Reich an allen Übeln
Im Westen gilt der Sudan als Paria-Staat, und Präsident Bashir droht wegen
des Darfur-Konflikts sogar eine Anklage als Völkermörder. Die
Hauptstadt Khartum aber erlebt einen enormen Boom. Denn die Sanktionen
spürt keiner mehr - dank der Öl-Milliarden und der Hilfe Chinas
Von Arne Perras
Khartum - Pink ist die Farbe des sudanesischen Winters, zumindest hier
im Ozone Café. Die Frauen tragen rosa Kopftücher, manche kommen in
ausgefransten Jeans und poppigen Turnschuhen. Links unter den Bäumen
löffeln sie gerade Schokoeiscreme, am Tisch daneben rühren sie in
ihrem Cappuccino und schlürfen Cola. Sie schwatzen und kichern und stellen
dicke Brillanten an den Fingern zur Schau. Im Ozone treffen sich die
Schönen und Reichen der Stadt. Das hat es früher nicht gegeben im
streng islamischen Khartum, der Hauptstadt des Sudan.
Doch nicht nur das Ozone Café verblüfft den Besucher. Es ist noch
gar nicht lange her, da wirkte Khartum ruhig und beschaulich, manchmal gar ein
wenig schläfrig. Oft war nur die Stimme des Muezzins zu vernehmen, der
seine Gläubigen zum Gebet rief. Nun aber gibt überall der
Presslufthammer den Ton an. Wohin man blickt, wird gebaggert und gebaut. Die
Stadt verwandelt sich rasant.
Nur das herrschende Regime hat seit zwanzig Jahren nicht gewechselt. Khartum ist
immer noch die Bastion von Putschistengeneral Omar al-Bashir, der 1989 die
gewählte Regierung im Sudan stürzte. Bashir ist der starke Mann am
Nil. Aber er ist auch ein Gejagter. Denn die Justiz sitzt ihm im Nacken. Der
Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) in Den Haag
möchte ihn hinter Gitter bringen. Luis Moreno-Ocampo sieht in ihm einen
Völkermörder, den Drahtzieher eines Vernichtungsfeldzuges gegen die
Bauernvölker in Darfur, der umkämpften Westprovinz des Sudan. Also hat
Ocampo Haftbefehl gegen den 64-Jährigen beantragt.
Der Fall wird Geschichte schreiben: Zum ersten Mal soll sich ein amtierender
Präsident vor der internationalen Strafjustiz verantworten. Man rechnet
damit, dass die Richter in Kürze über den Antrag Ocampos entscheiden.
Und in Khartum wächst die Spannung. Niemand kann abschätzen, wie das
Regime reagiert, wenn es noch weiter in die Enge getrieben wird. Unter den
Ausländern herrscht Sorge, manchmal blanke Angst. Evakuierungspläne
liegen bereit. Auch die Vereinten Nationen, die gleich mit zwei großen
Friedensmissionen und mehr als 20 000 Blauhelmen im Sudan stationiert sind,
könnten aus dem Land gewiesen werden. Die ausgelassene Stimmung, wie man
sie im Ozone Café beobachten kann, ist also trügerisch.
Die Signale der Regierung wirken widersprüchlich. Einmal droht
Sicherheitsminister Salah Gosh, dass er für das Wohl der Ausländer
nicht mehr garantieren könne, wenn der Haftbefehl kommt. Dann gibt das
Regime wieder Beruhigungspillen an Botschaften und UN-Büros aus.
Ausländische Vertretungen würden natürlich auf obersten Befehl
beschützt, heißt es. Doch in Wahrheit weiß niemand, welche
politischen Stürme die Jäger der Justiz entfachen können.
Menschenrechtler betrachten den Fall Bashir als Meilenstein auf dem Weg zu
globaler Gerechtigkeit. Manche Sudanesen sehen ihn als gefährliches
Experiment, das zur politischen Explosion führen kann.
Noch ist Bashir ein freier Mann. Und der Ort, an dem er seinen Machtapparat
lenkt, wirkt keineswegs wie die Hauptstadt eines geächteten Paria-Staates.
Im Gegenteil: Khartum boomt, wie man es nie zuvor gesehen hat. Das liegt an den
Ölquellen im Süden des Sudan, die seit einigen Jahren reichlich
sprudeln und Milliarden Petrodollars in die Staatskasse fließen lassen.
Sudans Ölvorräte werden auf 700 Millionen Barrel geschätzt. Dies
macht das Land zu einem der rohstoffreichsten des Kontinents. Schon jetzt
exportiert der Sudan Öl im Wert von acht Milliarden US-Dollar pro Jahr.
Die Investoren kommen fast alle aus dem Nahen und Fernen Osten. Vor allem
Geschäftsleute aus China und der arabischen Welt pumpen Geld in die
Wirtschaft. Dass die Weltmacht USA das Land seit Jahren als Sponsor des
Terrorismus geißelt und mit harten Wirtschaftssanktionen straft, bremst
den Aufschwung von Khartum kaum. Auch europäische Firmen haben sich
weitgehend zurückgezogen, hier suchen nun andere ihre Chance. Sudanesische
Geschäftsleute schütteln heute nur mitleidig den Kopf, wenn sie von
den Amerikanern und den Sanktionen sprechen. Die Strafen schmerzen kaum noch.
Khartums Architektur versprüht wenig Charme, meist glotzen einen nur
einfallslose Betonklötze zwischen den mächtigen Moscheen an. Doch
manche in der Stadt haben ehrgeizige Pläne, die man im Internet schon
besichtigen kann. Sudanesische Unternehmen zaubern dort schillernde Simulationen
auf den Bildschirm. "Sudans Antwort auf Dubai oder Shanghai" nennt das
der Großunternehmer Osama Daoud, der zum Gespräch in seine edle
Firmenzentrale geladen hat und sich gerade eine Schüssel mit knackigen
Ökosalaten servieren lässt. In der Computeranimation, die er
präsentiert, wird die Stadt am Nil gleichsam neu erfunden. Glaspaläste
ragen in den Himmel, Luxushotels, Bankentürme, Golfplätze,
Shopping-Malls. Es geht um den besten und teuersten Platz am Ort, die Landzunge
Almogran. Vier Milliarden US-Dollar sollen in diesem Dreieck investiert werden.
Dort treffen der weiße Nil und der blaue Nil zusammen, dort bieten sich
grandiose Blicke auf den Zusammenfluss der beiden großen Ströme, wie
sie nirgendwo sonst zu finden sind. "Ein Geschenk Gottes",
schwärmt Amir Diglal, der sich als PR-Manager des Unternehmens vorstellt.
Noch ist es vor allem eine virtuelle Welt. Aber es wird schon fleißig an
ihr gebaut. "Willkommen im Central Business District", sagt Diglal
strahlend. Soeben hat er seine weiße Limousine mitten hineingesteuert in
die gigantische Grube, aus der Khartums Zukunft erstehen soll. Das Gebiet
erinnert auf den ersten Blick eher an einen großen Bombenkrater. Doch am
Rand sind schon die ersten fertigen Bauten zu besichtigen: zwei
Bürotürme, Giganten aus Stahl, Beton und Glas.
Der Gedanke an Shanghai liegt gar nicht so fern, denn überall stiefeln
chinesische Bauarbeiter durchs Revier, sie messen, graben, rechnen. Alle winken
freundlich, aber ein längeres Gespräch kommt nicht zustande. Ihr Chef
ist all die Tage nicht zu sprechen. "Zu beschäftigt", heißt
es. Man darf schließlich Fragen per E-Mail schicken, doch auch die werden
nie beantwortet. Sie sind scheu, die Chinesen in Afrika, sie meiden das
Rampenlicht. "Sie arbeiten immer sehr hart", sagt Diglal, als
müsse er sie entschuldigen. "Und sie sind bereit, Risiken
einzugehen." Der Friede zwischen Nord- und Südsudan ist noch recht
brüchig. Und im wilden Westen von Darfur jagen Reitermilizen der Regierung
immer noch hinter den Rebellen her.
Für Khartum ist die Achse nach Peking von größter Bedeutung.
Nicht nur ökonomisch, auch politisch. Denn China hält bislang seine
schützende Hand über das im Westen verrufene Regime. Als Veto-Macht im
UN-Sicherheitsrat kann es harte Strafen gegen die Regierung am Nil verhindern.
Peking ist der wichtigste Pate, den Khartum hat.
Auf der anderen Seite des weißen Nils, in der quirligen Schwesterstadt
Omdurman, wirkt alles noch etwas uriger als drüben in Khartum. Hier
stößt man nicht auf ehrgeizige Zukunftspläne, sondern auf die
Spuren einer bewegten, oft blutigen Geschichte. An den Ufern sprießt heute
auf kleinen Feldern Salat oder Gemüse, doch entlang der Straße sind
noch ockerfarbene Erdwälle mit Schießscharten erhalten. In Omdurman
tobten einst grimmige Kämpfe, hier stemmten sich die Mahdisten gegen die
britischen Eroberer unter dem Befehl von Horatio Herbert Kitchener. Man schrieb
das Jahr 1898, 13 Jahre zuvor hatten die Truppen des Mahdi den Gouverneur
Charles Gordon in Khartum erdolcht und seinen Kopf als Trophäe
aufgepflanzt. Diese Schmach war in London nicht vergessen. Nun rückte
Kitchener an zur großen Revanche. Die Mahdisten sollten wissen, dass
niemand die Weltmacht ungestraft herausforderte.
Am Nil prallten nicht nur zwei ungleiche Armeen, sondern Welten aufeinander: 52
000 Krieger der Mahdisten mit Trommeln, Speeren und alten Gewehren stürmten
gegen eine moderne Kolonialarmee an: 25 000 Briten, Sudanesen und Ägypter,
bewaffnet mit Dudelsäcken, der neuesten Artillerie und gepanzerten
Kanonenbooten. Von den Briten fielen damals einige Dutzend Soldaten - die
Mahdisten verloren 9700 Mann.
Kräfte aus dem abendländischen Westen fanden im Sudan also erbitterten
Widerstand. Kein Wunder, dass Militärmachthaber Omar al-Bashir heute noch
die antikolonialen Reflexe zu beleben versucht, wenn er vor dem imperialen
Verschwörertum warnt, das den Sudan nun wieder bedrohe. Natürlich
rechnet er auch Chefankläger Ocampo in Den Haag zu diesen finsteren
Mächten.
Die Menschen in Khartum bekommen ihren Präsidenten nicht allzu häufig
zu sehen. Viel Charisma wird ihm nicht zugeschrieben, ganz anders als seinem
früheren Weggenossen und heutigen Rivalen, dem Islam-Gelehrten Hassan
al-Turabi. Der frühere Chefideologe und heutige Oppositionelle ist gerade
wieder einmal verhaftet worden, weil er Bashir öffentlich aufgefordert
hatte, er möge sich den Richtern in Den Haag stellen. Es dauerte nicht
lange, bis die Geheimdienstoffiziere den alten Mann mit den listigen Augen aus
seinem Haus holten und mit ihm davonfuhren. Der 76-Jährige sitzt nun in
Einzelhaft, seine Familie bangt um seine Gesundheit.
Die Geheimdienste haben ihre Ohren überall in der Stadt. Meist scheuen die
Menschen ein offenes Gespräch auf der Straße, aber es lassen sich
doch Plätze finden, wo sie ihre Meinung sagen. Eine junge Frau, die Tee
verkauft, würde Bashir niemals im Leben ihre Stimme geben.
"Hätten sie ihn doch schon nach Den Haag geholt", sagt sie.
"Es ist höchste Zeit." Mit ihrem Job als Teefrau kann sie hier
gerade überleben. Zwei Drittel der Sudanesen leiden unter bitterer Armut.
Daran werden auch neue Glitzerfassaden in der Hauptstadt nichts ändern.
Wer sich am Straßenrand zu einer Tasse Tee niederlässt, kann erahnen,
wie viele Welten der Sudan, Afrikas größter Staat, umfasst. Hier in
Khartum blitzen sie alle irgendwo auf: Man sieht hünenhafte Dinkas
vorbeilaufen, die in den Sümpfen und Savannen des Südsudan zu Hause
sind. Arabische Nilbauern steuern ihre Eselskarren durch die Stadt. Neureiche
Geschäftsleute lassen sich in Luxuslimousinen herumchauffieren. Nubier und
Fur, Beja und Shilluk, Nuer und Masalit - Menschen vieler Ethnien ballen
sich hier zusammen und suchen nach ihrem Platz in Khartum. Vom neuen Reichtum
profitiert die Masse bislang nicht.
Eine Regierung, die dem ganzen Volk verpflichtet wäre, würde mehr
gegen die Armut unternehmen. Doch sie ist nicht in Sicht. Eigentlich
müssten in diesem Jahr Wahlen im Sudan stattfinden, doch niemand glaubt so
recht daran, dass Bashirs Partei ein Votum wagen wird. Seine Macht stützt
sich auf die Sicherheitskräfte, er entstammt, wie die meisten Minister und
höchsten Beamten, einer kleinen privilegierten Schicht aus dem Niltal, die
in sauberen demokratischen Wahlen niemals triumphieren könnte.
Fahrt auf der Nile Street: Links tanzen die Wellen des blauen Nils, rechts
reihen sich Ministerien in schmucken Kolonialgebäuden aneinander. Hohe
Alleebäume säumen die Straße, und bald signalisiert ein
Polizeiposten, dass man nun gleich den weißen Präsidentenpalast
passieren wird. Dort, auf den steinernen Stufen, fand einst Gouverneur Gordon
den Tod.
Heute ist es General Bashir, der vom Palast aus seine Geheimdienste lenkt, das
Militär und die Minister. Es ist eine recht kleine Gruppe von Getreuen, die
er um sich geschart hat. Wie treu sie wirklich sind, wird er bald noch
spüren, wenn der Druck auf ihn größer wird. "Wenn Bashir
gehen muss, könnte es sogar passieren, dass noch radikalere Kräfte die
Macht an sich reißen", sagt ein westlicher Beobachter. Nicht nur
unter Ausländern, auch in der sudanesischen Geschäftswelt wächst
die Nervosität. Kaum einer ist bereit, Bashirs Politik in Darfur noch zu
verteidigen. Selbst ein Präsidentenberater sagt: "Es ist der
Kernfehler aller Regierungen gewesen, dass wir so viele Ressourcen in Kriegen
verschwendet haben, die wir nicht gewinnen konnten." Einst war es der Kampf
gegen die Rebellen im Süden, nun ist es der gnadenlose Feldzug gegen
Aufständische in Darfur. Aber früher ist es dem Regime wenigstens noch
gelungen, seine Schlachten in der Ferne zu schlagen. "Unsere Kriege haben
nie die Cocktailpartys in Khartum gestört", sagt ein wohlhabender
Sudanese, der die wahren Verhältnisse in der Hauptstadt des Alkoholverbots
kennt.
Inzwischen aber muss sich das Regime doch bedroht fühlen. Die
Rebellengruppe Jem aus Darfur hat es bei einem Angriff im vergangenen Jahr schon
einmal bis nach Omdurman geschafft - ein Schock für die Armee Bashirs.
Und dann kam auch noch die Sache mit dem Haftbefehl.
"Wir brauchen Stabilität, um den Sudan zu entwickeln. Mit einer
Anklage schafft man hier keinen Frieden", glaubt ein Geschäftsmann,
der seinen Namen nicht genannt wissen möchte. Manche haben Angst, dass die
Jagd nach Bashir den Sudan noch tiefer ins Chaos stürzt. Noch hält ein
fragiler Friede zwischen den früheren Rebellen des Südsudan und der
Regierung in Khartum. Doch es gibt warnende Stimmen, dass der Haftbefehl auch
diese Annäherung untergraben könnte. Vielleicht schwächen die
Ankläger in Den Haag den Präsidenten tatsächlich so weit, dass er
die Kontrolle verliert. Slobodan Milosevic ist es so in Belgrad ergangen. Nur
weiß im Falle des Sudan niemand, wie es dann weitergeht. Wer
übernimmt die Macht? Kehrt Frieden ein in Darfur oder eskaliert der Krieg?
Brechen alte Konflikte wieder auf? Oder werden neue entzündet?
Komplizierte Fragen, aber manche sehen die Dinge viel einfacher. Ein
Fischhändler in Khartum sagt: "Wenn ich etwas verbrochen habe, dann
muss ich ins Gefängnis. Warum soll es dem General anders ergehen als
mir?" Fische werde es auch noch geben, wenn Bashir fort sei, meint er und
lächelt. Khartum liegt ja am Nil. Und der fließt immer weiter.
Unter den Ausländern herrscht die blanke Angst
Der alte Gegenspieler sitzt nun in Einzelhaft
"Unsere Kriege haben nie die Cocktailpartys gestört"
Gejagt von der internationalen Strafjustiz: Präsident Omar al-Bashir soll
sich als erster amtierender Präsident in Den Haag verantworten. Reuters
"Sudans Antwort auf Dubai oder Shanghai": In Khartum wachsen
Geschäftstürme in den Himmel, doch zugleich wächst die politische
Unsicherheit. Foto: laif