0:32,6, 5. Moan 0: 33,1, 6. Edelmann 0:33,5, 7. Lamy Chappuis 0:34,1, 8. Ryynänen (Finnland) 0:51,6, 9. Haseney 0:54,5, 10. Lodwick (USA) 0:55,4; 18. Beetz 1:29,4; 29. Rydzek 3:49,3.

Stand im Gesamtweltcup nach 13 von 22 Wettbewerben: 1. Koivuranta 773 Punkte, 2. Moan 701, 3. Demong 675, 4. Kircheisen 649, 5. Lamy Chappuis 429, 6. Edelmann und Schmid (Norwegen) je 398, 8. Ryynänen 326; 13. Ackermann (Dermbach) 260; 18. Frenzel (Oberwiesenthal) 207; 20. Haseney 195; 29. Hettich (Schonach) 72; 34. Beetz 66; 38. Rydzek 49; 56. Tepel (Winterberg) 6.

Skilanglauf, Weltcup in Whistler/Kanada

Frauen, 15-km-Jagdrennen (7,5 km klassische+7,5 km freie Technik): 1. Kowalczyk (Polen) 40:41,3 Minuten, 2. Longa 0:07,6 Minuten zurück, 3. Follis (beide Italien) 0:46,0, 4. Schewtschenko (Ukraine) 1:01,8, 5. Böhler (Ibach) 1:07,8, 6. Renner (Kanada) 1:15,2, 7. Philippot (Frankreich) 1:38,2, 8. Smutna (Österreich) 1:50, 8; 37. Fessel (Oberstdorf) 6:00,4.

Sprint (1,3 km): 1. Prochazkova (Slowakei), 2. Kowalczyk, 3. Olsson (Schweden), 4. Smutna, 5. Narischkina, 6. Schapowalowa, 7. Matwejewa (alle Russland), 8. Genuin (Italien); 16. Fessel; 19. Böhler.

Stand im Gesamtweltcup (17/33): 1. Kaisa Saarinen (Finnland) 978 Punkte, 2. Kuitunen (beide Finnland) 907, 3. Majdic (Slowenien) 893, 4. Kowalczyk 854, 5. Longa 633, 6. Follis 630, 7. Björgen (Norwegen) 607, 8. Steira 434; 13. Böhler 370; 15. Nystad (Oberwiesenthal) 298; 20. Zeller (Oberstdorf) 170; 46. Sachenbacher-Stehle (Reit im Winkl) 61; 53. Henkel (Oberhof) 40; 68. Fessel 15.

Männer, 30-km-Jagdrennen (15 km klassische+15 km freie Technik): 1. Piller-Cottrer (Italien) 1:13:01,5 Stunden, 2. Gaillard (Frankreich) 0:15,0 Minuten zurück, 3. Checchi 0:15,3, 4. Hofer (beide Italien) 0:15,9, 5. Jonnier (Frankreich) 0:16,5, 6. Babikov (Kanada) 0:16,5, 7.

Clara (Italien) 0:16,7, 8. Perrillat (Frankreich) 0:16,8; Brunner (Girkhausen) und Wenzl (Zwiesel) wurden disqualifiziert, weil sie ihre Startnummern vertauscht hatten.

Sprint (1,6 km): 1. Jönsson (Schweden), 2. Hattestad (Norwegen), 3. Wenzl, 4. Krijukow (Russland), 5. Pasini, 6. Di Centa (beide Italien), 7. Newell (USA), 8. Kershaw; 28. Brunner.

Stand im Gesamtweltcup (17/33): 1. Cologna (Schweiz) 835 Punkte, 2. Northug (Norwegen) 698, 3. Teichmann (Lobenstein) 581, 4. Piller-Cottrer 523, 5. Di Centa 463, 6. Gaillard 421, 7. Jauhojärvi (Finnland) 416, 8. Rotschew (Russland) 400; 20. Filbrich (Frankenhain) 218; 25. Reichelt (Oberwiesenthal) 171; 41. Wenzl 105; 77. Angerer (Vachendorf) 25; 114. Göring (Zella-Mehlis) 7; 124. Brunner 3; 129. Sommerfeldt (Oberwiesenthal) 2.

Skispringen, Weltcup in Zakopane

Endstand nach 2 Sprüngen: 1. Schlierenzauer 285,7 Punkte (130,5+138,5 m), 2. Loitzl (beide Österreich) 280,7 (130+136,5), 3. Ammann (Schweiz) 271,2 (127,5+134), 4. Wassilijew (Russland) 262,3 (126+132,5), 5. Schmitt (Furtwangen) 258,4 (123,5+132), 6. Uhrmann (Rastbüchl) 252,5 (121+131,5), 7. Koudelka (Tschechien) 250,2 (120,5+131), 8. Bardal (Norwegen) 247,5 (120+130); 11. Hocke (Schmiedefeld) 234,2 (115,5+128,5); 13. Neumayer (Berchtesgaden) 231,7 (119,5+124,5); 18. Freund (Rastbüchl) 224,2 (117,5+121,5); 23. Wank (Oberhof) 218,7 (117,5+119).

Stand im Gesamtweltcup (15/28): 1. Ammann 1122 Punkte, 2. Schlierenzauer 1120, 3. Loitzl 981, 4. Schmitt 532, 5. Morgenstern (Österreich) 443, 6. Harri Olli 438, 7. Larinto (beide Finnland) 417, 8. Wassilijew 389; 13. Uhrmann 300; 15. Neumayer 249; 26. Hocke (Schmiedefeld) 100; 42. Schoft (Partenkirchen) 29; 45. Freund 20; 51. Wank 14.

Tennis

Männer, Sydney (484 750 Dollar)

Finale: Nalbandian (Argentinien/4) - Nieminen (Finnland) 6:3, 6:7 (9), 6:2.

Männer, Auckland (480 750 Dollar)

Finale: del Potro (Argentinien/1) - Querrey (USA/6) 6:4, 6:4.

Tischtennis

Männer, Bundesliga, 12. Spieltag

TTC Fulda-Maberzell - Grenzau 3:0 , Plüderhausen - Frickenhausen/Würzburg 3:1 . - Tabelle: 1. Frickenhausen/Würzburg 16:6 Punkte, 2. Düsseldorf 14:4, 3. Ochsenhausen 12:8, 4. Fulda-Maberzell, 5. Plüderhausen je 12:10.

Sport im Fernsehen

Montag, 19. Januar 2009

9.30 - 14 Uhr, Eurosport: Tennis, Australian Open in Melbourne, 1. Runde.

17.30 - 19 Uhr, RTL: Handball, WM in Kroatien, Gruppe C: Deutschland - Algerien.

18.25 - 20.15 Uhr, DSF: Handball, WM in Kroatien, Gruppe B: Schweden - Spanien.

18.45 - 20.55 Uhr, Eurosport: Fußball, 1. FC Kaiserslautern - FC Bayern München.

20.15 - 21.15 Uhr, DSF: Handball, WM in Kroatien, Gruppe C: Russland - Tunesien.

21 - 23.10 Uhr, Premiere: Fußball, England, FC Liverpool - FC Everton.

1 - 9.30 Uhr, Eurosport: Tennis, Australian Open in Melbourne, 2. Tag.

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Kommentare

Paradoxe Agrarpolitik

Europa will Subventionen abschaffen - und führt sie stattdessen ein

Von Daniela Kuhr

Es ist paradox: Am Wochenende diskutierten in Berlin 26 Agrarminister aus aller Welt über die Frage, wie das Hungerproblem zu lösen ist. Eine ihrer Antworten: Die reichen Länder müssen ihre Exportbeihilfen abbauen, um den armen Ländern die Teilnahme am Welthandel zu ermöglichen. Doch nahezu zeitgleich kündigt EU-Landwirtschaftskommissarin Mariann Fischer-Boel an, die umstrittenen Exportbeihilfen für europäische Milchprodukte wieder einzuführen. Wer soll da bei diesem Zick-Zack-Kurs noch durchblicken?

Doch die Sache wird noch verwirrender: Eigentlich lehnt nämlich auch Fischer-Boel Exportsubventionen ab. Sie ist gegen alles, was den Markt verzerrt. Seit Jahren reduziert die EU daher die Ausfuhrbeihilfen für Agrarprodukte und will sie bis 2013 komplett abschaffen. Menschenrechtler, Kleinbauern und Hilfsorganisationen unterstützen das. Es sind also eigentlich alle einer Meinung. Und dennoch wird die EU ab nächster Woche ihren Exporteuren finanziell helfen, damit sie mit ihren Milchprodukten international wieder konkurrenzfähig sind. Zudem wird Brüssel von März bis August 30 000 Tonnen Butter sowie 109 000 Tonnen Magermilchpulver aufkaufen. Ist das der Beginn eines neuen Protektionismus? Nein. Zumindest spricht nichts dafür. Es ist vielmehr die Reaktion auf eine Entwicklung, die kaum dramatischer sein könnte: Ohne die Unterstützung stünden viele Milchbauern vor dem Aus.

Vor einem Jahr zahlten Molkereien den Landwirten noch rund 40 Cent für den Liter Milch. Derzeit sind es häufig nicht einmal mehr 29 Cent. Zu diesem Preis aber können viele kleine Betriebe nicht kostendeckend arbeiten. Schon gar nicht, wenn sie ihre Kühe auf die Weide führen und in schwierigen Hanglagen wirtschaften. Mit ihrer Politik hat die EU die Lage allerdings verschärft: Seit einiger Zeit erhöht sie schrittweise die Milchquote und erlaubt damit, dass immer mehr produziert wird. Je mehr Milch aber auf dem Markt ist, umso stärker gerät der Preis unter Druck. Doch auch wenn viele Milchbauern es anders sehen: Es ist richtig, dass die Quote abgeschafft wird. Dieses rigide Instrument hat in der Vergangenheit zahlreiche effizient organisierte Betriebe am Wachsen gehindert. Und was die EU nicht auf den Weltmarkt liefert, liefern dann eben andere Staaten. Ein Festhalten an der Quote würde die Gefahr bergen, dass die EU langfristig wichtige Absatzmärkte verliert.

Den Bauern muss anders geholfen werden. Der im November in Brüssel beschlossene Milchfonds spielt dabei eine entscheidende Rolle; doch es wird noch eine ganze Zeit vergehen, bis feststeht, wer wie viel Geld daraus bekommt. Zeit, die niemand hat. Die jetzt von Fischer-Boel angekündigten Hilfen entschärfen die Situation dagegen sofort. Es spricht viel, sehr viel gegen Exportbeihilfen. Aber womöglich sind sie tatsächlich der einzige Weg, der schnell aus dieser existenzbedrohlichen Lage führt. Keinesfalls kann die EU es sich leisten, dass massenhaft Milchbauern aufgeben. Gerade die kleinen Betriebe mit Weidehaltung leisten häufig einen wertvollen Beitrag für die Umwelt, den Tierschutz und den Tourismus. Ihr Aufgeben wäre unumkehrbar. Hat ein Betrieb erst einmal dicht gemacht, fängt er nicht wieder an. Langfristig muss die EU jedoch an ihrem Kurs festhalten: Die Subventionen gehören abgeschafft, weil sie es armen Ländern nahezu unmöglich machen, ihre Produkte international konkurrenzfähig anzubieten. Die Milchbranche hierzulande muss dafür sorgen, dass ihre Produkte auch ohne staatliche Hilfe Abnehmer findet. Wieso gibt es beispielsweise an Feinkost-Käsetheken so wenig deutschen Käse, sondern ganz überwiegend italienischen und französischen? Die Branche muss neue, hochwertige Produkte entwickeln und sich endlich von dem Gedanken verabschieden, dass die Herstellung von H-Milch und Milchpulver auf alle Zeit ein sicheres Einkommen bietet.

Jetzt aber gerade ist die Lage der Milchbauern so dramatisch, dass grundsätzliche Überzeugungen in den Hintergrund treten müssen. Nur ausnahmsweise. Und nur für kurze Zeit. (Seite 19)

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Bund lässt sich Zeit bei Hypo Real Estate

München - Beim Einstieg des Bundes bei der angeschlagenen Immobilienbank Hypo Real Estate (HRE) gibt es offenbar noch erheblichen Diskussionsbedarf. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung ist vor allem strittig, inwiefern sich der Staat zum Mehrheitsaktionär des Instituts aufschwingen soll. "Zurzeit wird über weitere Garantien und eine mögliche Kapitalerhöhung verhandelt", heißt es aus Finanzkreisen. Zurzeit hält der Bund einen Garantierahmen für die HRE in Höhe von 30 Milliarden Euro bereit; außerdem hatten Bund und Privatbanken bereits im Herbst ein Rettungspaket im Wert von 50 Milliarden Euro geschnürt. Es gehe nun darum, mit Hilfe von weiteren Milliardengarantien Zeit zu gewinnen und der HRE so Luft zu verschaffen. "Vor allem eine Mehrheitsbeteiligung dürfte aber politisch nur schwer durchsetzbar sein", berichten Finanzkreise. (Seite 23) o.k./thf

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Bloß keine "Bad Bank"

Eine Müllhalde für Wertpapiere überfordert den Staat

Von Helga Einecke

Die Scheinwelt des internationalen Wertpapierhandels wird nach und nach entlarvt. Langsam offenbart sich ein Müllberg von bislang unvorstellbarer Größe. Es wird Jahre dauern, ihn abzutragen. Ein Entsorgungskonzept ist die sogenannte "Bad Bank". Man gründet - staatlich oder privat - eine neue Bank, die den Müll zeitlich gestreckt verwertet. Das Konzept hat sich bewährt: Die Dresdner Bank hat so vor ein paar Jahren ihre Kreditkrise verarbeitet und die Schweden haben in den 90er Jahren auf diese Art ihre Bankenkrise überwunden.

Aber dieses Mal geht es um ganz andere Dimensionen. Schätzungen zufolge führen alle deutsche Banken zusammen riskante Wertpapiere von einer Billion Euro in ihren Büchern. Nicht alle dürften völlig wertlos sein und reif für eine "Bad Bank". Aber auch ein paar hundert Milliarden Euro würden Staat und Steuerzahler überfordern. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück weigert sich zu Recht, dem Ruf nach einer staatlichen "Bad Bank" zu folgen. Bisher weiß keiner genau, wie viel welche Wertpapiere wert sind. Zu welchen Bedingungen soll denn eine "Bad Bank" dann den Banken die Papiere abkaufen? Wer entscheidet darüber, welche Werte anzusetzen sind?

Eine "Bad Bank" wäre nicht gerecht. Die Steuerzahler müssten für die vergifteten Wertpapiere aufkommen. Die Kreditinstitute aber könnten so wirtschaften, wie sie es für richtig halten, ohne dass der Staat sie von neuerlichen Fehlern abhalten könnte. Es ist wohl kein Zufall, dass die Deutsche Bank, die sich gegen direkten staatlichen Einfluss wehrt, zu den Befürwortern einer "Bad Bank" gehört. Sie würde von diesem Konzept am meisten profitieren, weil sie jede Menge marode Wertpapiere besitzt. (Seite 23)

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Schlechter Zeitpunkt

Gewerkschaften sollten sich bei den Lohnforderungen zurückhalten

Von Björn Finke

Es ist schon etwas dran an der Klage von DGB-Chef Michael Sommer. Ginge es nach den Arbeitgebern, sei nie der richtige Zeitpunkt für kräftige Lohnerhöhungen, kritisiert der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Und wirklich: Läuft es gut, erklären die Manager häufig, Gehaltssteigerungen könnten den Aufschwung beenden. Steckt die Wirtschaft wie gerade in der Krise, passt ein Lohnplus den Firmen erst recht nicht. Sommer mag die Abwehr-Rhetorik der Unternehmen durchschauen - das ändert jedoch nichts daran, dass 2009 tatsächlich nicht das beste Jahr für deutliche Gehaltserhöhungen ist.

Deutschlands Wirtschaft steckt in der tiefsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Bei vielen Betrieben gehen kaum noch neue Bestellungen ein, und die Auftragspolster schmelzen rasant. Deshalb schicken immer mehr Firmen ihre Angestellten in die Kurzarbeit, nachdem bereits die Weihnachtsferien oft zwangsweise verlängert worden sind. In diesem Jahr wird in Branchen wie dem Baugewerbe oder der Stahlindustrie über die Tarifentgelte verhandelt. Kräftige Lohnsteigerungen werden sich zahlreiche Betriebe in diesen Sparten einfach nicht leisten können; teure Abschlüsse könnten sogar Jobs gefährden.

Im öffentlichen Dienst müssen die Beschäftigen zwar kaum um ihre Stellen fürchten. Dennoch ist der Zeitpunkt schlecht, um - wie die Gewerkschaften - acht Prozent mehr Lohn zu fordern. Schließlich sind die Kassen leer, der Staat nimmt viele Milliarden an Schulden auf, um die Konjunktur zu stützen. Deswegen sollten sich die Arbeitnehmer 2009 mäßigen: Dafür müssen die Manager beim nächsten Aufschwung umso mehr drauflegen. (Seite 19)

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Grüne, heile Welt

Eine Frau posiert auf der Grünen Woche in Berlin vor einem Regal mit Produkten, die das staatliche Bio-Siegel tragen (Foto: ddp). Nach Angaben des Verbraucherministeriums nutzen gut 3100 Unternehmen die im Jahr 2001 eingeführte Kennzeichnung, eins von vielen Öko-Gütesiegeln. Trotz der Wirtschaftskrise wächst der Markt für Bio-Produkte. Nach Schätzungen des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft und der Zentralen Markt- und Preisberichtstelle legte er in Deutschland 2008 um etwa zehn Prozent auf 5,8 Milliarden Euro zu. In gut einem Monat trifft sich die Branche in Nürnberg auf der Messe Biofach.

Die meisten Menschen sorgen sich allerdings weniger darum, ob ihre Lebensmittel ökologisch oder konventionell hergestellt wurden, sondern darum, ob sie überhaupt etwas zum Essen haben. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind weltweit knapp eine Milliarde Menschen von Hunger bedroht. Die Ernährung der Weltbevölkerung gilt als eine der größten Herausforderungen. (Seite 19) SZ

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Betrug am Bankautomaten nimmt stark zu

Erst die Daten, dann das Geld

Beim Ausspähen von Magnetspur und Geheimzahl wenden Kriminelle ausgefeilte Techniken an

Von Helga Einecke

Frankfurt - Banküberfälle finden immer häufiger vor der Bank statt, nämlich am Geldautomaten. Experten gehen davon aus, dass sich die Fälle von Kartenfälschungen 2008 verdoppelt und Schäden von mehr als 30 Millionen Euro in Deutschland verursacht haben. Banken und Sparkassen setzen auf die Mithilfe der Kunden und der Polizei.

Kriminaldirektor Markus Koths vom Bundeskriminalamt (BKA) bestätigt den starken Anstieg der Manipulationen an Geldautomaten. Diebesbanden aus Osteuropa sind auf das Frisieren der Geräte spezialisiert. Sie räumen an einem Automaten gleich eine ganze Reihe von Konten leer. Im Schnitt kamen sie pro Kunde an 2000 Euro heran. Laut BKA gehen die Täter immer gleich vor. Sie kopieren die Daten von Zahlungskarten, nachdem sie die Daten und die persönliche Geheimnummer (PIN) abgegriffen haben.

Mit den gefälschten Karten wird dann im Ausland Geld abgehoben. Die Geschädigten stellen das erst bei der Kontrolle ihrer Kontoauszüge fest. Das Abgreifen der Daten heißt in der Fachsprache Skimming. Dabei müssen die Betrüger an die Magnetspur und die Geheimzahl kommen. Meist montieren sie Kartenlesegeräte an den Automaten oder am Türöffner und lesen die PIN per Videokamera oder über eine gefälschte Tastatur ab.

Das BKA fordert von den Banken und Sparkassen, auf der Karte die wichtigen Daten statt auf dem Magnetstreifen auf einem Chip zu speichern, um die Risiken zu verringern. Es gebe auch andere technische Möglichkeiten, um den Manipulationen vorzubeugen. Diese würden aus Kostengründen nicht flächendeckend eingesetzt. Dazu gehöre auch die Installation von Überwachungskameras. Nicht zuletzt könnten die Türöffner an der Eingangshalle abgebaut und damit eine Gefahrenquelle beseitigt werden.

Die Deutschen lieben den Geldautomaten. In einer Allensbach-Umfrage erklärten sie den Geldautomaten zur nützlichsten technischen Erfindung. Von den bundesweit 54000 Geldautomaten machen die Bürger regen Gebrauch. Der bequeme Zugang zum Konto stellt die Betreiber der Automaten allerdings vor große technische Herausforderungen.

Die starke Zunahme manipulierter Geräte wird von Ralf-Christoph Arnoldt, Leiter Abteilung Zahlungsverkehr im Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken, bestätigt. Die wichtigste Botschaft für die Kunden ist nach seiner Einschätzung, dass diese für diese Betrugsfälle nicht haften müssen. In der Regel sei das Geld in kurzer Zeit wieder auf dem Konto, wenn der Schaden bei der Hausbank entstanden und angezeigt worden sei. Die Betreiber der Automaten stellten durch internationale Abkommen sicher, dass die gestohlenen Summen wieder zurückfließen.

Beliebte Niederlande

Besonders häufig würden gefälschte Karten in den Niederlanden, Rumänien, Bulgarien und Südafrika eingesetzt. In Deutschland selbst funktionierten die mit den gestohlenen Daten bestückten Doubletten nicht. Die deutsche Kreditwirtschaft investiert laut Arnoldt einiges, um die Schäden gering zu halten. So würden die Karten am Automaten bereits beim Einzug sorgfältiger geprüft. Die Mitarbeiter von Banken sind angehalten, das Funktionieren der Automaten regelmäßig zu prüfen. Nicht zuletzt sollten die Kunden selbst dem Betrug vorbeugen. Für einen Laien seien die Manipulationen an der Tür oder an der Tastatur zwar schwer zu erkennen. Aber ein sorgsamer Umgang mit der Geheimnummer erschwert den Datendieben das Geschäft (Kasten, mehr Informationen unter www.polizei-beratung.de, Stichwort: Zahlungskarten).

Die enge Zusammenarbeit zwischen Banken, Polizei und BKA zeigt auch Erfolge. So meldete das BKA im vergangenen Jahr mehrfach Festnahmen und die Zerschlagung von Fälscherbanden. Die Beamten stellten Werkzeuge und Geräte sicher und konnten sich deshalb ein genaues Bild über das Vorgehen der Banden machen. Neueste Fälschergeräte sind mit Mobilfunk ausgestattet, was die Übertragung der ausgespähten Daten ins Ausland sehr beschleunigt.

Eine Nummer für alle

Mit ein paar einfachen Vorsichtsmaßnahmen können sich Bankkunden vor Betrug schützen. Experten raten:

- Bei der Eingabe der Zahlen die Tastatur mit der freien Hand verdecken. Auf ausreichend Abstand zum nächsten Kunden achten, wenn nötig dessen Diskretion einfordern oder das Bankpersonal verständigen. Im Zweifel lieber kein Geld abheben.

- Klebstoffreste, Risse im Kunststoff oder Abrieb an Schrauben weisen auf eine Manipulation des Geräts hin.

- Auch im Türöffner lauern Fallen. Häufig muss erst die Karte in den Schlitz neben der Tür geschoben werden, um in den Schalterraum zu gelangen. Zum Öffnen der Tür und zum Geldabheben sollten Kunden möglichst verschiedene Karten nutzen.

- Kontoauszüge regelmäßig überprüfen. Unbekannte Abbuchungen umgehend der Bank und notfalls der Polizei melden. Melden sich mehrere Kunden, kann die Polizei Ort und Zeit der Manipulation genau zuordnen und eine Fahndung einleiten.

- Im Zweifel die Karte sperren lassen. Ein Anruf bei der zentralen Telefonnummer 116 116 erspart Scherereien. he

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INHALT

PERSONALIEN

Herzen für einen Brummi

Der Arzt Markus Studer kündigte seinen Job und wurde Fernfahrer. Seite 18

POLITIK UND MARKT

Warten auf den Retter

Barack Obama soll die USA aus der tiefen Krise führen. Seiten 20/21

UNTERNEHMEN

Treffpunkt Wohnzimmer

Die Möbelbranche will von einer neuen Lebensart profitieren. Seite 22

GELD

Steuerpuzzle: Auf ein Neues

Welche Elemente sich für die Steuererklärung 2008 geändert haben. Seite 23

Kurszettel Seite 24

Fondsseiten Seiten 30 und 31

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Am Mittwoch wird Apple Zahlen für das erste Quartal präsentieren. Der schwer erkrankte Firmenchef Steve Jobs will trotz der Forderungen von Anlegern und Branchenexperten keine weiteren Angaben zu seinem Gesundheitszustand machen. "Warum lasst ihr Jungs mich nicht in Ruhe - warum ist das so wichtig?", sagte Jobs der Agentur Bloomberg.

Kurse der Woche

Spannend wird die Bilanz aus dem ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres beim Chiphersteller Qimonda am Donnerstag. Insgesamt steht die Branche schlecht da: So verzeichnete der niederländische Konkurrent ASML im vierten Quartal hohe Verluste und dramatische Auftragseinbrüche. Wann eine Erholung eintritt, sei "unmöglich vorherzusagen".

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Führungsspitze

Immer ist der Chef schuld

Aber wer fragt schon nach dem Unwillen der Mitarbeiter, sich führen zu lassen

Dieser Montagmorgen hat es mal wieder in sich. Mindernickel ist schon auf 180, als er sein Büro betritt. Nicht nur, dass der Wagen streikte und in die Werkstatt expediert werden musste, sodass sich Mindernickel schon mal mit einer Stunde Verspätung auf seinen Schreibtischstuhl plumpsen lässt. Hat ihm Müller doch auch noch im Fahrstuhl vorhin den Nachverhandlungstermin mit den Japanern aufs Auge gedrückt. Ausgerechnet heute, ausgerechnet um 19 Uhr, wo er doch mit Toni zum Squash verabredet ist. Lustlos fährt er den Computer hoch. Da, E-Mail von Huber: Wo denn das Protokoll der letzten Abteilungsleitersitzung bleibe, das habe ihm Mindernickel doch schon am letzten Freitag vorlegen wollen. Das kannst du dir sonst wohin schieben, murmelt Mindernickel.

Die nächsten eineinhalb Stunden verbringt er erst einmal mit der Internetsuche nach einer Ferienwohnung an der Algarve. Hat Elfi versprochen, sich rechtzeitig ums Urlaubsdomizil zu kümmern. Ah, der Bote bringt die Post. Das bestellte Büromaterial ist da; Mindernickel zweigt flugs zwei Großpackungen Filzstifte und fünf Schreibblöcke ab und verstaut sie in seiner Aktentasche. Die Kinder brauchen wieder was zum Malen.

Wir könnten Herrn Mindernickel getrost auch Mister 67 Prozent nennen. Gehört er doch offensichtlich zu jener Überzahl der Arbeitnehmer, die das Gallup-Institut nun schon im neunten Jahr in Folge als lustlose Dienst-nach-Vorschrift-Schieber identifiziert. Die Motivationsumfrage des Berliner Marktforschungsinstituts genießt inzwischen eine Art Kultstatus, gehört zumindest zu den wohl meistzitierten Untersuchungen überhaupt. Warum? Weil sie Wasser auf die Mühlen derjenigen ist, die in deutschen Unternehmen einen Abgrund von Führungsschwäche verorten. Natürlich sind immer die Chefs schuld, wenn die Mitarbeiter lustlos und demotiviert zu Werke gehen oder gar bereits die innere Kündigung eingereicht haben. Dass es mit der Führungskunst der Chefs nicht flächendeckend zum Besten bestellt ist, darüber wurde nicht zuletzt auch an dieser Stelle wiederholt und beredt Klage geführt. Aber das ist nur ein Teil der ganzen Wahrheit, deren schwer unterbelichtete Seite lautet: Wie sieht es eigentlich mit der Unfähigkeit und dem Unwillen der zu Führenden aus? Dass mit altväterlicher Sitte auf der Basis von Befehl und Gehorsam kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist, hat sich herumgesprochen.

Andererseits heißt das noch lange nicht, dass Entscheidungen der Firmenspitze nach dem Motto "Der Chef spinnt mal wieder" der langwierigen Diskussion der Mitarbeiter bedürfen, ob sie nun geneigt sind, sich dafür ins Zeug zu legen. Oder vielleicht doch lieber abtauchen und andere rödeln lassen sollen. Längst haben die Heerscharen von Einzelkindern Einzug ins Arbeitsleben gehalten, denen jahrelang die ungeteilte Aufmerksamkeit zweier Erwachsener zuteil wurde. Also soll ihnen auch der Chef ausdauernd Beachtung und Wertschätzung liefern, sonst fühlen sie sich "irgendwie nicht motiviert." Führungskräfte können sich kaum noch retten vor Führungskräfteschulungen. Aber wo finden wir Workshops zum Thema: Wie überwinde ich den inneren Schweinehund, der alles, was von oben kommt, erst mal grundsätzlich anzweifelt? Die Kunst eben, sich führen zu lassen. Ach ja: Mindernickel hat sein Feriendomizil gebucht. Jetzt sitzt er schon über eine Stunde beim Mittagessen. Dagmar Deckstein

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