Auch die Reichen knausern

Auktionshäuser leiden unter den Folgen der Finanzkrise. Der Kunstmarkt steht vor einem schweren Einbruch

Von Andreas Oldag

London - Die Gewitterwolken am einst so schönen Kunsthimmel zogen bereits im Herbst vergangenen Jahres auf: Das britische Auktionshaus Christie's wollte für das bekannte Bild "Study for Self Portrait" des Malers Francis Bacon einen Preis von etwa 40 Millionen Dollar (etwa 30 Millionen Euro) erzielen. Doch die Versteigerung wurde zum Flop und musste damals bei einem Preis von 27,4 Millionen Dollar abgebrochen werden. Infolge der weltweiten Finanzkrise zeigen sich mittlerweile selbst schwerreiche Investoren knauserig. Der Kunstmarkt steht vor einem schweren Einbruch, zumal auch Unternehmen für ihre Vorstandsetagen und Foyers kaum noch teure Gemälde einkaufen.

Die Schockwellen der Rezession haben die einst im Geld schwimmenden Auktionshäuser erreicht. Sie müssen sich einen harten Sparkurs verordnen und hoffen, dass sich die Zeiten irgendwann wieder bessern. Christie's kündigte jetzt "einen bedeutenden Stellenabbau" an. Firmenchef-Chef Ed Dolman hat die Mitarbeiter per Email über Stellenstreichungen in allen 85 internationalen Büros informiert. Zudem sollen Verträge mit freien Mitarbeitern und Kunstspezialisten offenbar nicht verlängert werden. Christie's beschäftigt etwa 2100 Menschen weltweit und hat in Deutschland unter anderem in Berlin, Hamburg und Düsseldorf Büros. Wie viele Stellen dort wegfallen, wurde noch nicht bekannt. "Wir müssen unser Geschäft neu aufstellen, um aus diesen schwierigen Zeiten als eine stärkere Firma hervorzugehen", schrieb Dolman Medienangaben zufolge an die Mitarbeiter. Der Stellenabbau soll bis April abgeschlossen sein.

Christie's steht nicht allein da. Der New Yorker Konkurrent Sotheby's hat den Personaletat um sieben Millionen Dollar gekappt. Viele der etwa 1500 Mitarbeiter fürchten um ihren Arbeitsplatz. 2009 werde ein schwieriges Jahr, warnte Sotheby's-Chef Bill Ruprecht. Die Auktionskataloge würden dünner werden. Im vergangenen Jahr hatte Sotheby's Verkaufserlöse in Höhe von 4,82 Milliarden Dollar erzielt. Der Rückgang gegenüber dem Vorjahr betrug bereits elf Prozent, obwohl das erste Halbjahr 2008 für den Kunstmarkt noch relativ gut gelaufen war. Dem Vernehmen nach gingen die Verkäufe von Christie's im gleichen Zeitraum um etwa 20 Prozent zurück.

Branchenexperten schätzen, dass die beiden führenden Auktionshäuser in der Herbstsaison auf Kunstwerken mit garantierten Preisen in Höhe von insgesamt 63 Millionen Dollar sitzengeblieben sind. In den Boomzeiten der vergangenen Jahre hatten die Kunstversteigerer großzügige Garantiepreise eingeräumt. Von dieser Praxis wird sich die Branche nun rasch verabschieden. Auch Rabatte bei Kommissionsgebühren sollen wegfallen. Immerhin hoffen die Häuser, dass die Krise verstärkt zu Notverkäufen führen wird. Klamme Investoren könnten ihre Gemälde und Skulpturen auf den Markt werfen, um rasch an Bargeld zu kommen. Er habe Klienten, denen die Kunst als einzige Anlage verblieben ist, nachdem ihre Aktien dramatisch an Wert verloren hätten, räumte Sotheby's-Chef Ruprecht gegenüber dem Wall Street Journal ein.

In Großbritannien kann Christie's auch auf die positiven Auswirkungen des schwachen Pfunds hoffen. Die britische Währung hat in den vergangenen Monaten gegenüber Euro und Dollar erheblich an Wert verloren. Dadurch werden Käufe für Ausländer im Vereinigten Königreich billiger. Indes gibt es in der Branche immer wieder Gerüchte, dass Christie's-Eigner François Pinault das Unternehmen wegen einer angeblich hohen Schuldenlast verkaufen könnte. Solche Spekulationen werden im Haus zurückgewiesen. Der französische Unternehmer, der das Auktionshaus 1998 übernommen hatte, habe ein langfristiges Interesse, heißt es.

Die Wurzeln von Christie's reichen bis in das Jahr 1766 zurück. Damals organisierte James Christie in London erste Auktionen und entwickelte sich schon bald zum Zentrum für Kunstverkäufe in Europa. Im Jahr 2000 mussten sich Christie's und Sotheby's gegen Vorwürfe wegen illegaler Preisabsprachen wehren. Dabei kam es sogar zu einer Untersuchung durch die amerikanische Bundespolizei FBI.

Unternehmen erwerben für

ihre Vorstandsetagen

kaum noch teure Gemälde.

Klamme Investoren könnten ihre Bilder und Skulpturen

auf den Markt werfen.

Im Dezember hat Christie's für Giambattista Tiepolos "Portrait of a lady as Flora" trotz der Krise unerwartet 2,8 Millionen Pfund erlöst. Foto: AFP

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Anschlag auf den Rechtsstaat in Russland

Europarat übt nach Doppelmord an Menschenrechtsanwalt und Journalistin in Moskau scharfe Kritik

Von Sonja Zekri

Moskau - Anfangs sind es nur ein paar Sträuße: Nelken, Rosen, Tulpen. Aber der Haufen wird schnell größer. Nach einer Viertelstunde ist es ein kleiner Berg. Jedes Mal, wenn jemand am Tatort Blumen niederlegt, färbt sich der Schnee unter seinen Fußabdrücken rot. Ein Priester mit lila Samtmütze singt und schwenkt ein Weihrauchfass. Kerzen flackern vor den Fotografien des Anwalts Stanislaw Markelow, 34, und der Journalistin Anastasija Baburowa, 25. Am Montag gegen halb drei wurden sie an dieser Stelle ermordet. Nun sammeln sich Menschenrechtler und Journalisten vor dem Haus in der Pretschistenka-Straße 1, einer feinen Gegend Moskaus, gegenüber der Erlöser-Kathedrale, einen Steinwurf vom Kreml entfernt.

Maria Kaluschskaja ist 18 und hat rote Nelken mitgebracht. Sie hat selbst mal einer Antifa-Gruppe angehört. "Stanislaw Markelow hat viele Menschen gestört. Er hat jenen Angst gemacht, die andere einschüchtern wollen", sagt sie. Maria Kaluschskaja hat Markelow am Montag zum ersten Mal gesehen, aber er war ihr lange vorher ein Begriff. Markelow war nicht nur der Anwalt der ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja. Zu seinen Klienten gehörte der Journalist Michail Beketow, der vor Monaten ins Koma geprügelt wurde, nachdem er den Bau einer Schnellstraße durch einen Moskauer Stadtwald kritisiert hatte sowie ein Antifaschist, der wegen Ruhestörung angeklagt war.

Zu Markelows Klienten zählte auch die Familie von Elsa Kungajewa, die im zweiten Tschetschenienkrieg von dem russischen Panzerkommandeur Jurij Budanow vergewaltigt und ermordet wurde. Budanow hatte anfangs auf Unzurechnungsfähigkeit plädiert, war aber im Sommer 2003 zu zehn Jahren verurteilt worden - und vor wenigen Tagen begnadigt worden, nachdem der Kreml ein erstes Gnadengesuch 2004 abgelehnt hatte. Der Fall galt als Test für Russlands Umgang mit Kriegsverbrechen in Tschetschenien, denn Budanow war der ranghöchste Offizier, der je verurteilt worden war. Nationalisten kritisierten, das Verfahren beschmutze die Ehre der Armee, Menschenrechtler empörte die Freilassung. Am Montag hatte Markelow auf einer Pressekonferenz angekündigt, dass er gegen die Begnadigung gerichtlich vorgehen werde. Auf dem Rückweg vom "Unabhängigen Pressezentrum" schoss ihm ein Mann mit einer Kapuze vor dem Gesicht aus einer Pistole mit Schalldämpfer in den Kopf. Dann schoss er auf Markelows Begleiterin, die ihn festhalten wollte. Anastasija Baburina starb im Krankenhaus. Sie hatte mit dem Fall Budanow nichts zu tun. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Doppelmords. Moskaus Innenstadt wird fast vollständig mit Kameras überwacht, man hofft auf Videos.

"Gemeine Provokation"

Ob der Täter gefunden wird? "Nie", sagt Maria in der trauernden Menge am Tatort. Da drängt sich Gasan Mirsojew durch die Fernsehteams, der Vorsitzende der Anwaltsvereinigung. Er sagt, seine Gilde verliere die Besten: "Früher wurden Anwälte erschossen, die geschäftliche Interessen vertreten haben, aber Markelow hat sich für Verbrechensopfer eingesetzt, so wie es Anwaltspflicht ist." Er wolle einen Brief an Präsident Dmitrij Medwedjew schreiben, der selbst Jurist ist und den "Rechtsnihilismus" geißelte. Dies bedeute "nicht nur den Kampf gegen die Korruption, sondern auch den Schutz der Bürger vor Gewalt. So wie es in der Verfassung steht. Aber davon ist nichts zu spüren", sagt Mirsojew.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier verurteilte die Tat. In Straßburg äußerte Terry Davis, der Generalsekretär des Europarates, Zweifel an der "Lage des Rechtsstaates" in Russland. Die Partei "Gerechte Sache" erklärte, jemand wolle Russland offenbar destabilisieren und "auf seinem Weg zu Freiheit und Demokratie behindern", und Michail Markelow, der Bruder des Ermordeten, bat darum, den Fall nicht politisch auszunutzen: "Ich möchte nicht, dass sich Menschen im Namen meines Bruders zu Demonstrationen zusammenfinden und sich solchen Versammlungen irgendwelche Organisationen anschließen." Budanow selbst erklärte, der Mord sei eine "gemeine Provokation", er habe damit nichts zu tun: "Oder glauben Sie, ich hätte nach ein paar Tagen in Freiheit schon wieder Lust auf Gefängnis?"

Der Mord an Markelow war eine demonstrative Tat, so demonstrativ wie die Ermordung Anna Politkowskajas am Tag vor dem Deutschlandbesuch des damaligen Präsidenten Wladimir Putin. So demonstrativ wie der Tod des Feldkommandeurs Sulim Jamadajew. Der Befehlshaber des tschetschenischen Bataillons "Wostok" hatte sich mit dem tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow überworfen und wurde im September in seinem Auto praktisch vor Putins Regierungssitz im Weißen Haus erschossen. Der Täter ist flüchtig.

Markelow, Stanislaw Baburowa,Anastasija Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen in Russland Kriminalität in Russland Anschläge auf Journalisten SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Aktuelles Lexikon

Lincoln-Bibel

Ein bisschen abgegriffen und fleckig ist der weinrote Samt, in den sie gebunden ist: die Bibel, auf die Barack Obama seine Hand legte, um seine Amtszeit nicht nur der Verfassung, sondern zugleich der höchsten Instanz zu verpflichten. Den Eid auf die Bibel zu leisten ist für US-Präsidenten nicht obligatorisch, aber üblich. Am 4. März 1861 schwor Abraham Lincoln an gleicher Stelle auf dieselben 1280 Seiten im Goldrand, die Obama jetzt aus der Bibliothek des Kongresses geliehen hat. Es ist das vielleicht bedeutendste in einer Reihe geschichtlicher Zitate, die seiner Amtszeit schon jetzt historisches Schwergewicht verleihen sollen. Dass Abraham Lincoln genau jene Bibel zu seinem Schwur heranzog, ist ein historischer Zufall. Die Familienbibel befand sich wie dessen übrige Besitztümer noch auf dem Weg von Springfield nach Washington. Gerichtsdiener William Thomas Carroll half Lincoln mit einem Exemplar aus. Diese Bibel ist eigentlich keine Besonderheit, denn sie entstammt einer Auflage, die 1853 hunderttausendfach von der Oxford University Press gedruckt wurde. Auf etwa 40 Euro schätzen Experten heute den Wert einer solchen Bibel. Die Lincoln-Bibel jedoch ist einzigartig und unbezahlbar, noch mehr, da nun zwei Präsidenten sie veredelt haben. Zu Lincolns 200. Geburtstag und wohl auch, um Obamas Aura durchs Land zu tragen, wird die Bibel jetzt in fünf US-Städten ausgestellt. kari

Ein bisschen abgegriffen und fleckig ist der weinrote Samt, in den sie gebunden ist: die Bibel, auf die Barack Obama seine Hand legte, um seine Amtszeit nicht nur der Verfassung, sondern zugleich der höchsten Instanz zu verpflichten. Den Eid auf die Bibel zu leisten ist für US-Präsidenten nicht obligatorisch, aber üblich. Am 4. März 1861 schwor Abraham Lincoln an gleicher Stelle auf dieselben 1280 Seiten im Goldrand, die Obama jetzt aus der Bibliothek des Kongresses geliehen hat. Es ist das vielleicht bedeutendste in einer Reihe geschichtlicher Zitate, die seiner Amtszeit schon jetzt historisches Schwergewicht verleihen sollen. Dass Abraham Lincoln genau jene Bibel zu seinem Schwur heranzog, ist ein historischer Zufall. Die Familienbibel befand sich wie dessen übrige Besitztümer noch auf dem Weg von Springfield nach Washington. Gerichtsdiener William Thomas Carroll half Lincoln mit einem Exemplar aus. Diese Bibel ist eigentlich keine Besonderheit, denn sie entstammt einer Auflage, die 1853 hunderttausendfach von der Oxford University Press gedruckt wurde. Auf etwa 40 Euro schätzen Experten heute den Wert einer solchen Bibel. Die Lincoln-Bibel jedoch ist einzigartig und unbezahlbar, noch mehr, da nun zwei Präsidenten sie veredelt haben. Zu Lincolns 200. Geburtstag und wohl auch, um Obamas Aura durchs Land zu tragen, wird die Bibel jetzt in fünf US-Städten ausgestellt.

Lincoln, Abraham Feierlichkeiten zur Amtseinführung von Barack Obama SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Barack Obama - 44. Präsident der USA

Monatelang haben nicht nur die Amerikaner diesen Tag herbeigesehnt, und sie haben ihren neuen Präsidenten schon lange vor dessen Einzug ins Weiße Haus mit den höchsten Erwartungen konfrontiert. Am Dienstag in Washington musste Barack Obama darauf die ersten Antworten finden: Millionen Menschen auf allen Kontinenten versammelten sich, um seine Antrittsrede zu hören; und sie werden den Demokraten aus Detroit an den Worten messen, die er für seinen großen Auftritt vor dem Westflügel des Kapitols gefunden hat.

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Auftragsmord mit Ansage

Tschetschene hatte in Wien vergeblich um Schutz gebeten

München - Der vor einer Woche in Wien auf der Straße ermordete tschetschenische Flüchtling Umar Israilov hatte schon Monate zuvor vergeblich um Schutz bei den österreichischen Behörden nachgesucht. Israilov, der als Asylbewerber anerkannt war, hatte am 10. Juni 2008 in Wien dem Verfassungsschutz von "zwei Killern" berichtet, die auf ihn angesetzt seien. Dies berichtete das Wiener Magazin Falter in seiner Dienstag-Ausgabe unter Berufung auf die Ermittlungsakten. Weil das 27-jährige Mordopfer keinen Polizeischutz erhielt, sehen sich die Behörden nun öffentlicher Kritik ausgesetzt.

Anlass zur Beunruhigung hätten auch andere Hinweise geben können, die den Verfassungsschutz erreichten. So wurde dort ebenfalls am 10. Juni 2008 ein weiterer Mann gehört, der in den Akten als Artur K. geführt wird. Er sagte aus, er arbeite für den tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow. Die Abteilung, für die er tätig sei, habe den Auftrag, in ganz Europa tschetschenische Flüchtlinge zu suchen, um sie zur Rückkehr in die Heimat zu bewegen. Es gehe um etwa 5000 Personen. Etwa 500 von ihnen aber wolle man nicht wieder in Tschetschenien haben, sie sollten getötet werden.

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung behauptete Artur K. bei der Vernehmung in Wien auch, in gleichem Auftrag bereits in Deutschland und in Polen unterwegs gewesen zu sein. In diesen beiden Fällen habe er die jeweiligen Personen zur "freiwilligen" Rückkehr nach Tschetschenien überreden können. Sie hätten heute gute Jobs im Dienste Kadyrows. Die Rückkehr-Aktionen sollen offensichtlich dazu dienen, das Image des Moskau-treuen tschetschenischen Präsidenten aufzubessern.

Nicht alle Gesuchten aber wollen zurück nach Grosny. Das galt auch für Umar Israilov. Dieser hatte 2006 eine Klage gegen Kadyrow vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof eingereicht, die bislang aber noch nicht behandelt wurde, weil die Unterlagen unvollständig gewesen sein sollen. In der Klage in Straßburg erhob Israilov gegen Kadyrow persönlich schwere Foltervorwürfe. Israilov sagte aus, auch Artur K. habe ihn aufgefordert, diese Klage zurückzuziehen. Er habe ihn zudem persönlich bedroht. Der mysteriöse K. wiederum sagte dem Verfassungsschutz, er habe zwar den Auftrag, Israilov zu töten, wolle dies aber nicht tun, weshalb er selbst Schutz benötige.

Wie die Wiener Behörden diese Geschichte einschätzten, ist bislang nicht bekannt. In jedem Fall wurde Artur K. nur wenige Tage nach seiner Einvernahme durch den Verfassungsschutz aus Wien mit einem Flugzeug nach Russland abgeschoben. Die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch haben eine rasche Aufklärung des Verbrechens gefordert. Der Vater des Getöteten wirft der Polizei in Wien schwere Versäumnisse vor. Die Ehefrau Israilovs und ihre drei Kinder haben nun Polizeischutz. Christiane Schlötzer

Innenpolitik Österreichs Asylbewerber in Österreich Mordfälle in Österreich SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Iran will angeblich Öl und Gas privatisieren

London - Der Iran will einem Medienbericht zufolge zahlreiche Energiefirmen privatisieren und an ausländische Börsen bringen. Die 47 betroffenen Öl- und Gasunternehmen hätten insgesamt einen Wert von etwa 90 Milliarden US-Dollar, zitierte das Magazin "Middle East Economic Digest" den Vertreter der Nationalen Iranischen Ölgesellschaft (NIOC), Hodschatollah Ghanimi-Fard. Ziel sei es, ausländische Investitionen anzulocken. Dazu sollten die Papiere der Holding an vier Börsen gehandelt werden. Zwei davon befänden sich in Nachbarländern des Iran und die beiden anderen in asiatischen Ländern, sagte Ghanimi-Fard, ohne die Namen zu nennen. Bis 2014 sollten die Energiefirmen zudem an die Teheraner Börse gebracht werden. Der weltweit viertgrößte Ölexporteur hatte zuletzt 2006 beschlossen, Anteile an mehreren staatlichen Firmen an die Börse zu bringen, um seinen stockenden Privatisierungsprozess wieder in Gang zu bringen. Damals hatte es jedoch geheißen, wichtige Ölfirmen und Banken sollten in staatlicher Hand bleiben. Reuters

Energiepolitik im Iran SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Kritik an Berner Regierung

USA verärgert über Gasvertrag mit Teheran

Zürich - Nachdem der Zürcher Energiekonzern Axpo einen Abnahmevertrag für iranisches Gas mit Teheran unterschrieben hat, gerät die Schweiz unter massiven amerikanischen Druck. Zwar kaufen westlichen Staaten iranisches Rohöl, bei Gas aber ist die Axpo einer der ersten europäischen Kunden Teherans. Der Vertrag hat ein Volumen von 19 Milliarden Euro und läuft über 25 Jahre. Die Schweizer Außenministerin Micheline Calmy-Rey hat den Abschluss ermöglicht, indem sie der Vertragsunterzeichnung in Teheran beiwohnte. Fotos zeigen Calmy-Rey mit einem schleierartigen Kopftuch, wie sie freundlich lachend dem iranischen Präsidenten Ahmadinedschad gegenüber steht. Die Bilder lösten in der Schweiz Unbehagen aus, Israel reagiert mit scharfem Protest.

Auf amerikanischer Seite hat zunächst die US-Botschaft in Bern Einsicht in das Vertragswerk gefordert. Dies lehnt die Axpo als "absolut unüblich" ab. Die Botschaft werde jedoch mündlich über die Vereinbarung informiert, sagte Axpo-Chef Heinz Karrer. Inzwischen macht die amerikanisch-jüdische Anti-Defamation League Stimmung gegen die Schweiz. Sie hat große Anzeigen in der New York Times und in der International Herald Tribune geschaltet. "Wer ist weltweit der neueste Terrorfinanzierer? Die Schweiz", heißt es dort. "Die wahrscheinliche Konsequenz? Iran wird das Nuklear-Programm fertig stellen können. Terroristen-Zellen rund um den Globus werden Unterstützung und Zugang zu neuen Waffen bekommen." Schweizer fühlen sich wegen des scharfen Tons an die Auseinandersetzung um sogenannte nachrichtenlose Vermögen vor zehn Jahren erinnert. Damals hatten amerikanische Juden den Schweizer Banken vorgeworfen, sie bereicherten sich am Geld von Opfern des Holocausts. In der Folge zahlten die Banken milliardenschweren Entschädigungen. Das Außenministerium in Bern und die Axpo weisen die Vorwürfe der jüdischen Organisation zurück. Der Vertrag verletze weder die Sanktions-Regeln der Uno noch das amerikanische Handelsembargo gegen Teheran. "Viele Länder unterhalten weit intensivere Handelsbeziehungen mit dem Iran als es die Schweiz tut", sagte ein Sprecher von Calmy-Rey. Gerd Zitzelsberger

Energiewirtschaft im Iran Außenhandel der Schweiz SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Ex-Guerilla gewinnt Wahlen in El Salvador

Rechte Regierungspartei muss erstmals seit dem Bürgerkriegsende 1992 die Mehrheit im Parlament abgeben

Von Sebastian Schoepp

München - In El Salvador hat die Nationale Befreiungsbewegung Farabundo Martí (FMLN) bei der Parlamentswahl einen historischen Sieg errungen. Zum ersten Mal gewann die linksgerichtete Partei eine Abstimmung auf nationaler Ebene. Die FMLN erhielt nach vorläufigen Ergebnissen etwa 42 Prozent der Stimmen, die nationalkonservative Regierungspartei Arena kam nur auf 38 Prozent. Sie stellt demnach 32 Sitze im Parlament die FMLN 35. Dem FMLN-Kandidaten Mauricio Funes werden beste Aussichten eingeräumt, im März die Präsidentschaftswahl zu gewinnen. Damit hat der lateinamerikanische Linksruck auch das winzige Land an der mittelamerikanischen Pazifikküste erreicht, das seit Ende des Bürgerkriegs vor 17 Jahren eine konservative Hochburg und der engste Verbündete der Vereinigten Staaten in der Region gewesen war.

Die früheren Fronten des Bürgerkriegs markieren bis heute die politischen Trennlinien in El Salvador. Die FMLN ist benannt nach dem 1932 ermordeten Bauernführer Agustín Farabundo Martí, dessen Vita der des Revolutionärs Augusto Sandino im Nachbarland Nicaragua ähnelt. Nach Sandino sind wiederum die linksgerichteten Sandinisten benannt, die 1979 Revolution in Nicaragua machten. Die USA befürchteten, in El Salvador könnte Ähnliches passieren, Präsident Ronald Reagan unterstützte das rechtsgerichtete Militärregime mit Waffen und Beratern.

Massaker an Jesuiten

1980 wurde der später seliggesprochene, regimekritische Bischof Oscar Romero von Todesschwadronen ermordet. Ein Untersuchungsbericht der UN bezichtigte den Major Roberto D'Aubisson als Drahtzieher. Er war wie viele lateinamerikanische Diktatoren an der berüchtigten US-Militärakademie School of the Americas in Panama ausgebildet worden und war Gründer der Republikanischen Nationalistischen Allianz (Arena), die bis heute Regierungspartei in El Salvador ist. Die spanische Justiz ermittelt noch immer gegen 14 Offiziere wegen des Massakers an sechs Jesuiten im Jahr 1989. Die Arena-Partei hat sich einer Aufarbeitung des Bürgerkriegs, in dem mehr als 70 000 Menschen starben, zäh widersetzt. Mit Antonio Saca stellt sie den Präsidenten. Saca hat sich stets zu George W. Bush bekannt, als Zeichen der Treue schickte er ein kleines Truppenkontingent in den Irak. El Salvador war das erste Land der Region, das ein Freihandelsabkommen mit den USA schloss, der Dollar ist Landeswährung.

Das Land ist im regionalen Kontext ein kleiner Tigerstaat mit hoher Dynamik, allerdings auch extremer sozialer Ungleichheit. Salvadoreños stehen im Ruf, hervorragende Geschäftsleute zu sein. Das zeigt sich etwa am Beispiel der Fluglinie Taca, die viele Gesellschaften der Nachbarländer übernahm und heute einer der wichtigsten Anbieter Lateinamerikas mit schnellen Verbindungen und exzellentem Service ist.

El Salvador ist trotz der guten Wirtschaftsdaten ein Hort der Gewalt geblieben, die zum Teil bürgerkriegssähnliche Ausmaße hat. Nach Ende des Krieges 1992 waren Zehntausende Männer arbeitslos, sie hatten nur Gewalt kennengelernt. Salvadoreños emigrierten massenhaft in die USA. Ihre Söhne wurden in den Großstädten wie Los Angeles Kern der sogenannten Mara-Banden. Die USA deportierten gefasste Anführer zurück in die alte Heimat, wo sie die Gangs neu gründeten. Sie sind straff organisiert, extrem brutal, schießwütig und terrorisieren ganze Landesteile. El Salvador hat eine der höchsten Kriminalitätsraten Lateinamerikas. Das Auswärtige Amt in Berlin mahnt bei Reisen zu großer Vorsicht.

Im März stehen Präsidentenwahlen an. Amtsinhaber Saca kann nicht mehr antreten, sein politischer Ziehsohn Rodrigo Avila hatte als Polizeichef eine Senkung der Gewaltrate versprochen, war jedoch gescheitert. In Umfragen liegt er derzeit neun Prozent hinter dem FMLN-Kandidaten, dem preisgekrönten Fernsehjournalisten Mauricio Funes. Sicher sein kann sich Funes seiner Sache allerdings nicht, die Stimmung kann schnell kippen. So verlor die FMLN bei der Kommunalwahl, die gleichzeitig zur Parlamentswahl stattfand, das Bürgermeisteramt in der Hauptstadt San Salvador.

Innenpolitik El Salvadors Parlamentswahlen in El Salvador SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Der Umzug der Macht

Wie die Bediensteten in kürzester Zeit das Weiße Haus für den neuen Präsidenten einrichteten und eine ganze Stadt den Wandel feiert

Von Stefan Kornelius

George Bush, so sagen jene, die mit ihm telefoniert haben, mache einen entspannten, fast schon erleichterten Eindruck. Und er versuche es auch wieder mit Witzen. Er sei der einzige, so erzählte er unlängst, der in der Zeit der Immobilienkrise in Houston ein Haus gekauft habe. Somit sei er allein verantwortlich für das Wohlergehen der Stadt. Wie das Haus aussehe und wie viele Zimmer er habe, wisse er nicht - der von Laura ausgehandelte Preis habe ihm die Sprache verschlagen. Laura Bush war es auch, die am Ende die wichtigsten Umzugskisten selbst packte - schließlich muss sie selbst wieder auspacken. Das Leben mit Bediensteten hat für den Ex-Präsidenten und seine Familie ein abruptes Ende, es sei denn, sie leisten sich privat Hilfe.

Die Anzüge und Krawatten des ehemaligen Präsidenten werden ihren Weg nach Texas finden, wie schon Hunderte von Kisten, die im Weißen Haus seit Wochen gepackt und versiegelt wurden. Die offiziellen Papiere der 43. Präsidentschaft gehören nun dem Nationalarchiv, das den für Historiker so wertvollen Schatz in einer Lagerhalle in Lewisville, Texas, hütet, ehe er in der Präsidentenbibliothek untergebracht wird.

George Bush hat sich entschieden, seinen Nachlass der Southern Methodist University in Houston zu vermachen, die gar nicht weit von seinem Wohnquartier auf einem Campus im neogotischen Stil residiert. Dort soll nun auch die Bush-Library entstehen, was natürlich die üblichen Zetereien in der eher liberalen Fakultät ausgelöst hat. Auch die Nachbarn sind nicht sehr glücklich - Bush könnte Terroristen anziehen.

Anders als sein vormaliger Chef entschied sich Ex-Vizepräsident Dick Cheney, beim Umzug selbst Hand anzulegen. Cheney zog nach McLean, einem Washingtoner Villenvorort in Virginia, nahe des CIA-Hauptquartiers und der saudischen Botschaft gelegen. Beim Kistenschleppen muss dem willensstarken Cheney aber ein Malheur passiert sein. Sein Arzt attestierte einen eingeklemmten Muskel und empfahl, die nächsten Tage im Rollstuhl zu verbringen. Dem aufrechten Streiter wird dieser Rat besonders missfallen haben. Cheney hatte sich für seinen Logenplatz bei der Amtseinführung vor dem Kapitol einen anderen Auftritt vorgestellt.

Während die Bushs also auszogen, bereiteten die Bediensteten des Weißen Hauses, die Usher, auch schon den Einzug Obamas in das historischste Wohnquartier der Nation vor. Dafür blieben ihnen exakt sechs Stunden Zeit. Die Erzählungen der Usher über diese Augenblicke sind legendär. Unter Tränen wird Abschied genommen - immerhin liegen acht Jahre Wohngemeinschaft hinter dem Commander in Chief und seiner Dienerschar. Dann fährt ein Umzugswagen vor, und binnen kurzer Zeit müssen die 93 Bediensteten das Hab und Gut des neuen Hausherren hineingetragen und verstaut haben.

Wer Präsident wird, muss seine Möbel nicht mitbringen, es sei denn, er hängt an einem besonderen Fernsehsessel oder einem Canapé der Großtante. Ansonsten lebt der erste Bürger Amerikas und seine Familie in hotelähnlicher Atmosphäre. Die Betten werden neu bezogen, vielleicht werden einige Möbel verrückt, andere aus der Lagerhalle des Weißen Hauses in Virginia geholt. Am Ende müssen lediglich die Schränke mit den Klamotten der first family gefüllt werden. Als die Obamas am späten Nachmittag das Haus betraten, sollen auf den Kommoden bereits die Silberrahmen mit den Fotos ihrer Lieben gestanden haben. Die eigentlichen Möbel der Familie aber blieben im Haus in Chicago. Irgendwann wird Michelle Obama ihre Dekorationslust austoben und etwa 200 000 Dollar für neue Vorhänge, neue Wandfarben und Teppiche ausgeben dürfen. Im Kern aber bleibt das Haus, wie es Jackie Kennedy einst dekorierte. Ihr sind die klassischen Möbel und wichtige Teile des präsidentiellen Geschirrs zu verdanken.

Vor dem neuen Präsidenten traf die politische Vorhut im Weißen Haus ein und nahm die Kommandozentrale der USA in Besitz. Rahm Emanuel, der Stabschef, verriet am Vorabend auf einer Party der Kolumnistin Maureen Dowd in Georgetown, dass er gleich nach der Einschwörungszeremonie mit einer Reihe anderer Mitarbeiter in schwarzen Minibussen zum East Wing, dem Bürotrakt neben dem Weißen Haus, gefahren werde - "weil ich telefonieren muss".

Steve Clemons, einer der Lieblingsblogger der neuen Demokraten, fragte neugierig nach dem Gesprächspartner und bekam eine lakonische Antwort: "Mit meiner Mutter." Das neue Weiße Haus soll so verschwiegen sein wie die alte Mannschaft unter Bush. Emanuel konnte bei seiner Gastgeberin auch den Hauch einer legendären Ära atmen. Die Kolumnistin Dowd bewohnt eines der Häuser, in dem John F. Kennedy vor der Präsidentschaft sein Unwesen trieb.

In guter Kennedyscher Tradition hat Barack Obama auch eine Lyrikerin auserkoren, die das Einschwörungs-Zeremoniell vor dem Kapitol mit ihrem Werk schmückte. Elizabeth Alexander, 46, eine schwarze Dichterin aus einem Demokraten-Haushalt (der Vater war Heeres-Staatssekretär unter Jimmy Carter), las ein eigens verfasstes Werk, wie vor ihr schon Amerikas lyrisches Gewissen Robert Frost und drei andere Poeten. Frost war von Kennedy gebeten worden und rezitierte, so die berühmte Anekdote, ein Gedicht aus dem Kopf, weil er die für den Anlass geschriebenen Zeilen wegen der blendenden Sonne nicht vom Blatt ablesen konnten.

Nach Frost wurden noch drei mal mehr oder weniger bekannte Dichter aus der amerikanischen Poeten-Szene gebeten, zu den Amtseinführungen von Jimmy Carter und von Bill Clinton. Über die Reimkunst ist wenig Vorteilhaftes hängen geblieben. Republikanische Präsidenten hatten bisher auf den Lobgesang der Dichter verzichtet. Neben dem Amtseinführungs-Poeten unterhalten die USA den Posten eines Nationaldichters, der - anders als sein britisches Pendant - nicht zum Geburtstag des Königs zur Feder greifen muss.

Obama kennt seine Hausdichterin schon seit Jahren, als beide an der selben Universität in Chicago lehrten. Heute unterrichtet Alexander an der Yale-Universität, und ihre Gedichte kreisen immer wieder um das Thema Gleichheit, Hautfarbe und Rassenprobleme. Es war anzunehmen, das Obama auch ihren Vortrag nicht dem Zufall überließ. Anders als bei der Amtseinführung Clintons sollten die Millionen auf der Mall nicht verzweifelt mit den Augen rollen ob der fürchterlichen Reimkunst eines Dichters.

Mit den Augen gerollt hat mit großer Wahrscheinlichkeit Barack Obama am Vorabend des großen Tages, als ihm die Nachricht vom Fernsehauftritt seines Stellvertreters und dessen Frau berichtet wurde. Vizepräsident Joseph Biden und Gattin Jill plauderten bei Oprah Winfrey in der Talkshow, als Frau Biden plötzlich indiskret wurde und verkündete, ihr Mann habe sich aussuchen können, ob er Vizepräsident oder Außenminister habe werden wollen.

Joe Biden entglitten die Gesichtszüge, das Publikum grölte, aber da war der Schaden schon angerichtet. Jill Biden, die der Vizepräsident Jilly ruft, ließ das Blut endgültig in den Adern gefrieren, als sie die Entscheidung für das Vize-Amt auch noch wortreich begründete: So könne die Familie besser beieinander bleiben und sich auf Veranstaltungen treffen. Das Außenamt sei hingegen mühsam, man müsse viel reisen. Hillary Clinton wird sich über die Nachricht gefreut haben. Und die neue Regierung weiß nun, dass sie nicht nur auf einen geschwätzigen Vizepräsidenten aufpassen muss.

Künftig sollen diese Nachrichten hinter den Mauern des Weißen Hauses verborgen bleiben. In der Residenz, vor der nach Bushs erster Amtseinführung die Menschen noch demonstrierten, wurden die Kuscheltiere für die Obama-Kinder auf den Betten drapiert und der Hauskoch machte sich mit den Lieblingsspeisen der First Family vertraut.

Barack Obama wird am Ende des langen Tags sein Büro inspiziert haben, das George Bush wenige Stunden zuvor makellos hinterlassen hatte. Einzig in der Schreibtischschublade steckte ein Brief vom alten an den neuen Präsidenten, so wie es die Tradition will. In dem Brief sei vom "fabelhaften neuen Kapitel" die Rede, das Obama nun aufschlagen werde, sagte eine Sprecherin. Der Rest bleibt zwischen den beiden Männern.

Ankunft und Abschied: die Ehepaare Obama und Bush. Foto: Reuters

Einer von Millionen Obama-Fans am eiskalten Dienstag in Washington. AP

Am Morgen in der Mall: Schon früh haben sich die Menschen in Washington eingefunden, um die Vereidigung Obamas zu erleben. Foto: AP

Schutz für den Scheidenden: Bewaffnete Polizisten bewachen den Hubschrauber von George W. Bush. AFP

Vor dem "Gotteshaus der Präsidenten": Die Washingtoner St. John's Episcopal Church, die Barack und Michelle Obama am Morgen besuchten, steht in der Nähe des Weißen Hauses. Reverend Luis Leon (rechts) begrüßte das Paar vor der Kirche. Mit Transparenten und Fahnen hießen Amerikaner den neuen Präsidenten in der Nähe des Kapitols willkommen. Foto: AP

Bush, George W.: Rücktritt Bush, George W.: Wohnsitz Cheney, Richard B. Alexander, Elizabeth Biden, Joseph R. Weißes Haus Feierlichkeiten zur Amtseinführung von Barack Obama SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Natürliche Zeitlupe

Teenietraumvampir: Catherine Hardwickes "Twilight"

Im Vampirfilm geht es immer um Erotik; aber man kann die Figur des bedrohlichen Verführers schon mit mehr offensichtlichem Sex-Appeal ausstatten als, sagen wir mal, Nosferatu. Es gibt eine merkwürdige Sorte Knilch, mit der man erwachsene Frauen zwar in die Flucht schlagen kann, aber wenn man sie anschaut, weiß man sofort: Diese Typen sind der Hit auf jedem Pausenhof. Catherine Hardwicke, seit "Thirteen" sozusagen Hollywoods Fachfrau für Pubertätsfragen, hat ein feines Gespür bewiesen, als sie den englischen Knaben Robert Pattinson als Teenietraumvampir Edward Cullen in der Verfilmung von "Twilight - Biss zum Morgengrauen", dem ersten Teil von Stephenie Meyers Bestseller-Reihe, besetzte – der ist genau der Richtige für die Rolle. Alle starren ihn an, nicht nur der Klassenneuzugang Bella Swan (Kristen Stewart), als er die Schulcafeteria durchschreitet, mit solch lasziver Arroganz, dass einem die Zeitlupe, in der er sich bewegt, geradezu natürlich vorkommt. Es gibt tatsächlich eine Form jugendlicher Selbstsicherheit, die irgendwie von Haus aus unverschämt wirkt.

Bella ist fasziniert von dem blasierten Edward, aber der geht ihr aus dem Weg - er kann sie offensichtlich im wahrsten Sinne des Wortes nicht riechen. Dann aber rettet er sie vor einem Auto, wobei sie erstens herausbekommt, dass er zu schnell für einen normalen Menschen ist, und zweitens, dass das Geschnüffel nur daher rührt, dass er sich in sie verknallt hat. Und schon steckt Bella mittendrin in einer Vampir-Love-Story - der ganze im Lauf der Jahrhunderte adoptierte Cullen-Clan, dem der lokale Arzt vorsteht: alles Untote, aber sehr beherrscht. Bei Cullens gibt's nur Tierblut. Die Liaison des Filius mit einem potentiellen Abendessen sorgt in der Familie aber dennoch für einigen Unfrieden.

Ein vergnüglicher Film ist "Twilight" ja durchaus, mit all dem, wozu das Vampirthema einlädt - durchchoreographierte Kämpfe, Flugszenen, zarte Annäherungsversuche zwischen den beiden Helden. . . Ein fast übertrieben schöner Bilderrausch, der einen eigentümlichen Reiz entwickelt - und es wird einem auch nicht langweilig in dieser Teenie-Romanze. Man darf nur nicht anfangen, drüber nachzudenken. "Twilight" ist die Ausgeburt amerikanischer Prüderie, versetzt mit Träumereien von einem höchst fragwürdigen bürgerlichen Idyll. Die romantische Idee, Vampirismus und Unsterblichkeit könnten eine Teenagerliebe in die Ewigkeit hinüberretten, ist ja noch eher niedlich; die Vehemenz, mit der sich "Twilight" für die totale Teenie-Keuschheit einsetzt - man muss sich nichts vormachen, um nichts anderes geht es, wenn Edward Cullen sich abmüht, Bella beim Knutschen nicht zu beißen -, die ist eher enervierend.

Das Gesellschaftsbild dieser von Upperclass-Vampiren dominierten Kleinstadt ist denn auch eindeutig. Die Cullens sind Bilderbuch-Wasps, White Anglo-Saxon People mit Geld und einem kaltweißgläsernen Designerhaus. Dann gibt es noch ganz böse Vampire, die zufällig so aussehen wie ärmliche Punks, und der Rest ist von mittelständischer Langweiligkeit, ganz besonders die Öko-Indianer-Fraktion, mit der der Cullen-Clan so eine Art Waffenstillstandsabkommen hat. Mit anderen Worten: Dieses Vampir-Universum ist ungefähr so spießig wie die Kleinstadt, die Reese Witherspoon und Tobey Maguire in "Pleasantville" aufmischten - nur mit dem Unterschied, dass jener Film davon handelte, dass es nichts Traurigeres gibt als Menschen, die sogar in Rastern träumen. In "Twilight" ist die leblose Perfektion der Cullens, ihr langweiliges Spießertum das Nirwana, nach dem alle streben.

Man kann das natürlich als Antwort sehen auf die Libertinage der Teenie-Filme in den Neunzigern, in denen es überhaupt nur ums Flachlegen und um Ekelgags ging - nur macht "Twilight" nicht den Eindruck, als hätte Catherine Hardwicke tatsächlich so weit gedacht, das Terrain auszuloten zwischen postmoderner Moralverweigerung und liberalem Verantwortungsgefühl - sondern als bediene sie unbedarft die Sehnsucht nach unbefleckter Teenieromantik. SUSAN VAHABZADEH

TWILIGHT, USA 2008 - Regie: Catherine Hardwicke. Buch: Melissa Rosenberg. Nach dem Roman von Stephenie Meyer. Kamera: Elliot Davis. Mit: Kristen Stewart, Robert Pattinson, Billy Burke, Ashley Greene, Nikki Reed. Verleih: Concorde, 122 Minuten.

Irgendwie zahnlos: Kristen Stewart und Robert Pattinson Concorde

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Die Welt hofft auf einen Neuanfang

Merkel und Brown erwarten von Obama Hilfe gegen die Wirtschaftskrise, Iran fordert ein Ende der "Feindschaft"

München - Der neue US-Präsident Barack Obama hat zur Amtseinführung am Dienstagabend Glückwünsche aus aller Welt erhalten. Zugleich äußerten viele Staats- und Regierungschefs die Hoffnung, dass es künftig wieder eine bessere Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika geben werde. Bundeskanzlerin Angela Merkel wünschte Obama viel Erfolg im Kampf gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise. "Die Vereinigten Staaten sind der Schlüssel auch für die Besserung der wirtschaftlichen Lage weltweit." Wenn es in den USA nicht aufwärts gehe, werde es auch für andere Regionen "sehr, sehr schwierig", sagte sie im Kanzleramt in Berlin. Weitere wichtige außenpolitische Aufgaben der neuen Regierung seien ein Nachfolgeabkommen für das Klimaschutzprotokoll von Kyoto, die Nahost-Politik und die Nato-Strategie in Afghanistan.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy erklärte, er wolle mit Obama "die Welt ändern". Er könne es kaum erwarten, dass der neue US-Präsident "an die Arbeit" gehe. Großbritanniens Premierminister Gordon Brown bot Obama eine intensive Kooperation an: "Großbritannien steht bei den zahlreichen internationalen Herausforderungen, die vor uns liegen, für eine enge Zusammenarbeit mit der US-Regierung bereit", zitierte ein Sprecher aus einem Brief Browns an Obama. Als Themen nannte Brown den Kampf gegen die Wirtschaftskrise, den Umweltschutz, den Nahost-Friedensprozess und Afghanistan. Großbritannien ist traditionell der engste Verbündete der Vereinigten Staaten. Stephen Harper, Regierungschef in Kanada, einem Nachbarland der USA, forderte, Obama solle sich für die Stabilisierung der Wirtschaft einsetzen.

Aus Russland lag zunächst keine offizielle Reaktion der Staats- und Regierungsspitze vor. Präsident Dmitrij Medwedjew sagte laut der Nachrichtenagentur Interfax aber bei einem Treffen mit Sergej Kisljak, dem russischen Botschafter in Washington: "Natürlich hoffen wir, dass sich mit dem Antritt der neuen US-Regierung die Beziehungen zwischen unseren Ländern adäquat entwickeln, vor allem, weil sich in der letzten Zeit eine Menge Probleme angehäuft haben.” Man hoffe, zur Regierung von Obama in Amerika "eine stabile, aktive Beziehung aufzubauen". Er rechne damit, "dass wir darüber beim ersten Besuch des neuen Präsidenten reden werden".

Die iranische Führung wünscht sich einen Neuanfang in den Beziehungen zu den USA. Außenminister Manutschehr Mottaki erklärte, die USA hätten in den vergangenen Jahren keine vernünftige Annäherung an Iran gesucht. Wenn Obama die Vergangenheit hinter sich lasse und Feindschaft sowie Hegemoniestreben beende, werde es "keine Feindschaft geben". Vergangene Woche hatte bereits Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad gesagt, eine Annäherung, die auf Respekt und Freundschaft basiere, "würden wir sehr begrüßen".

Israels Präsident Schimon Peres würdigte Obamas Amtseinführung als großen Tag für die ganze Welt. Damit werde einer der größten Fehler der Geschichte, nämlich die Sklaverei, korrigiert, sagte Peres in Jerusalem. Peres versicherte, Israel werde für Obama ein guter Partner sein. Alle hofften, dass Obama mit gutem Willen und Dialog eine friedliche Lösung für alle betroffenen Parteien im Nahen Osten bringen könne.

Papst Benedikt XVI. wünschte Obama Erfolg und Gottes Segen zum Aufbau einer gerechten und freien Gesellschaft. In einem Telegramm äußerte er die Hoffnung, Obama möge zu gegenseitigem Verständnis, zu Zusammenarbeit und Frieden unter den Nationen beitragen. SZ

In Kenia, Herkunftsland von Barack Obamas Vater, feiern die Menschen den neuen US-Präsidenten. Reuters

Reaktionen auf die Wahl Barack Obamas zum Präsidenten der Vereinigten Staaten Feierlichkeiten zur Amtseinführung von Barack Obama SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Bode und Bauhaus

Liam Gillick plant Kunst-Edition für die Biennale in Venedig

Kaum ein Haus ist anspruchsvoller und für Künstler schwerer zu bewältigen als der Deutsche Pavillon in Venedig. Der ehemalige "Padiglione Bavarese" der Münchner Secession, 1912 mit antikisierendem Dekorationsfries verhübscht und danach als Pavillon des ganzen Reiches fungierend, wurde 1937 von den Nazis eiskalt-monumental aufgemotzt. Seitdem muss, wer dort ausstellt, auch irgendwie mit der Architektur verfahren - entweder kritisch oder eskapistisch.

Der Brite Liam Gillick, der in diesem Jahr Deutschland auf der Biennale vertritt, wird nun am 12. Februar in Berlin die Erinnerung an die Nachkriegszeit wachrufen, als man den Pavillon ernsthaft modernisieren wollte. Die in geringer Auflage hergestellte, bis zu einem halben Meter große Kunst-Edition, die Gillick als Diskussionsbeitrag im Rahmen seiner Arbeit für Venedig versteht, wird das Modell eines Entwurfs des Documenta-Gründers Arnold Bode sein, den dieser 1957 schuf: In bester Bauhaus-Tradition war ein schlichter Kubus mit seitlich versetztem Eingang vorgesehen, der das Gebäude sozusagen entgiftet hätte. Damals hatte das Auswärtige Amt sogar Kontakt zu einigen der bedeutendsten Baumeister des Landes aufgenommen, zu Hans Scharoun, Egon Eiermann und Ludwig Mies van der Rohe, um den pseudosakralen Nazitempel umzubauen.

"Ich interessiere mich für die Frage, was bei der Renovierung des Deutschen Pavillons in den Sechzigern geschah: Hat niemand je darüber nachgedacht, ob das Haus entfernt und ein neues gebaut werden soll?", so Gillick zur SZ. "Es gab solche Pläne. In diesem Terrain bewege ich mich gedanklich und finde Ideen. Das Haus ist ein Ort der Erinnerung, es zeigt seine Geschichte." Gillick hat Kontakt zum Documenta-Archiv aufgenommen; Spekulationen, er werde Bodes Pläne in Venedig tatsächlich 1:1 ausführen, erteilte er jedoch eine Absage.

Gillick, der in seinen Arbeiten immer wieder urbanistische Themen reflektiert, spielt mit Bodes Modell aus einer Zeit, als das Land wirklich noch modern dachte, auch auf aktuelle städtebauliche Entwicklungen an - beispielsweise in Berlin, wo man ein Monument der Moderne nach dem anderen abreißt, um einen Feudalbau der Hohenzollern dem Umriss nach emporwachsen zu lassen. Der Kommissar des Deutschen Pavillons, Nicolaus Schafhausen, wollte nicht ausschließen, dass der Erlös der Edition auch der Finanzierung für die Biennale dient, sieht die Summe aber als nachrangig an.

Nachdem schon Anfang 2008 die Deutsche Bank als Hauptsponsor des Deutschen Pavillons absprang, finanziert jetzt Hugo Boss den Auftritt, dessen Auftraggeber freilich das Auswärtige Amt und das Institut für Auslandsbeziehungen sind - von ihnen kommt ein Beitrag von etwa 250000 Euro. Weitere Sponsoren und auch das Goethe-Institut werden ebenfalls beteiligt sein. Bleibt die Frage, ob der Auftraggeber zukünftig nicht auch der Hauptfinanzier sein sollte. HOLGER LIEBS

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Die Zeitenwende

Noch ein Gedenkjahr: 1979 prägt die Welt bis heute

Deutschland bereitet sich auf ein gewichtiges Gedenkjahr vor: Anfang und Ende der alten Bundesrepublik und DDR sind zu begehen. Anfang und Ende der beiden deutschen Staaten markieren die Periode des Ost-West-Konflikts. Es war jedoch das Jahr 1979, in dem die multipolare Welt von heute Kontur gewann. Die beiden Großmächte gaben noch ein Jahrzehnt länger den Ton an, auch schienen sich nach dem Fall der Mauer die Vereinigten Staaten als einzige Supermacht etablieren zu können. Aber die Ausrufung der Islamischen Revolution im Januar 1979 und die zum Scheitern verurteilte Afghanistan-Invasion im Dezember 1979 deuten schon das Ende ihrer Vorherrschaft an. Von Süden betrachtet, war bereits 1979 das annus mirabilis,die Zeitenwende.

Viel geschah damals: Zu Neujahr nehmen die Volksrepublik China und die Vereinigten Staaten endgültig diplomatische Beziehungen auf, Präsident Deng Xiaoping fliegt nach Washington und beendet die lange Todfeindschaft mit den USA. Die Volksrepublik geht auf Weltmachtkurs, den es bis heute fährt - ohne Demokratie, mit der der KP-Chef 1979 ein wenig geliebäugelt hat.

Im März schließen Ägypten und Israel unter Schirmherrschaft Jimmy Carters in Washington Frieden. Premier Menachem Begin und Präsident Anwar al-Sadat, die sich bald darauf auch in Kairo die Hand schütteln, besiegeln ein Zweckbündnis, das heute gegen Hamas gerichtet ist, gegen den Ableger der ägyptischen Moslembruderschaften, seinerzeit der radikalste Flügel des sunnitischen Islam. Moslembrüder und demobilisierte Afghanistan-Kämpfer ziehen bis nach Algerien, wo sie den bis heute nicht befriedeten Bürgerkrieg religiös aufladen. Diese Anfänge des Islamismus (und das Ende des Drittwelt-Sozialismus) konnte man seinerzeit auch in Algier mitverfolgen, noch verkleidet als Aufstand der Arabophonen gegen die Privilegien der an Frankreich orientierten Staatsklasse.

Ayatollah Chomeini ist der Mann des Jahres, der viele blendet und fasziniert, als Reza Pahlewi, der Schah von Persien, abtreten muss. Im Februar triumphal aus dem französischen Exil nach Iran zurückgekehrt, ruft der schiitische Geistliche am 1. April die Islamische Republik aus, die sich als zäheste Herausforderung beider Großmächte erweisen sollte. Deren Koexistenz wird im Salt-II-Abkommen im Juni 1979 noch einmal bekräftigt; die Strategic Arms Limitation Talks reduzieren die Zahl der Interkontinentalraketen. Die Supermächte hocken weiter auf einem Overkill an Sprengköpfen, aber der atomare Schrecken ist durch Dauerverhandlung rationalisiert und wirksam monopolisiert.

Erblühen der Religionen

Die Ratifizierung des Abkommens scheitert im amerikanischen Kongress am Einmarsch der Russen in Afghanistan. Ende des Jahres folgt der Nato-Doppelbeschluss über die Mittelstreckenraketen in Europa. Der bringt den USA und der Sowjetunion offene oder verkappte Dissidenten in ihren Blöcken ein und gestaltet die bilateralen Beziehungen wieder frostiger. Besonders die Bevölkerungen der beiden deutschen Staaten nehmen jetzt eine Art innere Kündigung bei ihren Schutzmächten vor. Es beginnt die deutsche Wiedervereinigung, auch wenn drei Viertel der Westdeutschen noch überzeugt sind, dass sie die selbst nicht mehr erleben werden.

Europa wächst unterdessen zwischen den Blöcken und über sie hinaus, allerdings auf die übliche Weise eines ökonomischen, die Bürger wenig bewegenden Institutionalismus. An der ersten echten Wahl zum Europäischen Parlament im Juni bleiben Beteiligung und Interesse schwach. Damals gilt noch: Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa. Doch im März starten Deutsche und Franzosen das Europäische Währungssystem EWS, ein System fester, aber flexibler Wechselkurse. Es füllt das Vakuum, das nach dem Ende des Systems von Bretton Woods entstanden ist, und bewirkt eine supranationale Harmonisierung, die zur Euro-Zone führt. Auch in Wirtschaft und Handel war nun die Hegemonie der Dollarökonomie gebrochen, die US-Wirtschaft, voran der Leitsektor Automobilindustrie in Detroit, schleppt sich von Krise zu Krise und kann die Weltwirtschaft nicht mehr auf Schwung bringen.

Zur Konjunkturkrise kommt im Juni mit dem zweiten Ölschock (und einem historisch hohen Benzinpreis von einer Deutschen Mark pro Liter) die Energiekrise, das OPEC-Kartell stellt seine Funktionsfähigkeit unter Beweis. Die Konsequenz: Nuklearstrom wird die gesuchte Alternative, auch wenn die Vereinigten Staaten im März in Harrisburg knapp an einer Katastrophe vorbeischrammen und die Sowjetunion gewiss mehrere Beinahe-Havarien vom Tschernobyl-Typ überstanden hat. Was heute kaum noch jemand weiß: Im Februar beruft die World Meteorological Organization in Genf die erste Welt-Klima-Konferenz ein. Beunruhigende Veränderungen des Klimas sind bereits erkennbar - eine ganze politische Generation lang könnten wir Bescheid wissen und Vorkehrungen getroffen haben, aber schon damals lenken Autokrise und Schneechaos vom Wesentlichen ab. Das Bewusstsein der Endlichkeit der fossilen Zivilisation, das der Bericht des Club of Rome über die "Grenzen des Wachstums" zu Beginn des Jahrzehnts schaffen wollte, verbreitet sich nicht. China, Indien, Brasilien und andere Tigerstaaten, damals noch an der Schwelle, folgen dem Skript der karbonen Wirtschaftsgeschichte Europas, Amerikas und Russlands, ohne die Kehrseiten zu sehen.

Fürchtet euch nicht vor Amerika

Erkannt werden sie von Postmaterialisten im reichen Norden, die aus dem Status verlachter Waldschrate heraustreten. Im Lauf des Jahres 1979 formen ernüchterte Linksradikale und konservative Schöpfungsbewahrer die grüne Anti-Partei, die im Oktober gleich ins Parlament von Bremen einzieht, vor allem aber in Gorleben und Bonn gegen die Atomkraft zu Felde zieht. Nimmt man die kommenden Proteste gegen den Nachrüstungsbeschluss hinzu, wächst nicht nur in Westdeutschland die größte außerparlamentarische Kohorte seit langem.

Die Grünen sind in Europa die einzig flächendeckende Parteigründung seit der Restauration der parlamentarischen Systeme nach 1945, die ökologische Wende schaffen sie aber nicht. Sie bringen vielmehr die europäische Sozialdemokratie in eine Krise, von der sie sich nirgendwo wirklich erholen wird - und damit, da die Neulinge allein auf Rot-Grün setzen, fast überall die Neokonservativen ans Ruder. Eine lange Ära des Interessenausgleichs zwischen Kapital und Arbeit geht zu Ende, auch eine sozialdemokratische Illusion politischer Planung und Staatsintervention.

Radikalste Verfechterin des Klassenkampfs von oben wird Margret Thatcher, die im Mai als Prime Minister in die Downing Street Nummer 10 einzieht. Von ihr stammt die militante, gegen Gewerkschaften und Wohlfahrtsstaat zielende Formel "There is no Alternative", ein großflächiges Programm der neoliberalen Deregulierung. In Kalifornien schickt sich 1979 ein Ex-Gouverneur namens Ronald Reagan an, den durch die Iran-Krise in Bedrängnis geratenen Jimmy Carter zu beerben. Der Exponent des rechten Flügels der Republikaner ist ebenfalls der Meinung, der Staat sei nicht die Lösung, sondern das Problem.

Unter anderem weil der Kapitalismus seit den Siebziger Jahren ungleicher, ungerechter und exklusiver geworden ist und weil Amerika in vielen Ländern des Südens kaum mehr Strahlkraft besitzt als die späte Sowjetunion, erblühen weltweit politische Religionen und religiöser Fundamentalismus. Das symbolische Ereignis des Jahres 1979 ist deswegen die Demütigung der Supermacht bei der Besetzung ihrer Botschaft in Teheran und die gescheiterte Befreiung der Geiseln.

"Fürchtet euch nicht, Amerika ist zu nichts fähig", predigt Chomeini, auch die Sowjetunion nennt er eine teuflische Macht, die sich im afghanischen Guerillakrieg ruinieren wird. Die islamische Republik hat die Intifada und den palästinensischen Regionalkrieg internationalisiert, sie tritt in den Club der Atommächte ein. Zum Jahrestag der Islamischen Revolution gibt Chomeini die Parole aus: "Wir müssen uns alle erheben, den Staat Israel auflösen und das Volk Palästinas an seine Stelle setzen".

CLAUS LEGGEWIE

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Ein Polizeistaat namens L.A.

Aktuelle Wut, gespeist aus der Geschichte: "Der fremde Sohn" von Clint Eastwood

Immer wenn man meint, diesem Film auf die Schliche zu kommen, überrascht Clint Eastwood, der alte Fuchs, seine Zuschauer von neuem. Ein Historienfilm, denkt man zunächst: weil die Farben angegraut und entsättigt sind, weil Angelina Jolie glockenförmige Stummfilmhüte trägt und durch Los Angeles eine Straßenbahn fährt. "Eine wahre Geschichte", heißt es dann auch lapidar auf einer Schrifttafel - nicht "basierend auf" oder "inspiriert von". Mit diesem Anspruch wird "Changeling/Der fremde Sohn" von der unglaublichen Prüfung einer gewissen Christine Collins erzählen, deren Sohn eines Tages im Jahr 1928 spurlos verschwunden war, woraufhin ihr eine korrupte Polizei einen falschen Straßenjungen unterschob und dann versuchte, ihre Proteste durch Einweisung in die Psychiatrie zu ersticken.

Die Mutter, ewig gehetzt

Aber nein, keineswegs nur historisch - ein moderner Mütterfilm, meint man wenig später zu spüren: Wie sensibel und zugleich gnadenlos hier dem ewigen Schuldbewusstsein der berufstätigen oder auch nur lebenshungrigen Frau nachgespürt wird - da liegt plötzlich sogar der Fall Maddie ganz nah. Christine Collins, eine Tour de Force für Angelina Jolie, hat ihr neunjähriges Kind zu Hause alleingelassen, sie stürzt also wie gehetzt aus der Arbeit, wird aber vom Vorgesetzten aufgehalten, der sie loben und befördern will - ja danke, sagt sie, aber nicht jetzt. So gebremst verpasst sie die Trambahn, kommt aufgelöst in ihrer Straße an - und wie leer und dunkel und tot das Haus in diesem Moment schon daliegt, das bestätigt die schlimmsten Ängste und schnürt ihr die Kehle zu.

Doch Moment: Vielleicht geht es doch eher um einen Monsterfilm? Ein Film wie "Das Omen", mit einem Monster in Kindergestalt, einem Wechselbalg wie aus Märchen und Sagen. Das untergeschobene Kuckuckskind sperrt gierig den Schnabel auf und scheint immun zu sein gegen den Hass seiner Wirtsmutter. "Goodnight, Mommy", sagt es, genauso scheinheilig wie gruselig. Aber auch wieder falsch - denn bald verwandelt sich alles in einen sehr direkten Frauengefängnisfilm à la "Frauen bis aufs Blut gequält" - zumindest für einige Zeit: Wenn nämlich Angelina Jolie in die geschlossenen Abteilung der Psychiatrie eingeliefert wird, erlebt sie das volle Programm der denkbaren Scheußlichkeiten, vom Elektroschock bis zur Durchsuchung aller Körperöffnungen, ausgeführt von einer bösen blonden Aufseherin.

Und dann, kaum ist die Hauptfigur vorläufig weggesperrt, beginnt schon wieder etwas Neues, ein richtiger Serienkillerfilm: Es gibt Hinweise auf verschwundene Jungs, die zu einer abgelegenen Farm in der Wüste führen, auch der echte Sohn der verzweifelten Mutter könnte dort gewesen sein. Wenn der unerschrockene Detektiv an diesem Ort ankommt, lauert die Kamera ihm schon auf, durch einen Spalt im Holzverschlag lugt sie hindurch. Gleißendes Sonnenlicht, undurchdringliche Schatten. Aus den Schatten aber ragen Äxte und Hackebeile hervor, in solcher Zahl, dass man denkt: Ist ja gut jetzt. . . Eine Tür knarzt eindrucksvoll. Ein aufgescheuchtes Huhn flattert auf.

In Windeseile also wechselt der Regisseur Eastwood seine Stilmittel und Erzähltechniken, aber er lässt das alles völlig natürlich erscheinen, und er macht auch kein Aufhebens darum. Und so war es ja wirklich, könnte man sagen: Der Fall des falschen Collins-Jungen mündete ganz unmittelbar in das größte Verbrechen, das bis dahin die Stadt Los Angeles erschüttert hatte - in den Fall des Massenmörders Gordon Northcott.

Wie soll das also weitergehen: Ein Gerichtsdrama, bei dem mit donnernder Stimme die Gerechtigkeit zurückschlägt? Dazu das Kurzporträt eines getriebenen Kindsmörders, gespielt von Jason Butler Harner, bei dem Peter Lorre sehr heftig grüßen lässt? Und zuletzt noch ein Statement zur Todesstrafe? Aber ja, alles drin, alles mit dabei. Wer gerne klassischen Erzählern folgt, die ihre Motive zu perfekten Paketen verschnüren, wird hier irritiert sein. Denn diese Geschichte, der Eastwood so beharrlich in allen Wendungen folgt, verweigert sich dem Wunsch nach Auflösung. Wo in Wirklichkeit Zweifel blieben, wird auch der Film keine Antworten geben - und die Hinrichtung eines Verurteilten ändert daran schon gleich gar nichts.

Aber dann ist es doch so, dass aus ganz verschiedenen Richtungen, in einer Art experimentellen Zangenbewegung, Erkenntnisse eingekreist und schließlich dingfest gemacht werden. Sie tragen ein gro es Potential an Wut in sich - und man meint zu spüren, dass diese Wut auch Eastwood selbst antreibt. Es geht um den Wahnsinn, dem man sich zum Beispiel gegenübersieht, wenn eine unkontrollierbare Sicherheitsbürokratie beginnt, ihre eigene Realität zu schaffen.

Dann sagt der Verstand, dass ein neunjähriger Junge nicht innerhalb eines halben Jahres um fünf Zentimeter schrumpfen kann. Doch Polizisten und Ärzte reden so lange, bis sie wegerklärt haben wollen, was nicht wegzuerklären ist. Genauso - diese Verbindung muss dann aber der Zuschauer selbst ziehen - wirkte oft genug das Realitätsverständnis der Bush-Administration.

Korrektur mit Donnerhall

Und die Rechtlosigkeit einer Frau, die allein durch die Unterschrift eines Polizisten weggesperrt werden kann - erinnert sie nicht an das Gefühl, dass heute Guantanamo-Häftlinge haben müssen? Im Grunde geht es hier um Terror von Staats wegen, um einen Polizeistaat, der sich für kurze Zeit mitten in Amerika ausbreiten konnte. Und doch: Amerika wäre bei Eastwood nicht Amerika, wenn seine aufrechten Bürger das nicht schon nach kurzer Zeit mit Donnerhall korrigieren würden. In unseren Gerichtssälen, scheint er zu sagen, bleibt noch einiges zu tun. TOBIAS KNIEBE

CHANGELING, USA 2008. Regie: Clint Eastwood. Buch: J. Michael Straczynski; Kamera: Tom Stern. Mit Angelina Jolie, John Malkovich, Jeffrey Donovan. Universal, 142. Min.

"Das ist nicht mein Kind!" wird Christine Collins (Angelina Jolie) in Clint Eastwoods "Der fremde Sohn" stöhnen, flüstern, brüllen. Doch der Polizist Captain J.J. Jones (Jeffrey Donovan, rechts) glaubt ihr nicht. Foto: image.net

Eastwood, Clint Der fremde Sohn SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Es wäre ein Traum, wenn das realisiert würde . . .

Mariss Jansons und die Freunde seines Orchesters wollen am Münchner Marstall einen neuen Konzertsaal errichten. Jetzt hat Seehofer den Plänen zugestimmt

Das mehrmals totgesagte Projekt, den Marstall an der Rückseite der Münchner Residenz in einen international konkurrenzfähigen Konzertsaal zu verwandeln, hat eine überraschende Wiederbelebung erfahren. Den Anstoß dazu hat der neue bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) gegeben, der beim Jahresempfang der Evangelischen Akademie in Tutzing sagte, er sei überzeugt, "dass wir in München einen Konzertsaal brauchen". Vorausgegangen war ein Gespräch Seehofers mit Mariss Jansons, dem Chefdirigenten des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunk, der seit geraumer Zeit den Neubau eines Konzertsaals fordert. Offenbar hat Janssons' Befürchtung, München werde ohne einen Saal mit höchster Klangqualität seinen Rang als führende Musikstadt verlieren, auf den Ministerpräsidenten Eindruck gemacht. Auf SZ-Anfrage fügte Seehofer hinzu, er betrachtete einen Konzertsaal auf dem Marstallgelände als große Chance für die Kunst- und Kulturstadt München: "Ich möchte dieses Projekt. Wir müssen jetzt alle Hebel in Bewegung setzen, um es möglich zu machen."

Für den ehemaligen bayerischen Finanzminister Kurt Faltlhauser, der gemeinsam mit Jansons für den Konzertsaal kämpft, sind Seehofers Aussagen ein bedeutsamer Schritt in die richtige Richtung. Von einem Durchbruch zu reden, sei aber zu früh, denn noch müsse sich Seehofer mit dem Koalitionspartner FDP absprechen. Vorrangig wird es dabei ums Geld gehen, und das ist angesichts der Finanzkrise und des Landesbank-Desasters im Freistaat knapp. Kunstminister ist neuerdings der Liberale Wolfgang Heubisch, und der hat sich in puncto Finanzierung schon vor Wochen skeptisch geäußert. Mindestens 120 Millionen Euro würde der Bau kosten, etwa ein Drittel der Summe sollen Sponsoren und private Spender locker machen sowie der Bayerische Rundfunk, dessen Orchester hier die seit langem ersehnte Heimat fände. Heubisch gibt sich auch nach Seehofers Vorstoß zurückhaltend: Ein neuer Konzertsaal sei zwar "wünschenswert", doch zuvor müsse man unter anderem klären, ob das Marstallgelände tatsächlich der richtige Standort sei und "welche Konstruktion eine solche Konzerthalle" haben solle.

Das Marstall-Projekt ist seit Jahren ein steter Quell für Streitereien in Politik und Öffentlichkeit. Faltlhauser und Jansons machen dabei gehörig Dampf, insbesondere mit der Schreckensvision des kulturellen Niedergangs Münchens. Vor allem die Akustik der Münchner Musikhallen steht in der Kritik. Weder der Herkulessaal in der Residenz noch die Philharmonie im städtischen Kulturzentrum Gasteig können Jansons zufolge mit den besten Sälen mithalten. "Was nützt es", klagt Jansons, "wenn wir sagen, wir sind die führende Musikstadt, und gleichzeitig gibt es keinen Saal mit einer Spitzenakustik." In aller Welt gebe es inzwischen exzellente Konzertsäle, wohingegen München so übel beleumdet sei, dass "viele Orchester hier nicht mehr spielen wollen". Faltlhauser warnt: "Hamburg baut die Elbphilharmonie, ein spektakuläres Vorhaben! Kann München in einem derartigen nationalen Wettbewerb zurückstecken? Sicherlich nicht."

Als Faltlhauser noch Finanzminister im Kabinett Stoiber war, hat die Staatsregierung per Ideenwettbewerb auszuloten versucht, ob das Marstallgebäude die Voraussetzungen für eine kulturelle Nutzung erfüllt. Der Marstall ist ein höfischer Prachtbau, um 1820 errichtet vom königlichen Baumeister Leo Klenze. Das marode Architektur-Monument, das derzeit dem Residenztheater als Kulissenlager, Werkstatt und Studiobühne dient, muss in jedem Fall saniert werden. Faltlhausers Hoffnung ist, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: den Marstall aufzumöbeln und damit gleichzeitig das Konzertsaal-Problem zu lösen. Als Sieger des Ideenwettbewerbs gingen die Berliner Kanzleramts-Architekten Axel Schultes und Charlotte Frank hervor. Ihr Entwurf sieht für die freie Fläche hinter dem Marstall einen Zwillingsbau in moderner Formensprache vor. Der Altbau würde als Foyer dienen, stünde aber auch für Ausstellungen, Vorträge und Theaterproben zur Verfügung.

Nach dem Ideenwettbewerb war das Projekt ins Stocken geraten. Stoiber und sein Nachfolger Beckstein hatten andere Probleme, die Finanzkrise schien dem Vorhaben endgültig den Garaus zu machen. Gleichwohl focht Faltlhauser, seit zwei Jahren nicht mehr im Amt, unverdrossen weiter. Er steht an der Spitze des Vereins "Konzertsaal Marstall", der Geld zu sammeln verspricht, sobald die Staatsregierung sich zum Bau entschließt. Faltlhauser schöpft jetzt neue Hoffnung: "Es ist ein Traum, wenn das realisiert würde." WOLFGANG GÖRL

Theater im Marstall: Umbau Konzerthallen in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Rückzug aus Berlin?

Christie's steht vor Veränderungen

Andreas Rumbler, Geschäftsführer von Christie's Deutschland, hat am Dienstag Meldungen über eine Schließung des Berliner Standorts des Auktionshauses dementiert. Es seien keine dahingehenden Entscheidungen gefallen, so Rumbler. Anfang der Woche hatte es Spekulationen gegeben, das Berliner Büro sei bereits geschlossen. In jüngster Zeit hatte das Haus bekanntgegeben, dass man in den deutschen Niederlassungen Stelleneinsparungen plane (SZ vom 17. Januar). Christie's beschäftigt weltweit etwa 2100 Menschen, der Konkurrent Sotheby's um die 1500 Mitarbeiter. Mit 4,82 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr 2008 verbuchte Christie's ein Minus von elf Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Am Dienstag war die Berliner Niederlassung entgegen anderslautender Meldungen besetzt. Wie sich die Einbußen auf die internationale Struktur der Auktionshäuser auswirken werden, ist derzeit fraglich. Rumbler räumte ein, es werde Veränderungen bei Christie's in Europa geben. irup

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Florian Havemann Sohn eines DDR-Dissidenten und Kandidat der Linkspartei

Mit einem selbstbewussten Satz hat Florian Havemann, Sohn des 1982 noch zu Lebzeiten der DDR verstorbenen SED-Kritikers Robert Havemann, seine Absicht bekundet, bei der Bundestagswahl im Herbst auf der Landesliste der Linkspartei in Brandenburg zu kandidieren: "In Staat und Politik stehen große Veränderungen bevor, auf die ich als unabhängiger Kopf und Intellektueller vielleicht Einfluss nehmen kann." Das klingt nicht, als hätte hier einer Lust auf Parteidisziplin. Es klingt eher nach: Ich will da rein.

Die Linkspartei, vormals PDS, hat Havemann 1999 als juristischen Laien für das Amt eines Verfassungsrichters in Brandenburg nominiert, das er derzeit noch innehat. Seine zehnjährige Amtszeit endet jedoch 2009. Für den Bundestag hat er schon einmal auf einer PDS-Landesliste kandidiert, im Jahr 2002 in Sachsen, allerdings vergeblich.

Florian Havemann, geboren 1952 in Ost-Berlin, entstammt einer untergegangenen Welt: der kulturellen und intellektuellen Aristokratie der frühen DDR. Daran, dass es diese seltsame Schicht in der Welt des deutschen Sozialismus gegeben hat, lässt er in dem Ende 2007 erschienenen 1100-Seiten-Buch "Havemann" keinen Zweifel. Es enthält unter den "Ich-Ich-Ich"-Kaskaden, mit denen es die Form der Autobiographie wie einen Expander dehnt, einen der faszinierendsten deutschen Familienromane des zwanzigsten Jahrhunderts.

Das Buch verfolgt die Lebensgeschichte des Großvaters und Vaters vom Ersten Weltkrieg und Expressionismus, über Nationalsozialismus und die Aufbaujahre der DDR bis hinein in die ästhetische und politische Opposition zur Zeit des Prager Frühlings; diese Bewegung war ein lange Zeit kaum wahrgenommenes östliches Gegenstück zu den 68ern im Westen und zu den Vorboten der Punk-Welle. Der junge Florian Havemann, befreundet mit dem Schriftsteller Thomas Brasch, wurde nach seinem Protest gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR für einige Monate inhaftiert. 1971 floh er in den Westen. Wolf Biermann, der mit Robert Havemann befreundet war, widmete dessen Sohn das wenig freundliche Abschiedslied "Enfant perdu". Florian Havemann publizierte 1978 im Spiegel eine Attacke auf seinen Vater, die diesen schon damals der politischen Sphäre entführte und zum Helden eines monströsen Familienromans machte.

Die Genealogie des Kultur-Adels der DDR war keine des Blutes, sondern der Gesinnung. In seinen Affären waren privater und politischer Verrat oft nicht zu unterscheiden. In Havemanns Buch "Havemann" aus dem Jahre 2007 avanciert Wolf Biermann zum Gegenspieler des Ich-Erzählers, der dem Sänger eine Affäre mit Margot Honecker nachsagt. Nicht nur Familienmitglieder gingen juristisch gegen "Havemann" vor. Der Suhrkamp Verlag musste Ende 2007 die Auslieferung stoppen. Seit Herbst 2008 liegt eine zweite Auflage vor, in der etwa sieben Prozent des Textes geschwärzt sind. Der Rest ist mehr als genug, um sich ein Bild von dem potentiellen Bundestagskandidaten Florian Havemann zu machen. Er konfrontiert Teile der Linkspartei mit ihrer Herkunft. Lothar Müller

Foto: AP

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Ankündigung einer Revolution

Die französische Kaderschmiede ENA soll sich wandeln

Die französische Regierung scheint entschlossen, eine sakrosankte Regelung zu beseitigen, mittels derer bislang die Weichen für die Besetzung der Spitzenpositionen in Verwaltung, Politik und Wirtschaft gestellt wurden. Wie der für den Staatshaushalt zuständige Minister Eric Woerth dieser Tage vor Studenten der Elitehochschule ENA (Ecole Nationale d'Administration) ankündigte, sollen die 10 bis 15 bestbenoteten Absolventen des jeweils 27 Monate dauernden Studiengangs das schon lange kritisierte Privileg verlieren, sich ihr künftiges Tätigkeitsfeld in der bürokratischen Spitze der Republik frei auswählen zu können. Bislang war es Praxis, dass diese Elite der Elite automatisch Aufnahme in der "Cour des Comptes", der "Inspection des Finances" oder dem "Conseil d'Etat" fand. Alle drei Institutionen bieten ihren Mitgliedern die sichere Gewähr zügigen Aufstiegs zu leitenden Positionen in Politik, Verwaltung und Privatwirtschaft.

Wer nicht zu diesen Glücklichen gehörte, musste sich je nach Notendurchschnitt damit abfinden, im weniger prestigeträchtigen diplomatischen Dienst oder im Corps der Präfekten unterzukommen. Beide Laufbahnen sind allein schon deswegen weit weniger beliebt, weil sie mit häufigen Ortswechseln verbunden sind. Außerdem bieten sie nur begrenzte Karrierechancen, die überdies von der jeweils die Regierung stellenden Parteienkonstellation abhängig sind. Schließlich gibt es aus dieser einmal eingeschlagenen Laufbahn lebenslang kein Entrinnen mehr, denn der Aufstieg zu einer Führungsposition in Verwaltung oder Privatwirtschaft ist so gut wie ausgeschlossen. Das verhindert nicht zuletzt der ausgeprägte esprit de corps der jeweils Besten einer "Promotion", die stets darüber wachen, dass diese Positionen nur mit ihresgleichen besetzt werden. Dieser hochdifferenzierte, hochmütig-elitäre Kastengeist der "Enarchen", wie die Absolventen der ENA genannt werden, hat aber auch zur Folge, dass sich Seilschaften und wahre "Dynastien" ausbilden, die von vornherein verhindern, dass Außenseiter eine realistische Chance haben, in den exklusiven Zirkel zu gelangen. Bezeichnend dafür ist, dass die allermeisten Absolventen der ENA aus arrivierten Familien in Paris stammen.

Wer sich nach den Noten im Abschlussexamen noch nicht einmal für die Verwendung als Präfekt oder Diplomat qualifiziert, wird "administrateur civil". Das ist gewissermaßen ein Stigma, denn es signalisiert den Eingeweihten, dass dieser Enarch sich nicht die Qualifikation erworben hatte, um seine Karriere in einem der drei prestigeträchtigen "grands corps d'état", also dem Rechnungshof, der Finanzinspektion oder dem Staatsrat zu beginnen. In der Nomenklatur der Enarchie gelten diese Absolventen deshalb als "sous-hommes", als "Untermenschen".

Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der anders als seine Amtsvorgänger kein Absolvent der ENA ist, hatte diese Auswahlpraxis kürzlich als ";schockierend" bezeichnet, da sie nicht denen, die für einen wichtigen Posten am besten geeignet sind, den Zugang dazu verschafft, sondern dass allein die Noten in einem Abschlussexamen über ein ganzes Berufsleben entscheiden. Die Kritik ist umso berechtigter, als dieser exklusive Club der Spitzen-Enarchen, von dem nicht wenige bald aus dem Staatsdienst ausscheiden, um wesentlich besser bezahlte Führungsposten in der Privatwirtschaft zu übernehmen, ein informelles Netzwerk bildet, das angesichts des traditionell engen Verhältnisses, das zwischen dem Staat und den großen Unternehmen in Frankreich besteht, Nepotismus und "Vetternwirtschaft" Tür und Tor öffnet.

Leider wird die Reform, die darauf abzielt, grundsätzlich allen Absolventen der ENA die gleichen Chancen zu eröffnen, aber erst nach 2011 wirksam werden. JOHANNES WILLMS

Ecole nationale d'administration ENA: Umstrukturierung Hochschulwesen in Frankreich SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Das Design der Krise

Holztisch, Esoterikbett und Barbiezimmer: Die Möbelmesse zeigt, wie man sich passend zum Jahr 2009 einrichtet

Verblüffend: In vielen westlichen Ländern werden die Familien und Haushalte immer kleiner, während die Küchen immer größer werden. Die Küche etwa, die man benötigt, um den laut Hersteller "antiksten Tisch der Welt" angemessen aufzunehmen, sollte 140 Quadratmeter nicht unterschreiten. Derzeit ist dieser Tisch - zwölf Meter lang, fast zwei Meter breit und knapp vier Tonnen schwer - auf der soeben eröffneten Möbelmesse in Köln zu besichtigen. Entworfen hat ihn, im Auftrag der Firma Riva 1920, der Schweizer Architekt Mario Botta, von dem es heißt, er arbeite gern mit massiven und archaischen Materialien.

In diesem Fall stand ihm tausend Jahre altes Kauri-Moorholz aus Neuseeland zur Verfügung, wobei die aus einem einzigen Stück Holz gearbeitete Tischplatte so dick ist, dass die Unterkonstruktion aus schweren Stahlträgern an das Tragwerk einer Fabrikhalle erinnert. Ein besseres Signet hätte sich die diesjährige Möbelmesse kaum aussuchen können. Der Tisch, so antikst wie holzest, steht für "Green Production", also für Ökologie. Dazu mutet er so archaisch an, als stünde er sonst in der Burg Tintagel, um - als allerletztes Konjunkturpaket - nun auch die Ritter der Tafelrunde gegen die Wirtschaftskrise zu versammeln. Und das tausendjährige Holz mag einen mit den Halbwertszeiten der Finanzprodukte und Politikeransichten versöhnen.

In Köln wird folglich - das ist ja durchaus angenehm - in den nächsten Tagen viel gute Laune vor dem Hintergrund von 100 000 Möbeln verbreitet. Ja, sagt man, die Möbelbranche trotzt der Krise erfolgreich. Nein, sagt man, die Umsätze brechen nicht ein. Ja, sagt man, schlechte Zeiten für Autoingenieure sind gute Zeiten für Sofakonstrukteure.

Grüner wird's doch noch

In unsicheren Zeiten bleibe man eben daheim, nähre sich redlich und studiere die Möbelkataloge. Man richtet sich sozusagen ein - in der Krise. Das Ganze nennt man "Homing", "Cocooning" oder "neues Biedermeier". Wobei die wahre Biedermeier-Ära gerade auf dem Terrain der Möbelkunst von staunenswert kühnen, in die Moderne weisenden Formfindungen geprägt war - was man von der ungehobelten Holzästhetik der diesjährigen, wieder einmal pseudo-ökologisch ergrünten Möbelmesse nicht in jedem Fall behaupten kann. Das Mobiliar der Wirtschaftskrise scheint sich vor allem auch einer Krise der Phantasie und einem Mangel an Ingeniosität zu verdanken.

Nicht jedes Möbelstück, das aus einem Baum gesägt wurde, ist dem Gedanken der Nachhaltigkeit verpflichtet. Und nicht jede Holzdekoration der Messestände ist in der Lage, etwas Substantielles zur Diskussion um den Klimawandel zu leisten. Dennoch lässt es sich kaum ein Hersteller entgehen, auf der grünen Welle zu surfen. Da gibt es etwa die "Natürlich Wohnen GmbH", das Label "Design trifft Natur" oder die "Eco-Ethical-Company". Umweltbewusst sind die solcherart vermarkteten Produkte nicht immer. Erst allmählich einigt sich die Branche auf geeignete Zertifikate und überprüfbare Herstellungsstandards. Da ist eine Firma wie Cor weiter: Neben einer angenehm unaufgescheuchten Produktionslinie wird dort - im 25. Jahr! - Peter Malys Sessel "Zyklus" als Jubilar präsentiert. Das ist durchaus ein Beitrag zum Thema Nachhaltigkeit - denn auch die ästhetisch betriebene Neuerungssucht hat etwas mit Öko-Irrsinn zu tun.

Oder die Firma Frommholz: Deren Polstermöbel behaupten erst gar nicht, Design zu sein: Aber es gibt bei Frommholz zehn Jahre Gewährleistung, also das Versprechen auf ein langes Möbelleben. Nicht alle Holzbänke, die auf der Kölner Möbelmesse wie antikstes Wikinger-Picknick-Zubehör herumstehen, können so etwas für sich beanspruchen. Kein Zufall auch, dass die Gestalter von e15, die schon vor Jahren mit der Wiederentdeckung von fulminant formschönen Eichenmöbeln auf sich aufmerksam gemacht haben, in diesem Jahr auffällig antihölzern und mit viel Weiß und elegantem Grau agieren. Möglicherweise sind die e15-Designer ihrer Zeit voraus.

Holz ist nicht das einzige Kennzeichen einer schutzbedürftigen Wohn-Gegenwart. Selten waren beispielsweise so viele Kamine auf der Messe zu sehen. Tröstlich loderndes, dabei streng orthogonal gefasstes Feuer heizt so manchem Stand ein. Einmal sogar unter dem Begriff "ecosmartfire" - ob hier unbezahlte Gasrechnungen als Energieträger dienen?

Auf Knopfdruck

Auch die Esoterik boomt in Zeiten wegbrechender Glaubenssätze: Bei "Relax" schläft man in Betten aus Zirbenholz, weil durch die in der Zirbe enthaltenen ätherischen Öle - "wissenschaftlich erwiesen" - die Herzfrequenz günstig beeinflusst werde. Wer in einem Relax-Bett schläft, so Relax, spare sich pro Tag 3500 Herzschläge. Und auch gegen Wasseradern schirme das Relax-Bett ab, das man übrigens auch mit kleinen Plättchen aus Rohdiamanten ordern kann. Schließlich ist die Heilkraft der Diamanten nicht zu unterschätzen. Vermutlich gilt das auch für das benachbarte Bett "Private Cloud", ein Privatwolkenbett in Form einer Babywiege für Erwachsene. Es soll sich ebenso zur Entspannung eignen wie der Wellness-Lounge-Sessel "brainLight", der inklusive Visualisierungsbrille, Kopfhörer sowie 50 Licht- und Tonprogrammen ausgeliefert wird.

"Die meisten Menschen", so brainLight, "berichten nach mehrmaligen Anwendungen von positiven geistigen Veränderungen und erhöhter Lernfähigkeit." Man lernt nicht aus. "Nur wer einen kühlen Kopf bewahrt und innerlich ausgeglichen ist", heißt es etwa über das Modell, das auf den Namen "Synchro be relaxed" hört, "hat heutzutage beste Chancen, sein Leben mit Freude und Erfolg zu meistern." Vielleicht sollte der Synchro be relaxed angesichts der Bedeutung der Wissens- und Retro-Relaxed-Gesellschaft in eines der noch anstehenden deutschen Konjunkturprogramme aufgenommen werden. Zumindest wäre zu überlegen, ob der antikste Tisch der Welt zusammen mit ein paar Ecosmartfire-Kaminen und brainLight-Berieselungssesseln das künftige Humboldtforum bereichern könnte. "Ausgeglichenheit auf Knopfdruck": Was wäre den politischen, wirtschaftlichen und ästhetischen Bilanzen der Gegenwart sonst zu wünschen? GERHARD MATZIG

Die rosarote Brille reicht nicht mehr: In schwierigen Zeiten muss es schon das rosarote Jugendzimmer "Barbie at home" von Wellemöbel sein. Foto: Markus Oh

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Im Dienst Amerikas

Von Stefan Kornelius

Das Geheimnis des Menschenfischers ist an diesem Tag gut zu erahnen, wo sich Millionen zu seinen Ehren versammelt haben. Da ist sie zu greifen, jene Spannung, von der Barack Obama so trefflich lebt, da sind all die Gegensätze, die sich bekanntlich anziehen. Der Präsident als Projektionsfläche: der Schwarze in der multikulturellen Nation Amerika; der Mann aus einfachen Verhältnissen, der es bis an die Spitze des Landes geschafft hat; Obama, der im Wohnheim für junge Obdachlose die Wände malert und Obama, der das Weiße Haus bezieht; und schließlich der scheinbar so demutsvolle Obama, der nun ein machtvolles Amt ausfüllt, das eigentlich keine Zweifel zulässt.

Obamas Aufstieg ist eine moderne Märchengeschichte, gespickt mit Zutaten aus dem Cybernet und der globalisierten Welt. In ihr gibt es Kenia und Honolulu, Krieg und Hoffnung, Depression und Aufstieg. Es ist eine anrührende Geschichte, in der die Naivität der beiden Obama-Kinder als Beleg dafür dient, dass wir alle staunend vor diesem Phänomen stehen dürfen: "Erster schwarzer Präsident, hoffentlich geht das gut", sagte die Tochter kürzlich in aller Öffentlichkeit. Wie schön, dass da einer von Zweifeln geplagt ist und dennoch den Mut aufbringt, diese Herkules-Aufgabe zu schultern.

Am meisten Spannung aber hat Obama mit seiner inneren Einstellung geschaffen. All seine Pathos-geladenen Worte zeugen von einer Demut, die nicht selbstverständlich ist für einen amerikanischen Präsidenten. Da scheint einer zuzuhören, nicht nur zu befehlen. Da scheint einer um den besten Weg zu ringen, nicht alles bereits zu wissen.

Diese Einstellung erklärt, warum Obama zum Menschenfischer wurde, warum er ein Unterstützerheer von Millionen von Freiwilligen im Wahlkampf mobilisierte und sogar in Deutschland 200 000 Menschen auf die Straße trieb. Mach Dich klein, damit andere sich groß fühlen können - das ist Obamas Führungsprinzip, das ihm zu seiner besonderen Größe verhilft.

Keine andere Vokabel umschreibt diesen Stil besser als responsibility, was sich nicht nur mit "Verantwortung" oder "Zuständigkeit" übersetzen lässt, sondern auch mit "Pflicht". Responsibility, der Schlüsselbegriff in Obamas Denk-Universum, steht für eine dienende Haltung, eine klassische Tugend, die so gar nicht von Arroganz oder Machtwahn zeugt. Responsibility ist Obamas Kurzfassung für den berühmten Kennedy-Satz, ebenfalls bei einer Amtseinführung vorgetragen: Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann, frage, was Du für Dein Land tun kannst. Mit diesem Aufruf zur Verantwortlichkeit gibt Obama die Last des Amtes zurück an die Wähler, er verteilt die Aufgaben auf viele Schultern, und er gibt der amerikanischen Politik eine neue Richtung vor.

Denn war es nicht der Irak-Krieg, der so hochgradig verantwortungslos war? Waren es nicht provozierende, unverantwortliche Formulierungen, wie die von der "Achse des Bösen", das "mit uns oder gegen uns", die Formel vom "alten und neuen Europa", die den Vereinigten Staaten am Ende die Gefolgschaft kosteten? Und wie steht es um die Pflicht zur Mäßigung, zur Selbstbescheidung, wo doch alle Welt bereits wusste, dass es sich bei diesem Staat um den mächtigsten seit Rom handelte?

Responsibility steht für eine dienende Haltung. Und so stellt sich da einer in den Dienst seines Volkes, obwohl er doch an der Spitze dieser Menschen steht und von ihnen bewundert und getragen wird. Obamas Machtdemonstration war an diesem 20. Januar auf der Mall in Washington zu sehen, wo sich Millionen stellvertretend in die Pflicht nehmen ließen. Wer so viel Begeisterung und freiwillige Gefolgschaft generiert, der macht es den Gegnern Amerikas schwer. Das Feindbild USA, von vielen lustvoll geschürt und von Terroristen brutal ausgebeutet, wird von heute an nicht mehr so leicht funktionieren.

Amerikas Schwäche war nämlich nicht nur George W. Bush und seiner Kamarilla geschuldet, sondern einer Geisteshaltung, die sich im ganzen Land breit gemacht hatte: einem imperialen Größenwahn, einem Machtrausch, der nicht mal Platz für Freunde ließ. Das Land hatte dadurch erst seine Anziehungskraft verloren. Obamas größte Leistung besteht bisher darin, dass er mit dem Tag der Amtseinführung diesen Magnetismus wieder aktiviert hat. Plötzlich schauen Menschen in aller Welt wohlwollend auf Amerika, auf diese positive und dynamische Gesellschaft, die so viel Freiheit erlaubt. Die Millionen bei der Amtseinführung auf der Mall haben das Feindbild Amerika geschliffen und damit das Land weniger angreifbar gemacht.

Die Eidesformel - das Amt ehrenvoll zu führen und die Verfassung des Landes zu bewahren, zu schützen und zu verteidigen - beschreibt, wofür Barack Obama nun die Zuständigkeit trägt. Bisher hat der neue Präsident dieses Versprechen mit großen Vokabeln gefüllt: Vertrauen, Hoffnung, Wandel und eben responsibility. Ein verantwortungsbewusstes Amerika - das kann Barack Obama vom ersten Tag an garantieren. Seinem Land und der Welt hätte er damit schon einen wichtigen Dienst erwiesen.

Obama, Barack Feierlichkeiten zur Amtseinführung von Barack Obama Image und Selbstverständnis der Amerikaner SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Dünne Berliner Luft

Kosten essen Kunst auf: Wie die Deutsche Oper schlagartig zu 800 000 Euro Defizit kommen konnte

Alles ist relativ, in Relation zueinander. Es kann einem zwar schwindelig werden, wenn man von den gewaltigen Geldsummen und ihrer Bankenherkunft hört, den Milliardenpaketen und Billionenlöchern, für die jede Vorstellungskraft fehlt. Wenn man nun an jene gerade bekannt gewordenen 800 000 Euro Defizit der Deutschen Oper Berlin denkt, die plötzlich im Kalenderjahr 2008 ein Loch in die Kasse des Hauses gerissen haben, dann fehlt auch dafür die richtige Vorstellung. Ist das nicht, im Vergleich mit der Bankenbranche, eine gefühlte Petitesse? Und doch entsteht dem zweitgrößten deutschen Opernhaus aus der Zahl ein Problem, das dramatische Folgen haben kann.

Die institutionalisierte Krise

Hinter der "nur" sechsstelligen Summe steckt nicht die Tatsache, dass man über seine Verhältnisse gelebt hat, sondern, wie Axel Baisch aussagt, der Geschäftsführende Direktor der Oper, ein Finanzstrukturproblem in der äußerst krisenanfälligen Berliner Opernlandschaft, deren Anfälligkeit durch eine der Krise trotzende Opernstiftung keineswegs dauerhaft behoben wurde. Zwei Hauptursachen lassen sich demnach für das Defizit ausmachen, die zu tun haben mit einem strukturellen Ungleichgewicht der drei großen Häuser: Deutsche Oper, Staatsoper und Komische Oper.

Erstens schnitt die Deutsche Oper bei der Etaterhöhung um 20 Millionen Euro, die sich die Opernstiftung Anfang 2008 gutschreiben durfte, deutlich schlechter ab als etwa die Berliner Staatsoper, die die Hälfte davon erhielt. Von den vier Millionen für die Deutsche Oper blieben aber wegen der längst verfügten Zuschussabsenkung nur 1,5 Millionen übrig, die in Technik und Gehaltserhöhungen der Musiker flossen. Zweitens wurden 2008 der Deutschen Oper 900 000 Euro aufgebrummt, weil die Karlsruher Versorgungskasse des Bundes und der Länder durch Satzungsänderung eine Zusatzzahlung vieler Institutionen in die Rentenversicherung des Öffentlichen Dienstes verfügte. Die hat aber nur die Berliner "West-Oper" zu zahlen, während die beiden anderen, im Osten der Stadt gelegenen Häuser davon ausgenommen sind. Bis 2015 fällt eine ähnliche Summe jährlich an, die, so Axel Baisch, zum Beispiel bei der Bayerischen Staatsoper vom Finanzministerium dort beglichen werde.

Für Baisch, der gute Nerven und Zuversicht zu besitzen scheint, ist es selbstverständlich, dass das Haus in Zukunft einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen muss und wird. Hat die Deutsche Oper Berlin also einfach nur Pech gehabt? Intendantin Kirsten Harms, deren Vertrag bis 2011 läuft und die das Haus gern weiterhin führen würde, sieht den grundsätzlichen Konflikt, in dem sich viele Theater in Deutschland befinden: Dass in einem Land, das auf Wachstum angelegt ist, die Tarifsteigerungen für das Personal von Theatern aus dem hauseigenen Etat zu bezahlen sind. Wodurch die Kunst in Gefahr gerät.

Die Politik ist gefragt

"Das Personal im Theater kann man eben nicht, wie in vielen anderen Branchen, durch Technik und Rationalisierung ersetzen." Für Berlin hofft Kirsten Harms auf die Einsicht der Politik, dass die Finanzierung der kontinuierlichen Kostensteigerungen nicht von der Kultur selbst, der Kunst und den Künstlern, gezahlt werden kann, denn sonst säge man an dem Ast, auf dem man selbst sitzt: "Es ist ja die Kultur, die den Mythos Berlin belebt. Und Kultur, die Magnetkraft besitzt, ist schließlich ein wichtiger Wirtschaftsfaktor."

Woher soll die Deutsche Oper 2010 Zusatzkosten von 2,6 Millionen Euro nehmen? Einsparungen dürfen so wenig wie möglich im künstlerischen Bereich vonstatten gehen, der "Kunde" soll - wie in anderen Branchen - so lange wie möglich nichts von einer Minderung der Qualität spüren. So müssen zunächst der Gebäudeunterhalt, die Werbung sowie die technischen Investitionen pausieren. Zugleich geht es, sehr vorsichtig, an jene Stellen, die aus Altersgründen frei und nicht mehr besetzt werden. Schon jetzt sind von den 550 Planstellen der Deutschen Oper nur noch 510 tatsächlich besetzt, in Chor und Orchester sind 14 Stellen eingespart. Reduziert werden Vorstellungen und Premieren, von denen es statt sechs nur noch vier bis fünf geben wird, einschließlich der Koproduktionen. Die Eröffnungspremiere der nächsten Spielzeit, Beethovens "Fidelio", ist abgesagt.

Wird das Sparen zum Kaputtsparen? Wenigstens scheint der designierte Generalmusikdirektor Ronald Runnicles, nicht zu resignieren, sondern sich an dem Spagat von künstlerischer Qualität und deren Finanzierung mit eigenen Ideen zu beteiligen. WOLFGANG SCHREIBER

Deutsche Oper Berlin: Krise Berliner Opernkrise 2000- SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Im Starrsinn gefangen

Und wieder sind die Gespräche über eine Machtteilung in Simbabwe geplatzt. Präsident Robert Mugabe kämpft verbissen um seine Herrschaft. Die wichtigsten Ministerien will er der Opposition von Morgan Tsvangirai, dem designierten Premier, nicht zugestehen. Das passt zu Mugabes absurden Durchhalteparolen und seinem perversen Satz: "Simbabwe ist mein". Weil aber die Armee und die Sicherheitskräfte noch immer hinter dem alten Mann stehen, der das Land in den Ruin getrieben hat, gelingt es der Opposition in Harare nicht, Mugabe unter Druck zu setzen.

Allein die afrikanischen Nachbarstaaten, allen voran der Wirtschaftsmotor Südafrika, können auf Mugabe noch stärker einwirken, schließlich ist Simbabwe ein Binnenland und ohne die Transitrouten und Versorgungswege an die Küste nicht fähig, zu überleben. Nur die Nachbarn können Tsvangirais Verhandlungsgewicht erhöhen, indem sie Mugabe klarmachen, dass sie weitere Alleingänge und Tricksereien nicht mehr dulden. Womöglich ist der Starrsinn des alten Mannes aber schon so groß, dass er die Signale von außen nicht mehr zur Kenntnis nimmt. Die mächtigen Generäle und Parteifunktionäre um Mugabe werden die Warnungen aber hören. Und sie werden sich gut überlegen, wie lange sie Mugabe noch als Präsidenten halten können, wenn sie von ihren Nachbarn scharf geächtet werden. Dann muss Mugabe irgendwann fallen.

Noch versuchen die Afrikaner, das Abkommen vom September durchzusetzen, in dem Mugabe Präsident bleibt und Tsvangirai Premier wird. Mit einem Staatschef, der droht und unfähig ist, Kompromisse zu schließen, hat diese Lösung aber kaum noch eine Chance. perr

Mugabe, Robert Tsvangirai, Morgan Regierungen Simbabwes SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Leider lauwarm

Die Londoner "White Lies" wären gerne eine große kalte Rockband

Der leere, abwesende Blick ist beliebt in der Bandfotografie und in Musikvideos. Weltschmerz, Melancholie, Trauer über die Sinnlosigkeit des Lebens und manches mehr scheinen den Rocksänger zu bedrücken. Tiefes Leiden suggeriert der Blick. Die White Lies haben ihn besonders gut drauf. Er passt ideal zum Arsenal der Düsternis, das die Band bereithält. Das drei 20-jährigen Londoner tragen natürlich immer schwarz, dunkel rollt der Bass, kalt schweben die Keyboard-Akkorde über der Stimme von Sänger Harry McVeigh, die von Angst, Tod und fernen Schreien in der Nacht erzählt. Englands Musikpresse feiert das Album "To Lose My Life" (Polydor/Universal, 2009) schon jetzt als die große Hoffnung des Rock 2009. Sie ist einer Band erlegen, die das große Erbe von Joy Division für Stadion und Pausenhof aufbereitet hat. McVeigh singt mit Ian Curtis' kehligem Tremolo Hymnen des Schmerzes, die jeden Teenager einladen, traurig seinen Kopf zur Seite zu legen, mitzusingen, sich in Schwermut zu suhlen. Ian Curtis genügte es noch "Love will tear us apart" zu singen, den White Lies reicht das nicht mehr, sie brauchen ein düsteres, aber nicht allzu böses Schauspiel. Doch die Zitation finsterer Pop-Motive ergibt noch keine große Band. Da hilft auch der leerste Blick nichts. BENEDIKT SARREITER

Der leere, abwesende Blick ist beliebt in der Bandfotografie und in Musikvideos. Weltschmerz, Melancholie, Trauer über die Sinnlosigkeit des Lebens und manches mehr scheinen den Rocksänger zu bedrücken. Tiefes Leiden suggeriert der Blick. Die White Lies haben ihn besonders gut drauf. Er passt ideal zum Arsenal der Düsternis, das die Band bereithält. Das drei 20-jährigen Londoner tragen natürlich immer schwarz, dunkel rollt der Bass, kalt schweben die Keyboard-Akkorde über der Stimme von Sänger Harry McVeigh, die von Angst, Tod und fernen Schreien in der Nacht erzählt. Englands Musikpresse feiert das Album "To Lose My Life" (Polydor/Universal, 2009) schon jetzt als die große Hoffnung des Rock 2009. Sie ist einer Band erlegen, die das große Erbe von Joy Division für Stadion und Pausenhof aufbereitet hat. McVeigh singt mit Ian Curtis' kehligem Tremolo Hymnen des Schmerzes, die jeden Teenager einladen, traurig seinen Kopf zur Seite zu legen, mitzusingen, sich in Schwermut zu suhlen. Ian Curtis genügte es noch "Love will tear us apart" zu singen, den White Lies reicht das nicht mehr, sie brauchen ein düsteres, aber nicht allzu böses Schauspiel. Doch die Zitation finsterer Pop-Motive ergibt noch keine große Band. Da hilft auch der leerste Blick nichts.

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Reichlich reduziert

Andrew Bird versöhnt den verqueren Folk mit dem Pop

Als begabter Violinist, solider Gitarrist und begnadeter Kunstpfeifer hat man es nicht leicht in der Popwelt (es sei denn, man will bei Jethro Tull oder im Mittelalterrock groß rauskommen). Andrew Bird kann davon ein Lied, nun ja, singen, geigen, pfeifen. Jetzt veröffentlicht der 35-jährige Multiinstrumentalist das achte Album seiner bislang eher erfolglosen Karriere. Aber schon mit seinem letzten Album ("Armchair Apocrypha", 2007) hatte sich angedeutet, dass er von der Öffnung des Pop zum verquerem Folk profitieren wird. "Noble Beast" (Fat Possum, 2009) beginnt mit der Essenz seines bisherigen Werks: Streicher, eine gezupfte Gitarre, eine gepfiffene Melodie. Der Musiker aus Chicago weiß, wie man Pophits schreibt - er weiß nur nicht, ob er das auch wirklich will. Es kämpft der Virtuose mit dem Popfan und dem feinsinnigen Arrangeur. Die Songs sind vielschichtig. Pastoral und doch bescheiden, elegisch und doch hoffnungsvoll. In "Masterswarm" wird reichlich gejammert - um das Lied nach einer Minute in einen munteren Bossanova kippen zu lassen. Er spielt den perfekten Popsong ("Fitz and the Dizzy Spills"), Grunge-Balladen ("Natural Disasters"), Kammermusik-Klangexperimente ("Unfolding Fans"), Country-Perlen ("Souverian"). Aber es ist kein Eklektizismus. Bird ist einfach ein Feind der Reduktion. Er zelebriert Komplexität. Allerdings ohne damit auch nur eine Sekunde zu nerven! JAN KIRSTEN BIENER

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Wild windend

Gewalttänze: Esa-Pekka Salonens neues Klavierkonzert

Von Schaffenszweifeln scheint Komponist Esa-Pekka Salonen - Jahrgang 1958 und auch weltberühmter Dirigent - nicht heimgesucht zu sein, auch wenn eines seiner Stücke den Titel "Insomnia" trägt. Auf seiner neuesten Platte (DG) versammelt Salonen drei vor Kraft nur so strotzende Stücke, deren beständige und sich dauernd steigernde Energieentladungen einem beim ersten Hören überwältigen. Bei mehrmaligen Hören schälen sich feine Strukturen aus diesen dahinrauschenden Lavaströmen heraus, die ihre Herkunft von Strawinsky nie verleugnen, aber Klangoberflächen anbieten, die Pendant scheinen zu Wolkenkratzern aus Stahl und Glas: wild im Sonnenlicht glitzernde Klangtürme.

Zentrum der Platte ist das von Yefim Bronfman gespielte Klavierkonzert, ein halbstündiger Dreisätzer, der sich nach kurzer Orchestereinleitung vom Soloinstrument angeführt zu einen zunehmend entgrenzten Massentanz von Großstadtmenschen steigert. Diese mit kraftstrotzender Grazie inszenierten Gewalttänze prägen alle Stücke der CD - auch das Orchesterstück "Helix", das sich auf den finalen Punkt hinwindet: fulminanter Jubel des Publikums. Salonen ist versierter Kenner des Orchesters, seine Technik ist stupend, seine Durchhaltevermögen überwältigend. So einem kann, im Gegensatz zu vielen europäischen Kollegen, Komponieren nicht zum Problem werden - oder sollte das im Kraftrausch der Stücke verborgen sein?

REINHARD J. BREMBECK

Salonen, Esa-Pekka SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Kleiner Erfolg, großes Problem

Warum die Grünen nun dem Konjunkturpaket zustimmen wollen, das sie jüngst noch gegeißelt haben

Von Nico Fried

Versetzen wir uns noch einmal zurück zum Wahlabend in Hessen. Die gewaltigen Stimmenzuwächse von FDP und Grünen sowie die lausigen Ergebnisse von CDU und SPD wurden - neben hessischen Spezifika namens Koch und Ypsilanti - auch dem Verdruss vieler Wähler an der großen Koalition in Berlin zugeschrieben. Diese große Koalition müht sich derzeit, die Wirtschaftskrise zu bekämpfen, und zwar in einer Weise, an der FDP und Grüne bislang wenig - oder besser gesagt: nichts - Positives fanden. Beide Sachverhalte nun zusammengenommen, konnte man das Wahlergebnis auch als Kritik an der Konjunkturpolitik der Bundesregierung interpretieren - und etliche Grüne und Liberale formulierten das auch so.

Insofern ist es erstaunlich, dass sich wiederum FDP und Grüne plötzlich darin überbieten, über die Landesregierungen, an denen sie beteiligt sind, der großen Koalition ihre Hilfe anzudienen. Die Liberalen forderten am Montag immerhin noch ein bisschen mehr Steuererleichterungen, die Grünen wollten am Dienstag nur noch ein Detail der Abwrackprämie geändert wissen. Beide Parteien aber ließen deutlich erkennen, dass sie im Bundesrat nicht scheitern lassen wollen, was ihre Vertreter im Bundestag jüngst noch als Sammelsurium, Flickschusterei, Veräppelung, Schrott, Frechheit oder Voodoo-Ökonomie bezeichnet haben.

Den Grünen ist es damit gelungen, der FDP eins auszuwischen. Die Liberalen sind die Rolle des alleinigen Mehrheitsbeschaffers wieder los, die ihnen, das sei zugegeben, auch viele Medien voreilig zusprachen.Das ist ein hübscher kleiner Erfolg der Grünen, der allerdings ein hässliches großes Problem kompensieren muss: Wie erklärt man, dass jetzt nahezu bedingungslos zu verteidigen ist, was vergangene Woche noch fast bedingungslos zu verdammen war? Wiegt ein taktischer Sieg über die FDP mehr als politische Grundsätze? Gerade die grüne Klientel soll da ja sehr empfindlich sein.

Die Bundesregierung aber ist nun in einer Lage, von der sie wohl kaum zu träumen wagte. Sie kann sich aussuchen, wessen Hilfe sie annimmt. Die SPD wird den Grünen entgegenkommen wollen, die Union eher der FDP. Womöglich gelingt es Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier auch, beide Parteien einzubinden - nationale Kraftanstrengung, Bündnis der Vernunft und so.

Man muss nicht gleich so weit gehen, in ihrer unvermuteten Hilfsbereitschaft ein Eingeständnis der Opposition zu sehen, dass die Regierung ihren Job in der Wirtschaftskrise gar nicht so schlecht macht. Eher ist es wohl die Einsicht bei FDP und Grünen, dass alles Mäkeln nicht hilft, wenn die große Koalition mit Moneten um sich wirft. Es braucht Mut, sich der Verteilung von 50 Milliarden Euro zu widersetzen. Jenseits aller parteitaktischen Überlegungen aber gibt es auch einen guten Grund, warum gerade die Bundesländer sich dem Konjunkturpaket nicht verweigern sollten: Sie profitieren am meisten davon.

Steuer- und Finanzpolitik von B90/Grüne Verhältnis der FDP zu B90/Grüne Konjunkturpaket II der Bundesregierung 2009 SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Glück und Verdienst

Der Bundespräsident gratuliert Joachim Kaiser zum 80.

Einen glücklichen Jubilar feierte Bundespräsident Horst Köhler, als er am gestrigen Dienstag in Schloss Bellevue ein Essen für Joachim Kaiser zu dessen 80. Geburtstag gab. Glück habe Kaiser gehabt, weil ihm schon als Kind Musik und Literatur zugänglich wurden: "Ein Lebenszufall, eine Gnade."

Aber aus diesem Glück habe Kaiser auch etwas gemacht: "Sie waren nie ein schlampiges Genie, die es auch gibt, sondern Sie haben sich Ihr Leben lang gebildet." Unablässige Arbeit, Entdeckergeist, Leidenschaft - damit habe Kaiser die glückliche Ungerechtigkeit ausgeglichen, so früh und selbstverständlich in die Kultur zu finden. So wuchs ein guter Lehrer für ein gutes Feuilleton, das die Leser zu den Werken führt, nicht zum Verfasser des Artikels. "Sie brauchen Ihre hohe Bildung nicht in falscher Bescheidenheit zu verstecken, weil Sie sie für das Publikum nutzbar machen wollen", sagte Köhler. "Das spüren die Leser - und darum verehren sie Sie."

Dem konnte der Gefeierte nicht widersprechen. Ja, Talent sei nur die eine Hälfte, gab Joachim Kaiser zu bedenken, aber man müsse ihm auch gewachsen sein. Ein Pianist, der nach einer halben Stunde Partiturstudium eine Mahler-Symphonie nachspielen könne, verfehle seine Ziele, wenn er nicht Charakter habe. Reichtum an Begabung und ein Charakter, der ihr entspreche, darin bestehe das verdiente Glück der Meisterschaft. Kaiser erinnerte sich an einen alten Herren, der mit siebzig zum ersten Mal die "Ilias", dann auch die "Odyssee" schön fand und fragte, ob dieser Homer noch mehr geschrieben habe. Spätes Glück - aber am Ende eines "homer- und humorlosen Lebens".

Damit war die Bühne frei für die beiden alles beherrschenden Themen der Stunde: die Krise und die Bildung. Der Ökonom Köhler forderte mehr Kommunikation zwischen Feuilleton und Wirtschaftsteil. Ein Kollege der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gab zu bedenken: Nun, da alle ökonomischen Theorien sich als unhaltbar herausgestellt hätten, könne es nur noch um ihre Schönheit gehen. "Das ist mir zu feuilletonistisch", befand Kaiser, der gestand, zum ersten Mal in seinem Leben die Zeitungslektüre neuerdings mit dem Wirtschaftsteil zu beginnen. Zeugt diese unhomerische Verspätung nicht auch von großem Glück? GUSTAV SEIBT

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Münchner Kindl

Dirigentin Young und Regisseur Stückl versuchen es an der Bayerischen Staatsoper mit Pfitzners "Palestrina"

Seltsam, diese entspannte Gelassenheit danach. Barockmeister Marc-Antoine Charpentier nannte zwar "Les arts florissants" eine "Idyle en musique" - aber Hans Pfitzners "Palestrina", ebenfalls intensiv beschäftigt mit dem Blühen der Künste, ist zumindest vom Thema her alles andere als eine Idylle. Verhandelt vielmehr eine drastische Schaffenskrise des Renaissancekomponisten Palestrina (der als Alter Ego Pfitzners durchgehen darf), die aber viel idyllischer tönt als Charpentiers charmante Mini-Oper. Dieser verblüffenden Diskrepanz zwischen Ton und Wort ist es zuzuschreiben, dass man das Münchner Nationaltheater nach viereinhalb Pfitzner-Stunden in mild heiterer Stimmung verlässt.

Für das Milde und Gelassene ist vor allem Dirigentin Simone Young zuständig. Die Hamburger Opernchefin ist sich nur allzu bewusst, dass der selten gespielte "Palestrina" vor 88 Jahren im kleinen Münchner Prinzregententheater erstaufgeführt wurde - mitten im Ersten Weltkrieg, dessen Vorahnung und Spuren erkennbar sind in der resignierenden Grundstimmung angesichts einer aus den Fugen geratenden Welt. Young und das Staatsorchester umwerben Pfitzners elegant dahinmäandernde Textur, die keine Verdickungen kennt, kein großes Pathos und so gut wie keine Expansionen. Aber auch kein Furioso und kein Presto und keine gnadenlos die Seele aufreißende Innenschau.

Pfitzner als sein eigener Librettist ist ein eleganter Erzähler, der die hier verhandelten Themen - Unglück, Todesverzweiflung, Existenzängste - mit Pastellklangfarben und episch breit skizziert. Daraus resultiert der Eindruck entspannter Gelassenheit. Doch lässt es sich nicht von der Hand weisen, dass diese gewichtigen Themen in Verbindung mit einer derart leicht virtuosen Kompositionsmanier letztlich zu leicht genommen werden. Simone Young aber und das durch Understatement beeindruckende Staatsorchester spielen, als hätten sie seit Jahrhunderten täglich mit dieser Partitur zu tun. Spielfluss und Konzentration sind ihr Motto, und so strömt die Musik Stunde um Stunde beglückend dahin.

Lichte Trauer ist Pfitzners Anliegen, und das kann er mit seinem ausgebremsten Temperament überaus gut. Das können auch Gabriela Scherer und besonders Christiane Karg sehr gut. Die beiden eröffnen nach kurz tastendem Vorspiel die Oper, und weil Pfitzner wie schon Richard Wagner größere Probleme mit Frauen hatte, müssen die beiden Hosenrollen spielen - Kastraten waren zu Pfitzners Zeiten schon passé und Countertenöre noch nicht in Mode.

Ambivalent abgeklärt

Scherer gibt, leicht herb, den nach Avantgarde lüsternen Silla, der seinen Lehrer Palestrina für demodé hält. Hatte Wagner in den "Meistersingern", dem Vorbild für "Palestrina", seinen Beckmesser mit hämisch ungelenker Musik bedacht, die bei gutem Willem als Avantgarde durchgehen kann, so verhält sich Pfitzner zum Anderen ambivalent abgeklärter. Zumindest in dieser Oper - ansonsten konnte dieser Antisemit und Deutschnationale auch ganz anders. Doch alles, was 1917 als Avantgarde hätte gelten können, kann mit der harmlosen Silla-Musik nicht gemeint sein, kein Schönberg und kein Mahler. Das Neue wird hier nicht kategorisch abgelehnt. Aber wie Palestrina ist auch Pfitzner aufgrund innerer Widerstände unfähig, sich auf dieses Neue einlassen zu können.

Diese mit Verständnis untermauerte Unfähigkeit produziert die Trauer des "Palestrina", die besonders schön bei Christiane Kargs Ighino, dem Sohn des Komponisten, herauskommt. Karg singt einen phantasiebegabten Jungen, dem Um- und Zusammenbruch der Welt des Vaters größte Angst bereiten. Was ist da für ein Ahnen und Stocken in Kargs Stimme, die so ganz ohne histrionische Mätzchen eine ins Leben pubertierende Kinderseele portraitiert.

Ansonsten kann nur Michael Volle auf diesem Niveau mitsingen. Als Giovanni Morone leitet er eine Sitzung des Trienter Konzils - sichtlich am Rande des Nervenzusammenbruchs, aber immer gefasst, immer im letzten Moment die Contenance wahrend. Denn das in Massen aufgefahrene Klerikergezücht hat nichts als Zank, Zwietracht, Eigennutz im Sinn. Aber Volle moderiert, legt Würde in seinen elegant geführten Bariton, dessen strömende Linien lockend beruhigen, lächelnd antreiben, untergründig drohen.

In Volle und Karg geht das anfangs von Regisseur Christian Stückl gewählte Konzept auf, der die Geschichte offenbar streng aus einer Schauspielperspektive erzählen möchte. Nur Körper und Tonfall sollen zählen. Firlefanz, Einfälle, Aktion werden dagegen gebändigt - aber das ist in der gern mit Ungenauigkeiten und Unwägbarkeiten operierenden Oper Hybris. Und selbst wenn jenseits von Karg und Volle auch alle anderen dieses Konzept kongenial mitgetragen hätten, so bleibt doch fraglich, ob mit diesem kaum in die Tiefe dringendem Ansatz eine solch komplexe Oper angemessen ausgeleuchtet hätte werden können.

Der erste Akt, er kann als Oper für sich gelten, beschreibt eine Schaffenskrise und ihre Überwindung. Dass Stückl in einer Vision die Komponisten der Vergangenheit wie die Meuterer auf der Bounty hochfahren lässt, grüne Engel nazarenerhaft hinstellt und Palestrinas Frau als Münchner Kindl-Puppe zeigt, gehört eher ins Arsenal des Schichtl als der Staatsoper. Genauso das Grimassieren von Falk Struckmann in Gesang und Spiel. Mit Betontönen degradiert er den Kunstfreund und Kirchenpotentaten Carlo Borromeo fast schon zur schmierigen Knallcharge und gibt dessen große Szene der Lächerlichkeit preis.

Christopher Ventris wirkt in der Titelrolle indisponiert, auch ist seine Stimme zu schwer und zu unbeweglich für eine Rolle, die eher den leicht eleganten Liedersänger als den Heldentenor erfordert - Karl Erb, Julius Patzak, Fritz Wunderlich und Nicolai Gedda brillierten einst als Palestrina. Ventris jedenfalls spielt und singt mit zu viel Nachdruck, setzt zu viel Kraft und zu große Gesten ein, um diesem doch eher verhalten in Sinnlosigkeit watenden Komponisten gerecht werden zu können.

Nach diesem Akt hätte problemlos Schluss sein können. Doch Pfitzner wollte mehr, wollte nicht nur das Psychogramm einer Schaffenskrise, sondern auch - da wird die Geschichte unangenehm - den totalitären Schulterschluss von Kunst, Politik und Kirche. Wobei er sich keine Illusionen machte über die Verkommenheit dieser Institutionen. Stückl aber verweigert die Analyse dieses befremdlichen Wunsches. Also gibt es als zweiten Akt ein allzu langes Scherzo, das sich oft in belanglosen Details verliert und in dem der auf die Farben Pink und Grün geeichte Bühnenbildner Stefan Hageneier alle Hände voll mit Kardinalsausstattung zu tun hat. Jedenfalls quillt die Szene über, und immer wieder liefert der eine oder andere Würdenträger Kabinettsstückchen gelungener Genrekunst: John Daszaks giftet tenoral, Wolfgang Koch flegelt spanische Arroganz, Roland Bracht grantelt alpines Missvergnügen.

Abgesang und Apotheose

Der dritte Akt dann Abgesang und Apotheose mit überlebensgroßer Papstpuppe und lindwurmlangem Papamobil. Eine kurze Sterbeszene ist das bei Stückl, Trauer der Vollendung, Einverständnis mit dem Fortgang der Welt. Mild und utopisch ist diese angehängte Versöhnung von Alltag mit Kunst, und zeigt ganz klar, dass Pfitzner die Handlung über den erschöpfenden ersten Akt hinaus kaum schlüssig treiben konnte.

Trotz starker Momente ist "Palestrina" musikalisch zu kontrastarm, zu sehr nur einem Duktus, dem der Trauer, verpflichtet, plump in der Komik, immer eine Spur zu geschwätzig im Libretto und dramaturgisch unausgeglichen. Drastische Striche hätten dem Stück aufhelfen können. Das wollte man nicht, und so wird man wieder 20 Jahre auf die nächste Münchner "Palestrina"-Premiere warten dürfen. REINHARD J. BREMBECK

Kaum ist die Schaffenskrise überwunden, da wird Palestrina (Christopher Ventris, kniend rechts) vom Papst persönlich (Peter Rose, Mitte) zum Staatskomponisten Nummer Eins gemacht - aber am meisten freut sich Komponistensohn Ighino (Christiane Karg, kniend links). Foto: Rabanus

Stückl, Christian Young, Simone Bayerische Staatsoper: Inszenierungen Palestrina SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Tödliche Zufälle

Natürlich könnte alles Zufall sein, ein tragisches Zusammentreffen, aber dafür spricht nicht viel. In Moskau wird im Schatten des Kreml vor Dutzenden Zeugen der Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow erschossen, der die Interessen einer tschetschenischen Familie gegen einen russischen Offizier vertreten hat. Wenige Monate zuvor wurde vor dem Regierungssitz Wladimir Putins ein tschetschenischer Feldkommandeur erschossen. Und in Wien stirbt ein Flüchtling, ebenfalls Tschetschene, nachdem der Verfassungsschutz die Drohungen gegen ihn ignoriert hat. Zweieinhalb Jahre nach dem Mord an Anna Politkowskaja ist Tschetschenien noch immer ein Thema, das Leben kosten kann.

Dabei ist es stiller geworden um die Kaukasus-Republik. Vor vier Jahren noch war Grosny eine Trümmerwüste, ein Hiroshima, aber nun ist es aus Ruinen auferstanden mit Cafés und Boutiquen und einem Putin-Boulevard. Doch der Krieg wirft lange Schatten, bis nach Moskau und Europa. Tschetscheniens irrlichternder Präsident Ramsan Kadyrow hat seine Macht rücksichtslos gefestigt, nun bastelt er brutal am Image, präsentiert Tschetschenien als Perle des Kaukasus, in die selbst einstige Kritiker zurückströmen. Flüchtlinge passen schlecht in dieses Bild. Klagen wegen Misshandlungen und Mord, die sich nicht mehr mit dem militärischen Ausnahmezustand rechtfertigen lassen, noch schlechter.

Russland hat sich um die Täter dieses Krieges so wenig gekümmert wie um die Opfer. Am liebsten würde es diese furchtbare Zeit vergessen. Solange vor den Toren des Kreml die Leichen von Anwälten und Journalisten abgeladen werden, die dieses Schweigen gebrochen haben, wird das nicht gelingen. zri

Kadyrow, Ramzan Markelow, Stanislaw: Tod Anschläge in Russland Russisch-Tschetschenischer Konflikt: Grundsätzliches SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Gepriesene Atome

Krimi-Preis für Linus Reichlin

Der Deutsche Krimi-Preis geht in diesem Jahr an den Schweizer Schriftsteller Linus Reichlin. Wie das Bochumer Krimi-Archiv mitteilte, konnte sich Reichlin mit seinem Werk "Die Sehnsucht der Atome" durchsetzen. Im internationalen Wettbewerb siegte Richard Stark mit seinem Buch "Fragen Sie den Papagei". Die Auszeichnung wird in diesem Jahr zum 25. Mal vergeben. Mit dem Preis werden Autoren gewürdigt, die literarisch gekonnt und inhaltlich originell dem Genre neue Impulse geben. Über die Preise, die sich auf Neuerscheinungen des vergangenen Jahres beziehen, hatte eine Jury aus Kritikern und Fachbuchhändlern entschieden. ddp

Der Deutsche Krimi-Preis geht in diesem Jahr an den Schweizer Schriftsteller Linus Reichlin. Wie das Bochumer Krimi-Archiv mitteilte, konnte sich Reichlin mit seinem Werk "Die Sehnsucht der Atome" durchsetzen. Im internationalen Wettbewerb siegte Richard Stark mit seinem Buch "Fragen Sie den Papagei". Die Auszeichnung wird in diesem Jahr zum 25. Mal vergeben. Mit dem Preis werden Autoren gewürdigt, die literarisch gekonnt und inhaltlich originell dem Genre neue Impulse geben. Über die Preise, die sich auf Neuerscheinungen des vergangenen Jahres beziehen, hatte eine Jury aus Kritikern und Fachbuchhändlern entschieden.

Reichlin, Linus: Auszeichnung Literaturpreise in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Wasserleichen

Zu tief in die Spree geblickt: Zora del Buonos "Canitz' Verlangen"

Findet ein schwuler Literaturwissenschaftler am Ufer der Spree eine Wasserleiche. Fällt dem Literaturwissenschaftler ein Wasserleichen-Gedicht ein. Flieht der Literaturwissenschaftler nach Hause, schlägt das Gedicht nach und entscheidet nach einiger weiterer Lektüre freihand, ein Seminar zum Thema abzuhalten. Was in der Zusammenfassung nach einer Klageschrift gegen das deutsche Bildungssystem klingt, gemahnt in Zora del Buonos' Erzähldebüt "Canitz' Verlangen" anfangs durchaus an den Stoff, aus dem gute Novellen sind. Knapp und klar seziert del Buono, wie ihr Universitätsdozent vom Recherchieren mehr und mehr ins Stolpern gerät, und das, obwohl er als schwuler Mann sich von Amts wegen nicht über weibliche Wasserleichen zu erhitzen bräuchte.

Dass nämlich die Kulturgeschichte der Wasserleiche nur so strotzt vor männlich-heterosexuellen Verschmelzungsphantasien und Nymphen-Erschreibungen, erfährt Canitz bei seinen schlingernden Untersuchungen am verunsicherten eigenen Leib: "Es schien ihm plausibel, dass Frauen ins Wasser gingen. Er stellte sie sich als gallertartige Wesen vor, die sich auflösten, die reinste Passivität, eins mit dem Element und der Natur, anämisch, entrückt und in ihr Schicksal ergeben." Unheilig angezogen torkelt Canitz auf seinen Berliner Erkundungen durch ein ganzes Sachbuch von Wasserleichen-Referenzen, vom Schicksal der "Jud Süß"-Schauspielerin und "Reichswasserleiche" Kristina Söderbaum bis hin zum, jawohl, Prozentanteil der weiblichen Suizide durch Ertrinken in der Schweiz - 2005 satte elf Prozent.

Alle Faktenhubereien und Gallertträume aber werden konterkariert durch del Buonos ausgekühlt reduzierte Beobachtungsweise. Canitz' Gedanken und Handlungen sind so nüchtern abgeschildert, dass zunehmend verschwimmt, wie stark er wirklich Grund unter den Füßen verliert. Für seine diffuse Irritation muss es Ursachen geben, die mehr auf Seiten des Lebens als auf Seiten der Kulturgeschichte liegen. "Das Wiehern der ertrinkenden Pferde vergessen die Leute nie", raunt Canitz ein Antiquar über die Flüchtlingstrecks während des Zweiten Weltkrieges zu. Canitz' Mutter hat als junges Mädchen einen ebensolchen Treck mitgemacht, und spätestens an dieser Stelle ist klar, dass an allem einmal mehr die Familie schuld ist.

Die Handlung kulminiert reichlich geballt in einer Art aufgepfropftem Familienroman: Canitz' Mutter hat ein Leben lang ein dunkles Geheimnis gehütet, das im Massenselbstmord durch Ertrinken Hunderter Frauen aus Angst vor den einmarschierten Sowjettruppen in Demmin im Mai 1945 begründet liegt. Canitz und sein Verlangen verlieren sich in der sperrig getüftelten Konstruktion dieses Familientraumas - und damit weit entfernt von Wasser und Wahn, jener eingangs hypnotisch beschriebenen Entrückung, bei der "die Welt sich entfernt und in den Hintergrund verschwindet und der Mensch nur noch aus diffusen Nebeln und klopfenden Ohrgeräuschen besteht". FLORIAN KESSLER

ZORA DEL BUONO: Canitz' Verlangen. Roman. marebuchverlag, Hamburg 2008. 157 Seiten, 18 Euro.

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Unterricht mit Grips

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung hat Berlin 308 Millionen Euro für bessere Bildung versprochen. Das ist schön. In vielen Schulen der Stadt platzt nicht nur der Putz von den Wänden, die Pädagogen klagen auch über immer mehr Kinder aus Migrantenfamilien, die zu schlecht Deutsch können, zu wenig leisten, kriminell werden. Wenn Schulleiter nun vor dem "bildungspolitischen Aus" warnen, liegt das aber nicht nur am fehlenden Geld. Es ist auch eine Folge pädagogischen Versagens.

Es ist unübersehbar, dass in deutschen Metropolen der Anteil der Migrantenkinder wächst. In der Berliner City kommen heute 60 Prozent der Schüler aus zugewanderten Familien, in manchen Klassen sind es 90 Prozent. Ob es den Lehrern passt oder nicht - sie müssen diese Kinder heranbilden, es sind und bleiben Bürger dieses Landes. Wer nicht will, dass da ein Verliererheer heranwächst, muss das Jammern einstellen und mehr Grips in zeitgemäßen Unterricht stecken.

Es reicht nicht mehr, sich wie in den 60ern vor eine Klasse zu stellen und zu erwarten, dass alle gleich schnell lernen. Es ist auch zu bequem, das Lehrtempo so lange zu drosseln, bis den Schulen die Bildungsbürgerkinder davonlaufen. Differenzierung muss so selbstverständlich werden wie in anderen Ländern. Pädagogen müssen ein doppeltes Programm anbieten: für Leistungsstarke und -schwache. Auch die Gewalt an Schulen kann man eindämmen, durch Konfliktlotsen und engagierte Intervention. Erfolgsschulen in Brennpunkten wie Kreuzberg machen das vor. Vor allem aber müssen echte Ganztagsschulen her, in denen Kinder nachmittags weiterlernen, und zwar mit Lehrern. Das Modell "Mutti macht Hausaufgaben" ist ausgelaufen. lion

Schulwesen in Berlin Migranten-Schüler in Deutschland Schulpolitik in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Wer aber schreibt diese Romane?

Dag Solstads fabulierende Fußnoten zu "Armand V."

Wie viele Fußnoten darf ein Roman haben? Eher wenige bis keine, möchte man denken dürfen, die Fußnote hat es, zumal in Deutschland, seit Anthony Graftons "Die tragischen Ursprünge der deutschen Fußnote" (1995) nicht leicht. Doch wurde in Thüringen 2005 immerhin eine Staatsexamensarbeit mit dem Titel "Paratexte: Fußnoten und Anmerkungen als textkonstituierende Bestandteile neuerer Erzählliteratur" gefertigt. Dag Solstad, zwischen Oslo und Berlin pendelnder Norweger, setzte dieses Prinzip um und legte 2006 den jetzt auf Deutsch vorliegenden Roman "Armand V. - Fußnoten*" - und auf dem Schutzumschlag geht es nun unten weiter - "*zu einem unausgegrabenen Roman" vor, der 99 Fußnoten als einzige Textmenge enthält.

Die Fußnoten verbinden sich zu einer Erzählung über Armand, einen norwegischen Diplomaten, in ähnlichem Alter wie der Autor (Jahrgang 1941). Armands Sohn beginnt eine Militärkarriere bei einer norwegischen Eliteeinheit. Dieser Umstand belastet das ohnehin bereits entfremdete Verhältnis zwischen Vater und Sohn zusätzlich. Dass der Sohn bereits in Fußnote 1b sexuell erniedrigt und der Vater Armand V. unfreiwillig Zeuge davon wird, hebt die Vater-Sohn-Beziehung auf eine Ebene reduzierter Fürsorgepflicht. Gegen Ende des Buches kehrt der Sohn blind von einem Auslands-Einsatz zurück. Armand, inzwischen norwegischer Botschafter in London, nimmt den Sohn in die Botschaftswohnung auf, kümmert sich umfassend und finanziert ihm jedwede blindenspezifische Hilfe und Weiterbildung.

Ungefähr so müsste der Erzählstrang auf der Oberfläche des Buches als herkömmlicher Roman verlaufen; aus den Fußnoten kann der Leser leicht diese Oberfläche erschließen. Der Konflikt, den Armand unausgesprochen mit dem Sohn ausficht, findet seinen Kern in der mangelnden Identifikationsmöglichkeit eines gebildeten, linken, in den sechziger Jahren sozialisierten Oberklassennorwegers mit dem diplomatischen Dienst seines Heimatlandes, dem er aus Komfortbedürfnis und nationalempathischer Identitätssehnsucht, doch mit depressiver Ironie, angenehm nach oben karrierekletternd, angehört.

Der Fußnotenfluss ermöglicht es dem Autor, immer wieder in der Ich-Form in den nicht niedergeschriebenen, sondern nur notierten Roman einzusteigen und in den Notaten darüber zu spekulieren, warum er den Roman nicht geschrieben habe. Solstad verweist auf seinen letzten, aus seiner Sicht richtigen und guten Roman "T. Singer" von 1999. Sein Schriftstellerdasein habe damit geendet. Im Roman "16/07/41" (Solstads Geburtsdatum) von 2002 griff Solstad bereits zum Textmittel Fußnote. Im vorliegenden, von Ina Kronenberger vorzüglich übersetzten Werk wirkt die gänzliche Reduktion darauf aber auch manieriert. Dieser Befund schmälert jedoch das Lesevergnügen mit dem Buch allenfalls zur Hälfte. Solstads Abschweifungen, Lakonismen der Selbstbeobachtung, schließlich die betörende Erzähleleganz in der Schilderung von konstituierenden Episoden aus Armands Leben, vor allem aus den sechziger und achtziger Jahren, sind gelungen und geben Zeugnis einer durchdachten literarischen Komposition: "Ist ein Roman etwas, das bereits geschrieben wurde, und der Schriftsteller nur derjenige, der es findet und mühsam ausgräbt? Ich muss zugeben, dass mir von Jahr zu Jahr bewusster wird, wie ich zu einer solchen Auffassung neige. Aber wer hat den Roman ursprünglich geschrieben?"

Der Text hat auch eine deutliche, doch nie aufdringliche politische Dimension. Sie wird erzählt und nicht behauptet - Armands Arrangement mit und Abscheu vor der auch Norwegen betreffenden imperialen Verteidigungslinie "Westliche Welt und Werte" seit Mitte der neunziger Jahre finden erzählerisch ihren exemplarischen Gipfel mit Armands Beschreibung der Kopf- und Rumpfpartie des amerikanischen Botschafters in London bei einem zufällig gleichzeitigen Toilettenbesuch während eines Botschaftsempfangs. Wenn es stimmt, dass der Roman die Fähigkeit hat, das Innenleben eines Menschen darzustellen, dann schafft Solstad das auch mit Fußnoten zu einem Roman. STEPHAN OPITZ

DAG SOLSTAD: Armand V. Fußnoten zu einem unausgegrabenen Roman. Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger. Dörlemann Verlag, Zürich 2008. 288 Seiten, 21,90 Euro.

Dag Solstad Foto: action press

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Zu betrunken, um die Hostie zu schlucken

Bitte stellen Sie die Tiere mit Namen vor: Zwei Bücher, die in der Welt des Wissens den Menschen so ernst nehmen wie das Tier

Henry Glass, der von 1978 bis zu seinem Tod im Jahr 2000 Redakteur im Wissenschaftsressort des Spiegel war, gehörte wie Tiziano Terzani zu jenen Spiegel-Autoren, die man nach dem Namen las. So grundverschieden ihre Themen auch waren, bei beiden schien immer noch ein Interesse an Sprache durch, das etwas von der Magie spüren ließ, sich im Schreiben von den ödipalen Zwängen der Muttersprache befreien zu können. Während aber der in Italien geborene Terzani ein philosophisch nervöser Geist war, der allem Fernöstlich-Asiatischen offen gegenüberstand, war für Glass die Welt zu einem Un-Ort geworden, durch die man sich am besten hindurchtrank.

Trinkfest wie James Joyce oder Flann O'Brian, mit denen Glass über seinen nordirischen Vater in unterirdischer Verbindung stand, soll Glass gewesen sein. Das berichten jedenfalls noch heute ehemalige Kollegen mit nachhaltiger Bewunderung. Man kann das jetzt in einem kleinen Band seiner besten Spiegel-Texte, "Weltquell des gelebten Wahnsinns", bis in die kleinsten Verästelungen seiner Wissenschaftsskizzen nachvollziehen.

"Der Whisky wirft mehr Fragen auf, als man von ihm trinken kann", zitiert Glass in einem für seine Schreibweise exemplarischen Text mit dem Titel "Seele vom Holz" einen Chemiker, der über Jahre im Auftrag der schottischen Whisky-Industrie die Geschmacksingredienzien des Stoffes untersuchte. Bei Glass wird die Geschichte um die heutigen Whisky-Forscher, deren einziger Zweck darin besteht, einen Instant-Whisky zu schaffen, der die Reifezeit des alten Schnapses verkürzen soll, zu einem kurzen Gang durch die Geschichte des britischen Imperialismus.

Als im sechsten Jahrhundert irische Mönche ausgezogen waren, um dem Morgenland den dreifaltigen Gott zu verkünden, brachten sie einen Fusel mit, der bald Anlass zu strengen Gesetzen gab. 40 Tage musste demnach ein Bischof, "der so besoffen ist, dass er bei der Messe die Hostie auswürgt", bei Wasser und Brot verbringen. Glass schafft es mühelos, so nicht nur die Geschichte des Whiskys zu erzählen, der aus dem Fusel nach Jahrhunderten der Verfeinerung geworden ist, sondern auch einen Blick auf die Erziehungsmaßnahmen zu werfen, die die Einführung des Whiskys in Britannien mit sich brachte und die keineswegs jeden Missbrauch verhindern.

Whisky gefällt nämlich nicht nur Menschen. In einer andern Geschichte erzählt Glass von zu Alkoholikern gewordenen Eseln. Michel, ein Esel, der in einer schottischen Whisky-Destille arbeitete, hatte so ausgiebig von der Maische genascht, die er in seinem Verdauungsschlauch zu Alkohol vergor, dass er zum Alkoholiker geworden war. Das Tier war damit nicht allein in Großbritannien - und so gibt es heute dort eine ernstzunehmende Forschung zum Alkoholproblem bei Tieren. Glass ist dabei schon so weit post-human, dass er die Esel natürlich mit ihren Namen vorstellt.

Ein Subjekt, das sterben kann

Mit Namen auch stellt die vielleicht wichtigste Publikation dieses Herbstes zum Mensch-Tier-Verhältnis ihre Protagonisten vor. "Ich, das Tier. Tiere als Persönlichkeiten in der Kulturgeschichte" ist ein von Künstlern und Wissenschaftlern bestrittener Sammelband, den man gleichzeitig als hervorragende Einführung in die "Animal Studies" lesen kann. Das Anliegen der Animal Studies ist es, Tiere als Subjekte ernst zu nehmen. Um das zu können, ohne in einer beliebigen Betrachtung des Tieres zu enden, die dann nichts weiter als die gängige, ewige und fabelhafte narzisstische Projektion von Menschen auf Tiere wäre, muss man allerdings ein paar Begriffe und Sachverhalte klären. Das tut der in den USA lehrende Japanologe Akira Mizuta Lippit exemplarisch in seinem Beitrag "Der Tod eines Tieres". Nach der angestrengten Logik der westlichen Metaphysik kann das Tier nicht sterben. Und zwar einfach deshalb nicht, weil das Tier sein Sein nicht sprachlich reflektieren kann. Lippit, der auch Filmwissenschaftler ist, sieht nun in einem in einem Film sterbenden Tier die Auflösung dieser alten Metaphysik auf uns zukommen. "Das Tier stirbt und wird sterbend gesehen - und dies an einem Ort jenseits der Erreichbarkeit von Sprache", schreibt er an einer entscheidenden Stelle seiner Reflexion. Wer es also nicht schon von seiner Katze wusste, weiß spätestens, seit es Film gibt, dass das Tier einen Tod hat.

Um den Tod eines Tieres geht es auch im schönsten Text des Bandes: "Die abwesende Freundin: Laikas kulturelles Nachleben" von Amy Nelson. Laika, jene Mischlingshündin, die im November 1957 als erstes Lebewesen in der Sputnik 2 die Erde umkreiste, ist nämlich bereits wenige Stunden nach dem Abschuss der Kapsel an Überhitzung und Panik gestorben. Das weiß man aber erst seit sechs Jahren. Vorher hat die Sowjetbehörde immer behauptet, dass Laika erst nach ein paar Tagen im Orbit gestorben sei, ohne gelitten zu haben. Nicht nur durch diese Lüge wird Laika für Nelson zu einem Vermittler über die fließenden Grenzen von Menschen- und Hundeidentität hinweg. Im Leid vereint Laika "den Widerspruch zwischen der grausamen Realität ihres Lebens und Sterbens und der idealisierten Vorstellung der Leute von Hunden", schließt Nelson ihren tollen Text. Und um diesen Widerspruch kreisen alle Texte, von dem aus man das Mensch-Tier-Verhältnis anfangen kann, neu zu denken. CORD RIECHELMANN

HENRY GLASS: Weltquell des gelebten Wahnsinns. Skurriles aus der Welt der Wissenschaft. Kein & Aber, Zürich 2008. 174 Seiten, 16,90 Euro.

Ich, das Tier. Tiere als Persönlichkeiten in der Kulturgeschichte. Hg. von Jessica Ulrich, Friedrich Weltzien und Heike. Reimer Verlag, Fuhlbrügge 2008. 319 Seiten, 29,90 Euro.

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Das Leben nach der Katastrophe

Stewart O'Nan erzählt in seinem neuen Roman "Alle, alle lieben dich" vom Verschwinden eines Mädchens

Im Kreis der Familie Larsen gibt es ein eingespieltes Ritual: "Jedes Mal, wenn sie sich auf engem Raum drängten wie in der Küche, rief der Erste, dem es auffiel: ,Die ganze Familie in einem Zimmer.'" Eine kleine, etwas alberne Angewohnheit, die ab dem Juli 2005 aus dem Leben der Larsens getilgt ist, wie sich überhaupt dieses Leben schlagartig verändert - Kim, die achtzehnjährige Tochter, verschwindet an einem heißen Sommertag spurlos. Gerade war sie noch mit ihren Freundinnen am Fluss baden, hat sich in ihr Auto gesetzt, um zur Arbeit zu fahren, einer Aushilfstätigkeit an der Tankstelle. Dann verliert sich ihre Spur. Es sollte der beste Sommer ihres Lebens werden, "der Sommer, von dem sie seit der achten Klasse geträumt hatten."

Bereits in seinem im Jahr 2005 erschienenen fabelhaften Roman "Abschied von Chautauqua" zieht sich das Motiv eines an einer Tankstelle verschwundenen Mädchens bedrohlich über die brüchige Idylle einer Sommerfrische. Nun hat O'Nan aus diesem Stoff einen ganzen Roman gewonnen, der, wie das Nachwort vermuten lässt, auf einer realen Begebenheit beruht. Das allerdings tut der literarischen Qualität von "Alle, alle lieben dich" keinen Abbruch - wie in seinem gesamten Werk zeigt O'Nan sich als ein genauer Beobachter des durchschnittlichen amerikanischen Kleinstadtlebens und der dahinter lauernden Abgründe.

Idiotische Disneytränen

Das ist O’Nans Terrain, auf dem er sich so perfekt auskennt wie sonst wohl kein anderer amerikanischer Gegenwartsautor. Kingsville, Ohio, so heißt die Kleinstadt, in der die Larsens leben und aus der sich Kim und ihre Freundinnen herausträumen. Eine insgesamt friedliche Gemeinde im Mittleren Westen, nicht weit von Cleveland entfernt. Fran, Kims Mutter, arbeitet im Krankenhaus; Ed, der Vater, bekommt als Immobilienmakler seit Jahren die Vorzeichen der großen Krise zu spüren; seit einiger Zeit müssen die anfallenden Rechnungen zum Teil von den Ersparnissen bezahlt werden. Kims fünfzehnjährige Schwester Lindsay schließlich, die heimliche Protagonistin des Romans, leidet unter der Schönheit und Beliebtheit ihrer Schwester, während sie selbst sich mit einer Brille und einer Zahnspange herumplagen muss. Eine ganz normale Familie.

Raffiniert arrangiert O'Nan seinen Roman um eine schmerzhafte Leerstelle und setzt in Mosaiktechnik nach und nach ein Bild zusammen, das sich nicht zu einem harmonischen Ganzen fügen kann und will. Minutiös werden gleich zu Beginn Kims letzte Stunden mit den Freunden, der Schwester und den Eltern beschrieben; was danach geschieht, bleibt lange im Dunkeln und ist auch nicht weiter wichtig - "Alle, alle lieben dich" ist kein Thriller, wie der Klappentext behauptet, sondern ein mitreißendes, manchmal anrührendes, aber niemals sentimentales Buch über das Weiterleben nach einer Katastrophe. Und eine Studie darüber, wie sowohl jeder Einzelne, aber auch eine ganze Stadt als soziale Gemeinschaft mit einem Ereignis wie diesem umgeht. Der familiären Panik und Hilflosigkeit steht die Nüchternheit und Routine entgegen, mit der die Polizei den Fall behandelt. Es ist ein unauflösbarer Widerspruch, den O'Nan aufeinanderprallen lässt: Die einzelnen Kapitelüberschriften tragen Namen wie "Beschreibung der vermissten Person" oder "Letzter bekannter Aufenthaltsort". Hinter der Sachlichkeit tut sich Verzweiflung auf: Fran Larsen sucht Hilfe im Internet, durchforstet die zahlreichen Homepages mit ähnlich gelagerten Fällen, druckt Musterflugblätter aus. Währenddessen organisiert Ed Larsen Freiwilligentrupps, die in der Umgebung von Kingsville vergeblich nach Spuren von Kim suchen. So weit, so normal.

Doch es gibt einen Punkt, an dem die von Beginn an zweifelhaft erscheinende Familiensolidarität kippt; an dem die Risse im Lars'schen Mikrokosmos unübersehbar werden. Wie so oft sind es nicht die spektakulären, dunklen Seiten des American Way of Life, für die O'Nan sich interessiert. Er fängt vielmehr feine Stimmungslagen und -veränderungen auf. Die Suche nach Kim wird, angetrieben von Fran, zusehends zum Selbstzweck. Der blanke Aktionismus, der die dem Alkohol in großen Mengen zusprechende Mutter antreibt, kaschiert die Hoffnungslosigkeit. Die Tage gehen ins Land, von Kim fehlt weiterhin jede Spur; zunächst taucht noch nicht einmal ihr Auto auf. Eine aufwendig inszenierte Medien- und Betroffenheitsmaschinerie setzt sich in Gang; Buttons und Armbänder werden entworfen, mit deren Verkauf die Belohnung für Hinweise finanziert werden soll; im örtlichen Baseballstadion werden pompöse Gedenk- und Solidaritätsveranstaltungen für Kim abgehalten; das Lied "Somewhere over the Rainbow" wird zum Soundtrack der Kitschgala. Mittendrin sitzt die so kluge wie zurückhaltende Lindsay, bemüht sich, ihre "idiotischen Disneytränen" zurückzuhalten und denkt sich, wie bescheuert ihre große Schwester all das gefunden hätte.

Die Ordnung der Listen

Es ist eine subtile Doppelbödigkeit, die den Roman durchzieht: Die Polizei bittet die Eltern um eine Frontalaufnahme von Kim, auf der diese lächelt; kurze Zeit später liest Fran im Internet, "dass auf die Art der Gerichtsmediziner die Aufnahme eines Schädels über die ihres Gesichts legen und die Zähne direkt miteinander vergleichen konnte." Und auch der Romantitel selbst spielt mit den Verklärungseffekten, die bereits kurz nach dem vermeintlichen Verbrechen einsetzen: Nicht nur dass Kim seit Jahren im Dauerstreit mit ihrer Mutter gelegen hat; noch dazu war sie wohl gemeinsam mit einem zwielichtigen Dealer (mit dem sie auch ihren Freund betrogen hat) in ein unsauberes Geschäft der größeren Art verwickelt. Die personale Erzählperspektive, die von Kapitel zu Kapitel wechselt, ist ein bewährtes Stilprinzip Stewart O'Nans. Auf diese Weise werden die Abgründe zwischen Innen- und Außenwelt, zwischen Schein und Sein besonders augenfällig. So ist "Alle, alle lieben dich" auch das Porträt einer Ehe in Schieflage: Während Fran geradezu aufzublühen scheint und die sinnlose Suche nach einer spurlos Verschwundenen in endlose Listen und komplizierte Organisationsstrukturen verwandelt, ist Ed zusehends ausgelaugt und ausgebrannt. Zu Weihnachten besteht Fran noch darauf, auch für Kim ein Geschenk zu kaufen; die Gebühren für das College, auf das sie nie gegangen ist, werden weiterhin bezahlt.

Doch die Monate und die Jahre vergehen; die Benefizveranstaltungen werden schlechter besucht. Lindsay geht, wir schreiben mittlerweile 2008, auf ein College in Chicago, wo sie endlich nicht mehr nur die Schwester eines prominenten Opfers ist; Ed geht jeden Tag angeln und kapselt sich ab. "Es gab", so heißt es gegen Ende, "immer noch Augenblicke, in denen alles, was mit seinem Leben nicht stimmte, gleichzeitig auf ihn einstürzte, unentrinnbar und fest miteinander verknüpft, und dann ballte er die Fäuste, um den Drang zu unterdrücken, den Menschen umzubringen, der ihnen Kim genommen hatte. Diese Augenblicke gingen vorbei, aber im Grunde seines Herzens befürchtete er, rachsüchtig und verbittert zu werden. Sonntags bat er um Vergebung. Den Rest der Woche fand er das Gefühl gerechtfertigt."

Beiläufig kommt vieles daher. O'Nans Sprache ist ruhig, beherrscht, wenig aufregend, doch die Nähe zu seinen Figuren ist unerbittlich; dem fein justierten Blick entgeht kaum etwas - unterdrückte Wut und offene Trauer, Neid und Missgunst, Verlorenheit und Sehnsucht, Hoffnung und Ernüchterung. Der Umstand, dass das Zentrum des Romans eine Projektionsfläche all dessen ist, lässt die Verlaufslinien seiner Konflikte nur noch deutlicher zu Tage treten. In "Alle, alle lieben dich" erweist sich Stewart O'Nan einmal mehr als ein glänzender Erzähler, der nicht auf Effekte setzt, sondern auf so kunstvolle wie dezente Präzision. CHRISTOPH SCHRÖDER

STEWART O'NAN: Alle, alle lieben dich. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Thomas Gunkel. Rowohlt Verlag, Reinbek 2009. 411 Seiten, 19,90 Euro.

Es sind nicht die spektakulär dunklen Seiten des American Way of Life, für die O'Nan sich interessiert, sondern die feinen Risse in der Normalität Getty Images

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Begleiter im Geiste

Wenn Kinder mit einem imaginären Gefährten leben, ist das kein Anlass zur Sorge

Phantastische Wesen bevölkern seit jeher als Kobolde, Geister und Engel das kollektive Bewusstsein der Menschheit. Sie manifestieren sich in Fabeln, Kinderbüchern ebenso wie in phantastischen Filmen. Aber eben nicht nur dort. Auch im Kopf von Kindern, Jugendlichen und manchmal sogar Erwachsenen können erdachte Wesen zu erstaunlicher Realität heranreifen. Die irrsten Figuren, geboren aus nichts anderem als dem eigenen Geist sind für viele, meist junge Menschen ein enger Begleiter im Alltag. "Imaginäre Gefährten" nennt die Psychologie jene Phantasiegestalten, die sich dadurch auszeichnen, dass ein Mensch sie so beschreibt, ja sogar mit ihnen lebt, als würden sie wahrhaft existieren. Dabei sind sie für andere Personen alles andere als real.

Diese Phantasiefiguren sind keineswegs Zeichen eines kranken Geistes. Sie sind gerade bei Kindern Ausdruck einer lebendigen Einbildungskraft, die ihnen hilft, ihren Platz in der Welt zu finden. Alles, was sie dafür brauchen, ist Zeit, um alleine zu spielen - in Gesellschaften, in denen Kinder diesen Freiraum nicht haben, tauchen fiktive Begleiter nur selten auf. Überraschenderweise sind imaginäre Gefährten bis heute in der Psychologie wenig erforscht. Richard Passman und Espen Klausen von der University of Milwaukee merkten jedoch kürzlich in einer Überblickstudie im Fachjournal Journal of Genetic Psychology an, diese Forschungsrichtung bekomme nach 100 Jahren und mehreren Fehlstarts nun endlich einen festen Stand.

Es sind vor allem die drei- bis siebenjährigen Kinder, die mit den Phantasiefiguren leben, haben Psychologen festgestellt. Meist sind die Begleiter Menschen, aber auch Superhelden, Tiere oder Zauberer kommen vor. Die Kinder sprechen und spielen mit ihnen, manche der Begleiter passen in die Hosentasche, andere schweben. Nach verschiedenen Studien leben bis zu zwei Drittel aller Kinder für eine Weile mit solchen Schöpfungen. Auch bei Jugendlichen sind fiktive Freunde offenbar keine Seltenheit. Und obwohl Kinder mitunter darauf bestehen, dass ihre Eltern für die imaginären Begleiter einen Platz am Tisch decken, ist ihr Realitätssinn im Allgemeinen deswegen nicht geschmälert.

In der Forschung hat sich im vergangenen Jahrzehnt die Position entwickelt, wonach imaginäre Kumpane eine positive Entwicklungsphase im Leben von Kindern markieren. Die Psychologin Marjorie Taylor von der University of Oregon konnte in mehreren Untersuchungen feststellen, dass die betroffenen Kinder sich schneller als ihre "allein lebenden" Altersgenossen eine Vorstellung von den Gefühlen und Gedanken ihrer Mitmenschen bilden. Außerdem verfügen Kindern mit imaginären Freunden über deutlich bessere Kommunikationsfähigkeiten, erkannten die Psychologen Anna Roby und Evan Kidd von der University of Manchester im vergangenen Jahr.

Es gebe noch andere Gründe, warum sich ein Kind einen unsichtbaren Kumpel zulegt, sagt die Entwicklungspsychologin Inge Seiffge-Krenke von der Universität Mainz. So leben Kinder auf diesem Wege bisweilen Allmachtsphantasien aus. Andere kompensieren Einsamkeit - immerhin sind die außergewöhnlichen Freunde unter Einzelkindern weit verbreitet. Und schließlich spielen die imaginären Begleiter gelegentlich die Rolle soufflierender Engelchen und Teufelchen, durch die das Kind lernt, eine Welt voller Ver- und Gebote zu durchschiffen.

Es mag zwar mitunter vorkommen, dass fiktive Kameraden bei Kindern ein gestörtes Verhältnis zur Wirklichkeit andeuten, doch sind solche Fälle offenbar selten. Auch sollte das Phänomen nicht als Signal für Missbrauch oder Vernachlässigung verstanden werden, denn gepeinigte Kinder spielen weniger und entwickeln daher meist keine so bewegte Phantasie. "Eltern sollten sich wegen imaginärer Gefährten ihrer Sprösslinge generell keine Sorgen machen", sagt Inge Seiffge-Krenke.

Normalerweise sind die Begleiter reine Phantasiegebilde. Aber es gibt auch Charaktere aus der Medienwelt, die Kinder zu Bezugspersonen erheben - das kann Pippi Langstrumpf sein, der Kobold Pumuckl oder einer der modernen Kämpferfiguren. Manchmal werden auch Kuscheltiere und Puppen zum Leben erweckt. Ein bekannte Illustration dieses Phänomens ist die in den USA populäre Comic-Serie "Calvin und Hobbes", in der der sechsjährige Calvin mit seinem für ihn höchst lebendigen Stofftiger Hobbes Abenteuer besteht. Ist ein Erwachsener zugegen, verwandelt sich Hobbes blitzartig in ein lebloses Kuscheltier zurück.

Solchermaßen "personifizierte Objekte" kommen nicht von ungefähr. Sie verdanken sich nicht zuletzt der menschlichen Neigung, Dingen eine Essenz oder Seele zuzuschreiben. So haben die Psychologen Bruce Hood von der britischen University of Bristol und Paul Bloom von der Yale University dokumentiert, dass Kinder in Objekten oft eine über die rein physischen Qualitäten hinausgehende Eigenschaft wahrnehmen.

In einem 2007 veröffentlichten Experiment lehnten es fast alle Kinder ab, als Ersatz für einen geliebten Gegenstand - ein Stofftier oder anderes Spielzeug - eine "Kopie" zu akzeptieren. In Wirklichkeit bot man den Kindern den ursprünglichen Gegenstand an - vollkommener konnte die Kopie also gar nicht sein -, aber die Kinder lehnten den Tausch dennoch ab. Hood erkennt in diesem Verhalten einen Hang zum magischen Denken: "Auch Erwachsene sind nicht ganz frei davon. Einen Füller von Einstein behandeln wir mit größerer Ehrfurcht als einen äußerlich identischen, der keiner Berühmtheit gehörte. Und die Mehrheit würde es ablehnen, den gereinigten Pullover eines Serienmörders anzuziehen."

Auch bei Jugendlichen kommen imaginäre Charaktere vor. Diese spielen aber eine andere Rolle als bei Kindern. Während die Kleinen vor allem Spielkameraden für gemeinsame Aktivitäten suchen, ist es für Jugendliche wichtig, einen Ansprechpartner zu haben, dem sie sich anvertrauen können - ein zentrales Merkmal von Freundschaften während der Adoleszenz. Der imaginäre Gefährte hilft ihnen, das sich entwickelnde Verhältnis von Selbst, Welt und sozialem Umfeld auszubalancieren.

Da verwundert es wenig, dass diese Figuren oft im Tagebuch auftauchen, das als Person angesprochen wird: "Liebes Tagebuch . . ." Die Psychologin Seiffge-Krenke berichtete in einer Untersuchung über die Tagebücher von 94 Jugendlichen, dass knapp die Hälfte der Schreiber mit einem imaginären, überwiegend weiblichen Gefährten lebte. Ein berühmt gewordenes Beispiel ist "Kitty", die Anne Frank in ihrem Versteck vor den Nazis als enge Freundin erschaffen hat. Dass imaginäre Begleiter von Jugendlichen aus Not oder Einsamkeit entstehen, ist jedoch nicht der Fall. Die Tagebuchschreiber in Seiffge-Krenkes Studie zeichneten sich durch ausgeprägte Empathie und soziale Kompetenz aus.

Sogar Erwachsene leben mit imaginären Gefährten, was jedoch von der Psychologie noch wenig erforscht wurde. Anders als bei James Stewart in dem Film "Mein Freund Harvey", im dem ein zwei Meter großer Hase als loyaler Freund fungiert, liegen hier oft einschneidende Gründe vor. So gibt es medizinische Berichte, dass an Psychosen leidende Erwachsene solche Vorstellungen erzeugen, um ihre beengte Welt zu bewältigen. Als pathologisch würde wohl auch das kinderlose Ehepaar in dem Film "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" gelten, das vorgibt, es habe einen Sohn. Auch kommt es vor, dass Menschen, die eine nahestehende Person verloren haben, den Verstorbenen in Halluzinationen erleben. Das kann im Extrem dazu führen, dass alte Menschen den toten Gefährten dauerhaft in ihr Leben zurückkehren lassen.

So berichtete der kanadische Psychiater Ken Shulman bereits vor mehr als 20 Jahren von drei über 80-jährigen Senioren, deren jahrzehntelange Ehepartner verstorben waren. Obwohl sie um den Verlust wussten, wunderten sie sich keineswegs über die Rückkehr des Gemahls oder der Gemahlin - eine Frau vermied sogar gezielt, das heikle Thema anzusprechen, um die Erscheinung nicht zu verscheuchen. Allerdings waren die Patienten alle bereits leicht senil. "Das waren Tröster und Gesellschafter", sagt Shulman rückblickend.

Doch warum haben Wissenschaftler dieses Thema so lange gemieden? Es mag daran liegen, dass viele Kinder sich später ihrer imaginären Freunde kaum noch entsinnen. So berichtet Seiffge-Krenke von einem Treffen mit jungen Erwachsenen, die der Psychologin ihre Jahre zuvor verfassten Jugendtagebücher zur Verfügung gestellt hatten.

Als Inge Seiffge-Krenke eine der Frauen fragte, ob sie sich noch an ihre imaginäre Freundin "Kathrin” erinnere, konnte diese sich außer dem Namen nichts ins Gedächtnis zurückrufen. Dabei hatte sie sich lange und intensiv mit Kathrin auseinandergesetzt. Der Grund dafür könnte sein, dass die Kinder und Jugendlichen stets die volle Kontrolle über ihre Figuren bewahren. Auch wenn sie den imaginären Begleiter nicht mehr brauchen: Dann lassen sie die einstigen Gefährten sterben - oder einfach verblassen

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HUBERTUS BREUER

Manche der fiktiven Freunde passen in die Hosentasche

Am Ende lassen Kinder die Figuren sterben

Gesundheit von Kindern Psychologie Kinder SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Wettlauf der Friedensbringer

Warum Merkel und Steinmeier auch im Wahljahr 2009 im Nahen Osten vermitteln müssen

Von Daniel Brössler

Zu den Mysterien des Heiligen Landes zählt seine Anziehungskraft auf Politiker. Unermüdlich pilgern sie aus aller Welt an die Stätte eines Konfliktes, der den Vermittlern doch nur viel Mühe bei bescheidenem Lohn zu versprechen scheint. Zweimal ist Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier während des Gaza-Krieges in die Region gereist, einmal - im Kreise wichtiger Politiker aus der Europäischen Union - auch Kanzlerin Angela Merkel. Nun, da erst einmal die Waffen schweigen, ist Steinmeier an die Kollegen in der EU herangetreten mit einem Stichwortkatalog für eine fünfstufige konzertierte Initiative der Europäer für dauerhafte Ruhe in und um Gaza.

Europäische, vor allem auch deutsche Politiker geraten rasch wahlweise in den Verdacht des Größenwahns oder des blinden Aktionismus, wenn sie für einen Frieden eintreten, dessen Konturen bisher nicht erkennbar sind. In der Tat schweigen die Waffen ja nicht deshalb, weil Steinmeier oder Merkel so sehr darum gebeten haben, sondern vor allem aus dem Grund, dass Israel den rechten Zeitpunkt für gekommen hielt - also nach dem Erreichen wesentlicher militärischer Ziele und vor dem Einzug des neuen US-Präsidenten Barack Obama ins Weiße Haus.

Warum also nicht warten, bis Obama und seine Außenministerin Hillary Clinton sich eingearbeitet und des Nahen Ostens angenommen haben? Darauf gibt es mindestens zwei Antworten. Die erste: weil keine Zeit zu verlieren ist. Die zweite: weil die Zeiten sich geändert haben. Knapp ist die Zeit, weil auf die Ruhe von Gaza kein Verlass ist und die Gewalt wieder ausbrechen könnte, bevor Obama und Clinton sich dem Nahen Osten zuwenden. Doch auch dann - und in dieser Hinsicht haben sich die Zeiten eben geändert - würden die USA als einsame Vermittler keinen Erfolg haben. In der Ära George W. Bush hat das Gewicht abgenommen, das die USA in die diplomatische Waagschale werfen können. Über Nacht werden auch Obama und Clinton den Schaden nicht beheben - zumal eine klare Nahost-Linie bisher fehlt.

Es stimmt, dass die EU militärisch in der Region kein Faktor ist. Es trifft auch zu, dass sie bislang mit fast allen Stimmen spricht, die es zum Nahost-Konflikt geben kann. Und dennoch fällt ihr automatisch ein Teil der Verantwortung zu, weil es an anderen Akteuren fehlt, die in Israel wie der arabischen Welt neben den USA akzeptiert werden. Beim Kampf gegen den Waffenschmuggel in den Gaza-Streifen etwa wird sich Israel nicht allein auf die Zusagen aus Washington verlassen können. Dies schon deshalb, weil das auf die Wahrung seiner Souveränität bedachte Ägypten Rat und Tat für seine Grenzschützer eher von Europäern annehmen wird als von den Amerikanern.

Einen großen Teil dieser europäischen Verantwortung wird Deutschland schultern müssen. Denn so redlich es sich mühen mag, bedarf Tschechien als EU-Ratspräsident im schwierigen Geschäft der Nahost-Diplomatie der Unterstützung. Diese muss ohne Überheblichkeit angeboten werden, was Steinmeier auch dank eines guten Drahtes zu Tschechiens Außenminister Karel Schwarzenberg offenbar gelingt. Dem vor Selbstbewusstsein berstenden Frankreich des Nicolas Sarkozy fiele dies deutlich schwerer. Eine aktive Rolle Deutschlands in der Gaza-Krise ist keine Anmaßung, sondern folgt einer auch für andere EU-Partner nachvollziehbaren Logik.

Bleibt der Verdacht, dass Kanzlerin und Kandidat sich im Wahljahr 2009 einen Wettlauf um gute Bilder als Friedensbringer liefern. Als unerwünschter Nebeneffekt des Wahlkampfes ist das hinzunehmen, solange die Reibungsverluste und Eifersüchteleien zwischen Kanzleramt und Auswärtigem Amt nicht überhandnehmen. Nicht jede Initiative mag dieser Tage frei von Aktionismus sein. Schlimmer aber wäre es, würde die deutsche Diplomatie bis zum 27. September den Schalter schließen.

Steinmeier, Frank-Walter Merkel, Angela Friedensbemühungen im Militärischen Konflikt zwischen Israel und der Hamas in Gaza 2008 / 2009 Beziehungen der EU zum Nahen Osten SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Das indische Gen

Mutation versiebenfacht Risiko für Herzmuskelerkrankungen

Einer von 25 Indern trägt eine genetische Mutation, die sein Risiko für Herzmuskelerkrankungen deutlich erhöht. Forscher vom Zentrum für Zell- und Molekularbiologie in Hyderabad haben erkannt, dass das Risiko für Herzmuskelschwäche auf das Siebenfache steigt, wenn ein Stückchen von dem Gen MYBPC3 fehlt. Dieses Gen wacht über die Kontraktion des Herzmuskels. "Die Betroffenen haben eine erhöhte Anfälligkeit für Herzversagen", schreiben die Forscher (Nature Genetics, online). Allerdings erkranken längst nicht alle Personen, die die Mutation tragen - das Risiko liegt etwa bei eins zu 40.

Gleichwohl: Dass eine so gefährliche Genvariante so weit verbreitet ist, erstaunt Genetiker. "Es sind nur wenige solcher Mutationen bekannt", sagt Arne Pfeufer, der am Helmholtz-Zentrum München die Genetik von Herzerkrankungen untersucht. So tragen acht Prozent aller Afrikaner eine Genvariante, die das Risiko für Herzrhythmusstörungen verneunfacht. Und in den beiden holländischen Provinzen der Niederlande haben Forscher eine genetische Ursache für Herzmuskelschwäche entdeckt, die ebenfalls das Gen MYBPC3 betrifft und sehr häufig auftritt. "Ein Viertel aller Fälle dort geht auf diese eine Mutation zurück", so Pfeufer.

Offen bleibt, weshalb so gefährliche Mutationen nicht aussterben. Die indischen Forscher sehen einen möglichen Grund darin, dass die Krankheit erst im fortgeschrittenen Alter zuschlage. Dann hätten die Mutationsträger längst Kinder in die Welt gesetzt. Eine andere Erklärung sei, dass die Genvariante in jungen Jahren Vorteile biete, sagt Pfeufer.

Das Wissen um die mutierten Gene hat in Pfeufers Augen jedenfalls Vorteile: Betroffene könnten ihr Herz durch einen gesünderen Lebensstil schützen. Die indischen Forscher gehen erheblich weiter. Sie preisen bereits eine hierzulande verbotene Möglichkeit an: "Nun, da der Defekt identifiziert ist, gibt es einen Hoffnungsschimmer", schreiben sie. Wenn sich Eltern das wünschen, könnten sie ein Ungeborenes mit solchen Anlagen abtreiben. CHRISTINA BERNDT

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Große Gefühle

Elefanten trauern jahrzehntelang

Elefanten überwinden den Verlust von verwandten Artgenossen erst nach sehr langer Zeit. Haben Afrikanische Elefanten etwa durch Wilderer ihre Familie verloren, dauert es 20 Jahre und länger, bis sie wieder Bindungen zu Artgenossen eingehen. Das berichtet ein Team um die Ökologin Kathleen Gobush von der US-Klimabehörde NOAA im Fachjournal Molecular Ecology (online vorab). Die Forscher beobachteten mehr als 100 Elefantengruppen im Mikumi-Nationalpark in Tansania. Ehe der Elfenbeinhandel 1989 weltweit verboten wurde, wurden fast 75 Prozent der Elefanten in dem Park von Wilderern getötet. "Viele der Elefantenkühe verloren ihre Mütter und Schwestern und waren zu einem Einzelgängerleben verdammt", sagt Sam Wasser, einer der beteiligten Wissenschaftler. Das Sozialgefüge der Elefanten im Mikumi-Nationalpark ist dadurch noch heute verändert. Die Wissenschaftler beobachteten dort viele Elefanten, die in ungewöhnlich kleinen Gruppen leben. Ein Drittel der weiblichen Elefanten in dem Nationalpark waren sogar Einzelgänger. Viele Elefanten hätten den Verlust ihrer Gruppe auch Jahrzehnte nach dem Vorfall nicht überwunden, folgerten die Forscher. SZ

Elefanten überwinden den Verlust von verwandten Artgenossen erst nach sehr langer Zeit. Haben Afrikanische Elefanten etwa durch Wilderer ihre Familie verloren, dauert es 20 Jahre und länger, bis sie wieder Bindungen zu Artgenossen eingehen. Das berichtet ein Team um die Ökologin Kathleen Gobush von der US-Klimabehörde NOAA im Fachjournal Molecular Ecology (online vorab). Die Forscher beobachteten mehr als 100 Elefantengruppen im Mikumi-Nationalpark in Tansania. Ehe der Elfenbeinhandel 1989 weltweit verboten wurde, wurden fast 75 Prozent der Elefanten in dem Park von Wilderern getötet. "Viele der Elefantenkühe verloren ihre Mütter und Schwestern und waren zu einem Einzelgängerleben verdammt", sagt Sam Wasser, einer der beteiligten Wissenschaftler. Das Sozialgefüge der Elefanten im Mikumi-Nationalpark ist dadurch noch heute verändert. Die Wissenschaftler beobachteten dort viele Elefanten, die in ungewöhnlich kleinen Gruppen leben. Ein Drittel der weiblichen Elefanten in dem Nationalpark waren sogar Einzelgänger. Viele Elefanten hätten den Verlust ihrer Gruppe auch Jahrzehnte nach dem Vorfall nicht überwunden, folgerten die Forscher.

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Hauptsache, es sticht

Akupunktur lindert Kopfschmerz, egal wo die Nadeln sitzen

Anhängern der Akupunktur muss es einen Stich versetzen. Jahrelang haben sie dafür gekämpft, dass ihre Behandlungsmethode im Westen anerkannt wird. Jetzt zeigen große Studien, dass die chinesische Nadel-Technik bei Spannungskopfschmerzen zwar tatsächlich hilft und zudem Migräne-Attacken vorbeugen kann. Doch gleichzeitig belegen die Studien, dass nicht nur Stiche in einen der 361 klassischen Akupunkturpunkte auf den Meridianen helfen können - eine Scheinakupunktur hat offenbar ähnlich lindernde Wirkung. Es ist also egal, wohin gestochen wird.

"Im Vergleich zur medikamentösen Standardtherapie gegen heftigen Kopfschmerz ist die Akupunktur in Studien sogar überlegen, hat aber weniger Nebenwirkungen", sagt Klaus Linde vom Zentrum für naturheilkundliche Forschung der Technischen Universität München. Er hat beide Studien geleitet, die am heutigen Mittwoch in der Cochrane Database of Systematic Reviews erscheinen. Übersichtsarbeiten für die Cochrane-Datenbank gelten als besonders aussagekräftig, denn sie fassen den Forschungsstand seriös zusammen. Dazu werden nur die besten Fachartikel ausgewertet. Wissenschaftliches Mittelmaß, das zu Unrecht eine Therapie lobt oder verdammt, fällt hingegen unter den Tisch.

Um zu klären, ob Akupunktur gegen Spannungskopfschmerzen hilft, wurden elf Studien mit 2300 Teilnehmern ausgewertet. In die Analyse zur Migräne-Prophylaxe flossen sogar 22 Studien mit 4400 Probanden ein. In beiden Fällen wirkte Akupunktur besser als Schmerzmittel. "Das liegt wohl auch daran, dass die Teilnehmer die Akupunktur erwartet haben und keine Medikamente", sagt Hans-Christoph Diener, Chef der Neurologie am Universitätsklinikum Essen. "Akupunktur ist eine sehr potente Placebo-Therapie." Klaus Linde ist sich nicht so sicher, wie die Wirkung zu erklären ist. Neben Placebo-Effekten wie Zuwendung des Arztes, Ritualen der Behandlung und der Erwartungshaltung habe auch das Stechen einen Anteil, der aber noch weiter erforscht werden müsse. "Ich denke nicht, dass die Akupunktur wirkt, wenn ein Arzt nicht daran glaubt und die Therapie nicht überzeugend vermittelt", sagt Klaus Linde.

In den aktuellen Studien berichten immerhin 47 Prozent der Patienten mit Kopfschmerz, dass sich die Zahl der Tage mit Beschwerden halbiert habe - unter Patienten, die medikamentös behandelt wurden, waren es nur 16 Prozent. Zudem wurde klassische mit Scheinakupunktur verglichen. Dazu werden Nadeln falsch gesetzt oder durchdringen nicht die Haut. Die Unterschiede zwischen beiden Techniken waren marginal: Bei 50 Prozent der Patienten waren die Schmerzen nach klassischer Nadelung deutlich gelindert. Nach Scheinbehandlung war dies bei 41 Prozent der Fall.

"Es gibt keine klassischen Akupunkturpunkte und auch keine Scheinakupunktur", sagt Iven Tao vom Lehrstuhl für Naturheilkunde der Universität Essen. Er hat Sinologie und chinesische Medizin studiert und klassische Quellentexte der Akupunkteure seit der Han-Dynastie um Christi Geburt ausgewertet. "Diese Punkte sind nicht genau zu lokalisieren, es gibt vielmehr reaktive Areale."

Zwei Drittel der Bevölkerung stehen der Akupunktur aufgeschlossen gegenüber. Die wissenschaftliche Medizin verlangt jedoch Wirksamkeitsnachweise. Die gibt es für die Akupunktur nicht nur bei Kopfschmerzen, sondern auch bei Rücken- und Kniebeschwerden. "Aus Patientensicht gibt es keinen Grund gegen die Akupunktur, wenn man offen dafür ist", sagt Klaus Linde. Hans-Christoph Diener kann nicht nachvollziehen, warum die Kassen Akupunktur bei Spannungskopfschmerz nicht mehr erstatten. "Für manche Menschen, bei denen Medikamente nicht ansprechen, ist das oft der letzte Ausweg." WERNER BARTENS

Nach klassischer Lehre müssen die Akupunkturnadeln an festgelegten Stellen gesetzt werden. Die traditionelle chinesische Behandlung wirkt allerdings auch, wenn die Stiche danebengehen. Foto: Getty Images

Traditionelle Chinesische Medizin Kopfschmerzen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Keime aus der Hühnerbrust

Infektionen mit Campylobacter nehmen in Europa zu

Sie stecken in einem Viertel des Hühnerfleisches, das in der EU roh verkauft wird. Sie lösen beim Menschen Durchfall, Krämpfe und Fieber aus - und sie sind auf dem Vormarsch: Campylobacter-Keime sind nach Angaben der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA für die meisten Infektionen verantwortlich, bei denen sich Menschen bei Tieren oder an Tierprodukten anstecken können. In Europa erkrankten im Jahr 2007 etwa 200 500 Menschen an einer Campylobacter-Infektion. Das sind 14 Prozent mehr als im Vorjahr, berichteten die EFSA und das Europäische Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) am Dienstag in Brüssel.

Mehr als die Hälfte dieses Zuwachses geht auf das Konto von Deutschland. Dort ist die Zahl der Infektionen mit dem Bakterium im EU-Vergleich am stärksten gestiegen. Beim Robert-Koch-Institut, das in Deutschland für die Erhebung der Infektionszahlen zuständig ist, macht man die warmen Temperaturen im Jahr 2007 dafür verantwortlich. Abweichungen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten könnten aber auch auf die unterschiedliche Qualität der Meldesysteme zurückzuführen sein, sagte Andrea Ammon. "Europaweit ist die Situation alarmierend und erfordert Gegenmaßnahmen von Seiten der nationalen Lebensmittelbehörden", so die Leiterin der ECDC-Überwachungsabteilung.

Im Kampf gegen Salmonellen hat ein EU-weites Präventionsprogramm erste Erfolge gezeigt. Zwar sind Salmonellen-Infektionen nach wie vor die zweithäufigste Ursache für Krankheiten, die von Tieren auf den Menschen übertragen werden können. Seit vier Jahren stecken sich in Europa aber immer weniger Menschen mit den Keimen an - im Jahr 2007 waren es knapp 152 000. Auch diese Bakterien finden sich am häufigsten auf Hühnerfleisch. Zudem sind acht Prozent aller geschlachteten Schweine mit den Keimen verunreinigt. Um sich vor solchen Infektionen zu schützen, empfehlen die EU-Behörden, Fleisch gründlich durchzugaren und vor allem bei der Zubereitung von Geflügel in der Küche auf die Hygiene zu achten. MARTIN KOTYNEK

Salmonelleninfektion SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Klare Sicht in Europa

Es gibt nur noch halb so oft Nebel wie vor 30 Jahren

Der Nebel über Europa hat sich in den vergangenen 30 Jahren gelichtet. Die Zahl der Tage, an denen die Sicht auf acht Kilometer oder weniger eingeschränkt war, ist seit 1978 um mehr als die Hälfte gefallen, haben ein französischer und zwei niederländische Klimaforscher errechnet (Nature Geoscience, online). Ihre Daten stammen von 342 Wetterstationen zwischen Estland und Algarve, Irland und türkischer Riviera. Die mittlere Zahl der Herbst- und Wintertage, an denen Nebel die Sicht auf maximal zwei Kilometer beschränkte, ist demnach von etwa 20 auf zehn gesunken. Unter solchen Wetterbedingungen leiden Länder in Nordeuropa häufiger als solche im Süden. Besonders betroffen waren auch die osteuropäischen Staaten, wo andererseits der Rückgang besonders ausgeprägt war.

Die Forscher bringen den Trend zu weniger Nebel mit der saubereren Luft in Verbindung. Mindestens für die 1990er-Jahre passt die zeitliche und räumliche Verringerung der Schwefeldioxid-Emissionen in Industrieabgasen gut zur verbesserten Sicht. Diese trägt damit auch zu der im globalen Vergleich überproportionalen Erwärmung Europas bei, weil mangels Nebel mehr Sonnenlicht den Boden erreicht. Zehn bis 20 Prozent der Aufheizung gehen auf den verringerten Dunst zurück, entnehmen die Forscher ihren Zahlen. Ähnliche Effekte hatten andere Wissenschaftler schon bei der Wolkenbildung durch Aerosole nachgewiesen. Der verringerte Nebel hat sich aber unabhängig von der verringerten Wolkenbildung entwickelt. cris

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Sexfalle unter Wasser

Duftstoffe verwirren Neunaugen

Meerneunaugen haben nur eine Chance sich zu paaren, danach sterben sie. Weibchen riechen das männliche Paarungshormon noch über weite Entfernungen und finden so die Laichgründe, die in Flussarmen liegen. Amerikanische Forscher haben diese Fähigkeit nun ausgenutzt, um eine Duftfalle für Neunaugen zu entwickeln (PNAS, online). Damit wollen sie die Neunaugenplage in den Großen Seen bekämpfen. Dort wurden Meerneunaugen Anfang des 20. Jahrhunderts eingeschleppt. Seither haben sich die Tiere dort zur Gefahr für einheimische Fische wie Forelle und Lachs entwickelt. Als Jugendliche saugen sich die aalartigen Meerneunaugen an den Fische fest und leben ähnlich wie Vampire von deren Blut und Muskelgewebe.

Die Forscher stellten nun im Labor das männliche Paarungshormon her und testeten die Substanz an weiblichen Neunaugen in einem Fluss, der als Laichgebiet der Tiere bekannt ist. Etwa die Hälfte der Neunaugen-Weibchen schwamm flussaufwärts genau an die Stelle, wo die Forscher den Duftstoff ins Wasser gegeben hatten. Wenn sie sich paaren wollen, schwimmen die Neunaugen aus den Seen in einige der einmündenden Flüsse. Mit ihrer Falle wollen die Forscher die Weibchen nun in die Flussarme locken, in denen sie keine Männchen finden und sich somit nicht fortpflanzen können. emm

Mit Hornzähnen beißen sich Neunaugen an Fischen fest. Blickwinkel/A.Hartl

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Eine gemachte Heldin

Wie die Medien die ehemalige Bochumer Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen auf Fallhöhe brachten

Die Krönungsmesse ist ein Werk von Wolfgang Amadeus Mozart, das 1779 im

Salzburger Dom uraufgeführt wurde. Es gibt einige Strafverfolger wie den Bonner Oberstaatsanwalt Fred Apostel, die das aus fünf Teilen bestehende geistliche Chorwerk früher als Sänger in einer Kantorei mitgesungen haben, aber es wird vermutlich nur wenige Staatsanwälte geben, die eine Anklage in einem Prozess als eigene "Krönungsmesse" bezeichnen.

Die in eine Affäre verstrickte ehemalige Bochumer Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen soll im Gespräch mit Journalisten bedauernd davon gesprochen haben, dass sie ihre "Krönungsmesse" verpasse, weil sie die Anklage in dem an diesem Donnerstag in Bochum beginnenden Prozess gegen den geständigen Steuersünder Klaus Zumwinkel nicht mehr vertreten kann.

Ihre oberste Chefin, die Düsseldorfer Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter, hat den Spruch heftig kritisiert: "Wir brauchen keine Staatsanwälte, die nach ,prominenten Fällen' gieren oder ,Krönungsmessen' feiern wollen", erklärte die CDU-Ministerin vorige Woche. Die Politikerin betonte, dem "Bild des Staatsanwalts in unserer Gerichtsverfassung" entspreche nur der Beamte, der seine Arbeit "objektiv, sorgfältig und unspektakulär" verrichte. Also einer, der nicht durch die Presse zur öffentlichen Person und damit berühmt wird.

Was immer die als Einzelrichterin zum Amtsgericht Essen gewechselte ehemalige Staatsanwältin Lichtinghagen in den vergangenen Monaten gemacht hat, war aber spektakulär, jedenfalls aus Sicht der Medien. Zwar gibt es 1016 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Nordrhein-Westfalen, aber kein anderer, keine andere hat es zu solcher Prominenz gebracht wie die 54-Jährige.

"Bochums schärfste Waffe", schrieb die taz. "Leitwölfin im Rudel der harten

Hunde" die Financial Times Deutschland. Sie war die Frau, die "Jagd in der High Society" machte, wie der Spiegel meinte. Das Magazin hatte sie schon im Jahr 2000 als "außergewöhnlich unerschrockene Vertreterin ihres Berufsstandes" beschrieben. Nach der Heimsuchung Zumwinkels im Februar 2008 wurde sie auf Seite Drei in der Süddeutschen Zeitung so vorgestellt: "Eine Frau, die gerne überrascht".

"Wer hoch steigt, fällt tief", hat Margrit Lichtinghagen früh von ihrer Großmutter gelernt, und die Ex-Staatsanwältin hatte, dramaturgisch ausgedrückt, die moralische Fallhöhe, die für einen Skandal unentbehrlich ist. Für diese Fallhöhe braucht es einen Leser, der enttäuschbar ist, und eine Heldenfigur, der am besten große Redlichkeit, Mut und Unerschrockenheit zugebilligt werden.

Aufstieg und Niedergang der Margrit Lichtinghagen, die wegen der Verteilung

von Millionen aus Geldbußen an von ihr bevorzugte allgemeinnützige Organisationen möglicherweise ein Ermittlungsverfahren zu gewärtigen hat, sind ein Lehrstück für die journalistischen Seminare. Aus ihrer Sicht ist der Fall noch komplizierter: "Nur weil ich eine Frau bin, haben die Medien mich derart hochgeschrieben", sagte sie in einem Gespräch im Januar. Niemals wäre ein Mann "von den Medien so nach oben geschossen worden". Sind angebliche Heldinnen gefährdeter als vorgebliche Helden? Werden Frauen eher als Männer zur Projektionsfläche der Geschlechter für Sehnsüchte und auch für Vorurteile?

Die Geschichte der Ermittlungen im Weichbild der Wirtschaftskriminalität wurde viele Jahre von Männern geschrieben. Da war der ehemalige Chef der Steuerfahndung in Sankt Augustin, Klaus Förster, der vor gut 30 Jahren auf die große Umwegfinanzierung der bürgerlichen Parteien stieß. Er ließ die Politiker nicht mehr aus dem Schwitzkasten, obwohl die zuständige Oberfinanzdirektion ihn aufforderte, für eine Weile zumindest die Finger von dem heißen Fall zu lassen.

Volljurist Förster, dessen Frau Margarete eine Apotheke führte, war ebenso mutig wie finanziell unabhängig und ließ sich nicht zur Räson bringen. Er quittierte den Staatsdienst, als die Ermittlungen nicht mehr aufzuhalten waren und arbeitete als Rechtsanwalt. Er ist in Büchern und von Jurys hoch geehrt worden.

Für einen Teil der Öffentlichkeit zumindest war auch der ehemalige Augsburger Staatsanwalt Winfried Maier zeitweise ein Held. Er ermittelte in jener berühmten Panzeraffäre, die mit dem Namen des Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber verbunden ist und wechselte dann, als er sich relativ alleingelassen wähnte, resigniert als Richter zum Landgericht. Seine spöttisch formulierten Grundregeln für den "idealen Staatsanwalt" finden sich seitdem in einschlägigen Werken über den Zustand des deutschen Gemeinwesens und der Strafverfolgung: "Die Bestechung da oben interessiert mich nicht; die Weisung des Vorgesetzten stört mich nicht; die Einflussnahme von oben irritiert mich nicht; der Ladendiebstahl ist strafbar - nicht?"

Seit einiger Zeit treten in großen Wirtschaftsstrafverfahren wie bei VW oder Siemens bevorzugt Staatsanwältinnen in führender Rolle auf, aber keine von ihnen wurde von den Medien als eine Heldin vorgestellt, die sich vor nichts fürchtet. Das mag auch damit zusammenhängen, dass sich diese Staatsanwältinnen - wenn überhaupt - nur im Team präsentiert haben.

Richtig ist natürlich auch, dass der Ruf der Abteilung 35 der Bochumer Staatsanwaltschaft, der Margrit Lichtinghagen 15 Jahre angehörte, wie Donner klang. Die Abteilung werde "von Wirtschaftskriminellen im ganzen Land

gefürchtet", schrieb der Spiegel früh. Dieser Befund hing untrennbar mit den Auftritten der Staatsanwältin Lichtinghagen zusammen. Ihr System war schlicht: Um viel Geld bei den Reichen einzusammeln, übte sie auf Beschuldigte eine Menge Druck aus, um dann am Ende doch auf die Beantragung von Haftstrafen ohne Bewährung zu verzichten. Das Ende solcher Verfahren wurde in kaum einem Medium differenziert beschrieben. Stattdessen wurde das System aus Repression und Kooperation fälschlicherweise mit Begriffen wie "Unerschrockenheit" übersetzt.

Irritierende Glückwünsche

Und dass Steuerstrafverfahren, um die sie sich vorwiegend kümmerte, juristisch betrachtet eher schlicht sind, blieb meist auch unbeachtet. Es bleibt dabei: Zur Heldin wird, wen die Medien zur Heldin machen wollen. Dass sogar ein Film über die Bochumer Staatsanwältin mit Veronica Ferres in der Hauptrolle geplant war, galt manchem da draußen als Zertifikat für Unabhängigkeit und Mut und führte drinnen in der Behörde zu Spötteleien und vielleicht auch Neid.

Als Staatsanwältin hat Margrit Lichtinghagen immer wieder mal versucht, das Bild der Heldin Lichtinghagen wegzuwischen. Als ihr nach der Zumwinkel-Durchsuchung und dem folgenden Medien-Hype sogar Steuerfahnder, mit denen sie seit mehr als einem Jahrzehnt eng zusammenarbeitete, zum Erfolg gratulierten, war sie sichtlich irritiert und fassungslos. Sie hat den Beamten mitgeteilt, dass sie ihnen alles zu verdanken habe. Auf das Team, nicht auf den Einzelnen, komme es an. Teams aber haben keine Fallhöhe. HANS LEYENDECKER

Margrit Lichtinghagen war die Frau, die angeblich Jagd auf die deutsche High Society machte. Foto: AP

Lichtinghagen, Margrit SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Gekaufte Zeit

Der Milliardär Carlos Slim kommt der "New York Times" zur Hilfe - gegen stolze Zinsen

Aufatmen in Manhattan: Der mexikanische Milliardär Carlos Slim ist der New York Times mit einer Investition von 250 Millionen Dollar zu Hilfe geeilt und hat damit vermutlich eine unmittelbar drohende Liquiditätskrise in dem Verlag erst einmal abgewendet. Die Entscheidung wurde am späten Montagabend in New York bekannt, der Aktienkurs der Times erholte sich zunächst, geriet jedoch im frühen Handel an der Wall Street schon wieder unter Druck.

Die Investition mag der New York Times für die nächsten Monate Handlungsspielraum geben, die Details des Geschäftes machen jedoch klar, wie ernst die Lage bei der ehrwürdigen Zeitung inzwischen ist. Carlos Slim, mit einem Vermögen von 60 Milliarden Dollar einer der reichsten Männer der Welt - fast auf Höhe des amerikanischen Investors Warren Buffett -, hat der Zeitung zunächst einen Kredit gewährt, der bis 2015 läuft. Diesen lässt er sich mit unglaublichen 14,1 Prozent Zinsen vergüten. Der sehr hohe Satz - formal eine garantierte Dividende - ist Ausdruck der angespannten Finanzlage; Schuldverschreibungen des Verlages werden von den Ratingagenturen inzwischen als Schrottanleihen eingestuft, sie tragen ein sehr hohes Ausfallrisiko. Der 250-Millionen-Kredit ist einem Bezugsrecht für Aktien zu einem Preis von 6,36 Dollar verbunden.

Sollte Slim das Bezugsrecht ausüben, würde er damit einen Anteil von elf Prozent an der Times erwerben. Da er bereits im vergangenen September 6,9 Prozent der Aktien gekauft hatte, hielte er dann 18 Prozent an dem Verlag und damit fast so viel wie die dominierende Verlegerfamilie Ochs-Sulzberger (19 Prozent). Die Sulzbergers beherrschen den Verlag bisher, weil sie den überwiegenden Teil der mit einem Mehrfachstimmrecht ausgestatteten B-Aktien halten.

Baseball Team im Angebot

Nicht so ganz klar ist, was Slim eigentlich will. Der mittlerweile 68-jährige Witwer hat sein Vermögen in Mexiko mit der Telefongesellschaft Telmex und dem größten Mobilfunkbetreiber Lateinamerikas, America Movil, gemacht, er ist an der Bank Inbursa beteiligt und besitzt eine Industrieholding. Slim tritt als Kunstsammler und Mäzen auf und ist mit dem früheren amerikanischen Präsidenten Bill Clinton befreundet. Als er im September erstmals bei der Times einstieg, sagte er öffentlich nur, der Verlag sei ein

tolles Unternehmen und habe einen günstigen Preis geboten. Möglicherweise will

er jetzt mit seinem Kredit nur die Verluste begrenzen, die er bisher mit den Times-Aktien erlitten hat, vielleicht will er die Times aber auch beherrschen. In diesem Falle ist die Frage, was den Ingenieur in die Lage versetzen sollte, mit der Branchenkrise besser umzugehen als die bisherigen Verleger.

Aus Sicht des Times-Verlages ist das Kalkül klar: Er will Zeit kaufen. Die New York Times steht vor einem doppelten Problem: Sie ist einmal, wie die Zeitungsbranche fast auf der ganzen Welt, von einer schweren Konjunktur- und Strukturkrise betroffen. Anzeigenerlöse bleiben aus, Leser wandern ins Internet

ab. Im November lagen die Anzeigenumsätze um 21 Prozent niedriger als vor einem Jahr, auch in den beiden Monaten zuvor waren die Erlöse mit zweistelligen

Prozentsätzen eingebrochen. In der gleichen Zeit hat die Aktie der Times 50 Prozent ihres Wertes verloren. Zudem ist der Verlag unterkapitalisiert, die Eigentümer genehmigten sich bisher immer großzügige Dividenden, auch in nicht so guten Jahren. In den Zeiten des Kreditbooms verschuldete sich die Times heftig, jetzt werden die Kredite unter wesentlich ungünstigeren Bedingungen fällig. Das Darlehen von Carlos Slim dient teilweise dazu, solche Kredite abzulösen.

Der Verlag versucht jetzt, mit dramatischen Schritten, Kapital zu sichern und

die Kosten in den Griff zu bekommen. Das neue Verlagsgebäude in Manhattan soll verkauft und anschließend zurückgemietet werden. Auch der Anteil an der Baseball-Mannschaft der Red Socks in Boston steht zur Veräußerung an, ohne dass bisher ein Erwerber gefunden wäre. Ein Vertriebszentrum in New York wurde geschlossen, der Lokalteil verlor einen eigenen Aufschlag, um Druckkosten zu sparen. Schließlich nahmen die Eigentümer auch eine Kürzung der Dividende um drei Viertel hin. "Dies wird eines der

schwierigsten Jahre, die wir bisher erlebt haben", sagte Verlagschefin Janet Robinson im vergangenen Monat. Das dürfte sich auch mit dem teuren Geld aus Mexiko nicht geändert haben.

NIKOLAUS PIPER

Slim Helu, Carlos The New York Times SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Keinfamilienhaus

Wenn er arbeitet und sie: Ein Film über moderne Eltern

So lakonisch der Titel daherkommt, Mama arbeitet wieder, das ist natürlich nichts anderes als die Fanfare zu einer ideologischen Schlacht. Karriere- gegen Gluckenmütter, traditionelle Ernährer gegen neue Vorzeigeväter zwischen Sandkasten und Wickeltisch, Mama gegen Papa - immer geht es um die heikle Frage, wer sich wie lange um die Kinder kümmern sollte und wie viel Leben da noch übrig bleibt. Gerade erst hat es Frankreichs Justizministerin gewagt, fünf Tage nach Kaiserschnitt in - mon dieu! - Highheels an ihren Arbeitsplatz zurückzuspazieren, und damit eine gesellschaftliche Debatte ausgelöst. Stoff für einen bitterkomischen Spielfilm (Regie: Dietmar Klein) ist also reichlich in Umlauf.

Der Bauingenieur Mark Vogt (Tim Bergmann) bewohnt mit seiner Frau Corinna (Anna Schudt) und zwei kleinen Kindern ein Einfamilienhaus im Grünen. Oberflächlich läuft alles rund: Er arbeitet, sie kümmert sich um Haushalt und Nachwuchs, abends sinken sie knutschend ins Ehebett. "Wir waren das, was man eine traditionelle Kleinfamilie nennt", sagt Mark, "doch plötzlich wurden wir eine ganz moderne Familie." Als der Chef um Hilfe ruft, kehrt Corinna schneller als geplant in ihren Job zurück. Eine Nanny muss her; der ehrgeizige Gatte erklärt sich widerstrebend bereit, früher von seiner Baustelle zu verschwinden und dafür mehr Zeit mit den Kindern und der Schmutzwäsche zu verbringen. "Alles eine Sache der Organisation", glauben sie - und täuschen sich.

Das Drehbuch vereint alle kleinen und großen Widrigkeiten, die auf Doppelverdiener mit Kindern zukommen können: die spöttischen Sprüche der Kollegen (in seine Richtung), der strafende Blick der Vollzeitmutter (in ihre), das schlechte Gewissen, die Müdigkeit, die kleinlichen Machtspielchen und Streitereien und schließlich die Entfremdung voneinander, bis hin zum drohenden Ehebruch . . . Das wird mit viel Esprit erzählt und kommt der banalen Wahrheit, dass der Selbstverwirklichung mit Kindern Grenzen gesetzt sind, ziemlich nahe. Berufstätige Eltern werden sich bei Dialogen wie "Hast du ans Einkaufen gedacht?" - "In der Mittagspause, Schatz!" jedenfalls zutiefst verstanden fühlen.

Wie man sein Leben zwischen Kindern, Job und Beziehung nun wirklich in den Griff bekommt, auf diese Frage maßt sich der Film eine Antwort gar nicht erst an. Allein das macht ihn schon liebenswert. TANJA REST

Mama arbeitet wieder, ARD, 20.15 Uhr

Kinder statt Baustelle: Ingenieur Mark Vogt (Tim Bergmann) lebt ein traditionelles Eheleben - bis seine Frau wieder ins Büro geht. Foto: SWR

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Was bleibt?

Die Sat-1-Beschäftigten streiken in Berlin und gratulieren sich selbst

Die Mail vom 9. Januar war anders abgefasst als die kämpferischen Mitteilungen des Berliner Betriebsrates von Sat 1. Der muss sich seit Wochen mit dem Umzug des Kommerzkanals nach München, dazu einem umfänglichen Stellenabbau beschäftigen und schrieb: "Die Betriebsräte möchten uns allen zum 25. Geburtstag recht herzlich gratulieren."

Während RTL seine Gründung am 2.1. 1984 Anfang Januar im Programm mit Trailern, grafischen Einblendungen und zwei Shows feierte, funkte Sat 1 - am 1.1. 1984 an den Start gebracht - dumpf vor sich hin. Die Gesellschafter von KKR und Permira, beides Finanzinvestoren, blieben offenbar stumm. Von Stolz ist in der "BetriebsräteInfo" die Rede, von Engagement und Kreativität. Am Schluss heißt es dann: "Auch unser Vorstand und die Geschäftsführungen der Pro Sieben Sat 1-Sender gratulieren zum Jubiläum. Allerdings nicht uns (!), sondern RTL!"

Tatsächlich schickten die für die Sender verantwortlichen Manager Bartl, Proff, Alberti, Rossmann und Bolten im Chor eine Grußadresse an RTL. Zwei Stunden später am 9. Januar antwortete Sat 1-Sprecherin Kristina Fassler: Angesichts der schweren Entscheidung vieler Mitarbeiter, den Arbeitsplatz entweder ganz zu verlassen oder nach München umzuziehen, sei "mental vielleicht nicht so viel Platz für ein Jubiläum".

Immerhin war genügend Platz für einen 36-stündigen Streik der Beschäftigten, der am Dienstag dieser Woche auf dem Gendarmenmarkt in Berlin begann. Man fragt sich schon, was am Ende übrig bleibt von Sat 1. chk

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Baumängel führten zu Kirchen-Einsturz

São Paulo - Nach dem Einsturz eines Kirchendaches in São Paulo laufen die Ermittlungen zur Unglücksursache. Die umstrittene Pfingstgemeinde "Wiedergeburt in Christus" räumte nach Angaben der Zeitung Folha de São Paulo ein, dass im Herbst 2008 die Abdeckung des Dachs von einer Firma erneuert wurde. Unklar ist, ob diese unangemeldeten 70-tägigen Arbeiten der Auslöser des Dacheinsturzes von Sonntag sind, bei dem neun Frauen ums Leben kamen und mehr als 100 Menschen verletzt wurden.

Der Zivilschutz vermutet, die Holzstützträger des Daches waren durch die installierten Ventilatoren, Scheinwerfer und TV-Kameras einer zu hohen Last ausgesetzt. Die Kirche ist Weltsitz der Pfingstgemeinde, die etwa 1500 Tempel vor allem in Brasilien, aber auch in Argentinien und den USA unterhält. Die brasilianischen Behörden ermitteln gegen die Kirchengründer, den Ex-Manager Estevam Hernandes und seine Frau Sonia, wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. dpa

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"Enormer Freiheitswillen"

Deutsche Frau will in einem Schweizer Wald wohnen bleiben

Bern - Die Freude ist ausgesprochen einseitig: Zwölf Jahre war Gabriele Schulze aus dem brandenburgischen Städtchen Belzig wie vom Erdboden verschluckt. Sie war geschieden und arbeitslos, als sie 1997 ohne einen Ton zu sagen die Familie - zwei damals bereits volljährige Kinder, die Mutter und eine Schwester - verlassen hatte.

Schweizer Polizisten haben die 52jährige Frau nun in einem Wald bei Bern ausgemacht, und ihre Schwester würde sie gerne in ihre Arme schließen. Doch daraus wird vorerst nichts. Die Waldfrau von Bern würde am liebsten Waldfrau bleiben, auch wenn ihr Unterschlupf aus ein paar Backsteinen, Brettern und Planen praktisch keinen Schutz vor der Kälte bietet.

Sie wolle keinen Kontakt zu ihrer Familie, und nach Deutschland zurückkehren wolle sie schon gar nicht, erzählt Rudolf Burger. Burger ist Gemeindepräsident (Bürgermeister) des Berner Vororts Bollingen, und zusammen mit drei Begleitern hat er die Frau in ihrem abgelegenen Versteck besucht, nachdem die Polizei die als vermisst Gemeldete ausfindig gemacht hatte. Wo Gabriele Schulze zwölf Jahre lang war, wie sie am Ende in die Schweiz gekommen ist und wovon sie lebt, hat auch er nicht so richtig erfahren. "Ich wurde nicht ganz schlau. Teilweise redet sie sehr klar." Gleichzeitig sei sie wohl aber auch geistig verwirrt, erzählt Burger. So habe sie gesagt, sie müsse eine Mission erfüllen und sei kurz davor, diese zu beenden. Worin die Mission bestehe, sei nicht herauszubekommen gewesen. Trotz der harten Lebensumstände mache sie den Eindruck, in guter körperlicher Verfassung zu sein.

Die Behörden spielten zuerst mit dem Gedanken, die Frau in eine psychiatrische Klinik einzuweisen. Doch sie habe, so Burger, "einen enormen Freiheitswillen", und das können Schweizer verstehen. Jetzt ist offen, wie das weitere Leben von Gabriele Schulze aussehen wird. Ihr Versteck verraten Polizei und Bürgermeister auf Wunsch der Waldfrau nicht. Aber sie muss es bald aufgeben, verlangt die Stadt Bern, der der Wald gehört. Bei aller Freiheit muss schließlich auch Ordnung herrschen in der Schweiz.

Gerd Zitzelsberger

Lebensstile SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Mann hat Frau angeblich lebendig begraben

Köln - In Köln hat am Dienstag ein Prozess gegen einen Mann begonnen, der seine Freundin lebendig begraben haben soll. Die Staatsanwaltschaft warf dem 40-Jährigen heimtückischen Mord aus niedrigen Beweggründen vor. Er soll Angst gehabt haben, dass sich seine 24-jährige Freundin jüngeren Männern zuwenden könnte. Der Angeklagte betrat am Dienstag lächelnd den Saal des Landgerichts, brach aber später in Tränen aus. Nach Darstellung der Anklage lockte der Mann seine Freundin am 18. Mai vergangenen Jahres auf das Gelände einer Kölner Klinik. Er gab vor, dort 300 000 Euro vergraben zu haben und forderte die Frau auf, mit ihm zusammen das Geld wieder auszugraben. Als die Grube ausgehoben war, schlug der 40-Jährige der Frau mit einem Totschläger auf den Kopf und drosselte sie bis zur Bewusstlosigkeit. Dann zog er sie in die Grube und schüttete den Körper mit Erde zu, so die Staatsanwaltschaft. Die Anklage geht von einem heimtückischen Mord aus niedrigen Beweggründen aus. Motiv des 40-Jährigen soll seine Angst gewesen sein, die Frau könnte ihn wegen eines anderen Mannes verlassen. dpa, AP

Mordfälle in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Von Bamberg nach Bollywood

In Deutschland ist das Fotomodell Claudia Ciesla weitgehend unbekannt - in Indien verehrt man sie als Star

Von Claudia Fromme

Das Priya Kino in der Rashbehari Avenue in Kalkutta, im Auftrag ihrer Majestät lässt sich James Bond in "Quantum of Solace" gerade durch die Luft jagen. Die Zuschauer reißt es von den Sitzen, wie das so ist im Kino in Indien. An die tausend sind da. Plötzlich geht das Licht an. Unruhe, Pfiffe. Der Kinobesitzer springt auf die Bühne und sagt, dass er nicht warten kann, bis der Film zu Ende ist - ein besonderer Gast sei eingetroffen. Dann zieht er eine sehr blonde Frau auf die Bühne. Applaus brandet auf, Menschen liegen sich in den Armen. "Claudia! Claudia!" Bond kann warten, jetzt wollen alle von Claudia wissen, was sie von indischen Männern hält. Und wie sie Kalkutta findet. In der Reihenfolge.

So ist das, wenn Claudia Ciesla, Fotomodell aus Bamberg, Indien einen Besuch abstattet.

Im Restaurant "Swarg" in der Bamberger Frauenstraße läuft indische Musik, der Duft von Chicken Jhalfrezi liegt in der Luft. Ein Reporter vom Hörfunk rückt gerade sein Mikrophon vor Claudia Ciesla zurecht, als sich zwei Männer an den Nebentisch setzen. Cieslas Manager Gregor Kaden eilt herbei und fragt, ob sie sich umsetzen könnten. Da wäre ein Radiointerview mit - er spricht ein wenig lauter - "Claudia Ciesla, dem Bollywoodstar aus Bamberg", und ihre Stimmen könnten stören. Einer der Männer schüttelt ungläubig den Kopf und grinst. "Bollywood? Aha". Er möchte seine Oma grüßen, ruft er in Richtung Mikrophon.

So ist das, wenn Claudia Ciesla, Fotomodell aus Bamberg, Bamberg einen Besuch abstattet.

Von Bamberg bis Kalkutta sind es etwa 7240 Kilometer, da kann man viel behaupten. Claudia Ciesla, 21, lacht, sie kennt das. "Es ist ja nicht ganz gewöhnlich, was ich mache", sagt sie mit polnischem Akzent; sie ist vor vier Jahren von Loslau nach Bamberg gezogen. Also hat sie ordnerweise Artikel mitgebracht. Die Times of India titelt "Claudia brings sexy back!" Die Hindustan Times feiert das "European supermodel", der Telegraph aus Kalkutta berichtet von ihrem Besuch in einer Kinderklinik, "Healing hand" steht unter einem Bild, auf dem Claudia Ciesla einem Kind die Wange streichelt. "Man muss den Menschen hier klarmachen, was die Claudia für ein super Typ ist", sagt Gregor Kaden, 61, und tätschelt ihren Arm. Er hat Videos dabei, neun Stunden Claudia. Eindrücke von Drehs, von Männern, die sich nach der Premiere ihres neuen Films "10:10" prügeln, um ihr nahe zu sein. 40 Polizisten mussten dazwischen gehen. Claudia Ciesla sagt: "Ich muss sagen, das ist schon verrückt."

Bollywood dreht sich schneller als Hollywood, und so hat sie ein Jahr nach ihrem ersten Flug nach Indien schon in drei Filmen mitgespielt. Ein bisschen hat dabei sicher auch geholfen, dass sie in der Vergangenheit in sehr luftiger Kluft für Bild posiert hat und ihre Maße nie unerwähnt bleiben: 98-64-96. Claudia Ciesla machte Furore, nicht zuletzt als sich - publizistisch begleitet von Bild - ein Doktor von der Echtheit ihrer Brüste überzeugte und sie beim Alpen Grand Prix 2007 das Lied "Mir ziagt koaner's Dirndlgwandl aus" vortrug. Im Internet brummte es, irgendwann bis Indien, wo Filmproduzent Vivek Singhania auf sie aufmerksam wurde und ihr eine Nebenrolle in seinem Film "Karma" antrug. Claudia Ciesla spielt darin eine ermordete deutsche Touristin, die als Geist zurückkehrt. Bei den Filmfestspielen in Cannes lief "Karma" außer Konkurrenz, im Frühjahr kommt er ins Kino.

Zwar dauert ihr Auftritt in "Karma" gerade mal zehn Minuten, doch fortan interessierte sich vor allem Tollywood, wie die Filmindustrie in Tollygunge bei Kalkutta genannt wird, für die Darstellerin, die so ganz anders ist als die anderen Schauspielerinnen. So blond, so curvy. "Die Inder stehen nicht so auf Hungerhaken", sagt Claudia Ciesla, lacht und stippt Nan-Brot in ihr Linsengericht. Sie ist sie die einzige Deutsche in der Branche.

In ihrem zweiten Film "Ki Jona Pardes" spielt sie eine Frau, die von ihrem Ehemann sitzengelassen wird, in der Mafiaklamotte "10:10" eine deutsche Journalistin. Drei weitere Verträge sind bereits unterschrieben, die Koffer für den nächsten Dreh in Indien längst gepackt. Zeit für Schauspielunterricht bleibt da eher nicht. "Übung kommt beim Drehen", sagt Claudia Ciesla und zuckt mit den Schultern.

Vier Leibwächter beschützen sie

In den Klatschspalten indischer Zeitungen ist sie integraler Bestandteil, die Schiffer von Tollywood. Brautpaare bieten viel Geld, damit sie als Ehrengast ihrer Hochzeit beiwohnt. Inzwischen hängen acht Saris in ihrem Schrank, prachtvolle Designerstücke, kiloschwer. Auswandern wolle sie nicht - trotz der freundlichen Menschen dort. Sie sei nun doch sowieso schon mehrere Monate im Jahr dort, und außerdem sei es etwas anstrengend, derart belagert zu werden. "Ohne Leibwächter gehe ich nie aus dem Haus", sagt sie. Die Chancen, unerkannt zu bleiben, sind gering. Allein in Kalkutta hängen für "10:10" Tausende Plakate, auf denen Claudia Ciesla schulterfrei geheimnisvoll lächelt.

Der Kellner im "Swargat" fragt, ob alles recht sei, und Claudia Ciesla sagt etwas Nettes auf Hindi. In den Filmen spricht sie Englisch - noch. "Für Hauptrollen muss man Hindi lernen", sagt sie. Darum lerne sie nun diese Sprache. "Ich stehe doch noch ganz am Anfang", sagt sie.

In Indien sei alles ein wenig anders, "die großen Namen der Branche sind fast Heilige". Als der westbengalische Star Soumitrada Chatterjee zum ersten Drehtag von "10:10" erschien, fielen die übrigen Darsteller zu Boden und berührten seine die Füße. Der Bamberger Export tat es ihnen nach, und Soumitrada hat sie dann gesegnet. So ist das in Indien. Den Megastar der Branche, Shah Rukh Khan, hat sie noch nie getroffen, was die indischen Medien aber nicht davon abhielt, ihnen ein Verhältnis anzudichten. Das sei eben Indien, alles ein wenig theatralischer, es gehe immer um die ganz großen Gefühle.

Nun aber klingelte vor einer Weile das Telefon vom anderen Kontinent. Uwe Boll, Regisseur umstrittener Güte mit einer beachtlichen Sammlung goldener Himbeeren, möchte sie für eine Nebenrolle verpflichten. An der Seite von Buzz Aldrin, dem zweiten Mann auf dem Mond, soll sie in "Silent Night in Algona" ein polnisches, jüdisches Mädchen spielen, das dem Holocaust entkommen und in die USA geflohen ist. Gedreht wird in der konkurrierenden Traumfabrik, in Hollywood. In Indien habe sie das noch keinem erzählt, sagt Claudia Ciesla. Sie müsse das ihren Freunden schonend beibringen.

"So blond, so curvy": Wenn die 21-jährige Claudia Ciesla aus Bamberg durch Kalkutta geht, begleiten sie gleich vier Leibwächter. Das blonde Fotomodell ist in Indien so etwas wie ein Star, seit sie in ihrem ersten Film "Karma" (links) mitgespielt hat. Inzwischen hat Claudia Ciesla drei Filme auf dem Subkontinent gedreht, Verträge für drei weitere sind abgeschlossen - und nun bekundet also auch Hollywood Interesse. Fotos: kadenpress/oh

Ciesla, Claudia SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Zehn Liter reiner Alkohol pro Kopf

Die Deutschen trinken zu viel - Suchtexperten fordern Werbeverbot

Berlin - Trotz eines leichten Rückgangs trinken die Deutschen jährlich immer noch knapp zehn Liter reinen Alkohol pro Kopf - und liegen damit weltweit auf Platz sechs. "Das Konsumniveau ist weiterhin inakzeptabel hoch", sagte Rainer Gaßmann, Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (Hamm), am Dienstag bei der Vorstellung des aktuellen Jahrbuches Sucht in Berlin. Schätzungsweise 9,5 Millionen Menschen waren danach 2007 hierzulande von legalen Suchtmitteln - von Alkohol über Tabak bis hin zum Glücksspiel - abhängig.

Während der Konsum der umstrittenen Alkopops nach den Preiserhöhungen unter Jugendlichen von 64 Prozent (2003) auf 45 Prozent (2007) sank, stieg der Anteil der jungen "Rauschtrinker" dramatisch: Gut ein Viertel der 12- bis 17-Jährigen greift laut Jahrbuch mindestens einmal im Monat zu fünf oder mehr alkoholischen Getränken. Nach wie vor sei die Werbung für alkoholische Getränke zu allgegenwärtig, kritisierten die Suchtexperten. "Es gibt ja kein Fußballspiel oder keinen Krimi, der ohne Werbepartner präsentiert wird", sagte Reiner Hanewinkel vom Kieler Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung. 104 Millionen Euro ließ die Branche sich ihre Werbung 2007 kosten, 77 Millionen waren es im Jahr zuvor.

Obwohl immer noch ein Drittel der Männer und knapp ein Viertel der Frauen in Deutschland zur Zigarette greifen, ging der Pro-Kopf-Konsum 2007 auf 1111 Stück zurück (2006: 1335). Immer noch unterschätzt sei die Tablettensucht, sagte der Gesundheitsökonom Gerd Glaeske (Uni Bremen). Etwa 1,5 Millionen Menschen sind abhängig von Medikamenten mit Suchtpotential; vor allem Ältere und Frauen greifen laut Jahrbuch zu den Pillen, die legal vom Arzt oder Apotheker zu beziehen sind. Das Spektrum reicht von Schlaf- und Beruhigungsmitteln bis zu Schmerztabletten und Hustensäften. "Hier sind vor allem die Ärzte in ihrer Verantwortung gefordert: 12 bis 15 Prozent von ihnen verordnen über 50 Prozent der fragwürdigen Mittel", mahnte Glaeske. Kritisch sieht er auch die sogenannten Psychostimulanzien. Glaeske warnte davor, die anregenden Mittel als "Alltagsdoping" leichtfertig zu konsumieren und übers Internet von dubiosen Quellen zu bestellen. dpa

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"Notleidende Banken" ist Unwort des Jahres

Frankfurt/Main - Der Ausdruck "notleidende Banken" ist zum Unwort des Jahres 2008 gewählt worden. Der Begriff stelle das Verhältnis von Ursachen und Folgen der Weltwirtschaftskrise völlig auf den Kopf, begründete der Frankfurter Sprachwissenschaftler Horst Dieter Schlosser die Entscheidung der Jury: "Während die Volkswirtschaften in ärgste Bedrängnis geraten und die Steuerzahler Milliardenkredite mittragen müssen, werden die Banken mit ihrer Finanzpolitik, durch die die Krise verursacht wurde, zu Opfern stilisiert." Auf Platz zwei landete "Rentnerdemokratie", auf Platz drei kam "Karlsruhe-Touristen". Die Jury hatte das Unwort aus 2117 Einsendungen ausgewählt. AP

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Ende einer Entführung

Der griechische Reeder Periklis Panagopoulos kommt frei, nachdem seine Familie 30 Millionen Euro Lösegeld gezahlt hat

Von Kai Strittmatter

Istanbul - Der am Montag vor einer Woche entführte griechische Reeder Periklis Panagopoulos ist wieder frei. Wie die griechische Polizei mitteilte, fand eine Streife nach einem Anruf der Entführer den Reeder kurz nach ein Uhr morgens auf einem Parkplatz an der Autobahn von Athen nach Korinth, wo er auf der Bank eines Parkplatzes saß. Zuvor habe die Familie 30 Millionen Euro Lösegeld bezahlt, das höchste in der griechischen Geschichte. Dem 74-Jährigen geht es nach Angaben der Familie "zufriedenstellend". Er sei nicht misshandelt worden, hieß es im staatlichen Rundfunk, auch hätten die Entführer dafür gesorgt, dass er seine Medikamente einnehme.

Panagopoulos leidet unter Diabetes, die Familie hatte sich vergangene Woche große Sorgen um seinen Gesundheitszustand gemacht. Die Entführer wussten aber offensichtlich von der Krankheit und hatten sich die nötigen Medikamente besorgt. Sie sind auf der Flucht.

Noch am Wochenende hatte sich Katerina Panagopoulos, die Frau des Entführten, in einem emotionalen Appell an die Entführer gewandt, nachdem für mehr als 24 Stunden der Kontakt abgebrochen war. Sie hatte ihre Bereitschaft betont, das geforderte Lösegeld zu bezahlen und sich selbst im Austausch als Geisel angeboten. In der Nacht zum Dienstag dann waren Katerina Panagopoulos und der Fahrer der Familie in ein abgelegenes Gebiet nahe der Kleinstadt Theben gefahren, um das Geld abzuliefern. Auf Wunsch der Familie war die Polizei der Übergabe ferngeblieben. Der Fahrer hatte auch die Entführung miterlebt: Drei bewaffnete Männer hatten ihm und Periklis Panagopoulos im Wohnort der Familie aufgelauert und beide verschleppt. Den Fahrer setzten sie wenig später aus und fesselten ihn an einen Baum.

Periklis Panagopoulos ist einer der reichsten Männer Griechenlands. Er gilt als öffentlichkeitsscheu und war immer ohne Leibwächter unterwegs. Sein Vermögen hatte er mit dem Aufbau mehrerer Schifffahrtslinien und vor allem dem Fährverkehr zwischen Italien und Griechenland gemacht. 1971 gründete er die Royal Cruise Line, 1993 die "Attica Group", die er im Oktober 2007 für 286 Millionen Euro verkaufte.

Die Entführung hat in Griechenland die Debatte über die öffentliche Sicherheit angeheizt. Nach den wochenlangen Ausschreitungen linksautonomer Jugendlicher und einem Anschlag einer linksradikalen Terrororganisation auf eine Polizeiwache in Athen kritisieren viele Griechen die Regierung für die vermeintlich wachsende Gesetzlosigkeit im Land. In Umfragen liegt die regierende Nea Dimokratia mittlerweile hinter den oppositionellen Sozialisten.

Periklis Panagopoulos war schon das dritte prominente Entführungsopfer im vergangenen halben Jahr. Von seinen Entführern fehlt bislang jede Spur. Die griechische Polizei verwies am Montag auf die hohe Aufklärungsrate in ähnlichen Fällen und versprach, man werde die Täter bald fassen.

Gerettet: Perikles Panagopoulos ist nach einer Woche in der Hand von Kidnappern wieder frei. Foto: AFP

Panagopoulos, Perikles: Opfer Entführungen und Geiselnahmen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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LEUTE

Cristiano Ronaldo , 23, Weltfußballer, kann sich die Wartezeit auf seinen Ferrari mit einem neuen Flitzer verkürzen - wenn auch nur in Miniaturausgabe. Wie News oft the World berichtet, stellten ihm seine ManU-Teamkameraden ein ferrarirotes Tretauto auf den Parkplatz vor dem Trainingsgelände. "Er fand es wahnsinnig komisch und sagte, er werde sofort damit spielen, sobald er zu Hause sei", hieß es weiter. Seit er seinen echten Ferrari zu Schrott gefahren hatte, habe er nicht mehr aufgehört zu schwärmen, wie schön das Auto doch gewesen sei.

Mette-Marit , 35, norwegische Prinzessin, muss möglicherweise vor Gericht in einem Erbstreit zwischen ihrer Mutter Marit Tjessem und zwei Stiefsöhnen aussagen. Wie die Osloer Zeitung Aftenposten am Dienstag berichtete, will Tjessem mit der Klage gegen die Söhne ihres 2008 gestorbenen zweiten Ehemannes Rolf Berntsen durchsetzen, dass sie eine Ferienhütte aus dem Nachlass komplett übernehmen kann. Die Mutter der Ehefrau von Norwegens Kronprinz Haakon streitet mit den beiden Söhnen sowohl um ihren rechtmäßigen Anteil an dem Holzhaus wie um dessen Wertfestsetzung.

Samuel L. Jackson , 60, Schauspieler, hält nichts von Preisverleihungen. "Das erste Mal war es noch der Wahnsinn", sagte er dem SZ-Magazin. "Ich saß mit meinen Jungs in der dicken Limousine, wir haben Freunde angerufen: ,Hey yo, stell dir mal vor, ich bin grad auf dem Weg zur Soundso-Party, wuuuuh!'" Zwei Jahre später habe sich das erledigt. "Du sitzt im Auto, bist noch zwei Blocks vom roten Teppich entfernt, auf der Straße nur Stau, du brauchst eine Stunde für diese lächerlichen zwei Blocks und denkst, Mann, kann ich bitte zu Fuß gehen? Oder noch besser: heim?" Foto: AP

Rudi Assauer , 64, Pils-Macho und Fußball-Urgestein, muss sich künftig selber das Bier aus dem Kühlschrank holen. Laut Bild-Zeitung haben sich Assauer und die Schauspielerin Simone Thomalla ("Tatort") nach acht Jahren getrennt. Die 43-Jährige, die der Liebe wegen nach Gelsenkirchen gezogen war, will angeblich wieder nach Berlin zurückkehren.

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Schandfleck oder Mahnmal?

Im belgischen Charleroi diskutiert man, was mit dem Haus des Kinderschänders Marc Dutroux geschehen soll

Von Cornelia Bolesch

Charleroi - Selbst unter strahlend blauem Winterhimmel sind einige Ecken dieser labyrinthischen Stadt so hässlich, dass einem der Atem stockt. In der Route de Philippeville ganz in der Nähe des Bahnhofs stehen die Häuser mit ihren meist schäbigen Backstein-Fassaden nur wenige Meter von den Gleisen entfernt. Fast über die Dächer hinweg schraubt sich auf Stelzen die Autobahn empor. In diesem chaotischen Niemandsland haben vor dreizehn Jahren Julie und Melissa, An und Eefje, Sabine und Laetitia ihr unbeschreibliches Martyrium erlebt.

Das Haus ihrer Qualen trägt die Nummer 128. Die Ziffern sind nicht mehr zu sehen. Alle Konturen des Gebäudes, in das der Psychopath Marc Dutroux seine Opfer verschleppte, sind hinter einem bunten Plakat verschwunden. Anstelle der verwahrlosten Vorderfront ist jetzt ein Kind zu sehen, das einen Drachen steigen lässt. Als Dutroux zu lebenslanger Haft verurteilt und das Haus nicht mehr als Beweismittel benötigt wurde, schirmte sich Charleroi mit dem farbenfrohen Bild gegen die dunkle Vergangenheit ab.

"Es ging auch darum, die Nachbarn zu schützen", erklärt der Gemeindedezernent Eric Massin. "Wildfremde Leute haben bei ihnen geklingelt, Touristen, Reporter. Einige fragten, ob sie einen Schlüssel haben könnten, um in das Haus zu kommen." Das Opfer Sabine Dardenne hat in einem Buch beschrieben, wie es darin aussah: "Ein quadratischer Raum, kaum möbliert. Am Boden Ziegel, Zementsäcke, Werkzeug. Mein erster Eindruck sagte mir, dass ich nicht in einem normalen Haus war, in dem normale Menschen leben."

Im Keller verhungert

Da hatte sie das Schlimmste noch gar nicht gesehen: das Versteck im Keller. Ein teuflisch konstruiertes Loch von 99 Zentimeter Breite, zwei Meter und 34 Zentimeter Länge, ohne Fenster, verborgen hinter einer 200 Kilo schweren Tür. Hier unten verhungerten die achtjährigen Mädchen Julie und Melissa auf einer verschmuddelten Schaumgummi-Matratze. Die siebzehn und neunzehn Jahre alten Teenager An und Eefje hatte Dutroux im ersten Stock mit einer Kette festgebunden. Die Leichen der vier Mädchen wurden später auf verschiedenen Grundstücken in der Region entdeckt. Die zwölfjährige Sabine und die vierzehnjährige Laetitia gab das Haus lebend frei.

"Es ist schwer, sich immer wieder daran zu erinnern." Eric Massin ist in Charleroi für Stadtentwicklung zuständig. Wer ihn sprechen will, muss mit der Metro nach Gilly fahren, in eine der 15 Randgemeinden, die 1976 zum Großraum Charleroi vereinigt wurden. Die einstige Stahlhochburg wuchs damit mit einem Schlag auf 200 000 Einwohner und wurde zur größten Stadt in der Wallonie. Doch sie zerfällt weiter in ihre Einzelteile. Sie kämpft mit hoher Arbeitslosigkeit und dem Erbe einer verfilzten sozialistischen Verwaltung. Ihr berühmtestes Stadtviertel ist ausgerechnet Marcinelle. Dort hat sich der arbeitslose Elektriker Dutroux aus Brüssel vor vielen Jahren ein billiges Haus gekauft.

Zwei Jahrzehnte später treibt Eric Massin den Plan der Stadt, dieses Haus vom Erdboden zu tilgen und Dutroux dafür zu enteignen, weiter voran. Am Ort des Schreckens soll ein "Garten der Erinnerung" entstehen, mit Pflanzen und einer Skulptur. "Ich wollte auch mit den Familien der Opfer sprechen. Ich habe sie eingeladen. Aber niemand ist gekommen. Keiner hat reagiert." Die Familien geben dem Staat die Schuld an dem, was ihren Kindern angetan wurde. Der Vater von Julie sagte im Fernsehen, das Haus solle als ewiges Mahnmal stehen bleiben.

Eric Massin dagegen will "die Dinge verändern, ohne zu vergessen". Er glaubt, die meisten Leute in Charleroi hätten kein großes Interesse mehr am Fall Dutroux. Im "Maison de la Presse", dem Journalistentreff gegenüber dem Justizpalast, geben ihm die Zeitungen auf den ersten Blick Recht. Längst haben andere Greuel die Schlagzeilen erobert. Ein belgischer Arzt berichtet von den verheerenden Zuständen im Gazastreifen. Erst auf Seite 15 der Lokalzeitung wird klein gemeldet, dass Marc Dutroux ins Gefängnis von Nivelles verlegt worden sei, 25 Kilometer von Charleroi entfernt.

Das Auf und Ab des Interesses - Franco Meggetto hat es mitgemacht. Der Sprecher der Polizei sitzt im Maison de la Presse, trinkt deutschen Wein und erinnert sich, wie er nach der Aufdeckung der Taten vor dem Dutroux-Haus campierte, um ja nichts zu verpassen. Da war er noch freier Journalist. Bei der Polizei half Meggetto mit, den großen Gerichtstross nach Marcinelle zu organisieren. Sämtliche Prozessbeteiligte waren 2004 aufgebrochen, um in der Route de Philippeville mit eigenen Augen zu sehen, was die Hölle auf Erden bedeutet. Es war der letzte große symbolische Akt rund um das Horror-Haus. Kurz danach hat die Stadt das bunte Plakat aufgestellt.

Franco Meggetto sagt: "Für die Jüngeren ist der Fall Dutroux so fern wie die Mondlandung." Er ist dafür, das Haus endlich abzureißen. Leute wie er blieben sowieso auf ewig mit den Ereignissen verknüpft. Meggetto hat zwei Kinder. Die habe er damals, als alles über Dutroux herauskam, kaum mehr auf die Straße gelassen. Einer ganzen Generation von belgischen Kindern sei es ähnlich ergangen. Der Polizeisprecher schüttelt den Kopf. Irgendwann müsse man sich von dem Schrecken lösen. "Eine Gesellschaft muss sich fortbewegen."

Die Funktion des Schrecklichen

Auch in Marcinelle sieht man Versuche, sich fortzubewegen. Einige Fassaden sind wie zum Trotz frisch bemalt und mit Blumen geschmückt. Auf die lange Betonwand vor den Gleisen haben Schulkinder Friedensbotschaften gezeichnet. "Das kommt nicht aus dem Viertel. Das wurde hierher importiert." Fast verächtlich schaut Francoise Barré auf diese Malaktion. Die junge Reporterin arbeitet heute für das Lokalradio Vivacité. Sie hat das Kellerverlies mit eigenen Augen gesehen. Seither lebt sie im Widerspruch zur vorherrschenden Meinung in Charleroi. "Das Haus soll stehen bleiben. In seiner ganzen Schrecklichkeit. Es hat eine pädagogische Funktion zu erfüllen".

Es sind Fragen, die keinen der Anwohner besonders beschäftigen. Eine rumänische Familie wohnt seit einigen Monaten neben dem Haus. Doch, sie kenne den Namen Dutroux , radebrecht die Mutter von fünf Kindern. Sie wohne aber gerne hier, es sei billig. Eine junge blasse Frau verlässt das Haus nebenan. Sie führt ein kleines Mädchen an der Hand. Nein, sagt sie, sie habe im Prinzip nichts gegen ein Park der Erinnerung. "Aber die Leute werden ihren Müll hineinwerfen."

Nicht nur in Charleroi ringt man um das richtige Erinnern. Dutroux hat in der Region mehrere billige Häuser besessen, seine Frau und seine drei Kinder lebten in Sars-La-Bussiere. Auf dem Grundstück wurden die Leichen von Julie und Melissa ausgegraben. Auch dort sollen jetzt die Mauern eingerissen werden. Es soll ein Raum entstehen, wo der Schrecken etwas weichen kann.

Route de Philippeville, Nummer 128: Hier hat der Psychopath Marc Dutroux sechs Mädchen gefangen gehalten - nur zwei überlebten ihr Martyrium. Seit der Verurteilung des Täters ist die Fassade des Hauses hinter einem Plakat verschwunden: Es zeigt ein Mädchen, das einen Drachen steigen lässt. Foto: laif

null: Dutroux, Marc Städte und Gemeinden in Belgien SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Toleranz: null Punkte

Ein Homosexueller will Russland beim Eurovision Song Contest vertreten - die Begeisterung in seinem Land hält sich in Grenzen

Von Frank Nienhuysen

Moskau - Selbstzweifel sind nicht hilfreich für jemanden, der den Eurovision Song Contest gewinnen will. Aber Boris Moisejew kann sich seiner Sache kaum sicher sein, nachdem russische Behörden in der Vergangenheit sogar schon einige seiner Konzerte abgesagt haben. "Vielleicht wird ja mein Lied goutiert, ich selber jedoch nicht", sagte er der Zeitung Moskowskij Komsomolez. Moisejew, einer der beliebtesten Schlagersänger Russlands, will sein Land im Mai beim Grand Prix in Moskau vertreten, und sollte ihm dies gelingen, wären Russland wenigstens ein paar Toleranzpunkte sicher.

Der kräftige Mann mit dem wasserstoffblonden Kurzhaar hat sich als einer von wenigen russischen Künstlern zu seiner Homosexualität bekannt, während sich bisher das Verständnis des gastgebenden Moskauer Bürgermeisters Jurij Luschkow für Schwule in engen Grenzen hält. Luschkow hat in den vergangenen Jahren stets hartnäckig die geplante Gay-Parade in der russischen Hauptstadt verbieten lassen, weil sie keine andere Bezeichnung verdiene als "Satanshow". Diesmal fallen die Termine im Mai zusammen, und so versucht sich Luschkow in seiner Intoleranz diesmal großzügig zu zeigen. "Schwule Fans werden in Moskau eine gute Zeit haben, solange sie keine Gay-Parade abhalten."

Ein Leser der Moskowskij Komsomolez fragte nach der Ankündigung Moisejews, beim Grand Prix anzutreten, bereits: "Sind die verrückt - ein Homosexueller soll Russland repräsentieren? Es gibt schon genug Schande bei uns." Der 54 Jahre alte Moisejew kennt die Ressentiments seit seiner Kindheit, als Nachbarjungen ihn mit Stöcken schlugen, "weil ich anders war als sie. Ich war schön, ich konnte gut singen, und ich konnte gut tanzen." In Litauen war er Ballettmeister, bekannt aber wurde er, als er sich Russlands berühmtester Popsängerin Alla Pugatschowa anschloss. Später begann er seine Solokarriere als Sänger softer Popschlager und als Choreograph, hatte seine eigene Fernsehshow und trat auch mal gern in bunten Frauenkleidern auf. Das ist selbstbewusst in einem Land, das erst vor zehn Jahren die Homosexualität von der Liste der Krankheiten gestrichen hat.

Die einen liebten Moisejew stets, die anderen kannten kein Pardon. "Wer meine Konzerte abgesagt hat? Das waren doch Bürokraten, aber ihr Boss Wladimir Putin hat ihnen inzwischen geschrieben, dass Moisejew ein ausgezeichneter Künstler Russlands ist", sagte Moisejew. Und so hofft er nun, ausgestattet auch mit dem Segen der Politführung, dass er genug Breitenwirkung erzielt, um sich im Februar zunächst gegen die nationale Konkurrenz durchzusetzen. "Bambina" heißt sein Titel, und er hat auch schon erzählt, wovon das Lied handelt. "Von einem kleinen Mädchen, das ich bitte, doch mal nach Moskau zu kommen, in unser Land. Damit ich ihm zeigen kann, wie cool es hier ist."

Der schwule Sänger Boris Moisejew will der Welt zeigen, "wie cool Russland ist". Manche Russen finden das eher uncool. Foto: akg-images/ RIA Nowosti

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Unglücksmaschine hatte technische Probleme

New York - Schon vor der dramatischen Notwasserung eines Airbus der Fluggesellschaft US Airways auf dem Hudson hat es Probleme mit den Triebwerken der Maschine gegeben. Die Verkehrssicherheitsbehörde NTSB erklärte am Montag, zwei Tage vor dem Unglück sei ein Kompressor, der Luft in das Triebwerk saugt, ausgefallen. Weitere Fehlfunktionen gab es laut NTSB nicht. Die Ermittlungen werden sich nach Einschätzung von NTSB-Mitarbeiter Robert Benzon etwa ein Jahr hinziehen. Die Untersuchungen deuten bislang darauf hin, dass ein Zusammenstoß mit Vögeln die Ursache für die Notwasserung vom Donnerstag war, die alle 155 Menschen an Bord überlebten. AP

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Die Kunst, an einem Strang zu ziehen

Die Europäer brauchen eine gemeinsame Energiepolitik, um weniger erpressbar zu sein - doch nationale Interessen stören dabei

Von Martin Winter und Jeanne Rubner

Brüssel/München - Wer den tschechischen Außenminister Karl Schwarzenberg um eine Bewertung des Gas-Streits zwischen Russland und der Ukraine bittet, bekommt sinngemäß folgende Antwort: Davor solle man sich hüten, solange man nicht alle Details kenne, die in diesem Konflikt eine Rolle spielten. Man solle sich nicht zum "Schiedsrichter über den Streit zwischen der Ukraine und Russland machen", rät Schwarzenberg, der dem europäischen Ministerrat vorsitzt. Die EU beherzigt diesen Rat - auch jene Länder, die sonst reflexartig Russland die Schuld zuschieben.

Aber je länger der Gasfluss nach Westen blockiert bleibt, desto näher rückt für die Europäer die Stunde, in der sie ihr Urteil über die Streitenden fällen müssen - und zwar über beide Seiten. Der Krisengipfel in Moskau, zu dem der EU-Kommissar für Energie Andris Piebalgs und der tschechische Industrieminister Martin Riman an diesem Samstag reisen wollen, sei die "letzte Chance" für Russland und die Ukraine, ihre "Seriosität" zu beweisen, sagt der Sprecher der EU-Kommission, Johannes Laitenberger . Er sei ein "Test für die Glaubwürdigkeit" beider Länder. Vielleicht will Laitenberger mit dieser Warnung Moskau und Kiew noch einmal motivieren, eine Einigung zu suchen.

Tatsächlich aber haben die europäischen Staaten ein erstes Urteil längst gefällt. Am Mittwoch stellten sie fest, dass die seit mehr als zwei Wochen andauernde Situation "spürbare finanzielle, wirtschaftliche und politische Konsequenzen für beide Länder" haben werde. Was das im Einzelnen heißt, hat zwar noch niemand ausbuchstabiert. Aber seit Moskau und Kiew ein von der EU vermitteltes Verfahren zur Wiederaufnahme des Gastransits durch die Ukraine mit technischen Tricksereien sabotieren, muss die EU um ihre Einigkeit fürchten. Es ist schon zu normalen Zeiten nicht leicht, die Europäer auf eine gemeinsame Linie zu Russland und zur Ukraine zu bekommen. Aber nach dem blamablen Scheitern des europäischen Plans suchen einige, von der Gas-Blockade besonders betroffene Mitgliedsländer der EU ihr Heil in direkten Kontakten mit Moskau und Kiew.

Diese Alleingänge kommen dem russischen Wunsch entgegen, lieber mit einzelnen und schwachen Staaten zu verhandeln, als mit der starken EU. Aber auch die Ukraine setzt auf eine Spaltung der EU. Kaum hatte Moskau zum Gipfel eingeladen, veranstaltete Kiew seinen eigenen. Zu diesem ukrainischen Gipfel am Freitagnachmittag lud man bevorzugt jene Länder Osteuropas ein, mit denen die Ukraine sich einig weiß. So reisten nach einem Bericht der Nachrichtenagentur dpa die Staats- oder Regierungschefs von Litauen, der Slowakei und Moldawien an. Polen schickte einen Staatsminister. Die Gefahr einer energiepolitischen Zersplitterung wird in der EU inzwischen dermaßen befürchtet, dass die Mitgliedstaaten einander am Mittwoch versprachen, "mit einer Stimme zu sprechen". Außerdem soll mit Hochdruck an einer europäischen Energieversorgung gearbeitet werden, welche die EU von russischen Quellen und von ukrainischen Pipelines unabhängiger macht. Doch das kann dauern. Es räche sich nun, sagen Diplomaten und Energie-Experten, dass die Europäer nach dem ersten russisch-ukrainischen Gas-Streit vor drei Jahren zwar viel von der Sicherung der Energieversorgung geredet, aber kaum etwas dafür getan hätten. Tonnenweise Papier habe man produziert, spottet ein hoher Brüsseler Diplomat, aber sonst nichts.

In der Tat ist es so, dass den Bekenntnissen zur Solidarität mit den besonders hart getroffenen Mitgliedsländern Taten schon deshalb nicht folgen können, weil es keine innereuropäischen Pipelines in diese Staaten gibt. Gasreserven, die man nicht transportieren kann, sind aber nutzlos. Deswegen prüft die Kommission nun mit Hochdruck, wie man ein Versorgungsnetz herstellen kann, das Gas auch von West nach Ost schaffen kann. Dazu bedarf es spezieller Kompressor-Stationen. Und dazu werden die Mitgliedsländer wohl mit öffentlichen Mitteln beitragen müssen, denn wirtschaftlich allein rechnet sich das nicht.

Zur Versorgungssicherheit gehört auch, dass die EU-Staaten ausreichende Reserven bereithalten. Doch was beim Öl längst Praxis ist - davon lagern die Länder den Bedarf für 90 Tage ein - ist beim Gas nicht üblich. Die Kommission wollte das zwar mit einer Verordnung zur Gas-Sicherheit durchsetzen, sie scheiterte aber an den Mitgliedstaaten. Der Grund: Gas zu speichern kostet bis zu zehnmal mehr, als Öl zu lagern.

Wenig erfolgreich waren bisher auch die Versuche der Kommission, die EU unabhängiger vom Lieferanten Russland zu machen. Dafür gäbe es theoretisch zwei Möglichkeiten: neue Pipelines - und den Transport von verflüssigtem Erdgas über die Meere. Das Gezerre um das Prestigeprojekt "Nabucco" zeigt jedoch, dass die EU bei der gemeinsamen Energiepolitik nicht an einem Strang zieht. Die 3300 Kilometer lange Röhre soll von 2013 an Gas von der Kaspischen Region bis nach Mitteleuropa bringen; über ihren Bau streiten jedoch die beteiligten Unternehmen seit Jahren. Jetzt räche sich, dass für Energienetze im Gegensatz zu Straßen und Schienen kaum Mittel bereitgestellt worden seien, sagt Energieexperte Oliver Geden von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Allenfalls würden ein paar Millionen für Machbarkeitsstudien f r neue Pipelines ausgegeben. Ungewiss ist auch, ob es überhaupt genügend Gas gibt, um Nabucco zu füllen: Die zentralasiatischen Staaten, die auf großen Reserven sitzen, liebäugeln mit Russland, und Iran kommt wegen des Atomstreits als Lieferant derzeit nicht in Frage. Der begehrte Rohstoff ließe sich auch in verflüssigter Form an Bord von Tankern transportieren - von den Gasländern Katar etwa oder aus Algerien. Doch das ist teuer, und wie auch bei den Pipelines entscheiden Unternehmen über den Bau der notwendigen Flüssigerdgas-Anlagen.

Bereits auf dem nächsten Gipfel der EU Mitte März sollen endlich konkrete Beschlüsse für eine gemeinsame europäische Energiepolitik gefasst werden. Dabei geht es neben einer verlässlicheren Versorgung der Europäer mit Gas und Öl auch um ein politisches Ziel. Eine EU, so kalkuliert man in Brüssel, die eine Lieferblockade aus dem Osten mehrere Wochen lang durchstehen könne, sei durch Russen oder Ukrainer nur noch beschränkt erpressbar. Das sei, heißt es, um so wichtiger, als Russland noch für sehr lange Zeit der wichtigste Gaslieferant der Europäischen Union bleiben wird. (Seite 4)

Russland verhandelt lieber mit einzelnen Staaten als mit einer starken EU

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Anleger im Hamsterrad

Von Markus Zydra

"Ich habe mein Geld verdient, indem ich zu früh verkauft habe." Man muss es zweimal lesen, dieses Bonmot des 1965 verstorbenen Börsenspekulanten Bernard Baruch, um dann zu erkennen, wieviel Weisheit in so wenigen Worten stecken kann.

Aktien sollten verkauft werden, wenn die Masse zum Kauf brüllt. Dieses Anlagekonzept klingt simpel, doch die letzten zehn Jahre mit Asienkrise, Internetblase und aktuell der Finanzkrise belegen eindrücklich, wie anfällig die Psyche des Menschen dafür ist, der Masse genau dann zu folgen, wenn die Börsen in einen Kaufrausch abdrehen. Wie geht man rational mit dieser immer wiederkehrenden Irrationalität um?

Die Behavioral Finance, die Lehre also vom Verhalten der Anleger, stellt fest, dass der Mensch wie ein Hamster ist, immer unterwegs im Laufrad. Nur wenige brechen aus. Als 1998 die Anleiheblase platzte, war Merrill Lynch der größte Bondhändler der Welt. Wegen der Krise reduzierte die Bank ihre Investition im Rentenhandel, um das Risiko zu minimieren. "Doch die Märkte erholten sich alsbald, und Merrill Lynch hatte seine Spitzenposition für immer verloren", erzählte Nick Studer, Experte der Beratungsgruppe Oliver Wyman, den Zuhörern der Behavioral Finance-Konferenz an der WHU Otto Beisheim School of Management in Vallendar.

Alles richtig gemacht - und doch verloren. Die Episode zeigt, wie schwer es für Akteure vor der Finanzkrise gewesen sein muss, rechtzeitig aus dem vermaledeiten Verbriefungsmarkt auszusteigen. Man konnte ahnen, dass eine große Krise kommen würde, aber niemand konnte sicher sein. Zudem ist es mental für jeden einzelnen Investor einfacher zu verkraften, mit der Masse unrecht zu haben. So verteilt sich die nachfolgende Schelte auf alle, selbst kann man sich als kleines Rädchen im riesigen Finanzsystem darstellen. Das sind gewichtige rationale Gründe, einem irrationalen Herdentrieb zu folgen. Investmentprofis sind zudem sehr selbstbewusst. Jeder hofft, rechtzeitig zu verkaufen, bevor die Blase platzt. Das gelingt aber nur wenigen. Deshalb werden Leute wie Baruch noch heute zitiert.

Baruch, Bernard: Zitate Merrill Lynch Investmentbank New York Internationale Aktienmärkte SZ-Serie Abgerechnet SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Bausparkassen mit Rekordergebnis

Stuttgart - Das Geschäft der Bausparkassen boomt in der Finanzkrise. Während die Bundesbürger in Scharen aus Aktienfonds flüchten, verzeichnete die Bausparkasse Schwäbisch Hall im vergangenen Jahr mit 32 Milliarden Euro das beste Neugeschäft in ihrer Geschichte. Die Zahl der abgeschlossenen Bausparverträge stieg um 27 Prozent auf 1,1 Millionen, das Vertragsvolumen um knapp 17 Prozent auf 32 Milliarden Euro. Insgesamt betreut Schwäbisch Hall jetzt nach eigenen Angaben 6,6 Millionen Kunden, die 7 Millionen Verträge über ein Bausparvolumen von 208 Milliarden Euro halten. Am Vortag hatte bereits Konkurrent Wüstenrot ein Rekordergebnis. AP

Bausparkasse Schwäbisch Hall AG: Gewinn Bausparen in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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