Leipziger Auktion

Buchmesse kooperiert mit eBay

Die Leipziger Buchmesse, die von 12. bis 15. März stattfindet, wird mit dem Internet-Auktionshaus eBay zusammenarbeiten, um Prominenten-Devotionalien für einen wohltätigen Zweck zu versteigern. Die Auktion soll unterschriebene Fotos und Plakate von Hape Kerkeling, Original-Requisiten aus den Kinofilmen "Krabat", "Die Welle" und "Die wilden Hühner" oder signierte Hörbücher von Ken Follett, Oliver Rohrbeck und Heike Makatsch umfassen, teilte die Buchmesse mit. Mit dem Erlös sollen Hörstationen und Hörbücher für eine Leipziger Kinderklinik gekauft werden. Überhaupt soll der Hörbuch-Schwerpunkt der Messe weiter ausgebaut werden, in diesem Jahr mit der erstmals ausgetragenen "Deutschen Hörbuchnacht". dpa/SZ

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Sendeschluss

Hans Meisers Produktionsfirma creatv ist pleite

Der 14. September 1992 war die Geburtsstunde der deutschen Talkshow als Daily Soap. An jenem Montag um 16 Uhr ging bei RTL ein Format auf Sendung, das die deutsche Fernsehlandschaft nachhaltig verändern sollte: Hans Meiser, die erste Talkshow am Nachmittag; der ideale Programmplatz für Menschen, die sich am Nachmittag mangels besserer Alternativen vor dem Fernseher versammeln konnten. Es waren nicht wenige; und Meiser war der Star des Nachmittags.

Das Format hatte damals Marktanteile von über 40 Prozent, wurde mit Bambi und Goldener Kamera geehrt und über seine Firma creatv, die Hans Meiser produzierte, verdiente Hans Meiser gut. Die Sucht nach der Trivialität des Alltags, personifiziert durch Gäste, die allzu oft den Blick auf die Gepflogenheiten der Gosse erlaubten, war riesengroß. Hans Meiser bleib nicht allein, es folgten Bärbel Schäfer, Birke Karakus oder Oliver Geißen. Alle produziert von creatv.

Doch der Boom ging zu Ende, Meiser selbst stellte die Fragerei mit Fleischbeschau nach neun Jahren und mehr als 1700 Folgen ein. Er selbst soll genervt gewesen sein vom stetig sinkenden Niveau der täglichen Quasselei. Und aus creatv, der Talkshow-Schmiede mit einst mehr als 150 Mitarbeitern wurde eine kleinere Firma, die etwa auf Ratgebersendungen wie Ein Fall für Escher (MDR) setzte. Nun ist creatv ein Fall für den Insolvenzrichter. Am 21. Januar stellte die Produktionsfirma durch ihre Geschäftsführer Hans Meiser und Erich Wagner beim Kölner Amtsgericht einen Insolvenzantrag. Unter dem Aktenzeichen 71 IN 31/09 wird jetzt eine der erfolgreichsten deutschen Produktionsfirmen womöglich zu Grabe getragen. Erst einmal ist Sendeschluss.

Die Firma sei "Opfer der Wirtschaftskrise" geworden, erklärte die Kanzlei des bestellten Insolvenzverwalters. "Zwei bereits als sicher verbuchte Projekte" hätten am Jahresanfang wegen "des überraschenden Ausstiegs der Investoren nicht umgesetzt werden" können, teilte der vorläufige Insolvenzverwalter Christoph Niering mit. So sei es zur derzeitigen Zahlungsunfähigkeit gekommen. Innerhalb eines Monats wird von der Kölner Kanzlei ein Gutachten erstellt und geprüft, ob die Fortführung der Geschäfte möglich ist. Für eine Beurteilung, so die Anwälte, sei es aber "noch viel zu früh".

Von Hans Meiser wird so oder so etwas bleiben: 1999 hatte der heute 62-Jährige eine Sendung unter dem Titel Hans macht dich zum VIVA-Star produziert und machte damit einen neuen TV-Star. Sein Name: Oliver Pocher. DIRK GRAALMANN

In den neunziger Jahren war Hans Meiser der Star des TV-Talks. Nun ist seine Firma ein Fall für den Insolvenzverwalter. Foto: picture-alliance

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Tornado oder schwebende Wolke

Wie die deutsche Autoindustrie ihre Musealisierung betreibt

Als Wolf Prix von Coop Himmelb(l)au vor ein paar Jahren dem Vorstand des Münchner Autoherstellers seinen Entwurf für die 2007 eröffnete BMW-Welt vorstellte, wollte jemand wissen, was denn dieser merkwürdige Doppelkegel bedeute. Mit dem eng taillierten Stahl-Doppelkegel, der die Zufahrt markiert, zeigt sich die BMW-Welt der Stadt auf zeichenhafte Weise. Die Geometrie, so Prix, deute einen Tornado an.

Nun kennt man solche Symbolik von den Wiener Wolkenbauern schon seit 1980. Damals forderten sie: "Architektur muss schluchtig, feurig . . . brutal . . . sein. Lebend oder tot." Ach du meine Güte, mögen sich die BMW-Manager gedacht haben. Ein Tornado! Ausgerechnet zu Zeiten des Klimawandels! Lass uns mal lieber eine Wolke daraus machen. Und so kam es, dass man die BMW-Welt nun nicht als heftigen Tornado begreifen soll, sondern als liebliche Wolke. Wer sich jedoch den unfassbaren Absturz der deutschen Autobranche in den letzten Monaten betrachtet, kann nicht umhin: Ein Tornado, der für Schäden in Milliarden-Höhe sorgen kann, ist das treffende Bild.

Das neue Stuttgarter Porsche-Museum bietet sich nicht für meteorologische Metaphern an. Aber auch dieses Museum, in dem die Historie einer Marke zum Marketinginstrument umgeschmiedet wird, beleuchtet einen denkwürdigen Zusammenhang. Denn niemals zuvor gab es in Deutschland im Premiumsegment so viele architektonisch hochambitionierte Automuseen, Abhollager oder Erlebniswelten - und niemals zuvor mussten derart kraftstrotzende, teure Bauten eine derart schwächelnde, ja taumelnde Industrie abbilden. Es ist, als wollte man einer Branche am Abgrund ein Denkmal setzen; als wollte man quasi den Niedergang auf seinem Höhepunkt einfrieren.

Das architektonisch geglückte Porsche-Museum markiert dabei den letzten Stand der "Carchitecture"-Bautypologie, die übrigens eine deutsche Erfindung ist - so wie das PS-wunderliche Premium-Segment fest in deutscher Hand und also Teil des Problems ist. Zuvor waren die BMW-Welt in München und das Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart, entworfen von Ben van Berkel, eröffnet worden. Audi hat derweil für alle seine Autohäuser eine weltweit gültige neue Corporate Architecture (Architekten: Allmann Sattler Wappner) initiiert. Leipzig punktet mit einem von Zaha Hadid gestalteten Werk. Am gleichen Ort gibt es auch ein Porsche-Kundenzentrum (von Gerkan, Marg und Partner) - und schon vor Jahren gönnte sich VW eine edle "gläserne Manufaktur" in Dresden (Henn Architekten).

Dass nun in Stuttgart kein neues Werk, kein Kundenzentrum und kein Abhollager, sondern ein Museum eröffnet wird, ist zeichenhaft. Wenn es den Ingenieuren nicht gelingt, aus dem maximalen Hub ihrer Motoren die maximale Energieeffizienz zu machen, betreibt die deutsche Automobilindustrie ihre eigene Musealisierung. Es käme jetzt aber weniger auf Historizität und Architektur als Marketinginstrumente an - sondern auf die Zukunftsfähigkeit der Technologie.

GERHARD MATZIG

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Wer von Liebe erzählt, muss von Reue erzählen

"Benjamin Button"-Regisseur David Fincher über Verlust und Vergänglichkeit, New Orleans und Brad Pitt im Greisenkörper

SZ: Warum hat es mehr als 85 Jahre bis zur Verfilmung von "Benjamin Button" gedauert? Immerhin sicherte sich Paramount die Filmrechte schon, kurz nachdem F. Scott Fitzgerald seine Kurzgeschichte veröffentlicht hatte.

Fincher: Da gibt es viele Gründe. Die Rechte haben ein paar Mal den Besitzer gewechselt, und viele haben sich seit den späten achtziger Jahren an dem Stoff versucht. Steven Spielberg, Ron Howard und Spike Jonze zum Beispiel. Tom Cruise war ebenso im Gespräch für die Hauptrolle wie John Travolta. Irgendwie fehlte am Ende wohl ein gutes Drehbuch, wie Eric Roth es für mich geschrieben hat.

SZ: Oder fehlte doch eher die entsprechende Technik? Eine Zeitspanne von mehr als achtzig Jahren mit nur einem Schauspieler abzudecken, vom Baby bis zum Greis . . .

Fincher: Ja, natürlich. Vor fünf, sechs Jahren hätte ich den Film auch noch nicht machen können, da hätten wir uns blamiert, da waren die Computereffekte noch nicht so weit. Tatsächlich war es die größte Herausforderung, Brad Pitt digital zu verjüngen oder älter zu machen, was sehr teuer wurde. Allein 30 Millionen Dollar sind für die visuellen Effekte draufgegangen.

SZ: Es gab zuvor Ideen, Benjamin Button mit unterschiedlichen Schauspielern zu besetzen, je nach Alter im Skript.

Fincher: Ich glaube an das digitale Kino. Ich will direkt am Monitor sehen, was passiert - und nicht erst nach 24 Stunden herausfinden, ob die Aufnahmen gelungen sind. Beim Casting für den Part des greisen Kindes Benjamin Button habe ich mir den Kopf einfach weggedacht, weil wir in der Postproduktion sowieso den von Brad Pitt reingesetzt haben, der mit Make-up und Prothesen ins entsprechende Alter gebracht wurde. In allen anderen Szenen war Brad Pitt mit vollem Körpereinsatz dabei. Allein sein Make-up dauerte fünf Stunden, das Abnehmen nochmal zwei. Aus den üblichen 80 Drehtagen wurden 150, da steigen die Kosten natürlich rapide.

SZ: Haben Sie je gedacht, dass vom Lesen des Skripts bis zum fertigen Film acht Jahre vergehen würden?

Fincher: Ich wusste, dass es aufwendig sein würde. Aber bei "Panic Room" war es auch so, alles zusammen habe ich da zehn bis elf Jahre dran gearbeitet.

SZ: Fitzgerald erzählt seine Geschichte auf zwanzig Seiten, Sie brauchen zweidreiviertel Stunden.

Fincher: Ist der Film wirklich so lang? Ich weiß nicht, wie das wieder passiert ist. Aber diese Länge war die Schmerzgrenze, drunter wollte ich keinesfalls gehen. Da ist schon so viel herausgeflogen! Eine halbe Stunde habe ich noch rausgeschnitten, mehr ging nicht.

SZ: Von der Vorlage blieb dennoch praktisch nur die Grundidee.

Fincher: Ich kannte die Kurzgeschichte nicht, ich habe 2001 zuerst das Drehbuch gelesen. Und als ich die Geschichte danach gelesen habe, fand ich sie absurd, vielleicht zu absurd. Ein hässlicher Mensch, der mit einem langen weißen Bart zur Welt kommt und redet wie ein Erwachsener - das war mir zu viel.

SZ: In der Kurzgeschichte empfindet man zuweilen Abscheu vor Benjamin Button. Verhindert ein populärer Schauspieler wie Brad Pitt, dass man das auch im Film so erlebt?

Fincher: Ich glaube nicht. Es geht mir auch nicht um die Hässlichkeit, es geht um einen Menschen, der verflucht ist, dessen Zeit sich rückwärts dreht, während alle um ihn herum altern. Brad Pitt macht das meisterhaft - aber ich glaube, dass das trotzdem noch nicht seine definitive Rolle ist.

SZ: Die Rahmenhandlung spielt in New Orleans, während draußen der Hurrikan Katrina aufzieht. Warum?

Fincher: Wir hatten uns für New Orleans entschieden, weil die Stadt im Original für verschiedenste Zeitepochen stehen kann. Dann kam Katrina und hat alles verwüstet. Wir hatten die Chance, aus dem Vertrag auszusteigen. Brad war es, der sagte: Lass uns den Film nun erst recht hier machen. Da wir diesen Film dann in New Orleans angesiedelt haben, hätte sich jeder unweigerlich beim Sehen gefragt: Ist das nun vor oder nach Katrina? Daher kam die Idee, Katrina mit in die Geschichte aufzunehmen.

SZ: Sie sind nicht dafür bekannt, die Kinogänger zu schonen. Passt ein Märchen wie "Benjamin Button" in die Reihe Ihrer düsteren Thriller?

Fincher: Ich habe sechs Filme gemacht und alle waren ziemlich unterschiedlich, finde ich zumindest. "Benjamin Button" ist auch gar nicht so anders als die anderen Filme. Auch darin geht es um das wirkliche Leben, auch darin spielt der Tod eine Rolle.

SZ: Der ewige Kreislauf von Leben und Tod ist in der Tat ein Grundthema . . .

Fincher: Es geht um Liebe und Verlust. Du kannst keinen Film über das Leben machen, ohne Reue zu thematisieren. Du kannst keinen Film über das Leben machen - und den Tod ignorieren. Du kannst keinen Film über Liebe machen - ohne die begrenzte Zeit zu zeigen, die man zusammen hat. Alle großen Liebesgeschichten enden im Tod.

Interview: Claudia Fromme

Regisseur David Fincher Reuters

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Wir sterben nun mal, ein Leben lang

Ein phantastisches Labyrinth - David Finchers Film "Der seltsame Fall des Benjamin Button"

Es gibt so etwas wie die Schönheit des Verfalls. Ein Phänomen, das Häuser, Menschen, Dinge erst durch die Verletzungen verzaubert, die die Zeit ihnen zufügt; das alles Unversehrte tot wirken und Lebendigkeit nur dort spüren lässt, wo Bewegung noch zu erkennen ist. "Der seltsame Fall des Benjamin Button" ist ein Südstaatenepos, angesiedelt zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Anfang jenes Heulens, aus dem Katrina, dem Wirbelsturm, werden soll. New Orleans zu erwählen als Ort für diese Geschichte, das war eine weise Entscheidung. Sie passt dazu, eine wunderschöne, alte Stadt, wie alles Lebendige dem Untergang geweiht.

Der Geburt des seltsamen Benjamin Button geht eine Geste der Trauer der voraus. Ein Mann hat, als sein Sohn nicht aus dem Krieg zurückkehrt, die Vergangenheit zurückgefordert und im Bahnhof von New Orleans eine Uhr aufgehängt, die rückwärts geht. Und dann kommt Benjamin (Brad Pitt) zur Welt, ein Greis, der immer jünger werden wird, bis er eines Tages endlich ein Kind ist. Ein ganz und gar fremdes Konzept steckt in dieser Figur, eine Unschuld des Alters.

Begegnung in der Lebensmitte

Benjamin wächst in einem Altersheim auf, verliert seine ersten Freunde schnell. Er lernt dort die Enkelin einer Heimbewohnerin kennen, seine große Liebe, die Daisy heißt wie die Liebe von Gatsby. Sie wird den altersanfälligsten Beruf von allen ergreifen - Ballerina. Beide sind Kinder zu Beginn. Er gefangen im alten Körper, sie ein altkluger Fratz; wie sie einander immer wieder begegnen, bis sie endlich ein paar Jahre lang im selben Alter sind und unbeschwert zusammen sein können - in den Sechzigern, ausgerechnet! - das ist der Kern der Geschichte. Wir erfahren sie aus Benjamin Buttons Tagebuch, das eine Frau von etwa vierzig Jahren (Julia Ormond) ihrer Mutter am Totenbett vorliest.

Der Film ist vollgepackt wie Jeunets "Amélie Poulain" - mit Stummfilmschnipseln eines alten Mannes, der sieben Mal vom Blitz getroffen wird; mit einer wilden filmischen Ereigniskette, die das Ende von Daisys Karriere zeigt; mit einer Episode, in der Tilda Swinton Benjamin früh die Bedeutung von Timing beibringt, und ihn später noch mal daran erinnert, wie man sich aus der Gefangenschaft seines Körpers befreit. "Benjamin Button" ist für dreizehn Oscars nominiert - und hätte jeden verdient.

Eine märchenhafte Geschichte, so poetisch und versponnen, dass man dem Kino kaum zutraut, dass es selbst auf die Idee gekommen ist. Ist es aber; von F. Scott Fitzgerald, dessen Kurzgeschichte der Titel und die Hauptfigur entstammen, ansonsten keine Spur. Von der Südstaatbetriebsamkeit über die schwarze Mama Queenie, die das Findelkind Benjamin aufzieht, bis hin zum optimistischen Glauben an das Gute - das ganze Drehbuch, der ganze Film ist gewissermaßen Anti-Fitzgerald.

Der Kerl in der Vorlage, der sein Leben verkehrt herum anfängt, ist ein egoistisches kleines Scheusal, das schließlich seine Frau verlässt, weil sie ihm zu alt geworden ist. Der Benjamin, den sich die Autoren Eric Roth, Robin Swicord und Regisseur David Fincher für die Leinwand ausgedacht haben, ist ein ungebrochener Held, reinen Herzens und von rührender Rechtschaffenheit - so eine Figur hätte Fitzgerald überhaupt nicht interessiert. Der Film träumt davon, dass es Liebe als einen Bund verwandter Seelen gibt, die alle Regeln der physischen Attraktion überwindet - an solch unverdorbene Emotionen hätte Fitzgerald nie geglaubt.

Auf dem Weg zum Film wurde aus der kleinen Etüde über die Merkwürdigkeiten der fortschreitenden Zeit eine große Geschichte vom Altwerden, davon, wie schmerzlich es sowieso schon ist und wie fürchterlicher es dadurch wird, dass wir das Verschwinden unserer Jugend immer schlechter akzeptieren können, uns der natürlichsten Sache der Welt verweigern: Wir sterben nun mal, ein Leben lang. Eine Fitzgerald-Verfilmung ist das höchstens in dem Sinn, dass Fincher dem melancholischen Satz treu bleibt, der wohl Fitzgeralds berühmtester ist, allerdings aus dem "Gatsby": So regen wir die Ruder, stemmen uns gegen den Strom - und treiben doch stetig zurück, dem Vergangenen zu . . .

Grotesk glattgepixelte Gesichter

Mit dem Altern, mit Verlust und Tod spielt der Film auf jeder Ebene, in der Handlung, den Bildern, den Dekors. Brad Pitt verwandelt sich von Szene zu Szene mehr zurück in das, bis hin zu einem fremden wächsernen Kerl, dessen Züge Ähnlichkeit haben mit dem ganz jungen Brad Pitt; und dem bis ins Groteske glattgepixelten Gesicht von Cate Blanchett als junger Daisy setzt Fincher immer wieder Großaufnahmen der ungeschminkten Julia Ormond entgegen, als wolle er fragen, was wirklich von Leben erfüllt ist - die starre Maske oder die nackte Haut. Es gibt kaum noch Gesichter im Hollywood-Kino, die nicht nachbearbeitet sind, aber nur ganz selten fängt das Kino mit der Computertechnik etwas wirklich Neues an - hier wird damit Verwandlung betrieben, wie sie noch vor ein paar Jahren unmöglich war, und gleichzeitig entlarvt der Film ein Stückchen Hollywood, die tote, gespenstische Gleichförmigkeit konservierter Jugend.

Man kann nicht aufdröseln, wie sich die kindliche Naivität des alten Benjamin verhält zu all den Erinnerungen, die er als junger Mann haben wird. Aber "Benjamin Button" ist auch kein Lebensratgeber und keine logische Abhandlung, sondern ein phantastisches Labyrinth, dass tausend Arten anbietet, die Welt zu sehen. Was bedeutet Erfahrung? Wie viel von dem, was wir sind und was wir empfinden, wird vom Zustand unseres Körpers bestimmt? Fincher hat daraus einen Film gemacht, der Emotionen und Irritationen zu einer Geschichte zusammenspinnt, die von der Grausamkeit der verstreichenden Zeit erzählt, von Jugendwahn und Älterwerden und der Würde und Schönheit, die das Leben entfalten kann, wenn man es lässt.

Man hätte einen so schönen, rührenden, von allem Zynismus befreiten Film wohl weder von Fincher noch von Eric Roth erwartet - Finchers Filme waren von "Seven" an nicht gerade von Menschlichkeit geprägt, und Roths "Forrest Gump" tut im Kern so, als wären die Menschen Herr über ihr Schicksal und im Zweifelsfall an ihrem Scheitern selber schuld. Vielleicht sind die beiden selbst nicht nur älter geworden, sondern weiser - und sehr viel warmherziger.

SUSAN VAHABZADEH

THE CURIOUS CASE OF BENJAMIN BUTTON, USA 2008 - Regie: David Fincher. Drehbuch: Eric Roth und Robin Swicord, inspiriert von einer Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald. Kamera: Claudio Miranda. Musik: Alexandre Desplat. Mit: Brad Pitt, Cate Blanchett, Taraji P. Henson, Julia Ormond, Tilda Swinton. Verleih: Warner, 167 Minuten.

Auf halbem Weg - Benjamin (Brad Pitt) und Daisy (Cate Blanchett), endlich ein Paar im gleichen Alter Foto: Warner

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Glauben oder nicht

Welche jüdischen Gemeinden muss der Staat unterstützen?

Das Bundesverfassungsgericht steht vor einer ebenso heiklen wie weitreichenden Entscheidung: Muss der Staat die finanzielle Unterstützung des Judentums neu regeln? Noch in diesem Jahr will der zweite Senat darüber befinden, inwieweit das Verhältnis von Bund und Ländern zur jüdischen Gemeinschaft auf der Fiktion beruht, mit der Unterstützung allein des Zentralrates erfülle der Staat seine Pflicht. Die Realität hat hier das Recht hinter sich gelassen. Seit den neunziger Jahren ist nicht nur die Zahl der Gemeinden rapide angestiegen. Auch die innere Vielfalt wuchs, liberale und streng orthodoxe Gemeinden entstanden neu, und nicht alle werden vom Zentralrat der Juden vertreten. Wie soll sich die Bundesrepublik angesichts einer solchen Rückkehr zur Pluralität verhalten? Welche Form von Judentum muss sie auf welche Weise fördern, ohne das Gebot der Gleichbehandlung zu verletzen? Und ergeben sich daraus Schlussfolgerungen für das Verhältnis zu den christlichen und muslimischen Gemeinschaften?

Bereits im April 2006 legte die "Gesetzestreue Jüdische Landesgemeinde Brandenburg" Verfassungsbeschwerde ein. Der Umstand, dass die Beschwerde angenommen wurde, zeugt von der grundlegenden Bedeutung des Falles. Die klagende Gemeinde wurde vor zehn Jahren in Potsdam gegründet. Sie begreift sich laut Satzung als "Nachfolgerin und Vertreterin jüdischer orthodoxer Traditionen". Den Staatsvertrag zum "Wiederaufbau eines jüdischen Gemeindelebens" schloss das Land Anfang 2005 aber ausschließlich mit der "Jüdischen Gemeinde Land Brandenburg". Diese umfasst insgesamt etwa 1300 Mitglieder in sieben Gemeinden, die im Gegensatz zu den "Gesetzestreuen" allesamt dem Zentralrat angehören. Durch eine solche, wie es in der Verfassungsbeschwerde heißt, "Exklusivität der Zuwendung" verstoße Brandenburg gegen das Neutralitätsprinzip. Eine Gruppe innerhalb des Judentums werde einseitig bevorzugt.

Noch deutlicher wird der Geschäftsführer der "Gesetzestreuen", Schimon Nebrat. Der Ingenieur, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aus St. Petersburg nach Potsdam emigriert, wirft der Landesregierung eine "antisemitische Politik" vor. Das Kulturministerium werde seiner "politischen, organisatorischen und finanziellen Verantwortung" nicht gerecht. In einem offenen Brief an die Fraktionen im Landtag spricht Nebrat von der "langjährigen ausgeklügelten Vertreibungspolitik der Landesregierung", die dazu geführt habe, dass von den rund 7500 seit dem Jahr 1990 in Brandenburg aufgenommenen Juden inzwischen 5500 das Land wieder verlassen hätten. Es gebe "keine einzige jüdische Einrichtung" zwischen Havel und Elbe, keinen Kindergarten, keine Schule, kein Jugendzentrum, kein Seniorenwohnheim. In einer solchen Situation sei es falsch, wenn der Staat einen Vertrag mit einer "aus unserer Sicht atheistischen beziehungsweise reformorientierten jüdischen Gruppierung" schließe, welche "selbst die Grundsätze des Judentums ablehnt".

Fundamentaler Klärungsbedarf

Feliks Byelyenkov vom angegriffenen Landesverband gesteht zu, dass sein Kontrahent sich im Judentum sehr gut auskenne. Man dürfe aber nicht vergessen: "Die Juden, die aus den GUS-Staaten nach Deutschland auswanderten, kamen nicht hierher, um das Judentum zu suchen." Erst langsam erarbeite man sich nun die Grundlagen. Er halte es da mit David Ben Gurion, der bekanntlich kein besonders frommer Mann gewesen sei: Die Gottesdienste müssten orthodox sein, aber für alle Fragen der Lebensweise gebe es im Judentum ein breites Spektrum. Im Übrigen, so Byelyenkov, "ist das kein theologischer Streit. Es geht vor allem um Geld".

Der Staatsvertrag vom Januar 2005 bedenkt den Landesverband mit jährlich 200 000 Euro. Zuvor, von den frühen neunziger Jahren an, erhielten die sieben Ortsgemeinden der "Jüdischen Gemeinde Land Brandenburg" insgesamt 150 000 Euro pro Jahr. Der hochverschuldete Landesverband muss laut Staatsvertrag die Gelder an sämtliche "auf den jüdischen Religionsgesetzen beruhende Gemeinden" angemessen weiterleiten, auch wenn sie dem Landesverband nicht angehören. So habe man verfahren müssen, sagt Holger Drews vom Kulturministerium, "als Land können wir uns in Religionskonflikte nicht einmischen".

Das Verfassungsgericht wird jetzt entscheiden, ob das Land es sich mit diesem Standpunkt zu einfach macht. So argwöhnt Schimon Nebrat: "Es handelt sich hier um zwei absolut unterschiedliche Religionsgemeinschaften." Kein Protestant wäre schließlich begeistert, wenn die gesamte Kirchensteuer vom Papst verwaltet würde und dieser dann nach Gutdünken entschiede, welcher Anteil den übrigen Kirchen zukomme. Noch keinen Cent habe der liberale Landesverband den "Gesetzestreuen" überwiesen. Nur Karlsruhe könne für Gerechtigkeit sorgen - indem es den Staatsvertrag für verfassungswidrig erkläre. Danach, prophezeit Nebrat, werde es zu einem Exodus aus dem Zentralrat kommen. Viele Gemeinden, die mit dem Kurs des Zentralrats unzufrieden seien, liefen dann über zum momentan noch inaktiven "Bund gesetzestreuer Gemeinden".

Streit, wer denn Jude sei

Die Hoffnungen der strenggläubigen Potsdamer richten sich somit auf eine Neubelebung des "Halberstädter Bunds". Die Geburtsstunde dieser sogenannten Separatorthodoxie schlug 1920, als sich in Halberstadt der "Bund gesetzestreuer jüdischer Gemeinden Deutschlands" konstituierte. Sie wollten ein Zeichen setzen gegen das vorherrschende liberale Judentum. Wahr ist aber auch: Die von Nebrat als unjüdisch abqualifizierten liberalen Gemeinden sind bereits im 19. Jahrhundert entstanden, ebenfalls in Deutschland, und deren eigentliche Heimat ist heute keineswegs der Zentralrat, sondern die "Union progressiver Juden". Auch von diesem anderen Ende der theologischen Skala gerät das überkommene Verhältnis zwischen Staat und Judentum gewaltig unter Druck.

Geradezu spiegelbildlich zu den Streitereien in Brandenburg erscheint nämlich der Dauerkonflikt in Sachsen-Anhalt. Auch dort ist es der dem Zentralrat angehörende Landesverband, der allein die staatlichen Mittel empfängt, und auch der Magdeburger Staatsvertrag von März 2006 sieht die Einbindung sämtlicher Gemeinden vor. Anders als in Brandenburg ist es in Sachsen-Anhalt aber die liberale Konkurrenz, die sich diskriminiert sieht von einem diesmal orthodox ausgerichteten Landesverband. Höchstrichterliche Urteile bis hin zum Bundesverwaltungsgericht haben zwar den Anspruch der liberalen "Synagogengemeinde Halle" auf Teilhabe bestätigt. Friede will dennoch nicht einkehren. Landesverband und Synagogengemeinde ringen seit zwölf Jahren miteinander. Die Streitsumme hat sich mittlerweile auf über zwei Millionen Euro addiert. Beide Seiten sind auf die Landesregierung, die ähnlich argumentiert wie in Potsdam, nicht gut zu sprechen. Auf lange Sicht dürfte auch dort nur ein zweiter oder zumindest ein präzisierter Staatsvertrag für Ruhe sorgen.

Reibungslos geregelt ist das komplizierte Ineinander von Politik, Religion und Tradition in Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Die dortigen Staatsverträge benennen klar jene Gemeinden, die nicht dem Vertragspartner, dem jeweiligen Landesverband also, angehören und schreiben für diese Gemeinden einen Betrag fest. Die Erfahrungen in Brandenburg und Sachsen-Anhalt zeigen, dass nur so fruchtlose Debatten über das notwendige Maß an Orthodoxie oder Liberalität vermieden werden können.

Selbst der gesamtdeutsche Staatsvertrag zwischen Bundesregierung und Zentralrat vom Januar 2003 krankt an diesem Konstruktionsfehler. Gefördert werden soll mit aktuell fünf Millionen Euro pro Jahr das gesamte jüdische Leben in Deutschland, Zuwendungsempfänger ist aber einzig der Zentralrat. Eine Zeitlang beharkten sich darum Zentralrat und "Union progressiver Juden" heftig. Der Vorwurf einer staatlichen Diskriminierung des Reformjudentums schlug international Wellen. Heute unterstützt der Zentralrat Projekte der deutlich kleineren "Union".

Der Staat darf nicht Partei sein im innerjüdischen Streit, wer denn Jude sei. Er darf nicht entscheiden, ob, wie es die "Gesetzestreuen" postulieren, die verbindlichen Grundsätze des Judentums bereits im 12. Jahrhundert von Maimonides festgelegt wurden. Er muss sich auch aus der Frage heraushalten, ob das progressive Verständnis des Judentums der Weisheit letzter Schluss ist. Da aber, wo eine jüdische Konfession die andere bedrängt, endet die Enthaltsamkeit des Staates. Das Verfassungsgericht hat diesen fundamentalen Klärungsbedarf erkannt. Mit dem Urteil wird das deutsche Judentum wahrscheinlich in eine neue Epoche eintreten. Der deutsche Sonderweg, die Fiktion eines homogenen Judentums, wird vorbei sein.ALEXANDER KISSLER

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Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht?

Luk Perceval inszeniert in Hannover Ingmar Bergmans "Nach der Probe" als schmerzhafte Studie über den Theaterbetrieb

Das Theater ist ein Psycho-Biotop von ganz spezieller Qualität. Weil Schauspieler vermutlich die einzige Berufsgruppe darstellen, von der gefordert wird, ihre Gefühle zu zeigen, verwischt in der Arbeitsgemeinschaft eines Theaters so manches, bis hin zu Verwirrungen, die therapeutische Hilfe nötig machen. Die Grenzen zwischen gespieltem und empfundenem Ego, von Bühnen- und Privatdrama, von Angst und Vertrauen, Euphorie und Depression bleiben hier oft fließend, so- dass wenig robuste Seelen sich dabei verlieren können. Während Menschen in anderen Berufen ihre Gefühle eher durch Verbergen und Verstellen schützen, soll der Darsteller sein ganzes Inneres einbringen. So verlangen es Regisseur und Zuschauer von ihm und messen seinen Wert daran.

Dazu muss in der Probe die Krise als Material behandelt werden, und durch dieses schonungslose Offenbaren der eigenen Verletzlichkeit erhält der Regisseur eine Macht über den Schauspieler, die jene des Therapeuten noch übersteigt. Während vom Therapeuten verlangt wird, dass er die Behandlung abbricht, wenn er sich emotional mit dem Patienten verstrickt, entsteht aus der Vermischung von Privatem und Beruflichem im Theater oft erst der kreative Ausnahmezustand, den eine außergewöhnliche Inszenierung braucht.

Stücke über das Theater neigen häufig dazu, langweilige Selbstbetrachtungen von Bühnenklausnern zu sein, die ihren Kosmos zu wichtig nehmen; aber wenn es gelingt, das Besondere der seelischen Erfahrungen auf der Probe und danach hervorzuholen, dann kann das eindrückliche Vorstellungen über das zerbrechliche Gerüst des Selbstbewusstseins liefern. Ingmar Bergman unternahm 1984 in seinem Fernsehspiel "Nach der Probe" die emotionale Achterbahnfahrt, die bei der Verfleischlichung eines Theatertextes durchlebt wird. Die Schmerzen, die Kritik auslösen, die Anstrengungen der ständigen Selbstbehauptung, der Übertritt von professioneller Vertrautheit zu echter Zuneigung und die vielen Leichen im Keller, die im Prozess der schöpferischen Arbeit unfreiwillig erweckt werden, inszenierte Bergman in den Dialogen des Regisseurs Henrik Vogler mit zwei Schauspielerinnen: seiner ehemaligen Geliebten, die seinen besten Freund geheiratet hat, sowie deren gemeinsame Tochter, an der er seine Sehnsucht erneuert. Um ihr nahe zu sein, gibt Vogler ihr die Hauptrolle in Strindbergs "Traumspiel", obwohl er sie nicht für halb so talentiert hält wie ihre Mutter.

Ernstfall: Spiel

Luk Percevals Auseinandersetzung mit seiner eigenen Rolle als Regisseur und den gegenseitigen Manipulationen, die zwischen Schauspielern und Regisseuren vonstatten gehen, hat ihn den Stoff nun - nach 1992 in Antwerpen - zum zweiten Mal inszenieren lassen. In Hannover nimmt er sich dafür den Ausspruch Voglers zu Herzen, dass Theater eigentlich nur drei Dinge braucht: das Wort, die Schauspieler und den Zuschauer. Und im Gegensatz zu der Bühnenfigur, die hinzufügt: "Das war immer meine Überzeugung, ich bin ihr nur nie gefolgt", hält sich Perceval daran. Von einer Tribüne auf der Bühne aus verfolgt das Publikum ein hochkonzentriertes Schauspielertheater zwischen den Sesseln des leeren Zuschauerraums.

Wolf-Dietrich Sprenger pflegt als Alter Ego aller überlegenen Regisseure zunächst die Marotten der Theaterhierarchie. Er doziert und irritiert, deklamiert "Ist"-Sätze über Sinn und Wesen der darstellenden Kunst im Minutentakt und wechselt schnell zwischen Zynismus und Zuspruch, um die junge Schauspielerin Anna Eggerman zu führen, zu formen - oder doch nur, um ihr zu imponieren? Das Unfertige und Kokette, Steife und Reizende, das junge Schauspielerinnen auszeichnet, die viel Ambition und wenig Erfahrung mitbringen, spielt Picco von Groote erstaunlich souverän. Denn es ist vermutlich besonders schwer für eine talentierte Schauspielerin, eine kaum talentierte zu spielen. Mit wenig subtilem Hervordrücken ihrer großen Brust, kindischen Flirtangeboten und unvermittelten Wutausbrüchen gegen ihre tote Mutter umgarnt sie erfolgreich den in die Jahre gekommenen Theatermann, der ihr schließlich sogar seine Liebe gesteht.

Unterbrochen wird die Verwicklung der Beziehungsfäden zu einem filzigen Gefühlsknoten durch den Auftritt der toten Mutter Rakel. In der Rückblende auf einen Moment totaler Verzweiflung und Selbstentblößung Rakels einige Jahre zuvor stellt sich dem Regisseur die Frage, inwiefern er Verantwortung trägt für die Opfer dieses Berufs. Rakel empfindet ihr Leben nur noch als eine Anhäufung größter Demütigungen, lebt in der Psychiatrie und klagt mit hysterischen Vorwürfen, schamlosem Verhalten und sexuellen Attacken gegen Henrik über die Hölle fehlender Beachtung, in der sie sich wähnt. Auslöser ist seine Entscheidung, der einst gefeierten Großschauspielerin wegen ihrer psychischen Instabilität nur eine kleine Rolle mit zwei Sätzen zu geben. Oda Thormeyer spielt das zerstörte Selbstwertgefühl eines Menschen, der sich immer nur als Instrument gefühlt hat, dem andere große Töne entlocken, und der deswegen seine Identität verliert, wenn niemand mehr damit spielen will, voller Aggression bis an die Grenze des Zumutbaren.

Der präzise Realismus, den Perceval hier verfolgt, zeugt von seinem empfindlichen Interesse an Fragen des Theaterbetriebs. Fast zwei Stunden lang spürt er den labilen Grenzen nach, die zwischen Realität und Spiel im Theater gezogen sind. In dem egoistischen und absurd hierarchischen Betrieb, der sich dennoch stets zu einem Ort der Freiheit erklärt, führt diese Inszenierung an den Punkt, da die Manipulation von Menschen nicht mehr der Kunst dient, sondern nur noch dem Eigennutz und zeigt, wie gefährlich dieses Spiel tatsächlich für alle Beteiligten ist. TILL BRIEGLEB

Niedergestreckt im Stellungskrieg zwischen Sein und Schein: Szene mit Picco von Groote als Anna und Wolf-Dietrich Sprenger als Henrik. Foto: Matthias Horn

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Die Dinge des Lebens

Er blies die Pop Art riesenhaft auf: Zum 80. Geburtstag von Claes Oldenburg

Dass man besser Liebe macht als Krieg: Diese Einsicht dämmerte damals, Ende der sechziger Jahre, vielen in Amerika. Schließlich befand man sich, einerseits, mitten in einem hässlichen Krieg. Und andererseits sah die Liebe nie zuvor so heiter aus wie seit dem Summer of Love im Jahr 1967, als man daraus eine Hoffnung, das Ideal einer Epoche, eine Botschaft zu formen verstand. Er aber hat dieser Botschaft eine unübersehbare Gestalt gegeben, eine wirklich monumentale: Vor 40 Jahren ließ der amerikanische Pop-art-Künstler Claes Oldenburg auf den Campus der Yale University die Riesenskulptur eines Lippenstiftes setzen, mehr als zehn Meter lang und natürlich mit frivol entblößter Spitze in knalligem, signalfarbenem Rot. Dieser monumentalisierte Lipstick erinnerte nicht nur in seiner aerodynamischen Form an eine Langstreckenrakete - er war zudem auf einem bulligen Kettenfahrzeug als Sockel gesetzt.

Für die Umwertung aller Werte, die die amerikanische Popkultur damals vornahm, ließen sich kaum schönere Bilder denken als diese Lippenstift-Rakete von Claes Oldenburg. Er, der heute vor achtzig Jahren als Sohn eines schwedischen Diplomaten in Stockholm geboren wurde, ist ein Meister der Verwandlung. Wobei es immer Objekte sind, Alltagsgegenstände, die er in eine andere Erscheinungsweise transformiert. Als wäre er ein begnadeter Zauberkünstler aus dem Vergnügungspark oder eine jener Dämonenfiguren aus den Superhelden-Comics wie der Joker, mit deren Personae er gerne in frühen Selbstporträts spielte. Als ingeniöser Transformator bedient er sich vor allem der Methode des Softening, wo er die Dinge des Lebens - wie etwa bei dem "Soft Pay Telephone" - in weichen Materialien nachbildet, und ihre Formen dadurch in Fluss versetzt, ihre Funktion und ihren Geist fast magisch verändert.

Welt aus den Fugen

Und er bedient sich des gleichsam pharaonischen Stilmittels der Vergrößerung. Seit den mittleren siebziger Jahren hat er, meist zusammen mit der kürzlich verstorbenen Gefährtin Coosje van Bruggen, nahezu überall auf der Welt, auch in Deutschland, in Kassel zum Beispiel - mit der "Spitzhacke" am Ufer der Fulda - zahlreiche jener Monumente im öffentlichen Raum errichtet, die auf der gigantischen Überdimensionierung von Alltagsobjekten basieren, und die, wie jener "Lippenstift" für die Yale University, als ins Phantastische, Groteske geweitete Belanglosigkeiten aus dem Alltagsleben ein geheimnisvolles Leben zu besitzen scheinen.

Auf diesen rasch als sein Markenzeichen firmierenden Außenraum-Objekten gründet vor allem der Ruhm Oldenburgs, der in Amerika aufgewachsen ist und seit den fünfziger Jahren in New York lebt. Und wenn man ihm auch mit einer gewissen Berechtigung vorwerfen mag, dass er die Erfolgsnummer oft wiederholt hat, so hat er uns doch ein unvergessliches Spektakel geboten: von einer Welt, die aus den Fugen gerät, wenn man auch nur an einem Punkt eingreift, um die Maßstabsverhältnisse zu ändern. Von der Kraft, der viel zu wenig genutzten Gabe des Menschen, die Verhältnisse zu transformieren - so wie es Oldenburg schon in seinen frühen, seinen ganz großen Jahren getan hat, als er in seinen grandiosen Environments "The Street" und "The Store" die Brücke schlug von der Waren-Ästhetik der Pop-Art zur Art Brut des Jean Dubuffet und aus dem Straßenmüll ein Denkmal auf den Straßenmüll formte.

Er habe nie etwas anderes gewollt, als der Kunst ihre Macht zurückzugeben, hat Claes Oldenburg einmal bemerkt: Das ist ihm in wirklich denkwürdiger Weise gelungen.MANFRED SCHWARZ

Pop-Alltag: Claes Oldenburg mit Coosje van Bruggen vor seinem Frühwerk "Bedroom Ensemble" (1963) Lothar Wolleh

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Neues Glück auf der anderen Seite

Immer mehr neokonservative Intellektuelle wechseln zu Obama

Wenn jemand die ideologische Seite wechselt, dann gibt es dafür meist zwei mögliche Ursachen: Entweder die Ideologie hat sich überlebt. Oder eine neue Ideologie ist aufgetaucht, die Besseres verspricht. Manchmal geschient etwas Drittes: eine Lichtgestalt erscheint, ein Charismatiker, der über alle Ideologien hinweg neues Glück und neue Wege verspricht - einer wie Barack Obama beispielsweise.

Jedenfalls scheint er etwas ausgelöst zu haben, ausgerechnet bei jenen, die den "linken Junior-Senator" lange Zeit geradezu verteufelten. Immer mehr so genannte Neokonservative scheinen vom rechten Glauben abzufallen - ausgerechnet sie, die die politische Ideologie der Regierung Bush maßgeblich beeinflussten und deswegen für deren sämtliche Fehler, Katastrophen und Fehlentscheidungen verantwortlich gemacht wurden. Doch nun heißt es: Die Republikaner sind von gestern, heute lautet die Antwort Obama.

Es begann mit Christopher Buckley, Sohn des kürzlich verstorbenen William Buckley. Der wiederum gilt als der wohl wichtigste konservative Intellektuelle Amerikas und bereitete mit seinen Essays und Büchern den Weg für die konservative Revolution eines Barry Goldwater und Ronald Reagan. Doch sein Sohn, ursprünglich ähnlich konservativ wie sein Vater, wenn auch nicht von gleichem intellektuellen Format, sprach sich im Sommer 2008 öffentlich für Obama aus - um daraufhin, freiwillig oder nicht, seine journalistische Tätigkeit bei der National Review einzustellen, jenem von seinem Vater gegründeten, altehrwürdigen Sprachrohr der neokonservativen Bewegung. Ihm folgten Kenneth Adelman, einst Reagans außenpolitischer Berater, und einflussreiche Kolumnisten wie Kathleen Parker.

Im Feindesland

Kurz vor seiner Amtseinführung wurde Obama selbst dann auf feindlichem Territorium gesichtet - bei einer Dinnerparty im Hause von George F. Will, dem konservativen Kommentator der Washington Post, zwischen seinem Erzkritiker Charles Krauthammer, David Brooks von der New York Times - und William Kristol. Und nun scheint es, als ob Letzterer, eine weitere Lichtgestalt der Neocons, die Seite wechselt - ausgerechnet William Kristol, dessen Vater Irving neben Buckley als Mitbegründer der neokonservativen Ideologie gilt.

Ist Obama der Katalysator für den Aufstand der neokonservativen Söhne? William Kristol jedenfalls beendet seinen Nebenjob als dezidiert konservativer Kolumnist der New York Times, indem er in seiner letzten Kolumne das Ende des Konservatismus ausruft. "Kann Obama den neuen Liberalismus (. . .) als kämpferischen Glauben neu erschaffen, kompromisslos patriotisch und stark in seiner Verteidigung der Freiheit? Das wäre ein Dienst an unserem Land", schreibt er, und das klingt, also ob sich der Neokonservatismus schlicht auf seine Wurzeln besinnen müsse, die ja tatsächlich im antikommunistischen Liberalismus liegen. Vielleicht ist das die Hoffnung vieler Neocons: Ihre Ideologie durch Obama zu läutern, auf das sie rein und unschuldig wiederauferstehe. PETRA STEINBERGER

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Notizen am laufenden Band

"Haben Sie eine Kundenkarte?" Die Französin Anna Sam hat einen Bestseller über ihre Arbeit an der Supermarktkasse geschrieben

Von Claudia Fromme

Ein paar Tage ist es her, da hat es sich wieder in ihren Traum geschlichen. Hat auf die Tiefschlafphase gewartet, um sich hinterlistig anzupirschen. Biep! Und wieder: Biep! Zwischen jedem Biep! ziehen im Traum an ihr vorbei: Toilettenpapier, Milchtüten, Bananen, Ziegenkäse, Eclairs. Anna Sam sagt, dass sie es damit vergleichsweise gut getroffen hat, Kolleginnen von ihr schlafwandelten mit den Händen, schöben Waren über die Bettdecke und riefen zuweilen laut in der Nacht: "Haben Sie eine Kundenkarte?"

Acht Jahre lang hat Anna Sam, 29, im französischen Rennes im Supermarkt an der Kasse gearbeitet, im vergangenen Januar hat sie ihren Polyesterkittel an den Nagel gehängt. Das alles wäre ja nun keine so spektakuläre Sache - hätte sie nicht aus ihrem Alltag am Warenband einige Dinge aufgeschrieben, die seit Wochen die Bestsellerlisten in Frankreich anführen. "Die Leiden einer jungen Kassiererin" hat sich dort mehr als 100 000 Mal verkauft, Übersetzungen erscheinen gerade in Deutschland, Italien, Brasilien, Israel und Taiwan. Es gibt Filmpläne, der Pariser Regisseur Jackie-George Canal will das Buch auf die Bühne bringen, und Anna Sam fragt belustigt: "Seit wann taugen eigentlich Kassiererinnen zu Stars?"

Lange Arbeitszeiten, niedrige Löhne, Überwachungen durch die Zentrale, mit denen Kassierer zu kämpfen haben - um all das geht es nicht. Das Bändchen wird nie die Magna Charta der Gewerkschaften werden, Sozialpolitiker werden Anna Sam nie als menschliches Antlitz einer Misere anführen. "Natürlich hätte ich über all das schreiben können", sagt Anna Sam und seufzt, "aber glauben Sie mir, es gibt viel Schlimmeres - die Kunden."

Kostprobe gefällig? Anna Sam sagt zu Monsieur A: "65,78 Euro bitte. Haben Sie eine Kundenkarte?" A. antwortet mit einer Gegenfrage: "Möchten Sie mit mir ins Bett gehen?" Ein anderer Fall: Die Kasse ist geschlossen, doch Monsieur B will sein Bier zahlen, und zwar sofort, er verspricht einen Euro extra. Anna Sam sagt: "Tut mir leid, diese Kasse ist bereits geschlossen." B. blafft sie sofort an: "Ach, komm schon. Ihr Kassiererinnen seid doch sowieso alle Schlampen! Ihr sagt immer ja, wenn ihr ein Trinkgeld bekommt! Jetzt nimm schon unsere Flasche, du Nutte!" Und das Highlight zum Schluss: Madame C. zeigt mit dem Finger auf Anna Sam und sagt zu ihrem Kind: "Wenn du in der Schule nicht fleißig lernst, dann wirst du einmal Kassiererin wie diese Frau da."

Und Anna Sam, die Kassiererin mit Literaturdiplom auf erfolgloser Jobsuche? Lächelt. Wie das vorgesehen ist für die "Servicemitarbeiterinnen Kasse". Manchmal, wenn es ganz schlimm wird, sagt sie: "Du Arsch." In Gedanken. Eigentlich hätte sie es auch laut sagen können, meint Anna Sam, die meisten hätten sie eh nur als Verlängerung der Technik gesehen. "Man wird nie als Person wahrgenommen, nur als Objekt." Das Ding an der Kasse. Biep!

Ja, das mag ja alles sein, werden spätestens jetzt die Ersten sagen. Aber hat mir nicht erst gestern eine Kassiererin im Supermarkt den Preis entgegengebellt und sich über den Fünfziger beschwert, mit dem ich den Joghurt zahlen wollte? "Jeder hat mal einen schlechten Tag", verteidigt Anna Sam ihre Zunft, "es ist eine Sache der Verhältnismäßigkeit." Kunden sähen maximal eine Kassiererin im Supermarkt pro Tag. Sie hätte hingegen täglich bis zu 300 Kunden bedient. Anna Sam liebt Statistiken, und so hat sie errechnet, dass sie 800 Kilo Waren pro Stunde anhebt, 20 Artikel pro Minute einscannt und 30 Mal pro Tag sagt: "Die Toiletten sind dort drüben." 15 Mal fragen Kunden, die die Kasse meinen, Anna Sam: "Sind Sie offen?" Und in zehn von 15 Fällen lacht sie und sagt: "Ich nicht, aber Sie vielleicht?"

Anna Sam betreibt eine sehr amüsante Kundenkunde im Zoo Supermarkt, "einen magenbitteren Sozialreport liest ja eh keiner", sagt sie. Sie setze darauf, dass Leute sich erst amüsieren und dann über sich nachdenken. Und so lacht man viel bei der Lektüre und am meisten über sich selbst. In mindestens einem der vielen Archetypen, die Anna Sam im Supermarkt ausgemacht hat, findet der Leser sich garantiert wieder. Vielleicht ist er einer von denen, die Einkaufen als strategische Kriegsführung begreifen und sich in Guerillamanier unter dem Gitter durchrollen, in der Sekunde, in der der Markt öffnet. Oder er gehört zur Gruppe der Trickteiler, die an der 10-Teile-Kasse mit 40 Artikeln anrücken, und die in vier Packen aufteilen. Oder er versteht Supermärkte als Orte für sozialdarwinistische Übungen und stellt den leeren Wagen an die Kasse, um später alte Gebietsansprüche einzufordern. Vielleicht gehört er auch zur allergrößten Gruppe, an die Anna Sam eigentlich nur einen Wunsch hat: "Sagt doch wenigstens mal Hallo!"

Großes Theater im Supermarkt

Fast sei es wie im Theater. Als Kassiererin habe man den Logenplatz. Was wird gegeben? Drama? Tragödie? Komödie? "Etwas von allem", sagt Anna Sam. Damit ihr keine Szene entwischte, fing sie im April 2007 an, Zettel neben die Kasse zu legen, um am laufenden Band zu notieren. Ihre Chefs hätten das nie bemerkt. "Hauptsache, die Kasse stimmt." Im Internet schrieb sie auf caissierenofutur.over-blog.com unter dem Pseudonym Miss Pastouche ihre Kolumnen, und innerhalb kürzester Zeit wurde sie zum Star, ihr Blog hatte zuletzt 600 000 regelmäßige Leser.

Magazine bettelten die Unbekannte um Interviews an, und am Ende bekam die bekannteste Kassiererin Frankreichs in einer Talkshow ein Gesicht. Kurz drauf, im Januar 2008, kündigt sie in ihrem Supermarkt. "Das wär auf Dauer nicht gutgegangen", sagt sie. Ein halbes Jahr später erschien ihr Buch. Kolleginnen aus aller Welt schreiben Anna Sam, der Jeanne d'Arc der Kassiererinnen, von ihren abstrusesten Erlebnissen, ihre alten Chefs klopfen ihr auf die Schulter, wenn sie einmal die Woche in ihren alten Supermarkt kommt. Ja, auch nette Mails von Kunden gibt es, aber deutlich weniger.

Gerade schreibt Anna Sam am zweiten Buch. Auch darin geht es wieder um den Supermarkt, aber nicht um Kassen, mehr will sie noch nicht verraten. Zurück an die Kasse will sie nie mehr, sagt sie. In den nächsten Monaten wird sie ihr gleichwohl erhalten bleiben: In ihrer alten Supermarktkette schult sie nun Kassiererinnen - im Umgang mit schwierigen Kunden.

"Sagt doch einfach mal Hallo": Anna Sam (li.) berichtet über ihre Erlebnisse am laufenden Band. phototek/Marc Ollivier

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Blaue Flecken, wüste Worte

Der SPD-Politiker Markus Meckel und eine Nachbarin liefern sich ein Gefecht

Berlin - Markus Meckel ist ein Mensch, dessen Gestalt und Lebensweg mal fürs Lehrbuch des Bürgerrechtlertums zu taugen schienen. Er gehörte zu den mutigen Pfarrern der DDR, wurde letzter Außenminister dieses Landes und sitzt seither im Bundestag, wo man nicht mehr so viel von ihm hört. Für Aufmerksamkeit sorgt der bärtige SPD-Mann dafür mit privaten Händeln. 2007 verzettelte er sich in einem aberwitzigen Rechtsstreit mit einer Gräfin, die behauptete, er habe für sein Grundstück in der Uckermark eine ihrer Zaunlatten gestohlen. Meckel focht das an, die Sache eskalierte, man bekämpfte ihn mit einer Stinkbombe aus Petroleum, Fenchel und Knoblauch. Nun ist es wieder zu Tätlichkeiten gekommen.

Der Polizei Prenzlau liegen zwei Anzeigen vor: eine von Meckel, der seiner Nachbarin Silke Podschum Körperverletzung vorwirft. Die beiden kennen sich von einem früheren Rechtsstreit, Frau Podschun hat mal ein Transparent rausgehängt, auf dem garstige Dinge über Meckel standen. Am 15. Januar habe sie ihm vor seiner Tür mit einem Baseballschläger aufgelauert, sagte Meckel zu Bild. In letzter Sekunde habe er den Schläger gepackt und sie in ein Nachbarhaus gezerrt, dabei sei es zu "blauen Flecken" gekommen. Frau Podschum wiederum zeigte Meckel an, wegen Körperverletzung und Freiheitsberaubung, sagt ein Prenzlauer Polizeisprecher. Die Nachbarin will keinen Schläger, sondern eine Reitgerte in der Hand gehalten haben, als Meckel plötzlich vor ihr stand. Sie sei erschrocken und habe ihn angeblafft, da habe er sie an den Armen in ein Haus gezerrt. Um sich zu wehren, habe sie zugeschlagen. Eine Ärztin soll ihr Blutergüsse an Unterarm und Knie attestiert haben, die Polizei ermittelt nun gegen beide. Meckel wollte sich zu der Sache nicht mehr äußern. Constanze von Bullion

Zwei, die miteinander können: Markus Meckel und die Kanzlerin. Foto: ddp

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"Manche glauben, dass wir blöd sind"

Sechs Kassiererinnen berichten über gute und schlechte Zeiten an ihrem Arbeitsplatz

Andrea Schulte, 43, Edeka-Center in Minden: "Als Kassiererin wird man schnell berühmt. Ich arbeite jetzt seit vier Jahren an der Kasse und werde im Viertel inzwischen oft auf der Straße oder beim Bäcker erkannt. ,Ach, Sie kaufen auch hier ein? Das ist ja nett', sagen die Leute dann. Leider gibt es auch Kunden, die einen von oben herab behandeln. Neulich wollte ich einem Herrn den Gebrauch eines Wasserkochers erklären, aber der schnauzte mich nur an: ,Das brauchen Sie mir nicht erklären, ich bin Ingenieur!' Ich versuche dann, so etwas nicht persönlich zu nehmen und mich aufs Kassieren zu konzentrieren. Wir haben intern nämlich einen kleinen Wettbewerb laufen. Wer ist die Schnellste? Die ganz Guten schaffen 30 Posten pro Minute. Das will ich auch mal können."

Balbina Plaschka, 77, Tengelmann in München: "Ich liebe die Kasse! Es ist der beste Ort im Markt, da ist das Meiste los. Manche Kunden stellen sich extra bei mir an, ich bin eine feste Bezugsperson in ihrem Leben. Kein Wunder, ich mache das auch schon seit mehr als 30 Jahren, jetzt bessere ich damit meine Rente auf. Manche Kunden maulen mich an, einfach so. Denen sage ich: ,Jetzt benehmen Sie sich mal!' Für meinen Chef ist das in Ordnung, er weiß, dass mich viele Kunden gerade für mein loses Mundwerk mögen. Über einen aber habe ich mich mal wahnsinnig geärgert. Irgendetwas gefiel ihm nicht an mir, und er hat sofort ein Fax an die Filialleitung geschickt. Ich bin zu dem hin, seine Adresse stand ja auf dem Fax und habe geklingelt. Als er die Tür öffnete, habe ich gefragt: ,Was passt Ihnen an mir nicht?' Er war total verdutzt, mit so etwas hat er nicht gerechnet. Wir haben Kaffee getrunken, und es kam raus, dass er viele Schicksalsschläge einstecken musste und einsam war. Heute fällt er mir immer fast um den Hals, wenn er mich sieht. Ein bisschen ist man schon Psychologin an der Kasse."

Barbara E., 50, bis vor einem Jahr Kassiererin bei Kaiser's in Berlin: "Ich bin 13 Jahre lang mit vollem Herzblut Kassiererin gewesen. Zwischen 250 und 450 Kunden kamen am Tag an meine Kasse, und ich glaube behaupten zu können, dass ich alle mit Namen kannte. Die meisten bezahlen ja mit Karte, da habe ich mir die Namen eingeprägt. Das ist ein super Gedächtnistraining! Wenn ich die Kunden dann mit Namen angesprochen oder so was wie ,Na, heute gar keine Milch?' gesagt habe, sind sie manchmal richtig erschrocken. Leider habe ich nach 31 Jahren Betriebszugehörigkeit meinen Job verloren, weil ich einen Pfandbon für 1,30 Euro unterschlagen haben soll. Ich glaube aber, man wollte mich loswerden, weil ich bei uns in der Filiale Streiks mitorganisiert habe. Gegen meine Entlassung habe ich geklagt. Ich will meinen Traumberuf unbedingt zurück!"

Werner Hammermeister, 56, LPG Biomarkt in Berlin, Prenzlauer Berg: "Hier sind wir alle per du, auch mit den Kunden. Ich habe 17 Jahre lang in einem normalen Supermarkt gearbeitet - das war Stress ohne Ende, und die Leute haben dauernd gemeckert. Man kam kaum zum Luftholen und musste die Kunden einfach so abfertigen. Hier meckert nie einer, auch wenn mal was nicht da ist oder zwei Leute vor ihnen an der Kasse stehen. Ein Bioeinkauf dauert einfach länger, die Leute nehmen sich mehr Zeit. Mit den vielen Kindern sind wir hier fast wie eine Familie, die Mütter können sogar im Laden stillen. Davor hab' ich in Charlottenburg gearbeitet. Aber inzwischen sind da alle alt, und genauso sind es die Kunden. Hier dagegen sind mindestens 50 Prozent der Frauen schwanger. Ich mag Kinder total gern. Nur wenn wieder eins verrückt spielt, die Mutter nichts sagt und das Kind dann eine Ladung Eier runterschmeißt, bin ich etwas genervt - das dauert aber nie lange."

Elena Tilkeridou, 48, Rossmann in München: "Ich sitze seit 16 Jahren an der Kasse und habe so meine Taktik entwickelt: Sind Kunden frech, bin ich noch netter als sonst. Meistens zieht das, denen wird dann bewusst, wie blöd das ist, eine Kassiererin anzumeckern. Aber es gibt auch Grenzen, und da steht meine Filialleiterin hinter mir und regelt die Sache. Einmal hat ein Mann eine Kollegin bespuckt, dem ging es nicht schnell genug, aber das ist die krasse Ausnahme, zumal Männer in der Regel freundlicher sind als Frauen. Unsere Arbeit wird oft nicht anerkannt, manche glauben, dass wir zu blöd sind, etwas anderes zu machen. Dabei ist das sehr anspruchsvoll, die Technik zu beherrschen, viele Dinge gleichzeitig zu machen und immer nett zu sein. Jeder Tag an der Kasse ist eine Herausforderung, aber genau das ist, was ich so toll an dem Job finde."

Ines Albrecht, 44, Lidl in Aschheim: "Bei uns ist es wie beim Friseur: Viele Leute kommen, um zu reden. Das ist zwar nett, führt aber auch zu Problemen, etwa wenn mittags die Angestellten aus den Büros kommen. Die wollen ihre Pause natürlich nicht im Supermarkt verbringen. Manchen Stammkunden ist das jedoch egal: Sie lassen sich nicht vom Schwätzchen abbringen. Einer meiner treusten Kunden ist ein Mann, mit dem ich mal aneinander geraten bin. Schon als er den Laden betrat, stritt er mit seiner Frau und ging dann getrennt von ihr einkaufen. An meiner Kasse trafen sie sich wieder. Er fing er an, die Waren aus ihren Wagen auf die Süßigkeitenablage zu schmeißen. Als ich ihn freundlich gebeten habe, das zu lassen, schimpfte er: ,Jetzt werden die Sachsen schon im Westen aufmüpfig!" Ich habe ihm erklärt, dass ich aus Thüringen bin. Zehn Minuten später wollte er sich mit einem riesigen Blumenstrauß bei mir entschuldigen. Ich habe ihm gesagt, er soll ihn lieber seiner Frau schenken."

Protokolle: from, ake, lawe

Fotos: ddp, from, oh

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Ein Wunder mal Acht

Mit sieben Babys hatten die Ärzte gerechnet - nun brachte eine Frau in Kalifornien gesunde Achtlinge zur Welt

Von Tanja Rest

Als Mandhir Gupta am Montagmittag vor die eilig aufgebauten Fernsehkameras trat, stand ihm das große Staunen noch ins Gesicht geschrieben. "Diese Geburt war eine faszinierende Erfahrung für mein Team, jeder Einzelne hat großartige Arbeit geleistet. Alle Babys sind zu diesem Zeitpunkt stabil, auch der Mutter geht es gut", sagte der Arzt und strahlte. Mandhir Gupta ist der Frühchen-Experte im Kaiser Permanente Hospital der Stadt Bellflower bei Los Angeles, er dürfte im Lauf seiner Karriere schon viele spektakuläre Geburten miterlebt haben, aber gewiss noch keine wie diese: Mit sieben Kindern hatten die Ärzte gerechnet, doch dann kamen per Kaiserschnitt innerhalb von fünf Minuten sechs Jungen und zwei Mädchen zur Welt. Achtlinge, alle am Leben. Das hat es weltweit erst ein einziges Mal gegeben, im Jahr 1998.

Ein Aufgebot von 46 Ärzten und Helfern war im Kreißsaal zugegen. Ihre Augen seinen "so groß wie Untertassen" geworden, als sie Nummer acht entdeckten, sagte die Geburtshelferin Karen Maples. Es war ein Junge, 680 Gramm leicht. Alter und Namen der Eltern gab das Krankenhaus nicht bekannt. Sie wollten zunächst anonym bleiben, hieß es. Auch die Frage von Reportern, ob die Mutter mit Hormonen behandelt worden war, um schwanger zu werden, blieb unbeantwortet. Allerdings: Die Wahrscheinlichkeit, auf natürliche Art Achtlinge zu bekommen, wird auf 1 zu 32 Billionen geschätzt.

Schon Wochen zuvor war die extrem riskante Geburt von den Ärzten generalstabsmäßig vorbereitet worden. Die Mutter befand sich von der 23. Schwangerschaftswoche an auf Station - sie litt unter Rückenschmerzen und verbrachte die Zeit bis zum geplanten Kaiserschnitt in Woche 30 überwiegend im Liegen. Am Ende waren die acht Babys in ihrem Bauch zusammen fast elf Kilo schwer. Die Ultraschallaufnahmen hatten allerdings nur auf sieben Kinder hingedeutet. "Es ist recht leicht, eines zu übersehen, wenn es schon sieben gibt", entschuldigte der Arzt Harold Henry den Untersuchungsfehler.

1470 Gramm wiegt das Schwerste

Um 10.43 Uhr Ortszeit - die Mutter war während der letztlich unkomplizierten Geburt bei vollem Bewusstsein - holte das Team das erste Kind, einen Jungen, ans Licht der Welt. "Er kam raus, schrie und strampelte sofort los. Das war ein gutes Zeichen - wir waren die schlimmste Sorge los", sagte der sichtlich erleichterte Gupta. Die restlichen sieben Babys kamen binnen weniger Minuten nach; das letzte war das leichteste, der schwerste Junge wiegt 1470 Gramm. Alle Lebenszeichen wie Blutdruck, Puls und die wichtigsten Reflexe sind Gupta zufolge normal. Nur zwei der Neugeborenen müssen noch künstlich beatmet werden. Nichtsdestotrotz sei die erste Woche "kritisch", sagte Gupta. Die untergewichtigen Kinder müssten voraussichtlich noch acht Wochen im Brutkasten bleiben.

Die Mutter wird das Krankenhaus wohl bereits in einer Woche verlassen können. Sie sei eine "sehr mutige und sehr starke Frau", schwärmte Karen Maples. "Sie ist ganz aus dem Häuschen, dass sie nun all diese Babys hat und es ihnen gut geht." Ob sie es schaffen werde, ihre Kinder zu stillen, wollte ein Reporter wissen, und Gupta versicherte: "Wir haben ihr zum Stillen geraten, und das wird sie ganz bestimmt auch tun. Das hat sie sich vorgenommen."

Sie haben sich insgesamt viel vorgenommen, die neuen Mehrlingseltern. Acht Babys, das bedeutet pro Tag etwa 60-mal wickeln, zwei- bis dremal mit prallen Windeltüten zur Mülltonne laufen, ungefähr 60-mal stillen und später um die 40-mal die Prozedur, bei der eine Breimahlzeit in einen offenen Mund zu löffeln ist - all dies bei sehr wenig Schlaf, ganz zu schweigen von den Kosten für Kleidung, Spielzeug, Wohnraum und schließlich die Ausbildung.

Guter Rat, wie man all das irgendwie hinbekommt, ist einige Bundesstaaten entfernt in Texas zu haben: Dort brachte vor zehn Jahren die aus Nigeria stammende Nkem Chukwu ebenfalls Achtlinge zur Welt. Anders als bei den kalifornischen Achtlingen waren die Babys aber nur zwischen 300 und 800 Gramm leicht, also extrem untergewichtig - das kleinste starb nach einer Woche. Die Mutter war mit Hormonen behandelt worden. Ab Vierlingen reden Ärzte eigentlich von einem Kunstfehler, Nkem Chukwu waren sieben trotzdem zu wenig: 2002 brachte sie noch eine weitere Tochter zur Welt.

Diese Babys wurden in einer Neugeborenen-Station in Prizren fotografiert. Von den kalifornischen Achtlingen gibt es noch keine offiziellen Bilder, doch ein vergleichbarer Anblick dürfte sich den Eltern bieten, wenn ihre Kinder den Brutkasten erst einmal verlassen haben. Fotos: Zeitenspiegel/Visum, AP

"Eine faszinierende Erfahrung": Arzt und Geburtshelfer Mandhir Gupta.

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DIE FRAGE

Wer kauft sich einen Nacktscanner?

Im Oktober stoppte die EU nach einem Sturm der Entrüstung den Einsatz von Nacktscannern an Flughäfen. Sechs von ihnen stehen seit Jahren nutzlos im Keller des EU-Parlaments herum.

Markus Ferber, Haushaltsexperte im EU-Parlament: "Da unsere Nacktscanner nicht zum Einsatz kommen werden, sollen sie jetzt verkauft werden. Neu haben sie 120 000 Euro pro Stück gekostet. Sie sind quasi ungebraucht - auch die Originalverpackung ist noch vorhanden. Vielleicht ist die Medienbranche interessiert, oder Bürohäuser, die damit ihre Besucher durchleuchten möchten. Ich könnte mir auch vorstellen, dass einige Flughäfen Interesse zeigen. Allerdings haben wir den Markt noch nicht genau analysiert. Wir wollen nur nicht, dass die neuen Geräte im Keller vergammeln und irgendwann verschrottet werden. Es ist doch schon peinlich genug, dass sie das Parlament angeschafft hat."

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Milliarden für Exporteure

Bund will jetzt auch Firmen wie Airbus helfen

Berlin - Nach dem Rettungsschirm für die Banken arbeitet die Bundesregierung an einem neuen, milliardenschweren Hilfsprogramm zur Unterstützung der gesamten Exportwirtschaft. Ziel sei es, den Unternehmen "bei den aktuellen Problemen, die durch die weltweite Finanzkrise entstanden sind, mit zusätzlichen Instrumenten zu helfen", sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Peter Hintze, der Süddeutschen Zeitung. Das Paket soll einerseits eine Ausweitung bestehender Bürgschaftsprogramme umfassen, darüber hinaus sind aber erstmals auch direkte Finanzhilfen der staatlichen Förderbank KfW an die kreditgebenden Banken im Gespräch. Grund ist, dass manche Finanzhäuser aus Mangel an Liquidität derzeit selbst dann keine langfristigen Kredite geben, wenn diese zu 100 Prozent verbürgt sind. Unter anderem will die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Partnern in Paris und London verhindern, dass die Kunden des europäischen Flugzeugbauers Airbus in großem Umfang Aufträge stornieren. Alle drei Staaten wollen deshalb gemeinsam bürgen. Auch Frankreich kündigte Hilfen für Airbus an. (Wirtschaft)hul

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Wütende Hüter

Verfassungsrichter fühlen sich bei Grundgesetz-Feier missachtet

Wie auf eine misslungene Generalprobe oft eine tolle Aufführung folgt, kann auch bei einem Fest ein Streit über Programm und Gäste zum Gelingen beitragen. So gesehen sind die Aussichten für das deutsche Langzeitjubiläum "Freiheit und Einheit" in diesem Jahr großartig. Denn schon der Beginn der "Festkette" mit Feiern zum 60. Geburtstag des Grundgesetzes im Mai hat für gehörigen Zoff gesorgt. SPD und Grüne kritisierten die Pläne von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) - Staatsakt mit Bundespräsident Horst Köhler, Bürgerfest in Berlin -, und verlangen eine Debatte des Parlaments zum 60. Jahrestag des Grundgesetzes. Jetzt wurde bekannt, dass auch das Bundesverfassungsgericht mit dem vorgesehenen Programm nicht einverstanden ist. Die Gefühlsbeschreibungen bewegen sich in Karlsruhe zwischen milder "Verwunderung" und massiver "Verärgerung".

Das selbstbewusste Gericht fühlt sich als Zaungast einer Geburtstagsfeier, obwohl es das Geburtstagskind doch großgezogen habe und sich als Hüter der Verfassung sieht. Das Grundgesetz verdanke seine heutige wertsetzende und stabilisierende Rolle vor allem dem Bundesverfassungsgericht, heißt es in Karlsruhe. Gewiss seien Präsident Hans-Jürgen Papier und die übrigen 15 Gerichtsmitglieder zum Staatsakt am 22. Mai sowie zum Bürgerfest eingeladen. Und auch die Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit sowie zum 20. Jahrestag des Mauerfalls sollten in Anwesenheit des Gerichts stattfinden. Aber eine bloß passive Rolle werde der Bedeutung des einzigen nicht in Berlin ansässigen Verfassungsorgans nicht gerecht. Bisher seien alle Wortmeldungen des Gerichts im zuständigen Gremium missachtet worden. Man müsse sich nicht wundern, wenn nur wenige Richterinnen und Richter den Einladungen folgten, ist zu hören.

Ist das nun, wie ein früherer Richter meint, die Haltung "beleidigter Diven"? Oder sind das, wie vereinzelt gemunkelt wird, gar Ansätze einer kleinen Krise? Immerhin erinnere die Kritik von Innenminister Schäuble an Urteilen des Verfassungsgerichts an Konflikte zwischen Regierung und Gericht in den Anfangsjahren der Republik. Damals stellte Karlsruhe in einem Statusbericht klar, dass es als Verfassungsorgan den Respekt anderer Verfassungsorgane beanspruche. So hoch muss man den aktuellen Konflikt nicht hängen. Aber es ist schon was dran an der Behauptung, dass die Politik das fünfte Verfassungsorgan - außer Bundespräsident, Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung - ein wenig vernachlässige. So durfte letztmals im Jahr 1988 der amtierende Gerichtspräsident, Roman Herzog, zum Tag der Deutschen Einheit im Bundestag sprechen (seinerzeit der 17. Juni). Seit damals haben alle anderen Verfassungsorgane außer dem Gericht die vielen Festreden zum Nationalfeiertag am 3. Oktober bestritten. Auch in den Reden zu den aktuellen 60. Jahrestagen - Verfassungskonvent, Parlamentarischer Rat, soziale Marktwirtschaft - kommt der Gerichtspräsident nicht vor.

Es gibt dazu zwei Meinungsströme im Gericht. Die einen sorgen sich besonders um den Status im Gefüge der Verfassungsorgane, die anderen vermissen mehr eine ernsthafte Würdigung der vom Grundgesetz verkörperten Werte. Das Bürgerfest in Berlin mit Autoschau, Schlagerstars und Werbung sei doch nur eine "Jux-Veranstaltung", sagen sie. Es ist übrigens nicht das einzige Fest: Unter der Internet-Adresse "freiheit-und-einheit.de" finden sich Hinweise auf zahllose Festivitäten. Helmut Kerscher

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"Wir haben keine Zeit zu verlieren"

Merkel: Konjunkturpaket rasch umsetzen / Koalition vertagt Mindestlohn für Leiharbeit

Berlin - Die Bundesregierung hat am Dienstag das zweite Konjunkturpaket beschlossen. Mit dem Mix aus Investitionen, Förderprogrammen sowie niedrigeren Steuern und Abgaben will sie sich gegen die tiefste Rezession der Nachkriegszeit stemmen. Dazu plant sie, in den Jahren 2009 und 2010 insgesamt 50 Milliarden Euro einzusetzen. Im Anschluss an die Kabinettssitzung rief Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Parlament und Länderkammer auf, das Vorhaben schnell und zügig umzusetzen. "Wir haben keine Zeit zu verlieren", betonte sie. Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) verteidigte den sprunghaften Anstieg der Neuverschuldung des Bundes, die zur Finanzierung des Pakets notwendig ist. Zugleich wandte er sich entschieden gegen Spekulationen, wonach die Regierung die Hilfen noch einmal ausweiten will. "Ich für meinen Teil möchte nicht über ein weiteres Konjunkturpaket reden. Und ich hoffe, ich kann auch alle anderen bremsen."

Die Koalition konnte sich hingegen nicht auf die Einführung eines Mindestlohns für Zeitarbeiter verständigen. Die Union hatte Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) vorgeworfen, sich nicht an die getroffenen Absprachen gehalten zu haben. "Mit uns wird es eine Lohnuntergrenze bei der Zeitarbeit nur unter Wahrung der Tarifvertragsautonomie geben", sagte der Geschäftsführer der Unionsfraktion, Norbert Röttgen (CDU). Scholz ließ der Darstellung widersprechen. Alle Vorschläge des Arbeitsministers entsprächen den Vereinbarungen, die die Spitzenpolitiker der Koalition zuvor getroffen hätten. Der Mindestlohn für die Zeitarbeitsbranche ist zwar kein Teil des Konjunkturpakets und hängt auch inhaltlich nicht damit zusammen. Die Vereinbarung war jedoch durch Kompromisse zustande gekommen, welche die SPD in den Verhandlungen über die Wirtschaftshilfen eingegangen war. Beides sollte deshalb zusammen im Kabinett beschlossen und noch am Freitag in den Bundestag eingebracht werden. Kommende Woche will die Regierung nun erneut über die Zeitarbeit verhandeln. Hier eine Übersicht über zentrale Punkte des Konjunkturpakets:

Kosten: Der Bund will alleine 2009 rund 36,8 Milliarden Euro neue Schulden machen. Das sind 18,3 Milliarden Euro mehr als bisher geplant. Steinbrück bleibt damit formal unter dem Schuldenrekord von 40 Milliarden Euro, den sein Vorgänger Theo Waigel (CSU) hält. Dies gelingt ihm aber nur, weil die Regierung gleichzeitig einen vom Haushalt getrennten Fonds auflegt, in den nochmal 16,9 Milliarden Euro fließen, die der Bund ebenfalls noch im laufendem Jahr am Kapitalmarkt aufnimmt. Regelmäßige Tilgungen sind vorgesehen.

Steuersenkungen: Beschäftigte und mittelständische Unternehmer sollen weniger Steuern zahlen. In einem ersten Schritt will die Koalition daher rückwirkend zum 1. Januar den Freibetrag um 170 auf 7834 Euro anheben und den von dieser Grenze an geltenden Steuersatz von 15 auf 14 Prozent senken. Zugleich sollen die Steuersätze erst bei höheren Einkommen einsetzen. 2010 soll der Freibetrag dann um weitere 170 Euro steigen und der Tarifverlauf erneut zu Gunsten der Steuerzahler geändert werden.

Krankenkassenbeiträge: Mitte des Jahres sollen die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung um 0,6 Punkte auf dann 14,9 Prozent sinken. Dazu schießt der Staat dem Gesundheitsfonds 2009 etwa 3,2 Milliarden Euro zu, im kommenden Jahr sollen es 6,3 Milliarden Euro sein. Ein Durchschnittsverdiener wird dadurch ebenso wie sein Arbeitgeber um etwa sieben Euro im Monat entlastet.

Kinderzuschuss: Jedes Kind erhält noch im laufenden Jahr 100 Euro. Gutverdiener profitieren nur kurzfristig, denn der Betrag wird 2010 im Rahmen der Einkommensteuererklärung vollständig mit dem Kinderfreibetrag verrechnet.

Abwrackprämie: Wer sich noch 2009 einen umweltfreundlichen Neu- oder Jahreswagen kauft und dafür sein mindestens neun Jahre altes Auto verschrottet, kann mit einem Zuschuss des Staats in Höhe von 2500 Euro rechnen. Dies stimuliert bereits jetzt die Nachfrage.

Bauinvestitionen: Insgesamt zehn Milliarden Euro will die Koalition den Ländern und Kommunen noch im laufenden Jahr zur Verfügung stellen. Etwa 65 Prozent stehen zur Verfügung, um zum Beispiel Schulen und Kindergärten zu sanieren. Mit den restlichen Bundesmitteln sollen Krankenhäuser modernisiert und Straßen ausgebaut werden. Die Länder sollen die Mittel eigentlich aufstocken. In einigen gibt es jedoch Widerstand gegen diese Beteiligung.

Straßen: Weitere zwei Milliarden Euro sollen pro Jahr in den Ausbau von Bundesstraßen oder Schienen und Wasserstraßen fließen. Damit die Investitionen schnell wirken können, will die Bundesregierung die Regeln deutlich vereinfachen, nach denen die Verwaltungen ihre Aufträge erteilen.

Kurzarbeit: Die Bundesagentur für Arbeit (BA) erstattet den Arbeitgebern in diesem und im nächsten Jahr bei Kurzarbeit die Sozialversicherungsbeiträge zur Hälfte. Dies war bislang nicht der Fall. In den Zeiten, in denen sich ein Kurzarbeiter weiterqualifiziert, kommt die BA auf Antrag sogar für die vollen Sozialversicherungsbeiträge auf. Zudem soll es für die Unternehmen einfacher werden, Kurzarbeit zu beantragen. Die Voraussetzungen werden gelockert.

Arbeitslosenversicherung: Diese wird vorerst auf 2,8 Prozent festgeschrieben, um Beitragserhöhungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Zukunft zu vermeiden. Sollte die BA mehr Mittel benötigen, springt der Bund ein, um einen Anstieg der Beiträge zu verhindern.

Sicherung von Beschäftigung: 2009 und 2010 sollen zusätzlich rund 1,2 Milliarden Euro in die Qualifizierung von Arbeitslosen gesteckt werden. Zudem will der Arbeitsminister zusätzlich 5000 feste Stellen in den Agenturen oder Jobcentern schaffen, um Arbeitslose besser vermitteln zu können. Umschulungen zu Alten- oder Krankenpflegern sollen im laufenden und im nächsten Jahr komplett von der Bundesagentur finanziert werden. (Seite 4) Guido Bohsem

"Ich für meinen Teil möchte nicht über ein weiteres Konjunkturpaket reden"

Finanzminister Peer Steinbrück

Kanzlerin Angela Merkel fordert, das Konjunkturpaket ohne Zeitverzug umzusetzen. Nur Zeitarbeiter müssen weiter auf Mindestlohn warten. Foto: Uwe Schmid

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Obama: Amerika reicht allen Muslimen die Hand

"Wir wollen künftig zuhören statt diktieren" / US-Sondergesandter Mitchell auf Friedensmission in Nahost

Von Thorsten Schmitz

Tel Aviv - Der neue US-Präsident Barack Obama hat in seinem ersten Fernsehinterview nach der Amtsübernahme der muslimischen Welt eine "neue Partnerschaft in gegenseitigem Respekt" angeboten. Dem arabischsprachigen Sender al-Arabija sagte er in der Nacht zu Dienstag, "dass die Amerikaner nicht Ihre Feinde sind". Er wolle allen Muslimen und auch Ländern wie Iran die Hand reichen, wenn sie bereit seien, ihre geballten Fäuste zu öffnen. Er werde aber Terroristen verfolgen, die Zerstörung suchten. Bewusst engagiere er sich frühzeitig für die Lösung des Nahost-Konflikts und habe deshalb den Sondergesandten George Mitchell zu einer achttägigen Reise in die Region gesandt.

Mitchell, der nach seinem Antrittsbesuch in Ägypten am Mittwoch in Jerusalem Premierminister Ehud Olmert und Verteidigungsminister Ehud Barak, sowie in Ramallah im Westjordanland Palästinenserpräsident Machmud Abbas treffen wird, solle zunächst mit allen Beteiligten sprechen. Erst danach werde seine Regierung einen Ansatz für eine neue Nahost-Politik entwickeln. "Was ich ihm gesagt habe, ist, dass er erst einmal zuhören soll, weil die Vereinigten Staaten viel zu oft damit angefangen haben, die Dinge zu diktieren", sagte Obama. "Wir können weder den Israelis noch den Palästinensern sagen, was am besten für sie ist", fügte Obama hinzu. Beide Seiten müssten aber erkennen, dass ihr gegenwärtiger Weg nicht zu Wohlstand und Sicherheit für ihre Völker führe.

Israels Staatspräsident Schimon Peres sagte, Israel brauche Mitchells Besuch nicht zu fürchten. Die Regierung wolle denUS-Gesandten willkommen heißen. Der frühere demokratische Senator Mitchell hatte im Auftrag des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton im Nordirland-Konflikt vermittelt und nach der zweiten Intifada 2001 mit drei Ko-Autoren einen Bericht zur Analyse der Gewalt im Nahen Osten angefertigt. Die Kommission, deren Bericht Israel als ungerecht empfunden hatte, verlangte einen Baustopp in den jüdischen Siedlungen im Westjordanland und ein entschlossenes Vorgehen der Palästinenser gegen Terrorismus. Der Report forderte auch ein Ende des "natürlichen Wachstums" für die Siedlungen, woran sich Israel bis heute nicht gehalten hat.

Mit Überraschung nahm Israel am Dienstag Äußerungen der neuen amerikanische UN-Botschafterin Susan Rice auf, die direkte Gespräche der USA mit Iran über dessen umstrittenes Atomprogramm angekündigt hat. George W. Bush hatte dies abgelehnt. Rice hatte in New York gesagt: "Wir wollen uns in einer lebhaften Diplomatie engagieren, die eine direkte Diplomatie mit Iran einschließt." Im israelischen Rundfunk hieß es am Dienstag, die Tatsache, dass israelische Regierungsmitglieder bislang Rices Aussagen nicht kommentiert hätten, zeuge "von großem Missfallen".

Die sechs deutschen Grenzexperten für die Unterbindung des Waffenschmuggels in den Gaza-Streifen sind inzwischen in Ägypten eingetroffen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte: "Wir arbeiten mit Hochdruck daran, um die seit nunmehr einer Woche andauernde Waffenruhe zu stabilisieren." Bei den Experten handelt es sich um Spezialisten für die Ortung von Bodenerschütterungen, um "Taktiker für modernes Grenzmanagement" und einen Diplomaten des Auswärtigen Amts. (Seiten 4 und 7)

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Beschluss des Bundessozialgerichts:

"Hartz IV für Kinder ist verfassungswidrig"

Richter: Die Höhe wurde willkürlich festgelegt / Sozialverbände sprechen von Klatsche für die Politik

Von Thomas Öchsner

Berlin - Die Hartz-IV-Sätze für Kinder bis 14 Jahre sind nach Ansicht des Bundessozialgerichts verfassungswidrig. Es legte das Gesetz deshalb insoweit dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor. Die pauschale Kürzung auf 60 Prozent der Leistung für einen Erwachsenen verstoße gegen das Grundgesetz, meinten die Richter. Sozialverbände sprachen von einer "Klatsche für die Politik".

Derzeit bekommen Erwachsene, die Arbeitslosengeld II (Hartz IV) beziehen, 351 Euro im Monat. Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahrs erhalten davon lediglich 60 Prozent, also 211 Euro. Dies verstoße mehrfach gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes, urteilten am Dienstag das höchste deutsche Sozialgericht. Nach Ansicht der Richter hätte der Gesetzgeber die Leistungen nicht festlegen dürfen, ohne den Bedarf für die Kinder im Detail zu ermitteln. Weiter rügte der Senat, dass der Hartz-IV-Satz für alle Kinder bis 14 Jahre einheitlich bestimmt wurde, ohne zum Beispiel einen Unterschied zwischen einem Säugling und einem Jugendlichen zu machen. Außerdem beanstandet das Gericht, dass Kinder von Arbeitslosengeld-II-Empfängern keinen zusätzlichen Bedarf etwa für Babynahrung geltend machen können. Bei Kindern von solchen Sozialhilfe-Beziehern, die nicht mehr arbeiten können, ist das anders. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit erhielten bis September 1,8 Millionen Kinder bis 14 Jahre Hartz-IV-Leistungen nach der beanstandeten Berechnungsweise. Über die Verfassungsmäßigkeit von Hartz-IV muss nun das Verfassungsgericht in Karlsruhe entscheiden. Nur dieses Gericht kann ein Gesetz als verfassungswidrig verwerfen.

Der Entscheidung zugrunde lagen Fälle aus den Anfängen von Hartz IV. Damals betrug der Satz für Kinder 207 Euro. Das Bundessozialgericht (BSG) befasste sich aber nicht mit der Höhe. Die Annahme, dass die Regelung verfassungswidrig sei, "lässt nicht den Schluss zu, dass der Betrag von 207 Euro in jedem Fall als nicht ausreichend anzusehen ist, um den Lebensunterhalt von Kindern unter 14 Jahren zu sichern", heißt es in dem Beschluss. Die Kläger sahen dies anders. Ihre Anwälte halten die 60 Prozent für nicht ausreichend, um das Existenzminimum zu sichern. "Für Essen sind 1,02 Euro am Tag vorgesehen. Ein Gläschen Babynahrung kostet schon 1,39 Euro. Für Windeln gibt es acht Euro, das reicht eine Woche, nicht für einen Monat", sagte einer der Anwälte. Geklagt hatten eine Familie aus Dortmund mit zwei Kindern und eine aus Lindau mit drei Kindern.

Trotz der Kasseler Entscheidung sieht die Bundesregierung keinen akuten Handlungsbedarf. Ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums wies darauf hin, dass mit dem Konjunkturpaket II die Hartz-IV-Sätze genau für diese Altersgruppe angehoben werden. Man sei deshalb "ganz guter Dinge", die wichtigsten Kritikpunkte des Gerichts bereits abgearbeitet zu haben. Eine grundsätzliche Reform der Regelsätze sei nicht geplant. In dem Paket ist vorgesehen, den Regelsatz für Kinder zwischen sechs und 13 Jahren von 60 auf 70 Prozent zu erhöhen. Diese Altersgruppe würde damit statt 211 Euro vom 1. Juli 2009 an 246 Euro Sozialgeld erhalten. Die Maßnahme ist auf drei Jahre befristet.

Die Grünen, Linken und mehrere Sozialverbände lobten die Entscheidung des BSG. Caritas-Präsident Peter Neher sagte, Kinder hätten einen ganz anderen Bedarf als Erwachsene für Bildung, Spielzeug und Kleidung. Der Paritätische Wohlfahrtsverband sprach von einer "schallenden Ohrfeige für die Politik", der Kinderschutzbund von einer "Klatsche für die Politik". (Seiten 2 und 4)

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Geschlossenheit bei Guantanamo

Minister wollen Streit über Häftlinge entschärfen

Berlin - Der Kompetenzstreit von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) um die Aufnahme von Häftlingen aus dem US-Gefangenenlager Guantanamo ist offenbar entschärft. Bei einem Treffen am Rande der Kabinettssitzung am Dienstag vereinbarten beide, sich in der Frage künftig eng abzustimmen. Grundsätzliche Einigung erzielten die Minister aber nicht. Sobald die Bundesregierung konkrete Anfragen aus den USA erreichten, sollten gemeinsam "verantwortungsvolle Entscheidungen getroffen werden", hieß es aus Regierungskreisen. Auch Fragen der "transatlantischen Zusammenarbeit sollten berücksichtigt werden", teilte das Auswärtige Amt mit. Im Fall einer Anfrage müsse klar sein, warum die Aufnahme nicht in den USA erfolgen könne, hieß es aber aus dem Innenministerium.

Steinmeier hatte die Aufnahme unschuldiger Häftlinge aus dem Lager in Aussicht gestellt, um die von US-Präsident Barack Obama verfügte Schließung des Lagers zu unterstützen. Auch wenn sich Europa nicht um die Aufnahme von Gefangenen reiße, so sei es doch eine Frage der Glaubwürdigkeit, "ob wir die Auflösung des Lagers in den USA unterstützen oder nicht", hatte Steinmeier am Rande eines EU-Außenministertreffens zu Wochenbeginn gesagt. Er strebe eine gesamteuropäische Lösung an.

Schäuble hatte Steinmeier vorgehalten, die Zuständigkeit der Innenminister von Bund und Ländern in der Frage zu missachten. Im Fernsehsender Phoenix wiederholte Schäuble seine grundsätzliche Kritik an der Diskussion. "Es ist schon eine amerikanische Entscheidung gewesen und zwar eine falsche. Die Amerikaner haben jetzt entschieden, sie wollen es beenden - und dann wollen wir mal sehen, was sie daraus machen", sagte er. Er verstehe, dass Gefangene unter Umständen nicht in ihre Heimatländer zurückgeführt werden könnten. "Aber dann haben die Amerikaner die Verantwortung, die haben Guantanamo eingerichtet", betonte Schäuble. "Wir tun ja im Moment so, als tragen wir die Verantwortung für Guantanamo, und das ärgert mich", kritisierte der Innenminister. Er räumte aber ein: "Wenn wir eine deutsche Verantwortung haben, dann müssen wir das genau anschauen." Bisher habe ihm aber niemand gesagt, "warum jemand nicht in Amerika bleiben kann, weil er dafür zu gefährlich ist und deswegen nach Deutschland kommen muss."

"Als nicht vermittelbar", bezeichnete der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, Werner Langen, eine mögliche Aufnahme von Guantanamo-Häftlingen. Von ihnen könne ein Risiko ausgehen. Sie dürften nicht "grundsätzlich als unschuldige Opfer verharmlost werden". Daniel Brössler

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Bahn will Warnstreiks noch abwenden

Personalvorstand Hansen: Lösung am Verhandlungstisch suchen / Ausstand soll am Donnerstag beginnen

Von Detlef Esslinger

München - Die Deutsche Bahn hält die Warnstreiks der Gewerkschaften Transnet und GDBA am Donnerstag für "unangemessen". Dies teilte Bahn-Personalvorstand Norbert Hansen am Dienstag den Verhandlungsführern der beiden Gewerkschaften, Alexander Kirchner und Heinz Fuhrmann, in einem Brief mit. Er biete weiterhin an, die Lösung am Verhandlungstisch zu finden. "So können wir gemeinsam schnellere und größere Erfolge erzielen als in einer Konfliktsituation, die unnötig zu einer Verhärtung der Verhandlungsposition führt", schrieb Hansen. Die Tarifverhandlungen werden am heutigen Mittwoch in Frankfurt am Main fortgesetzt.

Welchen Umfang die für Donnerstag geplanten Warnstreiks haben, wollen Transnet und GDBA erst am Mittwochnachmittag bekanntgeben. Damit wollen sie es der Bahn erschweren, sich auf die Streiks einzustellen. Formal protestieren beide Gewerkschaften dagegen, dass - nach ihren Angaben - die Verhandlungen über bessere Arbeitszeiten nicht vorankommen. Sie verhandeln zwar auch über Lohnerhöhungen; bei dem Thema befinden sie sich jedoch noch bis zum 31. Januar in der Friedenspflicht. Über Arbeitszeit und Löhne verhandelt die Bahn nicht nur mit diesen beiden Gewerkschaften, sondern auch noch separat mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Die GDL will jedoch in dieser Woche nicht zu Warnstreiks aufrufen.

In seinem Brief an Kirchner, den Vorsitzenden von Transnet, und Fuhrmann, den Vize der GDBA, sprach Bahn-Vorstand Hansen von "intensiven Beratungen" in der vergangenen Woche. Diese seien "Ausdruck unseres Einigungswillens". Es seien auch deutliche Fortschritte erzielt worden, und ihm sei klar, dass es bei "einigen" Arbeitszeit-Themen am heutigen Mittwoch zu Lösungen kommen müsse. Dies sehe er aber als realistisch an. Einen ähnlichen Brief schrieb Hansen auch an GDL-Chef Claus Weselsky, der die bisherigen Gespräche als "ergebnislos" bezeichnet hatte. Diese Einschätzung habe ihn "sehr erstaunt", schrieb Hansen.

Kirchner reagierte auf den Brief mit der Forderung an die Bahn, ihr Angebot "entscheidend" zu verbessern. Der Süddeutschen Zeitung sagte er, nur in diesem Fall seien Warnstreiks noch abzuwenden. Die Bahn sei den Gewerkschaften "in einigen Punkten entgegengekommen, die für uns nicht die höchste Priorität haben - aber in wesentlichen Punkten ist sie uns gerade nicht entgegengekommen".

Bei den Verhandlungen über die Arbeitszeiten geht es vor allem um bessere Dienstpläne. Viele Bahn-Mitarbeiter beklagen, dass sie manchmal erst nach Schichtende erführen, wann ihre nächste Schicht beginne, außerdem wollen sie mindestens zwölf freie Wochenenden im Jahr. Darüber hinaus fordern die Gewerkschaften Lohn-Erhöhungen von zehn Prozent.

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Eine Frage des Tiefgangs

Hamburg beklagt, dass Niedersachsen das Ausbaggern der Elbfahrrinne ausbremst

Von Jens Schneider

Hamburg - Wenn Axel Gedaschko seine Sorgen beschreibt, klingt das nach einem Spagat zwischen der großen weiten und der kleinen norddeutschen Welt, die einfach nicht zusammenpassen wollen. Immer häufiger, sagt Hamburgs Wirtschaftssenator, bekomme die Stadt Anfragen etwa aus Fernost. Große asiatische Reedereien wollten wissen, wann es endlich so weit sei mit der Vertiefung der Fahrrinne der Elbe. Ohne den Ausbau könnten ihre großen Containerschiffe nicht voll beladen von der Mündung nach Hamburg fahren. "Erklären Sie mal einer chinesischen Staatsreederei die Lage in Niedersachsen", sagt der Christdemokrat und klingt, als ob er es lieber gar nicht versuchen möchte. Schon weil ihm selbst nicht einleuchtet, warum alles länger dauern soll.

Die Hamburger sind, milde gesagt, verstimmt über das Nachbarland, aber auch über das Bundesverkehrsministerium in Berlin. Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und sein Wirtschaftssenator argwöhnen, dass das Projekt Elbvertiefung von Berlin nicht beherzt genug vorangetrieben und von Niedersachsen sogar ausgebremst wird. Es gibt handfesten Streit. Vergeblich bat Beust die Parteifreunde in Niedersachsen, sie sollten sich "mal einen Ruck geben". In Hamburg fragt man, ob Niedersachsens CDU-Chef David McAllister, ein Vertrauter von Regierungschef Christian Wulff, aus taktischen Gründen blockiert.

Die Elbvertiefung verzögert sich seit Jahren. Eigentlich sollten 2007 die ersten Bauarbeiten beginnen. Zuletzt hoffte Hamburg auf einen Start Ende dieses Jahres. "Langsam kommen uns aber Zweifel angesichts der Geschwindigkeit", klagt Gedaschko über fehlendes Engagement in Berlin und Hannover. "Wenn es so weiter geht, fangen wir frühestens Mitte 2010 an."

Bei der Vertiefung soll die Fahrrinne zwischen Hamburg und der Elbmündung um 1,50 Meter ausgebaggert werden, damit auch Schiffe mit einem Tiefgang von 14,50 Meter passieren können. Gegen das Projekt gibt es massiven Widerstand von Umweltverbänden und Bürgern, die an der Elbe wohnen. Rund 7200 Einwendungen zum Planfeststellungsverfahren muss das Projektbüro abarbeiten. Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) steht zwar hinter dem Projekt. Doch in Hamburg ist der Eindruck entstanden, dass nicht mit dem nötigen Eifer gearbeitet wird. Der Bürgermeister hat Tiefensee sogar Personal angeboten, damit die Einwendungen abgearbeitet werden können. Aber das ist nicht alles. Gedaschko vermisst eine intensive Kommunikation auf der Chefebene zwischen Berlin und Hannover.

Das Misstrauen der Hamburger gegen die Niedersachsen ist groß. So wird der Verdacht gehegt, dass die guten Nachbarn aus Eigeninteresse bremsen - mit Blick auf den im Bau befindlichen Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven, den große Containerschiffe bald ansteuern könnten. Auch hat man bemerkt, dass CDU-Chef McAllister seinen Wahlkreis in einer Region hat, in der der Widerstand am größten ist.

Die schwarz-gelbe Regierung in Hannover kommentiert all das dagegen unaufgeregt. CDU-Chef McAllister verweist wie Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) auf das laufende Planfeststellungsverfahren. Erst danach könne Niedersachsen eine Stellungnahme abgeben. Es gehe schließlich um die Frage, so Sander, "ob die Sicherheit der Menschen hinter dem Deich gewährleistet ist". Vorher werde es kein Zeichen dafür oder dagegen geben. Überhaupt müssten erst einmal die Schäden behoben werden, die nach der letzten Elbvertiefung im Jahr 1999 an den Deichen entstanden seien. Nicht vor Ende dieses Jahres sei mit einem Entwurf für den Planfeststellnungsbeschluss zu rechnen, sagt ein Sprecher der Planungsgruppe. Danach hätten erst mal die Länder Zeit zu prüfen.

Damit große Containerschiffe Hamburg erreichen, soll die Fahrrinne ausgebaggert werden. Es wäre bereits die neunte Elbvertiefung. Foto: dpa

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"Wir werden die Erinnerung wachhalten"

Bundestag gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus / Zentralrat der Juden boykottiert die Veranstaltung

Von Nico Fried

Berlin - Bundespräsident Horst Köhler hat für weitere Anstrengungen plädiert, um das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus aufrechtzuerhalten. "Ich sehe hier eine gemeinsame Aufgabe für alle in Deutschland, denen die Zukunft der Erinnerung wichtig ist", sagte Köhler am Dienstag in einer Feierstunde des Bundestages zum Holocaust-Gedenktag. Köhler versprach: "Wir Deutsche werden die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus und das Gedenken an die Opfer wachhalten. Wir sehen einen Auftrag darin."

Die Veranstaltung war überschattet vom demonstrativen Fernbleiben des Zentralrats der Juden in Deutschland. Dessen Generalsekretär Stephan Kramer sagte zur Begründung, jene Vertreter des Zentralrates, die den Holocaust überlebt hätten, seien in der Vergangenheit noch nie im Rahmen der Gedenkveranstaltung begrüßt worden. Dies habe die früheren Präsidenten Ignatz Bubis und Paul Spiegel ebenso betroffen wie die amtierende Präsidentin Charlotte Knobloch. "Ich hätte Verständnis, wenn wir über Vertreter der zweiten oder dritten Generation reden würden. Es ist aber ein Unding, dass Überlebende wie Zaungäste behandelt werden", sagte Kramer.

Der damalige Bundespräsident Roman Herzog hatte 1996 den Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 zum "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus" erklärt. Seither begeht der Bundestag jedes Jahr eine Gedenkstunde in Anwesenheit der führenden Vertretern aller Verfassungsorgane. Traditionell wird vor allem an persönliche Schicksale von Opfern erinnert.

Nach Angaben Kramers war der Zentralrat schon vor Jahren mit der Bitte an den Bundestag herangetreten, Überlebende des NS-Regimes zu begrüßen. Dieser Wunsch sei mit der Antwort zurückgewiesen worden, dass das Protokoll einen solchen Programmpunkt nicht vorsehe. "Da frage ich mich: Wäre das nicht ein vernünftiges, ein gutes, ein sinnvolles Signal, wenn eben hier vom Protokoll Abstand genommen wird und die anwesenden Überlebenden, solange sie noch da sind, begrüßt werden?", sagte Kramer. Bundestagspräsident Norbert Lammert sagte nach Angaben eines Sprechers, er habe von der Beschwerde des Zentralrats über die Presse erfahren und finde sie "unverständlich und bedauerlich".

Köhler sprach sich in seiner Rede insbesondere dafür aus, bei Jugendlichen in und außerhalb der Schule das Interesse für die Geschichte zu wecken. "Wir wollen erreichen, dass die Seele jedes Menschen berührt wird vom Leid der Opfer, vom Mut der Helfer und von der Niedertracht der Täter. Das ist unser gemeinsamer Auftrag", sagte der Bundespräsident. Er würdigte namentlich mehrere Projekte in Deutschland, die sich mit der Erinnerung an die NS-Zeit oder an jüdisches Leben befassen. "Ich wünsche mir, dass die vielen guten Erinnerungsprojekte, die es bereits gibt, immer neue Nachahmer und Nachfolger finden", sagte Köhler. Als Geschenk bezeichnete er es, "dass heute in Deutschland wieder jüdisches Leben erblüht". Dass die entsprechenden Orte aber von der Polizei vor Extremisten geschützt werden müssten, sei "eine Schande", sagte der Bundespräsident unter dem Applaus aller Fraktionen. Köhler rief zur Solidarität mit den jüdischen Landsleuten auf. "Wer sie angreift, greift uns alle an", sagte er.

Bundestagspräsident Norbert Lammert sagte, der 27. Januar sei mehr als nur der Auftakt zu einer Reihe von Gedenkveranstaltungen im Jahr 2009. "Er verbindet die kommenden Gedenktage wie ein roter Faden, weil das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus jeden der Gedenktage begleiten wird", sagte Lammert unter anderem mit Blick auf den 60. Jahrestag der Gründung der Bundesrepublik. Lammert, der während seiner Rede kurzzeitig sichtlich berührt um Fassung rang, bezeichnete es als Aufgabe "der Nachgeborenen, dafür Sorge zu tragen, dass wir solche Zeiten nie wieder erleben".

"Stellen wir uns an die Seite unserer jüdischen Landsleute. Wer sie angreift, greift uns alle an"

Bundespräsident Horst Köhler

Der Zentralrat der Juden beklagt, seine Vertreter seien in den vergangenen Jahren nur "wie Zaungäste" behandelt worden. Dennoch besuchten auch in diesem Jahr Rabbiner die Gedenkstunde im Bundestag. Foto: dpa

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Blackout im Weißen Haus

Ein Server-Absturz katapultiert das Team von Präsident Obama ins 20. Jahrhundert

Sie stehen im Ruf, die kommunikative Avantgarde Amerikas zu sein. Und sie sitzen, seit nun fast einer Woche, im Machtzentrum der Nation. Und doch fand sich das "Team Obama", die Schar allzeit vernetzter, Blackberry-bewaffneter Vertrauter des 44. amerikanischen Präsidenten, einen knappen Tag lang sehr fern von dieser Welt. Denn tief drinnen im Weißen Haus war passiert, was schlicht nicht passieren darf: Gleich vier Email-Server auf einmal stürzten ab und warfen die neue Regierung zurück ins 20. Jahrhundert.

Die Mail-Sperre, so versicherte das Weiße Haus am Dienstag, habe "zu keiner Zeit irgendeine Gefahr" bedeutet. Die meisten Mitarbeiter griffen schlicht altmodisch zum Telefon und erledigten ihre Absprachen mündlich. Zugleich stieg die Zahl der Kollegen, die im Westflügel mit dem Handy in der Hand beim Tippen knapper SMS-Nachrichten beobachtet wurden. Besonders arg betroffen war die Pressestelle des Weißen Hauses, die die goldenen Worte ihres Präsidenten zu Umwelt- und Klimaschutz nicht wie gewohnt elektronisch und zellulosefrei unters Volk bringen konnte. Stattdessen verteilten Mitarbeiter wie anno dazumal die Obama-Rede per Abschrift auf Papier. Schätzungen, wie viele Bäume wegen der Panne sterben mussten, mochte das Weiße Haus nicht riskieren.

Anonym gestand ein Obama-Helfer der Washington Post, der Techno-Absturz habe die Sozialkontakte im Hause durchaus positiv befördert. Viele Mitarbeiter kannten sich bisher nur per Email und sahen sich am Montag gezwungen, ihren Kollegen erstmals in die Augen zu schauen. Einige Begegnungen verzögerten sich jedoch, da manche Novizen sich auf den Gängen des alten Gebäudes schlicht verirrten.

Nicht bekannt ist, wie Präsident Barack Obama selbst den Email-Entzug verkraftete. Obama hatte nach langem Hader mit dem Secret Service durchgesetzt, dass er im Amt einen (mit allerlei Sicherheitsfiltern aufgerüsteten) Blackberry behalten durfte. Sein Pressesprecher Robert Gibbs versicherte nur, er habe dank des Blackouts "den stressfreiesten Tag seit fünf Jahren" genossen. cwe

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"Dialog mit Juden 100 Jahre zurückgeworfen"

Empörung über Wiederaufnahme des Holocaust-Leugners Williamson in die Kirche

Von Julius Müller-Meiningen

Rom - Jüdische Organisationen haben am Dienstag eine klare Distanzierung des Vatikans vom traditionalistischen Bischof und Holocaust-Leugner Richard Williamson gefordert. Der Oberrabbiner von Triest, Ytzhak Margalit, sagte am Rande einer Feier anlässlich des Holocaust-Gedenktages in Triest, Papst Benedikt habe den Dialog mit dem Juden "um 100 Jahre zurück geworfen". Die Vorsitzende des Deutschen Zentralrats, Charlotte Knobloch, sagte, sie sehe den Dialog mit der katholischen Kirche in Gefahr: "Für mich als Überlebende ist momentan das Gespräch nicht fortzusetzen", sagte sie dem Fernsehsender N24. Der Vatikan müsse sich überlegen, inwieweit er die mühsam wieder errichteten Verbindungen zwischen der katholischen Kirche und dem Judentum fortführen möchte. Knobloch sagte außerdem, sie hoffe, dass der Vatikan die Rehabilitierung Williamsons rückgängig mache.

Der britische Bischof Williamson hatte in einem vergangene Woche ausgestrahlten Fernseh-Interview die Opfer des Holocaust auf 200 000 bis 300 000 beziffert und die Existenz von Gaskammern geleugnet. Am Samstag veröffentliche der Vatikan ein Dekret, nach dem die Exkommunikation von Williamson und drei weiteren Bischöfen der traditionalistischen Pius-Bruderschaft aufgehoben sei. Wie am Dienstag bekannt wurde, will wegen des Dekrets auch die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland ihren Dialog mit dem Vatikan abbrechen. "Die Brücken, die in der Vergangenheit gebaut worden waren, sind jetzt zum Einstürzen gebracht worden", sagte der Düsseldorfer Rabbiner Julian-Chaim Soussan bei einer Tagung in Berlin.

Am Montag hatte sich die Deutsche Bischofskonferenz von Williamson distanziert. Auch mehrere Vertreter des Vatikan nannten die Äußerungen Williamsons "nicht akzeptabel". Jüdische Organisationen fordern deutlichere Gesten, auch von Papst Benedikt XVI. selber.

Der Römische Oberrabbiner Riccardo Di Segni nannte die Aufhebung der Exkommunikation für Williamson einen Grund für Beunruhigung in der gesamten jüdischen Welt. Di Segni sagte, er habe Benedikt XVI. zu einem Besuch in der römischen Synagoge eingeladen. Eine solche Visite wäre ein klares und unmissverständliches Zeichen.

In einem Interview mit der Zeitung La Repubblica bezeichnete der Schweizer Theologe Hans Küng das Gnadendekret für die traditionalistischen Bischöfe als Anzeichen für eine "zunehmende Verhärtung des Vatikans", der sich auf einem stetigen Weg zurück befinde. Am Dienstag wurde im Vatikan erstmals Kritik an dem Vorgehen der Kirche laut. Insider sprachen von einer "Kommunikationspanne" und von einem "Fehler". Die italienische Bischofskonferenz stellte sich hinter den Papst. Der Vorsitzende, Kardinal Angelo Bagnasco, begrüßte die Rücknahme der Exkommunikation als "Akt der Barmherzigkeit". Die Äußerungen Williamsons bezeichnete Bagnasco als "nicht fundiert und unmotiviert".

Unterdessen versucht der Vatikan mit Hilfe seiner Presse-Organe, die Debatte über Williamson zu begrenzen. Die Vatikan-Zeitung Osservatore Romano brachte in ihrer Dienstagsausgabe zwei Seiten zum Holocaust-Gedenktag. In einem Kommentar hieß es, die Medien erweckten den falschen Eindruck, dass der Papst das Gespräch mit dem Judentum oder die Ökumene in Frage stelle. Die Aufhebung der Exkommunikation sei allerdings "nach einem falschen Drehbuch abgelaufen".

Die Debatte um die Rehabilitierung der vier Bischöfe wirft auch einen Schatten auf eine für Mai geplante Israel-Reise des Papstes. Der deutsche Kardinal Walter Kasper sagte, die Reise sei nicht von der Diskussion über Williamson abhängig. Nur die Entwicklung in Gaza könnte die Reisepläne beeinträchtigen.

Papst Benedikt XVI. hat mit seinem Gnadendekret für vier Bischöfe einen Proteststurm ausgelöst. Foto: AP

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Neue Gewalt im Gaza-Streifen

Israelischer Soldat stirbt bei Bombenanschlag

Tel Aviv - Trotz der Waffenruhe zwischen Israel und der radikal-islamischen Hamas ist es am Dienstag zu einem tödlichen Anschlag auf eine israelische Militärpatrouille gekommen. Neun Tage nach dem Ende der Militär-Offensive wurden durch eine ferngezündete Bombe ein Soldat getötet und drei verletzt. Die Soldaten waren entlang der Grenze zum Gaza-Streifen nahe Kissufim unterwegs. Der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak sagte: "Wir werden darauf antworten." Außenministerin Tzipi Livni rief zu einem Vergeltungsschlag auf. Am Mittag durchbrach ein israelisches Kampfflugzeug über der Stadt Gaza die Schallmauer, was als Warnung gedeutet wurde. Israelische Medien berichteten, Hamas-Mitglieder hätten Regierungsgebäude aus Angst vor israelischen Vergeltungsschlägen geräumt. Außerdem drangen israelische Soldaten auf der Suche nach den Angreifern in den Gaza-Streifen vor. Nach israelischen Rundfunkangaben lieferten sich Soldaten und bewaffnete Palästinenser heftige Gefechte. Dabei wurden zwei Palästinenser getötet.

Als Reaktion auf den Angriff wurden die Grenzübergänge in den Gaza-Streifen für Transporte von Hilfsorganisationen gesperrt. Der Hamas-Funktionär Muschir al Masri sagte, seine Organisation habe nicht einen umfassenden Waffenstillstand, sondern nur eine Kampfpause zugesagt. "Die Zionisten sind verantwortlich für jede Aggression." Israel und die Hamas hatten am 18. Januar unabhängig voneinander eine Waffenruhe ausgerufen. Damit endete eine dreiwöchige israelische Militäroffensive mit dem Ziel, fortdauernde Raketenangriffe aus dem Gaza-Streifen sowie den Waffenschmuggel an der Grenze zu Ägypten zu stoppen. In dem Krieg wurden 1300 Palästinenser und 13 Israelis getötet. Der türkische Außenminister Ali Babacan hat die Hamas aufgefordert sich zu entscheiden, ob sie "eine bewaffnete Organisation oder eine politische Bewegung sein wollen." mitz

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"Wir jedenfalls haben uns nichts vorzuwerfen"

Gazprom-Vize Alexander Medwedjew über den Gas-Streit zwischen Moskau und Kiew, neue Leitungen und langfristig steigende Energiepreise

Alexander Medwedjew ist Vizechef des russischen Gazprom-Konzerns. Er verantwortet die Exporte, etwa durch die Ukraine.

SZ: Herr Medwedjew, seit voriger Wochen ist der Gas-Streit zwischen Russland und der Ukraine beigelegt. Wer hat gewonnen?

Medwedjew: Beide haben gewonnen. Wenn alle unsere neuen Abkommen respektieren, dann ist es für alle ein Gewinn, vor allem für unsere Kunden.

SZ: Man könnte es auch anders sehen: Mindestens die Ukraine und Gazprom haben verloren, nämlich an Ansehen.

Medwedjew: Unser Ruf ist uns sehr wichtig. Wir brauchen aber keine schönen Worte über Gazprom, sondern ein angemessenes, funktionierendes System. Das haben wir erreicht. Jeder, der objektiv auf den Konflikt schaut, kann sich selbst ein Urteil bilden, wer hier im Unrecht war.

SZ: Nach Ihrer Auffassung die Ukraine.

Medwedjew: Wir jedenfalls haben uns nichts vorzuwerfen. Das Verhalten der ukrainischen Seite ist immer irrationaler geworden. Es gab einen politischen Kampf zwischen dem ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko und der Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. Das war der Hauptgrund dafür, dass die Krise letztlich eskaliert ist. Da wurden Verträge ausgehandelt, aber nicht unterschrieben.

SZ: Immerhin haben Sie jetzt einen Vertrag, und das Gas fließt wieder.

Medwedjew: Ja, aber es gibt immer noch Attacken gegen das Übereinkommen. Erst am Montag hat eine Berater von Juschtschenko eine Untersuchung angekündigt. Die soll herausbringen, ob das Abkommen rechtsgültig ist, weil es Anzeichen gebe, dass es unter Druck zustande gekommen sei. De facto stand jeder von uns unter Druck, Zeitdruck zum Beispiel. Ich verstehe das nicht.

SZ: Also ein neuer Konflikt?

Medwedjew: Das Problem ist, dass sich die Ukrainer gegenseitig nicht trauen. Zehn Leute sind nötig, um ein Abkommen zu paraphieren. Ich hoffe, dass es keine Versuche mehr gibt, etwas zu zerstören, das unter solchen Schwierigkeiten zustande gekommen ist. Jeder sollte wissen, dass uns zwei Milliarden Dollar Einnahmen entgangen sind. Wir rechnen gerade nach, welche finanziellen Folgen der Streit im Einzelnen für uns hatte.

SZ: Und wer kommt dafür auf?

Medwedjew: Wir werden alle rechtlichen Möglichkeiten ausnutzen, das zu klären.

SZ: Was lernen Sie denn nun aus dem Konflikt?

Medwedjew: Erstens, dass es im Transport immer Risiken gibt. Das müssen keine politischen Gefahren wie diese sein, es geht auch um Naturkatastrophen, Erdbeben, Überflutungen. Wir leben in einer sehr gefährlichen Welt. Pipeline-Systeme sind Hightech, sie zu betreiben ist ein schwieriger Job. Um diese Risiken zu vermindern, brauchen wir ein stärker diversifiziertes Transportsystem mit mehr unterschiedlichen Leitungen, aber auch mit mehr unterirdischen Speichern. Wir arbeiten daran, die Speicher auszubauen. Und parallel müssen wir mehr in die Infrastruktur investieren, etwa in Leitungen wie die Ostsee-Pipeline Nord Stream oder South Stream. Je schneller wir die Projekte verwirklichen, desto verlässlicher ist der Gas-Transit.

SZ: Das sieht die EU offenbar genauso. Sie will die Nabucco-Pipeline ausbauen, die mit Ihren Röhren konkurriert.

Medwedjew: Wir denken nicht, dass Nabucco eine echte Konkurrenz ist. Europa braucht mehr Gas, keine Frage. Man muss sich aber auch die Bedingungen für eine erfolgreiche Pipeline anschauen: Man braucht dafür Gasreserven, die für die ganze Lebensdauer des Projekts ausreichen, einen Markt, und schließlich das technische Know-how. Wir haben für Southstream starke Partner in den Regierungen, und wir wollen 2013 oder 2014 damit fertig werden. Das ist ein realistischer Zeitplan. Aber bei Nabucco muss man sich fragen: Wo ist das Gas? Wer soll das managen? Die Türkei gibt vor, die führende Rolle zu spielen. Ein Land, das kein Erdgas produziert. Aber wir sind da nicht eifersüchtig.

SZ: Die Westeuropäer haben eben einfach Angst vor zu großer Abhängigkeit von Russland.

Medwedjew: Aber diese Abhängigkeit ist gegenseitig: Wir hängen doch auch von den Exporteinnahmen ab.

SZ: Die Öl- und Gaspreise fallen. Brechen Gazprom die Einnahmen weg?

Medwedjew: Nein. Wir sind bei unseren Investitionen nicht von Ölpreisen von 150 oder 100 Dollar ausgegangen, da sind wir konservativ. Aber die Zeit günstiger Energievorkommen ist vorüber. Die Entfernungen zu den Vorkommen wachsen, es wird immer schwieriger, sie zu fördern. Und die Nachfrage wird wieder wachsen, sobald die Wirtschaft sich wieder erholt. Ein Ölpreis von 100 Dollar wird sicher bald wieder kommen.

Interview: Michael Bauchmüller

"Im Transport gibt es immer Risiken": der stellvertretende Gazprom-Chef Alexander Medwedjew. Foto: dpa

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100 Milliarden für den Klimaschutz

EU fordert hohe Zahlungen an Entwicklungsländer

Brüssel - Die Europäische Kommission stellt an diesem Mittwoch ihre Ziele für die Verhandlungen um das neue internationale Klimaschutzabkommen vor, das im Dezember in Kopenhagen geschlossen werden soll und das Kyoto-Protokoll ablöst. Umweltkommissar Stavros Dimas fordert in seinem Positionspapier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, eine Vorreiterrolle der reichen Länder im Kampf gegen den Klimawandel ein. Um die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, sollte die Gruppe der Industriestaaten ihre Treibhausgasemissionen bis 2020 um bis zu 40 Prozent reduzieren, bis 2050 sogar um bis zu 95 Prozent. Dazu will Dimas den in der EU bereits eingeführten Handel mit Emissionsrechten weltweit ausdehnen. Bereits 2015 sollen diese Regeln in allen OECD-Staaten gelten. Neben Industrie- und Gewerbebetrieben sollen auch der Luft- und der Schiffsverkehr künftig für den Ausstoß von Treibhausgasen bezahlen. Auch die Entwicklungsländer sollen ihre Klimagasemissionen begrenzen. Bis 2020 müsse deren Anstieg um 15 bis 30 Prozent begrenzt werden, schlägt Dimas vor.

In Brüssel heftig umstritten sind allerdings die Transferzahlungen, mit denen die reichen Länder den ärmeren Staaten beim Klimaschutz helfen wollen. Dimas geht davon aus, dass weltweit immer mehr Geld in klimafreundliche Technologien, Aufforstung oder nachhaltige Bodennutzung investiert werden muss. Bis 2020 werde diese Summe auf mindestens 175 Milliarden Euro pro Jahr steigen. Mehr als die Hälfte des Geldes müsse in ärmeren Ländern investiert werden. Dimas' Papier zufolge werden sich diese Staaten in Kopenhagen nur dann zum Klimaschutz verpflichten, wenn ihnen die reichen Länder eine "signifikant höhere finanzielle Unterstützung als bisher" zusichern. Dies gelte sowohl für Investitionen in neue Klimaschutzprojekte als auch für Anpassungsmaßnahmen zum Schutz gegen die Folgen des Klimawandels. Wie groß dieses Geldversprechen sein könnte, bleibt in Dimas' Positionspapier allerdings noch offen.

Europäische Diplomaten gehen davon aus, dass die EU bis 2020 jährlich bis zu 15 Milliarden Euro überweisen könnte. Auch Wirtschaftskommissar Joaquin Almunia hatte bei einem Mittagessen der europäischen Finanzminister in der vergangenen Woche in Brüssel erstmals über mögliche Transferleistungen gesprochen. Laut Teilnehmern könnten sich die Zahlungen der EU bis 2020 auf 100 Milliarden Euro summieren. Die Kommission wollte dazu keine Stellung nehmen. Umstritten sind zudem die Quellen, aus denen die Milliarden fließen sollen. Ein großer Teil des Geldes könnte laut Dimas aus der Versteigerung der Emissionsrechte kommen. Möglich sei auch, dass alle reichen Länder pauschal eine Summe in einen internationalen Fonds zahlen. Die genaue Höhe solle sich an der Emissionsmenge und der Wirtschaftskraft des jeweiligen Landes bemessen.

Anfang März sollen sich die europäischen Finanzminister auf mögliche Milliardentransfers einigen. Wenige Tage später müssen die europäischen Staats- und Regierungschefs eine grundsätzliche Verhandlungsstrategie verabschieden. Bis zum EU-Gipfel Mitte Oktober bleibt ihnen dann noch Zeit, Verhandlungsdetails festzulegen.Cerstin Gammelin

Die Treibhausgas-Emissionen sollen bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent sinken.

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Brückenschlag zu neuen Reserven

Viele Länder dringen stärker als je zuvor auf die Nabucco-Pipeline - sie soll Europa mit Gas vom Kaspischen Meer oder gar aus Iran versorgen

Von Klaus Brill

Prag - Unter dem Druck der jüngsten Gas-Krise drängen mehrere Länder Mitteleuropas die EU, das Projekt einer neuen Pipeline in den Kaukasus möglichst rasch in Angriff zu nehmen und damit eine Alternative zu den Lieferungen aus Russland zu schaffen. Auf einer von ihm organisierten Konferenz in Budapest erklärte der ungarische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany am Dienstag, für die Union sei eine solche Diversifikation das wichtigste strategische Ziel. Im selben Sinne äußerten sich auch der tschechische Ministerpräsident Mirek Topolanek, der derzeit die Ratspräsidentschaft der EU innehat, sowie der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso.

Bei dem Treffen in Budapest, das schon lange vor dem jüngsten Gas-Streit zwischen Russland und der Ukraine einberufen worden war, geht es um das Projekt Nabucco. Es ist nach einer Oper des Italieners Giuseppe Verdi benannt, die die Befreiung des jüdischen Volkes aus der babylonischen Gefangenschaft thematisiert. Das Vorhaben wird von einem internationalen Konsortium aus Energiekonzernen, unter ihnen die deutsche RWE, betrieben und hat den Bau einer 3300 Kilometer langen Erdgas-Leitung von der Ostgrenze der Türkei bis kurz vor Wien zum Ziel. Die Kosten werden auf acht Milliarden Euro geschätzt.

Als Lieferanten des Rohstoffes kommen Aserbeidschan, Turkmenistan und Kasachstan, aber auch Iran und Irak infrage. Zudem hat Ägypten seine Mitwirkung angekündigt, in anderen Fällen ist die Entscheidung noch offen. Nach bisherigen Plänen soll die Leitung quer durch die Türkei und Bulgarien nach Rumänien, Ungarn und Österreich führen und für weitere Interessenten wie etwa Tschechien zugänglich sein. Als Konkurrenz-Projekt dazu plant der russische Energiekonzern Gazprom zusammen mit der italienischen Gesellschaft Eni eine neue Gas-Pipeline mit Namen South Stream, die von Russland durch das Schwarze Meer nach Bulgarien und weiter nach Serbien, Ungarn und Österreich sowie nach Griechenland und Italien verlaufen soll. Sie würde die deutsch-russische Verbindung North Stream durch die Ostsee ergänzen und dient wie alle anderen Planungen dazu, die Abhängigkeit von den jüngst gesperrten Leitungen durch die Ukraine zu beenden.

Der Tscheche Topolanek erklärte in Budapest als EU-Ratspräsident: "Nabucco ist kein antirussisches Projekt. Wir wollen Nabucco nicht gegen irgendjemanden, sondern für uns." Allerdings seien die russischen Konkurrenzvorhaben, mit denen die hohe Abhängigkeit der EU von russischen Gaslieferungen aufrechterhalten werden solle, eine "direkte Bedrohung" für Nabucco , sagte Topolanek. Der Ungar Gyurcsany erklärte, der "Eiserne Vorhang der Energieversorgung zwischen Ost- und Westeuropa" müsse fallen. Er forderte die EU auf, sich finanziell mit mehreren hundert Millionen Euro an der Vorfinanzierung zu beteiligen, damit das Projekt Nabucco bald starten könne. Die Entscheidung soll noch in den nächsten zwei Monaten fallen, der Bau könnte dann 2010 beginnen und 2013 fertig sein.

An der Konferenz in Budapest nahmen auch Vertreter anderer interessierter Länder teil, unter ihnen der bulgarische Premierminister Sergej Stanischew und der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew. Alijew drängte die EU-Staaten zu einer baldigen Entscheidung und wies darauf hin, dass auch Gazprom von seinem Land Erdgas kaufen wolle. Die Sache sollte aber entpolitisiert werden, sagte er in Budapest. Aserbaidschan werde mit einer Förderung erst beginnen, wenn der Verkauf des Gases geregelt sei. Am Montagabend hatte Alijew mit dem Bulgaren Stanischew schon eine Sondervereinbarung über die Lieferung von Erdgas getroffen, das Bulgarien bisher fast nur aus Russland erhält.

Probleme könnte auch die Türkei aufwerfen, die als Transitland am Bosporus eine Schlüsselstellung einnimmt. Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan hatte jüngst zwar erklärt, seine Regierung wolle diesen Umstand "niemals als Waffe benutzen", zugleich aber mit einer Abkehr von Nabucco gedroht, falls bei den Verhandlungen über einen Beitritt der Türkei zur EU nicht auch die Energiepolitik bald behandelt werde.

Offene Fragen gibt es schließlich auch zur Finanzierung. Aus diesem Grund waren in Budapest am Dienstag auch die Chefs der Europäischen Investitionsbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung anwesend. Außerdem nahm Reinhard Mitschek, der Vorstandschef des Nabucco-Konsortiums, zugegen. Die RWE hat nach den Worten ihres Vertreters Stefan Judisch "keine Zweifel daran, dass Nabucco kommen wird". Die Planungen seien auf einem guten Weg, "es gibt auch keine Finanzierungsprobleme", sagte der Manager der RWE-Tochter Supply & Trading.

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Aktuelles Lexikon

Al-Arabija

"Die Amerikaner sind nicht eure Feinde", sagte Barack Obama im ersten Interview seiner Präsidentschaft. Nicht nur was er sagte war richtungweisend, sondern auch die Wahl des Fernsehkanals, dem er die Ehre des ersten Gesprächs zuteil werden ließ: al-Arabija, einem der beiden großen Nachrichtensender der arabischen Welt und Hauptkonkurrent von al-Dschasira. Seit dem 3. März 2003 geht al-Arabija von Dubai aus auf Sendung. Eigner ist der saudisch finanzierte Konzern Middle East Broadcasting Center. Al-Arabija scheut wie andere arabische Sender nicht vor einer drastischen Sprache zurück. Dennoch gibt sich al-Arabija weit gemäßigter als der Marktführer al-Dschasira, dem Scharfmacherei nicht nur aufgrund der regelmäßig ausgestrahlten Al-Qaida-Botschaften vorgeworfen wird. Geriet al-Arabija im Irak anfänglich noch mit der von den USA eingesetzten Übergangsregierung in Konflikt, änderte der Sender seine Politik 2004 deutlich. Als er in jenem Jahr den Posten des Generaldirektors des Senders übernahm, sagte Abdel Rahman al-Raschid, Terroristen hätten den Islam "beschmutzt und sein Image befleckt". In der arabischen Welt galt al-Arabija vielen bald als zu amerikafreundlich. Vor Obama sprach übrigens schon ein anderer Präsident der USA auf al-Arabija: George W. Bush, dessen Botschaften weniger freundlich aufgenommen wurden. kari

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Absolut beklagenswert

Die Hartz-IV-Regelungen bestehen vor den Gerichten nicht - sie werden wohl schon bald neu geschrieben werden müssen

Von Heribert Prantl

Hartz-IV-Empfänger haben zwar keine Arbeit, aber trotzdem Erfolg - wenn auch nur bei den Sozialgerichten. Fast die Hälfte ihrer Klagen sind erfolgreich: Klagen gegen Leistungskürzungen, Klagen gegen unverständliche Bewilligungsbescheide, Klagen auf mehr Geld, Klagen gegen die Behörden wegen Untätigkeit, Klagen auf schnelle Hilfe, weil die Heizung abgestellt wurde, weil die Leute im Kalten sitzen und einen Vorschuss, ein Darlehen brauchen.

Die Gerichte prüfen, sie prüfen sehr penibel, weil bei den Sozialgerichten das Amtsermittlungsprinzip gilt; sie müssen also aufklären, warum beim Arbeitslosen Huber kein Öl mehr im Tank ist; sie müssen aufklären, ob die Wohnung des Hartz-IV-Empfängers Maier wirklich zu groß ist, wie das die Behörde bei der Berechnung der Unterkunftskosten behauptet hat. Die Gerichte müssen schließlich auch prüfen, ob der Gast in der Wohnung der Frau Schmidt ihr Lebenspartner ist oder nicht, weil das wichtig ist für die Höhe ihrer staatlichen Leistungen.

Und nun wird das Bundesverfassungsgericht ganz grundsätzlich untersuchen, ob nicht die Kinder prinzipiell zu wenig Geld erhalten. Das Bundessozialgericht hat nämlich soeben die Beträge, die nach Hartz IV für die Kinder von Arbeitslosen bezahlt werden, für so niedrig gehalten, dass das mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht in Einklang zu bringen sei. Kinder von Arbeitslosen würden vom Staat verfassungswidrig kurz gehalten, meinte das Bundessozialgericht. Und das Landessozialgericht Darmstadt hat nicht nur dieses Detail, sondern die Gesamtkonstruktion der Bedarfsbemessung nach Hartz IV für verfassungswidrig erklärt. Das ganze Gesetzespaket liegt daher nun auf dem Tisch des Bundesverfassungsgerichts.

Man braucht keine prophetische Kraft um zu prognostizieren, dass das Hartz-IV-Gesetz die Prüfung in Karlsruhe nicht unbeschadet überstehen wird. Der Gesetzgeber wird das Gesetz völlig neu durchdenken, neu konstruieren und neu schreiben müssen - im Geist des sozialen Rechtsstaats, also ohne die Kleinlichkeiten, ohne die bürokratischen Schikanen und ohne die Verwaltungsexzesse, die das Gesetz heute verlangt. Ein Beispiel gefällig? Die Angemessenheit der Kosten der Wohnung eines Arbeitslosen ist nach Gesetzeslage für jede "Bedarfsgemeinschaft" immer wieder individuell zu berechnen; jede Heizkostenabrechnung hat also eine Neuberechnung zur Folge. Wo sind die Anhaltspunkte dafür, was angemessener Wohnraum, angemessene Miete und angemessene Heizkosten sind, auf dass sie der Arbeitslose vom Staat erhalten kann? Heizkosten hängen nicht allein davon ab, wie warm es jemand in seiner Wohnung haben will; sie hängen auch ab vom baulichen Zustand des Hauses und der Art der Heizung. Wenn mit dieser Heizung Warmwasser produziert wird, werden die Kosten dafür, so will es das Gesetz, herausgerechnet und nicht bezahlt, weil Strom und Warmwasser pauschal in den 311 Euro für den Lebensunterhalt des Arbeitslosen enthalten sind. Das Gesetz macht die Sozialrichter auf diese Weise zu Rechnungsbeamten.

Wie gesagt: Schon jetzt hat die Hälfte aller Klagen Erfolg; so eine Quote gibt es in keinem anderen Rechtsgebiet. Das liegt nicht an der Großzügigkeit der Richter, sondern an den einschlägigen Paragraphen und den überforderten Behörden: Das "Gesetz über die Grundsicherung für Arbeitssuchende", so der amtliche Titel des Hartz-IV-Gesetzes, ist eine gesetzgeberische Katastrophe; seit seinem Inkrafttreten 2005 wurde es fast zwei Dutzend Mal geändert. Das hat die Gesetzeslage nicht einfacher gemacht.

Die Hartz-IV-Bescheide sind kompliziert, noch komplizierter als Steuerbescheide. Der Adressat schaut hinein wie in eine arabische Gebrauchsanweisung für einen iPod. Er geht dann zum Anwalt (den bei Bedürftigen via Prozesskostenhilfe der Staat zahlen muss), der Anwalt versteht aber den Bescheid womöglich auch nicht und reicht daher Klage beim Sozialgericht ein, in der er behauptet: "Der Bescheid ist falsch berechnet. Die Leistungen sind zu niedrig." Die Wahrscheinlichkeit, dass er recht hat, ist hoch. Der Anwalt braucht gar nicht in die Details zu gehen, weil die Sozialgerichte - die in der Flut der Klagen schier ertrinken - gehalten sind, die Sache von Amts wegen aufzuklären: Die Richter vernehmen also Zeugen, sie prüfen die Causa Schritt für Schritt und sie stellen dann eben sehr häufig fest: Die Leistungen sind wirklich zu niedrig. Und so nährt Hartz IV nicht nur den Arbeitslosen, sondern auch dessen Anwalt. Die Verfahren laufen zu neunzig Prozent über Prozesskostenhilfe. Der Staat zahlt auf diese Weise für die Folgen seiner gesetzgeberischen Defizite: 500 Euro für den klagenden Anwalt sind es allemal. Dieses Geld wäre bei den Kindern der Arbeitslosen besser aufgehoben.

Jahr für Jahr steigt die Zahl der Klagen gegen Hartz IV. Die Politik beschwichtigt: Bei neuen Gesetzen komme es am Anfang immer zu mehr Verfahren bei den Gerichten; nach der gerichtlichen Klärung der Streitfragen pendle sich das dann aber bald wieder ein. Diese Prognose ist falsch, die Klagezahlen steigen weiter an. Erstens weil das Hartz-IV-Gesetz so kompliziert ist. Zweitens weil sich die Behörden um Urteile der Sozialgerichte wenig scheren. Wenn also je ein Gesetz ein gordischer Knoten war: Das Hartz-IV-Gesetz ist einer. Und seit der Antike weiß man, was zu tun ist.

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Terror gegen Kosovo-Albaner

Ehemaliger serbischer Polizeigeneral vor UN-Tribunal

Von Enver Robelli

Zagreb - Die mutmaßlichen Verbrechen von Vlastimir Djordjevic liegen ein Jahrzehnt zurück. Doch erst jetzt wird dem serbischen Polizeigeneral vor dem UN-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag der Prozess gemacht. Die Ankläger werfen ihm vor, Ende der neunziger Jahre die Terrorkampagne gegen die kosovo-albanische Bevölkerung geplant und angeordnet zu haben. Dem Konflikt in der damals serbischen Provinz fielen 12 000 Menschen zum Opfer. Ziel des kriminellen Unterfangens sei es gewesen, die serbische Herrschaft im Kosovo dauerhaft zu sichern, sagte der Anklagevertreter Chester Stamp am Dienstag vor dem UN-Gericht in Den Haag.

Djordjevic gilt als Chefplaner der Vertreibung von 800 000 Menschen aus dem Kosovo während der Nato-Intervention gegen Serbien im Frühjahr 1999. Serbische Polizisten sollen laut der Anklage Frauen vergewaltigt und mehrere Dörfer, Städte und Moscheen zerstört haben. Djordjevic habe als Befehlshaber die Polizeieinheiten effektiv kontrolliert und Gräueltaten an Zivilisten nicht verhindert. In der Anklage wird das Massaker in der Kleinstadt Suva Reka hervorgehoben, wo serbische Polizisten 47 Mitglieder einer Großfamilie erschossen hatten. Unter den Opfern waren Frauen, Kinder und ältere Menschen. Die Hinrichtung überlebten nur zwei Frauen und ein Kind, die sich tot gestellt hatten. In Belgrad läuft derzeit ein Prozess gegen ehemalige Polizisten, die am Massaker von Suva Reka beteiligt gewesen sein sollen.

Der Prozess gegen den 1948 geborenen Djordjevic ist der letzte vor dem UN-Gericht in Den Haag, der sich mit Kriegsverbrechen im Kosovo befasst. Das Verfahren gegen den ehemaligen jugoslawischen Staatschef Slobodan Milosevic konnte nicht abgeschlossen werden, weil der Angeklagte kurz vor dem Urteil in seiner Zelle starb. In einem anderen Prozess gegen den früheren serbischen Präsidenten Milan Milutinovic und mehrere ehemalige Funktionäre und Generäle des Regimes wird ein Urteil in den kommenden Monaten erwartet. Die Anklage gegen Djordjevic wurde im Oktober 2003 erhoben. Djordjevic wurde im Juni 2006 an der montenegrinischen Küste festgenommen, wo er unter einem anderen Namen lebte und als Bauarbeiter arbeitete. Nach der Verhaftung räumte er ein, dass er sich drei Jahre lang in Moskau dem Zugriff der UN-Justiz entzogen hatte.

Angeklagt: Der ehemalige Polizeigeneral Vlastimir Djordjevic Foto: AFP

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Was kostet die Welt mit dreizehn?

Das Bundessozialgericht bemängelt, der Staat habe zu pauschal festgelegt, wieviel Kinder und Jugendliche in Deutschland zum Leben brauchen

Von Daniela Kuhr

Nach dem Beschluss des Bundessozialgerichts heißt es erst einmal abwarten. So lange das Bundesverfassungsgericht nicht entschieden hat, bleibt für Kinder von Hartz-IV-Beziehern alles beim Alten. Vorerst werden daher die unter 14-Jährigen weiter 211 Euro (60 Prozent des Regelsatzes für Erwachsene) monatlich erhalten und die 14- bis 18-Jährigen 281 Euro (80 Prozent).

Ab 1. Juli aber gibt es eine Neuerung - und zwar völlig unabhängig von der Entscheidung aus Kassel. Das Kabinett beschloss am Dienstag, bei den Empfängern von Arbeitslosengeld II eine dritte Stufe für Minderjährige einzuführen: Danach bekommen die Sechs- bis 13-Jährigen künftig 70 Prozent des Regelsatzes für Erwachsene - und damit 246 Euro statt derzeit 211 Euro. "Das hatten wir unabhängig von der Entscheidung des Bundessozialgerichts beschlossen, nachdem das Bundesarbeitsministerium im vergangenen Jahr die Regelsätze für Kinder überprüft hatte", sagte eine Sprecherin des Ministeriums am Dienstag. Bei der Überprüfung habe man festgestellt, dass der Bedarf eines Babys sich doch von dem eines zwölfjährigen Kindes unterscheide. "Die neuen Stufen gelten ab 1. Juli", sagte die Sprecherin. Es sei damit zu rechnen, dass sich die Regelsätze dann auch insgesamt ein wenig erhöhen, da sie an die Entwicklung der Renten gekoppelt seien.

Dass bislang Kinder unter 14 Jahren gleich behandelt wurden, egal ob sie neugeboren oder ein Teenager waren, war einer der Punkte, den das Bundessozialgericht am Dienstag kritisierte. Es sei ein Verstoß gegen das Grundgesetz, dass die Vorschrift im Sozialgesetzbuch "die Höhe der Regelleistung für alle Kinder und Jugendlichen bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres einheitlich mit 60 Prozent festsetzt, ohne dabei weitere Altersstufen vorzusehen". Im Bundesarbeitsministerium geht man davon aus, dass dieser Kritikpunkt mit dem Kabinettsbeschluss vom Dienstag ausgeräumt ist.

Doch die Richter äußerten noch weitere Bedenken. So sehen sie das Gleichbehandlungsgebot, den Schutz der Familie und das Sozialstaatsgebot verletzt, weil der Gesetzgeber für Kinder einfach pauschal 40 Prozent von der Leistung für Erwachsene abgezogen hat, "ohne dass der für Kinder notwendige Bedarf ermittelt und definiert wurde". Der Senat ist der Ansicht, dass der Gesetzgeber stattdessen "auf der Basis einer detaillierten normativen Wertung des Kinder- und Jugendlichenbedarfs" den Regelsatz hätte bestimmen müssen. Nur dann seien Gerichte in der Lage, darüber zu entscheiden, ob der Regelsatz für Kinder "noch im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers lag". Die Richter betonten, dass nach wie vor offen sei, ob der Betrag von 207 Euro (früher) oder 211 Euro (heute) für Kinder ausreiche. Sie kritisierten also nicht die Höhe an sich, sondern nur das Verfahren, in dem das Sozialgeld festgelegt worden war.

Bei Erwachsenen dagegen hatte das Bundessozialgericht im November 2006 keine Bedenken gegen das Verfahren. Im Gegensatz zu den Kindern hatte der Gesetzgeber den Bedarf von Erwachsenen umfassend ermittelt, indem er die Ausgaben von Ein-Personen-Haushalten aus dem unteren Einkommensbereich statistisch auswertete. Die Richter bekräftigten am Dienstag, dass sie den Regelsatz für Erwachsene, der derzeit bei 351 Euro monatlich liegt, weiterhin für verfassungsgemäß halten.

Wie das Bundesverfassungsgericht entscheidet, ist offen. Hat es anders als das Bundessozialgericht keine verfassungsrechtlichen Zweifel, bleibt alles wie bisher. Teilen die Karlsruher Richter dagegen die Bedenken der Kollegen aus Kassel, könnten sie dem Gesetzgeber aufgeben, bis zu einem bestimmten Stichtag die Sache neu zu regeln. Als unwahrscheinlich gilt, dass sie selbst einen Betrag festlegen, der angemessen wäre.

Kinder brauchen Eltern; und Eltern brauchen Geld, um ihre Kinder aufziehen zu können. In mancher Hinsicht benötigen Kinder sogar mehr Geld als Erwachsene, denn sie wechseln schneller ihre Schuhe, zerreißen eher mal eine Jacke oder eine Hose. Deshalb hat das Bundessozialgericht Zweifel, ob Kinder mit weniger Unterstützung als Erwachsene auskommen können. Foto: dpa

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Aufbruch in die Krise

Mehr als andere spüren die Letten schon, dass der neue Wohlstand nur gepumpt war. Doch die katastrophale Wirtschaftslage ist für sie noch kein Grund zur Depression

Von Cathrin Kahlweit

Riga - Aigars Bikse könnte schon längst ein reicher Mann sein. Der "Star der lettischen Kunstszene", wie ihn internationale Medien nennen, ein 40-jähriger Kauz mit langem Bart und Kasperlkleidung, hat eine aufblasbare Plastikskulptur für Politik-Verweigerer gestaltet: Auf einem blauen Sockel steht ein blauer Mann in Heldenpose, so wie einst Enver Hodscha oder Saddam Hussein auf ihren Sockeln standen. Aber während es für den Sturz dieser Diktatoren Seile, Kräne und Volkszorn brauchte, ist der Sturz des namenlosen Nationalhelden denkbar einfach. Denn die Skulptur von Bikse hängt an einem Schlauch mit Knopf. Wer draufdrückt, lässt Luft aus der Figur, und sie kippt ganz von selbst zur Seite. "Stürz' deinen Helden", sagt Bikse zu seinem politischen Luftballon. Bei den mehr als 10 000 Menschen, die sich unlängst voller Wut auf ihre Regierung rund um den Dom von Riga zusammengefunden hatten, hätte eine solche Figur als Massenprodukt für die Massenbewegung sicher Anklang gefunden. Denn 40 Prozent der Letten wollen mit den Politikern nichts mehr zu tun haben und würden sie am liebsten alle in die Wüste schicken.

Die Demonstration vor zwei Wochen endete mit Straßenschlachten, etwa 40 Verletzten und der kurzzeitigen Verhängung des Ausnahmezustandes - ein ungewohnter Gewaltausbruch in diesem kleinen Staat, dessen Volksaufstände so wenig kämpferische Namen wie "singende Revolution" oder "Regenschirm-Revolution" tragen. Singen ist lettischer Nationalsport, und singend marschierten die etwa zwei Millionen Letten 1990 in ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Regenschirme wiederum waren das Markenzeichen der Regierungskritiker, die im Herbst 2007 im Dauerregen auf die Straße gingen, weil sie grundlegende politische Reformen anmahnten. Auf die warten die Letten allerdings bis heute.

Der Massenaufmarsch in diesem Januar, die kaputten Fensterscheiben und die verbrannten Autos - das war eine neue Qualität. Dass die größte Demonstration seit den Tagen des Unabhängigkeitskampfes aus dem Ruder lief, wird offiziell betrunkenen Jugendlichen zugeschrieben; die Presse spekuliert über russische Aufwiegler, die das Chaos befördert hätten. Leise mehren sich aber die Stimmen, die einräumen, dass die Ausschreitungen erste Reaktionen auf den Niedergang des Landes waren, das mit seinen Wachstumsraten als "baltischer Tigerstaat" firmierte, das aber mittlerweile von der globalen Finanzkrise besonders gebeutelt wird. Die Nachricht, dass die guten Zeiten vorbei sind, wurde von den Bürgern lange verdrängt - und von der Regierung monatelang verschwiegen. Nun hoffen die Letten, dass die Umkehr nicht zu arg schmerzt. Unterkriegen lassen mag sich von den Vorboten einer Depression vorerst niemand.

Nicht Aigars Bikse, der findet, er könne auch mit der Gehaltskürzung zurechtkommen, die ihm in seinem Nebenjob als Professor an der Kunstakademie droht. Auch nicht Raita Karnite, Ökonomin an der Akademie der Wissenschaften, die Statistiken schwenkt, nach denen die Gehälter in manchen Berufen um 50 Prozent pro Jahr wuchsen. "Womit das finanziert wurde? Ausschließlich mit geliehenem Geld." Die Mittfünfzigerin will sich trotzdem selbständig machen. Angst vor der Zukunft? "Ich weiß, was ich kann." Zukunftsangst haben auch die zwei Studentinnen nicht, die in das winzige Büro von Alf Vanags an der Stockholm School of Economics stürmen. Während Vanags, der einen Think Tank leitet, gelassen analysiert, warum die Arbeitslosigkeit bald bei mindestens zehn Prozent liegen wird, beglückwünscht er eine der jungen Frauen zu ihrem Baby. Die andere hat gerade bei einem staatlichen Forschungsprojekt gekündigt, beide suchen Jobs. Krise? Welche Krise? "Bei mir steigt in solchen Zeiten der Adrenalinspiegel", ruft die junge Mutter.

Und auch Artis Pabriks hat erstmal andere Prioritäten als die Staatsfinanzen. Der Ex-Außenminister hatte mit seiner neuen Oppositionspartei "Bewegung für eine neue Politik" die Massendemonstration vom 13. Januar mitorganisiert. Der jungenhafte Politiker fordert vor allem Reformen am wackeligen demokratischen System. "Wir müssen das mangelnde Vertrauen in die politische Elite bekämpfen. Jetzt!" Die Chancen dafür stehen schlecht. Präsident Valdis Zatlers droht, das Parlament aufzulösen, wenn es keine brauchbaren Vorschläge zur Lösung der Krise macht. Hinter den Kulissen wird derzeit über eine Regierung der nationalen Einheit verhandelt - oder aber über Neuwahlen. Wieder einmal. In der 800 000-Einwohner-Metropole herrscht derweil heitere Gelassenheit - obwohl die ersten Läden zumachen, obwohl die Fabriken im Osten ihre Produktion herunterfahren. Dabei musste die Regierung unter Ivars Godmanis, die erst seit einem knappen Jahr im Amt ist, im Herbst erklären, das Land stehe vor dem Bankrott. Die zweitgrößte Bank wurde verstaatlicht, 7,5 Milliarden Euro Kredite wurden unter anderem beim Internationalen Währungsfonds aufgenommen.

Lettland lebt seit Jahren über seine Verhältnisse. Die Immobilienpreise in Riga haben sich seit dem EU-Beitritt 2004 verdoppelt, die Gehälter der Mittelklasse auch. Der Schein-Wohlstand hat sich über die Republik gelegt wie ein wärmender Nerz - und doch konnte schon lange sehen, wer sehen wollte, dass die Motten am Pelz nagten. Wo sich Familien schnell mal einen Kredit über das Zehnfache ihres Jahreseinkommens leisteten, wo man bei seiner Bank per SMS einen Kleinkredit über 2000 Euro beantragen konnte - da war vorauszusehen, findet Aigars Bikse, dass die Rechnung nicht aufgeht. Schon Anfang 2007, also vor zwei Jahren, berichtet die Baltic Times, habe ein Drittel der Immobilienkäufer die Kredite nicht mehr bedienen können, mit denen die Phantasiepreise auf dem lettischen Wohnungsmarkt finanziert wurden. Raita Karnite findet, "man musste blind sein, um nicht zu sehen, was kommen würde." Sie sucht die Gründe dafür in der Geschichte: "Die Leute hatten das Gefühl, sie hätten ihren Wohlstand verdient", analysiert die Ökonomin. Nach Jahren der Unterdrückung durch die Sowjets habe sich das schnelle Geld angefühlt "wie eine Wiedergutmachung".

Und das soll nun alles vorbei sein? Die Mehrwertsteuer: steigt um drei Prozent. Die Gehälter aller Staatsangestellten sinken: um 15 Prozent. Die Boni, die in den Ministerien ausgezahlt wurden: gestrichen. Die Budgets einiger Ministerien: drastisch zurückgefahren. Die Auswirkungen werden bald zu spüren sein - spätestens, wenn im Februar erstmals rückwirkend die gekappten Gehälter ausgezahlt werden.

Aigars Bikse findet, die Letten hätten ihre Krise und ihre Regierung verdient: "Wer so dumm ist wie wir, der muss zahlen." Seine Lösung: Letten kauften doch auch japanische Fernseher und italienische Autos, meint Bikse: "Da könnten wir doch auch bessere Politiker importieren. Schwedische vielleicht?" Trotz aller Scherze bekommt es selbst der fröhliche Künstler langsam mit der Angst zu tun. Die neue Mittelklasse habe bei der Randale vor zwei Wochen in stillem Einvernehmen zugeschaut, glaubt Bikse - "die Leute fühlen sich betrogen. Und lassen andere für sich randalieren. Noch."

"Die Leute fühlen sich betrogen": Mitte Januar kam es in Riga zu Krawallen. Manche sehen darin die Vorboten unruhiger Zeiten. Denn Lettland merkt nach Jahren des Wachstums, dass nun der wirtschaftliche Niedergang kommt. Foto: Reuters

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Reden und warten

Barack Obamas Gesten reichen der arabischen Welt noch nicht als Zeichen für einen Neuanfang

Von Rudolph Chimelli

Die arabisch-islamische Weltwartet auf Signale des neuen amerikanischen Präsidenten Barack Obama. Ein erstes Zeichen ist die sofortige Reise des neu ernannten Nahost-Beauftragten George Mitchell nach Ägypten und Israel, in das Westjordanland, nach Jordanien und Saudi-Arabien. Unter Arabern stößt der ehemalige Senator Mitchell auf ein positives Vorurteil, weil seine Mutter eine maronitisch-katholische Libanesin war. Eine weitere Geste ist die Tatsache, dass Obama sein erstes Interview mit einem ausländischen Medium dem arabischen Fernsehsender al-Arabija gab, der sich in saudischem Besitz befindet.

Es weckt im Nahen Osten vorsichtige Hoffnungen, aber nicht mehr, dass der neue Präsident dabei Töne anschlug wie sie bisher aus Washington nicht zu hören waren. "Wenn Länder wie Iran den Willen zeigen, ihre Faust zu öffnen, dann werden sie unsere ausgestreckte Hand finden", sagte Obama. Im Interesse eines Friedens müssten auch die Israelis einige "schwierige Entscheidungen" treffen, meinte er. Ferner hat Obama in seinen ersten Amtstagen mit den Chefs der wichtigsten Länder der Region telefoniert, auch mit dem Palästinenser-Präsidenten Mahmud Abbas - nicht aber mit Vertretern der Hamas oder mit Teheran.

Diese Indizien sind indessen für die herrschende Meinung in den arabischen Ländern nicht ausreichend, um auf eine grundsätzliche Wende der amerikanischen Nahostpolitik zu schließen, die bisher auf der bedingungslosen Unterstützung Israels beruhte. Zwar gaben die meisten arabischen Regime für Obama freundliche Begrüßungserklärungen ab. Auch mit Kritik halten sie sich vorerst zurück, denn sie wollen nicht schon in der Anfangsphase der neuen Regierung unnötig Animositäten wecken. Doch die Grundhaltung bleibt skeptisch.

Harsche Worte fand allein Ali Laridschani, der Vorsitzende des iranischen Parlaments. Amerikas " Schweigen zu Israels grausamem Spiel im Gaza-Streifen" hätte der Vorstellung vom Wandel "einen heftigen Schlag versetzt", urteilte Laridschani vor den Abgeordneten. Dadurch falle ein Schatten auf Obamas Versicherung, er werde neue Wege zu den muslimischen Ländern finden, gegründet auf gemeinsame Interessen und gegenseitiger Achtung. So wie der Iraner Laridschani denken auch viele Araber - ohne es zu sagen, wenn sie in verantwortlichen Positionen sind.

Da die Beilegung des Streits zwischen Israel und den Palästinensern nach allgemeiner Überzeugung die Voraussetzung für einen umfassenden Frieden im Nahen Osten ist, muss nach dieser Logik jeder erfolgreiche Schritt die Hamas-Bewegung einschließen. Sie beherrscht Gaza und hat im Westjordanland durch ihr Überleben im dreiwöchigen israelischen Bombenhagel Ansehen gewonnen. Solange Obama mit der Hamas nicht reden will, hat sich nichts geändert.

Optimisten setzen deshalb ihre Hoffnungen darauf, dass die Haltung unabhängiger Fachleute in Washington mehr Einfluss gewinnen möge. Als einer von ihnen gilt Richard Murphy, ehemals Staatssekretär sowie US-Botschafter in Syrien und Saudi-Arabien. Murphy warnte bereits, genau so wie die USA für den Frieden mit Israel und den Palästinensern mehr erreicht hätten, wenn sie nicht 13 Jahre lang Gespräche mit der Palästinensischen Befreiung-Organisation ausgeschlossen hätten, so gingen sie jetzt das gleiche Risiko ein, indem sie nicht mit der Hamas verhandeln wollten. Politische Kontakte mit der Hamas seien auf die Dauer unvermeidlich.

Pessimisten verzeichnen auch negative Schritte Obamas. Er lässt den Raketenbeschuss auf pakistanische Stammesgebiete fortsetzen und will den Krieg in Afghanistan intensivieren. Die Reise in ein islamisches Land, die Obama in seinen ersten 100 Amtstagen machen will, soll keinen arabischen Staat, sondern Indonesien zum Ziel haben. Dort hat der Präsident als Kind gelebt.

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Das Ende der Indianer

Kleine lernen dazu, Mittelgroße finden Anschluss: Die Handballwelt rückt näher zusammen

Zadar - Es ist im Handball bekanntlich schwieriger, eine EM zu gewinnen als eine WM. Das liegt daran, dass beim Kontinentalturnier alle teilnehmenden Mannschaft wissen, wie man Handball spielt, was man bei den Weltturnieren nicht von allen Teams sagen kann. Australien zum Beispiel erfreut bei dieser WM in Kroatien die Zuschauer mit herrlich ineffektivem Spiel, mit Würfen, die teils gerade noch das gegnerische Tor erreichen, die teils, wenn sie wuchtiger sind, meterweit am Tor vorbeifliegen, und die manchmal, aber wirklich nur manchmal, den Weg am Torhüter vorbei ins Netz finden. Australien hat selbstverständlich noch kein Spiel gewonnen, die Vorrunde beendete das Team mit einer Tordifferenz von minus 130. In der Trostrunde, die den etwas hochtrabenden Namen President's Cup trägt, lief es etwas besser: Einen Punkt haben die tapferen Australier zwar nicht ergattert, aber immerhin eine Tordifferenz von nur noch minus 85 erspielt. Nun setzen sie ihre Hoffnung in das Spiel um Platz 23, in dem allerdings die ebenfalls punktlose Mannschaft aus Saudi-Arabien Favorit ist, was daran liegt, dass gegen Australien jeder Favorit ist.

Starke Brasilianer

Man kann also im Handball keineswegs behaupten, dass es keine Kleinen mehr gäbe, denn auch die Teams aus Kuwait oder Algerien waren in der Vorrunde chancenlos. Es ist jedoch zu beobachten, dass die Kleinen allmählich besser werden, und dass zudem die vormals mittelgroßen Handball-Nationen den Anschluss nach oben finden. Brasilien, das vormals stets aus der Halle geschossen wurde, hat sich in den vergangenen Jahren konstant weiterentwickelt und in der Vorrunde Serbien besiegt. Die Auswahl war ganz knapp davor, in die Hauptrunde einzuziehen - eine knappe Niederlage gegen die etablierten Ägypter verhinderte den Coup. Auch Argentinien spielt mittlerweile passablen Handball, und wenn nicht so viele Kubaner für andere Nationen anträten, wäre die kubanische Auswahl richtig ernst zu nehmen; so spielt sie immerhin gut mit. Was es zudem nicht mehr gibt, ist die Art von Taktik, die von den Europäern spöttisch "Indianerhandball" genannt wurde. Bei dieser Spielweise erwartet die verteidigende Mannschaft die Angreifer nicht am Kreis in einer 6-0- oder 5-1-Formation, sondern läuft munter zwischen den Gegnern hin und her und versucht, den Ball zu erhaschen. Erheiternd für das Publikum, aber für die Profi-Handballer aus den europäischen Ligen doch ein wenig enervierend, denn chancenlos waren die Indianerhandballer immer. Selbst Australien spielt zwar wenig effektiven, aber einigermaßen konventionellen Handball. Allerdings wirkte das Team vor sechs Jahren bei der WM in Portugal reifer als jetzt und ist somit die Ausnahme von der Regel. Alle anderen haben sich zum Teil beträchtlich weiterentwickelt, was die Etablierten nun spüren.

Den President's Cup haben die Deutschen bei ihrer Heim-WM 2007 eingeführt, damit die kleinen und mittelgroßen Nationen unter sich ein wenig spielen können, während die großen Teams den Titel auskämpfen. Nach der Vorrunde dieser WM fanden sich Mannschaften wie Spanien, immerhin Weltmeister 2005 und Olympiadritter 2008, Russland, Rumänien, Ägypten und Tunesien in der Trostrunde wieder. Es gibt mittlerweile mehr als zwölf sehr gute Nationalmannschaften in der Welt, diesmal haben die Südkoreaner, die Slowaken und die Mazedonier mit ihrem Hauptrundeneinzug überrascht - und natürlich mit dem Niveau ihres Spiels.

Der dänische Nationaltrainer Ulrik Wilbek sagt: "Die Möglichkeiten in der Welt des Handballs sind größer geworden, das ist bei dieser WM deutlich zu sehen." Mit einem feinen Lächeln fügt er an: "Man muss sich nur mal die Besetzung im President's Cup ansehen." Besonders beeindruckt den Dänen die Leistung der Mazedonier, die sich in der letzten Qualifikationsrunde zur WM gegen den Olympiazweiten Island durchsetzten. Von tausenden Fans wird die Mannschaft in Kroatien unterstützt, und getragen auf dieser Welle bietet sie bisweilen mitreißenden Handball.

Mazedoniens Anführer

Aus dem mazedonischen Kollektiv sticht ein Mann heraus: Der rechte Rückraumspieler Kiril Lazarov zeigt ein unfassliches Wurfrepertoire, er schleudert, legt, dreht, hämmert und hebt die Kugel ins Netz, er beherrscht das Brachiale ebenso wie das Feine, und manchmal, wenn er durch die Luft fliegt, wirkt es, als schaue er sich nun aus der Höhe in Ruhe an, in welche Ecke der Torwart sich bewegt, um den Ball dann in die andere zu werfen. Zehn Tore erzielt er bei dieser WM im Schnitt pro Spiel, deutlich mehr als jeder andere. Das klingt nach einem Egoisten, aber Lazarov hat auch die zweitmeisten direkten Torvorlagen des Turniers gegeben. Er spielt in Kroatien bei RK Zagreb, er hat allen Einbürgerungsangeboten der Kroaten widerstanden und ist nun Kopf einer mazedonischen Nationalmannschaft, die, wenn sie sich so weiterentwickelt, bald auch ganz oben mitspielen kann. Der brillante Lazarov ist jedenfalls erst 28 Jahre alt, er kann das Team noch durch einige Turniere führen. Christian Zaschke

Er schleudert, legt, dreht, hämmert, hebt die Kugel ins Tor: Kiril Lazarov, der Mazedonier mit dem unfasslichen Wurfrepertoire Foto: AP

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Kölsch im Altbier-Paradies

Zum Pokal zieht Leverkusen erstmals nach Düsseldorf um

Der Weg zum Erfolg führt von der Anschlussstelle Opladen über die Autobahnen 3 und 44 bis zur Ausfahrt Düsseldorf-Messe/Arena. Die Distanz beträgt 49 Kilometer. Die Fahrt dauert 40 Minuten. So weit haben es die Fußballer von Bayer Leverkusen ab sofort zu ihren Heimspielen. Am Ziel steht eine überdach- und klimatisierbare Arena, die für WM-Spiele, Olympia-Events und Bundesliga-Fußball gebaut worden war. Doch nur Letzteres geht jetzt in Erfüllung, vier Jahre nach der Fertigstellung und auch nur für vier Monate. Während Fortuna Düsseldorf schon das fünfte Jahr nacheinander in der dritten Liga spielt, zieht Erstligist Bayer Leverkusen für seine Rückrundenpartien nach Düsseldorf um. Die Arena daheim in Leverkusen wird aufwändig renoviert und die Kapazität von 22 500 auf 30 000 Plätze erweitert. Die Generalprobe für die acht Bundesliga-Heimspiele in Düsseldorf absolvieren die Leverkusener an diesem Mittwochabend im DFB-Pokal-Achtelfinale gegen den Ligakonkurrenten Energie Cottbus.

Leverkusen will nach einem Jahr der internationalen Absenz wieder in den Europapokal, entweder über die Bundesliga oder über den Pokal. Aber von Heimvorteil kann dabei nicht direkt die Rede sein. Nach mehr als sechs Jahren und 14 Pokalspielen nacheinander auf auswärtigen Plätzen hat der Verein ausgerechnet jetzt einen Heimauftritt zugelost bekommen - jetzt, da "Heim" Düsseldorf bedeutet. Seit dem 3. Dezember 2002 (2:1 gegen den SV Waldhof) hat die Leverkusener Arena kein Pokalspiel mehr gesehen, und das wird mindestens bis zum Beginn der neuen Wettbewerbsrunde und zur Fertigstellung des Stadionumbaus im August so bleiben.

Fotos in der Kabine

Ob die ungewohnten Katakomben, das fremde Stadion und das angereiste Heimpublikum den Leverkusenern in Düsseldorf zum Nachteil gereichen, ist die Frage. Am Dienstag wurde die Spielerkabine in den Leverkusener Farben Schwarz und Rot koloriert und mit Fotos ausgeschmückt. Dem Publikum wird ein paar Etagen höher in den äußeren Wandelgängen während des Spiels sogar Kölsch verkauft. Was im Altbier-Paradies Düsseldorf sonst verpönt ist, soll bei der Leverkusener Kundschaft Heimatgefühle wecken. Die Fans sollen weder Kosten noch Mühen scheuen und ihren Fußballern treu bleiben. "Bei einem Schnitt von 23 000 Zuschauern pro Spiel wären die Kosten für den Umzug gedeckt", sagt Bayer Leverkusens Marketingchef Meinolf Sprink. 15 000 Karten wurden schon im Vorfeld für das Pokalspiel gegen Cottbus verkauft. Für das erste Bundesliga-Heimspiel gegen den VfB Stuttgart am übernächsten Samstag rechnen die Leverkusener sogar mit 30 000 Besuchern.

Ein Euro an die Fortuna

Die Arena in Düsseldorf ist mit 51 000 Plätzen mehr als doppelt so groß wie das Leverkusener Stadion vor dem Umbau. Ein Euro von jeder verkauften Tageskarte in den nächsten vier Monaten geht als Solidaritätsbeitrag an den klammen Drittligisten Fortuna. Doch die Funktionäre des versunkenen Düsseldorfer Traditionsklubs sehen noch mehr Chancen durch das Gastspiel des Bundesligisten. "Ich hoffe, dass Bayer Leverkusen der Düsseldorfer Wirtschaft Lust auf Erstliga-Fußball macht", sagt Fortunas Manager Wolf Werner.

Für Bayer ist der Umzug in die erweiterte Nachbarschaft "ein Abenteuer", wie Sportdirektor Rudi Völler zugibt. Als Wettbewerbsnachteil mag er die Gastspiele nicht betrachten. "Auswärts haben wir in der Hinrunde sogar häufiger gewonnen als zu Hause", sagt er. Fünfmal daheim sowie siebenmal auswärts hat Bayer in der Bundesliga und im Pokal in dieser Saison gewonnen. Sorgen macht sich Leverkusens Trainer Bruno Labbadia allenfalls um die in der hoch gebauten Düsseldorfer Arena von Sonne und Wind vernachlässigten Grashalme. "Wir spielen einen Fußball, für den der Zustand des Rasens sehr wichtig ist", sagt der Bayer-Trainer. Ob das flotte Kombinationsspiel auch auf lädiertem Untergrund funktioniert, darüber wird das Pokalspiel gegen Cottbus erste Aufschlüsse geben.

Die Lausitzer sehen dagegen nicht zuletzt durch den neutralen Austragungsort gute Chancen auf einen Überraschungserfolg. Trainer Bojan Prasnikar hat im Training bereits intensiv Elfmeter üben lassen. Das erste Pflichtspiel-Duell zweier Fußball-Bundesligisten in Düsseldorf seit Mai 1997 könnte also ein Krimi mit Überlänge werden. Ulrich Hartmann

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Kritik an Russland

Ostausschuss beklagt Abhängigkeit von Öl und Gas

Von Daniel Broessler

Berlin - Russland hat aus Sicht des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft während des Ölbooms der vergangenen Jahre wertvolle Chancen vertan und ist deshalb von der Finanz- und Wirtschaftskrise besonders betroffen. "Russland hat seine starke Abhängigkeit von Öl und Gas nicht verringert", beklagte der Vorsitzende des Ausschusses, Klaus Mangold, in Berlin. Die dringend notwendige Diversifizierung sei ausgeblieben. Immer noch machten Öl und Gas 85 Prozent der Exporte aus. Nicht konsequent genug habe Russland seine hohen Einnahmen genutzt, um die Infrastruktur auszubauen. Das gelte etwa für das Straßen- und Schienennetz. Zu wenig gefördert worden sei auch der Mittelstand. Das räche sich nun in der Krise, in der große Konglomerate dazu gezwungen seien, sich auf ihr Kerngeschäft zu besinnen. Die deutsche Wirtschaft sei ein "idealer Partner", um die nötige Modernisierung in Russland anzustoßen.

Sorge äußerte Mangold wegen der jüngsten Ermordung eines Anwalts und einer Journalistin in Moskau. "Das sind Taten, die das internationale Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit und die Sicherheit der Bürger in Russland beeinträchtigen". Von Präsident Dmitrij Medwedjew erwarte man klare Äußerungen zur notwendigen Aufklärung der Morde.

Die EU und die Länder an ihrem östlichen Rand rief Mangold angesichts der Wirtschaftskrise zum gemeinsamen Handeln auf. "Jetzt ist die Zeit, in der das politische Klein-Klein von großen Schritten nach vorne abgelöst werden muss", sagte er. Ein starkes Signal der EU seien die Schaffung einer Freihandelszone mit Ländern wie Serbien, Russland und der Ukraine sowie Erleichterungen beim grenzüberschreitenden Verkehr. Dazu sei es nötig, das neue Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Russland 2009 auszuhandeln und den stockenden Beitrittsverhandlungen Russlands zur Welthandelsorganisation WTO neuen Schwung zu geben.

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Stimmungsmache

Die Firmen sind zuversichtlicher - das liegt auch am Konjunkturpaket

Von Björn Finke

Ein positives Ergebnis haben die umstrittenen Konjunkturpakete der Bundesregierung bereits gebracht: Die deutschen Unternehmen blicken wieder etwas zuversichtlicher in die Zukunft. Das Ifo-Institut will bei seiner monatlichen Geschäftsklima-Umfrage von den Firmen wissen, wie diese ihre Lage heute und mit Blick auf den Sommer bewerten. Die Beurteilung der jetzigen Situation verschlechterte sich von Dezember auf Januar weiter, doch dafür äußerten sich die Manager optimistischer zu den Geschäften in sechs Monaten. Offenbar gehen sie davon aus, dass das Schlimmste im Sommer vorbei ist. Zu dieser Einschätzung haben sicher auch die milliardenschweren Konjunkturprogramme in Deutschland und anderswo beigetragen.

Die Resultate für Januar sind zunächst eine Momentaufnahme - von einem Stimmungswandel kann man nach einem Monat mit besseren Umfragewerten nicht sprechen. Aber es ist erfreulich, dass die atemberaubend schnelle Abkühlung des Geschäftsklimas fürs Erste gestoppt ist. Denn Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie, wie schon Ludwig Erhard sagte. Haben Manager das Gefühl, dass es immer weiter abwärts geht, werden sie die Kapazität ihrer Fabriken und die Zahl der Jobs noch kräftiger herunterfahren, als sie es ohnehin planen.

Eins der wichtigsten Resultate der Konjunkturpakete ist daher, dass sie bei den Firmen - und hoffentlich bei den Verbrauchern - die Zuversicht steigern. Hier wirken die Programme auch sofort, während der direkte Effekt der Pakete, eine Ausweitung der Nachfrage, nur verzögert zu spüren sein wird - vielleicht sogar erst dann, wenn es ohnehin wieder aufwärts geht. Doch allein die bessere Stimmung ist bereits Milliarden wert.

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Neues Hilfsprogramm der Regierung

Milliarden für die Exportwirtschaft

Profitieren sollen Großkonzerne wie Airbus und Siemens, aber auch die Autoindustrie

Von Claus Hulverscheidt

Berlin - Die Regierung plant ein milliardenschweres Hilfsprogramm zur Unterstützung der deutschen Exportwirtschaft. Es soll einerseits Darlehensbürgschaften umfassen, darüber hinaus sind auch direkte Finanzhilfen der Förderbank KfW an kreditgebende Banken im Gespräch.

"Vereinfacht gesagt wollen wir sicherstellen, dass die für den Kauf großer, teurer Exportgüter nötigen Langfristkredite auch während der aktuellen Wirtschaftskrise zur Verfügung gestellt werden", sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Peter Hintze, der Süddeutschen Zeitung. Als Beispiel nannte er den europäischen Flugzeugbauer Airbus, der wegen der Rezession in vielen Industrieländern in großem Umfang Abbestellungen befürchtet. "Es geht aber ausdrücklich nicht nur um eine ,Lex Airbus'", betonte Hintze mit Blick auf anderslautende Berichte.

Damit schafft die Regierung nach dem Rettungspaket für die Banken eine Art Schutzschirm für die gesamte Großindustrie. Profitieren könnten neben Airbus auch Konzerne wie etwa Siemens oder Bosch, aber auch die krisengeschüttelten Autobauer. Das Wirtschaftsministerium und die übrigen beteiligten Häuser arbeiteten mit Hochdruck daran, "der deutschen Exportindustrie bei den aktuellen Problemen, die durch die weltweite Finanzkrise entstanden sind, mit zusätzlichen Instrumenten zu helfen", sagte Hintze, der auch Luft- und Raumfahrtkoordinator der Bundesregierung ist. Welches Volumen ein solches Hilfspaket haben müsse, stehe noch nicht fest.

Konkret ist vorgesehen, das bestehende Exportkreditprogramm der Bundesregierung, die sogenannten Hermes-Bürgschaften, auszuweiten. Über diese Programme können sich Unternehmen für den Fall versichern, dass ein Kunde aus dem Ausland die bestellte und gelieferte Ware nicht bezahlt. Kommt es zu einem solchen Zahlungsausfall, erhalten die Firmen ihr Geld vom Staat. Derzeit besteht jedoch das Problem, dass manche Banken aus Mangel an Liquidität selbst dann keine langfristigen Kredite vergeben, wenn das Darlehen zu 100 Prozent verbürgt ist. Um dem zu begegnen, soll ein KfW-Programm aufgelegt werden, aus dem in Deutschland zugelassene Banken im Zweifel direkte Finanzhilfen zur Gewährung des Darlehens erhalten könnten. "Wie das im Einzelnen geschehen soll, steht noch nicht fest. Wir wollen aber gewährleisten, dass ein verbürgtes und damit sicheres Kreditgeschäft auch wirklich zustande kommt", sagte Hintze.

Im Fall von Airbus wollen die betroffenen Länder Deutschland, Frankreich und Großbritannien zu je einem Drittel bürgen, wenn eine Fluggesellschaft eine Maschine auf Kredit ordert. Voraussetzung ist, dass die Airline in der Vergangenheit ihre Rechnungen in der Regel fristgerecht bezahlt hat. Hinzu kommen könnten Hilfen an die kreditgebenden Banken der Fluggesellschaft.

Zuvor hatte bereits Frankreich Milliardenhilfen für die Finanzhäuser des Landes angekündigt, um die Darlehensvergabe an Airbus-Kunden zu sichern. "Durch ein Übereinkommen mit dem Staat werden die Banken fünf Milliarden Euro freigeben", sagte der Chef des Airbus-Mutterkonzerns EADS, Louis Gallois, der Pariser Tageszeitung Le Figaro. Damit sei eine "signifikante Zahl" an Flugzeuglieferungen gesichert. Zusätzlich werde Airbus - wie auch schon in der Vergangenheit - selbst die Kunden unterstützen. EADS habe insgesamt neun Milliarden Euro in der Kasse.

Deutschland und Frankreich müssen allerdings aufpassen, dass die Hilfen für die Luftfahrtbranche von der EU-Kommission in Brüssel nicht als unerlaubte Subventionen eingestuft werden. Auch die USA, wo mit Boeing der größte Airbus-Konkurrent sitzt, könnten aktiv werden. Washington und Brüssel hatten sich in den vergangenen Jahren immer wieder gegenseitig vorgeworfen, den jeweils "eigenen" Konzern mit unerlaubten Mitteln zu unterstützen.

Die EADS-Aktie notierte am Dienstagnachmittag trotz des absehbaren Staatsbeistands im Minus. Allerdings hatte das Papier in den Vortagen wegen der Spekulationen über mögliche Hilfsmaßnahmen teils deutlich zugelegt. (Kommentare)

Nach den Banken bekommt auch die Flugzeugindustrie Hilfe vom Staat, so die EADS-Tochter Airbus. Foto: dpa

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Siemens überrascht die Börse

Hoher Gewinn im ersten Quartal. Aktionäre kritisieren satte Gehaltserhöhung für Top-Manager

Von Markus Balser

München - Siemens verbucht in der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahr-zehnten einen Milliardengewinn. Aufsichtsräte wollen sich deshalb mit einer Gehaltserhöhung für ihr Engagement belohnen und empören damit die Aktionäre. Denn schon jetzt scheint klar: Der Boom dürfte nur von kurzer Dauer sein.

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung hatte Bundespräsident Horst Köhler kürzlich bei einem Treffen im Berliner Schloss Bellevue von Siemens-Chef Peter Löscher und anderen deutschen Spitzenmanagern gefordert, der Krise stärker als bisher die Schulter zu zeigen. Die Siemens-Führung gab sich bei der Hauptversammlung vor fast 10 000 Aktionären entsprechend zuversichtlich. "Wir sehen keinen Grund, in den Chor derer einzustimmen, die mit düsteren Äußerungen die Stimmung weiter in den Keller ziehen", rief Löscher den Aktionären zu. "Siemens geht mit Selbstvertrauen, Kraft und Entschlossenheit durch das Jahr 2009."

Die jüngste Bilanz spricht für Löschers Optimismus. Der Konzern präsentierte einen unerwartet starken Gewinnanstieg im ersten Quartal. Siemens verdiente zwischen Oktober und Dezember im laufenden Geschäft 1,2 Milliarden Euro - fast zehn Prozent mehr als noch vor einem Jahr. Der Umsatz stieg um sieben Prozent auf fast 20 Milliarden Euro. Allein im Energiegeschäft legte das Geschäft um 20 Prozent zu.

Doch auch der Konzernspitze schwant, dass der Boom nur von kurzer Dauer sein könnte. "Der Preiskampf wird weltweit zunehmen", sagte Finanzchef Joe Kaeser. Der Auftragseingang - Messlatte künftiger Geschäfte - schrumpft. Die nächsten Quartale würden härter, warnte Löscher. "2009 wird auch für Siemens ein schwieriges Jahr - ebenso wie 2010." Wie lange und anhaltend der Abschwung sein werde, könne derzeit niemand sagen, räumte Löscher ein. An drei Standorten in Deutschland mit insgesamt 2300 Mitarbeitern führe Siemens mit Betriebsräten bereits Gespräche über Kurzarbeit, verlautete aus Konzernkreisen.

Scharfe Kritik von Investoren an steigenden Bezügen für Manager und Aufsichtsräte musste sich das Top-Management angesichts der drohenden Einschnitte für die Beschäftigten anhören. Siemens-Chef Peter Löscher gehörte mit einem Jahressalär von zehn Millionen Euro zuletzt zu den Spitzenverdienern in Deutschland. Aufsichtsratschef Gerhard Cromme will mehr Geld für die Kontrolleure - und seine Bezüge mehr als verdoppeln. Hans-Christoph Hirt, Manager der internationalen Fondsgesellschaft Hermes Investment, warf der Konzernspitze deshalb mangelnde Sensibilität vor. "Ich hätte mir mehr Bescheidenheit angesichts der Weltwirtschaftskrise gewünscht", sagte Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz.

Im Streit mit Ex-Vorständen, die in die Korruptionsaffäre verwickelt sind, zeigt Siemens Kompromissbereitschaft. Cromme sprach bei der Hauptversammlung von einem möglichen Vergleich. Konzernchef Peter Löscher erläuterte: "Wir wollen das Unternehmen befrieden - befrieden mit seiner jüngeren Vergangenheit und mit den Persönlichkeiten, die über die dunklen Seiten hinaus auch für wichtige Weichenstellungen stehen." Siemens fordert von den früheren Vorstandschefs Heinrich von Pierer und Klaus Kleinfeld sowie neun weiteren Ex-Vorständen Schadenersatz, weil sie nach Ansicht des Unternehmens ihre Aufsichtspflichten verletzt haben.

Ausstieg bei Areva

Am Montag hatte Siemens den Ausstieg aus der Partnerschaft mit dem französischen Atomkonzern Areva bekanntgegeben. Löscher kündigte an, der Konzern werde in den kommenden Monaten Verhandlungen über neue Kooperationen aufnehmen. Nach Angaben aus Konzernkreisen gilt die russische Staatsholding Atomenergoprom als Wunschpartner. In Teilen des Aufsichtsrats gibt es den Kreisen zufolge jedoch Skepsis an einer Partnerschaft mit Russland. "Wir haben im Gasstreit erlebt, was die Abhängigkeit von Moskau bedeuten kann", sagte ein Aufsichtsrat zur SZ. "Das sollten wir uns nicht zumuten." (Seite 21)

Ergebnis des Quartals Oktober bis Dezember 2008, Ergebnis des Vorjahresquartals sowie Veränderung in Prozent: Angaben in Milliarden Euro20082007Änd.%
Umsatz19,63418,400+ 6,7Betriebsergebnis (Ebitda)2,5902,103+23,2
Gewinn nach Steuern1,2306,475-81,0Auftragseingang22,22024,242- 8,3
Mitarbeiter weltweit425 000428 000- 0,7Mitarbeiter in Deutschland131 000133 000- 1,5
Quelle: Unternehmen
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Diskrete Geschäfte

Die Familie von Finck mischt wieder im Bankgeschäft mit - viel mehr lässt sie sich dazu nicht entlocken

In Sachen Geheimniskrämerei übertrifft François sogar noch seinen Vater. François, mit vollem Namen August François von Finck, ist Urenkel des Gründers von Allianz und Münchener Rückversicherung und ältester Sohn der Münchner Milliardärs-Legende August Baron von Finck. Der 78-Jährige mit dem lebenslangen Beinamen "junior" hat zumindest noch einen Telefonbuch-Eintrag in seiner Wahlheimat Schweiz. Im Geschäftsbericht des Genfer 50000- Mitarbeiter-Konzerns Société Générale de Surveillance (SGS) stellt der sich auf immerhin neun Zeilen vor. Sohn François, der gleichfalls im SGS-Aufsichtsrat sitzt, sind an gleicher Stelle drei Zeilen genug: Respekt vor den Mit-Aktionären gehört nicht zu den Traditionen des Hauses von Finck.

Bei der Custodia Holding und der Finck'schen Hauptverwaltung in München will man kein Wort zum Lebenslauf von François sagen: "Schauen Sie in das Internet, da finden Sie genug", heißt lapidar die Antwort. Tatsächlich aber sieht bei François von Finck selbst Google blass aus. Auch der Blick in die Handelsregister der Schweiz, wo die Fincks mittlerweile den Schwerpunkt ihrer Interessen haben, bleibt unergiebig bis verwirrend: Die Familie bildet Anteilseigner-Gemeinschaften, in denen mal der eine, mal der andere fehlt, und anscheinend schieben sie untereinander Aktienpakete hin und her, wie es gerade passt.

Offiziell bekannt ist nur, dass François einen Schweizer Pass hat und im "Steueroasli" Pfäffikon, eine halbe Stunde von Zürich entfernt, gemeldet ist. Vermutlich ist er 40 Jahre alt, vielleicht auch schon 41. Er hat ein Wirtschaftsdiplom von der Jesuiten-Universität Georgetown in der Tasche. Dort hatten schon Bill Clinton, aber auch die umstrittene philippinische Staatschefin Gloria Macapagal-Arroyo studiert.

Bei François, so lassen etliche Umstände vermuten, laufen mittlerweile die Fäden des Finck'schen Imperiums zusammen. Das Schweizer Magazin Bilanz taxiert dessen Wert auf immerhin 3,5 bis vier Milliarden Euro. Damit spielt die Münchner Familie in der gleichen Liga wie Athina Onassis, der Peugeot-Clan oder die Liechtensteiner Fürstenfamilie. Zum Finck'schen Reich gehören neben Immobilien die Hotel- und Restaurantkette Mövenpick, der Isoliermaterialhersteller Von Roll, Beteiligungen am Prüfkonzern SGS, am australischen Baukonzern Leighton Holdings und an dem finnischen Energieunternehmen Fortum. In Deutschland hat die oberbayerische Familie sich 2007 mit einem Gewinn von 570 Millionen Euro als Hochtief-Aktionär verabschiedet und tritt jetzt beinahe nur noch als Anteilseigner der Staatlichen Mineralbrunnen AG, Bad Brückenau, in Erscheinung.

Seit dieser Woche gehört nun wieder - wie bis 1990 - ein Geldinstitut zum Finck'schen Reich. Es heißt Bank von Roll und soll sich auf die Vermögensverwaltung "nach Väter Sitte, ohne Chemie und Produkte" konzentrieren, sagt deren Chef Cyrill Escher. Derzeit betitelt sich François als "Bankkaufmann"; vielleicht mag er sich eines Tages, wie seine Vorfahren auch, doch lieber wieder Bankier nennen lassen. Gerd Zitzelsberger

Patriarch August von Finck (Foto) hat die Geschäfte an Sohn François übergeben. F.: Schneider-Press/W.Breiteneicher

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Der Tempomacher

Als künftiger Alleinchef rückt Léo Apotheker bei SAP schon jetzt in den Vordergrund - und kündigt eine Kulturrevolution an

Von Dagmar Deckstein

Die Urteile in der Presse fielen bislang immer recht gefällig aus. Von einem "Charmeur mit Härte" sprachen die einen, von einem "Grandseigneur" andere. Doch an diesem Mittwoch dürfte SAP-Chef Léo Apotheker keinen ganz leichten Stand haben. Wenn er - noch gemeinsam mit Co-Chef Henning Kagermann - die Geschäftszahlen von Europas größtem Softwarekonzern vorlegt, werden die auch mit Charme und Grandseigneurtum verkündet nicht viel besser ausfallen. Schließlich ist das Neugeschäft mit Softwarelizenzen seit vergangenem September nahezu zum Erliegen gekommen, und SAP wird sich vermutlich jeglicher Prognose für das Geschäftsjahr 2009 enthalten. Vom angepeilten Ziel, die operative Marge von 28 auf 35 Prozent zu erhöhen, ist bis auf Weiteres auch nicht mehr die Rede. Das mögen Börsianer gar nicht. Aber warum soll es SAP besser gehen als vielen anderen Konzernen, die angesichts der Wirtschaftskrise keinen Fernblick mehr wagen wollen und flächendeckend "nur noch auf Sicht" fahren? Für die erfolgsverwöhnten SAP-Getreuen ist es dennoch ein Novum.

Zuckerbrot und Peitsche

Eine Zäsur ist die diesjährige Bilanzpressekonferenz aber auch aus einem anderen Grund. Seit Frühjahr vergangenen Jahres führen der langjährige SAP-Alleinchef Henning Kagermann und Léo Apotheker den Konzern in einer Doppelspitze. Kagermann wird nach der Hauptversammlung im Mai abtreten und Apotheker das Feld allein überlassen. Damit der Wechsel nicht allzu abrupt geschieht, soll Apotheker schon jetzt die operative Leitung übernehmen. Ausgerechnet jetzt, da die bisher schwierigste Zeit für die 36 Jahre alte deutsche Kultfirma aus Walldorf angebrochen ist.

Durch den jahrzehntelangen Erfolg ist SAP mit seinen heute 55 000 Mitarbeitern behäbig geworden. Unvorbereitet hat in Walldorf die Krise eingeschlagen und das Management Anfang Oktober zu einem schon panikhaft dekretierten Sparprogramm veranlasst: Dienstreisen wurden gestrichen, Neueinstellungen storniert, befristete Verträge nicht mehr verlängert. 200 Millionen Euro will SAP einsparen, aber das ist nur der Anfang einer rigorosen Generalüberholung des gesamten Konzerns. Der soll schneller, kostengünstiger und innovativer werden, und Léo Apotheker hat schon Ende vergangenen Jahres die Parole ausgegeben, wie die Mitarbeiter weltweit sich das vorzustellen haben: "Viel mehr Tempo, wir brauchen deutlich mehr Tempo."

Mit der Ruhe der Softwaretüftler ist es allerdings schon dahin, seit sie wissen, dass Apotheker künftig die erste Geige im Konzern spielen wird, einer, der von sich sagt, er sei "etwas emotionaler und vielleicht auch ein bisschen ungeduldiger als der Henning."

Ein Novum an der Konzernspitze ist Apotheker ohnehin. Mit ihm sitzt erstmals in der Unternehmensgeschichte ein Vertriebsmann auf dem Chefsessel und kein Softwareentwickler. Viele dieser Entwickler, "Techies" genannt, sehen der Ägide von Apotheker denn auch mit gemischten Gefühlen entgegen. In der Belegschaft gilt er als fordernd und um deutliche Worte nicht verlegen, als einer, der Zuckerbrot und Peitsche gleichermaßen einzusetzen weiß. Aber viele Mitarbeiter sind auch einsichtig, dass es so wie bisher bei SAP nicht mehr weitergehen kann, dass sich der Konzern wohl zu lange auf seiner angestammten Marktführerposition ausgeruht hat.

Da wäre zum Beispiel die Schlappe mit der wichtigsten Neuerfindung der vergangenen Jahre. Die Markteinführung von Business By Design, einer Online-Software zum Mieten für den kleinen Mittelstand, wurde trotz vollmundiger Ankündigungen 2008 wieder gestoppt und kommt nun erst in diesem Jahr reichlich verspätet zu den Kunden. Wieder eine Wachstumschance weniger. Peinlich für SAP war auch die regelrechte Revolte namhafter Mittelstandskunden wie Tognum, Bitburger, Krones oder Miele, die gegen die saftige Erhöhung der Wartungsgebühren um 30 Prozent mitten in der Finanzkrise öffentlich zu Felde zogen und gegen die "Arroganz aus Walldorf" wetterten. SAP musste schließlich klein beigeben und die Kündigung der Wartungsverträge zurücknehmen. Aber ein Imageschaden bleibt erst mal haften.

Zweitbüro in Paris

Da wird auch die Eloquenz des 55-jährigen Léo Apotheker gefragt sein, der neben Deutsch vier weitere Sprachen fließend beherrscht: Französisch, Englisch, Hebräisch und Niederländisch. Der Sohn jüdischer Flüchtlinge wurde 1953 in Aachen geboren, wuchs in Antwerpen auf, studierte in Israel internationale Beziehungen und Volkswirtschaft. 1988 kam er zu SAP, wo er für das Geschäft in Europa, Nahost und Afrika verantwortlich war. In den Vorstand rückte er 2002 auf, schließlich in die Co-Chefposition, nachdem der einstige Kronprinz Shai Agassi SAP überraschend verließ. Seit 25 Jahren lebt der Kosmopolit Léo Apotheker in Paris, wo er den Konzern auch zum Teil von seinem Zweitbüro in der Seinestadt aus leitet. Ob aus Paris oder Walldorf - Apotheker lässt keinen Zweifel, wohin er mit SAP will: Mehr Rendite, weniger Hierarchien, noch globaler werden, die Leistung erhöhen. Kurz: "Wir müssen uns neu erfinden", verkündete er vor Weihnachten. "Nur so können wir dauerhaft überleben."

"Ein bisschen ungeduldiger" als sein Vorgänger Henning Kagermann - so beschreibt sich Léo Apotheker selbst. Foto: Cooper Photos/Visum

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Die Sorgen der Manager

Nur jeder zehnte Firmenchef weltweit rechnet mit einer Umsatzsteigerung in diesem Jahr, zeigt eine Umfrage

Von Gerd Zitzelsberger

Davos - Die weltweite Wirtschaftskrise wird Jahre dauern, und die Erholung wird nur schwach ausfallen. Das ist die überwiegende Einschätzung von 1100 Vorstandschefs aus 50 Ländern, die die Wirtschaftsprüfungs- und -beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PwC) im Vorfeld des Weltwirtschaftstreffens in Davos befragt hat. Dennoch wollen - zumindest auf dem Papier - erstaunlich wenige Firmenchefs ihre Belegschaften verringern. Vergleichsweise positiv fallen die Prognosen deutscher Wirtschaftskapitäne aus.

Lediglich jeder Dritte der Vorstandsvorsitzenden sagte, er rechne auf Sicht von drei Jahren mit einem Wachstum. Vor einem Jahr lag der Vergleichswert noch bei 42 Prozent. Eine noch deutlich stärkere Stimmungsverschlechterung, so heißt es bei PwC, hätte sich gezeigt, wenn die Umfrage, die im vierten Quartal 2008 durchgeführt wurde, noch später stattgefunden hätte. Schon im Verlauf der drei Umfrage-Monate habe sich die Stimmung noch weiter eingetrübt.

Die kurzfristigen Wachstumserwartungen haben den tiefsten Wert seit der erstmaligen Befragung im Jahr 2003 erreicht. Ende November rechnete nur jeder zehnte Firmenchef mit einer Umsatzsteigerung für das laufende Jahr, heißt es in der Studie. Berücksichtige man auch die in den Wochen zuvor eingegangenen Antworten, dann zeigten sich noch 21 Prozent der Manager "sehr zuversichtlich", ihren Umsatz im Jahr 2009 steigern zu können.

Als besorgniserregend stufen die Berater den radikalen Stimmungswandel in den Schwellenländern ein. So ist in China der Anteil der Optimisten innerhalb eines Jahres von 73 auf 29 Prozent geschrumpft, in Russland von 73 auf 30 und in Mexiko sogar von 77 auf nur noch 13 Prozent. "Es ist ein Beleg dafür, dass sich die gegenwärtige Rezession anders als frühere Krisen nicht auf einige Wirtschaftsregionen beschränkt", sondern ein globales Problem sei, sagte Hans Wagner, der Sprecher des Vorstandes von PwC Deutschland.

In den Industrieländern sehen die Manager die Zukunft nicht rosiger. Dabei sind die Einschätzungen in Frankreich sogar noch düsterer als in den USA oder Großbritannien: Nur fünf Prozent der dortigen Spitzenmanager rechnen für 2009 mit einem Umsatzwachstum. In Deutschland dagegen beträgt der Anteil der "Optimisten" immerhin 17 Prozent - vor einem Jahr allerdings lag auch hier die Quote noch bei 57 Prozent.

Vergleichsweise zuversichtlich sind die deutschen Vorstandsvorsitzenden auch bei den Finanzierungsmöglichkeiten: Trotz des massiven Kursrutsches der Aktiennotierungen halten 38 Prozent der Befragten die Kapitalbeschaffung über die Börse weiterhin für eine Option. Weltweit dagegen haben 83 Prozent der Spitzenmanager das Thema Börsengang oder Kapitalerhöhung über die Börse erst einmal abgehakt. Selbst auf Kredite mag angesichts der Bankenkrise nur noch jeder vierte vertrauen. Die anderen wollen ihre Investitionen aus dem laufenden Umsatz finanzieren. Trotz der weltweiten Zinssenkungen der Notenbanken fürchten beinahe 80 Prozent der Spitzenmanager höhere Finanzierungskosten und erschwerten Zugang zu Kapitalquellen. Auch bei diesem Thema zeigen sich allerdings deutsche Vorstandsvorsitzende einen Hauch optimistischer als ihre Kollegen im Ausland.

Vor diesem Hintergrund denkt derzeit auch kaum mehr ein Vorstandsvorsitzender an Übernahmen und Fusionen. Statt dessen kommen der Not gehorchend jetzt wieder Allianzen und Gemeinschaftsunternehmen in Mode. Einen erstaunlichen Kontrast zu den Nachrichten der vergangenen Wochen liefert die Umfrage beim Thema Personalabbau: Während sich die Meldungen über Stellenstreichungen häufen, gaben in der PwC-Umfrage lediglich 26 Prozent der Vorstandsvorsitzenden - in Deutschland sogar nur 17 Prozent - an, dass sie mit einer Verringerung der Belegschaft rechnen. Mehr als ein Drittel der Spitzenmanager, sowohl weltweit wie in Deutschland, gaben sogar zu Protokoll, dass sie von einer wachsenden Belegschaft ausgehen. PwC-Deutschlandchef Wagner vermutet, dass sich die Firmen angesichts eines latenten Fachkräftemangels trotz der gegenwärtigen Umsatzausfälle nicht gerne von erfahrenem Personal trennen.

Schlechte Aussichten für Studenten in Peking: Vor allem in China habe sich die Stimmung dramatisch verschlechtert, stellten die Wirtschaftsprüfer in ihrer Umfrage fest. Foto: ecopix/Wong

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Geld für alle

Die japanische Regierung will die Konjunktur mit einem Hilfspaket von 40 Milliarden Euro ankurbeln. Die Verbraucher sollen Einmalzahlungen erhalten

Von Christoph Neidhart

Tokio - Japans Unterhaus hat am Dienstag dem zweiten Konjunkturpaket der Regierung von Premier Taro Aso zugestimmt. Mit 4,8 Billionen Yen will Aso Japans Wirtschaft ankurbeln, etwa 40 Milliarden Euro. Sein Paket umfasst Hilfskredite für kleine und mittlere Betriebe, eine Reduzierung der Autobahnmaut, Steuererleichterungen, unter anderem für Hauskäufer, Stützbeträge für wackelnde Finanzinstitute und 250 Milliarden Yen (2,1 Milliarden Euro) für Beschäftigungsprogramme. Dazu kommt noch die selbst im Kabinett umstrittene geplante Einmalzahlung an die Haushalte: Kinder unter acht Jahren und Rentner sollen je etwa 160 Euro in bar erhalten, Erwachsene im erwerbsfähigen Alter 100 Euro.

Das von der oppositionellen demokratischen Partei DPJ dominierte Oberhaus lehnte das Konjunkturpaket am Montag ab. Doch Japans Verfassung ermächtigt das Unterhaus, die kleine Kammer mit einer Zweidrittelmehrheit zu überstimmen. Gleichwohl wird Aso sein Paket vorerst nicht umsetzen können. Angesichts der enormen Verschuldung des japanischen Staates (mehr als das Anderthalbfache des Bruttoinlandsprodukts) müsste die Finanzierung des Hilfspakets mit neuen Gesetzen geregelt werden. Dazu müsste das Parlament frühere Sparentscheide aussetzen. Die Opposition machte bereits klar, dass sie sich hier querstellen wird. Sie wirft Aso vor, er wolle mit den Einmalzahlungen Stimmen kaufen für die spätestens im September fälligen Unterhauswahlen. Nach jüngsten Umfragen unterstützen nur noch 19 Prozent der Japaner seine Regierung.

Der letzte Schub

Selbst Abgeordnete von Asos eigener liberaldemokratischer Partei LDP bezeichnen die Einmalzahlung als Geldverschwendung. Jüngere LDP-Parlamentarier haben Anti-Aso-Gruppen gebildet. Ex-Minister Yoshimi Watanabe ist aus Protest gegen die Einmalzahlung aus der Partei ausgetreten. Statt die Wirtschaft zu stimulieren, könnte das Konjunkturpaket Asos Regierung zu Fall bringen.

Die Erfahrung von 1998 gibt Asos Kritikern recht. Damals wollte die Regierung von Premier Keizo Obuchi die stagnierende Wirtschaft mit einem Konjunkturpaket von 24 Billionen Yen (200 Milliarden Euro) stimulieren. 5,9 Milliarden Euro wurden direkt an 35 Millionen Haushalte bezahlt. Ein Jahr später musste Obuchi ein nächstes Paket schnüren. Das nannte man damals den "letzten Schub". Auch diesmal hat der verschuldete Staat kaum weitere Hebel, die Wirtschaft anzukurbeln. Japans Leitzinsen bewegen sich seit Jahren unter einem halben Prozent. Gleichwohl machte der Nikkei in Erwartung des Konjunkturpakets am Dienstag einen Sprung von 4,9 Prozent. Tokios Börse wird freilich stark von ausländischen Investoren beeinflusst, die sich nur per Überschriften informieren.

Japan steckt nach sieben Jahren bescheidenen Wachstums wieder in einer Rezession. Allerdings hat sich das Land von der Stagnation der neunziger Jahre nie erholt, die Inlandsnachfrage nie richtig angezogen. Das Wachstum verdankte man dem Export, nicht zuletzt nach China, und der zunehmenden wirtschaftlichen Integration mit dem Nachbarn.

Zur Stagnation der Inlandsnachfrage trägt auch die Demographie bei: Die Bevölkerung überaltert rasch, von den Jüngeren hat über ein Drittel nur schlechtbezahlte Zeitarbeiter-Jobs. Der größte Teil der enormen privaten Ersparnisse Japans wird von Rentnern kontrolliert. Die könnten zwar mehr konsumieren, neigen aber zum Sparen. Daran wird die Einmalzahlung nichts ändern, so die Gegner.

Japans Exportgrößen leiden nicht nur unter dem Einbruch der US-Nachfrage, sondern auch unter dem starken Yen. Seit dem Sommer hat er gegenüber dem Dollar um 20 Prozent zugelegt, der Euro hat mehr als 40 Prozent zum Yen verloren. Die Unterstützung des Unterhauses für das Konjunkturpaket ist nur ein politischer Sieg des Premiers. Obwohl Aso auf die Dringlichkeit seiner Maßnahmen pocht, wird bis März kaum Geld fließen - die Einmalzahlungen sicherlich nicht.

Auch die Rentner sollen vom Hilfspaket profitieren. Doch diese Bevölkerungsgruppe wird das Geld eher sparen als ausgeben, vermuten Skeptiker. Foto: AFP

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Schaeffler muss warten

Staatliche Hilfen sind in Bayerns Regierung umstritten

Von Martin Hesse, Uwe Ritzer und Kassian Stroh

München/Frankfurt - Die bayerische Staatsregierung ist in der Frage einer Staatshilfe für das Familienunternehmen Schaeffler offenbar uneins. In der Sitzung des Kabinetts am Dienstag warben nach Teilnehmerangaben einige Minister für staatliche Hilfen, andere jedoch kritisierten das Vorgehen der Schaeffler-Gruppe, forderten mehr Engagement der Besitzerfamilie oder warnten vor Staatshilfen aus grundsätzlichen ordnungspolitischen Erwägungen heraus. Beschlüsse fasste die Regierung keine. Schaeffler ist durch die Übernahme des Dax-Konzerns Continental in eine Schieflage geraten.

Staatshilfen könne es "nur unter der Federführung des Bundes" geben, sagte Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP). Mehrere Kabinettsmitglieder berichteten, die von Schaeffler benötigten Hilfen überstiegen die Kräfte Bayerns. Die Angelegenheit sei "alleine durch ein Land oder zwei Länder nicht zu stemmen", sagte Finanzminister Georg Fahrenschon (CSU). Am Donnerstag treffen sich Vertreter der Länder Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen in Berlin mit Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU), um das Thema zu beraten.

Auch in einer Sitzung der CSU-Landtagsfraktion wurden am Dienstag Bedenken laut: So äußerte sich der ehemalige CSU-Chef und amtierende Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Landtag, Erwin Huber, skeptisch über Staatshilfen für Schaeffler. Hingegen sprachen sich Innenminister Joachim Herrmann und Umweltminister Markus Söder dafür aus. Sie wiesen auf die Bedeutung Schaefflers als Arbeitgeber in Franken und Bayern hin. Man dürfe das Familienunternehmen beim schwierigen Conti-Deal nicht im Stich lassen. Die Firma stellt in Bayern nach eigenen Angaben etwa 20000 Arbeitsplätze.

Hoher Kapitalbedarf

Zeil, Fahrenschon und Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) trafen sich im Anschluss an die Kabinettssitzung zu einem Gespräch mit der Schaeffler-Führung. Wie eine Hilfe aussehen könnte, sei noch unklar, hieß es anschließend. Eine Entscheidung werde es frühestens in der kommenden Woche geben. Dazu habe man von Schaeffler erst einmal ein Konzept eingefordert, sagte Zeil der SZ - "mit klaren Zahlen und Zeitplänen".

In Bankenkreisen werden die benötigten Kapitalhilfen für Schaeffler auf drei bis fünf Milliarden Euro geschätzt. Die Gläubiger Schaefflers haben sich nach SZ-Informationen bereits Anteile an der Firmengruppe als zusätzliche Sicherheit geben lassen. Schaeffler ist wegen der Conti-Übernahme mit elf Milliarden Euro verschuldet. Es heißt in Bankenkreisen, schon in einem halben Jahr müsse ein Teil der Kredite umgeschuldet werden. Sollte Schaeffler gegen Auflagen verstoßen, könnten die Banken Schulden gegen Firmenanteile tauschen. Da Institute wie die Commerzbank und die Royal Bank of Scotland aber selbst große Probleme haben, würden sie dies nur ungern tun und hätten daher Interesse an staatlicher Unterstützung. Schaeffler drängt nun darauf, dass Conti rasch das Reifengeschäft verkauft. Außerdem sollen die Automotive-Sparten zusammengelegt und dort Mit-Investoren an Bord geholt werden. Beide Maßnahmen sollen die Schulden senken. In Finanzkreisen heißt es jedoch, dass sich die Investorensuche lange hinziehen könnte.

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Auf Schnäppchenjagd in Deutschland

Der schwedische Finanzinvestor Cevian Capital möchte mittelgroße Firmen aus dem Börsenindex MDax übernehmen

Von Martin Hesse

Frankfurt - Der schwedische Finanzinvestor Cevian Capital nimmt mittelgroße deutsche Konzerne ins Visier. "Wir sehen uns vor allem MDax-Unternehmen sehr intensiv an", sagte Cevian-Chef Lars Förberg der Süddeutschen Zeitung. Die Beteiligungsgesellschaft wolle in den nächsten Jahren in ihrem Kernmarkt Skandinavien und in den deutschsprachigen Ländern eine Milliarde Euro investieren. In Deutschland ist Cevian bislang an drei börsennotierten Firmen beteiligt; der Investor hält knapp drei Prozent an der Münchener Rück. Seit vergangenem Sommer heißt es zudem in Finanzkreisen, dass die Schweden bei Daimler engagiert sind. Über das dritte Unternehmen, an dem Cevian Anteile hält, ist nichts bekannt.

Künftig will Cevian bei deutschen Firmen auch mit größeren Anteilen einsteigen. "Es könnte gut sein, dass wir auch mal zehn bis 20 Prozent investieren", sagte Förberg. In den vergangenen zwei bis drei Jahren seien MDax-Unternehmen wegen des starken Interesses zahlreicher Hedgefonds und Private-Equity-Firmen überteuert gewesen, sagte Förberg. "Aber jetzt gibt es viele Gelegenheiten." Cevian sehe sich Firmen aus allen Branchen an. "Es gibt in Deutschland viele gesunde Unternehmen, die jetzt wegen der Wirtschaftskrise Probleme haben und Kapital brauchen." Zahlreiche mittelgroße börsennotierte Firmen suchten Investoren, die ihr Kapital stärkten und sie vor Übernahmen schützten. Förberg sieht Cevian gegenüber Hedgefonds und Beteiligungsgesellschaften im Vorteil, die Übernahmen überwiegend mit Krediten finanzieren. "Unser Geschäftsmodell funktioniert dagegen noch, weil wir nur Eigenkapital investieren."

Allerdings hat auch Cevian mit seinen bisherigen Beteiligungen in Deutschland Geld verloren. Die Aktie der Münchener Rück ist seit dem Einstieg Cevians Ende 2007 um etwa ein Fünftel gefallen. Dennoch zeigt sich Förberg zufrieden: "Das Management hat einen sehr guten Job gemacht und die Krise genutzt, um die Marktposition auszubauen."

Spekulationen um Daimler

Die Münchner hatten im Dezember von dem angeschlagenen amerikanischen Versicherungskonzerns AIG den Spezialversicherer HSB übernommen. Beim Einstieg Cevians hatte es in Finanzkreisen geheißen, der Investor wolle die Münchener Rück zu einem Verkauf der Erstversicherungstochter Ergo drängen. Das schließt Förberg zumindest vorerst aus: "Das ist kein Thema. Es ist nicht die Zeit, um Geschäftsbereiche zu verkaufen, man sollte eher daran denken zu expandieren."

Schmerzhafter als die Situation bei der Münchener Rück dürften für Cevian die Kursverluste bei Daimler sein. Seit vergangenen Sommer, als der Investor dort eingestiegen sein soll, hat sich der Börsenwert fast halbiert. Zu Daimler wollte sich Förberg nicht äußern. Er sagte allerdings über den Lkw-Markt: "Volvo und Daimler haben eine strategisch gute Position, aber gemessen an ihrem Potential entwickeln sie sich unterdurchschnittlich." An Volvo ist Cevian mit fünf Prozent beteiligt. Daimler habe seinen Größenvorteil nicht ausreichend genutzt. Mittlerweile arbeite das Management aber daran, effizienter zu produzieren und die Marktposition in Asien zu stärken.

Ins Visier nimmt Cevian Capital nach der Münchener Rück auch weitere Finanzkonzerne. "Aber wir werden dort eher in Nischen investieren", so Förberg. Er denke eher an Versicherer als an Banken, die er noch als zu riskant ansieht: "Bei den Banken werden wir weiterhin eher Verstaatlichungen sehen als private Kapitalgeber." Der Ansatz der Regierungen, Aktionären bei den Hilfsaktionen Verluste zuzumuten, sei richtig.

Förberg griff Hedgefonds scharf an. "Wie bei den Banken boten die kurzfristig ausgerichteten Vergütungssysteme der Hedgefonds Anreize, zu hohe Risiken einzugehen." Investoren würden solche Exzesse künftig nicht mehr akzeptieren. Laut Förberg ist die Vergütung der Manager von Cevian an längerfristige Erfolge geknüpft. "Wenn wir in den Firmen auf eine bessere Unternehmensführung drängen, müssen wir selbst auch vorbildlich führen", sagte Förberg.

Das deutsche System der Corporate Governance sei gut, werde aber von den Aktionären nicht ausreichend mit Leben gefüllt. Die Krise zeige, wie wichtig die Kontrolle des Managements durch die Eigentümer sei. "Wenn die Kontrollsysteme besser funktioniert hätten, wären wir nicht in der Krise, in der wir heute stecken."

Förberg hat Cevian 2002 mit Christer Gardell gegründet. Die beiden sehen sich als aktive Investoren, die mit einer "Mischung aus Druck und Dialog" mehr aus den Firmen herausholen, an denen sie sich beteiligen. Insgesamt verwaltet der Investor etwa 3,5 Milliarden Euro. Das Geld kommt von reichen Familien, vom schwedischen Staat, dem amerikanischen Großinvestor Carl Icahn, aber auch von deutschen Banken.

"Viele Gelegenheiten" sieht Lars Förberg, Chef und Mitgründer des Finanzinvestors Cevian Capital, in Deutschland. Zahlreiche börsennotierte Firmen suchten Kapitalgeber - auch um sich vor Übernahmen zu schützen. Foto: Martin Leissl

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Bedauern ohne Reue

Der Amokläufer von Dendermonde äußert sich über seinen Anwalt

Von Cornelia Bolesch

Brüssel - Drei Tage nach seinem blutigen Angriff auf die Kinderkrippe "Märchenland" hat der Amokläufer von Dendermonde erstmals wieder geredet. Kim De Gelder sitzt im Gefängnis von Brügge. Er wird schwer bewacht, um ihn vor der Wut der anderen Insassen zu schützen. Er nehme wieder Nahrung zu sich, heißt es, er wirke aufmerksam und ruhig, zeige aber keinerlei Gefühle. Was den 20-jährigen Flamen dazu trieb, auf die Babys einzustechen, bleibt weiter unklar. Sein Anwalt Jaak Haentjens sagt: "Ich glaube, er bedauert, was geschehen ist. So hat er sich jedenfalls ausgedrückt. Aber ich denke, man sollte das nicht für echte Reue halten."

Kim De Gelder hatte die Kinderkrippe der flämischen Kleinstadt am Freitagmorgen überfallen. Zwei Babys, neun und sechs Monate alt, und eine 54-jährige Betreuerin starben unter seinen Messerstichen. Zehn Kinder und zwei Erwachsene wurden verletzt. Der Täter flüchtete zunächst auf einem Fahrrad, zwei Stunden später konnte ihn die Polizei aber festnehmen. In seinem Rucksack fanden sie ein Messer, ein Beil und eine Pistolenattrappe. Zudem einen schwarzen Eye-Liner und eine Zeichnung von Dendermonde, auf der außer dem "Märchenland" noch zwei weitere Kinderkrippen eingetragen waren.

Stück für Stück kommen Einzelheiten aus dem Leben des Amokläufers ans Licht. Sie zeichnen das Bild eines mental offenbar tief gestörten und schon seit Jahren auffälligen jungen Mannes. De Gelders Anwalt berichtet, sein Mandant habe im Alter von 15 und 16 Jahren eine schwere Depression gehabt. Danach sei er seltsam geworden, habe Stimmen gehört. Die Eltern waren besorgt, wollten ihren Sohn in einer psychiatrischen Einrichtung unterbringen. Doch er ging zunächst nur in eine Therapie. Der behandelnde Psychiater habe eine feste Unterbringung nicht für nötig gehalten.

Kim De Gelder muss sich nicht nur für den Überfall auf die Kinderkrippe verantworten. Er wird außerdem beschuldigt, eine Woche zuvor in der 20 Kilometer von Dendermonde entfernten Stadt Beveren eine 73-jährige Rentnerin in ihrem Wohnhaus erstochen zu haben. Kim De Gelder leugnet bisher strikt, mit dem Mord etwas zu tun zu haben. Die Polizei spricht dagegen von "zahlreichen Verbindungen" zwischen beiden Verbrechen. Belgische Medien berichten, die DNS-Spuren des Amokläufers seien im Haus der Rentnerin entdeckt worden. Angeblich seien bei Kim De Gelder auch zahlreiche Zeitungsausschnitte mit Berichten über den Mord gefunden worden.

Vor der Kinderkrippe in Dendermonde türmt sich unterdessen ein Berg aus Blumen und Spielzeug. Tausende Bürger und Repräsentanten der Politik haben in der Stadt in den vergangenen Tagen in Schweigemärschen und Trauer-Zeremonien der Opfer gedacht. Für Belgien ist es innerhalb weniger Jahre die zweite schwere Amoktat. Vor drei Jahren hatte ein junger Mann aus Rassenhass auf offener Straße in Antwerpen ein Kind und ihre afrikanische Kinderfrau getötet und eine Türkin schwer verletzt. Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.

Trauermarsch: Belgier gedenken am Montag der Opfer der Amoktat. AP

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Orthodoxe Kirche wählt neuen Patriarchen

Mehr als 700 Delegierte aus der ganzen Welt in Moskau versammelt / Kirill, Metropolit von Smolensk und Kaliningrad, ist klarer Favorit

Von Frank Nienhuysen

Moskau - Fast zwei Monate nach dem Tod von Patriarch Alexij II. hat die russisch-orthodoxe Kirche am Dienstagnachmittag mit der Wahl eines Nachfolgers begonnen. Mit dem Ergebnis wurde noch am Abend gerechnet. Spätestens jedoch an diesem Mittwoch soll der Name des 16. Patriarchen feststehen. Als aussichtsreichster Kandidat galt Kirill, der Metropolit von Smolensk und Kaliningrad. Der 62-Jährige, der eine eigene Fernsehsendung hat und zwei Jahrzehnte lang die Außenbeziehungen der Kirche geleitet hatte, führte bereits seit Dezember das Patriarchat übergangsweise. Weitere Kandidaten waren der Metropolit von Kaluga und Borowsk, Kliment, 59, und Filaret, 72, der Metropolit von Minsk.

Zur Wahl des Oberhaupts der russisch-orthodoxen Kirche in der Christi-Erlöser-Kathedrale waren 711 Delegierte aus der ganzen Welt nach Moskau gereist. Fast 200 der Bischöfe, Geistlichen und Laien reisten allein aus der Ukraine an. Auch aus Amerika, Japan und Europa kamen Gesandte zur Abstimmung, unter ihnen vier aus Deutschland. Nach der Oktoberrevolution 1917 hatten russische Orthodoxe im Ausland eine Exilkirche gegründet, die sogenannte Auslandskirche. Patriarch Alexij gelang es vor zwei Jahren jedoch, die Auslands- mit der Heimatkirche wieder zu vereinen.

Die russisch-orthodoxe Kirche hat weltweit 150 Millionen Gläubige, in Russland sind es nach eigenen Angaben etwa 100 Millionen, zwei Drittel der Bevölkerung. Seit dem Ende des atheistischen Sowjetregimes zu Beginn der neunziger Jahre erlebte die Orthodoxie eine Wiedergeburt. Desorientiert durch die Wirren der Wende und wirtschaftlich weitgehend verarmt, suchten viele Russen neuen Halt in der Kirche. Im ganzen Land entstanden mit Unterstützung des Staates neue Kirchen, Klöster und Kathedralen, alte wurden wiederaufgebaut. Symbol hierfür ist die Erlöser-Kathedrale in Moskau, das zentrale Gotteshaus der russischen Orthodoxie. Sie wurde während der Stalin-Zeit zerstört und vor wenigen Jahren unter dem Patriarchat von Alexij II. am Ufer der Moskwa originalgetreu errichtet.

Als Träger nationaler Werte ist die orthodoxe Kirche zu einem wichtigen Machtfaktor der russischen Gesellschaft geworden. Kein Präsident kann es sich leisten, zum Patriarchen auf Distanz zu gehen. Die Kirche wiederum sucht und braucht die Hilfe des Staates. So stellte sie sich in den Tschetschenienkriegen auf die Seite Moskaus. Erst vor drei Jahren wurde an Russlands Schulen wieder der Religionsunterricht eingeführt. Präsident Dmitrij Medwedjew zeigte sich am Wahltag überzeugt, "dass die Entscheidung des Landeskonzils fruchtbar sein wird für die Beziehungen zwischen der russisch-orthodoxen Kirche und dem Staat". Der Vatikan ist gespannt, ob der neue Patriarch einen engeren Dialog mit der katholischen Kirche erlaubt. Alexij II. hat sich während seines 18-jährigen Patriarchats stets gegen einen Besuch des Papstes in Russland gesträubt.

Das Landeskonzil der russisch-orthodoxen Kirche trat am Dienstag in der Christus-Erlöser-Kathedrale in Moskau zusammen, um den neuen Patriarchen zu wählen. Dem bislang größten Gremium der russischen Kirchengeschichte gehörten 711 Bischöfe, Geistliche und Laien aus 60 Ländern an - deutlich mehr Mitglieder als je zuvor. Foto: AP

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Tennis für Triathleten

Hitzerekord, Ärztemangel, Aufgabenflut: Die Australian Open werden zum ultimativen Fitness-Test - Spieler fordern Regeländerungen

Melbourne - Novak Djokovic ging es gar nicht gut. Er war blass. Wackelig auf den Beinen. Unkonzentriert. Er ließ den Physiotherapeuten kommen. Der rieb ihn mit Eiswürfeln ab. Erst die Beine, dann die Arme, schließlich den Nacken. Es half alles nichts. Wenig später gab der Titelverteidiger auf. Im Viertelfinale gegen Andy Roddick. Beim Stand von 6:7, 6:4, 6:2 und 2:1. Und gut 30 Grad. Offizielle Begründung: "Krämpfe" und "Schmerzen im ganzen Körper". "Die Bedingungen waren heute extrem. Das hat mir mehr zu schaffen gemacht als ihm", gab Djokovic zu. Andy Roddick hat sich im Winter Larry Stefanki als neuen Trainer gesucht. Der schaute sich den 26-Jährigen an, der 1,88 Meter misst und 88 Kilogramm wog, und verfügte: "Du musst abnehmen!" Sechs Wochen lang hielt Roddick Diät. Dann war er sieben Kilogramm leichter. Seit er den Ballast los ist, ist er noch selbstbewusster. "Ich dachte, die Bedingungen würden heute noch schlimmer werden", sagte Roddick, als Djokovic von der Bühne gewankt war. Die Australian Open als ultimativer Fitness-Test. Das Thema wird in den nächsten Tagen noch häufiger aufkommen.

Premier lädt zum Wettergipfel

Der Januar war der trockenste, den Melbourne seit 70 Jahren erlebt hat. Kein Regen. Und jetzt zieht auch noch eine Hitzewelle auf. Für den Mittwoch sind 41 Grad vorhergesagt. Donnerstag, Freitag und Samstag soll es 40 Grad geben. So lange so heiß gewesen ist es zuletzt 1908. Im Spielerbereich steht eine Tafel, auf der angezeigt wird, wie hoch das Thermometer klettern wird. Von nun an wird er im leuchtend roten Bereich bleiben. Der Premierminister des Bundesstaates hat wegen des Wetters alle Hilfskräfte zu einem Krisengipfel gebeten. Die Elektrizitätswerke rüsten sich dafür, dass die Klimaanlagen in den nächsten Tagen viel mehr Strom ziehen werden.

Für derlei extreme Bedingungen gibt es beim ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres spezielle Regeln: Die Dächer der Arenen werden geschlossen, um die Sonne abzuhalten. Die Frauen dürfen vor dem dritten Satz eine Pause einlegen. So weit war es Dienstag noch nicht. Als sich die Französin Marion Bartoli und die Russin Wera Swonarewa um 13.15 Uhr zum Viertelfinale in der Rod Laver Arena einfanden, zeigte die Quecksilbersäule noch moderate 25 Grad. Die Arena war offen, es rührte sich kein Lüftchen. Je länger die Begegnung dauerte, desto wärmer wurde es - und desto eindeutiger hatte die offenbar fittere Spielerin Vorteile. Am Ende erzählte das Ergebnis alles, was es vom Spielverlauf zu berichten gab: Nachdem sie 1:3 zurückgelegen hatte, deklassierte Swonarewa Bartoli noch 6:3 und 6:0. "Es war wirklich heiß da draußen", jammerte Bartoli: "Ich finde es unfair, ein Viertelfinale um eins anzusetzen und das andere um halb acht."

Nach Sonnenuntergang war der Auftritt von Publikumsliebling Jelena Dokic anberaumt. Die Abendfrische half der Australierin, die bereits vier Drei-Satz-Kämpfe hinter sich hatte, auch die Partie gegen die Nummer drei der Weltrangliste ausgeglichen zu gestalten. Safina benötigte fast zweieinhalb Stunden, bis sie Dokic 6:4, 4:6 und 6:4 niedergerungen hatte. "Am Tag hätte es vielleicht ein wenig anders ausgesehen", gab die Schwester von Marat Safin zu, die sich in den vergangenen acht Monaten eine Figur wie eine Triathletin zugelegt hat: schlank, sehnig, kein Gramm zu viel. Sieben Kilogramm hat Safina seit Mai 2008 abgenommen. "Wenn ich einen schweren Ball in die Hand nehme und damit laufe, kann ich kaum glauben, dass ich das früher die ganze Zeit mit mir herumgeschleppt habe", sagt die 22-Jährige.

Die meisten Tennisspieler sind Sensibelchen. Über den Spielplan wird immer gerne gemeckert. So viele Beschwerden wie in den vergangenen Tagen hat es über die Ansetzung aber selten gegeben. Vorjahres-Sieger Djokovic setzte sich an die Spitze der Bewegung. Nach seinem Ausscheiden klagte er: "Ich habe die Veranstalter gebeten, mich am Abend spielen zu lassen. Keine Ahnung, was dagegen sprach." Sein Achtelfinale gegen Marcos Baghdatis war in der Nacht zum Montag erst um halb drei Uhr morgens zu Ende gegangen. Bis er die Pressekonferenz absolviert hatte, etwas gegessen hatte und sich hatte massieren lassen, war die Sonne schon wieder aufgegangen. "An Training war am nächsten Tag nicht zu denken", schimpfte Novak Djokovic. Kein Wunder, dass er Roddick unter der sengenden Sonne nicht mit breiter Brust entgegengetreten sei. Der Amerikaner, der keineswegs als Djokovics Freund gilt, hatte teilweise Verständnis. "Nach einer Nachtschicht so früh wieder antreten zu müssen, ist hart", sagt Roddick.

Federer bleibt locker

Schon werden Rufe nach Konsequenzen laut. "Die Organisatoren sollten mehr auf uns hören", fordert Djokovic: "Mir tun die Zuschauer leid. Niemand zahlt Eintritt, um zu sehen, wie ein Spieler aufgibt." Schon vor der Hitzewelle waren auffallend viele Matches nicht zu Ende gespielt worden. Die Weißrussin Viktoria Asarenka brach am Montag im Achtelfinale gegen Serena Williams zusammen, nachdem sie den ersten Satz gewonnen hatte. Die 19-Jährige hatte sich ein Magenvirus eingefangen. Zeitgleich konnte die Chinesin Zheng Jie ihr Achtelfinale gegen Swetlana Kusnetsowa nicht zu Ende spielen, weil sie auf ihr Handgelenk stürzte. Gaël Monfils' Duell mit Gilles Simon beendete ebenfalls eine Verletzung. Es sieht fast so aus, als würde am Ende derjenige die Trophäe bekommen, der sie überhaupt noch halten kann. Als Tomas Berdych in seinem Achtelfinale gegen Roger Federer einen Physiotherapeuten rufen lassen wollte, bekam der Tscheche vom Schiedsrichter zu hören: Einen Moment Geduld, bitte! Im Moment ist keiner verfügbar.

Die vielen Behandlungen bringen die Protagonisten ins Grübeln. Andy Roddick forderte nach dem Erlebnis gegen Djokovic Regeländerungen. "Als ich zu ihm geschaut habe, habe ich gesehen, wie er an der Wade massiert wurde, am Nacken und am Arm. Ich dachte immer, pro Auszeit darf nur eine Verletzung behandelt werden." Nach Djokovics Auszeit hatte Roddick Aufschlag. Ihm unterliefen in dem Spiel drei Doppelfehler. "Wenn man eine halbe Stunde Laufen war, sich zwölf Minuten aufs Sofa setzt und dann wieder sprinten soll, fühlt man sich furchtbar", beschrieb Roddick das Erlebnis. Um es künftig nicht mehr haben zu müssen, fordert er: "Auszeiten nur noch vor dem eigenen Aufschlag!"

Taktische Spielchen mit Verletzungen sind keine Seltenheit. Und Djokovic gilt als heißer Kandidat dafür. "Er hat nicht zum ersten Mal aufgegeben", ist Roger Federer aufgefallen, der meint: "Die Regeln werden missbraucht. Darüber sollten wir reden." Der dreimalige Australian-Open-Champion besiegte am Dienstag im letzten Spiel des Tages den sieben Jahre jüngeren Argentinier Juan Martin Del Potro locker 6:3, 6:0, 6:0. Die Bedingungen spielten dabei keine Rolle. Es hatte angenehme 25 Grad. Federer hatte zuvor gesagt, Tag oder Nacht, Sonne oder Schatten - das sei ihm egal. "Wir Tennisspieler sollten für all das gebaut sein", findet der Schweizer.René Hofmann

Es ist heiß in Melbourne: Titelverteidiger Novak Djokovic (links) leidet darunter und gibt im Viertelfinale gegen Andy Roddick auf. Der Serbe hat Silvester in Europa verbracht und kurz vor dem Turnier den Schläger gewechselt. Mit dem frühen Aus bezahlt er für die mäßige Vorbereitung. Dinara Safina (oben) liefert das Gegenbeispiel: Die Russin hat in den vergangenen acht Monaten extrem hart an ihrer Fitness gearbeitet und sieben Kilogramm abgenommen. Das half der 22-Jährigen, auf dem Weg ins Halbfinale drei Drei-Satz-Matches zu gewinnen. Die Fans feiern das gute Wetter auf ihre Weise - manche mit Beifall in der Badehose. Fotos: Reuters (2), dpa

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Altmodischer Quotenkönig

Alexander Frei passt nicht ins Konzept von BVB-Trainer Klopp - aber seine Torgefahr wird noch gebraucht

Dortmund - Wenn Alex Frei sauer ist, was im letzten halben Jahr besonders oft der Fall war, dann gehen ihm selbst die Wände im Kabinentrakt des Dortmunder Stadions am besten aus dem Weg. Meist schafft Frei es an solchen Tagen, mit knappem oder auch gar keinem Gruß an einem vorbeizuschleichen - manchmal schafft er es aber auch nicht. Dann zischt er düstere Sätze wie, dass er nie so schnell werde wie Stürmer-Konkurrent Jakub "Kuba" Blasczykowski und nie so viel rennen könne wie sein Stürmer-Konkurrent Nelson Valdez. Aber jeder kenne doch seine eigenen Stärken. Und irgendwie klingt an solchen Tagen jeder Silbe wie "Lasst mich bloß in Ruhe".

Alexander, genannt Alex Frei, ist Dortmunds Spieler mit dem vermeintlich höchsten Marktwert (geschätzte neun Millionen Euro), er hat unter allen europäischen Nationalspielern die zweitbeste Trefferquote (35 Tore für die Schweiz; nur übertroffen vom Franzosen Thierry Henry, aber weit vor dem Portugiesen Cristiano Ronaldo) und hat in 57 Spielen für den BVB bisher bemerkenswerte 26 Tore erzielt. Aber in letzter Zeit ist alles anders und Frei meist so sauer, dass Unterhaltungen oft unerfreulich sind.

Das Ungemach begann im vergangenen Sommer, als sich der Torjäger und Kapitän der Schweizer Nati gleich im ersten Spiel der EM eine so schwere Knieverletzung einhandelte, dass er anschließend zweimal operiert werden musste und sich die Reha länger hinzog, als der ungeduldige Frei ertragen konnte. Während der Schweizer noch am Stock ging, musste er mit ansehen, wie unter dem neuen Dortmunder Trainer Jürgen Klopp auf einmal nichts mehr so sein sollte, wie es vorher war. Klopp gab das Schlagwort vom "jagenden Stürmer" aus. Typen wie Valdez, Kuba oder der spezielle Klopp-Schützling Mohamed Zidan passen in dieses Anforderungsprofil weit besser als selbst ein gesunder Frei. Geschweige denn einer, der noch um seine Fitness und seine Form und sein Selbstwertgefühl ringt.

An diesem Mittwoch, an dem der BVB mit dem Pokal-Prolog gegen Werder Bremen in die Rückrunde startet, kann Frei wohl davon ausgehen, dass er auflaufen darf (vermutlich neben Zidan). Das lindert den latenten Zwist mit dem Trainer Klopp. Aber wenn die angeschlagenen Valdez und Kuba wieder gesund sind, muss Frei wieder mit einem offenen Konkurrenzkampf rechnen, der ihm schwer auf die Stimmung schlägt, sobald er nicht das bessere Ende für sich hat.

"Das System von Jürgen Klopp ist für mich neu", gibt Frei zu, "es bedeutet für mich eine Umstellung. Aber das ist kein Problem." Das System von Klopp spiegelt schließlich nur die Idee von modernem Spiel wider: Stürmer pressen unverzüglich gegen den in Ballbesitz gekommenen Gegner und versuchen, den Ball zu erobern. Die Zeiten, in denen Stürmer ihre Energien einzig und allein für den entscheidenden Moment des Torschusses reservieren durften, sind in dieser Spielidee nicht mehr vorgesehen. Einer wie Frei, der zwar ein fleißiger Spieler ist, aber nie an die Laufwerte von Team-Kollegen wie Tamas Hajnal oder Florian Kringe heranreichen wird, wäre in so einem System zum Scheitern verurteilt.

Aber will Klopp das? Publikumsliebling Frei hat zwar in der Hinrunde auch nur vier Tore erzielt und war offenkundig körperlich noch nicht fit - aber seine drei Stürmerkollegen gelten als mehr oder weniger schlimme Chancen-Killer. Valdez brachte es auf zwei Tore, Zidan immerhin auf vier und Kuba auf ein einziges. In der internen BVB-Torschützenliste führt Innenverteidiger Neven Subotic mit fünf Treffern. Selbst der selten eingesetzte Innenverteidiger-Ersatz Felipe Santana (drei Tore) trifft öfter als die Konkurrenten von Frei. Auf nichts weist Frei deshalb so gerne hin wie auf seine Torquote, die ihn vor ein paar Jahren zum Torjäger-König der französischen Liga machte. Kein Wunder, dass die Schweizer Boulevardzeitung Blick den Nationalhelden Frei auffordert: "Wann stopft er Klopp endlich das Maul!"

BVB-Boss Hans-Joachim Watzke hat Frei damals persönlich in Frankreich losgeeist und sieht ihn als "Mann mit eingebauter Torgarantie". Aber die Mannschaft stellt Klopp auf. "Es ist normal, dass man als Trainer bei einem Profi mal höher und mal schlechter in Kurs steht", sagt der Trainer, "aber es gab für mich in meiner Trainer-Laufbahn noch nie eine persönlich gefärbte Entscheidung." Jetzt, da Frei fit sei, hätten sich seine Einsatzchancen erheblich verbessert.

Kann sein, dass Klopp damit auch sein eigenes, systemimmanentes Dilemma beschreibt: Zumindest zwei seiner "jagenden Stürmer" sind so torungefährlich, dass selbst der Masseur auf der Bank kaum weniger bedrohlich für den Gegner wirkt. Frei dagegen versteht sich als altmodischer Stürmer: Seine Schusstechnik bei ruhendem Ball gehört zu den besten in Europa, er lauert und trifft und ist ein Egoist - wie alle Torjäger. Klopp weiß das alles. Fragt sich nur, was ihm wichtiger ist: Freis Tore aus dem Nichts oder die disziplinierte Abwehrarbeit seiner Sturm-Kontrahenten. "Wir jedenfalls", sagt Vorstandschef Watzke, "haben keinerlei Absichten, Alex abzugeben." Aber wie lange Frei sich noch auf die Bank setzen würde, das weiß auch Watzke nicht. Freddie Röckenhaus

DFB-Pokal, Achtelfinale

Dienstag

Carl Zeiss Jena - Schalke 04

Hamburger SV - 1860 München

SC Freiburg - FSV Mainz 05

VfB Stuttgart - Bayern München

Mittwoch

Borussia Dortmund - Werder Bremen 19.00 Uhr

Bayer Leverkusen - Energie Cottbus 19.00 Uhr

VfL Wolfsburg - Hansa Rostock 20.30 Uhr

Karlsruher SC - SV Wehen Wiesbaden 20.30 Uhr

Der Nachteil an einem klassischen Stürmer ist, dass er kein modernes Pressing spielt. Der Vorteil: Er schießt viele Tore - wie Dortmunds Alex Frei. Foto: dpa

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Billige Tarife, hoher Gewinn

E-Plus jagt den Konkurrenten mit Discountstrategie Kunden ab

Düsseldorf - Seit vier Jahren konzentriert sich E-Plus auf den Verkauf billiger Mobilfunktarife und gewinnt damit stetig Marktanteile von Konkurrenten wie T-Mobile, Vodafone oder O2. Vergangenes Jahr sei die Zahl der Kunden um ein Fünftel auf 17,8 Millionen in Deutschland angestiegen, sagte der Chef der KPN-Tochter Thorsten Dirk am Dienstag.

Der Mobilfunker steigerte seinen Gewinn auch, weil er fast ein Drittel weniger Geld für einen neuen Kunden ausgegeben hat. Möglich war dies, weil E-Plus die Zahl seiner eigenen Verkaufsshops um 200 auf 700 ausbaute. Anders als beim Verkauf über freie Händler muss das Unternehmen hier keine hohen Verkaufsprovisionen zahlen. Der operative Gewinn stieg im abgelaufenen Quartal um 14 Prozent auf 317 Millionen Euro. Allerdings sank der Gewinn je Kunde von 17 auf 15 Euro. Dies lag daran, dass Verbraucher für das mobile Telefonieren im vergangenen Jahr in Deutschland generell weniger zahlten. Die Tarife für Anrufe, SMS oder Datendienste sanken durchschnittlich um etwa zwei Prozent.

Mehr Kunden bedeutet eine höhere Auslastung für das Mobilfunknetz von E-Plus, diese stieg um ein Fünftel an. Gleichwohl will Dirks mit einem dreistelligen Millionenbetrag nur ebenso viel in den Netzausbau investieren wie im Vorjahr. Aus Kostengründen baut E-Plus sein Netz langsamer aus als andere Wettbewerber. Heute koste eine UMTS-Basisstation nur noch ein Drittel so viel wie 2004, sagte Dirks. Für Kunden von E-Plus bedeutet dies, dass beispielsweise der Datentransport in bestimmten Regionen langsamer ist als bei der Konkurrenz.

E-Plus bleibt Umsatz- und Gewinntreiber der Mutter KPN, die als Erste der großen europäischen Telekomgesellschaften Zahlen für das Schlussquartal vorlegte. Sie steigerte ihren operativen Gewinn um 5,3 Prozent auf 1,28 Milliarden Euro und traf die Erwartungen von Analysten. Die Aktie legte am Mittag um knapp drei Prozent auf 10,60 Euro zu. Bislang hat das Unternehmen kaum etwas von dem wirtschaftlichen Abschwung gespürt. Deshalb hält KPN an seiner Prognose für 2010 fest. dom

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Aktionärstreffen bei Siemens: Kritische Anteilseigner und ein neuer Partner in Russland

Die Löscher-Cromme-Show

Der Vorstandsvorsitzende und der Chef des Aufsichtsrats sind um gute Laune bemüht. Doch die Aktionäre kritisieren lieber die Gehaltserhöhungen

Von Karl-Heinz Büschemann

München - Wolfgang Niemann ist früh dran. Schon kurz nach acht Uhr steht der 67-Jährige an diesem nebeligen Morgen vor der Münchner Olympiahalle und spricht ins Mikrophon des ZDF. Ja, sagt der Vertreter des Vereins von Belegschaftsaktionären in der Siemens AG, er wolle auf der Hauptversammlung von Siemens Kritik üben an den viel zu hohen Gehältern von Vorstand und Aufsichtsrat. Die seien "in einem in keiner Weise vertretbaren Ausmaß angehoben worden", klagt der Mann, dessen Verein etwa 6000 Siemens-Belegschaftsaktionäre vertritt. Das sei zum Teil trickreich geschehen und verrate ein "erstaunliches Maß von Unsensibilität und Maßlosigkeit".

Dann strebt er in die Halle, um als einer der Ersten seine Karte für eine Wortmeldung abzugeben. Schüchtern steht der hagere Mann dann in der noch leeren Halle. Von 1970 bis 2006 sei er Mitarbeiter von Siemens gewesen, erzählt er, zwei Jahrzehnte davon als Betriebsrat. Stets sei ihm aufgefallen, dass auf den Hauptversammlungen die Interessen der Mitarbeiter zu kurz kommen: "Wir geben den Betriebsangehörigen eine Stimme." Es wird an diesem Dienstag lange dauern, bis Niemann an ein Mikrophon vorne im Saal treten kann. Denn die strenge Regie des Aufsichtsratsvorsitzenden Gerhard Cromme hat Niemanns Wortmeldung weit in den Nachmittag geschoben.

Cromme, 65, der seit zwei Jahren Chef des Siemens-Aufsichtsrates ist und der den jetzigen Konzernchef Peter Löscher, 51, auf seinen Posten hob, haben anderes im Sinn. Sie wollen an diesem Vormittag das Signal aussenden, dass der Technologiekonzern die leidige Korruptionsaffäre hinter sich gelassen hat und dass der Konzern trotz der drohenden großen Wirtschaftskrise baumfest steht - kurz, dass Siemens wieder ein normales Unternehmen ist. "Nach zwei schwierigen Jahren steht Siemens wieder auf einem festen Fundament der Integrität", sagt der Aufsichtsratsvorsitzende, vor den knapp 10 000 Aktionären.

Unternehmenschef Löscher hat an diesem Tag die Rolle des Berufsoptimisten übernommen. Das Thema Korruption, sagt er am Rande der Versammlung, spiele in seinem Tagesablauf keine Rolle mehr. Gleichzeitig vermittelt er in der Olympiahalle auch den Eindruck, die allgemeine Finanz- und Wirtschaftskrise laufe an Siemens vorbei. Ein solches Maß an Optimismus ist schon überraschend, vor allem für den gebürtigen Österreicher, der stets so ernst dreinschaut. "Wir sind robust aufgestellt", sagt er. Er sehe "keinen Grund, in den Chor derer einzustimmen, die mit düsteren Äußerungen die Stimmung weiter in den Keller ziehen". Er sehe keinen Grund, die Gewinnziele für 2009 nach unten zu korrigieren, meint er trotzig.

In kleiner Runde erklärt er, dass er auch höherer Weisung folge, wenn er sich als einer der wenigen Optimisten zeige. Bundespräsident Horst Köhler habe ihm vor wenigen Tagen bei einem Abendessen ins Gewissen geredet und darum gebeten, nicht in das allgemeine Schwarzmalen mit einzustimmen. "Natürlich werden auch wir die Krise spüren", räumt Löscher ein. Siemens sei besser vorbereitet als andere, sagt er und strebt dann seinem Platz auf dem Podium zu.

Regisseur Cromme hat auch Theo Waigel zu dem Aktionärstreffen bestellt, den ehemaligen Bundesfinanzminister, der seit dem 1. Januar die neue Rolle des Chief Compliance Officer übernimmt. Der Politiker soll dafür sorgen, dass es bei Siemens nie wieder zu Korruption kommen kann. Bestens gelaunt gibt sich Waigel im Gespräch mit den heute versammelten Siemens-Honoratioren. Er gehe gerne an den Wittelsbacherplatz, schwärmt er.

Das sei doch der schönste Arbeitsplatz in München: "Die Arbeit macht Spaß." Er freue sich darauf, bei seinem nächsten Besuch bei den Justiz- und Börsenbehörden in Washington auf "ein paar alte Kumpels" zu treffen, die er noch aus seiner Ministerzeit kenne. Mancher bedauerte, dass Waigel auf der Hauptversammlung nicht redet. Vielleicht hätte Cromme seinen neuen Oberpolizisten auf die Rednerliste setzen sollen, denn so ganz geht seine Planung für diesen Tag nicht auf. Schon der erste Redner haut dem Aufsichtsratsvorsitzenden das Gehaltsthema um die Ohren. "Ich hätte mir in der Frage der Gehälter etwas mehr Bescheidenheit gewünscht", beklagt eine Aktionärsvertreterin. Ein Redner meint, für den Aufsichtsrat hätte angesichts der Klärung der Korruptionsaffäre auch eine einmalige Sonderzahlung gereicht.

Cromme ist sauer: Er fühlt sich missverstanden und wohl auch ungerecht behandelt. Die von den Belegschaftsaktionären verbreiteten Zahlen seien "falsch". Er müsse doch gute Leute für die Arbeit im Aufsichtsrat gewinnen. Solche Leute hätten ihren Preis. Bei Siemens gebe es zudem 1000 Leute, die mehr verdienten als er. "Ich könnte woanders mehr verdienen", mault Cromme noch, bevor er auf das Podium steigt, um die Hauptversammlung zu eröffnen.

Konzern-Chef Peter Löscher (links) und der Vorsitzende des Aufsichtsrats, Gerhard Cromme, auf dem Podium: "Siemens ist immer wieder gestärkt aus Krisen hervorgegangen", sagte Löscher. F.: AP

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Der Treck nach Osten

Der Münchner Technologiekonzern arbeitet im Kernkraft-Geschäft nun mit Russen zusammen - die Firma Atomenergoprom wurde per Dekret des Staates geschaffen

Von Frank Nienhuysen

Moskau - Die Ostdrift von Siemens in der Atomwirtschaft wäre so radikal wie naheliegend. Russland setzt trotz seines Reservoirs an Öl und Gas auf die Kernenergie, und es gibt dort keine Grünen oder Sozialisten, die den Kurs der Regierung bremsen oder ändern könnten. Bis 2020 will Moskau die Zahl der heimischen Kernreaktoren von derzeit 31 auf 59 erhöhen, um so den Anteil der Atomenergie an der Stromerzeugung in den nächsten zehn Jahren auf knapp 25 Prozent zu erhöhen. Im Gegenzug wird der Gaskonzern Gazprom seinen Beitrag deutlich drosseln.

Erdgas teuer an den Westen zu verkaufen ist für den Konzern erheblich rentabler, als es für die heimische Stromgewinnung zu opfern. Profiteur dieser neuen Strategie ist auch Atomenergoprom, mit dem der deutsche Siemens-Konzern nun offenbar Geschäfte machen will. Eine Anfrage zur möglichen Zusammenarbeit ließ das russische Unternehmen am Dienstag zunächst unbeantwortet. Atomenergoprom ist erst vor zwei Jahren durch ein Dekret des damaligen Präsidenten Wladimir Putin gegründet worden. Putin wollte Ordnung in die unübersichtliche russische Atomindustrie bringen und straffte so die wilden Strukturen, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ergeben hatten.

Atomenergoprom ist eine Holding vollständig in der Hand des russischen Staates und Teil des gewaltigen Apparates von Rosatom, das für den gesamten russischen Nuklearkomplex zuständig ist. Der Rosatom-Vorsitzende Sergej Kirijenko, unter Boris Jelzin einst russischer Ministerpräsident, ist zugleich Chef des Direktorenrats bei Atomenergoprom.

Der Wunschpartner vom Siemens konzentriert sich allein auf den zivilen Bereich, aber auch das ist eine umfangreiche Aufgabe. Atomenergoprom ist ein Konglomerat aus 89 verschiedenen Nuklear-Unternehmen, umfasst unter anderem den Betreiber der Kernkraftwerke, Energoatom, deren Hersteller Atomenergomasch, den Uran-Händler Tenex sowie den Konzern Atomstrojexport. Dessen Auftragsbücher sind besonders gut gefüllt, denn er verantwortet den Export und den Bau russischer Kernkraftwerke im Ausland, und davon gibt es in der Welt derzeit reichlich.

Atomstrojexport wirbt damit, dass er gerade in vier Ländern gleichzeitig Atommeiler baut und damit bereits 20 Prozent des Weltmarktes ausmache. Der umstrittene Reaktor im iranischen Buscher gehört dazu, Indien, China und Bulgarien sind weitere Abnehmer russischer Atomtechnik. Beim Bau des Kernkraftwerks im nordbulgarischen Belene ist Siemens ohnehin bereits Partner der Russen in einem Konsortium, dem auch Areva angehört. Und erst vor wenigen Tagen erhielt Atomstrojexport auch noch den Auftrag zum Bau des ersten Kernkraftwerks in Weißrussland, das 2016 ans Netz gehen soll.

Pikanterweise setzte sich das russische Unternehmen dabei gegen den französischen Konkurrenten Areva durch. Siemens trennt sich gerade von seiner Beteiligung an Areva. Atomenergoprom wäre also ein gewinnbringender Partner - in Russland, wo die Kernenergie auch dank der staatlich gelenkten Medien in keiner Weise in Frage gestellt wird, wie auch beim Export in energiehungrige Länder wie China und Indien. Mehr als sieben Milliarden Euro haben die Unternehmen der Holding nach eigenen Angaben allein von Januar bis September vergangenen Jahres erwirtschaftet. Dann kam die Finanz- und Wirtschaftskrise. Aber dies dürfte die Manager von Atomenergoprom nur bedingt umtreiben. Die Nachfrage nach Kernenergie ist offensichtlich sogar belebt worden. Unklar ist nur, inwieweit die russische Regierung ihre Investitionen aufrechterhalten kann, die in Milliardenhöhe in Nukleartechnik fließen sollen. Dem Land droht für 2009 die Rezession. (Kommentare)

Regenbogen über einem russischen Atomkraftwerk. Foto: Energoatom

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Büro sündteuer renoviert

John Thain, Ex-Chef von Merrill, zahlt 1,2 Millionen Dollar zurück

New York - Der zurückgetretene frühere Merrill-Lynch-Chef John Thain zeigt Reue wegen der millionenschweren Luxus-Renovierung seiner Büroräume. Er werde die Kosten persönlich erstatten, kündigte der 53-Jährige in einem US-Fernsehinterview an. Die Neuausstattung hatte rund 1,2 Millionen Dollar gekostet. Die Investmentbank Merrill Lynch wurde von der Bank of America übernommen. Nach einem überraschend hohen Milliardenverlust zum Jahresende 2008 trat Thain auf Druck der Bank of America letzte Woche zurück. Die Renovierung seines Büros sowie zweier Konferenzräume und eines Empfangsbereichs seien vor mehr als einem Jahr in einem wirtschaftlich "noch sehr anderen Umfeld" erfolgt, sagte Thain. "Dennoch waren sie aus heutiger Sicht ein Fehler", räumte er zuvor auch in einer E-Mail an seine früheren Kollegen ein.

Der Manager hatte die Übernahme seines wankenden Instituts im September 2008 eingefädelt. Der zunächst als Überraschungscoup gefeierte Zukauf wurde für die Bank of America zum Debakel. Merrill Lynchs jüngster Quartalsverlust von mehr als 15 Milliarden Dollar zwang die Bank of America, noch mehr staatliche Hilfen anzufordern. Auch Konzernchef Kenneth Lewis steht nun selbst massiv in der Kritik. dpa/AFX

Zeigt Reue: John Thain. Foto: AFP

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Sieger sehen anders aus

Ein Anleger wurde betrogen. Das Gericht gab ihm recht, doch sein Geld sah er nie wieder. Heute ist er pleite. Eine Geschichte über die Suche nach Gerechtigkeit

Von Hannah Wilhelm

Dortmund - Frank Planeck war mal ein Sieger. Ein Gewinner war er, einer der auf der richtigen Seite stand. Er hat vor dem Bundesgerichtshof gewonnen, hat das wichtigste Urteil errungen, das ein Kleinanleger jemals erreicht hat. Das war am 19. Juli 2004. An das Glücksgefühl dieses Sommertages erinnert er sich noch heute. Alle waren sie da, die Reporter aus der ganzen Republik, angereist nach Karlsruhe, um ihm beim Siegen zuzusehen. Er war ihr Held. Am Abend fuhr er nach Hause nach Dortmund, ging schick essen und dachte darüber nach, dass jetzt ein neues Auto drin sein könnte. Endlich.

Heute lebt Frank Planeck alleine, auf 35 karg möblierten Quadratmetern. Schmal ist er geworden, und wenn er an die vergangenen vier Jahre denkt, dann zieht der 48-Jährige seinen Mund zu einem schiefen Lächeln, das verzweifelt und hilflos aussieht. Die Falten um den Mund verraten, wie oft er sich zu diesem Lächeln und zum Durchhalten gezwungen hat. Sieger sehen anders aus.

Planecks Leiden beginnt 2000, als der Neue Markt mit all seinen hippen Internetunternehmen mit einem lauten Krach in sich zusammenbricht. Er hinterlässt zahlreiche verzweifelte Kleinanleger, deren Geld in nahezu wertlosen Aktien steckt. Viele Deutsche haben sich das erste Mal in ihrem Leben an die Börse gewagt und verloren, so auch der Fleischermeister Frank Planeck.

Aber am 19. Juli 2004 vor dem Bundesgerichtshof ist er der Vorkämpfer all dieser Kleinanleger: Er hat die beiden Vorstände des Unternehmens Infomatec, Gerhard Harlos und Alexander Häfele, verklagt, dessen Aktien er gekauft hat. Gut 90 000 Mark investierte er, weil ihn die Zahlen des Unternehmens so überzeugten. Doch die Vorstände haben gelogen, die angekündigten Aufträge gibt es nicht. Die Aktien stürzten ab und Planeck verlor alles. Der BGH spricht ein "Machtwort", wie die Presse damals jubelnd schreibt. Planeck soll alles wiederbekommen, 90 000 Mark plus Zinsen. Er ist glücklich, am 19. Juli 2004.

Doch er hat das Geld bis jetzt nicht bekommen. Keinen Cent. Heute lebt Planeck von 638 Euro im Monat, seine Schulden sind so hoch, dass er vielleicht Privatinsolvenz anmelden muss. Aus dem neuen Auto wurde nichts, für 300 Euro kaufte er einen 17 Jahre alten Opel Corsa. Aus seinem Haus musste er ausziehen - nun müssen 35 Quadratmeter reichen.

Auf dem Sims vor dem Balkon stapeln sich Bücher aus der Stadtbibliothek, Fachbücher über Börse und Medizin. "Ich lese viel", sagt er, was soll er auch sonst tun mit seiner ganzen Zeit? Planeck ist krank. Es gibt sogar Tage, an denen er zu schwach zum Laufen ist. Die Reporter, die über ihn und seinen Erfolg vor Gericht berichtet haben, sind weitergezogen und Planeck ist alleine sitzengeblieben in seinem Leben, in seinem Albtraum, den auch er gerne verlassen würde. Oft denkt er darüber nach, ab welchem Punkt alles in die verkehrte Richtung lief. "Solche Gedanken kommen, wenn man zu viel Zeit zum Nachdenken hat."

Früher, in seinem ersten Leben, hat er überhaupt keine Zeit. 70, 80 Stunden Arbeit pro Woche sind normal und es geht ihm gut damit. Er macht seine Ausbildung zum Fleischermeister in der Metzgerei seiner Eltern in Dortmund, ist einer der jüngsten Meister Deutschlands. Er steigt ins Geschäft der Eltern ein, hat 20 Mitarbeiter, ein eigenes Haus, eine Frau und einen kleinen Sohn. Es läuft gut für Frank Planeck. Finanzen sind sein Ding, schon immer. Hätten die Eltern nicht so sehr darauf gedrängt, dass er den Betrieb übernimmt, wäre er vielleicht lieber Banker geworden. Nun macht er es eben als Hobby: Er beobachtet die Börse und als 1996 die Telekom und viele Deutsche an die Börse gehen, geht er mit. "Das war der größte Fehler meines Leben", sagt er heute und nippt an seinem Wasser, "hätte ich das nicht gemacht, dann wäre es später nicht so gekommen."

1999 hat der damals 38 Jahre alte Fleischermeister endgültig Feuer gefangen und mit ihm brennt die ganze Börse. Alle jubeln, alle feiern, Erfolgsmeldungen werden veröffentlicht, mit der Wahrheit nimmt man es nicht immer ganz genau. So klettert die Aktie des kleinen Internetunternehmens Infomatec aus Augsburg auf zwischenzeitlich 318 Euro. Alles ist möglich im Neuen Markt. Planeck glaubt die Meldungen und kauft - für 90 000 Mark, dafür nimmt er einen Kredit auf seine Lebensversicherung auf. "Es sah alles so gut aus und ist ja von allen Seiten geprüft und testiert worden." Spekulieren auf Kredit, wie riskant das ist, erkennt er damals nicht.

Ein Jahr später bricht Planecks Leben zusammen. Seine Lunge macht nicht mehr mit, die Ärzte sagen, er müsse sich ausruhen, sie schicken ihn sechs Wochen zur Kur auf die Insel Norderney. Der zuvor sportliche Mann kommt kaum die 20 Stufen zu seinem Zimmer hoch, im Schwimmbad schafft er nicht mal mehr eine Bahn. Mittags sitzt er an der Strandpromenade, "die Sonne schien und ich wusste nicht, ob ich überhaupt noch leben wollte".

Einmal läuft er bei Ebbe alleine weit raus ins Watt. Er weiß, dass das lebensgefährlich ist. Er sammelt Muscheln, findet den Weg zurück. Die Muscheln liegen heute in einer Glasschale in seinem kargen Zimmer.

Als er im Herbst 2000 nach Dortmund zurückkehrt, sind seine Aktien fast wertlos. Die Erfolgsmeldungen des Unternehmens stimmten nicht, die Vorstände haben gelogen. Planeck zieht vor Gericht, er braucht das Geld, er muss seine Kreditraten zahlen. Geld verdienen kann er nicht, er ist berufsunfähig, seine Lunge erholt sich nicht mehr. Drei Jahre dauert der Weg durch die Instanzen - bis zu jenem 19. Juli 2004. Da ist es dann endlich geschafft. Gleichzeitig werden die beiden Vorstände wegen verbotener Insidergeschäfte und Kursbetrugs zu Gefängnis verurteilt. Der Freistaat Bayern pfändet das Vermögen der beiden. Das Geld ist in Sicherheit, denkt Planeck, und dass er das Geld später dann bekommen wird. Doch damit liegt er falsch.

Der Freistaat hat ihm das Geld nie ausgezahlt, die Millionen sind stattdessen im bayerischen Haushalt verschwunden. Auf die Anfrage des Grünen-Abgeodneten Martin Runge erklärt Bayerns Justizministerin Beate Merk 2006: "Nach Haushaltsrecht besteht keine Möglichkeit, auf Vermögenswerte zu verzichten, die dem Justizhaushalt infolge einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zugeflossen sind." Mit anderen Worten: Einmal Haushalt, immer Haushalt. Planeck ist fassungslos, das Glück hat ihn verlassen. Er zieht vors Verfassungsgericht, die Klage wird abgewiesen: Sein Anwalt habe nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft. Also verklagt er seinen Anwalt. "Ich dachte, er hätte einen Fehler gemacht", sagt Planeck, "ich brauche das Geld so dringend - und bei einem Anwaltsfehler zahlt doch dessen Haftpflichtversicherung." Plötzlich sind da wieder die tiefen Falten um seinen Mund. Eigentlich war da sowas wie Freundschaft zwischen ihm und dem Anwalt, sagt er, doch Planeck hat den Prozess verloren und mit ihm auch die Freundschaft.

Es ist nicht die einzige Freundschaft, die der Dortmunder verloren hat, auf seiner Suche nach der Gerechtigkeit und den Schuldigen. Drei Freunde seien ihm geblieben, seine Frau zog 2002 aus. "Wenn man oben ist, lieben sie einen. Wenn man unten ist, nicht", folgert der Schwerkranke. Und er versteht sie ja, die die gegangen sind: "Ich kann nicht mit Essen oder ins Kino gehen. Ich habe einfach kein Geld für sowas." Vorher sei er ehrgeizig gewesen und kühl, jetzt sei er anders, viel weicher, erklärt er. Doch während er das sagt, ist sein Gesicht ganz und gar nicht weich.

Wütend ist er schon, nicht so sehr auf die beiden Vorstände, die ihn belogen haben. "Die kann ich irgendwie verstehen, sie waren clever und haben gut Geld damit verdient." Wütend ist er auf die Politik, den Staat. Schützen hätte der ihn müssen, statt dessen hat er versagt, ihn im Stich gelassen. "Die fehlende Aufsicht des Staates hat das Ganze erst möglich gemacht." Immer wieder kommt er darauf zu sprechen, sein Leben dreht sich um diese Wut. Einen Beruf hat er ja nicht mehr, nur seine Krankheit, allergische Schocks, Atemnot, immer wieder - und diese Wut. Wenn er so redet, ist sein Gesicht endgültig hart.

Vor kurzem habe die Staatsanwaltschaft ihm einen Brief geschrieben: Die von den Vorständen beschlagnahmten Aktien sollen verkauft werden und Planeck solle sie doch bitte freigeben, sonst werde sie gerichtlich gegen ihn vorgehen. Da lacht Planeck wieder. "Das kann ich nicht machen! Das ist doch mein Geld, ich habe doch vor Gericht gewonnen." Er unterschreibt nicht, warum auch, er hat ja nichts zu verlieren. 638 Euro Berufsunfähigkeitsrente bekommt er, davon braucht er 270 Euro für die Miete, mit 100 Euro zahlt er noch seinen Kredit ab, ein Tropfen auf den heißen Stein, seine Schulden belaufen sich mittlerweile auf 60 000 Euro.

Dass der Fall Infomatec sein Leben zerstört hat, findet Planeck nicht. "Verändert hat es mich", sagt er nachdenklich, "es hat meinem Leben eine andere Richtung gegeben." Klar wäre es besser, wenn er nicht diese finanziellen Sorgen hätte. Früher, da schaute er aus seinem Haus auf seinen 800 Quadratmeter großen Garten mit den duftenden Rosenbeeten. Jetzt hat er nur einen Balkon, klein wie ein Bett, mit hässlichen grauen Betonplatten auf dem Boden. Da steht er nun, blickt auf die Garagen der Nachbarn und sagt: "Aber sehen Sie doch, die Bäume im Abendlicht und ab und zu fliegt ein Graureiher vorbei. Da kann man doch nicht von einem zerstörten Leben sprechen."

"Die Sonne schien, und ich wusste nicht, ob ich überhaupt noch leben wollte."

Er bekommt 638 Euro

im Monat, mittlerweile hat er

60 000 Euro Schulden.

Frank Planeck in einem Waschsalon: Er erstritt vor mehr als vier Jahren das wichtigste Anlegerurteil vor dem Bundesgerichtshof. Gebracht hat ihm das nichts: Heute ist er so gut wie pleite. Foto: Volker Wiciok/Lichtblick

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Wenn Supermanager fliegen

Mitten in der Finanzkrise kauft die Citigroup einen Privatjet für ihre Vorstände. Wert: 50 Millionen Dollar. US-Politiker sind empört

New York - Diese Meldung musste für Ärger sorgen: Die US-Großbank Citigroup wird für 50 Millionen Dollar einen neuen Firmenjet kaufen. Das tut sie in einem Moment, in dem die US-Regierung dem wankenden Bankriesen mit insgesamt 45 Milliarden Dollar unter die Arme greift.

Die Bank habe das Flugzeug des französischen Typs Dassault Falcon 7X im Jahr 2005 bestellt und wolle damit ältere Modelle ersetzen und die Zahl der Firmenjets reduzieren, heißt es in einer E-Mail der Citigroup an die Nachrichtenagentur Bloomberg. Das Flugzeug jetzt nicht zu übernehmen, würde Millionen an Strafzahlungen nach sich ziehen, hieß es dort weiter. Außerdem würden im Gegenzug zwei ältere Flugzeuge für je 27 Millionen Dollar verkauft. Die Bank wies außerdem darauf hin, dass es strenge Unternehmensregeln zum Einsatz der Firmenjets gebe und die Manager aufgerufen seien, wann immer möglich Linienflüge zu buchen, um Geld zu sparen.

Das alles half nicht: Carl Levin, demokratischer Senator für Michigan, rief das US-Finanzministerium umgehend auf, den Kauf des Flugzeugs zu prüfen. "Der Citigroup den Kauf eines Nobelflugzeugs - und dann auch noch ein ausländisches Fabrikat - zu erlauben, während die US-Autobauer ihre Jets verkaufen müssen, ist lächerlich und scheinheilig."

Dass er sich besonders ärgert, ist verständlich. Die Zentralen der großen Autobauer sind in seinem Bundesstaat Michigan beheimatet, in und um die "Motor City" in Detroit. Die Chefs von General Motors, Ford und Chrysler hatten Ende des Jahres die geballte Häme des Kapitols über sich ergehen lassen müssen, weil sie zu einer Anhörung mit dem Privatjet angereist waren, um Milliardenhilfen zu erbetteln. Zu einer späteren Anhörung kamen sie dann über Land in umweltfreundlichen Limousinen gefahren.

Politisch interessant ist die Geschichte, weil es einen Entwurf des staatlichen Banken-Rettungsprogramms TARP gab, in dem die Nutzung von Firmenjets komplett untersagt werden sollte. Der Entwurf musste aber geändert werden. Die Vertreter von Bundesstaaten, in denen Flugzeugbauer beheimatet sind, wehrten sich vehement. Nach Angaben der New York Times könnte es nach dem Jet-Kauf von Citigroup gut sein, dass nochmals über ein komplettes Verbot von Firmenjets für hilfsbedürftige Banken nachgedacht wird.

Die Citigroup zählt weltweit zu den größten Opfern der Finanzkrise. Der amerikanische Staat musste bislang nicht nur mit einer Beteiligung in Höhe von 45 Milliarden Dollar einspringen - er spannte außerdem durch weitere Garantien einen enormen Rettungsschirm über die Bank. Reuters/dpa

Exklusiver Firmenjet für die Citigroup: Dassault Falcon 7X. F.: AP

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Renault ist Schlusslicht bei Rückrufen

Bundesverkehrsministerium legt Zahlen für die vergangenen 16 Jahre vor. Deutsche Hersteller schneiden überwiegend gut ab

Von Thomas Öchsner und Michael Bauchmüller

Berlin - Ein modernes Auto soll möglichst viele Jahre ohne Pannen und Fehler laufen. Jedes neue Fahrzeug wird deshalb akribisch geprüft, bevor es beim Kunden landet. Trotzdem ist nicht jedes Mal alles perfekt: Immer wieder kommt es zu Rückrufaktionen, weil nachträglich Mängel auftauchen. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Bärbel Höhn wollte es nun ganz genau wissen. Sie fragte beim Bundesverkehrsministerium nach, wie sich die Rückrufaktionen in den vergangenen Jahren auf die Autohersteller verteilen. Die Antwort, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, ist vor allem für Renault schlecht: Der französische Hersteller führt die Liste der Rückrufaktionen mit weitem Abstand an. Die deutschen Hersteller können sich dagegen freuen: Sie schneiden etwas besser ab als die ausländischen Hersteller.

Insgesamt kommt Renault nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums auf 101 verschiedene Rückrufe von Anfang 1993 bis Ende 2008. Auf Platz zwei rangiert Ford mit 73 Rückrufen, gefolgt von Fiat mit 62 und Chrysler mit 52. Auffällig ist das gute Abschneiden der deutschen Premium-Hersteller BMW, Mercedes und Porsche. VW und Audi liegen dagegen eher im Mittelfeld (Tabelle). Die Zahlen beruhen nicht auf einer eigenen Erhebung des Verkehrsministeriums. Sie stammen vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), das jedes Jahr eine Rückruf-Statistik vorlegt. In der Aufstellung des Ministeriums werden Omnibusse, Motorräder, Lkw und kleine Lieferwagen nicht mitgezählt.

Tücken der Statistik

Der ADAC warnte jedoch davor, von der Zahl der Rückrufe auf die Qualität einer Automarke zu schließen. "Es ist ein gutes Zeichen, wenn sich Hersteller ihrer Verantwortung beim Thema Sicherheit stellen", sagte ein Sprecher des Automobilklubs dazu. Dies sei viel besser, "als Probleme totzuschweigen und die Fehler in den Werkstätten heimlich zu bearbeiten". Außerdem ist die Statistik insofern trügerisch, als die Zahl der Rückrufe nicht in Beziehung gesetzt wird zur Menge der verkauften Autos. Hinzu kommen große Unterschiede bei der Zahl der vom KBA ermittelten Halteranschriften pro Rückruf. Hier liegt der Durchschnittswert bei BMW zum Beispiel bei 171 606 Fahrzeugen, bei Renault sind es nur 8923.

Das Flensburger KBA hatte für 2007 insgesamt 157 Rückrufaktionen gezählt. Das waren sechs Prozent weniger als im Vorjahr. 2006 war die Zahl noch deutlich gestiegen. Das Amt kann im Fall einer Rückrufaktion die Halter der Fahrzeuge ermitteln, bei denen der Hersteller einen Mangel entdeckt hat. Die Zahl der Fahrzeuge, die zurück in die Werkstatt müssen, hat sich zuletzt deutlich verringert. Nach Angaben des Amtes fiel sie von durchschnittlich 11 080 Fahrzeugen pro Aktion über 6090 im Jahr 2006 auf 3420 im Jahr 2007. Für diese Entwicklung kann es nach Angaben der KBA verschiedene Ursachen geben: So können die Hersteller zum Beispiel die Produktmängel besser auf bestimmte Fahrzeugserien einschränken und auch mit eigenen Adressen die Aktion abwickeln. Das Durchschnittsalter der zurückgerufenen Fahrzeuge belief sich auf 3,5 Jahre.

Branchenexperten wiesen darauf hin, dass der zunehmende Anteil von Elektronik in den Fahrzeugen eine Schwachstelle darstelle. Diese Einschätzung teilt das Kraftfahrt-Bundesamt nicht. "Mit 75 Prozent sind mechanische Mängel immer noch die häufigste Fehlerursache", heißt es im Jahresbericht der Behörde. Am häufigsten seien Rückrufe auf Grund von Mängeln bei der Bremse, am Motor oder Fahrwerk, bei Airbags, Sicherheitsgurten und bei der Lenkung erfolgt.

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Verbraucherportal ohne Investor

Irischer Verlag zieht sich aus Verivox zurück

Düsseldorf - Das Verbraucherportal Verivox muss sich einen neuen Investor suchen. Der irische Zeitungs- und Medienkonzern Independent News & Media (INM) habe Verivox über seinen Rückzug informiert, teilte das Heidelberger Unternehmen am Dienstag mit. INM wolle sich auf das Kerngeschäft konzentrieren und sich von weiteren Beteiligungen trennen. Das Verbraucherportal sei mit der Suche nach einem neuen Partner beauftragt worden, über den Verivox und INM dann gemeinsam entscheiden wollen.

An Verivox ist INM mit 49 Prozent beteiligt. Mehrheitseigner sind die Geschäftsführer Andrew Goodwin und Alexander Preston. Als Finanzinvestor habe INM keinen Einfluss auf die Strategie oder das operative Geschäft von Verivox.

Die 1998 gegründete Verivox GmbH ist ein Verbraucherportal für Energie und Telekommunikation. Konsumenten können auf der Internetseite Tarife vergleichen und den Anbieter wechseln.

Vor einigen Tagen hatte Verivox angekündigt, 84 der rund 200 Stellen abzubauen. Davon betroffen sind 33 Mitarbeiter in Vollzeit, größtenteils aber Studenten und Teilzeitbeschäftigte. Als Gründe nannte das Unternehmen ein schwächeres Wachstum 2008 als erwartet und technische Neuerungen, etwa bei der Erfassung von Tarifen, die weniger Mitarbeiter notwendig machten. Reuters

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Zumwinkel zweifelt am Rechtsstaat

Nach seiner Verurteilung geht er mit der Justiz hart ins Gericht

Von Hans Leyendecker

Bochum - Am Abend nach dem Urteil flog Klaus Zumwinkel mit seiner Familie in den Skiurlaub nach Italien. Zuvor hatte der wegen Steuerhinterziehung am Montag zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und zu einer Geldauflage von einer Million Euro verurteilte frühere Postchef zwei Zeitungen in einem Bochumer Hotel Interviews gegeben. Dem Bonner General-Anzeiger sagte er, sein Vertrauen in den Rechtsstaat habe durch das Verfahren gelitten. Behörden hätten "gegen mehrere Gesetze verstoßen".

Er beklagte vor allem, dass der "Termin und die Tatsache der Durchsuchung öffentlich bekannt" geworden sind. Zudem sei es verboten, "Akten mit Steuerdaten weiterzugeben". Aus "diesen Gesetzesbrüchen" sei dann eine "mediale Hinrichtung" geworden: "Ich habe meine Fehler gemacht, und die Behörden haben ihre Fehler gemacht", sagte der 65-Jährige.

In dem Gespräch mit der FAZ beklagte er sich, dass "ein anderer Angeklagter, der einen viel größeren Steuerschaden verursacht" habe "genauso bestraft worden ist wie ich". Zumwinkel, der 967 000 Euro Steuern hinterzogen hatte, sprach über den Fall eines 67-jährigen Kaufmanns aus Bad Homburg, der dem Fiskus acht Millionen Euro Steuern vorenthalten hatte. Der Kaufmann war wie berichtet im Juli vergangenen Jahres von einer anderen Wirtschaftsstrafkammer des Bochumer Landgerichts ebenso wie jetzt Zumwinkel zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Zumwinkel kündigte an, in Zukunft mehr Zeit in seiner 800 Jahre alten Burg über dem Gardasee zu verbringen. Auch wolle er künftig selbständig als Unternehmer und Investor arbeiten.

Keine detaillierten Angaben machte er weiterhin zu dem Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der Spitzelaffäre der Telekom, das die Bonner Staatsanwaltschaft schon vor Monaten gegen ihn einleitete. Die Strafverfolger gehen weiter dem Verdacht nach, Zumwinkel könnte als Aufsichtsratschef die damalige Sicherheitsabteilung des Konzerns zu Verstößen gegen das Post - und Fernmeldegeheimnis aufgefordert haben. Schnüffler des Konzerns hatten sich illegal die telefonischen Verbindungsdaten von Aufsichtsratsmitgliedern und Journalisten besorgt, um Lecks im Konzern ausfindig zu machen.

Die Rolle Zumwinkels ist noch nicht geklärt. In nordrhein-westfälischen Justizkreisen wird spekuliert, dass es für den früheren Postchef eng werden könnte. Wenn er im Bonner Telekom-Verfahren auch belangt werde, drohe ihm am Ende doch eine Gefängnisstrafe. Ein Gericht könnte dann eine Gesamtstrafe verhängen, die möglicherweise nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt würde.

Der Bochumer Oberstaatsanwalt Fred Apostel, der das Verfahren leitet, hält selbst dieses Szenario "für sehr unrealistisch". Auch angesichts der hohen Geldauflage für Zumwinkel in Bochum, die bei einer eventuellen Gesamtstrafe berücksichtigt werden müsste, schließt er derzeit zumindest eine solche Konstellation aus. Nach Ansicht von Fahndern ist es sogar möglich, dass am Ende die Ermittlungen gegen Zumwinkel in Bonn eingestellt werden. "Wir haben wenig gegen ihn in der Hand", sagt ein Fahnder. Die Staatsanwaltschaft will das Spitzel-Verfahren, das im Mai vergangenen Jahres durch eine Strafanzeige der Telekom ausgelöst worden war und sich insgesamt gegen etwa ein Dutzend Beschuldigter richtet, im Sommer dieses Jahres zu Ende bringen.

Verurteilter Zumwinkel. Foto: AP

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Raus aus der Schmuddelecke

Präsident Barack Obama könnte Amerika für nachhaltige Geldanlagen wieder interessanter machen. Die Bankenkrise gibt ethischen Finanzprodukten einen Schub

Von Martin Hesse

Frankfurt - Barack Obama könnte Amerika aus der Schmuddelecke der Geldanlage holen. Diese Erwartung knüpft jener noch immer kleine Teil der Investmentbranche an den neuen US-Präsidenten, der soziale, ökologische und ethische Kriterien in die Anlagepolitik einbezieht. "Wenn Präsident Obama ernst macht mit seinen Ankündigungen, dann werden Anleihen der USA auch für nachhaltig orientierte Investoren zunehmend interessant", sagt Oliver Rüdel von der Ratingagentur Oekom Research.

In dem neuen Länderrating von Oekom nehmen die USA unter 50 OECD-Staaten und Schwellenländern den 40. Platz ein. Wie jedes Jahr hat die Ratingagentur anhand von 150 Kriterien ermittelt, wie sozial- und umweltverträglich Staaten wirtschaften. Der Verbrauch von Ressourcen und der CO2-Ausstoß werden dabei ebenso untersucht wie das Bildungssystem, Pressefreiheit und die Achtung der Menschenrechte. Das Rating dient Investoren und Finanzdienstleistern als Grundlage für ihre Anlageentscheidung. Insgesamt werden etwa 90 Milliarden Euro auf Basis von Oekom-Ratings für Staaten und Unternehmen investiert.

Deutschland liegt in dem seit 2001 erhobenen Ranking meist dicht hinter den skandinavischen Staaten - in diesem Jahr auf Rang sechs. Dagegen schneiden die USA traditionell schlecht ab. Sie rangieren diesmal zwischen Mexiko und der Türkei. Schlechter legt man aus Sicht nachhaltig ausgerichteter Investoren sein Geld nur in Ländern wie Indien, China oder Südafrika an.

Doch das könnte sich unter Obama ändern. "Wenn der neue Präsident alles umsetzt, was er angekündigt hat, könnten die USA in die erste Hälfte vorrücken", sagt Rüdel. Allerdings dürfte das eher zwei Legislaturperioden dauern. Die Empfehlungen von Oekom decken sich weitgehend mit Obamas Agenda: Schließung des Gefangenenlagers in Guantánamo, Abschaffung der Folter, Rückzug aus dem Irak, Ratifizierung des Kyoto-Protokolls, Ausbau der erneuerbaren Energiequellen und Investitionen in die Infrastruktur.

Die Analysten haben neue Kriterien entwickelt, die stärker berücksichtigen, inwieweit Länder über ihre Verhältnisse leben. Dieser "ökologische Fußabdruck" bemisst sich etwa daran, wie viel Trinkwasser pro Kopf verbraucht, wie viel Fleisch gegessen und wie viele Autos gefahren werden. Dadurch fallen auch einige der traditionell besser bewerteten westlichen Industrieländer im Vergleich zu den aufstrebenden Staaten zurück. Das gilt etwa für Australien und Großbritannien.

Die gravierendste Veränderung in der Welt, die Finanzkrise, schlägt sich dagegen bislang in den Ratings kaum nieder. Rein finanzielle Kriterien untersucht Oekom anders als die klassischen Ratingagenturen wie Standard & Poor's nicht. Es gibt bei Oekom zwar Überlegungen, wie man auch die Regulierung der Finanzmärkte in die Bewertung einbeziehen kann. Es fehlt allerdings an quantifizierbaren Kriterien und verlässlichen Daten. Oekom bewertet aber beispielsweise das Betreiben von Offshore-Zentren negativ, über die Länder wie Großbritannien Banken und Investoren anlocken.

Die Finanzkrise macht sich allerdings in einer erhöhten Nachfrage nach ökologisch und sozial gemanagten Anlageprodukten bemerkbar. Das Volumen der nachhaltigen Investmentfonds ist zwar im deutschsprachigen Raum 2008 bis Ende September leicht zurückgegangen (siehe Grafik). Doch das liegt daran, dass der Wertverfall von Aktien und Unternehmensanleihen auch Nachhaltigkeitsfonds getroffen hat. Anders als klassische Fonds berichten sie jedoch von hohen Mittelzuflüssen. Außerdem drängen neue Anbieter auf den Markt. "Wir hatten noch nie so viele Neuverträge wie in den vergangenen Monaten", sagt Oekom-Chef Robert Haßler.

Vor allem kirchliche Investoren und Pensionskassen wollten ihr Geld verstärkt nachhaltig anlegen. "Die Finanzkrise zeigt, dass kurzfristige Gier zu einem Versagen des Marktes führt", sagt Haßler. Auch die Beratungsgesellschaft für sozial-ökologische Innovationen, Imug, berichtet von einem verstärkten Interesse an nachhaltiger Geldanlage. Eine von Imug mit dem Südwind-Institut für Ökonomie und Ökumene erstellte Studie kommt zu dem Schluss, dass kirchliche Investoren auch mit ihrem Kapitalvermögen für mehr soziale Gerechtigkeit eintreten wollen. Dazu planten sie, ihre Investitionen in nachhaltige Anlageprodukte aufzustocken, aber auch stärker in einen Dialog mit Unternehmen zu treten, bei denen sie investiert sind.

Gefangenentransport in Guantánamo: Das Lager ist einer der Gründe, weshalb die USA bei nachhaltig denkenden Anlegern schlecht angesehen sind. Das könnte sich nun ändern. Foto: AP

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Amazon rechnet in der Wolke

Das Internetkaufhaus vertreibt nicht nur Bücher, sondern auch Rechenleistung - und will so den Weg ändern, Geschäfte zu machen

Von Thorsten Riedl

München - Wer, so fragt Werner Vogels spontan in die Runde, nutze eigentlich die Dienste von Amazon im Internet? Auf die Frage des Technikvorstandes des weltweit größten Internetkaufhauses hin heben sich am Dienstag fast ein Dutzend Hände im Großen Atrium im Münchener HVB-Forum, in der die DLD-Technikkonferenz stattfindet. "Das sind alles Leute, die ihr Geschäft mit Hilfe unserer Computer betreiben", sagt Vogels. Fast unbemerkt hat sich Amazon zum Anbieter von Computerinfrastruktur über das Netz entwickelt, für so genanntes Cloud Computing. "Das ist ein eigenständiges Geschäftsfeld - eines mit Substanz", erklärt er der Süddeutschen Zeitung.

Vom Cloud Computing ist die Rede, wenn die Rechenleistung nicht am eigenen Schreibtisch oder mit einem Notebook unterwegs stattfindet, sondern im Internet - also weit entfernt im Rechenzentrum eines Anbieters. Die Suchmaschine Google beispielsweise hat ein E-Mail-Programm ins Netz gestellt und eine Tabellen- und Textverarbeitung. Diese Anwendungen werden in den Server-Farmen des Unternehmens ausgeführt, die jeweiligen Daten dort gespeichert. Die Ergebnisse bekommt der Anwender live auf seinem heimischen Bildschirm zu sehen. Neben Amazon und Google setzen auch andere, große Spieler der IT-Branche wie IBM und Microsoft darauf, dass in Zukunft wesentlich mehr Dienste via Cloud Computing laufen.

Während Google oder Microsoft ihre Software im Internet in erster Linie für Verbraucher anbieten, will Vogels für Amazon vor allem die Entwickler gewinnen. "Jeff Bezos' Risky Bet", titelte dazu das US-Wirtschaftsmagazin Business Week im Herbst 2006, zu deutsch: die riskante Wette des Amazon-Chefs. Die Analysten der Wall Street zweifelten damals in dem Bericht, ob es die richtige Strategie für das Online-Kaufhaus Amazon sei, nun neben Büchern und Videos auch Rechenkapazitäten und Speicherplatz über das Internet zu verkaufen.

Zweieinhalb Jahre später scheint der Plan aufgegangen. In den vergangenen zwölf Monaten hat sich die Zahl der Nutzer von Amazons Infrastruktur verfünffacht auf inzwischen eine halbe Million Entwickler. Vogel berichtet von Wagniskapitalgebern, die inzwischen Wert darauf legen, dass junge Unternehmen nicht mehr für viel Geld eine eigene IT-Infrastruktur aufbauen, sondern die Dienstleistungen von Amazon mieten. "Es liegt kein Mehrwert darin, Computer zu warten, sagt Vogels.

Die Arbeit an den Computern will Amazon lieber als Dienstleister übernehmen - gegen einen entsprechenden Obolus, versteht sich. Einfache Datenbanken, Speicherplatz oder Rechenleistung etwa bietet das Unternehmen über das Netz an. Die Dienste lassen sich einfach mieten, gezahlt wird pro Stunde oder pro Gigabyte an genutztem Speicher. "Das verändert den Weg, wie Geschäfte gemacht werden können", erklärt Vogels. Ausgaben für die IT würden nicht mehr als Kapitalkosten anfallen, sondern als laufende Investitionen.

Der gebürtige Niederländer Vogels ist der Kopf bei Amazon hinter der Cloud Computing-Strategie. Das IT-Magazin Informationweek hat ihn im vergangenen Jahr zum besten Technikchef gewählt. Er selbst weist dem Titel wenig Bedeutung zu. "Das ist eine Teamleistung", sagt er. Von München reist Vogels weiter nach Davos. Vier Vortragsrunden wird es auf dem Weltwirtschaftsforum zum Cloud Computing geben. Erreicht das Thema damit die Massen? "Ja - eindeutig", sagt der Technikchef von Amazon.

Ein Supercomputer in einem Hochleistungs-Rechenzentrum an der Universität Stuttgart. Foto: ddp

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