"Manche Manager sprechen wie Faschisten"
Der Schweizer Autor Urs Widmer über die Sprache der Wirtschaftselite, wie er Banker zum Weinen bringt und warum der Crash von 1929 sein Leben bis heute prägt
Wer zu Urs Widmer, 70, vordringen will, muss länger suchen. Sein
Häuschen liegt versteckt zwischen prachtvollen Gründerzeithäusern
in der Zürcher Innenstadt. Vor der Eingangstür wuchern schneebedeckte
Büsche, die Besucher zum Bücken zwingen. Hier schreibt Widmer seine
Bücher auf einer hässlichen elektrischen Schreibmaschine. Heute
schreibt er nicht. Heute spricht er über das Geld, die Arbeit, die Angst,
das Glück.
SZ: UrsWidmer, reden wir über Geld.
Urs Widmer:
Ja, das Geld. Habe ich welches, kümmert es mich nicht sonderlich.
Habe ich aber keins, rotiere ich wild herum. Als Kind wusste ich nie, waren wir
reich oder arm. Wir lebten mit Bauhaus-Möbeln, aber meine Mutter redete
sich und uns ein, wir seien am Verlumpen. Der Crash von 1929 ist in unserer
Familiengeschichte präsent geblieben.
SZ:
Wie das?
Widmer:
Der Crash hat meinen Großvater getroffen. Er war gerade ein reicher
Mann geworden - Villa am Rheinufer -, und schon war er wieder arm.
SZ:
Was machte Ihr Großvater?
Widmer:
Er wuchs mausarm auf, in Norditalien, studierte Chemie und fing bei einer
kleinen Klitsche an. Nach dem Ersten Weltkrieg war die Klitsche eine große
Firma geworden, und mein Großvater einer ihrer Vizedirektoren. Er hatte
eines der ersten Autos in Basel, einen Fiat, den er selber in Turin abholte.
SZ:
Woran ist er gestorben?
Widmer:
Er hat sich umgebracht.
SZ:
Wegen des Crashs?
Widmer:
Weiß ich nicht. Bald danach jedenfalls.
SZ:
Und Ihre Mutter lebte stets mit der Angst vor dem plötzlichen
Verarmen?
Widmer:
(zögert) Ja, tat sie wohl. Völlig unbegründet: Mein Vater
war Gymnasiallehrer und hatte einen redlichen Beamtenlohn. Ich habe die
florierende Geld-Neurose meiner Eltern - Türenschlagen und Tränen
- nicht geerbt. Das erstaunt mich selbst am allermeisten. Ich habe kein
Chaos in meinen Geldgeschäften. Ich mache aber auch keine.
SZ:
Noch nie?
Widmer:
Ich habe zweimal in meinem Leben Aktien besessen. Zuerst die Aktien meiner
Mutter, die ich punktgenau an jenem Tag im Oktober 1987 verkaufte, da die Kurse
so tief abstürzten wie erst heute wieder. Das zweite Mal war's ein
Erbe meines Cousins. Die verkaufte ich beim Höchststand 2006. Beide Male
Zufälle. Aber ein Fall von ausgleichender Gerechtigkeit.
SZ:
Gab es Zeiten, als Sie wenig Geld hatten?
Widmer:
O ja. In den ersten Jahren nach 1969. Da hatte ich nämlich meinen
Brotberuf aufgegeben und beschlossen, vom Dichten zu leben. Meine Frau verdiente
auch noch kein Geld. Komischerweise erinnere ich mich nicht, dass wir irgendeine
Not hatten.
SZ:
Nicht einmal Geldnot?
Widmer:
Wir flogen auf den Flügeln des Optimismus.
SZ:
War es die beste Zeit?
Widmer:
Eigentlich ja. (Überlegt.) Ja. Ich war grad 30, voll im Schwung,
hatte eine entzückende Frau, war weg aus meiner Heimatstadt, war
Schriftsteller geworden - ja, das war wohl so was wie die blühendste
Zeit.
SZ:
Wie entdeckten Sie das Thema Geld für Ihre Theaterstücke?
Widmer:
Geld hat mit Macht zu tun, und Macht ist ein Kernthema des Theaters. Als
wir 1996 "Top Dogs" machten, habe ich mich ins Thema verbissen.
SZ:
Warum?
Widmer:
Wir wollten ein Stück über Ökonomie machen, denn so was
gab's noch gar nicht. Damals war die Arbeitslosigkeit der höheren
Etagen ein neues Phänomen. Rein theatralisch gesehen ist es viel spannender
zu sehen, wie der König stürzt, als wenn der Stallknecht zum 1. 1.
gehängt wird.
SZ:
Und wie haben Sie sich in die Bankenwelt eingearbeitet?
Widmer:
Ich habe mich kundig gemacht. Mit entlassenen Managern gesprochen, mit
vielen.
SZ: Die haben offen mit Ihnen gesprochen?
Widmer:
Ja. Die haben mir die verrücktesten Geschichten erzählt. Da
hatte sich einer, just vor seiner Entlassung, einen Porsche gekauft. Der stand
nun in der Garage, mit 56 Kilometern auf dem Tacho. Der Mann setzte sich jeden
Tag hinein, startete den Motor und trat aufs Gas. Brrrummmmm. Er ist nie aus der
Garage hinausgefahren.
SZ:
Warum gibt es kaum Theaterstücke über Wirtschaft?
Widmer:
Weil das Theater von Individuen handelt, von einzelnen Menschen mit ihrer
Psychologie. In der Ökonomie aber sind die Protagonisten austauschbar.
Einer ist wie der andere. CEOs machen alle die gleichen Scherze und haben die
gleichen Hobbys. Auch die rituelle Verkleidung ist bei allen gleich, nur
Kardinäle sind noch komischer angezogen. Machen Sie mal mit braunen Schuhen
eine Bankkarriere (lacht).
SZ:
Die Credit Suisse hat ihr eigenes Theaterstück
"Bankgeheimnisse" unterstützt. Sie leben vom Geld derer, die Sie
kritisieren.
Widmer: Ich habe mein ganzes Leben nie um eine einzige Subvention
angesucht. Aber das Theater hat damals von der Credit Suisse Geld bekommen. War
dann auch ein schlechtes Stück.
SZ:
Das auch noch.
Widmer:
Ja. Ganz mein Fehler.
SZ:
Saßen Banker von Credit Suisse im Publikum?
Widmer:
Vielleicht. Bei "Top Dogs" jedenfalls haben mehrere Unternehmen
ganze Vorstellungen gekauft und ihre Mitarbeiter reingeschickt. Vielleicht
wollten sie denen ihre Zukunft zeigen (lacht). Es gab Manager, die sind
tränenüberströmt aus dem Stück rausgelaufen.
SZ:
Sie haben Manager zum Weinen gebracht.
Widmer:
Erkenntnis wäre noch schöner gewesen. Allerdings will ich nicht
einer sein, der mit erhobenem Zeigefinger dasitzt und andere belehrt.
SZ:
In Ihren Stücken gibt es keine Lösungsvorschläge. Sie
machen es sich einfach.
Widmer:
Ein Stück bietet nie eine fixfertige Lösung an.
SZ:
Warum?
Widmer:
Weil es Fragen stellt. Und weil es ein Spiel ist. Weil es die Ambivalenzen
sichtbar macht, die in jedem Menschen leben.
SZ:
Was machen Sie persönlich mit Ihrem Geld?
Widmer:
Ich habe es just eben von der UBS zur Zürcher Kantonalbank
transferiert. Vom Teufel zum Beelzebub, kann sein (lacht). Im Übrigen
fürchte ich mich weniger vor einem Crash der Bank als davor, dass uns die
Inflation unser liebes Geld wegfrisst.
SZ:
Also doch Ängste wie Ihre Mutter?
Widmer:
Nein. Wenn ich Ängste hatte und habe, sind die von einem andern
Kaliber. Ängste mit Großbuchstaben, sozusagen. Sie haben mich zum
Schriftsteller gemacht. Meine Literatur war zu einem bedeutsamen Teil
Angstbewältigung. Und ich habe mir mit einer Psychoanalyse geholfen. Heute
haben mich die Ängste mehr oder minder verlassen.
SZ:
Sie als Moralist müssen es wissen: Gibt es Hoffnung, dass alles
besser wird?
Widmer:
"Alles" ist wohl ein bisschen viel verlangt. Was die
Ökonomie betrifft: Wenn wir es den Wahnsinnigen, die das derzeitige
Desaster herbeigeführt haben, überlassen, ihr eigenes Wahnsystem zu
stabilisieren, führt das in die nächste Katastrophe. Das Geld, das an
der Börse gehandelt wird, muss wieder, wie einst, direkt auf real
produzierte Waren bezogen sein. Alles andere, der Zocker- und Kasinoteil, muss
ersatzlos gestrichen werden. Das können nur Leute von außen tun.
Natürlich ist jetzt die Politik gefordert, und sie muss mehr tun, als
einfach unser Steuergeld zu den Banken hinüberzuschieben. Mir gehört
ja inzwischen die halbe UBS!
SZ:
Und uns die Commerzbank.
Widmer:
Asylantenwohnungen sollten wir daraus machen (lacht).
SZ:
Als die Investmentbank Lehman Brothers pleite ging, sprachen Banker von
einem Blutbad und Massaker. Was bedeuten diese drastischen Worte?
Widmer:
Die Sprache der Ökonomie mag ein militärisches Vokabular. Sie
ist auf Eindeutigkeit aus und verleugnet alle Widersprüchlichkeit. Sie
errichtet eine Art Potemkinsches Sprach-Dorf aus lauter Euphemismen. Und sie
will eine Sprache der Sieger sein. Wer sie spricht, gibt zu erkennen, dass auch
er zu diesen Siegern gehören will.
SZ:
Woher kommt diese Sprache?
Widmer:
So richtig in Schwung kam sie in der Zeit Reagans und Frau Thatchers. Es
ist eine Sprache, die die Gefühle, die sich auch im Business nicht ganz
ausschalten lassen, wenigstens in den Griff kriegen will. Wer den neoliberalen
Jargon spricht, will den Schwächeren ausschalten.
SZ:
Wie bei Darwin?
Widmer:
So was. Nur dass Menschen keine Schildkröten oder Salate sind. Manche
Manager sprechen wie Faschisten. Das müssten sie spüren. Es
müsste sie tief erschrecken.
SZ:
Ist denn die Sprache der Banker immer brutaler geworden?
Widmer:
Wer triumphal von Sieg zu Sieg eilt, lässt seiner Sprache freieren
Lauf. "Lead, follow or get out of the way": Das haben wir vor noch
nicht allzu langer Zeit aus dem Mund eines der großen Banker gehört.
SZ:
Jetzt ist das Modell der Investmentbank gescheitert - mit ihm auch
die Sprache der Banker?
Widmer:
Die Sprache - diese Nebelwand, hinter der das reale Desaster
verschwinden soll - wird jetzt noch mehr benötigt.
SZ:
In Ihrem Theaterstück "Top Dogs" kritisierten Sie bereits
1996 die verharmlosende Sprache der Manager . . .
Widmer:
Ich habe mich damals auch in die einschlägigen Bars rund um den
Paradeplatz gesetzt und den Herren und Damen zugehört. Wenn sie den
Feierabend genossen. Oder sich in Herzensangelegenheiten austauschten. Das
Befremdliche war, dass sie auch dann keine andere Sprache hatten, auf die sie
zurückgreifen konnten. Emotional war das alles doch sehr eng. Wenn du eine
reiche Dame heiratest, die dich vergöttert, ist das eine Win-win-Situation.
SZ:
Gibt es jetzt die Chance, dies zu ändern?
Widmer:
Schön wär's. Nochmals: Die bisherigen Teilnehmer am Spiel
werden allein schon deshalb die Spielregeln nicht radikal ändern wollen und
können, weil sie andere Regeln gar nicht kennen. Die Lotterie- oder
Kasino-Börse muss verschwinden. Natürlich wird sie dadurch massiv
kleiner.
SZ:
Dann müssen Betriebe zusperren, weil sie keinen Kredit mehr bekommen.
Widmer:
Die Schraubenfabrik da vorn an der Ecke, die braucht einen Kredit, und die
soll ihn kriegen. Normal investiertes Geld mit einer normalen Rendite. Heute!
Die Börsensendungen im Fernsehen sind wie Berichte aus einem Tollhaus. Mit
ernster Miene werden die neuesten Lottozahlen verlesen und analysiert - als
hätten sie irgendetwas mit unserem normalen Leben zu tun, gar mit unseren
Interessen.
SZ:
Jetzt wird das Kasino zur Wirklichkeit. Die Konjunktur leidet, das
Wachstum bricht ein, die Menschen verlieren ihre Arbeit.
Widmer:
Ja. Die virtuelle Welt ist nicht völlig abgekoppelt von der realen.
Es leiden die, die mit der Wall-Street-Welt gar nichts zu tun haben. Wetten,
dass genau jetzt irgendwo einer von den Haifischen irgendwelche Schrottpapiere
kauft, mit denen er in einem Jahr ein Riesengeld zu machen hofft?
Interview: Alexander Mühlauer
und Hannah Wilhelm
Biographie
Urs Widmer wird 1938 in Basel geboren. Er studiert Germanistik, Romanistik und
Geschichte. Nach seiner Promotion ist er als Lektor tätig, beim Frankfurter
Suhrkamp Verlag bleibt er 17 Jahre. Seitdem arbeitet der Schweizer als Autor.
Neben Büchern schreibt er auch Theaterstücke. Sein bekanntestes
heißt "Top Dogs", eine Sozialsatire über Top-Manager. Aus
entlassenen Führungskräften, den sogenannten Top Dogs, werden darin
Underdogs. In einem Outplacement-Center erleben sie selbst, was sie ihren
Mitarbeitern angetan haben: wie entwürdigend es ist, plötzlich ohne
Job zu leben. Widmer ist einer der wenigen deutschsprachigen Autoren, der gerne
ökonomische Themen aufgreift. am
"Ich habe die florierende
Geld-Neurose meiner Eltern
- Türenschlagen und Tränen -
nicht geerbt."
"Börsensendungen sind wie Berichte aus einem Tollhaus. Mit ernster
Miene werden
die Lottozahlen verlesen."
Spiegelbild eines Schriftstellers: Urs Widmer, auf der Frankfurter Buchmesse an
einer Glasscheibe lehnend. Foto: ddp