Außenansicht

Bewegt er uns doch?

Der Film "Walküre" erzählt zwar nicht die wahre Geschichte, aber er kann Interesse am deutschen Widerstand wecken

Von Peter Steinbach

Filme können manchmal viel bewirken. Wolfgang Staudtes Werk "Die Mörder sind unter uns" sorgte unmittelbar nach dem Krieg ebenso für einen präziseren Blick auf die politische Verantwortung der Deutschen für die Ahndung des nationalsozialistischen Unrechts wie Falk Harnacks "Das Beil von Wandsbek", der die Frage nach dem Verhältnis von NS-Tätern und kommunistischen Opfern stellte. Die Verfilmung des Tagebuchs der Anne Frank erleichterte den Deutschen eine wichtige Veränderung ihrer Wahrnehmung, denn nun konnten sie sich nicht mehr als Opfer der NS-Zeit und des Kriegs bezeichnen, sondern sahen die Welt mit den Augen der rassisch Verfolgten. Der Vierteiler "Holocaust" gab 1978 der Debatte über die Verjährung von Mord einen entscheidenden Schub. Dass wir dem Schreiner Johann Georg Elser, der 1939 mit dem Anschlag auf Hitler im Münchener Bürgerbräu-Keller den Krieg verhindern wollte, zu seinem 100. Geburtstag eine Briefmarke, eine Gedenkstätte und schließlich ein Denkmal widmen konnten, ist auch Folge des Films, in dem Klaus Maria Brandauer diesen "wahren Antagonisten" Hitlers spielte.

Und die Aufhebung der Schandurteile von Freislers Volksgerichtshof durch den Bundestag im Jahre 1998 war eine späte Folge des Spielfilms, mit dem Michael Verhoeven und Mario Krebs 1982 ein bewegendes Bild der "Weißen Rose" zeichnen konnten. Über den "Rettungswiderstand" schließlich sind wir durch Spielbergs "Schindlers Liste" anrührend informiert worden. Inzwischen wurde in Berlin eine Gedenkstätte zur Erinnerung an die "Stillen Helden" errichtet, die an die Helfer der untergetauchten verfolgten Juden erinnert.

Diese Beispiele machen deutlich, wie stark die Deutung der Vergangenheit durch Dramatisierungen bestimmt wird. Dramatiker haben dies immer gewusst, wie Shakespeares und Schillers Dichtungen zeigen. Auch die Produzenten historischer Filme nutzen Dramatisierungen, gehen aber oft weiter. Denn sie beanspruchen nicht selten, weiße Flecken in der Erinnerung ihrer Zeitgenossen zu beseitigen. Spielberg erweckte den Eindruck, Schindler geradezu entdeckt zu haben. Auch die Behauptung, ein historisches Tabu zu brechen, kann für Aufmerksamkeit sorgen. Und manchmal das Versprechen, mit einem historischen Film ein wahres Bild von der Vergangenheit zu zeichnen. So aber begibt sich der Filmemacher auf gefährlichen Boden, denn sein Streifen wird dann an der historischen Realität gemessen oder für die Wirklichkeit genommen. Wohin das führen kann, machte Eichingers "Untergang" und seine Annäherung an die Rote-Armee-Fraktion deutlich.

Historiker und Filmemacher stehen sich zuweilen sehr kritisch gegenüber. Angebracht ist das nicht, denn Filme über historische Themen können Interessen wecken, Diskussionen anregen, die Beschäftigung mit der Vergangenheit beeinflussen. Die Filme über Martin Luther, über das Zeitalter der englischen Königin Elisabeth I. und Napoleon belegen dies. Spielfilme erreichen Menschen auf eine Weise, wie es Historiker selbst niemals schaffen können. Natürlich ist es unvermeidlich, dass Filme auch das Ergebnis dramaturgischer Verdichtung sind. Historiker sollten deshalb bei der Beurteilung historischer Filme - sei es zustimmend, sei es ablehnend - zurückhaltend sein. Denn Filme sind Filme, keine Quelleneditionen.

Historiker sollten Spielfilme als Anregung nutzen, auf entstandenes Interesse reagieren und Fragen aufgreifen, die sich stellen. Dass Filme Chancen bieten, hat nicht zuletzt Jo Baiers Stauffenberg-Film gezeigt, denn unmittelbar nach dessen Ausstrahlung verbanden über 80 Prozent der Deutschen etwas mit dem Namen des Attentäters.

Wenn Filme wirklich etwas bewirken können, dann ist die Hoffnung nicht unbegründet, dass auch die Verfilmung der Operation Walküre mit Tom Cruise neues Interesse an der Geschichte des deutschen Widerstands wecken könnte. Dies wäre dann von Geschichtslehrern, Zeithistorikern und Publizisten zu bedienen. Sie könnten die Bereitschaft, unter dem Eindruck des Walküre-Filmes mehr über den Widerstand zu erfahren, nutzen, um ein komplexeres Bild des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 zu zeichnen. Dessen Ziel war es, wie der Historiker Hans Mommsen betont hat, der bürgerlich- militärischen Opposition gegen Hitler neue politische Spielräume zu schaffen.

In dem neuen "Walküre"-Film handeln allerdings Offiziere, denen offensichtlich unfähige Zivilisten gegenüberstehen, die zu keiner klaren Entscheidung fähig sind - verbrauchte, ratlose, unentschlossene alte Männer, deren Tränensäcke die Maskenbildner zusätzlich konturieren. Dies ist aus dramaturgischen Gründen notwendig, würde aber die moralische Dimension des Widerstands entscheidend verkürzen, dem es bei dem Sturz der NS-Diktatur auch um eine politische Neuordnung auf rechtsstaatlicher Grundlage ging. Die Vertreter des bürgerlichen Widerstands verkörpern im Film nicht die historische Wende, die mit dem Umsturz einsetzen soll, sondern nur eine "Welt von gestern". Richtig ist: Die militärischen Verschwörer haben die entscheidende Rolle der zivilen Regimegegner immer akzeptiert. Stauffenberg war gebildet, wie es deutsche Offiziere nur selten waren. Er dachte weit über die Stunde X hinaus. Er ringt sich allmählich zu seiner entschlossenen Haltung durch, ist also kein Regimegegner der ersten Stunde. Aber gerade das ist kein Makel, sondern hätte Ausgangspunkt einer dramatischen Spiegelung seiner Umorientierung und wachsenden Entschlossenheit sein können, seiner Überwindung von Positionen, die er im Laufe der Zeit als falsch, fehlerhaft und verbrecherisch erkannt hatte.

Wir empfehlen dringend, diesen neuen Stauffenberg-Film von seinen pseudohistorischen Kontexten zu lösen. Dann schildert er die Geschichte eines Offiziers, der gegen Widerstände anderer einen verbrecherischen Diktator durch ein Attentat beseitigen will. Er heißt Stauffenberg, aber er hätte ebenso wie seine Mitverschworenen anders heißen können. Die NS-Zeit wäre dann nicht mehr als eine Folie, vor der eine dramatische und spannende Handlung positioniert wird. Man könnte diesen Film dann als spannenden Thriller sehen, sollte ihn aber nicht - fast als Ersatz für eine Geschichtsstunde - mit Bedeutung aufladen, die ihm nicht zukommt. Aber er kann helfen, diese Bedeutung zu erschließen. Dann erfüllt er wie andere historische Spielfilme durchaus eine Funktion.

Peter Steinbach ist wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin sowie Professor für Politische Wissenschaft und Zeitgeschichte an der Universität Mannheim . picture-alliance

Steinbach, Peter: Gastbeiträge Historische Spielfilme im Kino "Operation Walküre" SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Das Ende von Guantanamo

Es war eines der großen Versprechen Barack Obamas: Das Lager Guantanamo wird aufgelöst, hatte er den Amerikanern zugesagt. Denn er wusste, dass in dem Gefängnis auf Kuba viele Häftlinge sitzen, die längst hätten freigelassen werden müssen. Obama weiß aber auch, dass von vielen Inhaftierten noch immer Gefahr ausgeht. Was soll mit ihnen geschehen? Und wer gibt den Unschuldigen eine neue Heimat?

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Das Ungeheuer macht Karriere

DFB-Trainer Horst Hrubesch betreut gleich zwei Nachwuchs-Mannschaften

Köln - Bezeichnend für das Denken, die Natur und den Charakter Horst Hrubeschs ist die Geschichte, wie er 1980 Co-Autor des Fachbuches "Dorschangeln vom Boot und an den Küsten" wurde. Es begann damit, dass er sich als leidenschaftlicher Angler - 27jährig von Rot-Weiß Essen zum Hamburger SV gewechselt - fragte, wie man das eigentlich macht: Brandungsangeln an der norddeutschen Küste. "Als Westfale hatte ich davon natürlich keine Ahnung", erzählt er, bisher kannte er nur Flüsse, Teiche und Seen. Weil ihm beim HSV keiner helfen, er auch keine Lektüre zum Thema finden konnte, suchte er Rat beim Parey-Verlag und dessen Fachzeitschrift Fisch und Fang. Auf seinen Brief kam bald Antwort, das Buch bezeugt den ersten telefonischen Dialog der späteren Autorenpaars: "Hrubesch." - "Schicker. Wollen wir zusammen angeln gehen?" Dieter Schicker, der Fachmann, hat den Mittelstürmer dann tatsächlich mit ans Wasser genommen, und was folgte daraus? Ein Bestseller, die erste Auflage mit 30 000 Exemplaren war schnell vergriffen. "Es waren ja auch", sagt Hrubesch heute, "die besten Jahre beim HSV."

1979, 1982 und 1983 ist der als "Ungeheuer" gefürchtete Angreifer Deutscher Meister mit dem HSV geworden, er gewann den Landesmeisterpokal und wurde 1980 Europameister, aber für die Sportfischerei hat er heute weniger Zeit als damals. Seiner Vorliebe fürs Lachsangeln steht der Job beim DFB entgegen, besonders dieses Jahr: Wenn im Mai die Lachssaison beginnt, dann bereitet er sich darauf vor, die U-21-Nationalelf bei der EM in Schweden zu trainieren, und wenn die Saison im September ausklingt, dann geht er daran, mit seiner U-20-Nationalmannschaft Weltmeister beim Turnier in Ägypten zu werden. Diesen hohen Anspruch betrachtet er nicht deshalb als Verpflichtung, weil DFB-Sportdirektor Matthias Sammer gewohnt maximalistisch verlangt, man wolle 2009 "mindestens einen Titel holen" im Juniorenfußball. Hrubesch hält das für selbstverständlich. Schließlich fährt sein Team als amtierender Europameister ins Pharaonenland. "Wir haben gute Chancen", findet der Trainer.

Womöglich ist vielen im Publikum entgangen, dass Horst Hrubesch, 57, im deutschen Fußballbetrieb eine beispiellose Karriere gemacht hat, was ihn jetzt in die Lage versetzt, als erster Titelhalter unter den DFB-Trainern seit 1992 binnen drei Monaten gleich bei zwei großen Turnieren Nationalteams führen zu dürfen. Dabei hieß es überall, dass Hrubeschs Gnadenzeit im Verband bald beendet sein werde, als Jürgen Klinsmann 2004 aus Amerika kam, die Revolution ausrief und den Umbau im DFB-Trainerapparat von unten bis oben verkündete. Auf seinem Ruf lastete ein berühmter Versprecher ("wir müssen das Paroli laufen lassen"), die Zeit als Assistent des unseligen Erich Ribbeck und sein bekannt uneitler Auftritt - für den er sich überhaupt nicht schämt. "Der ist rustikal, hieß es immer", weiß er, "und da sage ich: Na klar, das werd' ich auch bleiben. Ich bin der Hrubesch. So ist das." Gegangen sind dann Stielike und Skibbe, später auch Eilts, geblieben ist Hrubesch, mittlerweile vom Erfolg belohnt. "Ich war als Spieler ein Spätzünder, und als Trainer bin ich es auch", stellt er fest.

Heutzutage schwärmt Sammer von Hrubeschs "Offenheit für neue Maßnahmen", für den Gelobten ist das wieder nur selbstverständlich. Als Klinsmann vom totalen Wandel im angeblich so trägen DFB kündete, weckte er beim damaligen U 18-Trainer keine Furcht, sondern Neugier: "Die Frage ist: Setzt man sich mit dem Jüngeren auseinander oder hält man dagegen? Ich hab's immer so gehalten, dass ich nachgedacht habe: Was will der eigentlich? Und wenn ich Sachen finde, die mir weiterhelfen, dann hab ich doch was gewonnen. Wir lernen alle dazu, und je älter du wirst, umso mehr kannst du umsetzen." Er kann sich dadurch selbst überraschen: "Wenn vor zehn Jahren einer zu mir gesagt hätte: 'Hrubesch, du musst mit dem Computer umgehen', dann hätte ich ihm gesagt, wir lassen es lieber. Heute habe ich die Wundertüte täglich in Betrieb."Was die Fortschritte im deutschen Nachwuchsfußball seit dem Wendejahr 2000 angeht, verweist er auf die Arbeit der Klubs und die Einflüsse der wesentlich Beteiligten: Skibbe, Klinsmann, Sammer. "Man hat die Lage richtig diagnostiziert und macht weiter damit: Sammer und Löw sind zum Glück nicht die Typen, die sich auf etwas ausruhen." Über seinen eigenen Beitrag redet er weniger, aber das ist klar: Dieser Mann liebt seinen Beruf.

Eines aber möchte er doch mal klarstellen, weil ja viele Leute glauben, der Posten als Juniorentrainer sei ein Rentnerjob: "Ich kenne keinen DFB-Trainer, der nicht 200 Tage im Jahr unterwegs ist." Von den Tagungen, Lehrgängen und sonstigen Pflichten bekommt das Publikum bloß nichts mit. Der Dank geht jedoch nicht an Matthias Sammer, sondern an seine Frau Angelika. Die hat das Geheimnis von 37 Jahren Ehe mal so erklärt: "Kein Wunder, der Horst war ja auch 20 Jahre nicht zuhause.” Und so, sagt Hrubesch, "ist die Ehe immer frisch geblieben". Philipp Selldorf

Als Spieler ein Spätzünder, als Trainer auch: Horst Hrubesch, einst aktiv beim Hamburger SV, jetzt erfolgreich als Verbandscoach Foto: dpa

Hrubesch, Horst Juniorenfußball SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Keine Lust mehr auf Mickymaus-Plätze

Für Tennisprofi Tommy Haas geht es bei seinem Comeback in Melbourne vor allem ums Gefühl, nicht so sehr ums Resultat

Melbourne - Es gibt Tenniscourts, die nennt Tommy Haas "Mickymaus-Plätze". Eng, kleine Tribünen, viel Himmel zu sehen. In Wimbledon gibt es fast nur Mickymaus-Plätze, "deshalb", sagt Haas, "ist das eine Katastrophe für mich". Tradition hin, Tradition her. Die Plätze bei den Australian Open sind ganz anders. Neben der riesigen Rod-Laver-Arena steht in dem Park, in dem das Turnier seit 1988 steigt, ein zweites, Baukran-hohes Stadion, dessen Dach sich auf Knopfdruck schließen lässt. Auch der drittgrößte Sportplatz trägt noch einen klangvollen Namen: Margaret Court Arena. 6000 Menschen finden dort Platz. Immerhin die Hälfte davon sind es gleich daneben, in den beiden kreisrunden Manegen, die als Showcourts zwei und drei ausgeschildert sind und die an Stierkampfarenen erinnern. Wenig Tradition, viel Stimmung - auf die Formel lässt sich der Melbourne Park bringen. Haas gefällt das. "Ich würde gerne immer auf solchen Plätzen spielen", sagt er.

Eher Opfer denn Opponenten

An diesem Samstag ist dem 30-Jährigen ein Erlebnis dieser Art sicher. In der dritten Runde trifft er auf Rafael Nadal. Der Spanier ist aktuell die Nummer eins der Weltrangliste und bei den Australian Open als Nummer eins gesetzt. Haas war im Lostopf. Eine Schulterverletzung hat seinen, vom Computer errechneten Stellenwert wieder einmal auf Position 79 fallen lassen. Aber das ist nur eine Nummer. "Das Ranking interessiert mich nicht mehr so sehr. Das Wichtigste ist, dass ich mich wohl fühle, dass ich das Gefühl habe, ich bin fit. Wenn das so ist, gehe ich da raus und spiele gegen wen auch immer", sagt Haas selbstbewusst. In Runde eins bezwang er den Argentinier Eduardo Schwank 6:3, 6:3, 6:4. Runde zwei endete gegen den italienischen Qualifikanten Flavio Cipolla noch deutlicher: 6:1, 6:2, 6:1. Nach 98 Minuten war die Show schon wieder vorbei. Schwank und Cipolla waren eher Opfer denn Opponenten. Das Match gegen Nadal dürfte für Haas dagegen ein Vorgeschmack auf das werden, was ihm künftig öfter droht. "Ich werde länger nicht gesetzt sein, da können in den ersten Runden immer schwere Brocken kommen", weiß er.

Nadal ist in Melbourne fulminant gestartet. Gleich den ersten Satz gewann er 6:0. Auch danach wurde es für Erstrunden-Gegner Christophe Rochus nicht angenehmer. Gerade einmal vier Spiele gingen an den Belgier, der anschließend bedauerte, nicht Roger Federer gegenüber gestanden zu haben - der ließe wenigstens Ballwechsel zu, wenn er einen bloßstelle. Nadals zweiter Widersacher war an diesem Donnerstag der Kroate Roko Karanusic. 6:2, 6:3, 6:2 in 97 Minuten, anschließend keine einzige Frage zum Match - mehr gibt es von der Partie nicht zu berichten. Am meisten Sorge bereitet den Nadal-Fans zurzeit, dass ihr Idol keine ärmellose T-Shirts mehr trägt. Der martialische Look ist weg. Dass der 22-Jährige seine Muskeln weniger spielen lässt, heißt das allerdings nicht. "Er spielt die wichtigen Punkte extrem gut", sagt Haas: "Dass er Linkshänder ist, macht ihn noch gefährlicher."

Dreimal sind die beiden schon aufeinandergetroffen, dreimal auf Hartplatz, dreimal gewann Nadal. Noch nicht einen Satz hat er an Haas abgegeben, doch einige waren knapp. "Er kann mit Slice spielen, er hat eine gute Rückhand und eine gute Vorhand. Seine Aufschläge sind gut. Er kann alles. Wenn ich gewinnen will, muss ich härter und schneller spielen", sagt Nadal: "Das wird der erste große Gegner hier für mich." Ort und Zeitpunkt der Begegnung erhöhen Haas' Chancen. Von dem blauen Untergrund, der in Melbourne in den Arenen verlegt ist, springen die Bälle nicht so schnell ab wie von anderen Hartplätzen. Und sie nehmen nicht so leicht Drall auf wie auf Sand. "Bei den French Open", sagt Haas über Nadal, "würde ich ihm nicht so gerne gegenüberstehen."

Nichts zu verteidigen

Vielleicht liegt seine große Chance aber in ganz etwas anderem. Nadal hat Platz eins der Weltrangliste lange gejagt. Jetzt will er ihn so schnell nicht wieder hergeben. Das kann zur Last werden. Roger Federer, der den Platz an der Spitze vor Nadal so lange innehatte wie noch keiner zuvor, hat darüber in Melbourne viel erzählt. "Es ist schön, nicht mehr jede Woche etwas verteidigen zu müssen", sagt Federer. Haas hat nichts zu verteidigen. "Ich will das jetzt einfach genießen", sagt er. Ihm geht es eher ums Gefühl als ums Resultat. "Ich habe hier einige gute Matches bestritten, wahrscheinlich die besten meiner Karriere." Das Australian-Open-Achtelfinale im Jahre 2002 gehört dazu: Damals wehrte Haas in der Rod Laver Arena einen Matchball ab und rang in fünf Sätzen Roger Federer nieder. Haas war damals 23, Federer 20. Zwei junge Wilde, über die noch keiner sagen konnte, wer es weiter bringen würde. Vier Jahre später trafen sich die beiden wieder in Melbourne im Achtelfinale. Wieder war es eng, wieder ging es über fünf Sätze, um halb eins in der Nacht hieß der Sieger Federer. Der hatte da schon sechs Grand-Slam-Titel gesammelt. Ein Tennismatch ist manchmal mehr als bloß ein Kräftemessen. Manchmal ist es ein Wegweiser, wo es noch hingehen kann. Nur eines weiß Tommy Haas schon: Auf Mickymaus-Plätze hat er immer weniger Lust. René Hofmann

Schnell noch ein Erinnerungsbild: Für Tommy Haas naht schon wieder der Abschied aus Melbourne - nächster Gegner ist Rafael Nadal. Foto: AP

Haas, Thomas Australian Open im Tennis SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Folgenschwere Krise

Der Chipkonzern Qimonda mit seinen wichtigen Standorten in Dresden, München und Porto in Portugal leidet seit langem unter dem dramatischen Preisverfall bei Speicherchips und der Konkurrenz aus Fernost. Eine Insolvenz von Qimonda könnte gravierende Folgen für den großen sächsischen Halbleiter-Standort "Silicon Saxony" mit etwa 40 000 Beschäftigten haben. Bis zum Frühjahr sollen im Werk Dresden von rund 3200 Stellen bereits 950 abgebaut werden. Im Werk München sind 600 Stellen betroffen. mbal

Qimonda AG: Krise Qimonda AG: Liquidität SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Exekution per Federstrich

Barack Obamas Entscheidung

Von Christian Wernicke

Es war im Sommer 2006, als George W. Bush erstmals öffentlich Zweifel einräumte an einem Symbol seiner Politik. "Ich möchte Guantanamo schließen", gestand der 43. US-Präsident. Es sei, so fügte Bush hinzu, für ihn "keine Frage", dass das Militärcamp auf Kuba dem Image Amerikas schade. 30 Monate ist dieses Geständnis alt, und am Dienstag flog Bush per Hubschrauber aus dem Amt, ohne seine Nation von dem Schandlager befreit zu haben. 48 Stunden später, an seinem zweiten vollen Arbeitstag als Präsident, soll das nun Barack Obama erledigen. Mit drei Federstrichen. Denn Amerikas Umkehr, im Weißen Haus per präsidentieller Verfügung exekutiert, besteht aus drei Teilen.

Erstens wird die CIA angewiesen, endgültig die geheimen Gefangenenlager zu schließen, in dem die Supermacht einst bis zu 100 Terrorverdächtige ohne jeden Rechtschutz hin und herschob. Zweitens untersagt der Präsident seinem Geheimdienst von sofort an jegliche Folter: Auch die CIA muss sich fortan mit jenen 19 Verhörmethoden begnügen, die im Feldhandbuch der Armee genehmigt sind. Und damit ist das weltweit inzwischen berüchtigte "Waterboarding", also das simulierte Ertränken eines gefesselten Häftlings, verboten - jedenfalls so lange, wie der Präsident es per neuer Verordnung notfalls nicht doch wieder erlaubt. Das sei, zum Beispiel im Fall der Ergreifung von Osama bin Laden, jederzeit möglich, hieß es aus Obamas Stab.

Der dritte Akt läutet das Ende für Guantanamo ein, samt der umstrittenen Militärkommission im karibischen Zelt- und Containerdorf von "Camp Justice": Obamas Verfügung gebietet, das Lager solle "so schnell wie möglich geschlossen werden, und nicht später als ein Jahr vom Datum dieser Anordnung." Also spätestens am 21. Januar 2010.

Diese Übergangsphase von maximal einem Jahr beansprucht die neue Regierung, um das Erbe von Guantanamo zu ordnen. Allen voran das Pentagon und das Justizministerium müssen entscheiden, was mit den 245 noch einsitzenden "feindlichen Kämpfern" geschehen soll. Sie werden irgendwann aufs amerikanische Festland geflogen - aber es ist offen, ob die Obama-Administration geständige Drahtzieher der Anschläge vom 11. September wie etwa Khalid Scheich Mohammed dann vor ein Zivil- oder ein Militärgericht stellen will. Heftig umstritten unter Obamas Beratern ist zudem die Frage, was mit ganz offenbar gewaltbereiten Verdächtigen geschehen soll, gegen die die Beweislage nicht zur Anklage reicht (oder deren Geständnisse wegen foltergleicher Verhörmethoden unzulässig sind): Auch demokratische Sicherheitsexperten fordern, solche Gefangene schlicht in präventiver Schutzhaft zu behalten, während Bürgerrechler warnen, damit schaffe die Regierung nur "ein Guantanamo auf dem Festland".

Vergleichsweise leicht zu lösen ist das Schicksal jener mehr als 60 Gefangenen, die das Pentagon längst als ungefährlich einstuft. Sie sitzen nur fest, weil sie in Heimatländern wie China, Algerien oder Tunesien neue Folter fürchten müssen. Obama braucht Aufnahme-Hilfe aus Europa - um diese Opfer von der Insel zu lassen, ohne sie nach bis zu sieben Jahren Haft in einer neuen Hölle schmoren zu lassen.

Ein Wandel auch in Guantanamo: Austausch der Präsidentenfotos in der amerikanischen Militärbasis. Foto: AP

Auflösung des Kriegsgefangenenlagers in Guantanamo Geheime CIA-Gefängnisse Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen in den USA SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Wohin mit den Gefangenen?

In Deutschland wird bereits leidenschaftlich über die Aufnahme von Gefangenen aus Guantanamo diskutiert, ehe überhaupt ein einziger Häftling konkrete Aussicht hat, das Lager auf Kuba zu verlassen. Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier hatte - aus schlechtem Gewissen wegen des Falles Murat Kurnaz, wie politische Gegner vermuten - schon vor Weihnachten Barack Obama Unterstützung angeboten. Am Donnerstag sprang ihm Justizministerin Brigitte Zypries bei. Das Argument der SPD-Politiker: Eine Schließung des Lagers dürfe nicht daran scheitern, dass es keine Aufnahmeländer für die Gefangenen gäbe. Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat dieses Angebot brüsk zurückgewiesen. Er sieht vor allem die USA selbst in der Verantwortung und pocht, was die Diskussion in Deutschland anbetrifft, auf die Zuständigkeit der Innenministerien von Bund und Ländern. Kanzlerin Angela Merkel will zunächst abwarten, welche Vorstellungen von einer Verteilung der Gefangenen der neue US-Präsident überhaupt hat. Merkel will zudem in keinem Fall einen deutschen Alleingang, sondern eine europäische Position. nif

Auflösung des Kriegsgefangenenlagers in Guantanamo SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Rettungspaket droht zu scheitern

Qimonda braucht noch mehr Geld

Infineon-Tochter fehlen im Überlebenskampf weitere 300 Millionen Euro. Politiker überrumpelt

Von Markus Balser und Christiane Kohl

München/Dresden - Die Infineon-Tochter Qimonda kämpft mit größerer Finanznot als bislang bekannt. Wegen eines neuen Millionenlochs habe der Chipkonzern seinen Kapitalbedarf in den Rettungsgesprächen überraschend verdoppelt, verlautete aus Regierungskreisen. Das in wochenlangen Verhandlungen geschnürte Hilfspaket droht deshalb zu scheitern.

Bereits am Montagabend hatten sich Mitglieder der Konzernspitze beider Unternehmen nach Informationen der Süddeutschen Zeitung in Berlin mit Vertretern der Bundesregierung und des Freistaats Sachsen zu weiteren Gesprächen im Kanzleramt getroffen. Ziel sei es gewesen, letzte Details des geplanten 325-Millionen-Pakets festzulegen. Völlig überraschend habe der anwesende Qimonda-Manager dabei eine neue Deckungslücke in gleicher Höhe offenbart und damit den Finanzbedarf verdoppelt. Nach Berichten von Teilnehmern waren nicht nur die Vertreter aus Politik und Verwaltung überrascht, auch der anwesende Infineon-Repräsentant habe "etwas geschluckt".

Dem Chipkonzern mit Milliardenumsatz und weltweit 13 000 Beschäftigten steht damit das Wasser bis zum Hals. Denn dass die öffentlichen Kassen auch diese Deckungslücke füllen können, gilt als weitgehend ausgeschlossen. Sowohl der Freistaat als auch die Verhandlungspartner in Berlin lehnen offenbar weitere Hilfen ab. Dies sei auch in einer neuerlichen Runde im Kanzleramt klargeworden, die am Mittwoch tagte. Dort war man sich offenbar einig, dass "das neue Loch nicht zu stopfen ist". Die Hoffnungen auf eine Rettung des angeschlagenen Speicherchipherstellers verringerten sich stündlich, berichten Insider. In Sachsen machten Regierungsvertreter klar, dass der Freistaat nicht über das bereits bekannte Hilfspaket hinausgehen werde. Auch die Konzernmutter Infineon, die 77 Prozent der Anteile an Qimonda hält, will ihren Beitrag nicht aufstocken.

Derweil drängt die Zeit. Die drohende Insolvenz des Konzerns sei eher eine Frage von Tagen als von Wochen, hieß es im Management. Als Grund für das neue Millionenloch nannte Qimonda den Angaben zufolge den Preisverfall auf dem Markt für Speicherchips. Er sei selbst unter jenen Betrag gesunken, den man bei der Zusammenstellung des seit Dezember verhandelten Rettungskonzepts für das Hightech-Unternehmen als "Worst-case"-Szenario angenommen hatte. Allein im Dezember waren Preise für Chips, wie sie in Computern, Handys oder Digitalkameras Einsatz finden, um mehr als 60 Prozent eingebrochen.

Die Führung von Qimonda versuche nun, in hektischen Gesprächen frisches Geld aufzutreiben. So wurden am Donnerstag offenbar Verhandlungen mit der portugiesischen Regierung sowie mit Bankenvertretern geführt, um die Möglichkeit weiterer Bürgschaften auszuloten. Der Konzern wollte am Donnerstag weder den Finanzbedarf noch Angaben über neue Rettungsgespräche kommentieren. Anfang Dezember hatte der Konzern vor der möglichen Insolvenz bis Ende März gewarnt, sollte eine Finanzspritze scheitern.

Erst kurz vor Weihnachten hatten Sachsen, Portugal und der Mutterkonzern Infineon ein Rettungspaket über 325 Millionen Euro zugesagt. Sachsen will sich mit 150 Millionen Euro über einen Betriebsmittelkredit beteiligen, Infineon mit 75 Millionen Euro und Portugal als einer der Qimonda-Standorte mit 100 Millionen Euro. Als Voraussetzung für die Zahlung des Betriebsmittelkredits hatte die Landesregierung in Dresden, wo der Speicherchiphersteller rund 3000 Mitarbeiter beschäftigt, die exakte Einhaltung eines in den vergangenen Wochen erstellten Businessplans verlangt. Zudem pocht Sachsen auf eine Bestandsgarantie des Unternehmens von bis zu zwei Jahren. Dies lehne Infineon bislang ab, hieß es weiter.

Am Donnerstag schaltete sich auch die bayerische Landesregierung in die Verhandlungen ein. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sei über die schwierige Situation von Qimonda informiert, erklärte ein Sprecher der Staatskanzlei in München. Er habe Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) gebeten, alle Möglichkeiten auszuloten, Qimonda zu helfen. Das Management von Qimonda hat derweil bereits eine Anwaltskanzlei beauftragt, die ständig die Zahlen des Unternehmens im Blick haben soll. So will der Vorstand offenbar sicherstellen, dass er sich nicht der Insolvenzverschleppung schuldig macht. (Kommentare)

Qimonda AG: Sanierung Qimonda AG: Krise Qimonda AG: Liquidität SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Vertrauen verspielt

In existenzieller Not schockiert das Qimonda-Management seine Helfer

Von Markus Balser

Eigentlich wollte Sachsens Wirtschaftsminister Thomas Jurk am Donnerstag im Landtag über den letzten Stand zur Rettung des Speicherchipherstellers Qimonda in einer Fragestunde berichten. Doch am Morgen holte Jurk das Thema kurzerhand von der Tagesordnung. Welche Antworten sollte er schon geben auf die Existenzkrise des bedrohten deutschen Chipherstellers, die selbst für Insider mehr und mehr zum undurchschaubaren Rätsel und für die Politik zum Fass ohne Boden wird?

Mit der abrupten Offenbarung, dass der Konzern zum Überleben statt 300 Millionen Euro nun stattliche 600 Millionen Euro braucht, verprellte das Management über Nacht das Vertrauen derer, die seine Existenz retten sollten. Die Begründung für die Millionenforderung ist dreist. Der angeführte Preisverfall ist seit Wochen im Gange. Seine Folgen dürften den Führungskräften in München schon lange vor den Gesprächen im Bundeskanzleramt über das geplante Hilfspaket bekannt gewesen sein.

Wie schlecht es wirklich um den Konzern bestellt ist, daraus macht Qimonda seit Wochen ein Geheimnis. Seit Anfang Dezember verzögert der an der New Yorker Börse notierte Konzern die längst fällige Veröffentlichung seiner jüngsten Quartalszahlen. Aktionäre und Mitarbeiter klagen zu Recht über mangelnde Transparenz. Halbwegs im Bilde über die Finanznot des Unternehmens sind wohl nur eine Handvoll Wirtschaftsprüfer und der Vorstand. Die Fronten im Existenzkampf des einstigen ostdeutschen Vorzeigekonzerns verschärft Qimondas Geheimniskrämerei zu denkbar ungünstiger Zeit. In Berlin und Dresden wächst die Angst, dass der Leidensweg von Qimonda im Abgrund endet.

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Sagnol als Manager nach Monaco

Baumjohann zu Bayern

München - Nach der erwartbaren Personalie Lukas Podolski, der also im Sommer endlich wieder nach Köln ziehen darf, hat der FC Bayern weitere Routineentscheidungen zu vermelden. So sind sich die Münchner jetzt einig geworden mit dem Mönchengladbacher Mittelfeldspieler Alexander Baumjohann, der seit Dezember als Zugang gehandelt wurde. "Er hat noch nicht unterschrieben, aber er hat uns mitgeteilt, dass er sich für den FC Bayern entschieden hat", sagte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge der SZ. Baumjohann, der an diesem Freitag seinen 22. Geburtstag feiert, stand in der Hinrunde sechs Mal in der Startelf der Borussia, er wechselt ablösefrei.

Endgültig Klarheit besteht nun auch im Falle Willy Sagnols: Der französische Rechtsverteidiger, seit Sommer 2000 im Verein, beendet seine Karriere und wird offenbar bereits zur kommenden Saison Manager des Erstligisten AS Monaco - von den Monegassen war er vor gut acht Jahren nach München gewechselt. "Ich habe Willy am Mittwoch getroffen, und er sagt: ,Es hat keinen Sinn mehr.' Denn egal, wie und was er trainiert, der Willy hat leider Schmerzen an seiner Achillessehne", sagte Rummenigge, "deshalb müssen wir nun alle Verständnis haben, wenn ein Spieler uns sagt: ,Ich höre auf.'" Sagnols Verbleib im Metier begrüßt Rummenigge, "Willy hat die Fähigkeiten dafür". Nach der Auflösung seines bis 2010 gültigen Vertrages, die in diesen Tagen vorgenommen wird, will sich Sagnol auf einer Pressekonferenz verabschieden und in die Heimat zurückkehren. Sagnol, der in der Nähe von Monaco ein Haus besitzt, spielte 184 Mal für Bayern in der Bundesliga (und dreimal in der Regionalliga); in der französischen Équipe Tricolore kam der WM-Teilnehmer von 2006 auf 56 Einsätze. Für die Nationalelf stand er auch zuletzt auf dem Rasen, beim 1:4 im Juni im EM-Viertelfinale gegen die Niederlande.

Somit werden sich die Bayern wohl zum Sommer nach einem neuen Mann für ihre rechte Abwehrseite umschauen müssen. Denn dort gilt Christian Lell, 24, eher als Ergänzungsspieler, und der vom AC Mailand bis Saisonende ausgeliehene Italiener Massimo Oddo, 32, drängte sich bisher für ein anschließendes Kaufgeschäft nicht auf. "Wir müssen uns da bis zum 31. März entscheiden, wie es weiter geht", sagt Rummenigge, "bis Mitte März werden wir Klarheit bei Massimo haben." Weitaus schneller vollzieht sich der Abschied des argentinischen Nationalspielers José Ernesto Sosa: Bei dem Mittelfeldspieler kommt nun offenbar das angestrebte Ausleihgeschäft zustande: Der italienische Erstligist, momentan Tabellenachter in der Serie A, hat Interesse an einem Engagement des 23-Jährigen, der 2007 für eine Ablöse von rund zehn Millionen Euro kam. abur/nee

Alexander Baumjohann Foto: Getty

Sagnol, Willy Baumjohann, Alexander FC Bayern München: Personal SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Zur falschen Zeit am falschen Ort

Ein Beispiel für viele: Warum ein längst freigesprochener Uigure noch immer in Guantanamo einsitzt

Von Henrik Bork

Huzaifu Parhat sitzt in Guantanamo, was nicht sehr sinnvoll ist, aber vielen Menschen genützt hat. So lässt sich seine Geschichte zusammenfassen, und wenn das paradox klingt, dann sollte man dafür nicht Parhat selbst verantwortlich machen. Der 36-jährige Obsthändler aus China, der als Kind von einem Leben in den USA geträumt hatte, ist schließlich gegen seinen Willen, an Händen und Füßen gefesselt, in das Militärgefängnis auf Kuba verschleppt worden. Es ist ein abenteuerliches Kapitel der gerade beendeten Ära Bush, wie dieser Mann, der bis zu seiner Fesselung und Knebelung den Namen "Osama bin Laden" noch nie gehört hatte, als gefährlicher Terrorist verdächtigt werden konnte.

Der Erste, dem Parhats Festnahme genützt hatte, war ein namentlich nicht bekannter Pakistani. Er hatte Parhat und 17 weitere Uiguren im Winter 2001 in sein Haus nahe der afghanischen Grenze gelockt und ein Lamm für sie geschlachtet. Dann hatte er sie gegen Kopfgeld an das US-Militär verkauft. Wieviel der Pakistani damit verdient hat, weiß Parhat nicht genau, es sollen etwa 5000 Dollar gewesen sein. "Diese Summe haben sie in Pakistan im Gefängnis gehört", sagt Sabin Willett, sein Anwalt in Boston.

Am 11. September jenes Jahres hatten die Terroristen der al-Qaida Flugzeuge in das World Trade Center gesteuert. Amerika antwortete mit seinem "Krieg gegen den Terror". Parhat war schon da, zur falschen Zeit am falschen Ort. Er hielt sich Mitte Oktober in Afghanistan auf, in einem Dorf in der Nähe von Dschalalabad, dessen Bewohner von den Amerikanern allesamt als Terroristen verdächtigt wurden. Später wurde es zerbombt.

Huzaifu Parhat ist Uigure. Er ist in Gulja geboren, also in der chinesischen Nordwestprovinz Xinjiang. Die Uiguren sind eine moslemische Minderheit, die von den Chinesen seit der militärischen Besatzung Xinjiangs unterdrückt werden. Fanatische Muslime oder gefährliche Terroristen vom Kaliber der al-Qaida gibt es in Xinjiang nicht, auch wenn die chinesische Regierung das in ihrer Propaganda behauptet. Doch es gibt viele Uiguren, die sich die Unabhängigkeit von Peking wünschen. Hin und wieder verüben sie Gewalttaten, so etwa im letzten Jahr kurz vor den Olympischen Spielen bei einem Angriff auf joggende Grenzsoldaten. Parhat soll in Guantanamo zugegeben haben, dass er in Afghanistan den Widerstand gegen China trainieren wollte, auch wenn sein Anwalt von dem Geständnis nicht überzeugt ist.

Sicher ist, dass sich Parhat als Opfer der chinesischen Repression in Xinjiang fühlt. Er flüchtete im Frühjahr 2001 aus China. Er habe "ernsthaft den Koran studieren wollen, was in China nicht möglich war", gab er an. Die Amerikaner hingegen bezichtigten ihn des "Waffentrainings in einem Lager der Islamischen Bewegung Ost-Turkestan" (East Turkestan Islamic Movement oder ETIM). Die ETIM habe Kontakte zu al-Qaida, behaupteten sie dann noch, haben aber öffentlich nie Beweise dafür vorgelegt. Die meisten internationalen Experten bezweifeln diese Verbindung.

"Die Sache mit dem angeblichen Waffentraining ist restlos übertrieben", sagt Anwalt Willett. "Dieses Dorf in Afghanistan war ein Ort für uigurische Flüchtlinge, die nicht wussten, wo sie sonst hinsollen." Das Dorf in den Weißen Bergen Afghanistans war nicht mehr als "eine Handvoll heruntergekommener Hütten, die von Lehmpfaden durchkreuzt wurden", heißt es in US-Gerichtsakten. Im Dorf gab es nur ein einziges AK-47 Sturmgewehr und eine Pistole. Auch Parhat durfte damit ein paar Mal schießen. "Das war zu einer Zeit, wo in jedem Restaurant in Afghanistan eine Kalaschnikow am Hutständer hing. Daraus hat die US-Regierung dann das ,Waffentraining' konstruiert", sagt der Anwalt.

Dass die Terrorvorwürfe gegen die Uiguren unhaltbar sind, hat inzwischen selbst die amerikanische Regierung eingesehen. Am 20. Juni 2008 entschied das Bezirksgericht von Columbia, die US-Regierung müsse Parhat "freilassen oder transferieren" - oder unverzüglich ein neues Militärtribunal abhalten. Selbst Republikaner haben öffentlich erklärt, dass die Festnahme der Uiguren ein Fehler war. Washington hat seitdem deren Haftbedingungen erleichtert. Sie haben jetzt einen Fernseher und ein paar Filme auf DVD, allerdings nur wenige in uigurischer Sprache. Washington kann die Uiguren nicht nach China abschieben, weil sie dort gefährdet sind. Ein Drittland, das sie aufnehmen will, hat sich bislang noch nicht gefunden.

Seit sieben Jahren sitzt Parhat nun schon in Guantanamo. Einige seiner Zellengenossen sind verrückt geworden. Ihre Schreie gellen nachts durch die Flure, heißt es in Berichten der US-Anwälte. Parhat, der Vater eines zehnjährigen Sohnes, litt besonders im Herbst 2007 unter Depressionen. "Als ich ihn damals besuchte, war er sehr niedergeschlagen. Er bat mich, seiner Frau auszurichten, dass sie sich von ihm scheiden lassen und neu verheiraten solle. Er wollte nicht, dass sie weiter auf ihn wartet", sagt Willett.

Dass das alles solange dauert, dass selbst vom Terrorvorwurf freigesprochene Insassen wie die Uiguren den Gulag auf Guantanamo noch immer nicht verlassen können, das hat wieder mit jenen Gruppen zu tun, denen ihre Inhaftierung nutzt. Dazu zählt die chinesische Regierung. Sie hatte aufmüpfige Uiguren früher stets als "Separatisten" bezeichnet. So war es zum Beispiel noch beim Aufstand von Gulja im Februar 1997, also in Parhats Heimatstadt in Xinjiang.

Junge, religiöse Uiguren hatten damals wütend gegen die Repressionen der Chinesen demonstriert. Unter anderem war ihnen die Organisation eines Fußballturniers verboten worden. Hunderte von Menschen starben, als die Sicherheitskräfte brutal einschritten. Tausende wurden später festgenommen und "schichtweise übereinander gestapelt" in Lastwagen abtransportiert. "Als die LKWs ankamen, warf die Polizei die Menschen einfach heraus. Dabei gab es gebrochene Beine und Hände. Ich sah eine Frau, der ein Ohr lose am Kopf hing", berichtete eine Augenzeugin der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. "Mehrere meiner Mandanten sind nach dem Aufstand von Gulja aus China geflohen", sagt Sabin Willett über die Uiguren in Guantanamo.

Kurz nach dem 11. September 2001 vollzog Peking in seiner Terminologie eine "Kehrtwende um 180 Grad", wie es ein amerikanischer Historiker und Uiguren-Experte in einer Studie beschrieben hat. Aus uigurischen "Separatisten" wurden über Nacht "Terroristen". Peking machte Druck auf Washington, die obskure ETIM, die sich nie klar zu Terrorakten bekannt hat, mit auf ihre Liste terroristischer Organisationen zu setzen.

Im August 2002 gab Vize-Außenminister Richard Armitage bei einer Konferenz in Peking dieser Forderung nach. Die USA wollte die wichtige Regionalmacht China als Verbündeten in ihrem "Krieg gegen den Terror" gewinnen. Aus Chinas Repression der Muslime in Xinjiang wurde Chinas Mär vom eigenen "Kampf gegen den Terror". In diesen Tagen drohen nun Pekings Diplomaten in Berlin deutschen Politikern und Journalisten, die sich für die Uiguren einsetzen wollen. Für alle Strategen, die sich bei den Chinesen einschmeicheln wollen, ist humanitäre Hilfe für die Uiguren derzeit immer noch das Gegenteil von nützlich.

Nicht bekannt ist, ob der Obsthändler Huzaifu Parhat in seiner Zelle in Guantanamo schon gehört hat, dass Barack Obama das Lager Guantanamo nun innerhalb eines Jahres schließen will. "Die Häftlinge dürfen keine Nachrichten sehen", sagt sein Anwalt.

Symbol einer menschenverachtenden Politik: Blick in das US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba, in dem der heute 36 Jahre alte Uigure Huzaifu Parhat seit sieben Jahren festgehalten wird, obwohl im vergangenen Juni ein Gericht seine Freilassung angeordnet hat. Foto: dpa

Xinjiang Kriegsgefangene der USA in Guantanamo SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Dopingaffäre um Trainer Goldmann

Harting fordert Deal

Berlin (dpa) - Robert Harting, der WM-Zweite im Diskuswurf, hat sich erneut in drastischen Worten für seinen Doping-belasteten Trainer Werner Goldmann stark gemacht. "Es gibt genug Gründe, einen Deal zu finden", sagte der 24-Jährige am Mittwochabend beim Neujahrsempfang der Berliner Leichtathleten. "Das Thema muss vom Tisch, die Zeit drängt." Es gehe nicht an, dass der Deutsche Leichtathletikverband (DLV) die alten Trainer quasi erpresse zu sagen, da habe ich mitgemacht, es dabei aber nicht bewenden lasse. "Man kann dann nicht immer noch weiter machen und ständig neue Sachen wissen wollen. Da muss ein klarer Deal her", sagte Harting auch mit Blick auf die WM 2009 in Berlin.

Der DLV hatte Goldmann, der Bundestrainer für Wurfdisziplinen gewesen war, keinen neuen Arbeitsvertrag vom 1. Januar an gegeben. Ein Grund dafür war, dass vor den Olympischen Spielen in Peking der ehemalige Kugelstoßer Gerd Jacobs behauptet hatte, Goldmann habe ihm in den achtziger Jahren Anabolika verabreicht. Der Trainer, der 1988 den Kugelstoßer Ulf Timmermann zu Olympia-Gold führte, bestreitet das. Jacobs ist ein offiziell anerkanntes Dopingopfer, sein Herz war vom Dopen so geschädigt, dass er es vor sechs Jahren durch ein neues ersetzen lassen musste.

Harting klagte, der Fall Goldmann belaste sein Training. Er sei "eher leistungsvernichtend als fördernd". Harting findet: "Die Trainingsgruppe heute muss wichtiger sein als das, was früher war." Er hoffe immer noch, dass der DLV Interesse an den Athleten zeige und für "diplomatische Wege" gewonnen werden kann. Zuvor hatte sich Harting mit 18 anderen Athleten in einem offenen Brief für Goldmann eingesetzt, der zu seinen Verstrickungen ins Dopingsystem der DDR schweigt und auf Wiedereinstellung klagt. DLV-Präsident Clemens Prokop hatte Passagen des Briefes als "nicht akzeptabel" kritisiert: "Auf solch eine Art und Weise, wie hier geschehen, kann man sich nicht mit dem Schicksal eines anerkannten DDR-Dopingopfers auseinandersetzen." Harting erwiderte: "Ich frage mich auch, warum uns Athleten jetzt ein Clemens Prokop so gegen die Karre fä;hrt. Ich schäme mich dafür. Ich schäme mich für den Verband." In der Fachzeitschrift Leichtathletik hat Prokop ("Zu der Kritik sage ich nichts. Sie kommentiert sich von selbst") mittlerweile angekündigt, sich mit Harting und den anderen Athleten treffen zu wollen.

Harting, Robert Goldmann, Werner Deutscher Leichtathletik-Verband (DLV) SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Erfinder des Ervolkswagens

Werner Butter prägte den Spruch "Und er rollt und rollt und rollt". Jetzt ist der bekannte Werber im Alter von 76 Jahren gestorben

Wirklich jeder kennt Sprüche von Werner Butter. Und jeder zitiert sie. "Da weiß man, was man hat" ist so ein Satz. Er prägt sich ein, geht leicht über die Lippen. Gute Werbung eben, in diesem Fall für Volkswagen. Werner Butter hat sein Leben lang gute Werbung gemacht. Am 20. Januar starb er im

Alter von 76 Jahren in seinem Haus auf Mallorca .

"Gute Werbung muss verkaufen", hat Butter einmal gesagt, "sonst taugt sie nichts." Wenn Werner Butter textete, dann lief der Verkauf. Bei der Ente von Citroën zum Beispiel, die im Deutschland der achtziger Jahre niemand mehr so recht kaufen wollte. Bis Butter kam und warb: "Ente geleast. Kotelett gekauft." Dazu eine schlichte technische Zeichnung von der Karosserie des Kleinwagens, versehen mit Kommentaren wie: "Platz für ein ganzes Schwein" oder "Saustark, das Motörchen". Da mochten die Deutschen die Ente wieder, und die Citroën-Händler mussten Nachschub ordern. Gute Werbung eben.

Butters Karriere begann Anfang der sechziger Jahre. Damals bewarb er sich als Texter bei der Werbeagentur DDB in seiner Heimatstadt Düsseldorf. Der Grund: "Ich wollte endlich mal mehr Geld als meine Frau verdienen." Da war er 32 Jahre alt und hatte Berufserfahrung als Stahlgroßhändler, Sägenmacher und Journalist beim Berliner Kurier. Den Job bekam er trotzdem.

Die New Yorker Agentur DDB hatte die deutsche Niederlassung gegründet, um den Kunden Volkswagen besser betreuen zu können. So wurde VW ein wichtiger Teil von Butters Leben - und das, obwohl er selbst nicht mal einen Führerschein besaß. Unter ihm wurde der Käfer zum "Ervolkswagen", zum "Statussymbölchen". Auf einem Plakat zeigte Butter Ende der Sechziger einfach nur einen roten Käfer, darunter in schwarzen Lettern: "Da weiß man, was man hat." Den Spruch habe er, das räumte er später einmal ein, von seiner Mutter geklaut.

Der Wolfsburger Autokonzern wusste auf jeden Fall, was er an dem Werbetexter hatte. Als der VW Golf in Produktion ging, übernahm wieder Butter die Kampagne. Sie entstand in seinem Haus auf Mallorca. Er war es, der den neuen "Volkssport" ausrief und der schrieb "Und er rollt und rollt und rollt".

Butter prägte auch eine bekannte Werbefigur vergangener Zeiten: der ewig schwitzende Tchibo-Kaffee-Experte, der immer overdressed im schwarzen Anzug und mit Hut in Afrika, Süd- oder Mittelamerika unterwegs war, ständig auf der Suche nach dem besten Kaffee. Dazu entwarf Butter Sprüche wie "Wer ist der Dicke neben dem Massai?" oder "5 Mark 60 für ein Pfund Goldmokka - das verzeiht er uns nie". So wurde Werner Butter zum Star der Branche und zum Mitglied in der "Hall of Fame der deutschen Werbung". Hannah Wilhelm

"Gute Werbung muss verkaufen, sonst taugt sie nichts." Werner Butter (oben) warb für Volkswagen und Citroën, für Nordrhein-Westfalen und für Tchibo (links). Seine Texte kannte bald jeder, sie beförderten ihn in die Hall of Fame der deutschen Werbung. Fotos: Agentur Butter

Butter, Werner SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Horrorsturz am Hahnenkamm

In diesen Momenten weicht im Skirennsport Glamour und Trubel betretener Stille, und in den Medienzentren ist nur noch banges Harren auf Nachrichten aus der Intensivstation. Am Donnerstag im zweiten Training für die Hahnenkamm-Abfahrt holte der Horror wieder mal den alpinen Weltcup ein: Der Schweizer Kombinationsweltmeister Daniel Albrecht, 25, fährt über den Zielsprung (die Radarmessung davor ergab 138,1 km/h), gerät in Rücklage, die Skispitzen steigen, der Fahrtwind greift unter den Ski an, es entsteht ein Strömungseffekt wie unter einer Tragfläche: Das ganze System - das in diesem Fall Daniel Albrecht heißt - wird angehoben, Albrecht bekommt einen furchteinflößend hohen Luftstand, gerät in Rückwärtsrotation. Albrecht rudert mit den Armen, machtlos. Als es ihn in die Waagrechte gedreht hat, endet die ballistische Kurve, kracht er nach 70-Meter-Flug auf die Piste (Photo: dpa), erst mit dem Rücken, dann mit dem Hinterkopf. Er bleibt ohnmächtig liegen wie vor einem Jahr an gleicher Stelle Scott Macartney. Der Amerikaner konnte nach vier Tagen aus der Klinik entlassen werden.

Albrecht wurde im Zielraum erstversorgt und nach 22 Minuten mit dem Helikopter ins Spital von St. Johann geflogen. Dort erlangte er eine Stunde nach dem Sturz wieder das Bewusstsein, wurde anschließend in ein künstliches Koma verletzt. Die erste Diagnose von Rennarzt Helmuth Obermoser lautet auf Schädel-Hirntrauma mit Gehirnblutung und Lungenquetschung, Brüche habe Albrecht nicht davongetragen. Albrecht wurde zu eingehenden Untersuchungen in die Innsbrucker Uniklinik ausgeflogen. Tags zuvor, nach dem ersten Training, hatte Albrecht verkündet, er habe "die perfekte Linie" gefunden. Sein Teamkollege Didier Cuche, der Trainingszweiter hinter Bode Miller wurde, sagte: "Ich wusste, dass er frech fahren wird." Um 12.14 Uhr wurde das Training fortgesetzt mit Startnummer 6, Hermann Maier. gä

Albrecht, Daniel: Unfall Albrecht, Daniel: Gesundheitliches Abfahrt Männer im Alpinen Ski-Weltcup SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Präsenz dringend erwünscht

Alpindirektor Wolfgang Maier sichtet sein WM-Team für Val d'Isère - nach stark aufgeweichten Kriterien

Kitzbühel - Andreas Strodl, 21, hatte im ersten Abfahrtstraining von Kitzbühel "eine Schaun-wir-mal-Fahrt" absolviert. Er ist Debütant auf der Streif, genauso wie sein fünf Jahre älterer Bruder Peter. Für Stephan Keppler aus Ebingen ergab die Radarmessung die Höchstgeschwindigkeit an diesem Tag mit 137,1 Stundenkilometern, und er sagte: "Immerhin irgendwo mal Nummer eins." Es ist keine übertrieben kühne Prognose, dass die deutschen Skirennfahrer die Speedrennen auf dem Hahnenkamm nicht prägen werden, auch wenn sie dringend Resultate bräuchten zur Erfüllung der Nominierungskriterien für die WM in Val d'Isère. Müssen die in Kitzbühel für die Qualifizierung Kopf und Kragen riskieren? Eben nicht - "im Gegenteil", erklärt Alpindirektor Wolfgang Maier, "ich möchte auf keinen Fall, dass einer von ihnen sich in Kitzbühel zerlegt. Die Strodls werden wahrscheinlich sowieso nur den Super-G fahren, in der Abfahrt soll alleine Keppler antreten."

Es ist im deutschen Sport ziemlich ehern festgeschrieben, dass, wer für ein globales Championat gemeldet werden will, dafür auf höchster Ebene ein Resultat unter den besten Acht oder zwei unter den Top 16 vorweisen muss. Nach diesen Kriterien fänden bei der Alpin-WM einige Wettbewerbe der Männer ohne Deutsche statt - alle, für die Torläufer Felix Neureuther nicht in Frage kommt. Maier hat sich aber mit Thomas Pfüller, dem Generalsekretär des Deutschen Skiverbandes, auf eine andere Vorgehensweise verständigt: "Wir möchten in Val d'Isère auf jeden Fall mit jemandem in Abfahrt und Super-G antreten. Das nicht zu machen, wäre ein völliger Wahnsinn in Hinblick auf das, was später kommt." Genau gesagt: Das, was in zwei Jahren kommt - die WM in Garmisch-Partenkirchen. Es ergäbe tatsächlich ein eigenartiges Bild, wenn der Veranstalter von 2011 zwei Jahre zuvor in Schlüsselwettbewerben nicht präsent wäre. Wie es wirkt, wenn seine Repräsentanten in diesen Schlüsselwettbewerben unter ferner liefen abschneiden, sei dahingestellt.

Prinzipiell sähe ihre Personalplanung für die bevorstehende WM nicht anders aus, auch wenn Deutschland 2011 nicht der Ausrichter wäre, sagt Maier. Es wurde von oben signalisiert, dass in Anbetracht der Investitionen für die Speedstrecken am Garmischer Kreuzeck eine Präsenz deutscher Abfahrer in Val d'Isère dringend erwünscht sei, Maier ist aber ohnehin überzeugt davon, "dass Leute wie der kleine Strodl eine Perspektive haben. Der ist so jung, fuhr letztes Mal in Wengen um einen Platz an den Top 30 vorbei, er hat in Kanada gepunktet. So einen möchte ich nicht rasieren, sondern in den muss man mal was investieren." Sollen für einen wie den Partenkirchener ("die Kraft in den Oberschenkeln ist da, nur die Masse fehlt", sagt der Jüngling von sich selbst) die tradierten Nominierungsqualifikative des deutschen Sports außer Kraft gesetzt werden? Modifiziert für diesmal, hat sich der Alpinchef vorgenommen und Weltcuppunkte als minimale Anforderung gestellt.

"Ich setze mich gerne für einen Athleten ein, von dem ich das Gefühl habe: Er will. Bei Andreas Strodl habe ich dieses Gefühl: Der möchte Rennfahrer werden, dafür tut er alles, und er bietet eine ordentliche Vorstellung. Das kann man anschauen, das ist brauchbar. Und Stephan Keppler war viermal unter den besseren 30 - für mich ist es keine Frage, dass wir den mitnehmen." Letztes Mal, 2007, nahmen sie Viktoria Rebensburg bar jeden Qualifikationsresultats mit zur WM nach Are - und sie wurde als Achte des Riesenslaloms einer der raren Lichtblicke im Team. Maier: "Kein Mensch wusste, dass sie nominiert war. Die hatte überhaupt kein Kriterium erfüllt. Wir ließen sie einfach fahren, sie wurde unser Winner, und plötzlich war es super, dass wir sie aufgestellt hatten."

Mit seinem Statement: "Ich muss dieses olympische Nominierungsprozedere nicht mitmachen - wir entscheiden, wen wir aufstellen", hat sich der Alpindirektor selbstverständlich und umgehend Widerspruch eingehandelt aus Landesverbänden, diversen Gremien. "Natürlich wurde das Thema intern relativ heftig diskutiert", sagt Maier, "es gibt den Vorwurf, wir Alpinen verlören wieder mal Maß und Ziel bei unserer Nominierung." Die Nordischen mahnen eine Angleichung der Kriterien an, die anderswo eisern eingehalten werden: Die deutschen Biathleten zum Beispiel gehen nur und strikt nach den klassischen Qualifikationskriterien vor. Was anderes bleibt ihnen bei der Unzahl ihrer Weltklasseathleten allerdings auch gar nicht übrig.

Der Kredit auf die alpine Zukunft soll kein Freifahrtschein sein: Es ist nicht gesagt, dass alle drei, die diesen Freitag im Kitzbüheler Super-G für Deutschland antreten, auch in Val d'Isère dabei sind. Maier sagt: "Es muss nicht, kann aber sein." Finale Argumente können die Strodls und Keppler im Nachtrag bei den Garmischer Heimrennen liefern, ebenso in Cortina d'Ampezzo Viktoria Rebensburg. Wirklich nötig hat das die junge Riesenslalomfahrerin diesmal aber nicht mehr. "Sie war Zwölfte, hat die halbe Norm, und sie war außerdem dreimal im Finale", argumentiert Wolfgang Maier. "Da setze ich mich durch, da gibt es keine Diskussion." Vermutlich aber Gegenwind - aus Landesverbänden und diversen Gremien. Da muss man als Alpiner durch. Wolfgang Gärner

Maier, Wolfgang Deutsches Nationalteam Ski Alpin Männer SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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IN EIGENER SACHE

Es gab vor und nach Abdruck des Interviews "Den Wahnsinn weglachen" mit Tom Cruise in der Redaktion viele Debatten, ob man ein Gespräch in dieser Form wiedergeben kann. Wir hatten uns im Feuilleton für die kommentierte Form entschieden, weil gerade bei Interviews mit Filmstars der Gesprächsverlauf viel über den Menschen erzählt. Da Tom Cruise ein Star ist, der im Interview viel mit Gesten, Mimik und Subtext kommuniziert, hielten wir es für angemessen, diese Ebene des Gesprächs mit einzuflechten. Das Fernsehen hat es in so einem Fall leichter.

Beim Redigieren des Textes haben wir allerdings streng darauf geachtet, dass die Kommentare unseres Filmkritikers Tobias Kniebe nicht ausschließlich in die eine oder andere Richtung gehen. Grundsätzlich hält Tobias Kniebe Tom Cruise für einen hervorragenden Schauspieler und "Operation Walküre" für einen sehr guten Film. Weil Cruise aber eine Figur ist, die gerade in Deutschland polarisiert, haben wir viele Leserbriefe erhalten, die uns entweder eine zu große Nähe oder eine zu kritische Haltung vorgeworfen haben.

Die Frage nach der Religionszugehörigkeit konnten wir in diesem Falle nicht aussparen, weil seine Rolle in der Church of Scientology die Debatte, ob er die Figur des Claus Schenk Graf von Stauffenberg spielen darf, ursprünglich ausgelöst hatte. Im Sommer 2007 hatte die Sektenbeauftragte der CDU, Antje Blumenthal, Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung geraten, die Dreharbeiten am Originalschauplatz der Erschießung von Stauffenberg und seiner Mitverschwörer wegen Cruises Zugehörigkeit zu Scientology zu untersagen - was zunächst auch geschah. Sowohl zum Streit um den dann doch durchgeführten Dreh im Bendlerblock wie auch zu den Kontroversen um seine Weltanschauung hat Tom Cruise Stellung in diesem Interview genommen. Beide Antworten wurden nicht kommentiert.

Bei den meisten Lesern stellte sich weder der Eindruck ein, Tobias Kniebe habe Tom Cruise auf ein Podest gestellt, noch fanden sie, er habe ihn lächerlich gemacht. Weil das kommentierte Interview bei vielen unserer Leser aber doch Irritationen hervorgerufen hat, werden wir in Zukunft mit dieser Form weiterhin sehr sparsam umgehen.

Andrian Kreye,

Ressortleiter Feuilleton

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Gerüchte um Hippe

Vor zwei Wochen wurde er noch als neuer Finanzchef der Post gehandelt, jetzt meldete das Manager Magazin, Alan Hippe wechsele zu Thyssen-Krupp. Sein Arbeitgeber, Continental, kommentiert das nicht. Fest steht, dass der 42 Jahre alte Conti-Finanzchef unter Top-Personalvermittlern als erste Wahl gilt. Und dass Hippe auf dem Sprung ist, wird auch schon eine Weile gemunkelt. mth.

Hippe, Alan: Karriere SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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KORREKTUREN

In "Acker im Ausland" (Wirtschaft, 17. Januar, S. 26) hieß es, der südkoreanische Konzern Daewoo wolle 1,3 Millionen Hektar Land in Madagaskar pachten. Das entspricht etwa der Hälfte der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche Madagaskars und nicht wie irrtümlich

erwähnt der Hälfte der gesamten Inselfläche.

Am 20. Januar erschien im Feuilleton auf Seite 13 die Kritik "Doppelrahmstufe" über "Die lustige Witwe" an der Hamburger Staatsoper. Dirigiert hat jedoch nicht Simone Young, sondern ihre Stellvertreterin Karen Kamensek.

Barack Obama sei der jüngste US-Präsident seit John F. Kennedy, stand in "Ein Mann, ein Versprechen" (Seite Drei, 21. Januar). Das ist nicht korrekt. Denn Vorvorgänger Bill Clinton war

bei seinem Amtsantritt 46 Jahre und

154 Tage alt, Obama dagegen 47 Jahre und 169 Tage.

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Biathlon-Sprint in Antholz

Wilhelm Dritte

Antholz (dpa) - Die deutsche Siegesserie ist gerissen, doch Kati Wilhelm hat mit ihrem dritten Platz in Antholz an ihre hervorragenden Leistungen in diesem Jahr angeknüpft. "Das ist eine gute Ausgangsposition für den Verfolger am Samstag", sagte die Thüringerin. Im Ziel des Sprints lag sie 20,7 Sekunden hinter Tora Berger. Die Norwegerin war die sechste Gewinnerin im sechsten Sprint des Winters. Mit Platz zwei und nur 8,1 Sekunden Rückstand schaffte die Weißrussin Darya Domratschewa das beste Weltcup-Ergebnis ihrer Laufbahn. Die Weltcupführende Swetlana Sleptsowa (Russland) war wegen einer fiebrigen Erkältung kurzfristig nicht angetreten.

Lange in Führung war Magdalena Neuner gelegen, die in Antholz 2007 drei WM-Titel geholt hatte. Stehend verfehlte sie dann aber drei Scheiben, insgesamt vier Strafrunden waren zu viel. "Da hilft dir auch die schnellste Laufzeit nicht weiter." Sie habe ein paar Probleme mit der Höhe von 1600 Meter am Antholzer See gehabt. Mit ihrem 15. Platz und 55 Sekunden Rückstand war Neuner diesmal nur viertbeste Deutsche hinter Wilhelm, Martina Beck (Mittenwald/10.) und Andrea Henkel (Großbreitenbach/12.).

Die Thüringerin hatte drei Nächte im 500 Meter tiefer gelegenen Niederrasen verbracht, weil sie Probleme mit der Höhe bekommen hatte. "Inzwischen fühle ich mich aber wieder wohl", sagte Henkel. Kathrin Hitzer (Gosheim) wurde 16., die Oberhoferin Juliane Döll bei ihrem ersten Weltcup-Einsatz 19. "Bis zu 'Jule' liegen sie alle weniger als eine Minute zurück. Das lässt für Samstag hoffen", sagte Bundestrainer Uwe Müssiggang. Der Weltcup im Antholzer Tal wird am Freitag (14.15 Uhr, ZDF und Eurosport) mit dem Sprint der Männer fortgesetzt.

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Londons Strippenzieher

Wirtschaftsminister Peter Mandelson gilt als Meister der politischen Intrige. Nun muss er die britische Industrie retten

Von Andreas Oldag

Peter Mandelson hat sich in diesen Tagen Studien über die britische Wirtschaftspolitik in den 40er und 50er Jahren genau angeschaut. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Briten große Teile der Industrie verstaatlicht - und damit keine guten Erfahrungen gemacht. Eine sich krakenartig ausbreitende Staatsbürokratie beherrschte damals die Kohle- und Stahlproduktion und später auch die Autofirmen - und beschleunigte Großbritanniens Abstieg als Industrienation. Eine Wiederauflage dieser Geschichte will der neue Wirtschaftsminister im Kabinett von Premierminister Gordon Brown vermeiden. Doch es ist ein schwieriger Balanceakt angesichts der dramatischen Auswirkungen der Finanzkrise. Die Insel ist stärker als andere europäische Staaten in eine schwere Rezession abgerutscht. Banken hängen am Tropf der Steuerzahler. Schon fordern einflussreiche Labour-Politiker die vollständige Verstaatlichung von Kreditinstituten. Dagegen sperrt sich Mandelson. Bislang noch erfolgreich.

Das Problem ist, dass der Wirtschaftsminister nun aber gleich an mehreren Brandherden löschen muss. Er sei für Brown ein Feuerwehrmann, der 24 Stunden lang im Einsatz sei, meinte die Boulevardzeitung Evening Standard. Autohersteller wie Jaguar und Land Rover stehen vor drastischen Personaleinschnitten. Zwischen London und Edinburgh geht die Angst um die Arbeitsplätze um. "Britische Unternehmen sind der Lebenssaft unserer Wirtschaft. Es ist entscheidend, dass die Regierung jetzt wirkungsvoll hilft", meinte der Minister.

"Prinz der Finsternis"

Mandelson, der erst im Oktober seinen Posten als EU-Handelskommissar in Brüssel aufgab und von seinem alten Widersacher Brown nach London gerufen wurde, weiß, dass es für Großbritannien in dieser dramatischen Lage um den Fortbestand als Industrienation geht: Wie kaum ein anderes EU-Land hat die Insel in den vergangenen Jahren auf den Ausbau der Finanzdienstleistungen gesetzt. Vor allem die Millionen-Metropole London profitierte davon und zog Banker und Broker aus der ganzen Welt an. Entsprechend schrumpfte der Anteil der verarbeitenden Industrie an der Wirtschaftsleistung in den vergangenen zwei Jahrzehnten von 31 auf 13 Prozent. Nun will Mandelson die Industriepolitik reanimieren und Investitionen in umweltfreundliche Energieerzeugung, Elektroautos und Biotechnologe vorantreiben. "Für New Labour ist dies ein kritischer Moment", räumte der frisch gekürte Lord ein, der nun im Oberhaus einen Sitz hat.

Der 55-Jährige hat eine beeindruckende Karriere hinter sich. In der politischen Aufstiegsphase des ehemaligen Premierministers Tony Blair war Mandelson einer der Architekten von "New Labour" - jener grundlegenden Reform also, mit der sich Labour vom verstaubten Gewerkschaftsimage abwandte. Nicht zuletzt war es Mandelson, der sich zu einer liberalen Finanzmarktordnung bekannte und die Partei darauf einschwor, in diesem Punkt das Erbe der Eisernen Lady Margaret Thatcher fortzuführen.

Schon damals avancierte Mandelson aber auch zu einem der umstrittensten britischen Politiker. Der Oxford-Absolvent, Anti-Vietnamkriegs-Demonstrant und zeitweilige Sympathisant einer kommunistischen Jugendorganisation orientierte sich rasch um in Richtung britische Oberklasse. Fortan suchte er seine Freunde vor allem unter einflussreichen Managern, Bankern und Industriellen. Zugleich zog er im Parteiapparat als Kommunikationschef die Strippen. Als Blair nach seinem grandiosen Wahlsieg 1997 als Premierminister in die Downing Street 10 einzog, installierte Mandelson so viele Medienberater wie niemals zuvor am Regierungssitz. Die Presse nannte den Großmeister der politischen Intrige den "Fürsten der Finsternis".

Einladung auf die Yacht

Zumindest intransparent waren Mandelsons private Kontakte zu schwerreichen Geschäftsleuten. Wegen Korruptionsvorwürfen und angeblicher Vetternwirtschaft verlor er zweimal - 1998 und 2001 - seine Ministerämter. 2004 ging der Labour-Politiker dann als Handelskommissar nach Brüssel, wo sich "Mandy", wie er von seinen politischen Freunden genannt wird, der britischen Tradition entsprechend für eine weitere Liberalisierung des Handels einsetzte.

"Ich bin ein Kämpfer, kein Kapitulierer", sagte Mandelson einmal in einem Interview. Diese Fähigkeit stellte er auch kurz nach seiner Berufung zum Wirtschaftsminister Ende vergangenen Jahres unter Beweis. So wurden Vorwürfe in der britischen Presse laut, dass sich Mandelson im vergangenen Sommer - also noch während seiner Amtszeit in Brüssel - mit dem russischen Oligarchen Oleg Deripaska auf dessen Super-Yacht Queen K in Korfu getroffen habe.

Delikat war die Einladung deshalb, weil Deripaska für seinen Aluminium-Konzern Rusal eine Senkung der EU-Einfuhrzölle forderte. Und für dieses Thema war Mandelson zuständig. Die EU-Kommission sah in dem Yacht-Kaffeekränzchen allerdings keinen Interessenkonflikt. Zweifel äußerte die britische Presse vor kurzem auch an der Finanzierung von Mandelsons 2,5 Millionen Pfund teuren Villa nahe des Londoner Regent's Park. Angeblich könne er aus eigener Tasche nicht so viel Geld gehabt haben, heißt es. Der Minister bestreitet die Vorwürfe. Premierminister Brown hält an seinem Krisenmanager fest. Er braucht ihn auch als gewieften "Spin Doctor" für die nächsten Parlamentswahlen, die spätestens 2010 stattfinden.

Der Gegenspieler

In Krisenzeiten sind altgediente Experten gefragter denn je. Das gilt nicht nur für Wirtschaftsminister Peter Mandelson, sondern auch für seinen konservativen Gegenspieler Kenneth Clarke. Der ehemalige Finanzminister der konservativen Regierung von John Major Anfang der 90er Jahre ist nun zum Schattenwirtschaftsminister der Tories gekürt worden. Hinter dem Schachzug steckt der neue Parteichef der Konservativen, David Cameron. Er erhofft sich von dem 68 Jahre alten Clarke frische Rezepte gegen die Rezession und natürlich auch wirtschaftspolitischen Rat für die nächsten Parlamentswahlen. Die derzeitige Wirtschaftskrise sei die schwerste, die er je erlebt habe, erklärte Clarke. Er gilt übrigens als Befürworter der europäischen Gemeinschaftswährung, die bislang von der Mehrheit der Tories strikt abgelehnt wird. old.

Peter Mandelson war einer der Architekten von Tony Blairs "New Deal", später wechselte er als EU-Kommissar nach Brüssel. Seit Oktober ist er der starke Mann im Kabinett von Gordon Brown. Foto: Bloomberg

Mandelson, Peter Regierung Brown 2007- Folgen der Finanzkrise in Großbritannien Wirtschaftspolitik in Großbritannien SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Neuer Job für Ziebart

Der frühere Infineon-Chef Wolfgang Ziebart soll in den Aufsichtsrat des niederländischen Chipausrüsters ASML einziehen. Der Manager sei für den Posten nominiert, er müsse nun von der Hauptversammlung Ende März bestellt werden, teilte ASML mit. Ziebart war Ende Mai vergangenen Jahres nach langen internen Querelen als Vorstandschef von Infineon zurückgetreten. SZ

Ziebart, Wolfgang: Karriere ASM Lithography NV ASML: Vorstand SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Die Masse will Gewicht

Beim HSV möchten die Fans nicht nur im Stadion den Ton angeben, sondern auch im Aufsichtsrat - sollten sie Erfolg haben, wäre es das erste Mal in der Bundesliga

Von Ralf Wiegand

Hamburg - Der 46. Geburtstag hatte schon gut angefangen für Bernd Hoffmann. Jedes seiner vier Kinder trat am Morgen des vergangenen Mittwochs mit einer Rose in der Hand an sein Bett, um ihm zu gratulieren. "Da konnte ja schon gar nichts mehr schiefgehen", sagt Hoffmann ein paar Stunden später vergnügt - und es kam sogar noch besser. Im Laufe der Nacht hatte Manchester City, seit kurzem im Besitz von Scheich Mansour bin Zayed al Nayan aus Abu Dhabi, für den Einkauf des Hamburger Defensivspielers Nigel de Jong tatsächlich 18 Millionen Euro lockergemacht. "Das kann man nicht ablehnen", sagt Hoffmann. Er formulierte noch vor dem Frühstück mit seiner Vorstandskollegin Katja Kraus den Text, in dem der Verein später den Abschied des Holländers bekanntgab.

Was für ein Kerl: Auch an seinem Geburtstag ruht der emsige Klubchef nicht, sondern verschafft dem HSV die höchste Transfereinnahme seiner Geschichte. Und so einen wollen die Fans nicht mehr haben? Gegen den ist ein von langer Hand geplanter Putsch im Gange? Hoffmann hebt die Schultern - ist wohl so.

Der HSV steht unmittelbar vor seinem wichtigsten Spiel der Saison, noch ehe die Rückrunde auf dem Rasen überhaupt begonnen hat. Anpfiff ist am Sonntag um elf Uhr im Congress-Centrum, auf dem Spiel steht die Zukunft des Vereins. Denn dann werden acht von zwölf Positionen im Aufsichtsrat durch Wahlen neu besetzt. Auf der Kandidatenliste stehen die üblichen Verdächtigen: Firmenbosse, Klinikchefs, ehemalige Klub-Honoratioren, der frühere Publikumsliebling Sergej Barbarez - aber auch vier Hardcore-Fans, die jedes Wochenende mit HSV-Kutte im Fanblock stehen, die eigene Elf nach vorne und den Gegner niederbrüllen.

Dass die Anhänger eines Vereins zum Sprung über den Zaun ansetzen, um im Kontrollgremium ihrer großen Liebe zu landen, ist ein Novum in der Bundesliga. Mindestens. "Ganz Europa schaut auf uns", sagt Manfred Ertel, 58. Zu klären sei die Frage, wem der Verein gehört. Die Antwort glaubt er zu kennen: "Der HSV gehört uns, den Mitgliedern, den Fans." Er will auch in den Aufsichtsrat.

Überall in Europa hat sich Fußball in den vergangenen zehn Jahren zum Event gewandelt, mit mehr Kunden statt Fans und mehr Komfort statt Currywurst. Logen verdrängen die Stehplätze in den Stadien, an die Stelle der Emotion tritt die Unterhaltung. Das Publikum, hat Ertel beobachtet, ist inzwischen sogar im Fußball-Mutterland England "eine schweigende Masse. Wir beim HSV wollen kein Teil der schweigenden Masse werden."

Dass die eigenen Anhänger versuchen können, so viel Einfluss im HSV zu bekommen, und das Establishment deshalb eine erbitterte Abwehrschlacht führt, liegt an der einmaligen Vereinsstruktur. Zwar haben auch andere Fußball-Klubs dank der aus ihrer Bundesliga-Zugehörigkeit resultierenden Strahlkraft eine Mitgliederzahl, von der Turnvereine nur träumen können. So zählt etwa der FC Bayern München gut 130 000 Mitglieder. Doch nur in Hamburg sind die eingeschriebenen HSV-Fans in einer eigenen Abteilung organisiert. "Supporter" heißt die mit Abstand größte aller 32 Vereinssparten, in der rund 50 000 Menschen ihrer Leidenschaft frönen: HSV-Fan zu sein.

Manchmal kommt dabei Leidenschaft allerdings von leiden. Vergangenen Dienstag, ein paar Männer-Grüppchen pilgern über die Fußwege durch den finsteren Volkspark, nur 8000 Karten sind im Vorverkauf abgesetzt worden, später werden 11 000 Besucher da sein. Auf dem Spielplan steht ein Test gegen Hansa Rostock auf einem Acker, der einem Truppenübungsplatz ähnlicher ist als einem Hochleistungsrasen der Bundesliga. Er wird noch vor dem Gastspiel des FC Bayern zum Rückrundenstart in einer Woche ausgetauscht. Während der Rest der Welt verfolgt, wie Barrack Obama als 44. US-Präsident vereidigt wird, gewinnt der HSV vor den treuesten Fans mit 3:0. Wichtiger aber ist, was am Rande passiert: Die Supporter verteilen Flugblätter, mit denen sich ihre vier Aufsichtsratskandidaten vorstellen. Der Titel: Change. Wechsel.

Am Morgen danach schiebt Bernd Hoffmann das Kampfpapier missmutig über den Tisch. Dass er nach sieben Jahren als insgesamt 25. HSV-Präsident so etwas wie der George W. Bush des Vereins sein soll, mag ihm nicht einleuchten. "Der HSV ist wirtschaftlich stabil, sportlich erfolgreich und ein Botschafter dieser Stadt", sagt Hoffmann, dem das komplexe Gebilde Großverein bisweilen eine skurrile Agenda beschert: "Da beschäftige ich mich gleichzeitig mit einem Millionentransfer von Nigel de Jong, der Vorbereitung einer Versammlung mit ein paar tausend Mitgliedern - und dem Wiederaufbau der abgebrannten Halle der Tennisabteilung in Norderstedt." Wenn dann noch die Sparte Gymnastik klagt, es fehlten acht Matten zum Üben, wünscht sich der mit einem Millionengehalt entlohnte Manager manchmal die Ausgliederung des Profifußballs in eine eigene Kapitalgesellschaft. Er hat das Vorhaben auf Eis gelegt - nicht, weil er es für falsch hielte. Sondern für nicht mehrheitsfähig.

Ein Teil der Supporter fürchtet, dass Hoffmann die umstrittenen Pläne nicht für alle Zeiten begraben wird. Durch eine mögliche Ausgliederung der höchst profitablen Sparte Profifußball würde dem Gesamtverein HSV dann womöglich das Geld fehlen, um Breitensport und Nachwuchsangebote zu unterhalten. Die politisierten Fans klagen über den Verkauf von Namensrechten an Sponsoren oder über die Preisgestaltung. Weil etwa für das Nordderby gegen Werder Bremen in der Hinrunde bis zu 97 Euro für ein Ticket fällig wurden, blieben erstmals seit Jahren bei diesem Schlagerspiel 1000 Karten liegen. Mit Hoffmann haben die kritischen Fans ein passendes Feindbild. Denn dieser ist nicht in Jugendmannschaften des HSV groß geworden, sondern beim Sportrechtevermarkter Sport Five. Ihn umgibt, wie er selber sagt, kein "Airbag an Fußballemotion". Außerdem sei der Aufsichtsrat, so Manfred Ertel, "leider viel zu vorstandsnah" - ein Abnickgremium der Klubführung.

Für Hoffmann könnte es bald ungemütlicher werden. Zwar hat der Aufsichtsrat seinen Vertrag gerade ohne großes Federlesen um drei Jahre verlängert, doch schon beim nächsten Mal könnten insgesamt fünf Supporter in dem zwölfköpfigen Gremium sitzen - einen Sitz hat die Abteilung dort garantiert. Das würde ausreichen, eine Vertragsverlängerung für den Chef der Firma HSV, die 140 Millionen Euro Jahresumsatz macht, zu blockieren. Dafür ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig. Der Aufsichtsrat segnet auch die Finanzpläne ab, in denen die Ticketpreise geregelt sind, und redet bei größeren Ausgaben und teuren Spielertransfers mit. Da klingt es für den Vorstand wie eine Drohung, wenn Supporter-Kandidat Johannes Liebnau sagt: "Wir sind alle kommerzkritisch. Wir wollen Geld verdienen, um Fußball zu spielen, und nicht Fußball spielen, um Geld zu verdienen."

An Liebnau, mit 26 Jahren der jüngste der vier Supporter-Kandidaten für den Kontrollrat, lässt sich der Kampf im Klub am besten beschreiben. Der Betriebswirtschaftler besucht jedes Spiel des HSV, ob zu Hause oder auswärts, ob in München oder Moldawien. Sein Platz ist dabei meistens auf dem Sicherheitszaun, mit dem Rücken zum Spielfeld. Liebnau führt mit Megaphon die Fan-Gesänge an. Dabei geht es auch mal derber zu. "Tod und Hass dem SVW", skandierten die Fans unter Liebnaus Regie im Spiel gegen Bremen. Solche "nicht immer komplett gesellschaftsfähigen Gesänge, die auch mal den Gegner verunglimpfen", gehörten nun mal dazu, sagt Liebnau, der im zivilen Leben ein höflicher Mann ist. Der Vorstand rümpft die Nase: Ob ausgerechnet der Einpeitscher aus dem Fanblock im Aufsichtsrat den Verein repräsentieren sollte, sei diskussionswürdig.

Der zur Verteidigung des Kulturguts Fußball stilisierte Wahlkampf wird mit harten Bandagen geführt. Sogar Manfred Ertel, als Spiegel-Redakteur und Lebensgefährte der stellvertretenden grünen Bundestags-Fraktionsvorsitzenden Krista Sager erfahren in Machtspielen, ist von der Ruppigkeit überrascht. "Wir werden behandelt wie der letzte Pöbel aus der Westkurve. Ich verbitte mir ganz persönlich, von einem ehemals verdienten HSV-Mitglied, das noch nie ein Wort mit mir geredet hat, als Idiot bezeichnet zu werden."Gemeint ist der Ex-Präsident Wolfgang Klein, der die aufbegehrenden Fans nicht nur als Idioten, sondern auch als Totengräber bezeichnet hatte. "Notwehr" nennt Medienprofi Ertel jetzt die spätere Initiative, selbst Pressekonferenzen der Supporter zu organisieren, Flugblätter zu verteilen, Wahlkampf zu machen.

Bernd Hoffmann ist auf alles gefasst. Er würde gerne noch 2017 im Amt sein, wenn der Verein die Arena abbezahlt und jährlich 20 Millionen Euro mehr in der Kasse haben wird als jetzt. Die Versammlung am Sonntag könnte aber turbulent werden. "Herr Hoffmann muss sich von uns aber nicht bedroht fühlen", sagt Manfred Ertel. "Nur sein Job wird schwerer."

Es geht ihnen mehr ums Fußballspielen als ums Geldverdienen

Erfolgreich und trotzdem umstritten: der HSV-Vorstandsvorsitzende Bernd Hoffmann. Foto: dpa

Hoffmann, Bernd Hamburger SV Fußballfans SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Ein Abenteurer mit Tiefenwirkung

"Auftauchen nicht vergessen": Am heutigen Freitag feiert der Meeresforscher und Filmemacher Hans Hass seinen 90. Geburtstag

Von Jürgen Claus

Wer Hans Hass kennt, wird kaum überrascht sein über diesen Auftrieb. An seinem 90. Geburtstag an diesem Freitag will er bei der Düsseldorfer "boot" aufkreuzen, wahrscheinlich wird er umlagert von einer Vielzahl seiner Anhänger. Im Berlin der frühen vierziger Jahre hatte er mit dramatischen Schilderungen der Unterwasserjagd bereits den Grundstein für einen späteren Welterfolg gelegt. Heute noch faszinieren seine Filme Millionen Taucher weltweit.

Es gab eine Zeit, da hatte er sich, um dem Rausch der Tiefe zu entgehen, auf einer Aluminiumtafel notiert: "Auftauchen nicht vergessen!" Damals wurde noch mit Sauerstoff aus einem Luftsack unter Wasser geatmet. Hans Hass hat alle Techniken der Anpassung an den Unterwasser-Planeten mitgemacht, mehr noch: Er hat den Kompass aus der Horizontalen um 90 Grad nach unten gedreht. Alles fing damit an, dass der junge Wiener Anwaltssohn 1937 beim südfranzösischen Théoule mit einem überlangen Speer den Fischen nachjagte. Vom Tauchen wollte man seinerzeit nichts wissen, erste Artikel musste er in Angelsport-Zeitschriften veröffentlichen. Seine Doktorarbeit in Biologie - "die erste mit Hilfe eines autonomen Schwimmtauchgerätes ausgeführte wissenschaftliche Untersuchung" - holte er nach einem Bombenangriff in Berlin 1943 aus einem Safe der Universität heraus. Ihn selbst fischte man später zweimal "praktisch fast tot" aus dem Meer, wie er lebhaft erzählt.

Wiener Walzer am Meeresgrund

Direkte Naturbeobachtung, Feldforschung unter Wasser war sein Ziel. Dazu brauchte es ein Schiff, das er mit Vorträgen und Filmen finanzierte. Er kaufte 1943 von Graf Felix von Luckner dessen berühmtes Schiff Seeteufel, baute es als schwimmendes Forschungslabor für Taucher um und verlor es bei Kriegsende in Stettin. Mit dem erfolgreichen Unterwasserfilm "Abenteuer im Roten Meer", 1950 gedreht, auf der Biennale in Venedig preisgekrönt, legte Hass den finanziellen Grundstein für ein neues Forschungsschiff. Man spielte mit Unterwasser-Lautsprechern einen Wiener Walzer in die Tiefe, und die Fischschwärme schienen im Dreivierteltakt zu tanzen. Das Publikum war begeistert. Die junge Wienerin Lotte Baierl, die er im gleichen Jahr in zweiter Ehe heiratete, hatte genug Courage, auf Haie direkt zuzutauchen - legendäre Filmszenen. Zusammen mit ihr brachte es Hass zu Weltruhm.

1953 erwarb er sein eigenes, lange erträumtes Schiff, die Xarifa. Den 1927 gebauten Dreimastschoner, 50 Meter lang, 8 Meter breit - Vorbesitzer war der amerikanische Nähmaschinenkönig Singer - hatte er in Kopenhagen ausgemacht. Die Segelmasten waren abgeschnitten, das Schiff war zum Kohlentransporter degradiert. Die neue PR-trächtige Karriere der Xarifa begann nach einem kostspieligen Umbau mit einer Forschungsfahrt 1953 zu den Galapagosinseln. Der Herzog-Filmverleih bestand auf einem Spielfilm, der in allen großen Filmtheater laufen sollte. Der Text passte sich dem an: "Endlich nähert sich das Boot in brausender Fahrt der Felswand, wo Lotte getaucht ist. Lotte ist am Ende ihrer Kräfte. Sie kann sich der Haie nicht länger erwehren. Alles scheint verloren. Da gelingt es Hass, niederzustoßen und die blutgierigen Bestien zurückzutreiben. Mit letztem Atem schwimmen die beiden empor."

Heute, da digitale Unterwasserkameras mit hochverfeinerten optischen Objektiven an der Tagesordnung sind, kann man sich über den technischen Aufwand der Hass-Filme, die jetzt auf DVD vorliegen, nur wundern. Die acht Wissenschaftler, Techniker, Filmleute an Bord mussten mit der zwölfköpfigen Besatzung alle Arbeiten multifunktional verrichten. Um Farbfilme unter Wasser zu drehen, setzte Hass riesige wasserdichte Filmscheinwerfer ein, zwei Generatoren mit je 30 Kilowatt an Bord lieferten den Strom über Kabel von 500 bis 700 Meter Länge. Hass tauchte, filmte, sprach in Mikrophone über und unter dem Wasser.

Nach der zweiten Xarifa-Filmexpedition, die 1957 über die Malediven und Nikobaren bis Singapur führte, zog Hans Hass schließlich ein Resümee. "Ich war nur der Manager des Ganzen", klagte er. Die wissenschaftlichen Ergebnisse, die den promovierten Biologen zutiefst faszinierten, blieben außen vor, beziehungsweise den anderen Expeditionsteilnehmern vorbehalten. Um die jährlichen Unterhaltskosten von 400 000 Mark einzuspielen, hätte er pro Jahr 13 Filme à 60 Minuten oder 26 Halbstundenfilme abliefern müssen. Hier zeigt sich auch der Unterschied zum neun Jahre älteren Jacques-Yves Cousteau, dem "Kommandanten”: Cousteau war mit seinem 1951 gekauften und umgebauten Schiff, der Calypso, notfalls auch bereit, Fracht zu bewegen, um seine Mannschaft zu halten. Wichtiger noch: Cousteau erhielt staatliche Unterstützung, so ab 1955 vom Unterrichtsministerium in Paris, und zudem Geld von der National Geographic Society. Hass dagegen musste vier Fünftel seiner Kosten über die Filme einspielen.

In seinem Bericht zur zweiten Xarifa-Expedition beschreibt er das traumhafte Erlebnis des Tauchens und des Auftauchens: "Das Gefühl, wieder ins Leben zurückzukehren, gleicht einer bewusst erlebten, sich lawinenhaft entfaltenden neuen Geburt. Die Luftblasen platzen auseinander, perlen, torkeln trunken, tanzen hinauf zum Licht. Eine dieser lebenstrunkenen Blasen ist man selbst."

Die zweite Karriere

Er war erst 41 Jahre alt, als er die Xarifa 1960 an einen italienischen Großindustriellen verkaufte. Hans Hass hatte neue Pläne. Er zog sich zunächst völlig vom Meer zurück und begann eine zweite Karriere. Ihn interessierte nunmehr "Das verborgene Gemeinsame", wie sein späteres Buch im Untertitel hieß - eine komplexe evolutionstheoretische Studie, in der es um den Lebensstrom und die Energieflüsse von Organismen geht. Hass erfand für seine These den Namen "Energone" und forschte zehn Jahre an seinem Projekt. 1978 setzt er eine Prämie von 100 000 Mark für die Widerlegung seiner These aus. Das Geld ist bis heute nicht ausgezahlt.

Hans Hass, der 1977 von der Universität Wien den Professorentitel erhielt, hat sich mit seiner wissenschaftlichen Arbeit bei den Tauchern nicht beliebt gemacht: Die Kollegen haben seine Hinwendung zur Wissenschaft glatt übersehen. Für sie ist Hass, wo immer er auftaucht, der geniale Erfinder unzähliger Tauchtechniken, der film- und fotobesessene Abenteurer der sieben Meere, der Kapitän Nemo der Unterwasserexpeditionen. Schließlich kehrte er auch mit neuen Filmen in die Unterwasserszene zurück. Er besuchte die Riffe, die er Jahrzehnte zuvor als Pionier aufgenommen hatte. Es war nun eine andere Welt. Auch durch seine eigenen Erfolge war die Unterwasserwelt Hunderttausenden Tauchern zum Urlaubsziel geworden.

In der Frühzeit des Tauchens erlebte der Poet und Filmemacher Jean Cocteau zusammen mit dem Tauchsportpionier Yves Le Prieur die Unterwasserwelt und sagte entzückt: "Sie haben mir eröffnet, was die Zukunft bringt. Die Fürsten Ihres Königreiches sind Leonardo und Ju- les Verne." Diesen Entdeckungen ist das Lebenswerk von Hans Hass gewidmet.

Ein Pionier, der die Tauchtechnik voranbrachte: Hans Hass 1945 bei einem Einsatz unter Wasser und im Jahr 2004. Oben: Gemeinsam mit seiner Frau Lotte filmte und fotografierte er an Bord der Xarifa. Foto: Getty, AP, dpa

Hass, Hans: Geburtstag SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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EIN ANRUF BEI . . .

Thomas Krappweis, Erfinder des Kika-Maskottchens, zur Entführung von "Bernd das Brot"

Der Star des ARD/ZDF-Kinderkanals "Bernd das Brot" ist von seinem angestammten Platz am Erfurter Rathaus entführt worden. Auf YouTube ist ein Bekenner-Video zu sehen, in dem Hausbesetzer behaupten, sie hätten die zwei Meter große Kunststoff-Figur in ihrer Gewalt. Erfunden wurde Bernd von Thomas Krappweis, 37, Oberwitzbold bei der Münchner Produktionsfirma Bumm Film.

SZ: Herr Krappweis, das Brot ist weg. Was sagen Sie dazu?

Krappweis: Ich bin bestürzt und erschüttert, gleichzeitig etwas zerknirscht. Es ist bestimmt das dritte Mal, dass dem armen Bernd etwas passiert ist in Erfurt. Er wurde schon beschmiert, umgeworfen und nun auch noch entführt. Ich würde unserem Brot wirklich wünschen, dass man es mal in Ruhe lässt.

SZ: Wie kommen Menschen denn auf die Idee, ein sprechendes Brot zu entführen - und das auch noch aus politischen Gründen?

Krappweis: Jeder hat sich vielleicht schon mal gefühlt wie Bernd. Unter Druck gesetzt. In die Ecke gestellt. Missachtet. Vielleicht sympathisieren die Hausbesetzer deshalb mit dem Brot - und hoffen, dass Bernd umgekehrt mit ihnen sympathisiert. Aber Bernd sympathisiert vorrangig mit sich selbst, und ich glaube, er zöge Mieten dem Besetzen vor.

SZ: Wie fühlt sich Bernd wohl in der Hand der Entführer?

Krappweis: Wie ich ihn kenne, möchte er einfach nur nach Hause. Recht hat er.

SZ: Bernd das Brot ist abends und nachts in einer Endlosschleife auf dem Kinderkanal zu sehen, sein Gesicht erscheint öfter auf dem Bildschirm als das von Angela Merkel. Hoffen die Entführer vielleicht auf den hohen Bekanntheitsgrad des Brotes?

Krappweis: Es scheint so zu sein. Und Frau Merkel wird ja auch besser bewacht als Bernd. Auf jeden Fall sind die Entführer profunde Bernd-Kenner. Das Bekennervideo ist von den Bernd-Texten her ziemlich gut recherchiert.

SZ: Heißt das, es könnte jemand vom Fernsehen dahinter stecken? Ist das Ganze gar eine inszenierte PR-Aktion?

Krappweis: Nein, davon wüßte ich, meine Firma produziert ja alle Sendungen mit Bernd. Wir besetzen auch keine Häuser. Außerdem würden wir den Original-Bernd nehmen und nicht das sackschwere Denkmal. Aber es war scheinbar ein Bernd-Fan, der das Video produziert hat, denn er hat Töne aus Folgen verwendet, die bereits vor langer Zeit gesendet wurden. Bernd das Brot gibt es ja schon seit dem Jahr 2000.

SZ: Wie kamen Sie eigentlich damals auf die wahnwitzige Idee, ein depressives Kastenbrot zum Star eines Kinderfernsehsenders zu machen? Man hätte auch auf etwas kuscheligere Wesen wie Häschen oder Mäuschen setzen können.

Krappweis: Der Kika war auf der Suche nach einem Maskottchen und hatte bei mehreren Produktionsfirmen angefragt, auch bei Jim Henson. Eigentlich wollte der Kika ein Schaf haben, weil das damals noch nicht besetzt war. Beim Abendessen in einer Pizzeria habe ich dann mit dem Blick auf den Brotkorb auf einer Serviette herumgekritzelt. Dabei entstand eine Figur in Kastenbrotform, das Gesicht stammt von meinem Kollegen Norman Cöster. Der saß mir gegenüber, sieht in etwa so aus wie Bernd und hat auch sonst viel mit ihm gemein.

SZ: Ihre Botschaft an die Entführer?

Krappweis: Lasst Bernd frei! Der arme Kerl hat genug zu leiden. Entführungen, und seien es auch nur Entführungen von Brot, halte ich für das falsche Mittel, um politische Ziele durchzusetzen.

Interview: Titus Arnu

Entführt: Bernd das Brot. Entsetzt: Tommy Krappweis. Foto: Bumm Film/oh

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Schlechte Zeiten für Google

Android-Entwickler Horowitz verlässt den Konzern

Wenige Tage noch, dann kommt das erste Google-Handy auch nach Deutschland. G1 heißt es, aber nicht die Hardware ist das Besondere. Auf dem Mobiltelefon läuft ein Betriebssystem namens Android, mit dem es besonders leicht sein soll, unterwegs im Internet zu surfen. Auf diese Weise will der Suchmaschinenbetreiber gegen Rivalen wie Apple, Microsoft oder Nokia punkten. So ist es für Google keine gute Nachricht, dass ausgerechnet jetzt Steve Horowitz, der Chefentwickler des Handy-Systems, den Konzern verlässt. Besonders dürfte die Google-Führung aber seine Begründung schmerzen: Im Wirtschaftsabschwung sehe er bei seinem neuen Arbeitgeber, dem Entwickler von Online-Rabattsystemen Coupons.com, bessere Chancen.

Google galt bislang als Enfant terrible der IT-Branche. Die Gründer der Internetsuchmaschine Sergey Brin und Larry Page veranstalteten noch Partys mit Champagner, als es beim Rest der Branche schon lange nur Selters gab. Das Wachstum durch Werbung im Netz schien grenzenlos. Nun stößt in der Wirtschaftsflaute auch Google an Grenzen. Zum ersten Mal in der Unternehmensgeschichte müssen Beschäftigte gehen, unrentable Dienste werden eingestellt. Der 41-jährige Horowitz hielt die Zeit für gekommen, sich einen anderen Arbeitgeber zu suchen - mit besseren Perspektiven.

Seine neue Firma, Coupons.com, bietet Online-Rabattmarken zum Herunterladen. Zwei Dollar Abschlag etwa gibt es dort aktuell auf ein Shampoo oder 75 Cent für ein italienisches Salatdressing aus dem Supermarkt. Horowitz wird Technikchef bei Coupons.com. Die Aufgabe klingt wenig aufregend für einen Mann, der vorher bei Apple, Microsoft und zuletzt seit 2006 bei Google gearbeitet hat - doch Horowitz glaubt, dass die Firma mit weniger als 100 Angestellten in unruhigen Zeiten die bessere Alternative zum Posten beim 17 000-Mann-Konzern ist. Thorsten Riedl

Steve Horowitz Foto: oh

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Bummeln gilt nicht

Weil die Hamburger S-Bahn im vergangenen Jahr nur in neun von zehn Fällen pünktlich kam, kriegt sie jetzt eine Strafe aufgebrummt

Von Jens Schneider

Hamburg - Es erscheint wie eine Art pädagogisches Experiment, mit täglich Hunderttausenden Fahrgästen als Probanden. Zu klären ist bei diesem Versuch eine für Passagiere der Bahn oder S-Bahn wesentliche Frage: Kann Strafe besser machen? In Hamburg wird die S-Bahn, ein Tochterunternehmen der Bahn, demnächst eine Strafe von mehr als einer Million Euro zahlen müssen, weil ihre Züge im vergangenen Jahr nicht pünktlich genug waren. Die Hamburger S-Bahn mit ihren jährlich 200 Millionen Fahrgästen hat ihre selbstgesteckten Ziele nicht erreicht. Sie habe eine Pünktlichkeitsquote von 94,7 Prozent angestrebt, aber nur einen Wert von gut 90 Prozent erreicht, so eine Sprecherin des Hamburger Verkehrsverbunds (HVV).

Hamburgs S-Bahn wird deshalb innerhalb des Hamburger Verkehrsverbunds die Millionenstrafe zahlen müssen, die anderen Teilen des Verkehrsverbunds zugute kommt. Zum Verbund gehören die Hamburger Hochbahn, von der die U-Bahnen betrieben werden, oder diverse Busunternehmen. Anfang 2008 schloss der Verbund mit seinen Unternehmen eine Vereinbarung, um die Qualität des Nahverkehrs zu sichern. Sie setzten sich Ziele für die Pünktlichkeit, die Kundenzufriedenheit oder den Service. Ein Teil der Gesamteinnahmen wurde zurückgehalten, je nach Planerfüllung gibt es nun Bonuszahlungen oder eben auch Strafen.

Diese Hamburger Form des Qualitätsmanagements innerhalb eines Verbunds sei einzigartig, berichtet die Sprecherin des Verkehrsverbunds. Und die S-Bahn stehe in diesem Jahr wieder vor dem gleichen Ziel. Dass es zu Strafzahlungen für Unpünktlichkeit oder ausgefallene Züge kommen kann, ist indes keineswegs außergewöhnlich. Zwischen Verkehrsunternehmen und den Ländern als Auftraggebern gebe es in Verträgen entsprechende Klauseln, so ein Sprecher der Deutschen Bahn. Die durchschnittliche Pünktlichkeit für den Personenverkehr liege deutlich über 90 Prozent.

In Bayern hat die Bayerische Eisenbahngesellschaft als Besteller der Verkehrsleistungen wegen mangelhafter Leistungen gerade bis auf Weiteres ihre Zahlungen an die DB gekürzt. In Berlin haben Politiker der S-Bahn zuletzt nach Problemen in den eiskalten Tagen zu Jahresbeginn mit einer Kürzung der Zuschüsse gedroht. Der größte Fortschritt für die Fahrgäste dürfte bisher freilich im Zugewinn an Wissen liegen. Nur ist das Wissen nicht immer nützlich: Man wird nur intensiver über Gründe für Verspätungen informiert, und sei es mit dem Hinweis auf "Störungen im Betriebsablauf". In Hamburg soll die S-Bahn deshalb auch eine - winzige - Bonuszahlung bekommen: für die gute Information der Kunden bei Störungen.

Pendlergetümmel am Hamburger Hauptbahnhof: Nur 90 Prozent der S-Bahn-Züge sind hier pünktlich. dpa

Öffentlicher Nahverkehr in Hamburg SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Sprecher der Banken

Karl-Peter Schackmann-Fallis, Vorstandsmitglied im Deutschen Sparkassen- und Giroverband, wird neuer Vorsitzender des Europäischen Ausschusses der Kreditwirtschaft (EBIC). Er folgt damit dem Generalsekretär der italienischen Bankenvereinigung, Giuseppe Zadra, der turnusgemäß den Chefposten abgibt. EBIC ist eine Interessenvertretung europäischer Banken. Reuters

Schackmann-Fallis, Karl-Peter: Karriere SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Ein Fall mit vielen Folgen

Ex-Postchef Klaus Zumwinkel zeigt sich im Prozess als reuiger Steuersünder, und erstmals seit elf Monaten taucht er hinter großen Summen wieder als Person auf. Der Angeklagte will zu seiner Verantwortung stehen, der Richter will ihn nicht anders behandeln als andere - und draußen stehen Menschen, die das kaum glauben wollen

Von Hans Leyendecker

Bochum - Als Klaus Zumwinkel an diesem Donnerstagmorgen vor dem Landgericht Bochum vorfährt, muss er wieder einmal erfahren, dass schon die bloße Erwähnung seines Namens für Unruhe und Getöse sorgt. Demonstranten haben vor dem Gebäude eine Mahnwache eingerichtet und halten Plakate und Transparente hoch: "Je reicher, desto gleicher", ist zu lesen, und: "Für Zumwinkel ist alles klar - ein Strafprozess wird zum Basar."

Eine linksalternative Gruppe aus dem Revier singt das für diesen Anlass geschriebene "Bochumer Zumwinkel-Lied vom Dealen für Freiheit und Gerechtigkeit": "Schiebst du deine Millionen still am Steuersack vorbei, Richter werden dich verschonen, bisschen dealen, bleibst du frei", lautete die erste von sieben Strophen. Am Ende heißt es: "Wird der Rechtsstaat auch zur Leiche - Freiheit für besonders Reiche." Zu den Initiatoren der Demonstration gehörte auch ein linker Bochumer Amtsrichter.

Wer in den Saal 240 C will, wo Zumwinkels Fall von 11.35 Uhr an verhandelt wird, muss eine Sicherheitsschleuse passieren. Der Spießrutenlauf durch das Heer der Fotografen bleibt dem früheren Postchef immerhin erspart. Er gelangt auf Nebenwegen in den Saal. An seiner Seite sind seine Anwälte Hanns Feigen und Rolf Schwedhelm. Nur drei Fotografen und zwei Kameraleute dürfen vor Beginn der Verhandlung in den Gerichtsaal: Zumwinkel steht aufrecht, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Manchmal wendet er sich zur Seite.

Dass er nicht wie ein Champion einziehen würde, war klar. Trotzdem versucht der 65-Jährige wie ein Mann dreinzuschauen, der auch im gr ßten Getümmel über der Situation steht.

Ganz leicht fällt ihm diese früher so selbstverständliche Souveränität an diesem Tag sicherlich nicht. Dafür ist in den vergangenen elf Monaten zu viel passiert. Über den ehemaligen "Strategen des Jahres" und "Manager des Jahres" ist nicht nur an den Stammtischen das Urteil längst gesprochen worden. Einen "neuen Asozialen" hat ihn der SPD-Generalsekretär Hubertus Heil genannt, weil Zumwinkel Millionen Euro bei der LGT-Bank in Liechtenstein vor dem Fiskus versteckt hatte. Und auch ehemalige Kollegen haben ihn behandelt, als hätte er eine ansteckende Krankheit. Dabei gab Zumwinkel eigentlich nur den ungezählten Steuersündern im Land einen Namen.

Auf der Richterbank haben die Mitglieder der 12. Großen Wirtschaftsstrafkammer Platz genommen: drei Berufsrichter, zwei Laienrichter. Einige von ihnen haben schon eine Menge Erfahrung mit der Bewältigung von Wirtschaftsstrafprozessen. Vor allem der Vorsitzende Richter, Wolfgang Mittrup, 56, ist sehr routiniert.

Auf der Bank der Ankläger sitzen die Staatsanwältin Daniela Wolters, 34, und der Bochumer Oberstaatsanwalt Gerrit Gabriel, 39, die noch nie so im Scheinwerferlicht standen. Zumwinkel lächelt freundlich. Die junge Staatsanwältin hat er schon am 14. Februar 2008 kennengelernt, als die Villa in Köln, die er gemietet hat, durchsucht wurde.

Der Vorsitzende Richter Wolfgang Mittrup, 56, verliest die Personalien des Unternehmersohns Zumwinkel. Das Gericht erfährt von ihm, dass in der Anklage bei den Vornamen (Klaus Peter Richard) ein Otto unterschlagen wurde. Die Staatsanwältin nimmt seinen Hinweis auf den fehlenden Otto gleich auf, als sie den Anklagesatz vorträgt und nennt alle Vornamen.

Zumwinkel wird vorgeworfen, zwischen 2003 und 2007 rund 967 000 Euro Einkommensteuer einschließlich Solidaritätsbeiträgen hinterzogen zu haben. In Liechtenstein lagerten Ende 2006 auf seinen Konten rund 11,8 Millionen Euro. Zahlen mit vielen Nullen schwirren durch den Raum. Einige Zuhörer seufzen.

Mehr als diese Zahlen interessieren das Publikum und auch die Medien Schicksal, Lebenskurve, Biographie. Als die Erklärungen zur Person kommen, trägt Zumwinkel seine beeindruckende Vita vor. Es wird still im Saal. Zumwinkel erzählt von sich. Von Menschen. Von Geschäften. Erst war er Direktor bei der Unternehmensberatung McKinsey & Company, dann Chef von Quelle, bis er 1990 als Chef der Post anfing und tüchtig aufräumte: "Ein Sanierungsfall, stark defizitär." Er hat in seinem Berufsleben eine Stufe nach der anderen genommen, immer höher. Die Chinesen, die Japaner, alle wollten seinen Rat, mehrere Kanzler auch. Vor dem 14. Februar 2008 wurden ihm Posten und Ehrungen angeboten. Er hatte die Auswahl - bis er abstürzte.

Jetzt hat der einst Vielgefragte nicht nur in Kontrollgremien keinen Platz mehr. "Aufgrund meiner Reputation", fängt er einen Satz an und fügt dann rasch hinzu: "In dem Feld." Er redet über das Ansehen, das er als Manager hatte. Seine Sprache ist seltsam gefärbt - der Klang vom Niederrhein und vom Revier mischen sich - das klingt sympathisch.

Fast ein Jahr lang hat dieser Mann in der Öffentlichkeit geschwiegen. Er hat keine Interviews gegeben, er hat sich nicht in Talkshows einladen lassen; manchmal hat er davon geträumt, wenigstens Wohltätigkeitsveranstaltungen zu besuchen. Dazu sei die Zeit noch nicht reif, haben seine Berater gemeint, und er hat sich wieder auf seine 800 Jahre alte Burg über dem Gardasee zurückgezogen, die heute einen Wert von rund fünf Millionen Euro hat.

Auffällig ist bei seinem Vortrag, dass er sich mit Zahlen schwer tut. Wann der Vater oder die Mutter geboren und gestorben sind, bleibt im Ungefähren. Der Postzusteller Heinz-Otto Labudda, der schon 41 Jahre die Post in Gevelsberg austrägt und am frühen Morgen um halb sechs Uhr vor dem Landgericht stand, um Einlass zu bekommen, findet das "komisch". "Warum hat der eine solche Gedächtnislücke?", fragt er, und die vielen Fernsehkameras filmen Labudda, weil auf seiner gelben Jacke "Deutsche Post" steht.

Vielleicht fallen Zumwinkel manche Zahlen an diesem Tag nicht ein, weil er aufgeregt ist. Er hat einen sehr roten Kopf. Eigentlich ist Zumwinkel, wie seine Freunde sagen, ein Familienmensch. Seine Frau Antje, mit der er seit 37 Jahren verheiratet ist, und die beiden 29 und 28 Jahre alten Kinder stehen zum Vater. Einige Freunde auch.

Hier im Saal verhandeln Menschen miteinander, die aus verschiedenen Welten kommen. Nur das Strafrecht hat sie zusammengebracht, und sie versuchen, die Sprache der anderen zu verstehen. Während Zumwinkel redet, hört ihm der Vorsitzende Richter Mittrup aufmerksam zu. Er hat gleich klar gemacht, dass er diesen Prozess wie jeden anderen Prozess führen werde, und dass es weder eine besondere Behandlung gebe, noch eine Absprache gegeben habe. Es wird rasch klar, dass der Vorsitzende, der ebenso wie Anwalt Feigen im Revier geboren ist, ein gelassener Mann ist, und selbst wenn er ein anderes Naturell hätte, geböte ihm die Vernunft, an diesem Tag gelassen zu wirken.

Dann werden die Vermögensverhältnisse Zumwinkels erörtert. Der angeblich so gierige Ex-Manager hat die Burg, zwei Autos, ein Boot am Gardasee, und auf dem Konto liegen rund acht Millionen Euro. Sein Nettoeinkommen schätzt er auf 600 000 Euro jährlich. Als er sein Vermögen addiert, seufzt wieder ein Zuhörer vernehmlich. Bei solchen Betrachtungen kommt es meist nur auf den jeweiligen Standort an. Ob einer aus dem Tal oder vom Gipfel aus auf die Welt schaut, macht schon einen Unterschied.

Zumwinkel hat einen Fehler gemacht, und über das Wesen des Fehlers hat der zynische Polizeiminister Napoleons, Joseph Fouché, mal gesagt: "Das ist mehr als ein Verbrechen, es ist ein Fehler."

Zumwinkel sagt nun vor Gericht, das Versteck in Liechtenstein "war der größte Fehler meines Lebens". Die Folgen seien "schmerzhaft" gewesen. "Meine beruflich Tätigkeit hat ein jähes Ende gefunden." Und der Beruf sei doch "mein Leben" gewesen. Dabei stockt seine Stimme immer wieder. Im vergangenen Jahr habe er oft über diesen "Fehler" nachgedacht. "Die größte Strafe" habe er schon "erlitten". Die Auswirkungen auf die Familie seien gewaltig gewesen. Sein Haus sei belagert worden, es habe Drohanrufe gegeben, böse Briefe. "Ich will aber nicht klagen."

Richter Mittrup fragt: "Warum sind Sie 1986 nach Liechtenstein gegangen? Sie waren doch ein vermögender Mann." Zumwinkel antwortet: "Herr Vorsitzender, diese Frage habe ich mir auch in den vergangenen Monaten sehr häufig gestellt." Ihm sei damals geraten worden, "schon einmal versteuertes Geld nicht noch einmal zu versteuern", und das habe ihm eingeleuchtet. Mittrup hakt nach: "Warum haben Sie das nicht gestoppt?" Es gab doch Amnestien für Steuerflüchtlinge. Er habe Angst vor einer Indiskretion gehabt, antwortet Zumwinkel. Eine Selbstanzeige, die publik geworden wäre, hätte auch das berufliche Ende sein können. Er habe doch erlebt, dass Details aus seiner Steuerakte in den Zeitungen gestanden hätten. Aber, fügt er hinzu: "Die Angst war ein schlechter Ratgeber." Er wolle nicht klagen, sondern stehe zu seiner Verantwortung. Mit der heutigen Verhandlung wolle er auch einen Schlussstrich ziehen.

Eher beiläufig sagt Zumwinkel, er habe kein strittiges Verfahren führen wollen. Dabei habe ihm mancher geraten, lange zu prozessieren, um festzustellen, ob die Steuerbehörden die Datensammlung aus Liechtenstein überhaupt verwenden dürfen. Ein untreuer früherer Angestellter der LGT-Bank hatte Unterlagen mit Angaben über mehr als 4500 Stiftungen in Liechtenstein gestohlen und dem Bundesnachrichtendienst vier DVDs für rund 4,6 Millionen Euro verkauft. Der BND hat sie an die deutschen Steuerbehörden weitergereicht. "Aus der Geschäftsbesorgung des BND" könne ein "straf- und steuerrechtliches Beweisverwertungsverbot abgeleitet" werden, hatten Experten wie der Neuwieder Rechtsprofessor Franz Salditt gemeint. Mittrup nimmt den Hinweis Zumwinkels auf. Auch die Kammer habe die Verwertbarkeit geprüft und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass sie zulässig sei. Andererseits sei das eine juristisch "interessante Frage". Er würde es "begrüßen, wenn Obergerichte diese Frage prüfen würden".

Da schaltet sich Zumwinkels Anwalt Feigen ein. Das Problem bei den juristischen Prüfungen sei doch, dass "kein Mensch in dieser Welt, außer ein paar BND-Leuten weiß, wie die Story wirklich war." Angeblich wurden die Unterlagen dem BND angedient, und der Dienst will nur Amtshilfe geleistet haben. Dann können die Daten vermutlich verwendet werden. Es gibt aber auch Gerüchte, dass der Nachrichtendienst den Datendieb angeworben haben soll. Um das zu kaschieren, soll er sich als Informant ausgegeben haben. Feigen weist darauf hin, dass viele Kollegen Tipps gegeben hätten, wie ein solches Verfahren aus Verteidigersicht zu führen sei. Sogar Plädoyers sind ihm geschickt worden. Die Ratschläge sind auf drei Begriffe zu reduzieren: kämpfen, kämpfen, kämpfen.

Aber jeder Kampf geht mal zu Ende, und dann? Möglicherweise, so hat es Anwalt Feigen ausgerechnet, könnte sein Mandant bei einer strittigen Verteidigung obsiegen, eher aber nicht. Möglicherweise fiele bei einer Konfliktverteidigung nicht die im Fall Zumwinkel zu erwartende Bewährungsstrafe an, sondern eine Haftstrafe. Dann könnte er in die Revision gehen und würde beim zuständigen 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs landen. Der Senat hat vor kurzem schon sehr grundsätzlich geurteilt, bei Hinterziehung in Höhe von einer Million Euro könne nur in Ausnahmefällen auf die Haft verzichtet werden.

Voraussichtlich am kommenden Montag wird das Urteil verkündet werden. Auch weil ein Bad Homburger Kaufmann, der 7,6 Millionen Euro Steuern hinterzogen hatte, im Sommer 2008 in Bochum mit zwei Jahren auf Bewährung davonkam, wird es bei Zumwinkel voraussichtlich eine Bewährungsstrafe geben.

Einige der Demonstranten werden ein solches Urteil möglicherweise für Klassenjustiz halten. Bevor sich die Demo vor dem Landgericht auflöst, geht ein Mann auf die Gruppe zu und sagt: "Für eine schlappe Million stellt ihr euch hin. Als die amerikanischen Banker 350 Milliarden verbrannten, wart ihr nicht zur Stelle, ihr Eichhörnchen."

Zahlen mit vielen Nullen schwirren durchs Gericht. Zuhörer seufzen

"Die Angst war ein schlechter Ratgeber"

"Ich will nicht klagen": Klaus Zumwinkel (links) gibt sich beim Prozessauftakt in Bochum sehr kooperativ. Foto: AP

Zumwinkel, Klaus: Rechtliches Zumwinkel, Klaus: Steueraffäre SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Wachwechsel bei Citigroup

Die von der Finanzkrise schwer getroffene US-Großbank Citigroup wechselt den Chef ihres Verwaltungsrates aus. An der Spitze des Kontrollgremiums steht künftig der frühere Chef des US-Medienkonzerns Time Warner, Richard Parsons. Der 60-Jährige löst am 23. Februar Sir Winfried Bischoff ab, der wegen der Schieflage der Bank massiv in der Kritik steht. Die US-Regierung musste die Bank bereits mit Milliardensummen und einem enormen Rettungsschirm stützen, große Bereiche des Instituts sollen vekauft werden. Am Markt wurde zuletzt sogar immer wieder über eine komplette Verstaatlichung spekuliert. Parsons sitzt bereits seit 1996 im Verwaltungsrat. Bischoff, der vorwiegend in London lebt, war Ende 2007 übergangsweise für einen Monat auch Konzernchef (CEO) der Citigroup. Mit der Berufung von Vikram Pandit auf den Chefsessel wechselte er vor gut einem Jahr an die Spitze des Verwaltungsrates. Über seine Abberufung war bereits seit Monaten spekuliert worden. Nach Ansicht von Kritikern hat Bischoff nicht aktiv genug an der Rettung der Citigroup mitgewirkt. Angesichts der Notlage des Konzerns steht allerdings auch Pandit unter Druck. dpa

Parsons, Richard: Karriere Citigroup Inc.: Management SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Der Abgang einer Kennedy

Am Ende schien Caroline Kennedy nur noch froh zu sein, dass alles vorbei ist. Entnervt, erschöpft und verbittert erklärte die Tochter aus berühmtem Hause, sie strebe nicht länger nach Washington. So verzichtet sie auf die Chance, als Nachfolgerin von Hillary Clinton den Staat New York im US-Senat zu vertreten. Sprach's, und zog sich zurück hinter die Gardinen ihres Appartements auf Manhattans Upper East Side.

Von dort wird Caroline Kennedy die Politik nun wieder so distanziert betrachten, wie sie es bis zum Januar 2008 meist getan hatte: Im Fernsehen und mit dem Gefühl, dass all dies Gerangel um Posten und Power nichts für sie sei. Es galt ja eh als Sensation, dass "Sweet Caroline", die schon als Kind besungene und zur Legende verklärte Tochter von JFK, sich vor einem Jahr vorgewagt hatte in die reale Welt des Politik. Mit dem Nimbus ihrer Dynastie und zusammen mit Onkel Teddy warb Kennedy für Barack Obama, avancierte sogar zu seiner Beraterin. Da verfielen dann zu viele Freunde - wohlmeinend und doch schlecht beraten - auf die symbolträchtige Idee, Kennedy solle als Aushilfs-Senatorin doch Hillary Clinton und obendrein ihren ermordeten Onkel Bobby beerben. Auf dass Camelot, der Mythos der Kennedys, fortlebe!

Doch Caroline Kennedy offenbarte schnell, dass sie für die große Bühne nicht geschaffen ist. Diese schüchterne Frau verbog sich, blamierte sich mit Banalitäten und Füllwörtern in Interviews. Schon ging das böse Wort um, sie sei "die Sarah Palin von New York" - also so dümmlich und peinlich wie zuvor die allseits veralberte republikanische Vize-Kandidatin aus Alaska. Per Verzicht hat Kennedy diese Häme widerlegt. Das war klug und hat ihren Namen gerettet. cwe

Kennedy Schlossberg, Caroline: Rücktritt SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Licht im Nebel

Der Bundesgerichtshof hält in der Online-Werbung manchen Trick für zulässig - die Grundsatzfrage verweist er aber nach Luxemburg

Von Helmut Kerscher

Karlsruhe - Jeder "User" kennt das Bild: Nach der Eingabe von Begriffen in der Internet-Suchmaschine Google erscheinen in Sekundenschnelle links Tausende Treffer und rechts eine Spalte mit "Anzeigen". Was nicht jeder weiß: Wie diese Online-Werbung funktioniert, was sie kostet und wie oft sich damit schon Gerichte befasst haben. Nach etwa 100 Entscheidungen gab es am Donnerstag endlich zwei Grundsatzurteile des Bundesgerichtshofs (BGH) - und einen Beschluss, mit dem die wichtigste Rechtsfrage dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg überantwortet wurde. So lichtete sich der Nebel über der überaus lukrativen Online-Werbung nur teilweise.

Im Zentrum des juristischen Schlachtgetümmels steht ein Wort, das sich wie "Edward" anhört und "Adword" geschrieben wird. Es geht auf das englische Wort „Adverts" für Werbeanzeigen zurück und ist für den weltweit größten Suchmaschinenbetreiber Google im doppelten Sinn ein Schlüsselwort. Zum einen spielen die Adwords einen großen Teil der Milliardengewinne ein, zum andern handelt es sich dabei tatsächlich um Schlüsselworte (keywords). Wer bei Google eine Anzeige schaltet, kann bestimmte Adwords mit Firmenbezug festlegen. Kommen diese in einer Trefferliste vor, dann erscheint zugleich im Anzeigenfeld das werbende Unternehmen mit einem Link. Wenn der Nutzer diese Anzeige anklickt, sind Nutznießer sowohl Google als auch die werbende Firma. Letztere hat eine ziemlich zielgenaue Werbung, wofür sie pro Klick an Google zahlt. Der Konzern bietet den Kunden an, die Werbekosten durch ein festes Budget zu begrenzen. Als Beispiel nennt Google ein Tagesbudget von fünf Euro und einen maximalen Betrag von zehn Cent pro Klick.

Bleibt bloß die Frage: Welche Adwords sind erlaubt? Absichtlich oder unabsichtlich können sie mit geschützten Kennzeichen kollidieren. So verwendete eine Anbieterin von Erotikartikeln das Adword "bananabay" - was aber die geschützte Wortmarke einer konkurrierenden Firma ist. Wer also bei Google "bananabay" eingab, sah neben der Trefferliste auch die Anzeige der Firmen, die "bananabay" als Adword angegeben hatten. Der Streit über die Zulässigkeit dieses mit einer fremden Marke identischen Adwords wanderte von Braunschweig nach Karlsruhe und wird nun das EU-Gericht in Luxemburg beschäftigen. Der BGH sah sich aus rechtlichen Gründen außerstande, den Streit selbst zu entscheiden.

Die einschlägigen Bestimmungen des deutschen Rechts beruhten nämlich auf harmonisiertem europäischen Recht, weshalb der BGH die Luxemburger Kollegen zu einer Vorabentscheidung anrief (Az: I ZR 125/07). "Die eigentlich streitige Frage, ob Adword-Werbung eine markenmäßige Benutzung darstellt, ist damit nach wie vor offen", sagte BGH-Richter Joachim Bornkamm bei der Verkündung. Als Beispiel nannte er die Verwendung des Adwords "Coca-Cola" durch einen kleinen Limonaden-Produzenten. Seine Anzeige würde dann neben der Trefferliste der Suchmaschine erscheinen. Juristisch gehe es darum, ob die Marke Coca-Cola dabei als Marke im Sinn des Markengesetzes benutzt werde oder nicht.

In zwei weiteren Verfahren entschied der BGH gleich selbst, jeweils großzügig, über die Zulässigkeit einer Adword-Werbung bei Google. Im einen Fall ging es um das Schlüsselwort "pcb", was für "printed circuit board" steht und auf Deutsch Leiterplatte heißt. Eine Firma hatte sich die Marke "PCB-POOL" schützen lassen, eine Konkurrentin hatte bei Google als Adword "pcb" angegeben. Damit erschien beim Googeln von "PCB-POOL" im Anzeigenblock der Hinweis auf die Konkurrenz. Das Oberlandesgericht Stuttgart hielt die Verwendung dieses Adwords für rechtswidrig. Der BGH erklärte es hingegen für zulässig. Es handle sich nämlich bei "pcb" um eine beschreibende Angabe. Dagegen könne auch der Inhaber einer Marke mit diesen Buchstaben-Teilen nichts unternehmen (Az: I ZR 139/07).

Auch im zweiten Urteil ließ der BGH eine klagende Firma abblitzen. Es ging dabei um den Begriff "Beta Layout GmbH", eine Unternehmensbezeichnung, die ein Wettbewerber als Adword angegeben hatte. Es bestehe im Fall des gleichzeitigen Erscheinens von "Beta Layout" auf der Trefferliste und im gesonderten Anzeigenblock keine Verwechslungsgefahr, hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf vor zwei Jahren entschieden. Der Internetnutzer nehme nämlich nicht an, dass die Anzeige von der Beta Layout GmbH stamme. Diese Bewertung bestätigte der BGH (Az: I 30/07).

Um Internetsurfer auf ihre Webseite zu locken, verknüpfen Unternehmen eigene Anzeigen mit den Namen ihrer Wettbewerber. Foto: AP

Google Inc., Mountain View Werbung und PR im Internet Fälle beim Bundesgerichtshof SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Doppelt geschworen hält besser

Nachdem Barack Obama bei der Vereidigungszeremonie am Dienstag den Satzverdreher des Obersten Richters John Roberts Wort für Wort - und damit falsch - nachgesprochen hatte, wollte man in der neuen Regierung kein Risiko eingehen. Am Mittwochabend wurde die Vereidigung deshalb im Weißen Haus wiederholt. Diesmal meisterte Roberts (links) mit Erfolg alle syntaktischen Herausforderungen: "I will faithfully execute the office of President of the United States", sagte er, wie es die Verfassung vorsieht und Obama sprach alles richtig nach. Tags zuvor war das Wort "faithfully" am Ende des Satzes gelandet.

Dass der Lapsus die neue Präsidentschaft in eine Legitimitätskrise gestürzt hätte, glaubte ernsthaft niemand. Und auch Obama selbst bemühte sich, die Sache in der gebotenen Harmlosigkeit erscheinen zu lassen: "Beim ersten Mal hat's so viel Spaß gemacht", scherzte er, deshalb habe man sich das Vergnügen gleich noch einmal gönnen wollen. Sowohl Verfassungsexperten als auch die juristischen Berater des Präsidenten waren sich einig, dass der doppelte Eid, den bisher nur zwei Präsidenten, Calvin Coolidge und Chester Arthur, ablegten, entbehrlich war. Doch wollte man sich wohl einerseits vor der Kritik schützen, leichtfertig mit der Verfassung umzugehen und andererseits der Sorte ätzender Gerüchte vorbeugen, die Obama im Wahlkampf verfolgten: Er sei Muslim, hieß es immer wieder; ja, er sei gar kein US-Bürger. Lincolns Bibel, die Obama am Dienstag symbolträchtig in der Hand hielt, fehlte diesmal. Schon zuvor hatte sich Vizepräsident Joe Biden, der für seine Tritte ins Fettnäpfchen bekannt ist, in den Fallen des Zeremoniells verfangen. Als Obama ihn bat, die Stabsmitglieder zu vereidigen, verstand Biden nicht gleich: "Muss ich das jetzt nochmal machen?", fragte er, offenbar im Glauben, er selbst müsse seinen Schwur wiederholen. "Stabsmitglieder", antwortete Obama knapp. Biden entgegnete lachend: "Meine Gedächtnis ist nicht so gut wie das von Richter Roberts." jhl

Barack Obama (rechts) legt im Kartenraum des Weißen Hauses zum zweiten Mal seinen Amtseid ab. Ihm gegenüber steht Richter John Roberts. Foto: AFP

Feierlichkeiten zur Amtseinführung von Barack Obama SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Zweifelhafte Haltung

Ein Ökohof hat beim Verkauf von angeblichen Bio-Puten Etikettenschwindel im großen Stil betrieben

Von Dirk Graalmann

Düsseldorf - Aus dem Radio dudelt leise Schlagermusik, und wenn einem der Tiere im Stall die seichte Berieselung nicht zusagt, kann es ein wenig mit dem Schnabel an den herumliegenden Lufballons picken. Und ob es einer der Puten, Hühner oder Gänse wirklich gut geht, pendelt die ausgebildete Geflügelwirtschaftsmeisterin Roswitha Franzsander im Zweifel anhand der Federn aus. Mit solchen Bildern bewirbt sich die Franzsander GbR, ein Ökohof im ostwestfälischen Delbrück, den das Ehepaar im Jahr 1994 gründete. "Geflügel o.k - Rendite o.k" lautet der Wahlspruch der familieneigenen Vertriebsfirma Robert's.

Seit Weihnachten ist nichts mehr in Ordnung. Denn die Franzsanders, die seit dem Jahr 2000 auch das Münchner Oktoberfest mit "Bio-Hendl" versorgen, sind nicht mehr "Bio". Das nordrhein-westfälische Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz hat den Betrieb "mit einem Vermarktungsverbot für Bioprodukte" belegt, der Hof ist gesperrt. Dem Biobauern, so das Landesamt, sei "ein nicht zulässiger Einsatz konventioneller Futtermittel nachgewiesen worden". Auch Bioland, Deutschlands größter Ökoanbauverband mit knapp 5000 Mitgliedern, kündigte die Verträge.

Berthold Franzsander zeigte sich reuig. "Ich habe Fehler gemacht und es tut mir aufrichtig leid", schrieb er seinen Kunden. Er habe den Putenküken im Sommer 2008 konventionelles Futter gegeben, da sie plötzlich die spezielle Futtermischung verweigert hätten. Die Pute, schrieb Franzsander, sei "sehr sensibel, und sobald es zu Problemen kommt, muss man schnell handeln, sonst nehmen sie überhaupt kein Futter mehr auf". Doch die Fragen blieben: Ist das der verzweifelte Versuch eines überforderten Ökobauern? Oder der kalkulierte Betrug eines gierigen Unternehmers, der sich das Bio-Siegel erschwindelt? Und vor allem: Kann der Verbraucher dem Bio-Siegel im Regal noch trauen?

Für Babette Winter vom Landesamt für Verbraucherschutz ist der Fall "der größte Bioschwindel Nordrhein-Westfalens". Es handele sich "definitiv nicht um ein Versehen. Der Betroffene wusste, dass es nicht erlaubt ist." Die Behörde stellte Strafanzeige, die Staatsanwaltschaft Paderborn leitete ein Ermittlungsverfahren wegen Verdacht des Betruges und Verstoßes gegen das Ökolandbaugesetz ein. Gleichwohl sagt auch Winter, "dass man hier nicht von erhöhter krimineller Energie sprechen kann. Aber die ganze Bio-Branche lebt von Vertrauen."

Vertrauen auch darauf, dass ein solcher Etikettenschwindel auffällt. Die zertifizierten Prüfer der privaten Kontrollbehörde Abcert jedoch hatten bei ihrer Routinekontrolle nichts bemerkt. Sie prüfen lediglich die Plausibilität, also ob die Masse der verkauften Produkte in einem stimmigen Verhältnis zu Futtermitteleinsatz und Flächen steht. Franzsander war zuvor nie auffällig geworden. Erst als das Landesamt im November als Prüfbehörde der Futtermittelhersteller bei einem dieser Betriebe in Lieferlisten auf Franzsander stieß, rollte die Lawine an. Am Ende stellten die Prüfer fest, dass Franzsander 2008 rund 960 Tonnen konventionelles Futter eingekauft hatte.

War der Druck so groß? Die Bio-Branche mit ihren zweistelligen Zuwachsraten ist hart umkämpft und unterliegt zunehmender Konzentration. Franzsander etwa kaufte noch Geflügel von zwölf weiteren Höfen, die er dann zentral über seine Vetriebsfirma Robert's vermarktete. "Es geht nur so", sagte Bioland-Pr sident Thomas Dosch der Süddeutschen Zeitung, "mit einem kleinen Hühnerhalter arbeitet kein Händler zusammen". Und Franzsander gehört für Dosch "zu den Pionieren artgerechter Haltung", der "in der Vergangenheit viel geleistet" habe. "Jetzt ist das Vertrauen hin." Dosch weiß um den wunden Punkt der Branche. Man habe aber in diesem Fall, anders als beim so genannten Nitrofen-Skandal 2002, "kontrolliert, festgestellt und reagiert", so Dosch: "Schneller und besser geht es nicht." Nur häufiger. Zumindest sollen die Kontrollen von komplexen Betrieben nun verdoppelt werden, die Prüfer künftig zweimal im Jahr zu angemeldeten Kontrollen ausrücken, zudem die Stichprobenkontrolle ausgeweitet werden. Franzsander wird das nicht mehr treffen: Er steigt aus dem Bio-Business aus, die Firma Robert's wird von früheren Mitarbeitern unter anderem Namen weitergeführt. Bioland wird sie wieder als Partner aufnehmen, "mit schärferen Auflagen", so Dosch. Es ist aus seiner Sicht vermutlich die bessere Alternative. Denn der Bioland-Präsident weiß auch, "dass schon wieder die Geier kreisen, um sich die Marktanteile zu sichern." Und unter den Greifvögeln sind nicht nur Produzenten, denen es um ökologisch saubere Aufzucht geht.

Bis zur Wiesn zumindest dürfte sich auch ein neuer Bioland-Partner für die Hühner- und Entenbraterei Ammer finden lassen. Damit der Oktoberfest-Besucher auch sicher gehen kann, dass er für 14,80 Euro ein halbes Bio-Hendl kriegt, das in seinem kurzen Leben kein konventionelles Futter gepickt hat.

Das kurze Leben einer deutschen Pute kann angenehm sein oder auch weniger angenehm, kommt ganz auf den Betrieb an. Leider sind nicht alle Puten biologisch so einwandfrei wie das Gütesiegel verspricht. Foto: Advantage

Alternative Viehzucht in Deutschland Umweltstandards in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Nicht-öffentlicher Prozess gegen Fritzl

Wien - Der Österreicher Josef Fritzl steht wegen des Inzestverbrechens von Amstetten ab 16. März vor Gericht. Der Prozess werde zum Schutz der Opfer unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, sagte Franz Cutka, der Sprecher des Gerichts in St. Pölten. Der 73-Jährige hatte seine Tochter Elisabeth 24 Jahre in ein Kellerverlies unter seinem Haus in Amstetten gesperrt und mit ihr sieben Kinder gezeugt. Die Anklage wirft ihm vor, einen Säugling getötet zu haben, weil er dem kranken Kind die Hilfe verweigerte, obwohl er dessen lebensbedrohliche Lage erkannt habe. Fritzl ist auch wegen Sklaverei, Vergewaltigung, Freiheitsentziehung und Blutschande angeklagt. Der Prozess werde vermutlich eine Woche dauern, sagte Cutka. Reuters

Fritzl, Josef: Straftat Inzestfall von Amstetten SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Antrag zum Herunterladen

Wer früh handelt, kann auch sicher mit dem Geld rechnen

Erst abwarten, dann rasch handeln: Wer zuerst den Antrag einreicht, der bekommt die Abwrackprämie von 2500 Euro für sein altes Auto sicher. Den Antrag gibt es von Dienstag, 27. Januar, an auf der Internetseite des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (www.bafa.de) zum Herunterladen. Das ist der Tag, an dem die Regelung im Bundeskabinett abschließend behandelt wird.

Dabei gilt es zu beachten: Eine sogenannte Umweltprämie beantragen können natürliche Personen, die ihr altes Fahrzeug mindestens ein Jahr lang auf ihren Namen in Deutschland zugelassen hatten. Das neue Auto muss wieder auf den Namen des Halters des Gebrauchtwagens zugelassen werden. Den Antrag darf auch der Autohändler im Auftrag einreichen.

Die Prämie gibt es für mindestens neun Jahre alte Personenwagen. Sie müssen vor dem 14. Januar 2000 erstmals zugelassen worden sein. Gefördert werden neue Autos, die zum ersten Mal in Deutschland zugelassen werden und mindestens die EU-Abgasnorm Euro 4 erfüllen. Geld gibt es auch für Leasingautos und Jahreswagen. Das ist ein Pkw, der längstens ein Jahr auf einen in Deutschland niedergelassenen Kfz-Händler oder Kfz-Hersteller zugelassen war.

Kauf und Erstzulassung des Neu- beziehungsweise Jahreswagens müssen zwischen dem 14. Januar 2009 und dem 31. Dezember 2009 liegen. Es empfiehlt sich, alle Dokumente sorgfältig aufzubewahren. Nötig ist das Original des Verschrottungsnachweises eines anerkannten Demontagebetriebes. Außerdem müssen die Zulassung des Alt- und des Neufahrzeuges auf den Antragsteller nachgewiesen werden.

Für die Beantwortung von Fragen betreibt das BAFA eine Telefon-Hotline (06196 908 470). Sie ist überlastet. Es sind Hunderttausende Anrufer am Tag gezählt worden. mik

Konjunkturpaket II der Bundesregierung 2009 Autorecycling in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Die Fehlsteuerung

Von Sebastian Beck

Deutschlands seltsamste Steuer ist die Kraftfahrzeugsteuer. Nach welchen Kriterien sie erhoben wird, erschließt sich auch nach längerem Studium der Berechnungstabellen nur ansatzweise. Schadstoffklassen und Hubraum werden zu einem willkürlichen Steuerbetrag zusammengerechnet, der sich obendrein für Benziner und Diesel unterscheidet. Seit Jahren schon arbeiten diverse Bundesministerien und Verbände deshalb an einer Reform der Kfz-Steuer. Das Resultat ist erbärmlich. Für den nun vorgelegten Kompromissvorschlag des Finanzministeriums wurden offenbar diverse Entwürfe mit dem Pürierstab behandelt. Anders lässt sich die breiartige Konsistenz des Zahlenwerks kaum erklären. Es ist nicht nur kompliziert, sondern führt auch zu dem völlig widersinnigen Ergebnis, dass Autos mit hohem Verbrauch in Zukunft sogar noch steuerlich begünstigt werden sollen.

Erneut handelt die Bundesregierung damit gegen all ihre klimapolitischen Absichtserklärungen. Bereits im vergangenen Herbst hatte sie den Käufern von Neufahrzeugen eine zweijährige Befreiung von der Kfz-Steuer spendiert. Nach der gängigen Hubraum-Berechnungsmethode profitieren auch hier vor allem die Fahrer von großen Autos. Dieses Steuergeschenk kostet zwar geschätzte 1,3 Milliarden Euro; dazu, die Autokonjunktur anzukurbeln, hat es dennoch nicht ausgereicht. Deshalb wurde nun rasch eine Abwrackprämie von 2500 Euro pro Altfahrzeug nachgeschoben, die ebenfalls auf ökologische Steuerung verzichtet: Um den staatlichen Zuschuss zu kassieren, reicht es aus, dass das neue Auto die Euro-4-Norm erfüllt. Dieser Mindeststandard ist technisch jedoch längst überholt und wird ohnehin bald durch strengere Vorschriften abgelöst. Was den Kraftstoffverbrauch betrifft, gibt es für die Auszahlung der Abwrackprämie keinerlei Vorgaben. Im Einzelfall ist es daher durchaus möglich, dass ein vergleichsweise umweltfreundliches Altfahrzeug durch einen spritfressenden Neuwagen ersetzt wird.

Der Grund für die laxe Regelung ist nur zu offensichtlich. Würden Subventionen für neue Autos an den CO2-Ausstoß gekoppelt, wären die Hersteller von Kleinwagen aus dem Ausland im Vorteil. Denn trotz aller Klima- und Rohstoffdebatten setzen die deutschen Autobauer in erster Linie immer noch auf PS-starke Fahrzeuge. Der neue allradgetriebene Audi Q5 etwa stößt in der sparsamsten Version 175 Gramm CO2 je Kilometer aus. Selbst die Basisversion des aktuellen Golf-Modells kommt auf 149 Gramm CO2 , auf eine Hybrid-Version müssen die Käufer weiter warten. Sowohl der VW Golf als auch der Audi Q5 liegen mit ihrem Verbrauch weit über dem EU-Ziel von 120 Gramm CO2 pro Kilometer, das nach Intervention der Bundesregierung auch noch von 2012 auf 2015 verschoben worden ist.

Aber wenn es um die Autoindustrie geht, betrachtet die Bundesregierung langfristige Interessen und Ziele als zweitrangig. In dieses Bild passt auch das Konjunkturpaket. Darin gibt es außer der Gebäudesanierung kaum Anreize für den Klimaschutz. Hingegen sollen Milliarden in den Bau von neuen Straßen gesteckt werden, obwohl schon jetzt das Geld nicht reicht, um die bestehende Infrastruktur zu erhalten. Der vielerorts marode Regionalverkehr der Bahn wurde aus dem Konjunkturpaket sogar ganz ausgeklammert. So müssen in diesem Winter wieder Millionen Pendler auf gleichermaßen unpünktliche wie angegammelte Züge warten, deren Waggons sie schon seit ihrer Kindheit kennen. Für die Sanierung der Gleise, für Ausweichstrecken und beschrankte Bahnübergänge fehlt schlicht das Geld.

Dabei ist es durchaus legitim, dass die Bundesregierung den schwer angeschlagenen Autoherstellern hilft. Wenn BMW und Audi ihre Belegschaft in Kurzarbeit schicken müssen, dann hat dies negative Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft in Bayern. Es kann aber nicht sein, dass die Firmen Subventionen in Milliardenhöhe bekommen, ohne dafür auch nur minimale Umweltvorgaben erfüllen zu müssen. So sollte die Abwrackprämie wenigstens an einen CO2-Ausstoß von 140 Gramm und die Einhaltung der Euro-5-Norm gekoppelt werden, wie es Andreas Troge, der Präsident des Umweltbundesamtes, fordert.

Doch die Bremser sitzen in der Union. CSU und CDU glauben, der Autoindustrie einen Gefallen zu tun, wenn sie entsprechende Pläne von Umweltminister Sigmar Gabriel durchkreuzen. Auch bei der Reform der Kfz-Steuer haben sich die Bedenkenträger aus Baden-Württemberg und Bayern durchgesetzt: Die überfällige Bindung der Steuer an den CO2-Ausstoß und somit an den Verbrauch, wie sie sogar der ADAC vorschlägt, ist gescheitert. Dabei wäre das ein Weg gewesen, um die Kfz-Steuer gerechter, umweltfreundlicher und einfacher zu regeln. Der noch bessere Weg wäre freilich, die Kfz-Steuer ganz abzuschaffen und auf die Mineralölsteuer umzulegen. Dann würden auf völlig unbürokratische Weise sparsame Autos gefördert. Eine solche Regelung hätte wegen der damit verbundenen Gefahr des Tanktourismus allerdings nur nach Abstimmung mit allen EU-Staaten Sinn. Sie wird daher utopisch bleiben.

KFZ-Steuer in Deutschland Autorecycling in Deutschland Autoindustrie in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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LEUTE

George Clooney , 47, will offenbar noch einmal den Arztkittel der Notaufnahme anlegen. Wie der Internetdienst E!Online berichtet, soll der Oscar-Preisträger in den nächsten Tagen erneut für die TV-Serie "Emergency Room" ("ER") vor die Kamera treten. Clooney hatte immer wieder abgestritten, dass er noch einmal die Rolle von Dr. Doug Ross übernehmen würde, mit der er weltbekannt wurde. Die Serie läuft in diesem Frühjahr aus. Einzelheiten über seinen Gastauftritt wurden nicht bekannt. Nach Informationen des Magazins People soll aber "ER"-Regisseur John Wells bereits am vergangenen Mittwoch für einen Besuch von Clooney alle anderen Gäste und Zuschauer des Drehs ausgeschlossen haben. George Clooney spielte von 1994 bis 2000 in 108 "ER"-Folgen mit, bevor er ganz zum Film wechselte. Foto: dpa

Prinz Albert II. , 50, Fürst von Monaco, ist von seiner 17-tägigen Reise zum Südpol zurückgekehrt. Nach Angaben des Fürstenhauses in Monaco besuchte Albert II. insgesamt 26 Forschungsstationen, um sich über die Folgen des Klimawandels zu informieren. Damit ist er das einzige Staatsoberhaupt der Welt, das beide Pole besucht hat: Im Jahr 2006 unternahm er bereits einen viertägigen Marsch durch Eis und Schnee zum Nordpol.

Prominente Personen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Chinas Wirtschaft wächst langsamer

Peking - Die Konjunkturkrise trifft Südostasiens Wirtschaft immer stärker. Das Wachstum in China verlangsamte sich Ende 2008 deutlich. Im Gesamtjahr war der Anstieg so gering wie seit sieben Jahren nicht mehr, teilte das Statistikamt in Peking mit. In Japan brachen die Exporte im Dezember so stark ein wie noch nie, in Südkorea schrumpfte die Wirtschaft doppelt so kräftig wie erwartet.

Chinas Wirtschaftswachstum verlangsamte sich nach amtlichen Angaben am Jahresende auf 6,8 Prozent - 2,2 Prozentpunkte weniger als zwischen Juli und September. Im Gesamtjahr stieg die Summe aller in China produzierten Waren und Dienstleistungen um neun Prozent. China hatte zuvor fünf Jahre lang zweistellige Wachstumsraten verbucht und ist dadurch an Deutschland vorbei zur drittgrößten Volkswirtschaft der Welt hinter den USA und Japan aufgestiegen.

Viele Ökonomen rechnen damit, dass die chinesische Wirtschaft in diesem Jahr nur noch um rund fünf Prozent zulegt. Dies wäre der langsamste Anstieg seit 1990. Die Regierung peilt ein Wachstum von acht Prozent an und hat bereits ein Konjunkturpaket aufgelegt. Die Ausfuhren Japans fielen im Dezember im Vorjahresvergleich um 35 Prozent und damit deutlich schneller als erwartet. Damit verzeichnete Japan erstmals seit 1980 drei Monate in Folge ein Handelsdefizit. Die Importe rutschten um rund 22 Prozent ab. Auch Südkoreas Wirtschaft ist von der Krise nicht ausgenommen: Asiens viertgrößte Volkswirtschaft schrumpfte Ende 2008 um 5,6 Prozent zum Vorquartal. Reuters

Wirtschaftslage in China Folgen der Finanzkrise in Asien SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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IG BAU fordert sechs Prozent mehr Lohn

München - Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) geht mit einer Lohnforderung von sechs Prozent in die anstehende Tarifrunde. Dies hat die Bundestarifkommission der Gewerkschaft am Donnerstag beschlossen. Die IG BAU verhandelt für etwa 700 000 Bauarbeiter, Angestellte und Auszubildende des Bauhauptgewerbes. Die Tarifverhandlungen sollen am 5. März beginnen. "Das Baugewerbe hat sich von den Krisenjahren erholt. Es wird dank des Konjunkturprogramms der Bundesregierung stabil bleiben", sagte IG-BAU-Vorsitzender Klaus Wiesehügel in Frankfurt. 18 von 50 Milliarden Euro seien für die Bauwirtschaft bestimmt, so Wiesehügel.

Der Vizepräsident des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes (ZDB) und Verhandlungsführer der Arbeitgeberseite, Frank Dupré, lehnte die Forderung als "völlig überzogen" ab. Angesichts der Tariferhöhungen vergangener Jahre könne nicht von einem Reallohnverlust gesprochen werden.

"Für körperliche Arbeit muss entsprechend bezahlt werden", forderte Wiesehügel. In der Rangfolge der Bruttojahresverdienste stehe der Bau an 21. Stelle. Ein Facharbeiter bekomme derzeit 15,48 Euro im Westen und 13,80 Euro im Osten. Der Tarifvertrag für das Bauhauptgewerbe läuft Ende März aus. Zuletzt hatten sich die Tarifparteien 2007 auf eine Tariferhöhung in Stufen um insgesamt 6,2 Prozent geeinigt. Mit ihrer jüngsten Forderung liegt die IG BAU am unteren Ende der bisher erhobenen Lohnerhöhungen von fünf bis zehn Prozent. shs.

IG Bauen-Agrar-Umwelt Tarifverhandlungen der Bauindustrie in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Republikaner verzögern Start des neuen Kabinetts

US-Senatoren bestehen auf eine weitere Befragung der designierten Justiz- und Finanzminister

Von Reymer Klüver

Washington - Obwohl der Senat Hillary Clinton mit überwältigender Mehrheit als US-Außenministerin bestätigt hat, zeichnet sich ab, dass konservative Republikaner entschlossen sind, der neuen Administration Barack Obamas heftigen Widerstand zu leisten. Die Bestätigung des designierten Justizministers Eric Holder wurde auf Druck der Republikaner um eine weitere Woche verschoben. Auch die Bestätigung von Timothy Geithner als Finanzminister ist nach scharfen Anhörungen vor dem Finanzausschuss des Senats zu seinen Steuernachzahlungen frühestens in der kommenden Woche möglich.

Clinton wurde am Mittwoch mit 94 zu zwei Stimmen im Senat bestätigt. In der Debatte zuvor wurde jedoch ein tiefer Graben bei den Republikanern deutlich. Erst nachdem der gescheiterte Präsidentschaftskandidat John McCain massiv ein Ende der Debatte gefordert hatte, kam es zur Abstimmung. "Wir sollten nichts verzögern", sagte McCain und erinnerte seine Senatskollegen daran, dass die USA zwei Kriege führten und vor außenpolitisch hochbrisanten Problemen stünden, etwa im Nahen Osten und Nordkorea. "Wir haben eine Wahl gehabt, und diese Nation hat sich zusammengefunden wie schon lange nicht mehr. Das amerikanische Volk sendet uns nun die Botschaft, dass es will, dass wir zusammenarbeiten und zwar jetzt." Zuvor hatte der konservative Senator John Cornyn die Bestätigung Clintons um einen Tag verzögert, was ihm die Geschäftsordnung des Senats erlaubt. Danach gab er seinen Widerstand auf. Zwei weitere konservative Senatoren ließen sich von dem emotionalen Appell McCains aber nicht beeindrucken und stimmten gegen Clinton. Senator Jim DeMint erklärte seine Ablehnung mit dem Umstand, dass künftig Organisationen in ärmeren Ländern der Welt US-Mittel bekommen könnten, die Abtreibungen als ein Mittel der Geburtenkontrolle anbieten.

Noch am Donnerstag wollte Präsident Obama gemeinsam mit seiner neuen Außenministerin zu den Mitarbeitern im State Department sprechen. Zuvor war ein Treffen hinter verschlossenen Türen mit Sicherheitsberater James Jones und Vizepräsident Joseph Biden angesetzt. Clinton war im Außenministerium von jubelnden Mitarbeitern begrüßt worden.

Im Justizausschuss des Senats machten die Republikaner von ihrem Recht Gebrauch, ihre Abstimmungsempfehlung für den gesamten Senat um eine Woche zu verschieben. Ohne diese Empfehlung kann der Senat nicht über die Nominierung befinden. Zur Begründung sagte der führende Republikaner Arlen Specter, dass weitere Fragen aufgetaucht seien zu Eric Holders Haltung einer möglichen Strafverfolgung von Angehörigen der Bush-Administration wegen ihrer Verwicklung in ungenehmigte Abhöraktionen und zu sogenannten harten Vernehmungspraktiken bei Verhören von Terrorverdächtigen. Der Ausschussvorsitzende Patrick Leahy, ein Demokrat, zeigte sich "äußerst enttäuscht" über die Verzögerung. Sieben Stunden Anhörungen und zahlreiche schriftliche Anfragen hätten den Republikanern ausreichend Gelegenheit zur Prüfung des Kandidaten gegeben.

Die Verzögerung hat zur Folge, dass auch Posten in der zweiten Ebene des Justizministeriums nicht besetzt werden können. Tatsächlich hatten sich die Republikaner von vorneherein auf Holder eingeschossen, weil er sich als stellvertretender Justizminister unter Präsident Bill Clinton hochumstrittenen Begnadigungen nicht in den Weg gestellt hatte. Holder hat das inzwischen bedauert. Brisant ist der Wechsel im Justizministerium für die Republikaner allerdings auch aus einem anderen Grund: Offenkundig sind zahlreiche Beamtenposten im Justizministerium, die üblicherweise nicht nach politischen Gesichtspunkten vergeben werden, unter Präsident George W. Bush systematisch an Republikaner gegangen.

Konjunkturpläne "unhaltbar"

Im Finanzausschuss musste sich der designierte Finanzminister Geithner erneut scharfen Fragen stellen. Der republikanische Senator Jon Kyl nannte Geithners Erklärungen zu seinen Steuernachzahlungen "nicht plausibel". Geithner hatte sich zuvor ausführlich dafür entschuldigt. "Ich hätte aufmerksamer sein müssen", sagte er. Geithner hatte Anfang des Jahrzehnts als Angestellter des Internationalen Währungsfonds versäumt, insgesamt 34 000 Dollar an Lohnsteuer zu zahlen. Einen Teil hat er später nachgezahlt, die volle Summe aber erst, nachdem er von Obamas Übergangsteam darauf hingewiesen worden war.

Der führende Republikaner im Ausschuss, Charles Grassley, räumte ein, dass Geithner "für einige nicht einfach nur erste Wahl für den Posten ist, sondern die einzige". Dennoch wollte er sich nicht festlegen. Der konservative Senator Kyl kritisierte nicht nur Geithners Steuerprobleme, sondern auch das Konjunkturprogramm der Regierung, das er federführend umsetzen wolle, als "unhaltbar". Ein weiterer Kandidat Obamas passierte die Anhörungen indes unbeschadet. Der Handels- und Verkehrsausschuss empfahl dem Senat einstimmig die Bestätigung des Republikaners Ray LaHood als Verkehrsminister. Aus Regierungskreisen verlautete zudem, dass Obama in Kürze den demokratischen Senator George Mitchell zum Sondergesandten für Nahost ernennen wollte.

Timothy Geithner am Mittwoch vor Senatoren in Washington Foto: AFP

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Spionagesicheres Handy

Obama soll weiter SMS und E-Mails senden dürfen

Washington - Der neue US-Präsident Barack Obama wird nun doch elektronisch kommunizieren können. Zwar muss er auf sein geliebtes Blackberry verzichten, dafür bekommt er aber ein neues "Smartphone", eine Spezialanfertigung, die 3350 Dollar (rund 2500 Euro) kostet und "spionagesicher" ist, wie die Zeitschrift The Atlantic berichtete. Obama, selbst erklärter "BlackBerry-Abhängiger", hatte bereits vor seiner Vereidigung erklärt, die Sicherheitsdienste müssten ihm das geliebte Kommunikationsmittel schon "aus den Händen reißen". E-Mails und Anrufe von Freunden könnten ihm während seiner Amtszeit helfen, den Kontakt zur amerikanischen Alltags-Wirklichkeit nicht zu verlieren.

Während des Wahlkampfes, in dem Obama besonders auf Online- Kommunikation mit den US-Bürgern gesetzt hatte, war er immer wieder mit seinem "Smartphone" aufgetreten.

Wegen Sicherheitsbedenken mussten US-Präsidenten während ihrer Amtszeit bisher weitestgehend auf E-Mail-Kommunikation verzichten. Laut dem Sender CNN war Obamas Vorgänger George W. Bush bei seiner Amtsübernahme gezwungen worden, den elektronischen Briefverkehr ganz einzustellen. Bill Clinton hatte als Präsident zumindest noch zwei E-Mails verschicken dürfen: eine, um das E-Mail-System zu testen, eine zweite, als er dem Astronauten John Glenn alles Gute für dessen Reise ins All 1998 wünschte.

Die US-Geheimdienste befürchten, dass ausländische Agenten sich in das Internet-Postfach des Präsidenten hacken und vertrauliche Informationen in die falschen Hände gelangen könnten. Außerdem könnten gerade technisch anspruchsvolle Geräte wie das BlackBerry durch eingebaute Positionsbestimmungssysteme (GPS) den Aufenthaltsort des Staatschefs preisgeben.

Mit der Sonderanfertigung für Obama soll das nicht möglich sein. Das Smartphone heißt "Sectera Edge", wurde entwickelt vom Rüstungskonzern General Dynamics, und die nationale Sicherheitsbehörde NSA hat es für den militärischen Gebrauch freigegeben, hält es also für sicher. Ausgestattet ist das Gerät aber mit Programmen, die nicht als sehr vertrauenswürdig gelten: Das Betriebssystem ist Windows Mobile, kommuniziert wird über den Internet Explorer und den Windows Messenger. dpa/mri

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Die Feier des Augenblicks

Das erfolgreiche Vergehen der Nostalgie: Das neue Album von "Franz Ferdinand"

Es ist nicht einfach, sich dieser Platte zu nähern. Pophistorisch ist dieses nunmehr dritte Album der britischen Indiepop-Band mit dem Namen Franz Ferdinand, "Tonight" (Domino, 2009) kein bedeutender Wurf. Vor allem am Stellenwert und Erfolg der Band gemessen - rund 6 Millionen Platten hat sie bisher verkauft, in der Zeit des massenhaften illegalen File-Sharings - ist es wahrscheinlich sogar eher eine mittlere Enttäuschung, wie allerdings auch schon das zweite, 2005 veröffentlichte Album "You Could Have It So Much Better". Als naturgemäß schwierige, weil erste Platte nach einer allseits verblüffenden, wegweisenden Arbeit genoss "You Could Have It So Much Better" jedoch noch so etwas wie Artenschutz; wurde entsprechend wohlwollend begrüßt, auch mal verhalten gefeiert, der rechtmäßige Hype hielt ja noch an; und besser als das meiste Übrige war sie natürlich allemal.

Jetzt also "Tonight". Das Markenzeichen der Band bleibt der helle, schneidend scharfe Sound, der entsteht, wenn eine Single-Coil-E-Gitarre wie die Fender Telecaster laut und rhythmisch sehr kantig gespielt wird. Alex Kapranos tiefe, variantenreiche Stimme windet sich denkbar elegant. Das klingt schnöselig genug, um als smarte Antirock-Geste durchzugehen, engagiert genug, um dem Spektakel des Augenblicks nicht im Weg zu stehen. Rhythmisch ist das Album im Kern noch mehr auf Tanzbarkeit ausgelegt. Disco gibt den Takt an.

Der Einsatz von deutlich mehr elektronischen Sounds als bei den beiden Vorgängern hat schon das Missfallen konservativer Fans erregt, funktioniert aber besonders bei der ersten Single "Ulysses" hervorragend. Schöner, weicher, druckvoller klingt der Bass im Indie selten. "Lucid Dreams" endet sogar als grandios stampfend technoide Elektro-Nummer. "Bite Hard" rollt großartig, ebenso wie "What She Came For".

Eine echte Blöße gibt sich die Band also nicht. Ihre bemerkenswerteste Eigenschaft hat sie schließlich nicht verloren: Franz Ferdinand haben genau so viel Herz wie nötig ist, um den Willen zur Kunst zu bändigen, und genau so viel Kunstwillen wie es bedarf, um kühlen Kopf bewahren zu können. Ideale Vorraussetzungen für großen Pop. Es ist deshalb auch nicht so, dass sich jetzt einfach sagen lässt, hoch geschätzte Pop-Kunststücke wie "Darts Of Pleasure", "Michael", "This Fire", "Take Me Out" und das unbetitelte Debüt-Album, die Platte des Jahres 2004, seien glücklicher Zufall gewesen.

Disco mit den Mitteln des Punk

Und doch: Das vermeintliche Potential der Band und seine Materialisierung in "Tonight" fallen deutlich auseinander. Über den Grund lässt sich spekulieren: Als "New New Wave" schlossen Franz Ferdinand zu Beginn des Jahrzehnts unüberhörbar an die späten siebziger und frühen achtziger Jahre an, die im Rückblick vielleicht wichtigste Zeit für die Stabilisierung des bis heute herrschenden Systems Pop. Anders als die flüchtige Draufsicht vermuten lässt, hatten damals nicht arbeitslose Jugendliche, sondern, wie meist in Großbritannien, ambitionierte Kunststudenten mit Punk den authentizitätsverliebten Rock und das ganze Business-Establishment um ihn herum herausgefordert. Und gewonnen.

Die Künstlichkeit, die rotzige Abscheu, die Punk gegen den Mainstream etablierte, verfeinerte sich in den Jahren nach 1977 schließlich bis hin zum musikalisch anspruchsvollerem, aber natürlich nicht weniger kalten New Wave in der Spielart etwa der Gang Of Four, die Punk mit Funk und Dub mischten. Der popimmanente Drang zur performativen Radikalisierung wiederum konnte nach Punk natürlich nicht über die Darbietung funktionieren. Da waren vorerst hörbar Grenzen erreicht. Ganz abgesehen davon, dass sich natürlich schon die Industrie der Subversion des Punk bemächtigt hatte.

Die Radikalisierung verlief über die Haltung. Bis hin zu 1982, der Zahl die längst nicht mehr nur ein Jahr anzeigt, sondern eben auch eine ganz bestimmte Perspektive auf die Dinge und ihren Lauf. Dass man nämlich, wie es der Theoretiker Diedrich Diederichsen in dieser Zeitung formulierte, gefälligst den Moment anbete, sich keinem besonderen Stil verpflichtet fühle und keiner genau umrissenen Weltsicht, sondern einfach nur "von heute sein muss". Die Feier des Augenblicks.

Auch Franz Ferdinands Mitglieder wurden im Umfeld der Kunsthochschulen von Glasgow und München künstlerisch sozialisiert. Und sie wurden mit der Wiedervorlage der Feier des Augenblicks berühmt. "Disco mit den Mitteln des Punk" heißt ihre Formel. Wenn jetzt also Franz Ferdinand mit dem neuen Album so etwas wie die Wiedervorlage der Wiedervorlage des Augenblicks präsentieren, dann bleibt ein etwas schaler nostalgischer Nachgeschmack. Der aber war schon beim ersten Album ein Grund des Erfolgs gewesen. Immerhin gilt Franz Ferdinand als Band für mehrere Generationen. Die Väter der ersten Fans dürften zu einem guten Teil der Generation 1982 entstammen. Auf Franz Ferdinand wurde man sich einig.

Exemplarisch bleibt das Vergehen der Band so oder so. Es dürfte kein Zufall sein, dass andere wichtige New-New-Wave-Gruppen wie Interpol und Bloc Party ins Experimentelle auswichen und Phoenix zwar 2006 noch fulminant nachlegten, seither jedoch schweigen. Wer die Feier des Augenblicks zur Wiedervorlage bringt, darf aber nicht daran denken, dass das nicht ewig dauern kann. JENS-CHRISTIAN RABE

Eine Band für alle: Franz Ferdinand mit Alex Kapranos (re.) Foto: Mark O'Flaherty, Camera Press, Picture Press

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Die Mitte und das Geld

Was den Suhrkamp-Verlag nach Berlin locken könnte

Als der Suhrkamp-Verlag im Februar 2006 in einer Beletage in der Fasanenstraße seine Berliner Repräsentanz eröffnete, verband der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit seine Begrüßungsansprache mit einer launig-forsch formulierten Einladung, der Verlag möge doch seinen Frankfurter Hauptsitz aufgeben und ganz und gar in die Hauptstadt ziehen. Damals lächelte die Verlagschefin Ulla Unseld-Berkewicz diplomatisch. Aber natürlich behandelte sie die Avancen, die Wowereit dem Verlag machte, als Gedankenspiel, nicht aber als Offerte, über die sie hätte ernsthaft nachdenken müssen.

Etwas muss sich in den seither vergangenen knapp drei Jahren geändert haben. Denn derzeit schießen die Gerüchte über eine bevorstehende Umzugsentscheidung im Hause Suhrkamp ins Kraut, ohne dass sie vom Verlag dementiert würden. Und es entbehrt nicht der Pikanterie, wenn ausgerechnet der Hamburger Unternehmer Hans Barlach, der über die Winterthurer Medienholding mit 29 Prozent Anteilseigner bei Suhrkamp ist, gegenüber dem Börsenblatt den Umzug nach Berlin begrüßt, als sei er schon beschlossen: "Wir begrüßen den Schritt und die damit verbundenen Entwicklungen."

Denn mit allen juristischen Mitteln hatten Ulla Unseld-Berkewicz und die Unseld-Familienstiftung Ende 2006 verhindern wollen, dass Barlach und sein damaliger Geschäftspartner Claus Grossner die Suhrkamp- und Insel-Anteile übernahmen, die der langjährige Schweizer Mitgesellschafter Andreas Reinhart über seine Volkart Holding AG verkauft hatte. Die Auseinandersetzung schloss eine im Herbst 2007 eingereichte Verleumdungsklage der Suhrkamp-Verlegerin gegen Barlach und Grossner ein.

Nun gab Barlach einseitig bekannt, alle Rechtsstreitigkeiten zwischen der Unseld-Familienstiftung und der Winterthurer Medienholding seien beigelegt: "Alle Verfahren wurden eingestellt." Tanja Postpischil, Pressechefin des Suhrkamp-Verlags, mag das nicht bestätigen: Man werde, solange die Vergleichsverhandlungen nicht abgeschlossen seien, den Vorgang nicht kommentieren. Und Thomas Sparr, stellvertretender Verlagsleiter und Chef der Berliner Suhrkamp-Repräsentanz, gibt derzeit immer wieder möglichst knapp zu Protokoll: Ja, es gebe "eine Einladung" der Stadt Berlin, aber man sei da nicht unter Zeitdruck, und im Übrigen müssten bei einer Entscheidung alle Gesellschafter einbezogen werden. An diesen Statements fällt vor allem auf, was sie nicht sind: ein Dementi.

Kurz, der Suhrkamp-Verlag befördert das Umzugsgerücht, indem er es nicht als Gerücht, sondern als Option behandelt. Da er aber kein börsennotiertes Unternehmen ist, führt das nicht zu Schwankungen auf dem Aktienmarkt, die das Gerücht bewerten. Es führt zu Diskussionen über das Verhältnis von Ortsbindung und kulturellem Kapital. Schon meldet sich Hilmar Hoffmann, ehemaliger Frankfurter Kulturdezernent und Ex-Präsident des Goethe-Institutes, warnend zu Wort: "Ich halte nichts von einem Umzug. Der Verlag von Siegfried Unseld ist ein Synonym für Frankfurt, das man nicht aus finanziellen Gründen verraten kann."

Leicht lässt sich für den Standort Frankfurt am Main plädieren: Warum sollte der Verlag, der wie kein anderer für das Erbe der Frankfurter Schule steht, der Stadt den Rücken kehren, in der Adorno, Horkheimer und Habermas lehrten? Warum sollte er die Nähe zur Buchmesse und zur Paulskirche aufgeben, in der viele Suhrkamp-Autoren den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegennahmen?

Aber ebenso leicht lässt sich die Gegenfrage stellen. Ist nicht gerade diese Symbiose von Suhrkamp und Frankfurt am Main als geistigem Lebensraum und alter Bundesrepublik längst historisch geworden, Umzug hin oder her? Hat nicht den aktuellen Suhrkamp-Bestseller, Uwe Tellkamps "Der Turm", ein junger Autor aus den neuen Bundesländern geschrieben, statt des abgewanderten Martin Walser? Kam er nicht in einen Verlag, in dem schon Volker Braun, Christoph Hein und Christa Wolf publizierten, und ist nicht Rainald Goetz ein Suhrkamp-Blogger in Berlin-Mitte? Und ist nicht ein Charakteristikum der Suhrkamp-Programmpolitik in den letzten Jahren die Öffnung zu den jüngeren Autoren Mittel- und Osteuropas, vom Polen Andrzej Stasiuk über den Ungarn László Davarsi bis zum Rumänen Filip Florian?

Nein, das symbolische Kapital des Suhrkamp-Verlages ist nicht an die Frankfurter Lindenstraße gekettet, nur weil es von dort so nahe ist zu Adornos Kettenhofweg. Und in Berlin gibt es, nicht nur weil Peter Suhrkamp sich hier von den Erben des Fischer-Verlages trennte und seinen eigenen Verlag gründete, im Blick auf die Backlist so manches Verwurzelungspotential. Der Großteil des Nachlasses von Walter Benjamin, dem Suhrkamp derzeit eine neue große kritische Ausgabe widmet, ist aus dem Frankfurter Adorno-Archiv ins Archiv der Berliner Akademie der Künste gewandert, an die Seite von Bertolt Brecht. Und hat man nicht eben erst mit großem Aplomb in Berlin die fertiggestellte Heiner-Müller-Ausgabe präsentiert?

So lässt sich munter hin und her fragen. Doch spielt das symbolische Kapital auch im Hause Suhrkamp bei Entscheidungen wie dieser nicht die Hauptrolle. Verlagsumzüge haben in der Regel pragmatische, ökonomische Gründe. In der deutschen Verlagslandschaft der letzten Jahrzehnte ist die Mobilität der Verlage ein Symptom der Konzentrationsprozesse innerhalb der Branche insgesamt.

Durch ihre Einbindung in größere ökonomische Strukturen haben zwar nicht Verlage wie Rowohlt oder S. Fischer, wohl aber zahlreiche mittlere Traditionsverlage ihre Ortsbindung verloren. Wer, außer Branchenkennern, kann die Wege nachzeichnen, die etwa den in Berlin gegründete Luchterhand-Verlag in der Nachkriegszeit von Neuwied über Darmstadt, Frankfurt und Hamburg nach München und unter das Random-House-Dach führten? Oder die Wanderungen des in Hamburg gegründeten Claassen-Verlages unter das Ullstein-Dach nach Berlin, an die Seite der ebenfalls recht mobilen Verlage Econ und List?

Zu diesen Mobilitätsbeispielen steht der Suhrkamp-Verlag in markantem Kontrast. Er hat zwar mehrere Gesellschafter, steht aber für sich allein und muss nicht umziehen, um sich in eine Konzernstruktur zu integrieren. Er kann für die Umzugspläne, mit denen er spielt, nur ein plausibles ökonomisches Motiv haben. Dieses Motiv kann nicht eine Villa in Berlin sein, mag Klaus Wowereit sie noch so günstig anbieten. Es ist der Umzug selbst. Denn Umzüge über die Grenzen mehrerer Bundesländer hinweg sind eine attraktive Technik der Kosteneinsparung durch die Verschlankung eines Betriebs. Bei einem Firmenumzug geht oft rund ein Drittel des Personals nicht mit. Der Suhrkamp-Verlag hat etwa 150 Mitarbeiter, von denen sich laut Börsenblatt in einer Umfrage des Betriebsrates 80 Prozent gegen einen Umzug ausgesprochen haben. Ebendiese Umzugsunwilligkeit des Personals aber erhöht, so ist zu vermuten, die ökonomische Attraktivität des Umzugs für den Fall, dass Suhrkamp drastische Einsparungen vornehmen muss. LOTHAR MÜLLER

Adorno und Paulskirche - Suhrkamp sei ein "Synonym für Frankfurt", sagen Umzugskritiker

Der Verlag befördert das Umzugsgerücht, indem er es als Option behandelt

Unseld-Berkéwicz, Ulla Suhrkamp Verlag GmbH & Co KG SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Ende des Höhenflugs

Obwohl sie von der Finanzkrise eigentlich profitieren müsste, stagniert die Linkspartei

Von Daniel Brössler

Wenn schlechte Zeiten Politikern gute Tage bescheren, dann ist daran nichts Anstößiges. Im Kräftespiel der Demokratie bieten negative Entwicklungen der Opposition die Chance, sich den Wählern als Bessermacher zu präsentieren. Das gilt insbesondere, wenn diese Opposition vor Problemen gewarnt hat, die dann tatsächlich eintreten. So gesehen reiht sich nun gerade für die Linkspartei ein guter Tag an den nächsten. Donnerstag zum Beispiel: Auf Antrag der Partei debattierte der Bundestag über den beklagenswerten Zustand deutscher Banken. Selbstbewusst konnte die Linke der Bundesregierung das "Tricksen, Verschweigen, Schönreden" vorwerfen.

Finanzkrise und Rezession scheinen der Linkspartei des Oskar Lafontaine also interessante Perspektiven zu eröffnen. Hat sie nicht vor Wucherungen des "Neoliberalismus" gewarnt, als andere noch auf die Heilkraft des freien Marktes vertrauten? Weil das so ist, müsste es doch nun richtig gut laufen für die linken Rechthaber. Das aber tut es nicht wirklich. In Hessen ist die Linke wieder in den Landtag eingezogen, mit einem leicht höheren Prozentsatz, aber mit weniger Stimmen. In Umfragen liegt sie, wie schon seit langem, bei gut zehn Prozent. Für sich genommen ist das ein guter Wert, der zur von der Parteiführung ausgegebenen Zielmarke von zehn plus x für die Bundestagswahl im September passt. Enttäuschen muss er aber jene in der Partei, die aufgrund der Krise des Kapitals auf den Zulauf empörter Massen hofften. Schmerzen muss die Genossen auch, dass ausgerechnet die FDP zu den Gewinnern der Krise zu zählen scheint, aus Sicht der Linken also gerade die Hohepriester des neoliberalen Irrglaubens.

Führende Köpfe der Linkspartei haben für die Stagnation in doch eigentlich günstigem Umfeld eine Erklärung. Die Angst der Bürger stecke dahinter, sagt Fraktionschef Gregor Gysi. Sie verleite die Wähler dazu, für "das Gehabte" zu stimmen. Ängste seien eben ein schlechter Nährboden für Experimente aller Art. Petra Pau, die linke Vizepräsidentin des Bundestages, wiederum glaubt nicht an eine "Verelendungstheorie", wonach die Bürger ihre Partei unbedingt dann wählen, wenn es ihnen besonders schlecht geht. Diese Auskünfte sind interessant, weil sie zumindest gängigen Vorstellungen über den Erfolg der Linken widersprechen - dass nämlich die Ängstlichen und die Schwachen es sind, die sich der Gysi-Lafontaine-Partei zuwenden.

In der Tat entsprechen diese Vorstellungen so vereinfacht nicht der Wirklichkeit. Nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung vom Herbst stammen die Anhänger der Linkspartei aus allen Einkommensschichten; in Ostdeutschland ist sie sogar in der gehobenen Mittelschicht besonders stark. In Westdeutschland gelang es ihr allerdings bislang, Anhänger überdurchschnittlich unter jenen zu rekrutieren, die Angst um die eigene wirtschaftliche Zukunft haben. Ursprünglich war Angst also sehr wohl ein Wahlhelfer der Linken. Dieses Potential aber scheint vorerst ausgeschöpft zu sein. Mehr besorgte Bürger bescheren der Linkspartei nicht mehr Wähler.

Viele Bürger billigen einem Oskar Lafontaine durchaus zu, die richtigen Fragen zu stellen. Das heißt aber nicht, dass sie vom einst davongelaufenen Finanzminister auch die richtigen Antworten erwarten. Bislang konnten die Linken stets argumentieren, die Regierung aus der Opposition heraus in die richtige Richtung zu lenken und zu einer sozialeren Politik zu zwingen. In Zeiten aber, da alle Politik von Finanzkrise und Rezessionsangst getrieben ist, schrumpft der Schrecken, der noch unlängst von der linken Truppe ausging. Wirtschaftliche Einbrüche befördern nach traditioneller linker Theorie jähe politische Veränderungen. Davon kann in der Praxis keine Rede sein. Nach einer Serie von Triumphen zwingt die Finanzkrise die Linkspartei nun zu Realismus.

DIE LINKE Folgen der Finanzkrise in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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VW-Führung und erneut zwei Tote

Dakar mit Trauerflor

Valparaiso/Chile (dpa) - Volkswagen ist bei der 30. Rallye Dakar seinem ersten Sieg sehr nahe gekommen. Zur Halbzeit lagen die "Blauen" aus Wolfsburg mit drei Touareg vorn. Favorit Carlos Sainz aus Spanien war bei der Ankunft in der chilenischen Hafenstadt Valparaiso Spitzenreiter, allerdings mit dem hauchdünnen Vorsprung von neun Sekunden vor dem Deutschen Dirk von Zitzewitz mit dem südafrikanischen Fahrer Giniel de Villiers. 13:53 Minuten zurück sind Mark Miller/Ralph Pitchford (USA/Südafrika) Dritte. Dieter Depping/Timo Gottschalk (Wedemark/Berlin), die erstmals im offiziellen Dakar-Kader von VW stehen, waren trotz technischer Probleme Neunte im Gesamtklassement mit 4:47:43 Stunden Rückstand. Seriensieger Mitsubishi strauchelte in der ersten Wettbewerbs-Woche und hat von vier Fahrzeugen nur noch den Lancer mit dem Spanier Juan Nani Roma auf Rang vier (Rückstand: 26:16 Minuten) im Rennen.

Neben all der Begeisterung um die Premiere der Rallye Dakar in Südamerika gibt es aber auch wieder die Schattenseiten der berühmt-berüchtigten Dakar. Am Mittwoch war der 49 Jahre alte Yamaha-Pilot Pascal Terry neben der Rallye-Strecke tot aufgefunden worden. Bei einem schweren Unfall am Samstag nördlich der chilenischen Hauptstadt Santiago wurden zwei Menschen getötet. Ein Lastwagen, der für die Dakar-Organisation unterwegs war, stieß mit einem kleineren Fahrzeug zusammen, dessen Insassen beide starben. Und die Rallye Dakar trug erneut Trauerflor.

Rallye Paris-Dakar SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Tod eines Läufers

Leichtathlet René Herms stirbt mit 26 Jahren in seiner Wohnung - eine Obduktion soll die Ursache klären

München - Am Tag nach der Nachricht vom Tod des 800-Meter-Läufers René Herms scheint der Leichtathletiksport-verein Pirna hinter einer Wand aus Trauer zu verschwinden. Den Internetauftritt des LSV ersetzt eine schwarze Seite mit einem Nachruf, einer Aufstellung seiner Erfolge und seinem Bild. Herms startete seit 2007 nicht mehr für den LSV-Ableger LG Asics Pirna, sondern für die LG Braunschweig, und man kann nicht sagen, dass die Trennung konfliktfrei verlief. Aber was spielt das jetzt für eine Rolle? René Herms ist immer Pirnaer geblieben, er wohnte in Lohmen nahe der sächsischen Stadt. Mit der Gruppe seines früheren Trainers Klaus Müller wollte er das nächste Trainingslager bestreiten. Außerdem war das damals nur ein kleiner Streit um Trainingsmoral und Athletenpflicht. Jetzt geht es um eine Katastrophe. "Sein viel zu früher Tod macht uns alle sprach- und ratlos", heißt es auf der Seite. "In stiller Trauer, Mitglieder und Vorstand des LSV Pirna".

René Herms war erst 26. Er hatte gerade eine Grippe auskuriert, er sei nur noch "etwas verschnupft gewesen", sagt Herms' Managerin Kerstin Pohlers, und er schien bereit zu sein für die Vorbereitung auf das Jahr der Heim-WM in Berlin. Am Freitagnachmittag war er im Training. Am Samstag fand ihn dann seine Schwiegermutter tot vor dem Computer. Die Polizei ermittelt, nichts weist auf Selbstmord oder Fremdverschulden hin, eine Obduktion ist für diesen Montag anberaumt. Mehr gibt es vorerst nicht zu sagen über diesen Todesfall. Man kann nur etwas hilflos die Geschichte des Athleten Herms erzählen, der zu den profiliertesten Läufern des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) zählte, zeitweise zu großen Hoffnungen Anlass gab, dessen Leistungen zuletzt stagnierten. Und der die Hypothek einer Bestzeit von 1:44,14 Minuten mit sich herumschleppte, der er nie mehr gerecht werden konnte.

Ein frecher Junior

Seine besten Rennen hatte er in der ersten Phase seiner Karriere: Er war Zweiter mit der 4x400-Meter-Staffel bei der Junioren-WM 2000, Junioreneuropameister 2001, U-23-Europameister 2003. Herms passte ins Bild des jungen, frechen Siegläufers, der schon als Teenager die Senioren-Szene aufmischte. Seinen ersten deutschen Meistertitel gewann er 2001, bei seiner ersten Titelverteidigung 2002 erregte er beträchtliches Aufsehen, weil er dabei den Erfurter Olympiasieger Nils Schumann hinter sich ließ. Schumanns Goldlauf von Sydney 2000 hatte Herms inspiriert, aber auf der Bahn kannte er keine Vorbilder mehr. Erst bei der EM in München wenig später war die Hierarchie wieder hergestellt: Schumann wurde Dritter, Herms Siebter. War das schon erster Ausdruck einer taktischen Schwäche, die Herms' internationale Auftritte prägen sollte?

Seine Leistungen schwankten. Bis 2006 hatte er nie Mühe, die Qualifikationsstandards für die internationalen Großmeisterschaften zu unterbieten. Und kurz vor Olympia 2004 in Athen gelang ihm jenes entfesselte Rennen, mit dem er alle überraschte und für sich selbst einen neuen Maßstab setzte: 1:44,14 Minuten im Länderkampf mit Frankreich und den USA. Nach diesem Auftritt war seine Bestzeit plötzlich um 1,03 Sekunde besser, Herms Fünfter der ewigen deutschen Bestenliste und ein Geheimfavorit für die Spiele. "Der Junge hat was drauf", jubelte der damalige DLV-Disziplintrainer Dieter Herrmann, "es ist eine Überraschung möglich." Aber beim Höhepunkt wirkte Herms dann wieder seltsam orientierungslos. Er schied als Letzter seines Halbfinals mit 1:47,68 Minuten aus. Auch bei Weltmeisterschaften ist René Herms nie über das Halbfinale hinausgekommen.

In Interviews war René Herms durchaus ein redseliger Mann, meist wirkte er selbstbewusst und optimistisch. Er leistete sich sogar die ein oder andere Extravaganz: Tattoo, lackierte Fußnägel, und seiner Hochzeit ging ein öffentlicher Heiratsantrag bei den deutschen Meisterschaften über die Beschallungsanlage des Braunschweiger Stadions voraus. Seine sportlichen Ziele drückte er auf seiner Internetseite aus: "Alles aus mir rauszuholen und meine Träume ohne Doping zu verwirklichen, auch wenn ich dadurch nicht immer oben auf dem Siegerpodest stehen kann." Aber sein Seelenleben blieb verborgen. "Er war nicht der Typ, der gezeigt hätte, dass ihn etwas bedrückt", sagt Henning von Papen, der aktuelle DLV-Disziplintrainer für die Mittelstrecke. Und deswegen ist auch schwer zu sagen, wie sehr es ihn mitnahm, dass er seine 1:44,14 nicht einmal mehr annähernd erreichte, und dass er bald sogar seine nationale Vormachtstellung verlor.

Bei der EM 2006 in Göteborg schied er mit 1:48,67 Minuten im Vorlauf aus. Trainer Klaus Müller sprach von "Arbeitsverweigerung", Herms schoss zurück, der LSV Pirna veröffentlichte einen Verhaltenskodex als Bedingung für eine weitere Zusammenarbeit, und Herms, der sehr meinungsfest war, zog die Konsequenzen: Trainerwechsel zum Dresdner Dietmar Jarosch, Vereinswechsel nach Braunschweig. 2007 wurde er das erste Mal seit 2001 nicht deutscher Meister, WM 2007 und Olympia 2008 verpasste er.

René Herms hatte Lehren gezogen aus seinen Niederlagen. Er hatte sein Ausdauertraining wieder forciert. Er suchte wieder die Nähe der Pirnaer Trainingsgruppe, um auf höherem Niveau trainieren zu können. Nichts deutet darauf hin, dass er verzweifelt war. René Herms wollte nicht aufgeben. Er hatte noch viel vor. Er war erst 26 Jahre alt. Thomas Hahn

Er war eine große Hoffnung der deutschen Leichtathletik: 800-m-Laufer René Herms (?) Foto: dpa

Herms, René: Tod SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Erinnerung, sprich

Neue Internet-Seite zeigt Interviews mit ehemaligen Zwangsarbeitern

Zwölf Millionen Menschen haben während des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeit im oder für das Deutsche Reich geleistet. Bekannt war das immer. Allein 1944 arbeiteten im Reichsgebiet sechs Millionen zivile Arbeitskräfte aus anderen Ländern, zwei Millionen Kriegsgefangene und 500 000 KZ-Häftlinge; wie sollte so etwas verborgen geblieben sein? Aber zu einem Thema politischer Verantwortung wurde es erst Ende der neunziger Jahre, auf Druck der amerikanischen Öffentlichkeit. Nur schwerfällig erklärte sich die deutsche Wirtschaft bereit, ihren Teil zu leisten, doch 2001 war sichergestellt, dass zehn Milliarden Mark, je zur Hälfte aufgebracht vom Bund und der deutschen Wirtschaft, bereitstanden, ehemaligen Zwangsarbeitern eine Entschädigung zu zahlen. Gewaltige Beträge waren das nicht, pro Kopf bis zu 7500 Euro, aber für die Betroffenen, die zum größten Teil in Osteuropa und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion lebten, eine Hilfe. Und es war eine Anerkennung des Unrechts, das ihnen angetan war.

Man bekommt einen Eindruck davon, was das bedeutet, wenn man auf der soeben freigeschalteten Internetseite www.zwangsarbeit-archiv.de die Ausschnitte aus Interviews mit ehemaligen Zwangsarbeitern sieht. Sie nehmen das Gespräch ernst, reden gesammelt, sie dramatisieren nicht, aber es ist ihnen wichtig, ihre Erfahrungen zur Sprache zu bringen. Verantwortet wird die Internetseite von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft, die für die Entschädigung der Zwangsarbeiter 2000 gegründet wurde. Die Zahlungen sind inzwischen weitgehend geleistet. Doch sie sieht ihren politischen Auftrag auch in der Dokumentation der Zwangsarbeit, und so haben, von ihr angeregt und finanziert, Wissenschaftler mit bislang 590 Opfern lange Gespräche geführt.

Auf der Website, die die Freie Universität Berlin eingerichtet hat, werden diese Gespräche nach und nach veröffentlicht, insgesamt 2000 Stunden. Wenn die Arbeiten abgeschlossen sind, wird jedes Interview als Video- oder Audio-Dokument vorliegen, in einer originalsprachigen Transkription und in deutscher Übersetzung. Es ist eine Arbeit, die sich an Wissenschaft und Bildungswesen wendet. Allgemeine Informationen und kurze Proben sind jedermann zugänglich. Wer auf das gesamte Material zugreifen will, muss sich registrieren lassen. Der Zugang wird Forschern und Lehrern wohl regelmäßig gewährt, im übrigen nach der Plausibilität des jeweiligen Vorhabens. Die künftige Betreuung übernimmt das Deutsche Historische Museum, das Videomaterial dieses Projekts auch in seine Daueraustellung integriert hat. stsp

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Überraschender Rückzug

Caroline Kennedy bewirbt sich doch nicht für den Senat

Von Christian Wernicke

Washington - Caroline Kennedy, die Tochter des ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy und zuletzt enge Vertraute von Barack Obama, hat am Donnerstag überraschend ihre Pläne für eine eigene politische Karriere aufgegeben. In einer knappen Erklärung teilte sie mit, sie stehe nicht länger zur Verfügung als potentielle Nachfolgerin von Hillary Clinton. Die bisherige demokratische Senatorin des US-Bundesstaates New York hatte ihr Amt am Mittwochabend niedergelegt, nachdem der Senat ihre Ernennung zur Außenministerin bestätigt hatte. Noch zu Wochenbeginn hatte es geheißen, New Yorks Gouverneur David Paterson sei entschlossen, Kennedy das Amt zuzusprechen.

Die 51-jährige Demokratin verwies zur Begründung ihres politischen Rückzugs auf die Krebskrankheit ihres Onkels Ted Kennedy. Der US-Senator war erst am Dienstag bei einem Festessen zur Vereidigung des neuen Präsidenten im Kapitol zusammengebrochen. "Ich habe Gouverneur Paterson heute informiert, dass ich aus persönlichen Gründen meinen Namen für Überlegungen um den Senat der Vereinigten Staaten zurückziehe," ließ Kennedy über einen Sprecher verbreiten.

In ersten Reaktionen zeigten sich zahlreiche Demokraten überrascht von der Entwicklung. Der Abgeordnete Keith Wright aus Harlem, ein enger Freund des New Yorker Gouverneurs, sagte der New York Times, erst vorige Woche habe ihm Kennedy versichert, "dass sie dabei ist, willens und fähig". Andere Parteifreunde verwiesen hingegen auf Umfragen, wonach zuletzt eine Mehrheit der Wähler in New York sich gegen eine Ernennung Kennedys zur Senatorin ausgesprochen hatten. In nationalen Umfragen hingegen hatte eine breite Mehrheit der Befragten eine Karriere der Präsidententochter befürwortet.

Als Ursache für den zuletzt schwindenden Rückhalt unter New Yorks Bevölkerung galt das Echo auf mehrere Medien-Interviews. Ende Dezember hatte Kennedy auf viele Fragen von Journalisten nur vage und ausweichend geantwortet. Die unter Demokraten extrem einflussreiche New York Times etwa veröffentlichte eine Abschrift und Tonband-Auszüge ihres Gesprächs, in denen Kennedy auf die meisten Fragen ausweichend antwortete und auf kritische Bemerkungen sogar schnippisch reagierte. Kennedys Hang zu Füllwörtern und Zwischenbemerkungen wie "you know" wurde sogar in Comedy-Shows parodiert.

Zuletzt hatte auch Gouverneur Paterson angedeutet, er sehe Kennedys mangelnde politische Erfahrung als eine Schwäche. Als ihre wichtigste Stärke hob der schwarze Demokrat nur hervor, die Kandidatin verfüge durch ihre persönliche Freundschaft mit Barack Obama über besten und wertvollen Zugang zum Weißen Haus: "Das ist ganz bestimmt ein Plus." Berater des Gouverneurs hatten argumentiert, angesichts eines drohenden Haushaltsdefizits von 15 Milliarden Dollar könne diese Verbindung dem Bundesstaat helfen, mehr Hilfsmittel aus dem Bundesetat zu ergattern.

Als Favorit für die Nachfolge von Hillary Clinton gilt nun New Yorks Staatsanwalt Andrew Cuomo. Der Sohn eines früheren Gouverneurs hat sich mit aggressiven und sehr populären Ermittlungen gegen die Machenschaften von Finanzinstituten an der Wall Street einen Namen gemacht. Allerdings steht Gouverneur Paterson parteiintern unter starkem Druck, erneut eine Frau nach Washington zu entsenden. Als Bewerberin werden die beiden Abgeordneten Kirsten Gillibrand und Carolyn Maloney genannt. Gillibrand werden allgemein bessere Chancen eingeräumt, da es ihr gelungen war, einen Wahlkreis im eher konservativen Norden des Bundesstaates zu erobern. Jeder Nachfolger wird nur für zwei Jahre ernannt und müsste sich 2010 einer Wahl stellen. Eine neue Wahl für eine dann sechsjährige Amtszeit im Senat ist 2012 vorgeschrieben. Vertraute des Gouverneurs deuteten an, eine Entscheidung solle spätestens an diesem Wochenende fallen.

Caroline Kennedy gibt persönliche Gründe für ihren Schritt an. Foto: dpa

Kennedy Schlossberg, Caroline Paterson, David US-Kongress: Mitglieder SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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"Landesbanken bedrohen System"

IWF fordert Deutschland dazu auf, den Finanzsektor umzubauen

Von Nikolaus Piper

New York - Als Konsequenz aus der Finanzkrise hat der Internationale Währungsfonds (IWF) Deutschland zur umfassenden Reform seines Finanzsektors aufgefordert. Insbesondere sollen die Landesbanken restrukturiert, die Einlagensicherung für Bankkunden verbessert und die Bankenaufsicht vereinheitlicht werden. In ihrem Deutschlandbericht sagen die Experten des IWF einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 2,5 Prozent voraus, 2010 sei allenfalls mit einer "langsamen Erholung" zu rechnen. Offensichtlich hat sich die Einschätzung des IWF über die deutsche Konjunktur innerhalb weniger Wochen dramatisch verschlechtert. In der Langfassung des Berichts vom 9. Dezember 2008 ist noch von einem Wachstumseinbruch von lediglich 0,8 Prozent die Rede. Nach den Statuten des IWF beurteilen Experten-Teams des Fonds in regelmäßigen Abständen die Wirtschafts- und Finanzpolitik jedes Mitgliedslands.

Die Finanzkrise habe die "Verwundbarkeit des deutschen Finanzsystems deutlich gemacht", schreiben die Experten. Diese könne durch die Rezession noch erhöht werden. Sie begrüßen die bisherige Krisenpolitik der Bundesrepublik, fordern aber noch weitere Schritte, um die Gesundung des Finanzsektors voranzutreiben. So sollten die Behörden "proaktiv" die Landesbanken gesundschrumpfen; diese bedrohten die Stabilität des gesamten Systems. Die Experten legen nahe, die Landesbanken in "gute und "schlechte" aufzuteilen und die guten so umzubauen, dass sie privates Kapital aufnehmen können. Das Management des Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung solle direkt mit den Landesregierungen zusammenarbeiten, um die bisherige Reformblockade zu durchbrechen, heißt es in dem Bericht.

Darüber hinaus schlägt der IWF vor, die bisher getrennten Einlagensicherungsfonds von privaten Banken, Genossenschaften und Sparkassen zu vereinheitlichen und besser mit Kapital auszustatten. Der Schutz, den diese Fonds bieten, sei im internationalen Vergleich niedrig.

IWF Folgen der Finanzkrise in Deutschland Landesbanken in Deutschland Bankeinlagenschutz in Deutschland Finanzaufsicht in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Bilder sehen sich an

Die Frankfurter Schirn zeigt das umstrittene Spätwerk des abstrakten Malers Ernst Wilhelm Nay

Ein "Farbsetzer" wollte er sein, so wie der Komponist Tonsetzer ist. Angesichts der seriellen Radikalität, mit der Ernst Wilhelm Nay (1902 bis 1968) den Anspruch auf, wie er sagte, "absolute Malerei" in seiner letzten Werkphase umgesetzt hat, kommt der Besucher der soeben eröffneten Ausstellung in der Frankfurter Schirn aus dem Staunen nicht heraus: Ist das noch der Maler der Nierentischära, dessen "Scheibenbilder" in der Nachkriegszeit die Kunstkalender füllten? Und was ist von dieser reduzierten Palette plakativer, kaum vermischter und beinahe poppiger Farben zu halten, von der Berührung grüner und blauer, schwarzer, gelber und violetter Farbflächen? Und von jenem grellen, zu breiten Farbbändern ausgebreiteten Gelb auf nebeneinander hängenden großformatigen quadratischen Tafeln, vor denen man mit Gottfried Benn ausrufen möchte: "Das ist reines Gelb. Das löst wie Zuckerei, da kann Gott nicht weit sein ..."

Mit Gottfried Benns artistischer Konfession, die das "Gemachte" der Kunst verkündete, während der vielbelesene Maler E. W. Nay in dem Dichter den Geistesverwandten wähnte, ist man in keiner schlechten Gesellschaft in Gegenwart der rund 30 letzten großen Bilder Nays, den von ihm so genannten "elementaren" Bildern. Sonst stünde man im bogenüberwölbten Saal der Schirn nämlich da wie der Maler selbst, der von sich sagte: "Also bin ich allein mit meiner Leinwand, vollkommen allein nach allen Seiten" - allein vor diesen merkwürdigen Gemälden mit ihren von Ketten, Bändern und Spindeln, von Ellipsen und Bögen oder nach Art von Arabesken mit floralen und amorphen Ornamenten durchzogenen Kompositionen, die wie aus einem eigenen inneren Antrieb heraus über die Bildränder hinausdrängen, sich nach allen Seiten im Raum ausdehnen wollen. Wüsste man nicht um den Künstler, so würde man sich vielleicht in einer Schau der New York School wähnen und erinnerte sich womöglich der Frage, die Barnett Newman im Jahr 1948 stellte: "Kann jemand irgendeinen europäischen Maler nennen, der fähig ist, sich vollkommen von der Natur zu befreien?"

Ja, man kann: Ernst Wilhelm Nay war oder wäre jener Maler gewesen, der sich die "wahrhaft abstrakte Welt" Newmans und seiner Malerkollegen Adolf Gottlieb, Mark Rothko und Clyfford Still zum Ziel auch seiner Kunst gesetzt hatte: "NAY", das ist nach der letzten handschriftlichen Kritzelei des Malers vor seinem Tode, "Malerei ohne Geometrie, ohne Illusion, ohne Optik, ohne Mythos".

Früh zog der humanistisch gebildete Berliner Beamtensohn, der sein Malerhandwerk bei Karl Hofer gelernt hatte, die Aufmerksamkeit von Kunstkritikern wie Paul Westheim und Will Grohmann, von Kunsthistorikern wie Carl Georg Heise und Werner Haftmann sowie von Galeristen wie Günther Franke auf sich. Dem - wie er sich selbst nannte - jüngsten unter den verfemten Malern (zwei seiner Bilder hingen 1937 in der Ausstellung "Entartete Kunst" in München) vermittelte Heise einen längeren Aufenthalt bei Edvard Munch in Norwegen, wo die Reihe der "Lofoten"-Bilder entstand. Den Krieg verbrachte Nay in Frankreich als Kartenzeichner, und fand in der Nachkriegszeit für sechs Jahre Zuflucht in Hofheim im Taunus, im Haus der Kunstsammlerin Hanna Bekker vom Rath. Seit 1951 bewohnte Nay ein Atelierhaus in Köln. Verhältnismäßig schnell kam er zu künstlerischem Erfolg, nicht nur in Deutschland, sondern auch im europäischen Ausland und in Übersee. Einzelausstellungen und die Teilnahme an einer Schau des MoMA führten Nay seit 1955 mehrmals nach New York, wo er Mark Rothko und Robert Motherwell kennenlernte.

Auf dem Höhepunkt seines Ruhms regte ihn Arnold Bodes für die dritte Kasseler documenta 1964 zu drei übergroßen, tonnenschweren Tafeln in den Farbkontrasten Blau-Rot-Gelb, Weiß-Schwarz-Grau und Rot-Grün an. Bode ließ sie hintereinander und schräg versetzt als Deckengemälde über einem korridorähnlichen Raum anbringen. In Nays Ouvre gehören sie zu den "Augenbildern" - das Augenmotiv resultiert aus dem Durchstreichen jener "Scheiben", die in Nays Vorrat an Elementarformen als Hauptvokabeln fungierten. Was den Betrachter hier so spektakulär von oben herab anblickte, war in der neueren Kunstgeschichte ungewöhnlich. Als logistische Meisterleistung der Frankfurter Schau ist die Kasseler Installation, an der sich seinerzeit heftige öffentliche Anfeindungen gegen Nay und lautstarke Polemiken für und wider die abstrakte Kunst entzündeten, in der Schirn originalgetreu rekonstruiert. Wie eine triumphale Schleuse ins Reich der reinen Kunst leitet diese Rauminstallation den Übergang zu Nays letzten, den "elementaren" Bilder ein.

Anders als die Retrospektiven zu Nays 100. Geburtstag im Jahr 2002 und die Ausstellung von Aquarellen und Gouachen zwei Jahre darauf in der Münchener Pinakothek der Moderne verzichtet die von Ingrid Pfeiffer kuratierte Frankfurter Präsentation bewusst auf die Demonstration dieser Entwicklung. Der Purismus, Nays letzte Werke allein für sich selbst sprechen zu lassen, ist dem Selbstverständnis dieses Malers angemessen. In der Wiederholung, mit der hier eine relative geschlossene Werkgruppe quasi wie neu präsentiert wird, wird der souveräne und provokante, auch von unverzichtbarem Hochmut nicht ganz freie Gestus des Künstlers deutlich. Den neuerlichen Test bestehen diese Werke, die aufgrund ihres Reduktionismus zu Nays Lebzeiten von der Kunstwelt eher zurückgewiesen wurden, heute mühelos. Statt zu verblassen, wie so vieles andere aus ihrer Zeit, haben sie in vier Jahrzehnten an Leuchtkraft oder - mit einem Wort von Werner Haftmann, Nays erstem Monographen - an "Blickkraft" gewonnen und strahlen zurück. Lauter letzte, lauter erste Bilder.

VOLKER BREIDECKER

"E. W. Nay. Bilder der 1960er Jahre" in der Schirn in Frankfurt am Main bis zum 26. April. Katalog 24,80 Euro. Info: www.schirn-kunsthalle.de

Ausstellungen in der Schirn SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Hartz IV ist legislativer Wahnsinn

Hartz IV funktioniert wie eine gewaltige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Die Arbeit wird nicht denen beschafft, die Arbeit brauchen, sondern denen, die schon genug haben: Die Sozialrichter ersticken in der Flut der Hartz-IV-Klagen. Deren Zahl ist binnen eines Jahres um 30 Prozent gestiegen, in Bundesländern im Osten hat sie sich verdoppelt.

Das liegt nicht in erster Linie daran, dass Sozialleistungsempf nger nichts anderes zu tun haben und deshalb vor Gericht ziehen. Es liegt an der maßlosen Kompliziertheit des Gesetzes, es liegt an der Bürokratie, die dieses Gesetz erzeugt, und an der Überforderung der Sozialbehörden, die den Arbeitsanfall nicht bewältigen können. Wer sein bisschen Geld nicht kriegt, klagt. Eilantrag, Untätigkeitsklage, erneute Klage. Und weil die Leute, die klagen, ja kein Geld haben, stehen ihnen Prozesskostenhilfe und ein Anwalt zu. Was der Staat mit Hartz IV einspart, gibt er für die Klagen gegen Hartz IV wieder aus. Die Malaise beginnt schon mit der unseligen Rechtskonstruktion der "Bedarfsgemeinschaft", die allen Sozialleistungen zugrunde liegt. In einer Bedarfsgemeinschaft aus Eltern, Kindern, Lebensgefährten gibt es immer viel Bewegung, der eine hat Arbeit und dann wieder nicht, Kinder ziehen aus - es kommt zu Falschzahlungen, die gegenüber jedem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft geltend gemacht werden müssen. Fast jeder Satz des Hartz-Gesetzes ist so eine Klagenbeschaffungsmaßnahme. Hartz IV ist legislativer Wahnsinn.

Gäbe es bei der Strafjustiz auch solche Steigerungsraten, man spräche entsetzt von der Kriminalisierung Deutschlands. Was soll man zu den Steigerungsraten an den Sozialgerichten sagen? Armes Deutschland. pra

Arbeitslosengeld 2 in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Die fantastischen Vierbeiner

Ein zweiteiliger Ballettabend zu Shakespeares "Sturm" in Bern

In Bern stehen die Zeichen auf Sturm. Nicht, dass einen das beunruhigen müsste. Im Gegenteil: Der frische Wind, der hier zurzeit über das Bühnengeviert in der Vidmarhalle weht, beflügelt. Bei Cathy Marston, der Choreographin aus London, die nach vier Jahren mit Richard Wherlock in Luzern und sieben Jahren als freie Choreographin im Sommer 2007 die Leitung des Bern-Balletts übernahm, wussten einige schon vorher, was sie erwarten würde. Denn ihr Stück "Before the Tempest . . . After the Storm" wurde bereits 2004 als Pro- und Epilog einer Auftragsoper von Thomas Ades zu Shakespeares "Sturm" an der Royal Opera in London uraufgeführt und heftig gelobt.

Die beiden Duette auf leerer Bühne zur akustischen Untermalung von Jules Maxwell gehen nunmehr nahtlos ineinander über und verweisen auf das komplexe Verhältnis von vier Figuren zueinander: Die Hexe Sycorax und ihr Sohn Caliban als Erdengeschöpfe, der Zauberer Prospero und Ariel als Geist- und Luftwesen. Sycorax (Martina Langmann) entzieht sich Prosperos Herrschaft durch den Tod; Caliban (Chien-Ming Chang) wird von ihm sehr grob, Ariel hingegen auf subtile, aber nicht weniger grausame Weise versklavt.

Ein monströs verstärkter Schrei begleitet die Geburt des Caliban. Noch eins mit seiner Mutter, wankt diese schwerfällig in ziegelrotem Mantel einher, die nackten Füße, das Gesicht irden brüniert. Es entwindet sich ihr ein wildes Geschöpf mit Lendentuch, braun wie sie, das sich zunächst noch um ihren Leib legt, dann aber, wohl auch gezwungenermaßen, sein höchst lebhaftes Einzeldasein in kraftvollen Drehsprüngen, gleichwohl mit nachdrücklicher Bodenhaftung, an den Tag legt. Die ihm das Leben schenkte, liegt tot am Boden, Caliban schreit einen stummen Schrei, bis ihn Dunkel umhüllt. Statt des erdhaft-expressiven Paares thronen nunmehr weit noblere Wesen, weiß und blau, auf dem Stein. Die schwerelose Ballettpose passt zu ihrer luftigen Allüre. Ariel (Jenny Tattersall) ist, platziert auf Prosperos Händen (Erick Guillard) wie der Falke auf dem Arm des Falkners, allzeit bereit, für seinen Herrn auszufliegen - ein letztes Mal, angesichts baldiger Rettung nun frei.

Cathy Marston hat ein Händchen dafür, die Vorgänge und Stimmungen um ein Geflecht von Abhängigkeiten ebenso genau wie eindringlich zu erzählen. Ihr halbstündiges Diptychon empfiehlt sich als saubere Arbeit - ein hübsches Vorspiel zu "Pfeil nach rechts" von Guilherme Botelho.

Es ist das erste Mal, dass der Brasilianer aus São Paulo, der schon für Oscar Araiz in Genf tanzte, für diese Uraufführung mit einer anderen als seiner eigenen Kompanie Alias in Genf gearbeitet hat. Die an Lautstärke und Intensität an- und abschwellende elektronische Klangfolie von Murcof trägt zur atemberaubenden Spannung eines Stückes "für 1200 Tänzer" (O-Ton Botelho) bei, die er fünfzig Minuten lang zu halten versteht.

Zwölf Tänzerinnen und Tänzern queren ununterbrochen von links nach rechts in wechselnden Formationen die nackte Bühne, variieren Tempo und Bewegung derart, dass man sie nicht zählen kann. "Such stuff that dreams are made on" - das Motto dieses zweiteiligen Abends nach Motiven aus Shakespeares Drama "Der Sturm", hat den Choreographen offenbar tiefer angerührt als das Thema selbst, das ihm vorgegeben war. Es sind eben nicht nur vom Wind verwehte, sich diesem entgegenstemmende Kreaturen, die er meint, sondern solche, die durch die Zeiten getrieben werden und deren Evolution zum Homo erectus Botelho nachzeichnet.

Man schaut staunend auf diese Wesen, die im Vierfüßlerstand über die Bühne schlurfen wie behäbige Primaten und im nächsten Augenblick, die Beine ein wenig gestreckter und flinker voran, Weberknechten auf Wanderschaft gleichen, während andere, unförmigen Reptilien ähnlich, in embryonaler Krümmung über den Boden krauchen. Die "1200" Tänzer verwandeln sich dabei in mindestens ebenso viele Arten, bis einer von ihnen aufsteht. Jetzt bekommt das instinktive Vorwärts, das nur von wenigen Kehrtwendungen, Rückwärtsrollen oder gelegentlichem Innehalten unterbrochen wird, eine andere Qualität: Ihm wächst Bedeutung hinzu. Die ins Leere gereckten Arme zweier tanzender Menschen inmitten von Paaren zeigen Sehnsucht an.

Und wenn sie alle über die Bühne jagen - windschlüpfrig, da aller Kleider entledigt - sind wir endlich angekommen in der großstädtischen Alltagshatz, die keinen Gegenverkehr duldet. Die Pointe daran: Botelho choreographiert die Regression auf vier Füße mit. Da capo? Gern. EVA-ELISABETH FISCHER

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Jedes Tor ist offen

Komponist Georg Katzer über die Neue Musik-Szene der DDR, die bei Berlins Ultraschall Festival wiederbelebt werden soll

Die Neue Musik in der DDR steht im Mittelpunkt des heute beginnenden Ultraschall Festivals in Berlin. Das Thema: Wie steht es um die Halbwertzeit der Werke, die in der kleinen, aber regen ostdeutschen Musikszene seit den sechziger Jahren entstanden sind? Zu den tonangebenden Komponisten der DDR gehörte auch der 1935 geborene Georg Katzer.

SZ: Zur Eröffnung erklingt ihr 1990 geschriebenes Werk "Mein 1989". Würden Sie das heute anders komponieren?

Georg Katzer: Ich glaube nicht. Meine Sicht der Dinge ist auch nach 20 Jahren noch immer die gleiche. Außerdem ist in dem Stück die Musik nur eine von mehreren Schichten. Ebenso wichtig sind die Geräusche vom Zerlegen der Mauer und akustische Dokumente wie Redeausschnitte von Honecker und Mielke. Und die haben sich ja auch nicht verändert.

SZ: Wenn am Ende von "Mein 1989" die Mauer fällt, kann man das als einen Aufbruch verstehen. Haben sich die Hoffnungen erfüllt, die Sie damals hegten?

Katzer: Es haben sich nur meine Hoffnungen als Bürger, Konsument und Reisender erfüllt. Als Künstler und Komponist sehe ich die Entwicklung zwiespältiger: Innerhalb weniger Jahre wurde die ostdeutsche Neue-Musik-Szene abgewickelt. Wenn ich heute Festivalprogramme aufschlage, tauchen keine Namen ostdeutscher Komponisten mehr auf.

SZ: Vielleicht hat es ihren Kollegen ja auch einfach die Sprache verschlagen?

Katzer: Nein, die komponieren schon noch. Aber an den Schaltstellen sitzen jetzt Leute, die ihre Klientel und ihren Geschmack mitgebracht haben. Das will ich nicht verurteilen - nur etwas Neugier auf die Musik, die aus der DDR erwachsen ist, würde ich mir schon wünschen.

SZ: Haben die Ereignisse von 1989 Ihre Art, Musik zu schreiben, verändert?

Katzer: Ich glaube, dass kaum feststellbar ist, ob man als Komponist auf gesellschaftliche Entwicklungen reagiert oder ob Veränderungen einfach das Resultat eines persönlichen Reifeprozesses sind, der vielerlei Ursachen haben kann. Anlässe für Wut, Verzweiflung und Wohlgefühl gibt es ja immer, aber die Musik kann nur den Zustand ausdrücken, nicht aber den Grund dafür.

SZ: Schostakowitsch hat sein Leiden unter dem Stalin-Terror kaum verschlüsselt in seiner Musik verarbeitet.

Katzer: Vermutlich hätte er auch unter anderen Verhältnissen so geschrieben. Außerdem hat er auch ganz andere Musik geschrieben. Die Filmmusik "Der helle Weg" ist reinste Operette. Ich denke sogar, dass ihm das Spaß gemacht hat.

SZ: Sie haben geschrieben, dass die Ereignisse des Prager Frühlings ihr Weltbild erschüttert hätten.

Katzer: Das war allerdings ein Einschnitt, zumal ich teilweise in Prag studiert hatte und dort noch in der Nacht vor dem sowjetischen Einmarsch bei Freunden war. Die Stimmung in dieser Nacht war optimistisch. Dass an der Grenze schon die Panzer standen, wusste keiner von uns. Bis dahin habe ich ja wie viele meiner Freunde geglaubt, dass der Sozialismus irgendwann zu einem guten Ende finden würde und habe im Pathos der gesellschaftlichen Erwartungen komponiert. Das hat sich dann geändert. Vor allem die Schlüsse meiner Werke wurden immer leider. Da war nichts kräftiges, knalliges mehr.

SZ: Sie haben davon gesprochen, dass die politischen Inhalte von Musik schwerer fassbar sind als bei anderen Künsten. Wie haben sich denn Einflussnahme und Zensur in der DDR überhaupt geäußert?

Katzer: Um ein Beispiel zu geben: Eines meiner Stücke besaß als zentrales Element ein Klavierriff, das immer wieder über die ganze Tastatur brauste - eine Betriebsamkeit, die aber zu keinem Ergebnis führte. In Verbindung mit dem Titel "La révolution permanente" wurde das natürlich nicht gern gesehen. Ich habe das Stück nach der Wende bearbeitet und "Hektischer Stillstand" getauft. Mit Revolution war da ja nichts mehr. Oder der Auftrag für ein Rundfunkoratorium, für das ich Texte des ohnehin nicht besonders gelittenen christlichen Lyrikers Johannes Bobrowsky ausgewählt hatte. Bei der Textzeile "Jedes Tor ist offen" hat die Abnahmekommission natürlich die Mappe zugeklappt und die Auftragserteilung an mich abgelehnt.

SZ: Wurden Sie nicht dazu gedrängt, volkstümlicher zu schreiben?

Katzer: Klar, die Appelle gab es. Aber wenn jemand an mich herantrat und mir sagte ich solle doch bitte im Stil des sozialistischen Realismus schreiben, habe ich einfach geantwortet: Aber was ich schreibe, ist sozialistischer Realismus! Da wollte dann in der Regel keiner mehr weiterdiskutieren. Vielleicht auch, weil vielen, die uns kontrollieren sollten, das peinlich war oder sie sogar Sympathien für uns hatten. Immerhin hat mich das Kulturministerium nach Bratislava ins Studio für elektroakustische Musik geschickt, und jedes Jahr pilgerten 15 bis 20 Komponisten zum Warschauer Herbst und sogen dort die Einflüsse von Penderecki und Lutoslawski auf. Die DDR war kein Monolith, sondern bot auch Leuten Raum, die nicht auf Linie waren und statt des offiziellen Karrierewegs eine freischaffende Künstlerexistenz wählten.

SZ: Wie groß war die Szene?

Katzer: Es gab wohl einige hundert E-Musik-Komponisten, die oft nebenberuflich komponierten. Der Anteil derjenigen, die wie Friedrich Goldmann, Friedrich Schenker, Rainer Bredemeyer und ich echte zeitgenössische Musik schrieben, war allerdings klein: Ich schätze diesen harten Kern auf etwa 20, 30 Köpfe.

SZ: Im Westen haben sich die Komponisten der fünfziger und sechziger Jahre radikal vom Publikum abgewandt. Wäre das auch für die Komponisten der DDR ein Weg gewesen?

Katzer: Theoretisch vielleicht. Aber Komponieren funktioniert ja anders: Man will etwas mitteilen und wird dann bei der Arbeit unversehens zu seinem eigenen Publikum. Und hinterher ist man tief enttäuscht, wenn einen die Leute nicht verstehen und nicht merken, dass die Musik auch von ihren eigenen Verletzungen handelt. Entscheidender ist jedoch: Die Komponisten der DDR mochten avantgardistisch schreiben, sie ließen jedoch den traditionellen Werkbegriff unangetastet. Deshalb wurde zwar Zwölftonmusik rezipiert, Phänomene wie John Cage oder die Minimal Music gingen an der DDR jedoch spurlos vorüber.

SZ: War das Publikum für Neue Musik in der DDR ein anderes als heute?

Katzer: In jedem Fall war es gut und umfangreich. Selbst bei elektroakustischer Musik stürmten die Leute die Kasse. Und sicher gab es einen anderen Hunger auf Kultur, weil von ihr eine Alternative erwartet wurde.

Interview: Jörg Königsdorf

Katzer, Georg: Interviews Kultur in der DDR SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Streit um Reform der Kfz-Steuer

SPD beklagt Vorteile für Autos mit besonders hohem CO2-Ausstoß

Von Claus Hulverscheidt

Berlin - Die Pläne der großen Koalition für eine Reform der Kfz-Steuer sind sowohl intern als auch bei Opposition und Umweltverbänden auf teils heftige Kritik gestoßen. Ein Sprecher von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) machte deutlich, dass sein Ressort das Konzept der Koalitionsspitzen nicht mittragen könne. "Für uns ist entscheidend: Das ist noch kein Regierungsentwurf", sagte er. Dagegen sprach der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Michael Meister (CDU) von einem "sorgfältig ausgewogenen Kompromiss". "Der Umweltminister gefährdet mit seinen Nachverhandlungen dessen Tragfähigkeit und den Zeitplan", erklärte er.

Der Koalitionsvereinbarung zufolge soll sich die Höhe der Kfz-Steuer von Juli an vor allem nach dem Schadstoffausstoß des Fahrzeugs richten. Zugleich wird aber die bisherige Bindung an den Hubraum nicht gänzlich aufgegeben, sondern modifiziert und für besonders leistungsstarke Autos sogar gedeckelt. Das führt dazu, dass ausgerechnet Besitzer von Fahrzeugen mit besonders hohem CO2-Ausstoß weniger Steuern zahlen müssen als bisher. Die Idee stammt aus den Reihen der Union, die befürchtet, dass eine rein schadstoffbezogene Kfz-Steuer zu Lasten deutscher Hersteller wie Mercedes, BMW, Audi und Porsche gehen könnte. Sie bauen im Vergleich zu vielen ausländischen Konkurrenten deutlich mehr Modelle in der Oberklasse. Allerdings trugen auch die SPD-geführten Ministerien für Finanzen und Verkehr das Konzept mit Blick auf die vielen gescheiterten Kompromissversuche der Vergangenheit am Ende mit.

Der Umweltexperte der Linksfraktion, Lutz Heilmann, bezeichnete die Regierungspläne als "klimapolitischen Offenbarungseid”. Die Reform sei nicht nur ein Förderprogramm für die falsche Produktpolitik der deutschen Autoindustrie, sondern auch für Großverdiener. So werde der Fahrer eines VW Golf um acht Euro entlastet, der eines Audi Q7 aber um 300 Euro. "Mit Winkelzügen werden Spritfresser verschont", sagte Heilmann.

Kritik des BUND

Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sprach von einer "bewussten Bevorzugung der Hersteller von Spritfressern". Ein Mix aus hubraum- und schadstoffbezogenen Komponenten bei der Berechnung der Kfz-Steuer verwirre zudem potentielle Autokäufer. Deshalb müsse die Koalition zum Modell einer rein CO2-bezogenen Kfz-Steuer zurückkehren, wie es auch im zweiten Konjunkturpaket der Regierung angekündigt worden sei. "Das längst überfällige Vorhaben der Bundesregierung, die Steuersätze für Autos an die Höhe des Schadstoffausstoßes zu knüpfen, darf nicht länger Spielball der Autolobby sein", so der BUND.

Er schlug vor, Fahrzeuge mit CO2-Emissionen von 100 Gramm pro Kilometer und mehr mit stufenweise steigenden Steuersätzen zu belasten. Für einen benzingetriebenen Golf 1.4 mit einem Ausstoß von 166 Gramm CO2 würde die Steuer dann nur leicht von 94 auf 120 Euro steigen. Bei einem Mercedes ML-350 mit 305 Gramm CO2 wäre der Anstieg gewaltig: Anstatt 256 Euro würden 1390 Euro fällig. Besitzer eines Smart Fortwo, der 112 Gramm ausstößt, müssten noch sechs statt 54 Euro im Jahr zahlen. "Ein solches klares Steuersystem wird nicht nur das Kaufverhalten beeinflussen, es wird auch entscheidende Innovationen für mehr Umweltschutz bei den Pkw-Herstellern anstoßen", so BUND-Verkehrsexperte Werner Reh. (Seite 4)

Gabriel, Sigmar: Zitate Steinbrück, Peer: Zitate KFZ-Steuer in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Strengere Regeln für Managergehälter

Berlin - Die Koalition will Managergehälter strenger regeln. "Wir haben uns auf eine Reihe von Änderungen des Aktiengesetzes und des Handelsgesetzbuchs geeinigt", sagte der Finanzpolitiker Otto Bernhardt (CDU), der gemeinsam mit SPD-Fraktionsvize Joachim Poß die Koalitionsarbeitsgruppe zu Managergehältern leitet.

Zu den Kernpunkten zählt, dass Aktienoptionen nicht mehr bereits nach zwei Jahren, sondern erst nach vier Jahren eingelöst werden können. "Wir wollen das langfristige Denken unterstützen, und nicht das kurzfristige", sagte Bernhardt. In Zukunft soll der gesamte Aufsichtsrat über das Gehalt eines Vorstandsmitglieds entscheiden. Bisher hat sich damit meist nur ein vierköpfiger Ausschuss befasst. Zudem soll durch neue Formulierungen im Aktiengesetz klarer werden, wann ein Gehalt angemessen ist und dass man es unter gewissen Voraussetzungen nachträglich korrigieren kann. Die Koalition will im Gesetz betonen, dass Aufsichtsräte haften, wenn sie einem Vorstand ein unangemessenes Gehalt gewähren. Keine Einigung wurde bei der Frage erzielt, ob Vorstandsgehälter ab einer gewissen Höhe für die Unternehmen nur beschränkt steuerlich absetzbar sein sollen. Ebenso wenig einigte man sich, ob es bei den Haftpflichtversicherungen für Manager einen Selbstbehalt geben soll. Diese Punkte bleiben nun außen vor. Nächsten Donnerstag will die Arbeitsgruppe abschließend beraten. "Ziel ist, das Ganze bis zum 3. Juli parlamentarisch zu verabschieden", sagte Bernhardt. (Kommentare) dku

Einkommen von Führungskräften in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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"Sprungschanze Gottes" wechselt den Besitzer

Ehemalige evangelische Kirche in Hannover wird an diesem Wochenende als Synagoge der liberalen jüdischen Gemeinde eingeweiht

Von Christiane Langrock-Kögel

Hannover - Die "Sprungschanze Gottes" liegt gegenüber vom städtischen Friedhof Hannover-Stöcken. Die Leute nennen den 60er-Jahre-Bau wegen seines markanten Schrägdachs so, manchmal heißt er auch etwas despektierlich "Seelenabschussrampe". Daneben stehen Wohnblocks, am Rand des Kirchplatzes liegt die Friedhofsgärtnerei. Bis vor zwei Jahren ragte vom Dach ein goldenes Kreuz in den Himmel. Das Gebäude war die Gustav-Adolf-Kirche, die zur evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover gehörte. Jetzt ziert eine goldene Metall-Konstruktion aus kleinen Dreiecken den Eingang. Über der Tür steht in hebräischen Schriftzeichen "Etz Chaim", Baum des Lebens. So hei t das jüdische Gemeindezentrum, das nach einem Jahr Umbauzeit am Sonntag eingeweiht wird. Es ist ein äußerst seltenes Ereignis, denn erst zum zweiten Mal überhaupt in der Bundesrepublik wird damit aus einer evangelischen Kirche eine Synagoge.

Dass Kirchen schließen müssen, dass sie mit anderen Gemeinden zusammengelegt werden, dass sie als Event-Location zu mieten sind, als Restaurant oder Wohnhaus genutzt werden, ist alles schon vorgekommen. Die Zahl der Kirchenmitglieder schrumpft, den Landeskirchen fehlt das Geld. So erging es auch der Gustav-Adolf-Gemeinde, die in ihren besten Zeiten mehr als 3000 Mitglieder hatte. Zuletzt blieben noch 1300, viele Andersgläubige waren in die Gegend gezogen. Allein die Heizkosten, die der schlecht isolierte Bau verschlang, überforderten den Etat. Schon in den neunziger Jahren, sagt die frühere Pastorin Lampe-Demsky, habe man über einen Verkauf diskutiert. Es gab Angebote eines Autohauses und eines Drogerie-Unternehmens. Eine Kletterwand wollte auch jemand installieren.

Dann kam Ingrid Wettberg, die Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannovers (LJGH), der größten liberalen Gemeinde Deutschlands. Die LJGH, 1995 hervorgegangen aus der orthodoxen jüdischen Gemeinde Hannovers, suchte neue Räume. Aus der kleinen Gruppe von 79 Gründungsmitgliedern ist heute, vor allem durch die Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, eine 600 Mitglieder starke Gemeinde geworden.

Dezent bleiben, nicht auffallen

Sie wollte raus aus den Büroräumen, die ihr als Gemeindezentrum und Betsaal dienten. Ingrid Wettberg sagt, vor der Gustav-Adolf-Kirche habe sie sich auch schon einmal eine zum Verkauf stehende evangelische Kirche angesehen. Das hatte einen Kirchturm, den man hätte abreißen müssen. "Das konnten wir nicht machen", sagt Wettberg, "Ich hatte Angst, es würde heißen: Die Juden reißen unsere Kirche ein." In Bielefeld hatte die bisher einzige Umwidmung einer evangelischen Kirche in die Synagoge Beit Tikwa sogar zwischenzeitlich zu einer Besetzung des Gotteshauses geführt.

Hannover ist damit die erste Kirchenumwidmung dieser Art, die vollkommen friedlich ablief. Die Gustav-Adolf-Kirche wechselte für 350 000 Euro den Besitzer und wurde von Grund auf saniert. Die Vorgabe an die Architekten des knapp drei Millionen Euro teuren Umbaus war, möglichst dezent zu bleiben, nicht zu provozieren. Das Land Niedersachsen, die Stadt und die Region Hannover sowie die jüdische Gemeinde selbst brachten je ein Drittel des Geldes auf. "Zwei Drittel unserer Mitglieder sind Zuwanderer. Wir sind keine reiche Gemeinde", sagt die Vorsitzende. Unterhalten könnten sie ihr Zentrum aber selbst.

Die bunten Glasfenster der Gustav-Adolf-Kirche sind verschwunden. Die neue Synagoge, hauptsächlich in Schwarz und Weiß gehalten, prägt eine lichte, moderne und dennoch warme Ausstrahlung. Zwischen siebenarmigen Leuchtern in mattem Gold steht die Heilige Lade, hinter deren Türen die Tora-Rollen aufbewahrt werden. Den orangefarbenen Samtvorhang hat Ingrid Wettberg als Zeichen der Kontinuität im evangelischen Kloster Marienberg besticken lassen. Und der Schmied, der das Kreuz der Gustav-Adolf-Kirche herstellte, hat nun die Chanukka-Leuchter geschmiedet.

Im Mai 2007 wurde die Gustav-Adolf-Kirche entwidmet, so heißt das Ritual, das die evangelische Kirche vor ein paar Jahren entwickelt hat, um Gotteshäuser würdig zu schließen. Die christlichen Symbole wie Taufschale, Abendmahlskelche und Kerzenleuchter wurden unter Singen und Beten aus der Kirche getragen. Die Orgel erklang ein letztes Mal, dann wurde die Tür abgeschlossen. Die Gemeinde kehrte samt der vier Kirchenglocken zurück in die zwei Kilometer entfernte Herrenhäuser Kirche, aus der sie Ende der 60er Jahre hervorgegangen war. Nein, die jüdische Gemeinde habe ihnen nichts weggenommen, sagte eine ältere Dame Ingrid Wettberg beim Tag der offenen Tür. Die Pastorin sprach von einer Wiedergutmachung an jene, deren Gotteshäuser vor 70 Jahren von den Nationalsozialisten zerstört wurden. Andere Nachbarn fühlen sich von der Polizeipräsenz rund um die neue Synagoge gestört und sorgen sich, dass nun Krawall ins Viertel kommt, durch Neonazis etwa.

Die großen Fenster zum Innenhof, die den Blick freigeben auf einen einladenden, alten Baum, sind aus schusshemmendem Glas. Schon jetzt ist der Hof von außen unzugänglich, aber wenn die Gemeinde das Geld hat, sollen noch überall im Erdgeschoss Rollläden eingebaut werden. Seit der Eskalation im Gaza-Streifen wurde die Bedrohung noch größer. Der Staatsschutz warnt vor Anschlägen auf jüdische Einrichtungen.

Die Freude an ihrem ersten eigenen Gotteshaus wirkt daher verhalten in der jüdischen Gemeinde in Hannover-Leinhausen. Wird die alte Kirche ein dauerhaftes Zuhause für die liberalen Juden? "Ich denke schon. Aber fragen Sie mich in einem Jahr noch einmal", sagt Ingrid Wettberg, "Vielleicht steht ja auch irgendwann wieder einmal ,Kirche' am Eingang".

Gabor Lengyel, Gemeinderabbiner der Liberalen Jüdischen Gemeinde in Hannover, bereitet die Torarollen für den Eröffnungsgottesdienst vor. Foto: epd

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Instrument der Hilflosigkeit

Monatelang, jahrelang hat die deutsche Politik über gesetzliche Mindestlöhne gestritten. Jetzt hat der Bundestag einen vorläufigen Schlusspunkt gesetzt und entsprechende Gesetze verabschiedet. Also gelten für weitere Branchen gesetzliche Vorgaben; mehrere Millionen Beschäftigte sind davon betroffen. Die Lohngrenzen sind unterschiedlich, mal sechs Euro, mal acht Euro die Stunde. Gemeinsam ist ihnen eine pharisäerhafte Hilflosigkeit.

Wer Mindestlöhne einführt, erweckt den Eindruck, etwas für die Menschen zu tun. Namentlich die SPD kann sich in diesem Lichte sonnen, trieb sie doch die Union bei diesem Thema von Anfang an vor sich her. In ihrem Bemühen, Schlimmeres zu verhindern, reichte die Kanzlerin der SPD erst den kleinen Finger, dann noch einen Finger und am Ende die ganze Hand. Am besten kann sich die Linkspartei fühlen, die sich zwar nicht durchgesetzt hat, aber mit der Forderung nach einem allgemeinen Mindestlohn die Herzen am heftigsten wärmt. Dabei müsste doch jedermann auf Anhieb das Problem erkennen: Entweder ein Mindestlohn ist so niedrig, dass er die Unternehmen nicht stört, dann hat er aber auch nur symbolische Wirkung. Oder er ist so hoch, dass er den Mitarbeitern wirklich hilft, dann aber vernichtet er Arbeitsplätze. Denn eines kann die Politik ganz sicher nicht: Sie kann privaten Unternehmen nicht ihren Stellenplan vorschreiben. Die Firmen werden immer so viel Beschäftigung anbieten, wie es der Geschäftserfolg zulässt. Je höher dabei die Löhne sind, desto weniger Jobs gibt es.

Bitte keine Hungerlöhne? Klingt gut, schließt aber als Norm Menschen von Arbeit aus. Nicht immer führen hehre Prinzipien zum Erfolg. mbe

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Maillols Muse

Dina Vierny, Modell des Bildhauers, ist gestorben

Wer in den Tuilerien spaziert, wird ihre üppige, bronzene Weiblichkeit schon oft bewundert haben. Die 18 monumentalen Skulpturen, die hier aufgestellt sind, wurden von Aristide Maillol geschaffen, der einmal sagte: "Geben Sie mir einen Garten, ich werde ihn mit Statuen bevölkern". Diesen Wunsch erfüllte er sich im Garten des Ateliers im Hinterland seines Geburtsorts Banyuls-sur-Mer am Fuße der französischen Pyrenäen, wo er von 1940 bis zu seinem Tod 1944 lebte. Besagte Statuen wurden 1964 dem französischen Staat geschenkt - von jener Frau, die Maillol Muse und Modell war und deren schwellender Körper sein Spätwerk prägte: Dina Vierny. André Malraux, der damalige Kulturminister, war so galant, die Plastiken in den Tuilerien aufstellen zu lassen.

Dina Vierny, die am 25. Januar 1919 in Moldawien geboren wurde, kam 1925 mit ihren jüdischen Eltern nach Paris, wo sie in den dreißiger Jahren als junges, sehr selbstbewusstes und politisch engagiertes Mädchen in Kontakt mit den Surrealisten kam, als Nebendarstellerin in Filmen agierte. 1934 begegnete sie erstmals Maillol, dem sie in seinem damaligen Atelier Modell stand. In ihr begegnete Maillol seinem Ideal üppiger, aber noch unschuldiger Weiblichkeit. "Das junge Mädchen", so sagte er einmal, "ist für mich das Wunder der Welt und eine immerwährende Freude."

Nach Ausbruch des Krieges 1940 ging Vierny mit Maillol in die Pyrenäen und schloss sich der Résistance an. Gemeinsam mit ihm organisierte sie die "Voie Maillol", einen Weg, auf dem Flüchtlinge aus dem besetzten Frankreich unbemerkt nach Spanien gelangten. Um die Gefahr für sie zu tarnen, entschloss sich Maillol, seine Muse an die Malerfreunde Raoul Dufy, Henri Matisse und Pierre Bonnard als Modell "auszuleihen".

Nach dem Tod Maillols bei einem Autounfall verwandte Dina Vierny ihre ganze Energie darauf, dem Werk Maillols, der im Nachkriegsfrankreich wegen seiner Verbindungen zum Nazi-Bildhauer Arno Breker geächtet war, Anerkennung zu verschaffen. Diesem Einsatz ist nicht zuletzt 1995 die Eröffnung der "Fondation Dina Vierny - Musée Maillol" in der Rue de Grenelle zu danken, über dem sie bis zu ihrem Tod am Dienstag kurz vor ihrem 90. Geburtstag lebte. Am Samstag wird Dina Vierny im engsten Familienkreis beigesetzt. JOHANNES WILLMS

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Uli Edel Oscar-nominierter Regisseur mit Sinn für kontroverse Themen

Sie waren zwei Kinder der deutschen lost generation, der Regisseur Uli Edel (Jahrgang 1947) und der Produzent Bernd Eichinger (Jahrgang 1949). Sie wuchsen auf in jenen Jahren, die gezeichnet waren von Unruhe und Anarchie, von Verbitterung gegenüber der Elterngeneration und ihrer Verstrickung in die Nazizeit, vom eskalierenden Widerstand gegen Springer und Staat, der Anfang der siebziger Jahre in den Terror der RAF mündete.

Beim Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film in München haben sie sich kennengelernt. Gemeinsam waren sie stark, das merkten sie damals. Und gemeinsam haben sie zwei der großen spektakulären Filme des deutschen Kinos gemacht - Eichinger als Produzent, Edel als Regisseur: "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", 1989, und im vorigen Jahr "Der Baader Meinhof Komplex", der es nun in die Endrunde für den Oscar in der Kategorie bester nichtenglischsprachiger Film geschafft hat. Zwei Filme, die am Puls der Zeit waren und die Unwirtlichkeit der deutschen Städte reflektierten. Einen dritten gemeinsamen Film gab es, der heute in Vergessenheit geraten ist - "Letzte Ausfahrt Brooklyn", nach dem Roman von Hubert Selby Jr. Damals schien er die Träume vieler junger Filmemacher widerzuspiegeln, war wie eine Flucht in eine andere Misere, die der USA.

In den zwanzig Jahren zwischen "Christiane F." und "Baader Meinhof Komplex" war Bernd Eichinger der erfolgreichere von beiden - als Produzent von Filmen, die in alle Welt verkauft wurden, vom "Geisterhaus" und "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" bis hin zu "Der Untergang" und "Parfum". Weniger erfolgreich war Eichinger, wenn er sich selbst als Regisseur versuchte, etwa beim "Mädchen Rosemarie".

Auch Uli Edel war - ohne Eichinger - nicht besonders erfolgreich. Er blieb in Hollywood, erfüllte sich den alten Traum deutscher Regisseure, an dem immerhin auch Wim Wenders scheiterte. Edel durfte 1991 eine Episode der Fernsehserie "Twin Peaks" drehen und inszenierte Madonna 1993 im erotisch dubiosen "Body of Evidence". Danach gab es einige Episoden der TV-Serie "Homicide", einen Fernsehfilm über den Boxer Mike Tyson und einen "Rasputin", mit Alan Rickman in der Titelrolle. Außerdem drehte er die Verfilmung von "Der kleine Vampir" und die amerikanische Shakespeare-Variante "King of Texas" mit Patrick Stewart als John Lear. Sein letztes großes Stück war der Mehrteiler "Der Ring des Nibelungen", hausgemachte deutsche Fantasy mit einem hausgemachten Star - Benno Fürmann als Siegfried.

Mit dem "Baader Meinhof Komplex", der heftig diskutiert wurde und nicht unbedingt der ersehnte große Erfolg wurde, sind Edel und Eichinger auf vertrautem Terrain zurück, dort wo sie einst begannen: "Der Film hat etwas mit mir und meiner Generation zu tun", erklärte Uli Edel. "Ich war Zeitzeuge. Und vor allem hatte ich das Gefühl, dass ich zu diesem Thema etwas sagen kann. Es war ein Stück Erinnerungsarbeit, das ich leisten musste. Ich habe zwei Söhne, 20 und 21 Jahre alt. Sie sind in den Staaten aufgewachsen und wussten nichts von Baader Meinhof." Fritz Göttler

Foto: ddp

Edel, Uli SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Nothilfe SZ-Zeichnung: Ironimus

Für Guantanamo ist auch Berlin zuständig

Deutschland sollte den USA anbieten, entlassene Häftlinge aus dem Rechtsbruch-Lager aufzunehmen

Von Kurt Kister

Wer in Deutschland etwas tut oder sagt, wofür er als "nicht zuständig" gilt, der macht sich in der Firma, im Sportverein und natürlich in der Politik unbeliebt bis verdächtig. Viele Juristen sind wahre Zuständigkeitsfanatiker, die schlimmsten unter ihnen sind jene, die sich als Politiker mit der inneren Sicherheit beschäftigen. Ja, die Rede ist wieder einmal auch von Wolfgang Schäuble. Der hat darauf hingewiesen, dass für die Aufnahme etwelcher aus Guantanamo Entlassener allein die Innenminister von Bund und Ländern zuständig seien - was implizit auch bedeutet, dass die sich schon dagegen aussprechen würden.

Der Innenminister irrt. Zuständig für die Aufnahme ehemaliger Guantanamo-Häftlinge sind alle Staaten, alle Politiker, denen Menschlichkeit etwas bedeutet. Bei jenen, die hoffentlich bald aus dem Rechtsbruch-Lager freikommen, handelt es sich um Leute, gegen die in den USA mangels Anlass keine ordentlichen Strafverfahren geführt werden. Auch die Regierung Obama wird durchaus die mutmaßlichen Terroristen oder Mordplaner unter den Bush-Internierten strafrechtlich verfolgen.

Viele derer aber, die man jahrelang in Käfigen gehalten hat, weil sie in Afghanistan oder im Irak zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort waren, erfüllen so ziemlich alle Kriterien, die in der EU für die Anerkennung als Asylbewerber wichtig sind. Wenn sie nach ihrer Entlassung nicht in den USA bleiben wollen, ist das sehr verständlich. Die Europäer sollten der Regierung Obama anbieten, diese Leute aufzunehmen. Man wird in jedem Einzelfall die Umstände oder gar eine mögliche Gefahr zu prüfen haben. Aber das tut man bei jedem Asylbewerber.

Gerade Deutschland hat sehr gute Gründe, sich offen und zuständig zu zeigen. Es geht darum, Gequälten zu helfen, denen die Internierung auch die Heimat genommen hat. Es ist außerdem eine Geste an die Neuen in Washington, dass alte Freunde zu einer veränderten Politik gerne die Hände reichen. Das deutsch-amerikanische Verhältnis ist leider deutlich abgekühlt. Das hat mit den Zeitläuften und der Regierung Bush zu tun. Es gibt aber auf beiden Seiten auch ein manchmal bis über die Grenze der Ablehnung hinausreichendes Desinteresse aneinander.

Hinzu kommt, dass die rot-grüne Regierung und speziell der heutige Kanzlerkandidat Steinmeier Mitverantwortung für die lange Inhaftierung eines Menschen in Guantanamo tragen. Der Fall Kurnaz sollte nicht Motiv einer großzügigen Politik sein, aber dennoch ein Teil der Motivation dafür. Anders als Schäuble befürwortet Steinmeier die Aufnahme entlassener Guantanamo-Häftlinge. Auf keinen Fall darf daraus ein parteipolitischer Streit werden, ob es besser ist, großzügig oder sicherheitsbewusst zu sein. Zwar kennt die Berliner politische Klasse, zumal im Vorwahlkampf, kaum Tabus. Die Aufnahme von ein oder zwei Dutzend Traumatisierter aber sollte dem Gekeife entzogen werden - und sei es durch ein klares Wort der Kanzlerin.

Auflösung des Kriegsgefangenenlagers in Guantanamo Asylbewerber in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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"Die Preise sind verrückt"

Renzo Rosso, Chef der Modefirma Diesel, über Fehler der Branche

Luxusrebell Renzo Rosso, 53, sieht sich mal wieder auf der Gewinnerseite. Vor 30 Jahren gründete der Bauernsohn im norditalienischen Molvena seine schräge Jeansfirma Diesel. Unter dem Dach der Holding Only the Brave baute Rosso dann einen Luxusmode-Konzern auf. Nur ein Viertel des Umsatzes von 1,4 Milliarden Euro entfällt heute noch auf die Denim-Sparte. Der Krise kann Rosso nur Gutes abgewinnen.

SZ: Signor Rosso, alle reden in Mailand vom Kürzen. Sie haben dort gerade den größten Diesel-Laden der Welt eröffnet. Ist das nicht gewagt?

Rosso: Überhaupt nicht. Ich finde diese Krise phantastisch. Jetzt wird endlich ein bisschen ausgemistet. Die Luxusbranche ist voll von improvisierten Marken, die uns im Weg stehen. In Zukunft gibt es hoffentlich mehr Raum für Professionalität.

SZ: Was erwarten Sie von der Rezession?

Rosso: Eine Säuberung. Heute tummelt sich auf dem Luxusmarkt alles Mögliche. Die Label sind zu bürgerlich, zu snobistisch und zu teuer. Die Luxusbranche ist zügellos. Da ist vieles übertrieben und abgehoben. Die neuen Luxuskunden interessieren sich heute für so etwas wie den Klimawandel. Außerdem rechne ich damit, dass die überzogenen Immobilienpreise runtergehen. Das käme unserer Vertriebsexpansion entgegen.

SZ: Wie begegnet Diesel der Konsumkrise?

Rosso: Auch wir spüren die Weltrezession. Aber sie ist eine Chance für uns. Denn Diesel ist ein solides Unternehmen, und wir sind nicht verschuldet.

SZ: Also ändert sich für Ihr Unternehmen nichts?

Rosso: Doch, wir werden die Kosten schärfer kontrollieren. Wichtig ist jetzt, weiter Profite zu machen. Wenn woanders Äste abgesägt werden, bekommen wir eine Gelegenheit.

SZ: Haben Sie es nur auf die Marktanteile der Konkurrenz abgesehen, oder wollen Sie sogar Firmen kaufen?

Rosso: Durchaus das Letztere. Zum Beispiel in der Produktion oder im Vertrieb. Diesel soll ein noch besser strukturiertes Unternehmen werden. Darum begrüße ich diese Krise.

SZ: Ist auch in der Modebranche eine Blase geplatzt?

Rosso: Oh ja. Die Fashionbranche ist zu flüchtig, die Preise sind verrückt. So respektiert man die Welt der jungen Leute nicht. Die lehnen das Kurzlebige ab.

SZ: Wie ist 2008 für Diesel gelaufen? Was kommt 2009?

Rosso: Wir haben 2008 unsere gewohnten Wachstumssteigerungen nicht erzielt. Mit drei Prozent stieg der Umsatz kaum. 2009 wird es einen Konsumeinbruch geben. Das heißt nicht automatisch, dass wir weniger verkaufen werden. Der Markt will aber frischere Produkte.

SZ: Sie haben vergangene Woche in Berlin einen neuen Männerduft vorgestellt. Der heißt "Only the Brave", kommt in einem zur Faust geballten Flakon daher und verströmt pure Stärke und Selbstsicherheit. Halten Sie das für zeitgemäß?

Rosso: Ja, unbedingt. Es ist ja meine Faust. Und der Name "Only the Brave" reflektiert perfekt meine Denkweise, die ja auch zum Slogan von Diesel wurde. Wir haben immer Mut bewiesen und im Luxusgeschäft viel verändert. Wir sind Pioniere. Und Berlin gehört für mich zu den vier kreativsten Städten der Welt.

Interview: Ulrike Sauer

Diesel-Chef Renzo Rosso. Foto: AFP

Rosso, Renzo: Interviews Internationale Mode Luxus Folgen der Finanzkrise in der EU SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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"Vermutlich nie ein Ergebnis"

Ermittler finden im Fall des Passauer Polizeidirektors Mannichl viele widersprüchliche Hinweise und keine Spur

Von Annette Ramelsberger, Max Hägler und Susi Wimmer

München/Passsau - Der Fall des niedergestochenen Passauer Polizeidirektors Alois Mannichl gibt selbst erfahrenen Ermittlern schwere Rätsel auf. Auch fünf Wochen nach der Tat gibt es keine vielversprechende Spur, zu jedem Indiz findet die Polizei ein Gegenindiz, zu jeder Theorie die Gegentheorie. Die Sonderkommission "Fürstenzell" in Passau arbeitet so abgeschottet, die Informationen über den Fortgang der Ermittlungen tröpfeln so spärlich, dass bereits Kritik aufkommt, die Polizei wolle den Fall am Ende gar nicht aufklären. Selbst hohe Polizeibeamte sagen: "Da wird es vermutlich nie ein Ergebnis geben." Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) tritt dem entschieden entgegen. "Wir wollen ein Ergebnis, wir lassen nichts im Ungefähren versickern", sagte er der Süddeutschen Zeitung. "Aber wir können die Aufklärung nicht erzwingen."

Ende nächster Woche will die Polizei nach Informationen der SZ einen Zwischenbericht abgeben. Zumindest sondert sie nun Spuren aus, die sie in die Irre geführt haben. Gestern hat die Polizei endgültig die Fahndung nach zwei tätowierten Verdächtigen abgeblasen, die sie bisher mit Phantombildern bundesweit gesucht hatte. Die Hinweise auf diese Verdächtigen, die eine grüne Schlange hinter dem Ohr und ein Kreuz im Gesicht getragen haben sollen, kamen von einer einzigen Zeugin. Deren Angaben aber stuft die Polizei als nicht belastbar ein. Denn die Zeugin hatte zwar zwei Verdächtige aus der rechtsradikalen Szene an einer Tankstelle "mit hundertprozentiger Sicherheit" erkannt, wie sie der SZ sagte. Aber auf den Videoaufnahmen der Tankstelle waren weder sie noch die Verdächtigen zu sehen. Die Ermittler suchen aber weiterhin nach einem 1,90 Meter großen Mann mit Glatze, den Mannichl als Täter an der Tür erkannt hat. Für Hinweise auf diesen Mann wurde die Belohnung nun sogar auf 20 000 Euro erhöht.

Nach den Ermittlungspannen kurz nach der Tat, als die Polizei den Tatort nur unzureichend absuchte und die Familie von Mannichl erst nach Tagen verhörte, wird der Fall nun um so genauer untersucht. Die Polizei hat den Überfall nach der Beschreibung nachgespielt, die das Opfer Mannichl vom Tatablauf gegeben hat. Zwei Polizisten schlüpften in die Rolle Mannichls und des Täters, der ihn am 13. Dezember an der Haustür niedergestochen haben soll. Auf Video wurde der Kampf aufgenommen, auch die Worte des Täters: "Schöne Grüße vom nationalen Widerstand. Du trampelst nicht mehr auf den Gräbern unserer Kameraden herum." Anhand des Videos will man nun die Plausibilität des Ablaufs überprüfen.

Der neueste Stand ist, dass Mannichl den Mann nicht nur auf der Schwelle gesehen und versucht hat, in Sekundenschnelle das Messer wegzudrücken, das ihm der Mann in den Bauch rammen wollte - so wie die Ermittler bisher den Ablauf schilderten. Nun heißt es, Mannichl sei dem Mann mit dem Messer im Bauch noch nachgerannt, habe gesehen, wie er zur Straße lief und um die Ecke bog. Dann sei Mannichl zu seinem Haus zurückgegangen, auf der Schwelle zusammengebrochen und habe sich das Messer selbst herausgezogen. Bei den Ermittlern geht man jetzt davon aus, dass das Zusammentreffen von Opfer und Täter mindestens eine Minute, wenn nicht länger gedauert haben muss. Bisher war von Sekunden die Rede, was auch erklären sollte, warum das Opfer keine genaue Täterbeschreibung abgeben konnte.

Besonderen genau überprüfen die Polizisten von Landeskriminalamt und Mordkommission München derzeit die Familie, sowie Freunde und Bekannte Mannichls. Das wird nach Informationen der SZ noch bis Ende Februar dauern. "Wir haben bis jetzt nicht den geringsten Anhaltspunkt für Auffälligkeiten innerhalb der Familie", sagt ein hoher Verantwortlicher. Sämtliche Familienangehörigen seien vernommen, ihre Aufenthaltsorte zur Zeit der Tat anhand der Funkzellenanalyse ihrer Mobilfunktelefone überprüft worden.

Vor zwei Wochen wurde ein Gutachten über den Messerstich beim Rechtsmediziner Wolfgang Eisenmenger in München in Auftrag gegeben. Anhand des Stichkanals soll das Geschehen rekonstruiert werden. Als Mannichl im Dezember ins Krankenhaus kam, wurden Bilder von der Verletzung gemacht. Die zwölf Zentimeter lange Klinge des Küchenmessers war so eingedrungen, dass sie kein Organ verletzt hat. Eisenmenger sagt, man könne anhand des ärztlichen Bulletins aus Passau und der Bilder einiges erkennen. "Da ist nichts verloren gegangen." Eisenmenger überprüft auch das Messer, auf dem offenbar noch immer keine Fremdspuren gefunden wurden. Der Pullover Mannichls wurde einer Puppe übergezogen, so dass man anhand der durchtrennten Fasern Richtung und Wucht des Stichs erkennen kann.

Das zunächst festgenommene rechtsradikale Ehepaar aus München, das mehrere Tage in Haft saß, hat sich zur Tatzeit um 17.30 Uhr nicht in der Nähe von Passau aufgehalten. Um 19 Uhr wurde es auf einer NPD-Veranstaltung in Erding kontrolliert. Allerdings kann man bei hohem Tempo in dieser Zeit von Passau nach Erding gelangen. Dagegen spricht die Aussage eines V-Manns, der das Paar schon früher auf der Party gesehen haben will. Und dagegen spricht wiederum, dass spezielle Spürhunde am Wohnort Mannichls angeschlagen haben, als man ihnen Kleider der beiden Verdächtigen zum Schnüffeln gab. "Wir haben ein Dickicht an Hinweisen in jede Richtung", sagt ein Ermittler. "Und wir haben den Weg durch dieses Dickicht noch nicht gefunden. In diesem Fall dürfen wir uns keinen Fehler leisten."

"Wir lassen nichts im Ungefähren versickern"

Bayerns Innenminister Herrmann

"Wir haben ein Dickicht an Hinweisen in jede Richtung"

Ermittler im Fall Mannichl

Passau liegt im Winter ruhig da. Dabei arbeitet die Polizei fieberhaft an der Aufklärung des Falls des Polizeidirektors Alois Mannichl (unten). Nächste Woche wollen die Ermittler Ergebnisse vorlegen. Fotos: oh/ddp

Herrmann, Joachim (CSU): Zitate Mordanschlag auf den Passauer Polizeichef Alois Mannichl SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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CDU hält an Althaus fest

Erfurt - Die Thüringer CDU will auch dann mit Dieter Althaus als Spitzenkandidat in den Wahlkampf ziehen, wenn gegen den Ministerpräsidenten wegen seines Skiunfalls Anklage erhoben werden sollte. Der Sprecher der Landes-CDU, Heiko Senebald, sagte am Donnerstag in Erfurt, die Unschuldsvermutung gelte für jeden: "Wenn es zu einer Anklage kommen sollte, heißt es ja nicht, dass Dieter Althaus schuldig ist." AP

Althaus, Dieter CDU-Landesverband Thüringen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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"Ich bin mir nicht sicher, ob Heath wirklich tot ist"

Der Regisseur Terry Gilliam über seine Arbeit an Heath Ledgers letztem Film - und den Wert eines posthumen Oscars

Regisseur Terry Gilliam trägt nicht zu Unrecht den Spitznamen "Captain Chaos". Er ist nicht nur für Filme wie "Der König der Fischer" bekannt, sondern auch dafür, dass er Probleme bei Dreharbeiten förmlich anzieht: Bei der Entstehung von "Brazil" zog er sich eine temporäre Teillähmung der Beine zu, Streitigkeiten mit den Produzenten der "Gebrüder Grimm" führten zu einer einjährigen Startverzögerung, und sein Langzeitprojekt "The Man Who Killed Don Quixote" musste 2001 nach einer Serie von Naturkatastrophen und Unfällen während der Dreharbeiten abgeblasen werden.

Im Januar 2008 erlitt der Regisseur dann seinen bislang größten Rückschlag, als sein Hauptdarsteller und Freund

Heath Ledger inmitten der Dreharbeiten seines neuesten Films "The Imaginarium of Dr. Parnassus" im Alter von 28 Jahren plötzlich starb. Doch Gilliam arbeitet unverdrossen weiter an dem Fantasy-Film, in dem eine reisende Theatertruppe einen Pakt mit dem Teufel eingeht.

SZ: Mr. Gilliam, wie steht es um "The Imaginarium of Dr. Parnassus"?

Gilliam: Der Film ist eigentlich fix und fertig - bis auf etwa 600 Spezialeffekte, die gerade den letzten Feinschliff bekommen.

SZ: Ist diese enorme Anzahl an Effekten auf den plötzlichen Tod Ihres Hauptdarstellers zurückzuführen - den sie dann durch drei andere Stars ersetzt haben: Johnny Depp, Colin Farrell und

Jude Law?

Gilliam: Heath wird im Film nicht durch Effekte zum Leben erweckt, soviel ist schon einmal sicher! Allerdings musste das Drehbuch an vielen Stellen neu strukturiert werden. Dazu kam, dass wir mit Johnny, Colin und Jude nur einen sehr begrenzten Zeitraum zur Verfügung hatten, da sie natürlich alle auch in andere Projekte involviert waren. Da wir auch noch einen schlüssigen Übergang finden mussten, der die Verwandlung von Heaths Rolle in die drei anderen Charaktere erklärt, hat dies einfach mehr Zeit in Anspruch genommen. Glücklicherweise konnten wir wenigstens jeden einzelnen Zentimeter Film benutzen, den wir mit Heath gedreht hatten.

SZ: Was genau ging in Ihnen vor, als Sie von Heath Ledgers Tod erfuhren?

Gilliam: Meine Tochter Amy, eine Produzentin des Films, kam in den Raum und bat mich, ihr ins Büro zu folgen. Dort angekommen sah ich die News auf der Internetseite der BBC: "Heath Ledger tot aufgefunden!" Meine erster Gedanke war, dass Warner Brothers damit einen PR-Stunt für "The Dark Knight" inszeniert habe - aber leider war dem nicht so. Wir standen ihm alle so nahe. Es war einfach schrecklich. Den Rest des Tages lagen wir nur herum. Ich konnte es damals einfach nicht fassen. Sogar heute bin ich mir immer noch nicht sicher, ob Heath wirklich tot ist. Immerhin arbeite ich jeden Tag mit ihm im Schneideraum!

SZ: Wer kam auf die Idee, Heath Ledgers verbleibende Szenen mit Hilfe von drei anderen Stars zu Ende zu bringen?

Gilliam: Mein erster Gedanke war, die Dreharbeiten sofort einzustellen. Aus, Ende, Good Bye. Aber um mich herum redeten die Leute auf mich ein, dass ich das Projekt im Gedenken an Heath und sein Talent irgendwie beenden müsste. Da ich wusste, dass ein einziger Schauspieler unmöglich in der Lage gewesen wäre, Heath Ledgers Rolle sinnvoll weiterzuspielen, kam ich irgendwann auf die Idee, einfach mehrere Leute dafür anzuheuern. Alle drei waren Freunde von Heath. Johnny war der erste, den ich anrief und um Hilfe bat. Er antwortete nur: "Ich bin für dich da. Ruf an, wenn du mich brauchst, meine Zusage hast du!" Ähnlich waren die Reaktionen von Jude und Colin.

SZ: Stimmt es, dass die Gagen der drei an Heath Ledgers Tochter ausbezahlt werden sollen?

Gilliam: : Ja, sie haben mehr oder weniger umsonst gearbeitet. Es ist schrecklich, wenn man sich mit Versicherungsgesellschaften herumschlagen muss. Wir wollen deshalb sicherstellen, dass Heaths Familie so viel wie möglich bekommt.

SZ: Vor einigen Wochen kritisierten Sie Warner Brothers für die Bemühungen, die Oscar-Academy zu einer posthumen Nominierung Ledgers für seinen Auftritt als Joker in "The Dark Knight" zu bewegen. Wieso haben Sie so reagiert?

Gilliam: Ich habe Warner Brothers nicht in der Art und Weise kritisiert, wie es von der Presse dargestellt wurde. Ich bin auch sicherlich nicht der Meinung, dass Heath diesen Oscar nicht verdient hätte! Schwachsinn. Ich stellte lediglich fest, dass mich das Verhalten der Studios nicht verwundert, weil Studios nun mal in diesen Marketing-Dimensionen denken. Sie benutzen jeden nur erdenklichen Vorteil, ihren Film zu vermarkten. So läuft das in Hollywood eben.

SZ: Wie bitte wollen Sie Ihren Film auf die richtige Art und Weise vermarkten?

Gilliam: Eigentlich ist die Arbeit ja schon fast getan. Die Presse hat mir das bereits abgenommen! Natürlich werden wir nicht verschweigen, dass es Heaths letzter Film war, das lassen sich unsere zukünftigen Verleiher sicher auch nicht nehmen. Aber da es jeder bereits weiß, muss man darum auch nicht mehr viel Wind machen. Ein Blick auf Google zeigt zur Genüge, wie sehr dieser Film schon jetzt in aller Munde ist.

SZ: Um Heath Ledgers Tod ranken sich viele Gerüchte. Man sprach zuerst von Selbstmord, dann von einer möglichen Drogenüberdosis und schließlich von einem versehentlich konsumierten, toxischen Medikamentenmix. Haben Sie in den Tagen vor seinem Tod irgendein seltsames Verhalten erkennen können?

Gilliam: Nein. Man hört, das System hätte ihn umgebracht, aber das ist alles Schwachsinn, totaler Schwachsinn. Es war Samstagnacht, als wir in London unsere Dreharbeiten mit ihm beendeten. Er flog kurz darauf nach New York, am Dienstag war er tot. Dabei war er ein Mensch voller Lebensdrang und Energie. In der letzten Nacht unseres gemeinsamen Drehs hatte er diese große Szene, in der er schlittern, springen und fallen musste, während um ihn herum Explosionen detonierten. Er übernahm seine Stunts selbst, es gab nichts, zu was dieser Mensch nicht in der Lage gewesen wäre.

SZ: Stimmt es, dass er einer der Schauspieler war, die so lange in ihren Rollen verweilen, bis ein Film abgedreht ist? Es hieß, die Beschäftigung mit Ihrem Film und die vorangegangene Rolle als Joker ließen ihn in ein tiefes Loch fallen.

Gilliam: Wer behauptet denn so etwas? Er war nichts dergleichen! Heath drehte eine Szene so, wie es von ihm gefordert wurde. Er lachte, schrie oder weinte, aber schon eine Minute später war er wieder ganz der Alte und erzählte Witze. Heath wurde nie von seinen Rollen dominiert. In Bezug auf seine Rolle als Joker sagte er mir während der Vorbereitung zu "Dr. Parnassus" noch selbst, wie viel Erfüllung ihm die Rolle bringt, weil er dadurch endlich einmal Dinge tun könne, die er in seinem Leben nie zuvor getan hatte. Er war auch nie ein Method Actor, sondern ein so versierter Meister seines Fachs, dass er Szenen einfach auf sich zukommen ließ. Ich denke, dass das System etwas zu stark daran arbeitet, ihn zum nächsten James Dean aufzubauen. Ich kann Ihnen allerdings versichern: Er ist es nicht.

SZ: Interessiert es Sie, ob er für den Oscar nominiert wird?

Gilliam: Nein. Wenn die Oscars wirklich etwas Wichtiges wären, würde ich anders denken. Aber ich weiß ja nicht einmal, was sie repräsentieren sollen.

SZ: Was ist Ihre Definition von Erfolg?

Gilliam: Ich muss stolz auf meine Arbeit sein. Meine größte kreative Befriedigung ist es, wenn ein Film im Bewusstsein der Zuschauer hängen bleibt, über die zwei Stunden Laufzeit hinaus. Ich habe von einer Frau in New York gehört, die nach einem Kinobesuch meines Films "Der König der Fischer" zwanzig Blocks nach Hause lief und erst dann bemerkte, dass sie die falsche Richtung eingeschlagen hatte. Das ist für mich Erfolg!

SZ: Nach all den Schwierigkeiten verwundert es, dass Sie sich gleich wieder der Verfilmung von "The Man Who Killed Don Quixote" widmen wollen, einem Projekt, das sie vor Jahren wegen zahlreicher Probleme einstellen mussten. Hatten Sie in den letzten Monaten noch nicht genug Stressmomente?

Gilliam: Tja! Mein Partner Tony Grisoni und ich werden in Kürze wieder daran schreiben, da ich nach erneuter Lektüre festgestellt habe, dass es doch nicht so perfekt ist, wie ich eigentlich gedacht hatte. Johnny Depp soll wieder die Hauptrolle spielen, mal sehen, ob das klappt. Er ist ja inzwischen ein vielbeschäftigter Junge. Auf alle Fälle ist es Zeit, an die Arbeit zu gehen, denn es besteht wirklich großes Interesse an dem Projekt. Es ist ein Werk, das bereits mehr Publicity als jeder andere Film bekommen hat.

SZ: Sie sollten vielleicht einen Drehort wählen, an dem das Klima mild ist und Stürme eher unwahrscheinlich . . .

Gilliam: Sie haben verdammt Recht!

SZ: Sonst haben Sie keine Bedenken?

Gilliam: Nein, meine einzige Sorge ist, dass der Film in der Vorstellung der Leute vielleicht besser ist als das, was ich daraus machen werde. Andererseits bin ich der festen Überzeugung, dass man einen gewissen Wahnsinn pflegen muss, um sich auf "Don Quixote" einzulassen. Ich würde sogar behaupten, dass jeder, der sich mit "Don Quixote" einlässt, ähnlich endet. Das Thema ist schwer infektiös!

SZ: Was fürchten Sie noch?

Gilliam: Furcht kenne ich nicht mehr, das ist das Großartige an meiner jetzigen Situation. Ich habe inzwischen alles mitgemacht, den Tod wie das Leben. Der Gedanke daran, was mir als nächstes vor die Füße geworfen werden könnte, fällt mir deshalb etwas schwer.

Interview: Johannes Bonke

Den Rest des Tages lagen wir nur herum. Ich konnte es damals einfach nicht fassen.

Es gab nichts, wozu dieser Mensch nicht in der Lage gewesen wäre.

Ledger, Heath The Dark Knight SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Auf die feine Art

Der Anwalt Michael Hoffmann-Becking erledigt auch Grobes dezent - zum Beispiel die Frage, ob Siemens Ex-Vorstände verklagen soll

Von Hans Leyendecker

Vor ein paar Jahren erstellte das Fachblatt Manager Magazin eine "Rangliste der 50 mächtigsten Manager der Wirtschaft". In dem Register der üblichen Wichtigen tauchte nur ein Anwalt auf: Michael Hoffmann-Becking. Der inzwischen 65-jährige Partner der Düsseldorfer Kanzlei Hengeler Mueller wurde als "der Schattenmann der Deutschland AG" vorgestellt. Einer, der auch das Grobe so unvergleichlich fein bewältigt, Fusionen aushandelt, im Hintergrund wirkt, wenn sich Konzerne aufspalten, und den Regierungsapparat bei Gesetzesvorhaben berät.

Ausgerechnet der alte Netzwerker hat für Siemens Neuland betreten. In den vergangenen Monaten prüfte der Gesellschaftsrechtler mit einem ganzen Stab von Mitarbeitern, ob und wie der Münchner Konzern den früheren Vorstand auf Schadensersatz verklagen könnte - einschließlich der früheren Vorstandschefs Heinrich von Pierer und Klaus Kleinfeld. Kürzlich reiste Hoffmann-Becking nach München und präsentierte der Konzernspitze das Ergebnis: Klagen haben Aussicht auf Erfolg. Zehn frühere Zentralvorstände des Weltkonzerns müssen sich darauf einstellen, am Ende mit dem eigenen Vermögen für den Schmiergeldskandal geradestehen zu müssen. Auch Pierer, auch Kleinfeld, auch der ehemalige Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger.

Das Haftungsrisiko von Aufsichtsräten, Vorständen und Geschäftsführern sei größer geworden, stellte Hoffmann-Becking neulich nüchtern fest. "Persönliche Verantwortung" sei nicht nur eine Phrase. Die Gerichte hätten "die Zügel angezogen". Die alte Honoratioren-Generation sei in den Aufsichtsräten kaum mehr anzutreffen, und auch die Zeit der Nichtangriffspakte in den Kontrollgremien sei vorbei.

Es gibt nicht viele Anwälte in der Republik, die den Wandel so nah und intensiv beobachten konnten wie Hoffmann-Becking. Sein Wort hat Gewicht. Er kennt seinen Wert und seine Bedeutung. Andererseits: Mancher, der längst nicht so bedeutend ist, macht mehr Aufhebens als er. Seit Jahrzehnten ist der Herausgeber und Co-Autor des "Münchner Handbuch des Gesellschaftsrechts" auch Mitherausgeber von zwei Zeitschriften zum Handels- und zum Gesellschaftsrecht. 1994 wurde er Vorsitzender des Handelsrechtsausschusses im Deutschen Anwaltverein, und diese honorige, einflussreiche Position hält er noch heute.

Gerade in Zeiten oft hektischer Reformen im Aktienrecht ist sein Einfluss gar nicht zu überschätzen. Er operiert an der Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft, ist weit mehr Rechtsgelehrter als Interessenvertreter. Die Neuregelung des "Squeeze-out" etwa (die verbliebenen Aktionäre können gegen Zahlung einer Abfindung aus dem Aktionärskreis gequetscht werden von demjenigen, der mehr als 95 Prozent der Aktien hat), war eine Empfehlung von Hoffmann-Becking und Kollegen.

"Darf ich die Tüte entfernen?"

Er sitzt in diversen Aufsichtsräten. Lange war er im Kontrollgremium von Bertelsmann, er ist auch Mitglied des Aufsichtsrats der Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH. Vor sechs Jahren wurde er Honorarprofessor in Bonn, und er berät die ersten Adressen der deutschen Industrie. 22 der 30 Dax-Unternehmen stehen auf der Mandantenliste von Hengeler Mueller. Mit dem Berater Roland Berger, einem ebenfalls begnadeten Netzwerker, geht er manchmal auf Wandertouren.

In Erinnerung ist Wegbegleitern ein Auftritt des großgewachsenen Gesellschaftsrechtlers bei der Übernahme des Chemiekonzerns Celanese durch den Investor Blackstone in Oberhausen im Jahr 2005. Eine Aktionärin hatte die rote Ampel ignoriert, die das Ende der Redezeit anzeigt. Die engagierte Dame zog eine Jutetüte über das Licht und redete weiter. "Herr Vorsitzender, darf ich die Tüte entfernen?", fragte Hoffmann-Becking nach einer Weile. Er stand auf und nahm die Tüte weg. Das rote Licht war wieder sichtbar.

Schade nur, dass die Dame, eine Mitstreiterin des Würzburger Kämpfers für Aktiendemokratie, Professor Ekkehard Wenger, später von Wachleuten aus dem Saal geführt wurde. Das war dem konservativen Hoffmann-Becking, der Mitgründer des Fördervereins Neue Soziale Marktwirtschaft ist, dann doch unangenehm. Schließlich hat man Manieren. Gesellschaftsrechtler sollten gesellschaftsfähig sein.

Hoffmann-Becking ist in Magdeburg geboren und im Sauerland aufgewachsen. Er hat seine Karriere anders gestartet als die heute jungen Gesellschaftsrechtler, die nicht nur polyglott sind, sondern mindestens ein Jahr im Ausland gearbeitet haben müssen. Könnte einer mit seinen damaligen Voraussetzungen heute noch Partner in der Kanzlei werden? Er hat schon 1971, als 28-jähriger Jurist, bei Hengeler angefangen. Vorher und nachher war er nicht im Ausland, seine Englischkenntnisse waren überschaubar. Auch später hat er keine Mandaten im Ausland betreut. Vier Jahre nach seinem Eintritt in die Anwaltssozietät wurde er schon Partner. Der alte Hengeler hat ihn sehr geschätzt.

Eigentlich scheiden Partner bei Hengeler Mueller mit 65 Jahren aus. Doch der Gesellschaftsrechtler, der sein Arbeitspensum auf immer noch gut 3000 Stunden im Jahr schätzt, bleibt - mit freundlicher Zustimmung der anderen Anwälte. Bis 2010 macht er weiter. Dann wird man sehen.

Michael Hoffmann-Beckings Wort hat Gewicht. Er gibt zwei Zeitschriften heraus, die sich mit Handels- und mit Gesellschaftsrecht befassen und wird von Politikern gehört, wenn es um die oft hektischen Reformen des deutschen Aktienrechts geht. Foto: Enker/Laif

Hoffmann-Becking, Michael Rechtsanwälte in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Knotenpunkte

Gidon Kremer und Komponistin Raminta Serksnyte in München

Vom Star des Abends ist im Münchner Herkulessaal erst einmal nichts zu sehen. Gidon Kremer lässt sein Streicherensemble Kremerata Baltica zwei Stücke spielen, bevor er selber eingreift. Das Bemerkenswerteste: Die Trauersymphonie "De profundis", mit der die Komponistin Raminta Serksnyte mit einem vielfältig entwickelten Streicherklang in ungeahnte Sphären vorstößt. Serksnyte schafft überraschend intensive Klangerlebnisse mit symphonischen Mitteln, mit kalkulierten Crescendi, wichtigen Unisono-Knotenpunkten und einer durchscheinenden Dialektik von Einzelstimme und Gruppenbildung - letztlich dem Versuch, im Stück selber eine Gruppensprache zu entwickeln.

Was ihr Werk über das Virtuos-Handwerkliche und Effektvoll-Blendende hinaushebt, ist die Geisteshaltung, die dahinter steht oder die Vorstellung, die dem komponierenden Bewusstsein unterlegt ist: Nach Serksnytes Worten eine Summe "gehobener Geisteszustände, die sich in Klängen materialisieren", wobei die Eindrücklichkeit der Vermittlung von der handwerklichen Meisterschaft des Komponierens abhänge. Letztere kann man der 1975 in Litauen geborenen und ausgebildeten Pianistin und Komponistin ohne weiteres nachsagen. Selbst wenn sie sich Formen des Minimalismus, der Spätromantik oder des Jazz zu eigen macht, so geschieht dies doch in einem umfassenden Vereinnahmungsprozess, der aus fremden Worten die eigene Sprache macht, aus Gefühlsstationen dramatische Verläufe, aus Melancholie baltische Mystik, wie man es vergleichsweise am ehesten von Giya Kancheli kennt.

Bei ihm, das hörte man auf wundersame Weise in seinem "Silent Prayer", verbinden sich immer wieder scharf ziselierte Dissonanzen mit tröstlich weichem Wohlklang. Dass die singend-leidende Erzählstimme vom Tonband kam, war sowohl klanglich wie auch im Bezug auf die Intonation mit der Sologeige Gidon Kremers problematisch. Eine Live-Stimme hätte sich vielleicht zu sehr in den Vordergrund gesungen. Kancheli ist ein Meister des zarten Tons, und er hat in Gidon Kremer einen Meisterinterpreten gerade dafür gefunden.

Wie populistisch, oft an der Grenze zum banal-routinierten Handwerk klang da Krzysztof Pendereckis "Ciaccona", wie einfallsreduziert Leonid Desyatnikovs anfangs vielversprechende Streicher-Variationen über Schuberts "Leiermann", wie bemüht kreativ die eigenwillige Variante von Mozarts "Serenata notturna"KV 239, die an bedenklich ausufernden Rubati litt. Brillant arrangiert immerhin: Victor Kissines Ensemble-Version von Beethovens Streichquartett op. 127, in dem trotz neuer Klangfülle der intime Charakter dominiert. HELMUT MAURÓ

Kremer, Gidon Konzerte im Herkulessaal SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Deutsche Standorte in Gefahr

Die Metallhütten fürchten wegen der hohen Energiekosten um ihre Existenz

Von Wieland Kramer

Düsseldorf - Der Produktion von Aluminium, Kupfer und Zink droht in Deutschland das Aus. Das Ende der weltweiten Rohstoffrallye sorgt seit Wochen für einen freien Fall der Metallpreise. Die hohen deutschen Strompreise machen die Herstellung hierzulande damit unrentabel. An den großen Metallstandorten Hamburg, Unterweser und im Rheinland sorgen sich mindestens 15 000 Arbeitnehmer um ihre Stellen.

Der Aluminiummarkt befindet sich im Abwärtstrend. Bauxitminen und Hüttenbetriebe drosseln seit Wochen weltweit die Produktion, um den rapiden Preisverfall beim Leichtmetall zu stoppen. Binnen weniger Wochen haben sich an der Londoner Metallbörse LME hohe Aluminiumbestände aufgebaut. Die Preise fielen von 3 500 Dollar je Tonne im Sommer des vergangenen Jahres auf aktuell etwa 1 300 Dollar. "Nur ein schneller Abbau der LME-Bestände kann den Preisverfall stoppen," erklärt Peter-Michael Steffen, Sprecher der zum größten europäischen Aluminiumkonzern Norsk Hydro gehörenden Hydro Aluminium Deutschland. Hydro hat zunächst am Standort Neuss die Produktion um 13 Prozent oder 30 000 Tonnen gekürzt, was Steffen moderat nennt.

Hydro ist in einer Zwickmühle. Der Standort Neuss beliefert vor allem Zeitungshäuser mit Druckplatten und die Verpackungsindustrie. Beide Branchen sind vom Konjunktureinbruch weit weniger betroffen als die Autoindustrie oder der Maschinenbau. Trotzdem zittern nicht nur die 650 Arbeiter in der Neusser Aluhütte, sondern auch 1 200 Kollegen im nahegelegenen Walzwerk sowie weitere bei zahlreichen Abnehmern und Zulieferern in der Region.

Ohne einen drastisch reduzierten Strompreis befürchtet die deutsche Hydro bei anhaltend niedrigen Metallpreisen einen dreistelligen Millionen-Verlust bis zum Jahresende. "Das wäre das Aus", sagt Steffen. Hydro Deutschland benötigt nach SZ-Informationen aus der Branche dringend einen neuen Liefervertrag. Um die Bedingungen wird intensiv gefeilscht. Der Alukonzern fordert einen günstigen Preis. Der Bedarf von Hütte und Walzwerk sei höher als der der gesamten Landeshauptstadt Düsseldorf einschließlich der dortigen Wirtschaft, so ein Argument. Hydro bringt zudem die Möglichkeit einer kurzfristigen Abschaltung der Anlage für eine Dauer von bis zu mehreren Stunden in die Verhandlungen ein. "Damit kann uns RWE behandeln wie ein Ersatzkraftwerk", sagt Hydro-Sprecher Steffen. Vor allem bei schwankender Windstromeinspeisung benötigt der Versorger große Mengen an Regel- und Ersatzenergie.

"Erste konzeptionelle Gespräche" über einen neuen Liefervertrag werden von beiden Seiten bestätigt. Doch die Stimmung ist unterkühlt. Stromversorger und Metallhütten liegen seit Jahren im Clinch. Da RWE derzeit keinen Strom an Hydro liefert, obwohl die großen Braunkohlekraftwerke des Unternehmens auf Sichtweite stehen, fühlt man sich nicht in der Pflicht. Die Versorgung des bundesweit größten Aluminiumstandorts Neuss bei Düsseldorf mit Roh-aluminium bleibe trotz beschlossener Produktionskürzung sichergestellt, erklärte Hydro-Sprecher Steffen.

Auf der anderen Seite übersteigen die Verluste aus der Aluminiumerzeugung die Erlöse aus der Weiterverarbeitung derzeit um rund das Doppelte. Mindestens die Hälfte der Kosten entfällt bei der Aluminiumerzeugung auf den Strom für die Elektrolyse. Der Rest sind Kosten für Bauxit, Kohlenstoff-Elektroden und Personal. Während die Wettbewerber in Italien, Spanien und Frankreich schon seit längerem zu Sondertarifen versorgt werden und die EU-Kommission sich grundsätzlich für Stromlieferungen ohne Klimakosten an die Industrie ausgesprochen hat, halten die deutschen Stromkonzerne an einer Belieferung zu hohen Preisen fest. "Während bei uns Strom bis zu 70 Euro je Megawattstunde kostet, bezahlen unsere Wettbewerber in den Nachbarländern nur 20 Euro", beklagt sich der Chef einer Metallhütte an der Unterweser.

Die Herstellung von Aluminium ist sehr energieintensiv. Deshalb leiden die Produzenten besonders unter den hohen Energiepreisen und fürchten jetzt um ihre Wettbewerbsfähigkeit. Foto: dpa

Norsk Hydro A/S Aluminiumindustrie Metallindustrie in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Gericht: Eltern dürfen Steuerklasse wechseln

Essen - Ehegatten dürfen vor der Geburt eines Kindes die Steuerklasse wechseln, um ein höheres Elterngeld zu beziehen. Dies hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in zwei Urteilen als erstes Landessozialgericht in Deutschland entschieden, wie das Gericht am Donnerstag mitteilte. Rechtskräftig sind die Entscheidungen noch nicht. Einen Steuerklassenwechsel zur Erhöhung des Nettoeinkommens vor der Geburt, nach dem sich die Höhe des Elterngelds richtet, schlössen weder das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz noch das Steuerrecht aus, hieß es in der Urteilsbegründung. Rechtsmissbrauch könne den Eltern nicht vorgeworfen werden, da sie eine legale steuerrechtliche Gestaltungsmöglichkeit nutzten."Hätte der Gesetzgeber den Steuerklassenwechsel ausschließen wollen, hätte er dies im Gesetz bestimmen können", sagte das Landessozialgericht. Geklagt hatten eine Beamtin im Landesdienst und eine Bankkauffrau. (Az.: Landessozialgericht Essen L 13 EG 40/08 und L 13 EG 51/08) AP

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Ende einer Party

Die Luxuskonzerne hofften lange, die Finanzkrise würde an ihnen vorbeiziehen. Sie haben sich schwer getäuscht

Von Thomas Fromm und Ulrike Sauer

München / Rom - Es ist noch gar nicht so lange her, da tanzten sie noch ausgelassen. Bei der Luxusmesse für Superreiche "Millionaire Fair" im vergangenen Herbst in M nchen war Partystimmung pur angesagt. Maseratis und Lamborghinis fuhren vor, Champagnerkorken knallten, und die Hersteller von Luxusuhren suchten und fanden ihre wohlbetuchte Kundschaft. Weltweite Finanzkrise? Nur etwas für Arme, hieß es damals.

Luxus und Reichtum gehen immer, Krise hin oder her - das war ein vornehmer Traum. Er hatte ja auch jahrelang funktioniert. Anfang der Woche aber war er dann endgültig ausgeträumt. Ausgerechnet der erfolgsverwöhnte Schweizer Luxusgüterkonzern Richemont war es, der mit seinem Umsatzeinbruch die Branche aus ihren Träumen zurück in die Realität holte. Dabei waren die schlechten Quartalszahlen des Herstellers von Cartier-Schmuck, Jaeger-LeCoultre-Uhren und Montblanc-Schreibfüllern gar nicht mal das Schlimmste. Schlimmer noch war, was der weltweit zweitgrößte Luxusgüterhersteller seiner Zunft mit auf den Weg gab. "Die Nachfrage nach Luxusgütern ist dramatisch gefallen", schrieben die Schweizer. Man erlebe zurzeit die "härtesten Marktbedingungen seit der Gründung vor 20 Jahren". Da sich die Lage in der nächsten Zeit nicht verbessern werde, sehe man "keinen Grund für Optimismus".

Der Schock saß tief, denn er zerstörte ein liebgewonnenes Weltbild. Bislang hatte die Branche alle Wirtschaftsabschwünge gut überstanden. Doch in Zeiten, in denen die Superreichen aus Europa, den USA und Russland an den Kapitalmärkten so viel Geld wie lange nicht mehr verlieren, sind selbst Haute-Couture-Kollektionen, edle Uhren oder Diamanten nicht mehr automatisch krisenresistent. Egal ob in München oder Moskau: Mal eben schnell ein Diamantenkettchen für die Gattin oder Geliebte kaufen, das war gestern. Zu spüren bekommen das alle. Die Granden der Branche, Richemont und die französische LVMH-Gruppe, haben innerhalb weniger Monate 40 Prozent ihres Werts an der Börse eingebüßt. Der römische NobelJuwelier Bulgari stellt sich auf einen schmerzhaften Gewinnrückgang ein, der US-Wettbewerber Tiffany steht offenbar vor einer Entlassungswelle, der französische Parfümier Chanel spart bereits kräftig am Personal.

Auch das britische Traditionslabel Burberry hat ein "massives Restrukturierungsprogramm" angekündigt. Hunderte Stellen sollen abgebaut werden. Der italienische Yachthersteller Ferretti wiederum, ein Nischenproduzent für die oberen Zehntausend, soll Medienberichten zufolge finanziell klamm sein und muss angeblich ein millionenschweres Schuldenpaket mit seinen Banken nachverhandeln. Allein der Umsatz der italienischen Modeindustrie brach im Oktober 2008 um zehn Prozent ein. Viele Unternehmen denken schon mit Grauen an die Zahlen für das vierte Quartal. "Die Konsumeiszeit im letzten Quartal, die durch die Finanzkrise im Oktober ausgelöst wurde, hat uns gezwungen, unsere Prognosen für 2008 zu revidieren", sagt der Chef der Mailänder Modekammer, Mario Boselli. Der Umsatz der italienischen Mode- und Textilbranche sei wohl um vier Prozent auf 66,5 Milliarden Euro gefallen. Für 2009 rechnet man in Mailand mit einem weiteren Rückgang. Es ist die Zeit der Durchhalteparolen. Die italienische Modeindustrie sei "gesund" und verstehe es, "auf die Krise zu reagieren", macht sich Boselli Mut. Alles sei "nicht so schlimm wie befürchtet", war dann in den vergangenen Tagen auch ein oft zu hörender Kommentar auf der Florentiner Pitti-Modemesse und an den Mailänder Laufstegen.

Und doch rücken die Einschläge in Norditalien spürbar näher. Es ist die Summe der Details, die aufhorchen lässt: Die Leitmesse Pitti Uomo gab den teuren Samstag als Ausstellungstag auf. Die Russen, bislang die große Hoffnung der Anbieter, waren diesmal gleich zu Hause geblieben. Ein Ausfall der kaufkräftigen Neukunden aus dem Osten wird schmerzlich. Er kann sich mit Umsatzeinbußen von bis zu 20 Prozent bemerkbar machen, warnen Brancheninsider. Der Showkalender wurde von fünf auf vier Tage verkürzt. Modekammerchef Boselli lud gar dazu ein, über "alternative und preisgünstigere Darstellungsformen nachzudenken". Und der Edel-Schneider Gildo Zegna wettert gegen das "selbstzerstörerische Verhalten" im Schlussverkauf und gegen die teure Manie immer früherer Vorabkollektionen.

Im Grunde aber geht es vor allem um die eine, die bange Frage, die sich viele stellen. Sie lautet: Wird es jemals wieder so sein wie früher? Oder hat ein Geschäftsmodell nach Jahrzehnten endgültig ausgedient? Luxus ist gerade deswegen Luxus, weil der Preis hoch ist und das Produkt damit automatisch für den Massenmarkt ausscheidet. Wer Luxus kauft, will sich abheben und schließt dabei andere aus. Für viele Käufer offenbar ein gutes Gefühl, das aber seinen Preis hat. Deswegen ist es in der Luxusindustrie normalerweise ein Tabu, beliebig mit Preissenkungen auf Krisen zu reagieren, dies würde ihr Selbstverständnis aushöhlen. Doch lässt sich der Kurs in diesen schweren Zeiten durchhalten?

Marketing-Experten warnen: Wer jetzt die Preise für Luxusartikel in großem Stil senkt, verwässert sein Image - und es dauert Jahre, bis man für den eigenen Namen wieder höhere Preise bekommt. "Wer in der Luxusbranche einmal nach unten geht, kommt so schnell nicht wieder nach oben", sagt ein Insider. Trotzdem sehen viele Anbieter offenbar keine andere Lösung: So räumt man beim Auftragshersteller Lardini ein, die Preise "von der gehobenen Mittel- bis zur Luxusklasse um über 10 Prozent" herabgesetzt zu haben. "Das drückt 2009 leider auf die Margen", geben Andrea und Luigi Lardini offen zu.

Andere Luxusfirmen gehen subtiler vor: Der Herrenausstatter Ermenegildo Zegna oder die Modemacherin Alberta Ferretti ergänzen ihre Edel-Kollektionen mit erschwinglicheren Stücken - und werden dafür von der Konkurrenz scharf angegangen. Miuccia Prada hält nichts davon, in Krisenzeiten Preise und Kollektionen den Geldbeuteln der Kunden anzupassen. "Der Moment ist schwierig, aber die Preise im Luxussegment sind nicht aus der Luft gegriffen. Qualität und Ideen kosten nun mal", sagt Prada. Allerdings verkaufte das Mailänder Kult-Label schon im Dezember Lederstiefel zum halben Preis. Designer wie der Mailänder Giorgio Armani versuchen es derweil mit Aktionismus. Mitte Februar eröffnet der italienische Luxusunternehmer in New York auf der Fifth Avenue ein Kaufhaus mit 3500 Quadratmetern.

Optimistisch gibt sich auch Diesel-Gründer Renzo Rosso: Er glaubt an die Wende (Interview). Der Nonkonformist aus Venetien hat gerade sein weltweit größtes Geschäft über drei Etagen mitten an der Mailänder Shopping-Kreuzung Piazza San Babila eröffnet. Rosso sucht das Besondere, um der Krise zu begegnen. Im neuen "Diesel Planet Store" hängt ein elektronischer Spiegel, mit dem die Kunden die Passform ihres neuen Outfits im 360-Grad-Blickwinkel begutachten können. Die selbst entwickelte Software soll zum Standard in den 300 Diesel-Läden weltweit werden. Zusätzlich soll eine computergesteuerte Beduftungsanlage die Sinne betören und so zum Kaufen einladen. Das Bezahlen geht dann ganz nebenbei - an mobilen Stationen überall im Laden.

So ganz geschlagen gibt sich die Modewelt also nicht. Die Farbe des Winters 2009/2010 soll übrigens Grün sein. Grün wie die Hoffnung.

"Die Nachfrage ist dramatisch

gefallen. Es gibt keinen

Grund für Optimismus."

"Wer einmal billiger wird,

kommt so schnell

nicht wieder nach oben."

Auf der Luxusmesse "Millionaire Fair" in München war im Oktober auch ein Maserati zu bewundern: Die Sale-, also Ausverkaufsschilder wurden in diese Fotomontage nachträglich eingefügt. Doch bleiben tatsächlich viele Edelhersteller gerade auf ihren Produkten sitzen und senken daher die Preise. Foto: dpa

Luxus Modepreise Folgen der internationalen Finanzkrise SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Junghans-Uhren in neuen Händen

Unternehmer Hans-Jochem Steim und Sohn kaufen Traditionsfirma

Frankfurt - Insolvenzverwalter Georg Bernsau hat neue Eigentümer für den traditionsreichen, zuletzt aber zahlungsunfähigen Uhrenhersteller Junghans in Schramberg gefunden. Anfang Februar übernehmen der Schramberger Unternehmer Hans-Jochem Steim und sein Sohn Hannes Steim als private Investoren das Unternehmen. Junghans war bislang Tochter der angeschlagenen Egana-Gruppe in Hongkong.

Der 30 Jahre alte Hannes Steim ist Chef der Carl Haas GmbH, die seit 2007 zum Firmenverbund Kern-Liebers gehört, deren geschäftsführender Gesellschafter sein Vater ist. Kern-Liebers ist ein Zulieferer für die Auto-, Textil- und Konsumgüterindustrie. Mit 5400 Beschäftigten, darunter 1300 am Stammsitz in Schramberg, erzielt diese Gruppe einen Umsatz von 469 Millionen Euro.

Vater und Sohn Steim betonen, ihre Beteiligungen von zwei Dritteln bzw. ein Drittel an Junghans seien privater Natur. Sie übernehmen den Uhrenhersteller schuldenfrei. Über den Kaufpreis machen weder sie noch der Insolvenzverwalter Angaben. Von den zuletzt 115 Junghans-Beschäftigten bleiben 85 übrig. Die restlichen 30 Leute müssen in eine Transfergesellschaft wechseln. Den Steims ist klar, dass sie bei Junghans Mittel zuschießen müssen, damit die Firma eine Zukunft hat. Geld muss offenbar unter anderem in Werbung und die Entwicklung neuer Produkte fließen. Wie viel Mittel sie bereitstellen werden, will Hannes Steim nicht sagen.

Laut Bernsau interessierten sich insgesamt 20 Investoren für die Firma Junghans, deren Umsatz zuletzt bei unter 50 Millionen Euro lag. Ein Sprecher der IG Metall begrüßte das Engagement der Steims "aus regionaler Verbundenheit". Dies sei "nicht die schlechteste Lösung", hieß es. Der Stellenabbau gefalle ihm aber nicht. haz.

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Lauter Prachtstücke

Ein Wettstreit der Kostümfilme - "Der seltsame Fall des Benjamin Button" dominiert die Oscar-Nominierungen

Für einen Trend im Kino stehen die Oscarnominierungen auf jeden Fall: Hollywood hält alles, was für die Oscars in Frage kommen könnte, zurück bis zum Herbst. Wenn es dann aber losgeht, machen sich wochenlang die Prachtstücke amerikanischer Filmkunst gegenseitig das Rampenlicht streitig. Die Filme, die die Mitglieder der Academy of Motion Picture Arts and Sciences jetzt in der Königsklasse nominiert haben, als besten Film des Jahres, laufen bei uns fast ausnahmslos in den nächsten Wochen an, kein einziger läuft schon im Kino: "Der seltsame Fall des Benjamin Button" von David Fincher , "Milk" von Gus Van Sant, "Der Vorleser", von Stephen Daldry, Ron Howards "Frost / Nixon" und Danny Boyles "Slumdog Millionär". Die Regisseure dieser fünf Filme sind ebenfalls alle für einen Oscar nominiert.

Es gibt zwei klare Favoriten: "Benjamin Button" mit dreizehn Nominierungen und "Slumdog" mit zehn - den Rekord halten zwar immer noch "Titanic" und "Alles über Eva" mit 14 Nominierungen, aber dreizehn - das ist immerhin eine mehr als "Ben Hur". . .

In "Benjamin Button" spielt Brad Pitt einen Jungen, der als alter Mann geboren wird, also bis auf einen Moment in der Mitte seines Lebens immer im falschen Körper steckt - die Nominierung war ihm fast sicher. "Benjamin Button" ist großes Erzählkino, dem man anmerkt, dass Eric Roth, der "Forrest Gump"-Autor, (zusammen mit Robin Swicord) das nominierte Drehbuch geschrieben hat. "Slumdog Millionär", bei den Golden Globes am Ende der Sieger, - erzählt die Geschichte eines jungen Inders, der sich in einer Quizshow seine eigenen Lebenserfahrungen zunutze macht. "Frost / Nixon" ist der politische Außenseiter, ein Abschiedsgruß an Ex-Präsidenten - es geht um ein großes Fernsehinterview, den letzten großen Showdown zwischen Nixon und seinen enttäuschten Wählern.

Die Liste zeigt, dass Hollywood sich wieder auf sich selbst besinnt, auf seine traditionellen Stärken. Die in Wirklichkeit ohnehin längst eingemeindeten kleinen Produktionen wurden in die Nebenkategorien gedrängt: Mickey Rourke ist als Hauptdarsteller für "The Wrestler" nominiert, Meryl Streep tritt für ihre Rolle in "Glaubensfrage" an, Mike Leighs Drehbuch von "Happy-Go-Lucky" ist ebenfalls im Rennen.

Im Zentrum stehen opulentes Ausstattungskino und große Emotionen - beides trifft, irgendwie, sogar auf "Milk" zu, einen Film über einen offen homosexuellen Politiker in den Siebzigern, den Sean Penn spielt - wie die vier anderen Anwärter auf den besten Film, ist "Milk" ein Kostümfilm, ein emotionaler noch dazu.

Deutschsprachige Filmemacher sind gleich mehrfach vertreten. Werner Herzogs "Encounters at the End of the World" über die Antarktis ist als bester Dokumentarfilm nominiert, "Der Baader Meinhof Komplex" von Uli Edel und Bernd Eichinger in der Kategorie für den besten fremdsprachigen Film. Gegen "Waltz with Bashir", Ari Folmans halbdokumentarisches Zeichentrick-Spektakel über die Kriegserinnerungen israelischer Soldaten, hat sich das RAF-Drama bei den Golden Globes nicht durchsetzen können. Das letztjährige Siegerland Österreich ist schon wieder dabei, mit Götz Spielmanns bösem Thriller "Revanche". SUSAN VAHABZADEH

Der seltsame Fall des Benjamin Button SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Klagewelle gegen Hartz IV

Kassel - Vier Jahre nach dem Inkrafttreten von Hartz IV reißt die Klagewelle gegen die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe nicht ab. Wie das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel am Donnerstag mitteilte, gingen im vergangenen Jahr 174 618 neue Verfahren bei den Sozialgerichten ein, gut 38 000 mehr als 2007. Das entspricht einem Zuwachs von 28 Prozent. "Der bisherige Trend hat sich nicht nur weiter fortgesetzt, sondern noch weiter verstärkt", betonte Gerichtssprecher Thomas Voelzke. Der Präsident des Bundessozialgerichts, Peter Masuch, forderte die Bundesregierung auf, die Arbeitsmarktreform nachzubessern. "Die Anrechnung von Einkommen und Vermögen ebenso wie die Kostentragung für Unterkunft und Heizung scheinen mir noch klarstellungsbedürftig." Es sei "nicht befriedigend", wenn die Bewilligung staatlicher Leistungen in derart hohem Ausmaß zu Klagen und Eilanträgen bei den Sozialgerichten führe. Voelzke sagte, die Zahl von derzeit 1149 Richterstellen halte mit dieser Entwicklung nicht Schritt. So seien im vorigen Jahr bundesweit nur 76,5 neue Stellen geschaffen worden, ein Plus von lediglich sieben Prozent. ddp

Bundessozialgericht (BSG): Personal Arbeitslosengeld 2 in Deutschland Fälle beim Bundessozialgericht SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Oscarmania 2009

Die Nominierungen im Detail

Bester Film

Der seltsame Fall des Benjamin Button

Frost / Nixon

Milk

Der Vorleser

Slumdog Millionär

Bester fremdsprachiger Film

Der Baader Meinhof Komplex

Die Klasse

Okuribito / Departures

Revanche

Waltz With Bashir

Bester Animationsfilm

Bolt

Kung Fu Panda

Wall-E

Bester Hauptdarsteller

Richard Jenkins, The Visitor

Frank Langella, Frost /Nixon

Sean Penn, Milk

Brad Pitt, Der seltsame Fall des Benjamin Button

Mickey Rourke, The Wrestler

Beste Hauptdarstellerin

Anne Hathaway, Rachels Hochzeit

Angelina Jolie, Der fremde Sohn

Melissa Leo, Frozen River

Meryl Streep, Glaubensfrage

Kate Winslet, Der Vorleser

Bester Nebendarsteller

Josh Brolin, Milk

Robert Downey Jr., Tropic Thunder

Philip Seymour Hoffman, Glaubensfrage

Heath Ledger, The Dark Knight

Michael Shannon, Zeiten des Aufruhrs

Beste Nebendarstellerin

Amy Adams, Glaubensfrage

Penelope Cruz, Vicky Cristina Barcelona

Viola Davis, Glaubensfrage

Taraj P. Henson, Benjamin Button

Marisa Tomei, The Wrestler

Beste Regie

David Fincher, Benjamin Button

Ron Howard, Frost / Nixon

Gus Van Sant, Milk

Stephen Daldry, Der Vorleser

Danny Boyle, Slumdog Millionär

Bestes Originaldrehbuch

Courtney Hunt, Frozen River

Mike Leigh, Happy-Go-Lucky

Martin McDonagh, Brügge sehen . . . und sterben?

Dustin Lance Black, Milk

Andrew Stanton, Jim Reardon, Pete Docter, Wall-E.

Beste Drehbuch-Adaption

Eric Roth und Robin Swicord, Benjamin Button

John Patrick Shanley, Glaubensfrage

Peter Morgan, Frost / Nixon

David Hare, Der Vorleser

Simon Beaufoy, Slumdog Millionär

Beste Kamera

Tom Stern, Der fremde Sohn

Claudio Miranda, Benjamin Button

Wally Pfister, The Dark Knight

Chris Menges und Roger Deakins, Der Vorleser

Anthony Dod Mantle, Slumdog Millionär

Bester Schnitt

Kirk Baxter und Angus Wall, Benjamin Button

Lee Smith, The Dark Knight

Mike Hill und Dan Hanley, Frost / Nixon

Elliot Graham, Milk

Chris Dickens, Slumdog Millionär

Bestes Produktionsdesign

Murakami / Fettis, Der fremde Sohn

Burt / Zolfo, Der seltsame Fall des Benjamin Button

Crowley / Lando, The Dark Knight

Carlin / Alleway, Die Herzogin

Zea / Schutt, Zeiten des Aufruhrs

Beste Kostüme

Catherine Martin, Australia

Jacqueline West, Benjamin Button

Michael O'Connor, Die Herzogin

Danny Glicker, Milk

Albert Wolsky, Zeiten des Aufruhrs

Bestes Makeup

Greg Cannom, Benjamin Button

Caglione / O'Sullivan, The Dark Knight

Elizalde / Floutz, Hellboy II

Beste Musik

Alexandre Desplat, Benjamin Button

James Newton Howard, Defiance

Danny Elfman, Milk

A.R. Rahman, Slumdog Millionär

Thomas Newman, Wall-E

Bester Song

"Down To Earth", Wall-E

"Jai Ho", Slumdog Millionär

"O Saya", Slumdog Millionär

Bester Tonschnitt

The Dark Knight

Iron Man

Slumdog Millionär

Wall-E

Wanted

Beste Tonmischung

Benjamin Button

The Dark Knight

Slumdog Millionär

Wall-E

Wanted

Beste Spezialeffekte

Benjamin Button

The Dark Knight

Iron Man

Bester Dokumentarfilm

The Betrayal (Nerakhoon)

Encounters at the End of the World

The Garden

Man on Wire

Trouble the Water

Kate Winslet in "Der Vorleser", Heath Ledger, posthum für seine Nebenrolle als Joker in "The Dark Knight" nominiert, Sean Penn als Harvey "Milk" (oben von links), Meryl Streep in "Glaubensfrage" , "Der Baader Meinhof Komplex" und Brad Pitt als "Benjamin Button" Fotos: Senator, Warner (2), Constantin (2), Miramax

Oscar SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Zarte Klanggewitter

Carolin Widmann spielt Bach und Boulez in Elmau

Das sei so, als ob man sich nackt ausziehe, meinte eine Zuhörerin, als Carolin Widmann allein mit ihrer Geige das Podium in Elmau betrat. In der Tat ist die Einsamkeit und Verletzlichkeit des Solospiels für jeden Musiker eine riesige Herausforderung. Das eigentlich Intime des Alleinspielens verwandelt sich vor Publikum in einen heroischen, ja in manchen Augenblicken monumentalen Akt des sich Behauptens und - Gelingen vorausgesetzt - schließlich Siegens.

Carolin Widmann, längst eine der führenden Violinistinnen besonders für neue Musik, stellte zwischen die beiden "Anthèmes"-Fassungen von Pierre Boulez Bachs d-Moll-Partita wie einen Fels in der Brandung. In den ersten "Anthèmes" von 1991/1992 entfaltet Boulez ein geigerisches Vokabular auf allen Registern des Instruments: ab- und aufsteigende Läufe, Glissandi, Pizzikati, Doppelgriff-Détaché-Passagen und immer wieder ausgezogene Haltepunkte als Ruhezonen. Widmann vermittelte das genau und deutlich. Ihr charakteristisch herber Ton erlaubt eine ungewöhnliche Trennschärfe der Akkorde und eine Vielfalt verschiedener dynamischer Nuancen, gleichsam ohne Weichzeichner. Jenseits von Akkuratesse und Beherrschung der technischen Mittel prägt jene Leidenschaftlichkeit Widmanns Spiel, die aus bezwingender Konzentration erwächst.

Das galt auch für die Bach-Partita. Wieder fesselte Widmanns Intensität und Unbeirrbarkeit in der Verdeutlichung der Musik. Mochten sich die ersten vier Sätze im Tempo ähneln - ihre Kontur vermochte Widmann geradlinig mätzchenfrei zu zeichnen. Vor der "Ciacona" hält jeder Geiger kurz inne im Bewusstsein, nicht nur das bedeutendste Stück für Solovioline, sondern eines der epochalen Werke vor sich zu haben. Widmann spielte mit Verve, Spannkraft und Dispositionsvermögen.

In "Anthèmes II" von 1997 erweitert Boulez das Material des früheren Stückes und fügt Live-Elektronik hinzu, was zu einer überraschenden, dialogisierenden Verräumlichung führt. Da gibt es nicht nur Echoeffekte, Frage- und Antwortspiele, sondern es klingt bald, als gerate die Violine in zarte, von ihr ausgelöste Klanggewitter, in denen die einzelnen Klangelemente vielfach geschichtet werden. Die Aufführung wurde zum spannenden Hör- und Instrumentaltheater: Carolin Widmann schritt nämlich geigend eine Phalanx von Notenständern ab, während Michael Acker und Joachim Haas vom Experimentalstudio des SWR der Solistin den vielfältig aufgefächerten, dann wieder verdichteten elektronischen "Spiegel" ihrer Klangproduktion vorhielten. HARALD EGGEBRECHT

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Erinnerungen an NS-Zwangsarbeit

München - "Für sie waren wir Untermenschen, nicht interessant. Sie wollten uns nur ausbeuten, nur uns irgendwie ernähren, damit wir arbeiten konnten", erzählt Sinaida Iwanowna B. So wie der Ukrainerin ging es während der NS-Zeit mehr als zwölf Millionen Menschen aus Ost- und Mitteleuropa, die die Nazis als Zwangsarbeiter ins Deutsche Reich verschleppt hatten. Jahrzehntelang war das Wissen in der Bundesrepublik über dieses dunkle Geschichtskapitel dünn, erst durch die Entschädigung der ehemaligen Sklavenarbeiter nach dem Fall des Eisernen Vorhangs interessierte sich eine breitere Öffentlichkeit für deren Schicksal. Am Donnerstag wurde nun in Berlin als Erinnerungshilfe das Online-Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945" vorgestellt.

Die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZ), die bis 2006 etwa 4,4 Milliarden Euro an mehr als 1,66 Millionen ehemalige Zwangsarbeiter ausbezahlt hat, hat das Projekt zusammen mit der Freien Universität Berlin und dem Deutschen Historischen Museum initiiert. Entstanden ist die größte internationale Sammlung von Video- und Audio-Interviews mit ehemaligen Sklavenarbeitern. 590 Zeitzeugen aus 26 Ländern erzählen über Jugend, Verfolgung und erzwungene Arbeit in der Rüstungsindustrie, in der Landwirtschaft oder privaten Haushalten. "Viele Überlebende haben in den nun vorliegenden Interviews erstmals über das Erlittene berichtet", sagte EVZ-Vorstand Günter Saathoff bei der Präsentation. Felix Kolmer, Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees lobte, dass in dem Archiv "exemplarisch alle Leidensgeschichten vertreten" seien.

Zugang zum Archiv erhalten Forscher und Interessierte unter www.zwangsarbeit-archiv.de. Robert Probst

Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft Zwangsarbeit im Nationalsozialismus SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Teurer Gasstreit

Eon Ruhrgas prüft Regressforderungen gegenüber Russland

Von Hans-Willy Bein

Essen - Der größte deutsche Gasimporteur Eon Ruhrgas prüft nach dem tagelangen Lieferausfall von russischem Gas Schadenersatzforderungen gegen den Gazprom-Konzern. "Wir werden mit Sicherheit mit Gazprom reden, wenn wir ermittelt haben, wie groß unser Schaden ist", kündigte Eon-Ruhrgas-Chef Bernhard Reutersberg in Essen an. Es gebe in den Verträgen klare Regelungen für den Fall eines Lieferstopps. Unter anderem seien Vertragsstrafen festgelegt. Reutersberg warf den Russen vor, Gas gegenüber der Ukraine als Druckmittel eingesetzt zu haben, um wirtschaftliche Forderungen durchzusetzen. Gleichzeitig warnte der Gasmanager mit Hinweis auf die Abhängigkeit Europas vom russischen Gas vor einer Überreaktion.

Der Schaden für Gazprom werde in der Branche auf 1,5 bis 1,8 Milliarden Euro geschätzt, sagte er. Den eigenen Schaden hat Ruhrgas noch nicht ermittelt. Anfang der Woche hatten sich Russland und die Ukraine auf neue Liefer- und Transitbedingungen geeinigt. Gazprom hatte daraufhin die Gaslieferungen wieder aufgenommen. Seit Mittwoch fließe das Gas uneingeschränkt und stünde an den Grenzübergangsstellen in vollem Umfang zur Verfügung, bestätigte Reutersberg. Obwohl Eon Ruhrgas vorübergehend auf 60 Prozent der üblichen Liefermengen aus Russland verzichten musste, seien alle Kunden versorgt worden. Zusätzlich seien verschiedene osteuropäische Länder mit Stützungslieferungen von bis zu 13 Millionen Kubikmetern am Tag unterstützt worden.

"Wir haben die bisher schwerste Krise der Gaswirtschaft gemeistert", bilanzierte Reutersberg. Die deutschen Gaskunden müssten durch den Konflikt keine höheren Preise befürchten. Nach der Preissenkung zum 1. Januar werde Gas für Ruhrgas-Kunden zum 1. April vielmehr noch einmal billiger. Ruhrgas beliefert aber nur Stadtwerke und Weiterverteiler und keine Haushalte. Wie schnell die Stadtwerke die Senkungen weitergeben, unterliegt deren eigener Kalkulation.

Ruhrgas warnte davor, nach der Beilegung des Konflikts sofort wieder zur Tagesordnung überzugehen. Der Zehnjahresvertrag zwischen Russland und der Ukraine gelte nur solange, wie das Land die Lieferungen auch bezahle. Die Ukraine leide aber unter erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. "Wir müssen die Lage im Auge behalten", mahnte Reutersberg. Um die europäische Versorgung sicherzustellen, seien Investitionen in die Infrastruktur nötig. Die EU müsse Mindeststandards für die Versorgungssicherheit der Mitgliedsstaaten entwickeln. Ruhrgas-Vorstand Jochen Weise warf den südosteuropäischen Staaten vor, sich vom billigen russischen Gas abhängig gemacht und jahrzehntelang nichts für die Versorgungssicherheit getan zu haben. Sie hätten etwa versäumt, ein Speichersystem aufzubauen.

Milliarden für Speicher

Ruhrgas selbst will bis zum Jahr 2011 gut vier Milliarden Euro in den Ausbau der Leitungs- und Speicherinfrastruktur stecken sowie Projekte vorantreiben, die die eigene Gasförderung erhöhen. Auch soll das Geschäft mit verflüssigtem Erdgas (LNG) ausgebaut werden. Die Speicherkapazität will der Konzern von heute 5,5 Milliarden Kubikmeter bis 2012 auf acht Milliarden Kubikmeter steigern. Mit 1,5 bis 1,6 Milliarden Euro dürfte die Beteiligung am Bau der geplanten Pipeline durch die Ostsee zu Buche schlagen. Reutersberg plädierte erneut für einen zügigen Baubeginn. "Nur zwei Korridore für russische Erdgaslieferungen nach Europa wie bisher sind entschieden zu wenig", sagte er. Wie Ruhrgas kündigte auch der Konkurrent Wingas hohe Investitionen in die Erdgasinfrastruktur an. Bis zum Jahr 2015 wollen die Wingas-Gesellschaften etwa drei Milliarden Euro in neue Leitungen und zusätzliche Speicher stecken.

Reutersberg, Bernhard: Zitate Eon Ruhrgas AG: Zusammenarbeit Eon Ruhrgas AG: Rechtliches Gazprom-Aktiengesellschaft: Zusammenarbeit Gazprom-Aktiengesellschaft: Rechtliches Energieversorgung in Europa Gasversorgung in Deutschland Konflikte um Erdgaslieferungen Russlands an die Ukraine 2005- SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Schüler kostet 4900 Euro

Wiesbaden - Durchschnittlich 4900 Euro gibt der Staat jährlich für die Ausbildung eines Schülers aus. Die Pro-Kopf-Ausgaben lagen 2006 etwa 200 Euro höher als im Vorjahr, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Allerdings bedeutet der Anstieg bei den absoluten Kosten nicht, dass der Staat immer mehr Geld in die Bildung investiert: Nach vorläufigen Berechnungen sinkt der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt weiter. An Grundschulen kostet ein Schüler im Schnitt 4100 Euro, an Gymnasien mehr als 5500 Euro und an Förderschulen bis zu 12 800 Euro. AP

Schüler in Deutschland Finanzen im Bildungswesen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Streitthema Sterbehilfe

Berlin - Der Deutsche Ethikrat hat sich erstmals mit einer Bewertung von Selbsttötungen befasst. Dabei forderte der Mannheimer Medizinrechtler Jochen Taupitz am Donnerstag in Berlin, ärztlich unterstützte Sterbehilfe zuzulassen. Mediziner seien am besten in der Lage, die psychische Verfassung von Sterbewilligen zu beurteilen. Der Augsburger Weihbischof Anton Losinger warnte dagegen: "Es wird ein anderer Arzt sein, wenn ihm eine Suizidassistenz in Aussicht gestellt wird." KNA

Deutscher Ethikrat Sterbehilfe in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Überfall auf Homosexuelle

Berlin - Ein weiterer brutaler Überfall, bei dem ein schwuler Mann in Berlin lebensgefährlich verletzt wurde, ist von Politikern scharf verurteilt worden. Die Berliner Linke forderte die Polizei auf, rund um den Nollendorfplatz in Schöneberg, wo viele Homosexuelle leben, mehr Präsenz zu zeigen. Hinweise auf die Täter gibt es laut Polizei nicht. Nach Einschätzung des Vereins lesbischer und schwuler Polizisten werden derartige Angriffe immer brutaler. Fünf Männer hatten in der Nacht zu Mittwoch ein schwules Paar überfallen und einen der beiden Männer zusammengeschlagen. dpa

Homosexuelle in Deutschland Kriminalität in Berlin SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Euer Führer, unser Führer

Wolfgang Schieders glänzende Untersuchung des Faschismus

Die vergleichende Faschismusforschung erlebt in den letzten rund fünfzehn Jahren in den englischsprachigen Sozial- und Geisteswissenschaften einen regelrechten Boom. Erstaunlicherweise wird dies hierzulande nur in engeren Fachkreisen bemerkt. Dabei hat sich im Zuge des Aufschwungs der Globalgeschichte das aus den sechziger und siebziger Jahren bekannte Schlagwort erheblich gewandelt. Nunmehr wird unter "Faschismus" ein transnationaler Begriff verstanden, der es erlaubt, nicht nur den Vergleich, sondern auch die Verflechtung vieler europäischer Gesellschaften der Zwischenkriegszeit zu untersuchen. Der Begriff wird darüber hinaus zu einer kulturwissenschaftlichen Analysekategorie, welche die Selbstbeschreibungen und Verhaltensmuster der Faschisten ernst nimmt. Anstatt also ihre Ideologie lediglich aus den Klassenwidersprüchen, Gruppeninteressen oder den sozialen Abstiegserfahrungen der Mitglieder und Wähler abzuleiten, stehen jetzt Performanz, Aktionsmodi, Stil, Organisationspraxis und die visuell-mediale Repräsentation des Faschismus im Zentrum der Forschung.

Wolfgang Schieder greift in seinem neusten Buch diese neuen Forschungstendenzen auf. Der Band umfasst zwanzig, fast sämtlich vorab publizierte Aufsätze des Nestors der deutschen Faschismusforschung. Diese Einzelstudien sind keinesfalls veraltet - rund die Hälfe von ihnen ist ohnehin erst nach der Jahrtausendwende entstanden. Der Autor beweist mit diesem Band, wie innovativ seine Deutungen sind. Für ihn übte der Archetyp der faschistischen Bewegung und Diktatur in Italien die entscheidende Prägekraft auf die anderen faschistischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit aus. Benito Mussolini mit seinem damals sensationellen politischen Erfolg steht für den Ursprungsfaschismus, vor allem Adolf Hitler dann für dessen nachahmende Anverwandlung und Radikalisierung. Im Verlauf der Regimeentwicklung drehte sich das Machtverhältnis der Diktatoren um. Schieder beschreibt Form und Wandlungen des Faschismus in seinem historischen Verlauf. So entfaltet sich ein prozessuales Faschismusmodell, welches die Kontinuität und Veränderungen zwischen Bewegung, Machteroberung, Regimekonsolidierung und Radikalisierung im Krieg hervorhebt.

Die Charakterisierung des italienischen Faschismus erfolgt in den ersten sechs Aufsätzen. Der Autor liefert mit diesem Durchgang zur Bedeutung des charismatischen Führers Mussolini, zur futuristischen Avantgarde, zum Rom-Mythos, zur steckengebliebenen Urbanisierung des Landes, zur Charakteristik der faschistischen Staatsorganisation und zur durchweg kriegerischen Gewaltpolitik ein farbiges, immer spannend zu lesendes Panorama des italienischen Faschismus.

Kernstück des Buches ist das zweite Kapitel, welches sich in vier glänzenden Aufsätzen mit der Strahlkraft des "italienischen Experiments" befasst. Im Zentrum steht die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Faschismus in Deutschland - denn nicht nur in der aufstrebenden NS-Bewegung breitete sich ein "philofaschistisches Meinungsklima" aus. Der Italofaschismus wurde zum "Markenzeichen der Diktatur eines charismatischen Führers", welche einen "dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus sowie vor allem Massenkonsens und polizeistaatlicher Unterdrückung" einschlug und so eine hohe Symbolwirkung erzielte, gewissermaßen als erlösender Ausweg aus der Krise der Moderne. In Deutschland reichte das Spektrum der Bewunderer von den Rechtsradikalen und Nationalkonservativen, Katholiken und Zentrumspolitikern über liberale Publizisten und Unternehmer bis hin zu Sozialdemokraten und Kommunisten. Als die Mitarbeiter des Frankfurter Instituts für Sozialforschung im Jahr 1929/30 vornehmlich links eingestellte Arbeiter und Angestellte befragten, wer denn die "größten Persönlichkeiten" in Geschichte und Gegenwart seien, rangierte Benito Mussolini auf dem fünften Platz, gleich hinter Marx, Lenin, Napoleon und Bismarck - und weit vor August Bebel, Karl Liebknecht oder Friedrich Ebert.

Dem systematischen Vergleich von Hitlers Deutschland mit dem Italien Mussolinis gelten die letzten beiden Kapitel. Schieder betont die relative Gleichzeitigkeit von Verfassungskonflikten, wirtschaftlichen Wachstumskrisen und Problemen der inneren Nationsbildung in Italien und Deutschland. Beide Länder hoben sich dadurch von den anderen europäischen Mächten ab. Die dreifache Krise ist letztlich die Ursache für den Erfolg des Faschismus. Ohne die Unterschiede zwischen den Faschismen zu verwischen - die der Autor vor allem in der Machtstellung der alten Eliten innerhalb der Regime als auch in der abschließenden Radikalisierungsphase des nationalsozialistischen Holocausts erkennt -, streicht er die Parallelen vor allem zwischen Italien und Deutschland heraus.

Das gilt auch für die imperialistische Politik des italienischen Faschismus, der sich nach der Eroberung von Libyen (1934) und Abessinien (1936) in den Spanischen Bürgerkrieg (1936) stürzte und Albanien (1939) innerhalb weniger Tage niederwarf, um dann ausgerechnet beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs militärisch erschöpft dazustehen. Trotz mancher Fehlplanungen - operettenhaft waren diese mit massivem Giftgaseinsatz und Massakern an den Zivilbevölkerungen geführten Vernichtungskriege keineswegs. Erst in seiner letzten Radikalisierungsphase unterschied sich der Nationalsozialismus durch seine totalitäre Durchherrschung entscheidend vom italienischen Vorbild der "Vermittlungsdiktatur". Auch überstieg die Radikalität und tödliche Konsequenz der nationalsozialistischen Judenvernichtung den italienischen Rassismus, welcher sich mit dem Aufbau eigener Kolonien und mit der Politik in den besetzten Gebieten des Balkans etabliert hatte.

Am Schluss des Buches findet sich ein Originalbeitrag zu den fotografischen Inszenierungen der beiden Führer. Die Utopie der Volksgemeinschaft wurde über die allgegenwärtigen medialen Repräsentationen zu einer ebenso virtuellen wie wirkmächtigen Realität. Die Führer befanden sich dabei in einem ebenso rigiden wie losen Verhältnis zur Gefolgschaft - sie standen als einsame und doch kollektive Figuren in einem wechselseitigen Unterordnungsverhältnis zur Masse.

Ingesamt zeigt sich, dass die Faschisten ihren Habitus des "vivere pericolosamente", des gefährlichen Lebens, permanent inszenierten und in ihrer stets vorwärts drängenden, kulturrevolutionären Dynamik populistische Akklamation mit rassistischer Gewalt verklammerten. In ihren Mythen, Symbolen und Riten verbanden die Faschisten radikalen Nationalismus mit sakraler Formensprache, ohne dabei eine kohärente, systematische Ideologie zu entwickeln. Denn in ihren Verhaltensformen verband sich so Gegensätzliches wie antibürgerlicher Populismus einerseits und Bündnisse mit den Eliten andererseits. Neben den Fanatismus trat ein programmatischer Opportunismus, neben den Willenskult eine Kultur des Drills und neben den Führerkult die Beschwörung der Volksgemeinschaft. Die faschistischen Regime haben es verstanden, Terror und materielle Zuwendung, Propaganda und Plünderung, Utopie und Nihilismus miteinander zu verknüpfen. Diese paradoxe Mischung wurde durch den pausenlosen Aktionismus, ein Jugendpathos der Unbedingtheit und durch einen kriegerischen Männlichkeitskult zusammengehalten.

Wolfgang Schieder gelingt mit diesem Band eine vorzügliche Verknüpfung von Politik-, Kultur- und Sozialgeschichte des Faschismus. Mit seinen sozial breit verankerten Sammlungsbewegungen gelang es den faschistischen Regimen, Kontrolle und Mobilisierung, Gewalt und Konsens zu vereinen. Die Symbolwirkung und Leitfunktion des italienischen "fascismo" herausgearbeitet und die stufenweise Entwicklung und Wandelbarkeit der europäischen Faschismen aufgezeigt zu haben, sind die größten Verdienste dieser brillanten Studie. SVEN REICHARDT

WOLFGANG SCHIEDER: Faschistische Diktaturen. Studien zu Italien und Deutschland. Wallstein Verlag, Göttingen 2008. 591 Seiten, 39 Euro

Die Strahlkraft Mussolinis war in Deutschland gewaltig

Terror und Zuwendung, Utopie und Nihilismus

Schieder, Wolfgang: Veröffentlichung Faschismus SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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