Außenansicht
Bewegt er uns doch?
Der Film "Walküre" erzählt zwar nicht die wahre Geschichte, aber er kann Interesse am deutschen Widerstand wecken
Von Peter Steinbach
Filme können manchmal viel bewirken. Wolfgang Staudtes Werk "Die Mörder sind unter uns" sorgte unmittelbar nach dem Krieg ebenso für einen präziseren Blick auf die politische Verantwortung der Deutschen für die Ahndung des nationalsozialistischen Unrechts wie Falk Harnacks "Das Beil von Wandsbek", der die Frage nach dem Verhältnis von NS-Tätern und kommunistischen Opfern stellte. Die Verfilmung des Tagebuchs der Anne Frank erleichterte den Deutschen eine wichtige Veränderung ihrer Wahrnehmung, denn nun konnten sie sich nicht mehr als Opfer der NS-Zeit und des Kriegs bezeichnen, sondern sahen die Welt mit den Augen der rassisch Verfolgten. Der Vierteiler "Holocaust" gab 1978 der Debatte über die Verjährung von Mord einen entscheidenden Schub. Dass wir dem Schreiner Johann Georg Elser, der 1939 mit dem Anschlag auf Hitler im Münchener Bürgerbräu-Keller den Krieg verhindern wollte, zu seinem 100. Geburtstag eine Briefmarke, eine Gedenkstätte und schließlich ein Denkmal widmen konnten, ist auch Folge des Films, in dem Klaus Maria Brandauer diesen "wahren Antagonisten" Hitlers spielte.
Und die Aufhebung der Schandurteile von Freislers Volksgerichtshof durch den Bundestag im Jahre 1998 war eine späte Folge des Spielfilms, mit dem Michael Verhoeven und Mario Krebs 1982 ein bewegendes Bild der "Weißen Rose" zeichnen konnten. Über den "Rettungswiderstand" schließlich sind wir durch Spielbergs "Schindlers Liste" anrührend informiert worden. Inzwischen wurde in Berlin eine Gedenkstätte zur Erinnerung an die "Stillen Helden" errichtet, die an die Helfer der untergetauchten verfolgten Juden erinnert.
Diese Beispiele machen deutlich, wie stark die Deutung der Vergangenheit durch Dramatisierungen bestimmt wird. Dramatiker haben dies immer gewusst, wie Shakespeares und Schillers Dichtungen zeigen. Auch die Produzenten historischer Filme nutzen Dramatisierungen, gehen aber oft weiter. Denn sie beanspruchen nicht selten, weiße Flecken in der Erinnerung ihrer Zeitgenossen zu beseitigen. Spielberg erweckte den Eindruck, Schindler geradezu entdeckt zu haben. Auch die Behauptung, ein historisches Tabu zu brechen, kann für Aufmerksamkeit sorgen. Und manchmal das Versprechen, mit einem historischen Film ein wahres Bild von der Vergangenheit zu zeichnen. So aber begibt sich der Filmemacher auf gefährlichen Boden, denn sein Streifen wird dann an der historischen Realität gemessen oder für die Wirklichkeit genommen. Wohin das führen kann, machte Eichingers "Untergang" und seine Annäherung an die Rote-Armee-Fraktion deutlich.
Historiker und Filmemacher stehen sich zuweilen sehr kritisch gegenüber. Angebracht ist das nicht, denn Filme über historische Themen können Interessen wecken, Diskussionen anregen, die Beschäftigung mit der Vergangenheit beeinflussen. Die Filme über Martin Luther, über das Zeitalter der englischen Königin Elisabeth I. und Napoleon belegen dies. Spielfilme erreichen Menschen auf eine Weise, wie es Historiker selbst niemals schaffen können. Natürlich ist es unvermeidlich, dass Filme auch das Ergebnis dramaturgischer Verdichtung sind. Historiker sollten deshalb bei der Beurteilung historischer Filme - sei es zustimmend, sei es ablehnend - zurückhaltend sein. Denn Filme sind Filme, keine Quelleneditionen.
Historiker sollten Spielfilme als Anregung nutzen, auf entstandenes Interesse reagieren und Fragen aufgreifen, die sich stellen. Dass Filme Chancen bieten, hat nicht zuletzt Jo Baiers Stauffenberg-Film gezeigt, denn unmittelbar nach dessen Ausstrahlung verbanden über 80 Prozent der Deutschen etwas mit dem Namen des Attentäters.
Wenn Filme wirklich etwas bewirken können, dann ist die Hoffnung nicht unbegründet, dass auch die Verfilmung der Operation Walküre mit Tom Cruise neues Interesse an der Geschichte des deutschen Widerstands wecken könnte. Dies wäre dann von Geschichtslehrern, Zeithistorikern und Publizisten zu bedienen. Sie könnten die Bereitschaft, unter dem Eindruck des Walküre-Filmes mehr über den Widerstand zu erfahren, nutzen, um ein komplexeres Bild des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 zu zeichnen. Dessen Ziel war es, wie der Historiker Hans Mommsen betont hat, der bürgerlich- militärischen Opposition gegen Hitler neue politische Spielräume zu schaffen.
In dem neuen "Walküre"-Film handeln allerdings Offiziere, denen offensichtlich unfähige Zivilisten gegenüberstehen, die zu keiner klaren Entscheidung fähig sind - verbrauchte, ratlose, unentschlossene alte Männer, deren Tränensäcke die Maskenbildner zusätzlich konturieren. Dies ist aus dramaturgischen Gründen notwendig, würde aber die moralische Dimension des Widerstands entscheidend verkürzen, dem es bei dem Sturz der NS-Diktatur auch um eine politische Neuordnung auf rechtsstaatlicher Grundlage ging. Die Vertreter des bürgerlichen Widerstands verkörpern im Film nicht die historische Wende, die mit dem Umsturz einsetzen soll, sondern nur eine "Welt von gestern". Richtig ist: Die militärischen Verschwörer haben die entscheidende Rolle der zivilen Regimegegner immer akzeptiert. Stauffenberg war gebildet, wie es deutsche Offiziere nur selten waren. Er dachte weit über die Stunde X hinaus. Er ringt sich allmählich zu seiner entschlossenen Haltung durch, ist also kein Regimegegner der ersten Stunde. Aber gerade das ist kein Makel, sondern hätte Ausgangspunkt einer dramatischen Spiegelung seiner Umorientierung und wachsenden Entschlossenheit sein können, seiner Überwindung von Positionen, die er im Laufe der Zeit als falsch, fehlerhaft und verbrecherisch erkannt hatte.
Wir empfehlen dringend, diesen neuen Stauffenberg-Film von seinen pseudohistorischen Kontexten zu lösen. Dann schildert er die Geschichte eines Offiziers, der gegen Widerstände anderer einen verbrecherischen Diktator durch ein Attentat beseitigen will. Er heißt Stauffenberg, aber er hätte ebenso wie seine Mitverschworenen anders heißen können. Die NS-Zeit wäre dann nicht mehr als eine Folie, vor der eine dramatische und spannende Handlung positioniert wird. Man könnte diesen Film dann als spannenden Thriller sehen, sollte ihn aber nicht - fast als Ersatz für eine Geschichtsstunde - mit Bedeutung aufladen, die ihm nicht zukommt. Aber er kann helfen, diese Bedeutung zu erschließen. Dann erfüllt er wie andere historische Spielfilme durchaus eine Funktion.
Peter Steinbach ist wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin sowie Professor für Politische Wissenschaft und Zeitgeschichte an der Universität Mannheim . picture-alliance
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