Karikatur

Einzug SZ-Zeichnung: Gottscheber

Obama, Barack Feierlichkeiten zur Amtseinführung von Barack Obama SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Keime aus der Hühnerbrust

Infektionen mit Campylobacter nehmen in Europa zu

Sie stecken in einem Viertel des Hühnerfleisches, das in der EU roh verkauft wird. Sie lösen beim Menschen Durchfall, Krämpfe und Fieber aus - und sie sind auf dem Vormarsch: Campylobacter-Keime sind nach Angaben der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA für die meisten Infektionen verantwortlich, bei denen sich Menschen bei Tieren oder an Tierprodukten anstecken können. In Europa erkrankten im Jahr 2007 etwa 200 500 Menschen an einer Campylobacter-Infektion. Das sind 14 Prozent mehr als im Vorjahr, berichteten die EFSA und das Europäische Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) am Dienstag in Brüssel.

Mehr als die Hälfte dieses Zuwachses geht auf das Konto von Deutschland. Dort ist die Zahl der Infektionen mit dem Bakterium im EU-Vergleich am stärksten gestiegen. Beim Robert-Koch-Institut, das in Deutschland für die Erhebung der Infektionszahlen zuständig ist, macht man die warmen Temperaturen im Jahr 2007 dafür verantwortlich. Abweichungen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten könnten aber auch auf die unterschiedliche Qualität der Meldesysteme zurückzuführen sein, sagte Andrea Ammon. "Europaweit ist die Situation alarmierend und erfordert Gegenmaßnahmen von Seiten der nationalen Lebensmittelbehörden", so die Leiterin der ECDC-Überwachungsabteilung.

Im Kampf gegen Salmonellen hat ein EU-weites Präventionsprogramm erste Erfolge gezeigt. Zwar sind Salmonellen-Infektionen nach wie vor die zweithäufigste Ursache für Krankheiten, die von Tieren auf den Menschen übertragen werden können. Seit vier Jahren stecken sich in Europa aber immer weniger Menschen mit den Keimen an - im Jahr 2007 waren es knapp 152 000. Auch diese Bakterien finden sich am häufigsten auf Hühnerfleisch. Zudem sind acht Prozent aller geschlachteten Schweine mit den Keimen verunreinigt. Um sich vor solchen Infektionen zu schützen, empfehlen die EU-Behörden, Fleisch gründlich durchzugaren und vor allem bei der Zubereitung von Geflügel in der Küche auf die Hygiene zu achten. MARTIN KOTYNEK

Salmonelleninfektion SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Vodoo-Ökonomie und Trinkverbot

Der Sinneswandel der Grünen

Berlin - Die Grünen in den Landesregierungen von Bremen und Hamburg haben jetzt ihre Bereitschaft signalisiert, dem Konjunkturpaket der Bundesregierung zuzustimmen. Noch am Mittwoch voriger Woche hatte der Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Fritz Kuhn, im Parlament zu diesem Paket gesagt:

"Die Konjunkturwirkung Ihrer Maßnahmen ist fragwürdig (. . .) Es ist nicht gesichert, dass die Steuererleichterungen konjunkturell irgendetwas auslösen."

"Was Sie im Bereich der Krankenversicherung machen, ist der reine Hohn. Derzeit erhöhen sich die Krankenversicherungsbeiträge mancher Krankenkassen um über zwei Prozentpunkte, und am 1. Juli sagen Sie den Leuten: Jetzt sinken sie wieder um 0,6 Prozentpunkte. Das nenne ich Vodoo-Ökonomie. Sie müssen sich schon ungeheuer einen hinter die Binde gießen, damit Sie glauben, dass die Leute so blöd sind, deswegen dem Konsum zu verfallen."

"Gemessen an den 50 Milliarden Euro finden wir den Investitionsanteil des Bundes mit 14 Milliarden Euro zu gering . . . Sie handeln (bei der Neuverschuldung, d. Red.) wie Alkoholabhängige, die weitertrinken wollen und sagen: Jetzt trinken wir noch fünf Jahre kräftig weiter, und dann unterwerfen wir uns einem Trinkverbot . . . Sie haben ein Sammelsurium aus Einzelinteressen der Koalitionsparteien vorgelegt, in das Sie jetzt Sinn hineinzuinterpretieren versuchen." SZ

B90/Grüne-Landesverband Hamburg B90/Grüne-Landesverband Bremen Konjunkturpaket II der Bundesregierung 2009 SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Fahnen, Furcht und Fatalismus

Nach dem Krieg ist vor der Wahl: Die Gaza-Offensive hat die Sehnsucht der Israelis nach Sicherheit nicht erfüllen können. Viele setzen ihre Hoffnungen nun wieder auf den Rechten Benjamin Netanjahu, andere wenden sich enttäuscht ganz von der Politik ab

Von Thorsten Schmitz

Sderot/Jerusalem - Auf der Fahrt in den Süden Israels, nach Sderot, glaubt man, sich in der Zeit zu irren. An allen Masten entlang der Landstraßen, auf Balkonen, an Gartenzäunen, über Hauseingängen und an Bushaltestellen hängen blau-weiße israelische Fahnen, wie sie sonst nur zum Unabhängigkeitstag im Mai zu sehen sind. Überall, wo eine Flagge hängt, ist Israel, so lautet die Botschaft der Fahnen. Mit ihnen soll ein Gefühl von Heimat gestiftet werden in einer Gegend, die wenig Heimatliches besitzt. Schula Sasson hat gleich zwei in ihrem Vorgarten in Sderot aufgehängt. Sie flattern im warmen Wind, und wenn sie dreckig sind, sagt Sasson, dann kämen die Fahnen in die Waschmaschine.

Mehr als 11000 Raketen und Mörsergranaten haben Palästinenser aus dem Gaza-Streifen in den vergangenen acht Jahren auf Städte und Dörfer im Süden Israels gefeuert. Die meisten sind in der Kleinstadt Sderot mit ihren 20000 Einwohnern eingeschlagen, eine davon im Vorgarten der Sassons, direkt neben den Behältern fürs Kochgas.

Die Sassons, das sind Mutter, Vater und sechs Kinder. Eine Familie, die seit vier Jahren mit Angst einschläft und mit Angst aufwacht. Frau Sasson ist Hausfrau, der Mann Gefängnisaufseher, und die Kinder Schüler, Studenten oder Soldaten. Frau Sasson zeigt die Kassam-Rakete, die vor vier Jahren im Garten eingeschlagen ist. Ihre Kinder haben sie gelb angestrichen, "weil Gelb schöner aussieht als rostiges Braun". Die Sassons schlafen seit dem Raketenangriff zu acht auf Matratzen im Wohnzimmer, "wie die Beduinen", sagt Schula Sasson, und ihre Augen füllen sich mit Tränen. Seitdem eine Rakete nur wenige Meter von ihrem 14-jährigen Sohn eingeschlagen ist, lege er sich jede Nacht zwischen sie und ihren Mann schlafen. Wenn der Alarm in Sderot vor einer herannahenden Rakete warne, fange ihr Sohn an zu weinen und mache sich in die Hosen. "Er trägt jetzt immer lange, weite T-Shirts, damit man ihn in der Schule nicht hänselt", sagt Schula Sasson. "Mit 14 Jahren in die Hosen machen und bei den Eltern schlafen!", klagt sie. "Die Hamas hat unseren Alltag zerstört."

Den Alltag reparieren soll nun "Bibi". Schula Sasson sagt, Israels Armee hätte viel früher in den Gaza-Streifen einmarschieren müssen, und die Soldaten hätten den Krieg gegen die Hamas vor zwei Wochen nicht beenden dürfen: "In einem halben Jahr schießen die wieder auf uns, und dann werden die Raketen auch Tel Aviv erreichen", ist sie überzeugt. Hamas müsse zerschlagen, vernichtet werden, "welcher Mensch will schon mit dieser Raketenangst leben? Jeden Morgen, wenn ich meine Kinder verabschiede, weiß ich nicht, ob sie lebend wieder zurückkehren." Tag und Nacht gucken die Sassons Fernsehen. Der älteste Sohn hat im Wohnzimmer einen zwei Quadratmeter großen Ersatz-Bunker gebaut aus Metallplatten, in dem die Familie bei Alarm im Stehen die Gefahr abwartet. "In welchem Land leben wir eigentlich?", fragt Schula Sasson und muss nicht lange überlegen, wenn man sie fragt, wen sie am 10. Februar wählen wird. "Bibi", sagt sie knapp, den Chef der rechten Likud-Partei Benjamin Netanjahu, der Ende der neunziger Jahre schon einmal Premierminister war und es jetzt wieder werden könnte, wenn man den Umfragen glaubt. "Bibi ist stark. Er wird Schluss machen mit Hamas und den Terroristen." Sie empfinde kein Siegesgefühl, eher, sagt Sasson, dass "die Armee den Job in Gaza nicht vollendet hat. Ich fühle mich nicht sicherer jetzt."

Sicherheit ist das Zauberwort im kurzen Wahlkampf, der wegen des Krieges für drei Wochen ausgesetzt und jetzt wieder aufgenommen wurde. "Bibi" Netanjahu wirbt auf Plakaten mit wenigen Worten und einem Premierministerblick im ganzen Land: "Stark in der Sicherheit. Stark in der Wirtschaft." Am 10. Februar wählt Israel zum fünften Mal innerhalb von nur zehn Jahren eine neue Regierung. Und wie in jedem Wahlkampf versprechen die Politiker Schutz. Schutz vor palästinensischem Terror, Schutz vor Iran, Schutz vor einem Absinken in die Arbeitslosigkeit. Eine Lösung des Nahost-Konflikts versprechen sie nicht.

Nicht mehr. Der Schriftsteller Tom Segev sagt: "Ich glaube nicht mehr an eine wirkliche Lösung des Konflikts." Der Konflikt könne nur noch gemanagt, nicht aber ein für allemal gelöst werden. So wie Segev denken viele in Israel. Die Hausfrau in Sderot, der Holocaust-Überlebende in Tel Aviv, der Geschichtsprofessor in Jerusalem, und auch die Popsängerin. Wer sich auf die Reise begibt durch das Land, trifft nur noch selten Israelis, die den Palästinensern leichten Herzens auch das Westjordanland überlassen möchten. Und auf zwei weitere Phänomene: Der Gaza-Krieg hat den rechten und orthodoxen Parteien einen enormen Auftrieb verschafft - obwohl Politiker wie Netanjahu gar nicht in der Regierung saßen und den Krieg nur als Zaungäste kommentiert haben. Und man trifft auf viele Menschen, die einfach keine Lust mehr haben zum Urnengang und sich fatalistisch in einem unpolitischen Alltag eingerichtet haben. Weil bislang jeder Politiker vom Frieden geredet hat - und dann doch in den Krieg gezogen oder in einem Sumpf aus Korruption und Vetternwirtschaft versunken ist.

Das Stichwort ist Korruption, und sofort wird Zvi Birnbaum hellwach. Es ist morgens um sechs, und der sehr kleine Birnbaum steht in der Küche des gleichnamigen vegetarischen Restaurants in Tel Avivs proletarischem Süden und schnippelt Gurken. Das Radio läuft auf voller Lautstärke, Zvi Birnbaum verfolgt die Nachrichten wie viele Israelis seiner Generation, die alle halbe Stunde wissen müssen, wo gerade eine Bombe hochgegangen ist, dass die israelische Zentralbank den Leitzins erneut gesenkt hat und dass es in den kommenden Tagen heißer und nicht regnen wird. Zvi Birnbaum müsste nicht arbeiten, immerhin ist er schon 87 Jahre alt. Er könnte das Tomaten- und Gurkenschnippeln seinen zwei Töchtern Pnina und Sima überlassen, die das Mittagslokal betreiben. "Aber ich will mir mein Frühstück doch verdienen", sagt er.

Er ist die Personifizierung von Korrektheit, hält einem die Tür auf, reicht einem die Hand, zieht sich ein frisches Hemd über, wenn er weiß, dass man ihn fotografieren will. Zvi Birnbaum hat Auschwitz überlebt, jeden Tag sieht er auf seine tätowierte Nummer 132272 am linken Unterarm und ist froh, "dass ich der Hölle entkommen bin". "Israel", sagt der aus Polen stammende Birnbaum und nimmt sich eine Handvoll Gurken, "ist meine Heimat geworden." Als er 1948 mit dem Schiff im Hafen von Haifa landete, "dachte ich, ich bin im Paradies gelandet". Doch heute verzweifelt er an seiner Heimat: "Lügen ist Mode geworden", klagt er. Von Politikern halte er "gar nichts". Die wirtschafteten in die eigene Tasche, seien auf den eigenen Vorteil bedacht und ließen sich bestechen. Er könne nicht glauben, dass ein Premierminister wie Ehud Olmert Dienstreisen doppelt abgerechnet und sogar Organisationen wie die Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem betrogen habe. "Die Politiker in Israel haben keine Moral mehr", sagt er. Er könne sie nur von Weitem ertragen, ein Wahllokal habe er schon seit Jahren nicht mehr aufgesucht. "Wir sind die Generation, die Israel aufgebaut hat", sagt Birnbaum, "und die heutige Generation zerstört unser Land."

Zur Zerstörung Israels tragen auch die jüdischen Siedler im Westjordanland bei. Sie seien "Israels Fluch". So sieht es Zeev Sternhell, der berühmte Geschichtsprofessor. Er hat den Fluch am eigenen Leib gespürt. Sternhell gilt weltweit als einer der wichtigsten Faschismustheoretiker - und er ist ein expliziter Gegner der jüdischen Siedlungen. In Hörsälen, Talkshows, Aufsätzen und in Interviews hat Sternhell in den vergangenen Jahren unablässig das Siedlungsprojekt gegeißelt. Im vergangenen September hätte er für seine Kritik fast mit dem Leben bezahlt. Seine Frau und er waren gerade von einem mehrwöchigen USA-Aufenthalt nach Jerusalem zurückgekehrt. Sternhell schloss die Wohnungstür auf, als die Zündung einer Rohrbombe aktiviert wurde. Die Detonation verletzte Sternhell an den Beinen, aber er überlebte wie durch ein Wunder. Am Tatort fand die Polizei Flugblätter, die Belohnungen versprachen für die Ermordung prominenter Siedlungskritiker.

Heute sitzt der 73 Jahre alte Professor Sternhell in seinem hell ausgeleuchteten Wohnzimmer und sagt: "Angst habe ich keine." Die Polizei hatte ihm empfohlen, eine Kamera am Hauseingang zu installieren und abends die Rollläden herunterzulassen, doch die Sternhells verzichten darauf. Auch eine Direktleitung ins nächstgelegene Polizeirevier wollen sie sich nicht legen lassen. Zeev Sternhell und seine Frau möchten sich nicht "von jemand anderem einen Lebensstil diktieren" lassen. Allein über den Anschlag zu reden, ist für Sternhell Zeitverschwendung. Lieber möchte er über sein Thema reden, den "Siedlerstaat", wie er es nennt. Er tut das, als gelte es, keine Zeit zu verlieren.

"Seit 30 Jahren sage ich mehr oder weniger dasselbe und warne vor dem Einfluss der jüdischen Siedler. Aber die Situation wird immer schlimmer." Alle Welt habe in den vergangenen Monaten ihr Augenmerk auf den Gaza-Streifen gerichtet, "doch die Zeitbombe tickt im Westjordanland. Inzwischen leben dort fast 300 000 Menschen und in Ost-Jerusalem noch einmal 200 000. Ich sehe nicht, wie damit ein palästinensischer Staat gegründet werden könnte."

Der Siedlerstaat sei ein "großes echtes Unglück". Und eine Gefahr für Israel, denn "kein Land der Welt kann ein anderes Volk beherrschen, ohne nicht selbst Schaden zu nehmen." Schaden an der Demokratie, denn de facto, so Sternhell, herrschten "zwei Rechte, eines für Israelis und eines für Palästinenser". Dennoch alimentiere Israel die Siedler, päppele sie, gewähre ihnen Wohnraum und Baurecht, und "im Endeffekt machen die Siedler, was sie wollen". Zudem stärke der Terror der Palästinenser die Siedlerbewegung noch und rücke eine Zwei-Staaten-Lösung in weite Ferne: "Welcher Israeli ist schon bereit, den Palästinensern einen Staat zuzugestehen, wenn sie unsere Existenz mit Raketen bedrohen können?" Sternhell sieht schwarz, wenn er in die Zukunft blickt. Einen kompletten Rückzug Israels aus dem Westjordanland werde es nicht geben, "nicht, solange ich lebe, und womöglich auch nicht, solange meine Kinder leben". Nur ein paar unorthodoxe, unideologische Siedler würden freiwillig ihre Häuser im Westjordanland aufgeben, wenn sie vom Staat entschädigt würden. Langfristig aber, sagt Sternhell, "sehe ich keine Lösung. Um alle Siedler zu entschädigen, bräuchten wir gigantische Summen. Aber wegen der Finanzkrise sind die Kassen leer." Ohnehin, ist Sternhell sicher, werde es nach der Wahl einen Premierminister geben, der aus seiner "Zuneigung zu den Siedlern" keinen Hehl mache: "Bibi", Benjamin Netanjahu.

Über Politik reden mag Emily Karpel öffentlich lieber nicht. Wer in Israel im Rampenlicht steht wie sie, im Radio und im Fernsehen zu hören und auf Zeitschriftencovern zu sehen ist, muss sich vor politischen Diskussionen hüten. Denn schnell werden Auftritte gecancelt, wenn der Popstar die falsche, also nicht die Mehrheitsmeinung vertritt, oder man spielt seine Lieder nicht im Radio. Es ist kurz vor Mitternacht im Tel Aviver Club "Katze und Hund", und Emily Karpel feiert mit 200 Gästen ihren 30. Geburtstag. Die Pop-Diva, die in Israel mit Madonna verglichen wird, hat gerade ihr erstes Album herausgebracht, "Sommersprossen" heißt es. In ihren Songs ist viel von Sommer, Beziehungsschmerz, Liebe und Hitze die Rede. Der harte erbarmungslose Nahost-Alltag findet in ihnen nicht statt. Karpels Elektropop entführt einen in eine Welt, in der Israel, Gaza-Streifen und Westjordanland weit weg sind. In eine sorgenfreie Welt also. Und das soll auch so sein.

In dieser Nacht schenkt Karpel ihren Freunden und Bekannten ein kleines Konzert und will sechs Lieder singen. Champagner und Wein fließen, Klatschreporter verfolgen jeden Schritt von Karpel, die Stimmung im Club rennt gegen die bösen Nachrichten von draußen an. Denn leider fällt Karpels Geburtstag mitten in den Gaza-Krieg. Als sie die Bühne betritt, strahlt sie. Und wird gleich wieder ernst. Es wäre "komisch, wenn ich jetzt nichts sagen würde zu der Situation", sagt sie. Beide Hände umklammern das Mikrophon, sie wägt ihre Worte ab, und entschließt sich, politisch korrekt zu bleiben. Sie sagt, sie wünsche, dass der Krieg bald vorbei sei, und: "Lasst uns positive Energie senden, hierhin und nach drüben." Mit "drüben" sind die Palästinenser gemeint. Aber das Wort kommt ihr nicht über die Lippen.

Ein paar Tage später sitzt Karpel in einem Café im Flohmarkt von Jaffa, dem arabischen Stadtteil von Tel Aviv, wo sie auch wohnt. Sie bestellt sich einen Kräutertee und sagt, sie sei "froh, dass der Krieg endlich zu Ende ist". Aber ihr Gesicht wirkt ganz besorgt, als sie das sagt. Sie findet es "hart, in Israel zu leben". Die Realität sei "schmerzhaft, gespannt, hässlich, schnell" und der Alltag vom Militär geprägt. Sie erinnere sich noch heute an ihren ersten Tag in der Armee, als ihr eine Waffe in die Hand gedrückt wurde.

Karpel sieht ihre Musik als Fluchtvehikel. Man könne sich mit ihr in eine bessere Welt beamen. Karpel tritt auch vor Soldatengruppen auf, eine der Haupteinnahmequellen für Musiker in Israel, weshalb sie es eigentlich vermeiden möchte, über Politik zu reden. Sie sagt, wenn man sie die Armee kritisieren hören würde, würde man ihre Auftritte absagen. Das sei schon anderen Kollegen passiert. Stattdessen redet sie von ihrem Vater, der in Kanada lebt, "weil er Israel hasst". Ihr Vater wollte "immer frei sein". Wer aber Platz im Leben brauche, der könne in Israel nicht leben, denn Israel sei "zu klein".

Am Ende des Gesprächs siegt Karpels Unmut über die selbstauferlegte Zurückhaltung. "Ich bin nicht zufrieden, wie in Israel Politik betrieben wird. Es fehlt an Weisheit, Geduld und Diplomatie", sagt sie. Und dass sie geradezu verzweifelt sei: "Was mich verrückt macht: In ein paar Tagen sind Wahlen, und ich weiß nicht, für wen ich stimmen soll." Fast alle Parteien glaubten an die Macht des Militärs. Sie denkt anders: "Ich will nicht, dass die Armee unser Land managt."

Die Hausfrau aus Sderot gibt der Hamas die Schuld an allem

Der kritische Professor sieht den Siedlerstaat als Unglück

Für die Sängerin ist es sehr schwierig, in ihrer Heimat zu leben

"Die Politiker haben keine Moral mehr": Zvi Birnbaum (kleines Bild) ist Israeli der ersten Stunde, aber am 10. Februar will er nicht zur Wahl gehen. In Sderot trotzen die Menschen der Hamas-Bedrohung mit Flaggen. AP, Dinu Mendrea

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Flexibilität am Arbeitsplatz

Norbert Hansen wurde vom Bahn-Gewerkschafter zum Bahn-Vorstand. Selbst im Tarifstreit möchte er den alten Kollegen noch beweisen, dass er kein Verräter ist

Von Detlef Esslinger

Berlin - Zwei Wochen ist das Foto nun alt, es entstand beim Auftakt der Tarifverhandlungen, es täuscht ein bisschen und erzählt doch viel. Zwei Männer geben sich die Hand, das heißt, eigentlich reicht sie nur der eine, der andere lässt es halt geschehen. Der eine, der Größere, hält den Arm angewinkelt und lächelt den anderen an, er sucht erkennbar die Nähe. Der Kleinere aber? Durchgedrückter Arm, Kopf abgewandt und das Kinn gesenkt - der ganze Körper verrät, dass dieser Mann auf diese Begegnung nicht rasend scharf gewesen ist. Ein bisschen täuscht das Bild deshalb, weil knapp eine Sekunde zuvor die Szene noch anders aussah. Da schenkte auch der Kleinere dem Größeren einen Blick und sogar ein Lächeln. Aber nun ist es gut damit. Schluss mit den Freundlichkeiten.

Norbert Hansen, 56, dürfte noch einige Arbeit zu verrichten haben, bevor es für seinen alten Kollegen Alexander Kirchner wieder opportun ist, sich mit ihm nett auf einem Foto zu zeigen. Seit Jahren hat es sich kein Gewerkschafter mehr so stark mit den Seinen verdorben wie Hansen - obwohl er im Grunde nur etwas gemacht hat, was nach den Regeln der deutschen Mitbestimmung sogar erwünscht ist: Er hat die Seiten gewechselt, er kümmert sich zwar weiter um Beschäftigte, aber dies nun in der sehr angenehm bezahlten Funktion eines Personalvorstands der Deutschen Bahn. Solch eine Konstellation gibt es in vielen Großunternehmen, auch bei der Post kommt der Personalvorstand von einer Gewerkschaft, in dem Fall von Verdi, und der Pressesprecher des Verdi-Vorsitzenden Frank Bsirske ist soeben als Arbeitsdirektor zum Tüv Nord gewechselt. Hat niemanden aufgeregt. Im Fall Hansen war es anders, aus vielen Gründen: Er war nicht Pressesprecher, sondern Vorsitzender der Gewerkschaft Transnet. Er hatte jahrelang für einen Börsengang der Bahn geworben, trotz der Skepsis der meisten Mitglieder. Er handelte kurz vor seinem Wechsel eine Beschäftigungssicherung aus, die keine war. Und dann gab er vor Dienstantritt der Bild-Zeitung ein Interview, in dem er Stellenabbau ankündigte und die Lokführer zum Saubermachen von Abteilen aufforderte.

Nun sitzt er in seinem Eckbüro im 23. Stock des Bahntowers am Potsdamer Platz und will den Beschäftigten beweisen, dass er kein Verräter ist. "Unsere Gewerkschaft", sagt er, habe eine lange Tradition. Nie habe sie das Prinzip des fundamentalen Widerstands verfolgt, immer habe sie versucht, pragmatisch mitzugestalten. Hansen sagt: "Vergleichen Sie doch mal die Arbeitsbedingungen bei der Bahn mit denen bei der Telekom und den Postdiensten." Bei der Bahn, da hätten die Beschäftigten über all die Jahre ihren Besitzstand gehalten, hier sei niemand mit seinem Betrieb ausgelagert und danach zu schlechteren Bedingungen weiterbeschäftigt worden. So gesehen, hat Hansen sich nicht geändert und auch nichts verraten, sein neuer Job, das ist die Fortsetzung des Pragmatismus mit anderen Mitteln. Er sagt: "Ich sehe mich als Gewerkschafter mit Verantwortung im Vorstand." Hansen trägt weiter seine knallroten, locker gebundenen Krawatten, im linken Ohrläppchen funkelt wie immer der Brilli, und als sein Nachfolger bei Transnet, Alexander Kirchner, ihm Anfang Dezember die Forderungen für die Tarifrunde in Form eines mannshohen Adventskalenders präsentierte, stellte Hansen sich das Teil ins Büro, hinter den Schreibtisch.

Welche Zugeständnisse muss einer gewähren, damit ihm die Beschäftigten vielleicht wieder vertrauen, die neuen Kollegen im Vorstand ihn aber nicht als deren fünfte Kolonne sehen? Am Münchner Hauptbahnhof steht Donnerstagfrüh der Schaffner Bernhard Mayer, 43, zusammen mit ein paar Dutzend Kollegen; mit ihrem Warnstreik wollen sie familienfreundlichere Arbeitszeiten durchsetzen. Dass eine Schicht maximal neuneinhalb Stunden dauert, nicht aber zwölf. Dass sie wenigstens ein Wochenende im Monat wirklich frei haben. Dass sie nicht immer zwei Stunden auf dem Bahnhof von Memmingen rumsitzen müssen, bis in einem anderen Zug endlich ihr Dienst weitergeht. Seit Jahren ist das ein großes, strittiges Thema, und wenn nicht alles täuscht, was aus den Verhandlungen dringt, wird es nun Fortschritte geben, jetzt, da der Gewerkschafter im Vorstand sitzt. Also Punkt für Hansen? Nicht beim Schaffner Mayer, nicht bei den Männern um ihn herum. "Wie man seine Ideale nur so verraten kann!" - "Man fühlt sich schon verarscht." - "Er sagt jetzt das Gegenteil von dem, was er früher gesagt hat."

Das ist wohl der Preis, den Norbert Hansen zu bezahlen hat: dass die Beschäftigten alle Fortschritte ihrem Kampfeswillen zuschreiben, für alle Rückschritte aber diesen Personalvorstand verantwortlich machen. Vor genau einem Jahr, im Februar 2008, ließ der Transnet-Vorsitzende Hansen dagegen protestieren, dass nun auch die Bahn Pläne fürs Auslagern hat, dass sie den Regionalverkehr künftig in Tochterfirmen betreiben will, für die der Tarifvertrag nicht gilt. Und nun muss der Personalvorstand Hansen begründen, warum genau das gut sein soll - am Beispiel des Regionalverkehrs in Franken, wo es von Dezember 2011 an so laufen wird. "Unsere Konkurrenten haben niedrigere Personalkosten als wir. Wenn wir mit unseren Kosten gegen die antreten, können wir das Geschäftsfeld Nahverkehr auch gleich aufgeben."

Er schaut sich die Pressemitteilung vom Februar 2008 an, die man ihm reicht. "Transnet warnt Deutsche Bahn vor Tarifflucht", das war damals die Überschrift, Hansen nickt, er streicht sich über die Augenbraue. Dann sagt er: "Der letzte Satz ist entscheidend", liest vor: "Es gebe ausreichend Möglichkeiten, steigende Personalkosten auszugleichen." Hansen spricht von mehr Flexibilität und mehr Effizienz, so wie es auch bei anderen Unternehmen üblich sei. Dort würden Mitarbeiter "häufiger als bei uns" für unterschiedliche Tätigkeiten eingesetzt. Was er meinen könnte: Schaffner verkaufen auch mal Tickets, Lokführer helfen in der Werkstatt. Mit dem Ergebnis, dass das Unternehmen weniger Personal braucht, ohne das vorhandene schlechter bezahlen zu müssen. Er nennt die Beispiele nicht selber, und das mit dem Saubermachen schon gar nicht, er ist auch so schon ausgelastet, Widersprüche aufzulösen, zwischen damaligem Reden und heutigem Tun. Wie findet er eigentlich inzwischen sein Verhältnis zu den alten Kollegen? Die Antwort kommt sofort, er wird auch einen Tick lauter dabei: "Täglich besser!"

"Ich sehe mich als Gewerkschafter mit Verantwortung im Vorstand": Norbert Hansen (links) beim Versuch, seinen Nachfolger bei Transnet, Alexander Kirchner, vor Tarifgesprächen zu begrüßen. Foto: dpa

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Wer nicht lügt, sagt längst nicht die Wahrheit

Im Streit um DDR-Schulden vermeidet Westerwelle harte Attacken auf die Kanzlerin

Von Claus Hulverscheidt

Berlin - Lügt einer, wenn er nicht die Wahrheit sagt? Auch eine noch so hochkarätige Philosophenrunde wäre vermutlich nicht in der Lage, die Frage aus dem Stegreif mit einem klaren Ja oder Nein zu beantworten. Erst recht nicht, wenn der vermeintliche Lügner - rein formal betrachtet - gar nicht gelogen hat.

Dieser Gratwanderung war sich auch Guido Westerwelle bewusst, als er Kanzlerin Angela Merkel jetzt vorwarf, über den Verbleib der DDR-Altschulden "die Unwahrheit" gesagt zu haben. Das Wort Lüge vermied er tunlichst, denn selbstverständlich weiß der FDP-Chef ganz genau, dass er im anderen Fall umgehend eine Rücktrittsforderungen hätte hinterherschicken müssen: Wer den Bundestag wissentlich belügt, dem bleibt in aller Regel nur der Amtsverzicht.

Aber hat Merkel überhaupt gelogen, als sie in einer Regierungserklärung vor dem Bundestag behauptete, der Bund habe den sogenannten Erblastentilgungsfonds mit seinen DDR-Altschulden in Höhe von über 170 Milliarden in nicht einmal eineinhalb Jahrzehnten getilgt? Die Antwort lautet, siehe oben: jein. Richtig ist: Der Fonds ist beinahe leer. Richtig ist auch: Es wurde in den vergangenen 14 Jahren ordentlich getilgt. Richtig ist aber schließlich: Anders, als es Merkels Jubelmeldung suggeriert, ist die Hälfte jener 170 Milliarden Euro immer noch da, die Verbindlichkeiten werden nur mittlerweile an anderer Stelle verbucht.

Warum? Der Erblastentilgungsfonds umfasste neben einigen kleineren Posten in erster Linie Kredite, Anleihen und Ausgleichsforderungen, die die letzten DDR-Regierungen und die Treuhandanstalt aufgenommen beziehungsweise begeben hatten. Solche Kredite und Anleihen haben bestimmte Laufzeiten, beispielsweise zwei, fünf oder zehn Jahre. Nach dem Ende der Frist müssen sie zurückgezahlt werden. Um dies tun zu können, erhielt der Erblastentilgungsfonds unter anderem jedes Jahr einen Teil des Bundesbankgewinns.

In der Praxis reichten diese Zuflüsse jedoch häufig nicht aus, deshalb geschah Folgendes: Musste der Fonds zum Beispiel fünf Milliarden Euro zurückzahlen, so nahm er eine Milliarde Euro aus dem Bundesbankgewinn, die übrigen vier Milliarden Euro lieh er sich mit Hilfe der Bundesregierung auf dem Kapitalmarkt. Formal bedeutete das: Das Darlehen aus dem Erblastentilgungsfonds in Höhe von fünf Milliarden Euro war getilgt, obwohl dafür nur eine Milliarde Euro an Eigenmitteln eingesetzt worden waren. Der neue Kredit in Höhe von vier Milliarden Euro wanderte in den Bundeshaushalt.

Würde man nun die von Merkel gern bemühte "schwäbische Hausfrau" fragen, was sie unter dem Begriff "getilgt" versteht, käme sicher etwas anderes heraus als das, was die Kanzlerin gemeint haben will, aber verschwieg. Nun ist Guido Westerwelle allerdings keine schwäbische Hausfrau, sondern Vorsitzender der FDP, jener einstigen Regierungspartei also, die vor 15 Jahren die Einrichtung des Erblastentilgungsfonds mitbeschlossen hatte - inklusive Umschuldungserlaubnis. Das "Trüffelschwein" Carl-Ludwig Thiele (Westerwelle), der jetzt die Tricksereien der Kanzlerin aufgedeckt haben will, saß damals im Haushalts-, später im Finanzausschuss des Bundestags. Das wiederum verschwieg Westerwelle, weshalb auch für ihn gilt: Wer nicht lügt, sagt noch lange nicht die Wahrheit.

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Knobloch stoppt Dialog mit Kirche

Präsidentin des Zentralrats der Juden über Papst empört

München - Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats der Juden, hat erklärt, dass sie "momentan" keinen Dialog mit der katholischen Kirche führen werde. Sie reagierte damit auf die Entscheidung von Papst Benedikt XVI., die Exkommunikation des Traditionalisten-Bischofs Richard Williamson von der "Priesterbruderschaft Pius X" aufzuheben, der behauptet hatte, Juden seien nie in Gaskammern ermordet worden. In einer in München veröffentlichten Erklärung Knoblochs hieß es, die katholische Kirche müsse gegenüber einem Holocaust-Leugner Konsequenzen ziehen. Ihn zu rehabilitieren bedeute aber, unabhängig von allen verbalen Distanzierungen, "sich diesen Aussagen nicht zu widersetzen".

Der Papst wisse, was er da getan habe, betonte Knobloch, er sei "einer der gebildetsten und intelligentesten Menschen, die die katholische Kirche hat." Unter solche Voraussetzungen könne es keinen Dialog geben, "ich unterstreiche das Wort ,momentan'". Die Distanzierungen des Vatikans und auch der deutschen Bischofskonferenz von den Positionen Williamsons genügten ihr nicht, "ich wünsche mir einen Aufschrei in der Kirche gegen ein solches Vorgehen des Papstes", sagte sie der Badischen Zeitung. Wann, mit wem und unter welchen Bedingungen die Zentralrats-Präsidentin das Gespräch mit katholischen Kirchenvertretern wieder aufnehmen will, ließ sie offen. Das Verhältnis des Vatikans zum Judentum gilt als gespannt, seit vor einem Jahr Papst Benedikt XVI. für die tridentinische Liturgie eine Karfreitags-Fürbitte formuliert hat, in der für die Bekehrung der Juden gebetet wird.

Unterdessen verurteilte der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, jede Form von Antisemitismus. "Weder für Antisemitismus noch für die Leugnung des Holocausts gibt es Platz in der katholischen Kirche", sagte er bei einem Besuch der Synagoge und des jüdischen Gemeindezentrums in Mannheim. Sein schon seit längerem geplanter Besuch in Mannheim zeige, dass die deutschen Bischöfe an einem guten Verhältnis zu den jüdischen Gemeinden interessiert seien. Zollitsch sagte, er sei "unglücklich", dass der Papst bei seiner Entscheidung für das Gnadendekret die Problematik um Williamson nicht mit in Betracht gezogen habe. Im Verhältnis zum Judentum dürfe es keine "Wende rückwärts" geben. Matthias Drobinski

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"Grüß Gott" am Hindukusch

Bayern will nach langem Zögern beim Aufbau einer Polizei in Afghanistan helfen

Von Annette Ramelsberger

München - Der Freistaat Bayern ist zwar bekannt für seine jahrelang gepflegte Neben-Außenpolitik in Richtung Albanien, Paraguay oder Südafrika; Franz Josef Strauß selig hatte die weiß-blaue Kunst der Globalzuständigkeit in seiner Zeit zur Vollendung gebracht. Seine Nachfolger dagegen pflegten lieber die splendid isolation im Schatten der Alpen - vor allem dann, wenn es im Ausland unangenehm zu werden drohte. Und in den vergangenen Jahren zeigte sich Bayern sogar bis zur Peinlichkeit verschlossen, was den Einsatz im Ausland anging: Bayern ist das einzige Land, das sich bisher weigert, in Afghanistan beim Polizeiaufbau mitzuhelfen, obwohl es ständig die Bedeutung der Sicherheitspolitik betont. Während alle anderen Bundesländer, selbst kleine wie Berlin, ihre Polizisten nach Kabul senden, um dort die afghanischen Kollegen auszubilden, hat sich Bayern dagegen vehement verwahrt. Der frühere Innenminister Günther Beckstein hatte die politische Auswirkung gefürchtet, die Bilder von Särgen mit toten bayerischen Beamten haben könnten, die vom Hindukusch zurückkehren.

Das wird sich nun ändern. Innenminister Joachim Herrmann will einen radikalen Wechsel beim bayerischen Engagement in Afghanistan einleiten. Noch im Februar wollen die Bayern die Vorbereitungen dafür treffen, damit auch bayerische Polizisten nach Afghanistan gehen können - als Teil jener etwa 150 Männer und Frauen starken Gruppe, die von der Bundespolizei geleitet wird und dort den Aufbau der landeseigenen Polizei vorantreibt. Herrmann sagte der Süddeutschen Zeitung: "Es ist ein falsches Signal, dass wir hier bisher nicht mitmachen. Wir machen das nicht den Afghanen zuliebe, sondern, weil es auch um unsere Sicherheit geht. Es war den anderen Ländern nur noch schwer zu vermitteln, dass Bayern bei dieser Aufgabe nicht dabei ist."

Immer wieder waren die Bayern auf den Innenministerkonferenzen von den anderen Ländern hart angegangen worden. Insbesondere Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hatte Kritik geäußert. Bayern ziehe sich "in seine von Bergen umstandene Sicherheit zurück", hatte er gesagt. Doch auch Unionskollegen brandmarkten die Zurückhaltung Bayerns mehr laut als leise als "Drückebergerei". Vor allem, weil aus Bayern auch der erste deutsche Selbstmordattentäter kam, der sich in Afghanistan in die Luft gesprengt hatte - Cüneyt Ciftci aus Ansbach.

Nun sollen etwa 20 Polizisten aus Bayern nach Afghanistan gehen, auf freiwilliger Basis. Keiner wird dienstverpflichtet. Die Polizisten erhalten noch in Deutschland ein spezielles Sicherheitstraining. Das allerdings bietet keinen Rundum-Schutz, wie sich im Sommer 2007 gezeigt hat: Damals starben drei deutsche Polizisten in der Nähe von Kabul, als unter ihrem Geländewagen eine Miene detonierte.

"Dieser Einsatz ist mit Gefahren verbunden, die man nicht unterschätzen darf. Da darf man sich nichts vormachen", sagt Herrmann. "Es ist ein gefährlicher Einsatz. Aber wir dürfen hier nicht länger abseits stehen." Zumal es eine Tradition zu bewahren gilt. Bayern hat in den 60er und 70er Jahren schon einmal afghanische Polizisten ausgebildet, eine ganze Reihe war zum Training an die Isar gekommen und hat offensichtlich auch viel gelernt. So kommt es noch heute vor, dass erfahrene afghanische Polizisten an Grenzübergängen mit einen freundlichen "Grüß Gott" grüßen.

Deutschland stellt Afghanistan auch Polizeiautos zur Verfügung. Foto: ddp

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"Es geht viel, wenn man sich anstrengt"

CDU-Fraktionschef Volker Kauder verspricht Schuldenabbau und Steuersenkung - sofern es die wirtschaftliche Entwicklung zulässt

Der Fraktionschef der Union, Volker Kauder, ist Angela Merkels wichtigster Mann. Er sichert der Kanzlerin die Zustimmung der Fraktion, auch in schwierigen Fällen. Jetzt verlangt er auch von den Ministerpräsidenten mehr Disziplin.

SZ: Herr Kauder, Sie versprechen zur Zeit mal Steuersenkungen, dann wieder die flotte Tilgung der Schulden. Was gilt?

Kauder: Beides.

SZ: Wie bitte?

Kauder: Sie haben mich richtig verstanden. Wir wollen in der nächsten Legislatur die Steuern senken und unsere Schulden zurück zahlen.

SZ: Wie soll das angesichts der Rekordverschuldung gehen?

Kauder: Beides ist möglich. Wir haben im Jahr 2005 einen Bundeshaushalt übernommen mit einem strukturellen Defizit von 60 Milliarden Euro und einer jährlichen Neuverschuldung von 30 Milliarden Euro. Wenn Finanz- und Wirtschaftskrise nicht gekommen wären, hätten wir 2011 keinen Cent neuer Schulden mehr aufgenommen. Das heißt, wir hätten in sechs Jahren Spielräume erkämpft. Es geht viel, wenn man sich anstrengt.

SZ: Die neuen Schulden schieben das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts um Jahre nach hinten. Können Sie glaubwürdig Steuersenkungen und Schuldenabbau versprechen? Günther Oettinger warnt vor unerfüllbaren Versprechen.

Kauder: Selbst Günther Oettinger sieht bis zum Ende der nächsten Legislatur Spielräume. Die Union wird das Versprechen abliefern, dass sie in den nächsten vier Jahren eine Entlastung und eine Strukturreform macht. Natürlich ist aufgrund der Krise eine neue Lage entstanden. Über konkrete Einzelheiten und über einen Zeitplan müssen wir uns deshalb noch verständigen. Beim Abbau der kalten Progression geht es noch um 19 Milliarden Euro. Das ist machbar, wenn die Wirtschaft sich erholt. Sollte sie das nicht, wird vieles schwieriger.

SZ: Tatsache ist, dass es auch in der Union umstritten ist, ob man mit dem Versprechen von Steuersenkungen in den Wahlkampf gehen soll.

Kauder: Die überwiegende Mehrheit der CDU-Führung ist der Meinung, dass es geht und richtig ist. Ich plädiere eindeutig für eine Zusage. Politik braucht eine Vorstellung von dem, was sie will. Ich gehe davon aus, dass wir mit dem Konjunkturpaket die Wirtschaft stabilisieren. Wenn ich diese Überzeugung nicht hätte, könnte ich es bleiben lassen. Außerdem hören wir erste positive Signale.

SZ: Es gibt so viele Signale. Beim Konsum gute, bei den Prognosen katastrophale. Wo befinden wir uns in der Krise?

Kauder: Ganz ehrlich: darauf kann niemand eine Antwort geben. Wir befinden uns in einem Prozess, den wir positiv zu steuern versuchen. Ich glaube, dass wir bei den Banken, trotz des Rettungspakets, noch große Probleme haben werden und deshalb mit ihnen besprechen müssen, was noch getan werden muss. Für mich ist das der zentrale Schlüssel zur Lösung.

SZ: Das heißt dann: Noch mehr Steuergelder für die Rettung des Bankensystems?

Kauder: Mehr Geld schließe ich aus. Ich sehe auch kein drittes Maßnahmenpaket auf uns zukommen. Und ich schließe aus, dass der Staat in eine Rolle kommt, in der er plötzlich Unternehmen und ihre Geschäftspolitik bewertet, um zu entscheiden, ob es Kredite, Bürgschaften oder gar Beteiligungen gibt. Die Landesbanken zeigen, dass der Staat nicht der bessere Banker ist.

SZ: Sind Sie so eindeutig auch bei der Diskussion um Bürgschaften und Hilfen für Schaeffler-Continental?

Kauder: Je einzelfallbezogener die Diskussion wird, desto problematischer wird sie. Wir können darüber reden, wie wir einer Branche helfen und das ist schon problematisch. Aber in Einzelfällen wird es ausgesprochen schwierig.

SZ: Dann ist der Vorschlag von Jürgen Rüttgers, im Notfall auch Staatsbeteiligungen zu erwägen, gar nicht so falsch.

Kauder: Um es klar zu sagen: Von einer breiten Verstaatlichung oder Beteiligung an Unternehmen rate ich dringend ab. Und deshalb habe ich auch im Fall Schaeffler-Conti erhebliche Vorbehalte.

SZ: Haben Sie keine Angst vor der Neiddebatte, dass der Staat den Banken Hunderte Milliarden gibt, aber deutlich weniger für die Unternehmen und die Menschen selber?

Kauder: Es ist unsere Aufgabe, zu erklären, warum wir das alles tun: Wir wollen den Menschen eine Perspektive geben, möglichst unbeschadet durch diese Krise zu kommen. Das heißt: das Bankensystem sichern, damit die Sparguthaben bleiben. Und es heißt, die Wirtschaft zu mobilisieren, damit möglichst wenige Arbeitsplätze verloren gehen.

SZ: Es gibt eine Debatte über das Profil der Union im Krisenmanagement. Stimmt die Analyse des Saarländers Peter Müller, die Ministerpräsidenten müssten eine stärkere Rolle übernehmen?

Kauder: Für das Profil sind alle in der Parteiführung verantwortlich, von den Ministerpräsidenten über die Fraktionsspitze bis zur Parteichefin. Was aber ist das Profil der Union? Ein zentrales Element ist, dass dort, wo die Union regiert, mit dem Geld der Steuerzahler verantwortungsvoll umgegangen wird. Das haben wir beim Schuldenabbau in der großen Koalition glasklar bewiesen. Und wir beweisen es jetzt mit der zielgerichteten Verabschiedung des Pakets aus Investitionen und Entlastungen. Ich würde mir wünschen, dass die Länder das jetzt im Umgang mit ihren Landesbanken auch beweisen. Im Übrigen bringen uns Profildebatten keinen Schritt weiter. Die Menschen fangen damit herzlich wenig an. Sie wollen gut regiert werden.

SZ: Wie wichtig ist eine Schuldenbremse?

Kauder: Entscheidend. Für mich ist ein Ja zum Konjunkturpaket ohne eine klare Schuldenbremse und Tilgungsvereinbarung undenkbar. Ich wünsche mir eine gemeinsame Lösung zwischen Bund und Ländern. Die Chance dafür besteht, die Ministerpräsidenten sind am Zug.

SZ: Mehr Spaß scheint denen zu machen, über die Strategie zu streiten.

Kauder: Wir hatten in der Präsidiumssitzung vor zwei Wochen vereinbart, hinter verschlossenen Türen die Steuerstrategie zu erarbeiten. Das hat nicht mal drei Tage gehalten. Zum Profil der Union gehört Zuverlässigkeit. Und Disziplin.

Interview: Stefan Braun und Nico Fried

"Ich glaube, dass wir bei den Banken noch große Probleme haben werden."

"Von einer breiten Verstaatlichung oder Beteiligung an Unternehmen rate ich dringend ab."

Lehnt weitere Finanzhilfen für die deutsche Wirtschaft ab: Volker Kauder, der Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag. Foto: Marco Urban

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"Von einer breiten Verstaatlichung oder Beteiligung an Unternehmen rate ich dringend ab."

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"Ich glaube, dass wir bei den Banken noch große Probleme haben werden."

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Blick in die Presse

Durchsichtiger Schachzug

Weltweit schauen die Kommentatoren auf Russland, das der westlichen Welt zwar die Leviten liest, gleichzeitig aber wieder eine Annäherung an die USA sucht.

LA REPUBBLICA (Italien):

"Zerknirscht und schweigend haben die VIPs des Weltkapitalismus der harten Anklagerede der chinesischen und russischen Führung gegen die Schuld des westlichen Kapitalismus und die verheerenden Folgen unserer Misswirtschaft für die ganze Welt zugehört. Chinas Regierungschef griff zu starken Worten und stichelte speziell gegen Amerika; Putin schloss die Eröffnung des Weltwirtschaftsforums in Davos, indem er den versammelten westlichen Kapitalisten seine Vorstellungen von einer "Management-Ethik und Transparenz der Unternehmensbilanzen" verabreichte - ein grotesker Spott zwar, aber ein wohlverdienter."

CORRIERE DELLA SERA (Italien):

"Das scheint ein positives Signal zu sein, was da zwei Tage nach dem Telefongespräch zwischen Barack Obama und seinem russischen Amtskollegen Dmitri Medwedew aus Moskau verlautete. Zwar offiziell zunächst vom Kreml nicht bestätigt, entspricht diese Nachricht über den Verzicht auf Iskander-Raketen aber ganz offensichtlich der neuen Moskauer Haltung, wie sie von der Kreml-Spitze jetzt eingenommen wird, und zwar auch wegen der Wirtschaftskrise, die Russland stark schwächt. Selbst Regierungschef Wladimir Putin hat seinen Ton leicht verändert, der neuen US-Administration Erfolg gewünscht und für die Zukunft eine "konstruktive Kooperation".

INDEPENDENT (Großbritannien):

"Für diese Entscheidung des Kreml, jetzt seine Beziehungen zu Washington zu verbessern, gibt es gute Gründe. Moskaus internationales Image ist stark angeschlagen. Russland leidet zudem mehr als alle anderen Länder unter der weltweiten Finanzkrise. Jeder Staatschef, der mit Problemen im eigenen Land konfrontiert ist, muss Schwierigkeiten außerhalb seiner Grenzen vermeiden."

NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (Schweiz):

"Nun wird die Drohung der Stationierung von Iskander-Raketen in Kaliningrad wieder rückgängig gemacht. Das ist reines Kalkül, das den Amerikanern die wenig ansprechende Wahl überlässt, man weiche vor den Russen zurück. Oder: Man nimmt Obama den Mantel des Friedensfürsten weg, der in Deutschland noch glänzt wie am ersten Tag, wenn er sich für die Raketen entscheidet. Der neue amerikanische Präsident steht nun vor der Wahl, auf den etwas durchsichtigen Schachzug zu antworten oder ihn zu ignorieren. Letzteres wäre klüger."

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Amerikas guter Krieg

Obama sucht eine neue Afghanistan-Strategie - Europa sollte sich einmischen, ehe er sie findet.

Von Christian Wernicke

Afghanistan ist Amerikas "guter Krieg". So glaubt, laut Umfragen, das Volk, so sieht es der neue Präsident. Barack Obama, dessen nationale Karriere als früher Gegner des wüsten Bush-Krieges im Irak begann, war und ist kein Pazifist. Er sah zu Recht keinen Grund für den Irrmarsch auf Bagdad - aber er hegte nie Zweifel, dass der Kampf gegen al-Qaida und Taliban gerecht ist. Also will er, als 44. Oberkommandierender, nun raus aus Mesopotamien. Und umso mehr ist der Hindukusch fortan seine entscheidende Front: Da will, ja da muss der amerikanische Präsident siegen.

Genau deshalb unterwirft die neue Regierung ihr Afghanistan-Dossier jetzt einer rigorosen Überprüfung. Und der Einsatz (mit bislang immerhin über 600 toten US-Soldaten) liest sich nicht eben wie eine Erfolgsgeschichte: Osama bin-Laden ist nach wie vor auf freiem Fuß, die Taliban sind auf dem Vormarsch, die Regierung in Kabul versinkt in Korruption, lässt den Drogenhandel wuchern und oft finstere Warlords in den Provinzen gewähren. Mit simplen Durchhalteparolen, mit einem sturen "Weiter so", kommen die Vereinigten Staaten und ihre Nato-Verbündeten nicht mehr voran.

Der Neuanfang in Washington eröffnet die (vielleicht letzte) Chance, in Afghanistan einen anderen, besseren Kurs einzuschlagen. Dazu sucht Amerika nun eine neue Strategie. Und die ersten Signale der Regierung bedeuten den Alliierten in Europa wie dem Präsidenten in Afghanistan, dass die Obama-Mannschaft dabei nur ein Tabu kennt - den Rückzug, die eigene Niederlage. Nein, Amerika rüstet auf, will bis zu 30 000 Soldaten zusätzlich entsenden. Die Verbündeten in Brüssel ahnen, dass dies auch ihnen mehr abverlangen wird - mehr Truppen, mehr zivile Aufbauhelfer, mehr Geld. Es ist höchste Zeit, dass Europas Regierungen auch eigene Ideen investieren - und zwar, ehe die Führungsmacht ihre Suche nach neuen Pfaden beenden wird.

Auf Hamid Karsai, den einsamen Präsidenten in Kabul, kommen raue Zeiten zu. Er hat inzwischen erfahren müssen, dass er nicht länger Washingtons Liebling ist. Die virtuellen Audienzen im Weißen Haus, die Karsai unter George W. Bush per Videoschaltung fast wöchentlich genoss, hat Barack Obama bereits abgeschafft. Soll heißen: Wir können auch anders. Längst gilt es nicht mehr als ausgeschlossen, dass sich Washington vor den afghanischen Präsidentschaftswahlen im August einen anderen Lieblingskandidaten ausguckt. Der erste schwarze US-Präsident kennt da keine Treue, keine Schuldigkeiten: Amerikas bisheriger Mohr in Kabul kann auch gehen.

Derweil zeichnet sich erst in Umrissen ab, was die neue US-Regierung am Hindukusch vorhat. Klar ist nur, dass Amerika mehr als bisher den Afghanistan-Krieg als Regionalkonflikt begreifen wird: Die labile Regierung in Pakistan wie auch das iranische Mullah-Regime werden unter Druck geraten, mehr als bislang mitzuhelfen im Kampf um Afghanistan. Dafür steht der Name Richard Holbrooke, der neue, für seine Ruppigkeit bekannte US-Sonderbeauftragte für die Region.

Ein anderer Name dürfte derweil für die Taktik stehen, mit der Washington künftig in den Schluchten des Hindukusch vorankommen will: David Petraeus. Der Vier-Sterne-General, inzwischen der Chef des US-Zentralkommandos, gilt als Vater von Amerikas spätem Erfolg im Irak. Petraeus will, getreu seinem Lehrbuch zur erfolgreichen Aufstandsbekämpfung, mit mehr amerikanischen Soldaten in Afghanistan erneut in die Schlacht ziehen. Mehr Bodentruppen verheißen, zumindest vorübergehend, mehr Blutvergießen - aber hoffentlich weniger blindes Bomben per Drohnen wie bisher.

Der Irak als Lektion für Afghanistan: Obama mag es nicht so sagen, aber er wird es tun. Er will, um seinen guten Krieg zu gewinnen, jetzt vom schlechten Krieg das Siegen lernen.

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Ein falscher Mausklick, und du bist ein Terrorist

Das sogenannte Terrorcamp-Gesetz verfolgt angebliche Täter, ohne dass es eine Straftat gibt

Von Heribert Prantl

Bisher war Sinn und Zweck des Strafrechts die Bestrafung des Straftäters. Was sonst. Aber das so Selbstverständliche gilt nicht mehr, wenn es um Terrorbekämpfung geht. Der Bundestag hat in erster Lesung ein Gesetz verhandelt, das nicht mehr zur Bestrafung, sondern nur zur Verfolgung taugt, ja nur diese bezweckt: Der Gesetzgeber weiß, dass es zu einer Bestrafung der angeblich gefährlichen Person nach dem neuen Gesetz nicht kommen wird; aber das ist ihm ziemlich egal. Die Hauptsache ist, dass der Staat ermitteln, belauschen und Computer durchsuchen darf. Die Straftat wird quasi fingiert, weil man sie braucht, um massiv in die Grundrechte des Beschuldigten eingreifen zu können.

Schon der amtliche Titel des neuen Gesetzes verrät dies. Es lautet: "Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten". Das Gesetz wird landläufig Terrorcamp-Gesetz genannt, weil mit ihm angeblich die Leute gepackt werden sollen, die sich dort ausbilden lassen. Davon findet sich im Gesetzestext kein Wort. Er umfasst jegliche Unterweisung, die sich ein Einzelner im Umgang mit gefährlichen Stoffen oder mit Stoffen geben lässt, aus denen gefährliche Stoffe hergestellt werden können - auch per Internet. Ein falscher Mausklick, und du bist ein Terrorist. Die neuen Paragraphen 89 a und b sowie 91 im Strafgesetz sind so vage und konturlos, dass man sich nicht vorstellen kann, ein deutsches Gericht würde nach diesen Vorschriften Beschuldigte verurteilen. Das ist aber auch gar nicht die Absicht von Schäuble, Zypries & Co - deren wirkliche Absicht spiegelt sich schon im Titel des Gesetzes wider.

Unter Strafe gestellt wird die noch nicht konkrete Vorbereitung von noch nicht konkreten Straftaten. Die zu einer rechtsstaatlichen Verurteilung untauglichen Strafvorschriften werden deshalb geschaffen, weil der Staat zur Verfolgung dieser neuen nebulösen Delikte das schwere Instrumentarium der Strafprozessordnung auspacken kann: Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation, Lauschangriff, Hausdurchsuchung bei Kontaktpersonen, Kontrollstellen auf Straßen und Plätzen, Vermögensbeschlagnahme, Verhaftung und Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr. Die schwersten denkbaren Maßnahmen und Grundrechtseingriffe werden also auf allerdünnstes Eis gestellt.

Gäbe es den Straftatbestand der Missachtung der Gerichte, dann wäre er mit diesem Gesetz verwirklicht. Es verhöhnt die Strafjustiz. Es missachtet Normenklarheit und Normenwahrheit. Es räumt die Einschränkungen beiseite, die der Bundesgerichtshof aufgestellt hat für die Straftaten der Bildung von und der Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen. Der keiner Organisation angehörende Einzelne wird jetzt für genauso gefährlich gehalten wie das Mitglied einer Terrorgruppe. Damit löst sich jede Strafrechtssystematik auf. Das neue Strafrecht verfolgt einen angeblichen Täter, ohne dass es eine Straftat gibt.

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Vorwurf ohne Substanz

Gesine Schwan sagt, ihr großes Thema sei die Demokratie. Irgendein Thema muss sie ja ihrer Kandidatur als Bundespräsidentin voranstellen, einer Kandidatur, deren ursprüngliche Gründe persönlicher Ehrgeiz Schwans und vereinzelte Bitten aus der SPD waren, sowie die Unfähigkeit der Parteispitze, sie zu verhindern. Mit der Botschaft, die Demokratie sei bedroht, ist Gesine Schwan seither durch die Lande gezogen, ohne dass der Widerhall allzu groß gewesen wäre. Also ist die Kandidatin nun einen Schritt weiter gegangen und hat einen Mitverantwortlichen für die von ihr diagnostizierte Gefährdung der Demokratie benannt: Horst Köhler.

Sie wolle dem Bundespräsidenten nichts vorwerfen, hat Schwan gesagt - und ihm dann einen sehr harten Vorwurf gemacht: Köhler nehme die Erosion der Demokratie in Kauf. Einen Beleg bleibt sie schuldig. Weil das Wort das einzige politische Instrument eines Bundespräsidenten ist, kann sich diese Kritik nur auf Köhlers Reden beziehen, wie ja auch Schwans Vergleich mit Richard von Weizsäcker nahelegt. Auch dann bleibt ihr Vorwurf unberechtigt, weil sie die begrenzten rhetorischen Fähigkeiten des Bundespräsidenten einfach gleichsetzt mit einem bewussten politischen Fehlverhalten, für das es keinen Hinweis gibt.

Schwan will einen Wahlkampf provozieren, den ihr Köhler bislang zu Recht verweigert hat. Sie möchte die öffentliche Stimmung drehen, weil Köhler hohe Beliebtheitswerte hat. Sie ignoriert dabei, dass der Bundespräsident nicht vom Volk gewählt wird. Und sie bedient sich einer Form der politischen Auseinandersetzung, die sie bei anderen ganz bestimmt als Ursache für die Erosion der Demokratie beklagen würde. nif

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Die zweite Lüge

Die Pflegeversicherung startete im Jahr 1995 mit einer Lüge. Künftig würden alle gebrechlichen Menschen Hilfe bei der Pflege bekommen, hieß es. Dabei wusste die Regierung damals genau, dass das neue System vor allem Menschen mit körperlichen Leiden nutzen würde. Demenzkranke hatte man bei der Definition, wann ein Mensch pflegebedürftig ist, aus Kostengründen herausgelassen. Diese Diskriminierung muss enden, sagen Pflegeexperten wie auch die Gesundheitsministerin. Allein - Ulla Schmidt tischt den Demenzkranken eine neue Lüge auf, wenn sie ihnen jetzt Gleichbehandlung verspricht.

Zwar wäre das nun vorgeschlagene System gerechter. Statt minutengenau zu prüfen, wie viel Hilfe ein Mensch beim Zähneputzen oder Kochen braucht, sollen Gutachter beurteilen, ob er seinen Alltag insgesamt noch meistern kann. Damit würden die Einschränkungen von Demenzpatienten, aber auch von psychisch Kranken besser erkannt. Das Problem ist nur: Die Regierung hat nie ernsthaft geplant, das neue System einzuführen.

Die Chance dazu hätte sie schon bei der Pflegereform 2008 gehabt. Damals beschloss sie Hilfen für Demenzkranke, aber keine Gleichstellung. Mit dieser Frage beschäftigte sie ein Expertengremium. Als die Fachleute nun ihren Bericht vorlegten, wurden eilig Folgestudien gefordert. Das Gesetz wird die Regierung in dieser Legislaturperiode nicht mehr ändern. Denn die Reform würde die Kassen mit weiteren Milliarden belasten. In der Wirtschaftskrise will die Koalition die Beiträge aber nicht weiter erhöhen. Das ist kurzsichtig und beschämend. Wie eine Gesellschaft mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht, darf nicht von der Haushaltslage abhängen. nvh

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Düstere Aussichten

Die Arbeitslosigkeit ist so stark gestiegen wie lange nicht mehr. Im Januar waren fast 400 000 mehr Menschen auf Arbeitssuche als im Dezember. Das ist ein bedrückend hoher Wert, der in etwa der Einwohnerzahl von Bochum entspricht. Der Wirtschaftsabschwung hat sich also endgültig in den Arbeitslosenzahlen niedergeschlagen. Daran ist nicht zu rütteln, auch wenn die Arbeitslosigkeit im Winter traditionell steigt, weil in vielen Branchen wegen des schlechten Wetters nicht gearbeitet wird und Mitarbeiter entlassen werden.

Wie schlecht es inzwischen am Arbeitsmarkt aussieht, zeigt ganz besonders eine weitere Meldung der Bundesagentur für Arbeit. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nahm erstmals seit drei Jahren ab. Das lässt aufhorchen, denn gemeint sind die klassischen Arbeitsverhältnisse. Die Firmen sind immer seltener bereit, Mitarbeiter einzustellen. Stattdessen nutzen sie vermehrt die Kurzarbeit. Mit der Kurzarbeit bei Auftragsmangel - der von der Bundesagentur für Arbeit quasi finanzierten Arbeitszeitverkürzung - werden Entlassungen vermieden.

Es ist gut, dass die Bundesregierung in ihren Konjunkturpaketen diese Möglichkeit erleichtert hat, denn mit Kurzarbeit kann die Arbeitslosigkeit für einige Zeit gebremst werden. Kommt dann der Aufschwung, ist es gerade noch einmal gutgegangen. Verschärft sich die Krise aber noch, dann landen die Kurzarbeiter in der Arbeitslosigkeit. Die Bundesrepublik steht vor dem härtesten Wirtschaftsjahr ihrer Geschichte. Die Entwicklung der Konjunktur schlägt sich stets erst einige Monate später am Arbeitsmarkt nieder: Die Aussichten für Menschen ohne Arbeit bleiben düster. shs

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Der überforderte Staat

Von Guido Bohsem

Es ist vor allem Hollywood, das die Denkmuster für Krisenzeiten prägt. Kino und Fernsehen haben uns daran gewöhnt, Krisen und Konflikte als zeitlich begrenzt und als lösbar zu betrachten, wenn der Held es nur wirklich will. Das Dilemma kann noch so groß, der Kampf noch so gefährlich sein - wir bestehen auf einem Happy End und auf einem Ritter in glänzender Rüstung, der durch seine Kraft und seinen Willen alles wieder in Ordnung bringt, und zwar schnell. In der schlimmsten Wirtschafts- und Finanzkrise der Geschichte der Bundesrepublik gilt das erst recht und deshalb ertönt der Ruf nach dem Staat. An wen auch sonst? Wer außer ihm sollte angesichts der Masse und Größe der Probleme einspringen? Und weil die Repräsentanten des Staates, die Politiker, im Zuge der Globalisierung so lange unter schleichender Entmachtung gelitten haben, nehmen sie diese Rolle gerne und dankbar an.

Viele Dinge, die in den vergangenen Wochen und Monaten in Berlin diskutiert, geplant und entschieden wurden, passen gut in das Traumfabrik-Muster: Jetzt ist Krise, und jetzt handeln wir: das größte Rettungspaket, die höchste Staatsverschuldung, und das alles in kürzester Zeit. Und doch ist naiv, wer auf den Staat als Retter aus der Krise setzt, und leichtgläubig, wer meint, die regierende Klasse wisse so genau, was sie tue. In Wirklichkeit bestimmen Versuch und Irrtum das Handeln. Vieles davon hat nur noch wenig mit den ordnungspolitischen Leitsätzen zu tun, die nicht nur die Union, sondern auch der wirtschaftsnahe Flügel der SPD bis vor kurzem als wahr und richtig erkannt haben.

Nirgends lässt sich die Orientierungslosigkeit der Politiker besser studieren als bei den Überlegungen, Industrieunternehmen mit Staatsgeld über die Runden zu helfen, und nirgends besser erklären als am Fall des Autozulieferers Schaeffler. Dazu ist eine kurze Rückschau nötig: Vor etwa einem Jahr kannte die breite Öffentlichkeit den Namen Maria-Elisabeth Schaeffler nicht. In aller Stille führte die Milliardärin einen erfolgreichen Konzern im fränkischen Herzogenaurach. Allenfalls der ubiquitäre Autobranchenexperte Ferdinand Dudenhöffer hätte gewusst, was Schaeffler so alles herstellt. Das änderte sich im Sommer dann schlagartig. Das Unternehmen entschloss sich, den dreimal so großen Konkurrenten Continental zu übernehmen. Mit vielen Tricks und noch mehr Chuzpe gelang der gewagte Handstreich, während die wirtschaftliche Lage des Landes und speziell die der deutschen Automobilindustrie von Tag zu Tag schlechter wurde. Das Ergebnis ist jetzt zu besichtigen: Beide Unternehmen sitzen auf geschätzten 20 Milliarden Euro Schulden, und kaum eine Bank ist noch bereit, weitere Kredite auszugeben.

Frau Schaeffler muss daher die Bundesregierung um Hilfe bitten. Eine Milliardärin fragt nach Steuergeldern, um ein Unternehmen am Leben zu halten, das sie durch eine gewagte Übernahme an den Rand des Ruins geführt hat. Kann man das einer Friseurin erklären, die in Erfurt brav ihre Steuern zahlt? Oder einem Hartz-IV-Empfänger im Ruhrpott, der seinen Kindern ein Spielzeug verweigern muss, weil die Hilfe vom Staat nicht reicht? Nein, man kann es nicht. Der Staat sollte Schaeffler nicht helfen, nicht mit einer Bürgschaft und erst recht nicht, indem er in das Unternehmen einsteigt.

Unternehmertum ist vor allem deshalb einträglicher als ein Beamtenjob, weil mit ihm das volle Risiko für die eigenen Entscheidungen verbunden ist. Geht der Staat hin und übernimmt dieses Risiko auf Kosten der Steuerzahler - das Ende der klugen unternehmerischen Abwägung und der kaufmännischen Vorsicht wäre gekommen. Selbst der größte Hasardeur und Abenteurer könnte sich darauf verlassen, dass der Staat einspringt und ihm aus der Patsche hilft. Das Conti-Abenteuer war eine kalkulierte Entscheidung, für die Schaeffler nun die Konsequenzen zu tragen hat. Wäre der Coup geglückt, das Unternehmen hätte den Staat wohl kaum am Profit beteiligt.

Sicher, durch die finanzielle Schieflage der Schaeffler-Gruppe sind dort und bei Conti Tausende Arbeitsplätze bedroht. Doch das alleine darf kein Argument sein, sonst müsste der Staat all den bedrohten Unternehmen helfen, die auch nur einen einzigen Angestellten beschäftigen. Es liegt auf der Hand, dass die insgesamt bereitgestellten 100 Milliarden Euro dazu bei weitem nicht ausreichen würden. Für ein so umfassendes Hilfsangebot sind Summen notwendig, die auch eine der stärksten Wirtschaftsnationen der Welt nicht aufbringen kann. Der Staat würde sich überheben.

Und nicht nur das. Er hätte weder das Personal noch die Expertise, um zu entscheiden, ob ein Unternehmen unverschuldet in eine Notlage geraten ist oder durch schlechte Entscheidungen wie bei Schaeffler geschehen. Konkursverwalter wissen nur zu gut, wie schwierig es ist, den Grund für den Zusammenbruch eines Unternehmens herauszufinden. Es spricht daher eine Portion Größenwahn aus der Idee, eine Art Weisengremium zu schaffen, das darüber entscheidet, welches Unternehmen Geld bekommt und welches nicht. Der Staat ist kein Hollywood-Held. Er sollte sich raushalten.

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Wolfgang Schaupensteiner Ex-Staatsanwalt, Kämpfer gegen Korruption bei der Bahn

Als Oberstaatsanwalt verkörperte Wolfgang Schaupensteiner die Korruptionsbekämpfung in Deutschland. Kein anderer Strafverfolger hat mehr über den Kampf gegen die Korruption geredet, geschrieben und ihn auch praktiziert als der langjährige Leiter der entsprechenden Frankfurter Schwerpunktabteilung. "Gelegenheit macht Diebe. Fehlende Kontrolle macht korrupt. Nur Vorbeugung kann Korruption verhindern", waren seine Standardsätze. Berühmt wurden seine "zehn Gebote" zur Korruptionsbekämpfung, die er gemeinsam mit der Gießener Professorin Britta Bannenberg verfasste.

Im Juli 2007 hatte Schaupensteiner den Posten des Anti-Korruptions-Beauftragten bei der Deutschen Bahn übernommen, danach war es etwas still um ihn geworden. Die Daten-Affäre des Staatsunternehmens hat den inzwischen 60-Jährigen wieder ins Scheinwerferlicht zurückgebracht. Nun predigt er in die ihm entgegengereckten Mikrophone, dass der Abgleich von Massendaten ein "Routinevorgang" sei und dass er die öffentliche Reaktion auf den "angeblichen Daten-Skandal so absurd" finde "wie die Frage, warum atmest du?" Er fragt: "Warum will jetzt keiner verstehen, dass Korruption ein Kontrolldelikt ist?"

Schaupensteiner hatte schon als Staatsanwalt häufig Warum-Fragen. Warum gibt es noch kein bundesweites Korruptionsregister? Zeitlich begrenzt könnten Unternehmen, die gesudelt haben, von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden. (Die Lobby hat ein solches Register verhindert.) Warum sei die Abgeordneten-Bestechung "ein typisches Placebo-Gesetz geblieben?" (Weil viele Abgeordnete gerade im Wahlkampf den Besuch des Strafverfolgers fürchten wie den des Leibhaftigen.) Mit seinen Betrachtungen zur Lage hat er jedenfalls keine Anhänger in der Politik gewonnen.

"Einmal Jäger, immer Jäger" ist einer seiner Sprüche, aber er wurde auch manchmal selbst gejagt. In der Welt der Ministerialen gab es Neider, die ihm durch Mimik seine Berühmtheit vorwarfen, er hatte echte Gegner, weil er verlangte, bei der Korruptionsbekämpfung "zu agieren statt zu lavieren". In Hessen scheiterte er krachend mit der Forderung nach einer einzigen Schwerpunktabteilung im Lande für Korruptionsbekämpfung - die er natürlich selbst leiten wollte. 1987 war er der erste Sonderdezernent zur Korruptionsbekämpfung in Frankfurt gewesen, 1993 Abteilungsleiter geworden. Mehr konnte er mit seiner Prominenz nicht werden. Er hat dann mit dem hessischen Justizministerium über eine "Freistellung mit Rückkehrmöglichkeit" verhandelt, und nur weil die Bahn ein Staatsunternehmen ist, lag sein Wechsel im öffentlichen Interesse.

Der beurlaubte Beamte hat auch erfahren, dass es in der angeblich so freien Wirtschaft viele Flure mit vielen wichtigen Entscheidungsträgern gibt. Die Abstimmungsprozesse seien "gewaltig", klagt er. Als Chef der Korruptionsermittler in Frankfurt brauchte er nur zu rufen, und alle verstanden ihn auf dem einzigen Flur. Jetzt arbeitet er noch viel mehr als früher und verirrt sich doch gelegentlich im Berliner Labyrinth der Bahn. Der Jäger nennt sich jetzt "präventiver Berater". Hans Leyendecker

Foto: AP

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Inhalt

IMMOBILIEN

Tür an Tür

Meist führen Vernunftgründe zur Entscheidung für ein Reihenhaus V2/2

MIETMARKT

Zu früh gefreut

In manchen Regionen gibt es nicht mehr, sondern weniger Wohngeld V2/14

ANZEIGEN-INHALTSÜBERSICHT

Kaufmarkt Seite V2/3

Mietmarkt Seite V2/14

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Stürmische Zeiten

Dem US-Immobilienmarkt fehlen rationale Preise und Vertrauen

Während der private Häusermarkt zuletzt in einen Kaufrausch mündete, ging es bei Büroimmobilien eher moderat zu. Entsprechend different stellt sich aktuell die Situation an den Märkten, sagt C. MacLaine Kenan, Präsident des Verbands ausländischer Immobilieninvestoren Afire.

SZ: Die Branche steckt in der Krise, doch Ihr Verband erfreut sich bester Gesundheit. Welche Investoren kommen denn derzeit in die USA?

Kenan: Wir machen uns natürlich weiterhin Gedanken über interessante Investitionen, aber die Dividenden hängen jetzt halt viel höher. Es ist aber auch nicht nötig, Kapital gleich wieder in neue Projekte zu investieren. Wir warten auf die günstige Gelegenheit. Ein Schuldenmarkt wie dieser muss erst wieder zu rationalen Preisen zurückfinden, um das Vertrauen wiederherzustellen und Umsätze zu schaffen. Dazu kommt, dass der Immobilienmarkt stark vom Geschehen auf dem Arbeitsmarkt abhängig ist.

SZ: Europäischen Banken geht es schlecht, weil sie faule Kredite von amerikanischen Banken übernommen haben. In ihrem Verband sind auch viele Banken aus Europa Mitglied. Wie ist die aktuelle Situation zu bewerten?

Kenan: Die Kreditvergabe wird jetzt strenger geregelt. Aber Zahlungsunfähigkeit ist ein globales Problem. Es wird eine Flucht zurück in die Qualität geben und da führt der Weg zum US-Markt. Die erfahrenen Mitglieder in unserem Verband handelten recht vorsichtig. Das mag sich in diesem Jahr ändern.

SZ: Amerikanische Banken bekommen Hilfe von der Regierung, während Hausbesitzer enteignet werden. Was erwarten sie von der neuen Regierung?

Kenan: Erste Nominierungen für das Kabinett lassen erwarten, dass die Geldpolitik in guten und besonnenen Händen sein wird. Finanzielle Anreize und staatliche Lenkung sind jetzt nötig. Der Regierung ist sehr daran gelegen, dass sich das Preisgefüge auf dem Häusermarkt stabilisiert. Nicht alle Banken erhalten staatliche Hilfe. Es könnte eine Weile dauern, bis wir zur Normalität zurückkehren.

SZ: Ausländische Investoren suchen nach Schnäppchen. Wo gibt es die?

Kenan: Die meisten Anleger bevorzugen langfristige Pachtzeiten, außer vielleicht im Einzelhandel, wo sich immer noch Nervosität breit macht. Lange Mietverträge machen es leichter, stürmische Zeiten zu überdauern. Im kommerziellen Sektor hat es den ekstatischen Kaufrausch einfach nicht gegeben, den wir bei den privaten Wohnimmobilien gesehen haben. Eigentumswohnungen in Florida gelten im Moment als gute Anlage, obwohl sie einem natürlich nicht nachgeschmissen werden. Reits haben nach einem mehrjährigen Steilflug Wertverluste von 40 Prozent hinnehmen müssen.

Interview: Eckhart Tollkühn

C. MacLaine Kenan Foto: oh

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Deutlich weniger Investitionen

Nach zwei Rekordjahren ist 2008 das Umsatzvolumen auf dem Münchner Investmentmarkt deutlich zurückgegangen. Immobilienfonds, Projektentwickler oder Bauträger haben laut einer IVD-Analyse circa zwei Milliarden Euro investiert. Nach einem Marktbericht von Colliers Schauer & Schöll ist dies aber noch immer das drittbeste jemals erzielte Ergebnis. Die 2007 noch sehr aktiven Opportunity-/Equity-Fonds waren im vergangenen Jahr deutlich weniger präsent. Spürbar zurückgegangen ist auch das Interesse ausländischer Käufer. Ihr Anteil am Investmentvolumen fiel von 74 Prozent auf etwa 30 Prozent.

Die Spitzenrenditen für Büroimmobilien liegen dem IVD-Bericht zufolge derzeit bei 4,75 Prozent. In Ausnahmelagen betrage die Spanne 5,5 bis 6,25 Prozent. Trotz der Wirtschafts- und Finanzkrise geht die IVD-Analyse auch in diesem Jahr von einem stabilen Markt aus. Derzeit sei im großen Umfang Geld verfügbar, das sichere Anlagen suche. Interessant für Investoren seien weiterhin alle Segmente. Eine höhere Nachfrage wird es laut Bulwien Gesa im Wohnungsmarkt geben. Investoren entdeckten wieder den Mietwohnungsmarkt. Das von vielen Instituten prognostizierte hohe Bevölkerungswachstum verspreche vergleichsweise sichere Renditen. rem

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Worauf Käufer schauen

Umfrage: Lage und Struktur gelten als Entscheidungskriterien

Während das Thema ökologische Nachhaltigkeit zunehmend wichtiger wird, spielt der Preis nur eine untergeordnete Rolle bei der Kaufentscheidung. Dies ergab eine repräsentative Umfrage unter 500 Frauen und Männern in Deutschland, die das Marktforschungsinstitut GfK im Auftrag der Laurel Island Realty Company, einer amerikanischen Projektentwicklungsgesellschaft, durchgeführt hat. Mehr als 70 Prozent der Befragten gaben an, dass Ort und Infrastruktur die wichtigsten Kriterien beim Kauf privat genutzter US-Immobilien sind. Aus den Ergebnissen der Umfrage ragt dabei vor allem die Bedeutung der geographischen Lage heraus. So legen fast vier Fünftel (79 Prozent) der 40- bis 49-Jährigen Wert auf eine ansprechende Umgebung. Auch für etwa 80 Prozent der Familien mit drei oder mehr Mitgliedern ist dies das entscheidende Kaufargument. Für 70 Prozent der Paare ist dagegen die Infrastruktur vor Ort besonders wichtig. Dies gilt vor allem für die Altersgruppe der 30- bis 49-Jährigen - fast 80 Prozent gaben an, dass Aspekte wie Einkaufsmöglichkeiten, Verkehrsanschluss und medizinische Versorgung für sie von überragender Bedeutung seien. Die Argumente Preis und Wertsteigerungspotenzial spielen dagegen eine erstaunlich geringe Rolle beim Erwerb von US-Immobilien. Insgesamt ist dies nur für 55 Prozent der Befragten bei ihrer Kaufentscheidung von Interesse. Die Befragten achten mit steigendem Alter immer weniger auf den Preis der Immobilie. Höhe und Sicherheit des Einkommens sind immer noch entscheidend für den Kauf. ph

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Interview

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Alexander Otto, 41, Vorsitzender der Geschäftsführung der ECE Projektmanagement, hat den Vorsitz von ULI Europe (Urban Land Institute) übernommen. Bisher war er für ULI Germany in dieser Funktion tätig. Diese Funktion nimmt Bernhard H. Hansen, 54, Vorsitzender der Geschäftsführung von Vivico wahr .

Thorsten Angermann, 51, ist vom Berufsverband der Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS) Deutschland zum "Fellow" ehrenhalber ernannt worden. Dabei handelt es sich um eine Auszeichnung, die der Verband an Personen verleiht, die sich um die Immobilienwirtschaft verdient gemacht haben.

Olivia Kaussen, 40, verstärkt als Senior Consultant das Beratungsteam von Jones Lang LaSalle Hotels Deutschland.

Joachim Ochs, 44, leitet künftig die Unternehmenskommunikation der Ideenkapital AG, Düsseldorf. ph

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Bustour zum Eigenheim

In Amerika boomt das Geschäft mit Versteigerungen. Reger Zuspruch sogar aus Deutschland

Von Eckhart Tollkühn

Um die 50 Dollar kostet sie, die Bustour mit dem Reiseziel Eigenheim. "Foreclosure Bus Tours" organisiert Wochenendfahrten zu Wohnimmobilien, die wegen der Zahlungsunfähigkeit der Besitzer zwangsversteigert werden. Das Unternehmen, das Schadenfreude zur Verkaufsstrategie macht, hat Zweigstellen im ganzen Land und unzählige Nachahmer. Das Geschäft boomt; eine ironische Folge von Finanzkrise und Rezession. Auch Käufer aus dem Ausland, Deutsche, Briten und Australier springen auf den Zug. In manchen Gegenden der USA liegt der Anteil ausländischer Käufer bei 15 Prozent. Sie kaufen sich vor allem in Urlaubsregionen wie Florida ein, wo der Preisverfall nach den enormen Verteuerungen in der Vergangenheit jetzt besonders gravierend ist. In den größten US-Städten sind die Häuserpreise durchschnittlich um 17,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken.

Ein Ende der sich nach unten drehenden Preisspirale ist noch nicht abzusehen. Im Gegenteil: Experten rechnen für dieses Jahr mit einer Beschleunigung der Talfahrt. Die Fundamentaldaten verheißen nichts Gutes. Das amerikanische Bruttoinlandsprodukt sank im 2. Quartal 2008 mit 0,5 Prozent stärker als erwartet. So ist wohl damit zu rechnen, dass noch mehr Hausbesitzer in den Strudel der Zahlungsunfähigkeit geraten. Momentan sind vier Millionen Haushalte von Zwangsvollstreckungen bedroht. Jeder fünfte Eigenheimbesitzer ist in Zahlungsverzug geraten. Und die, die noch zahlen können, tun dies mit der niederschmetternden Gewissheit, das ihre Hypothekenschulden höher sind als der schwindende Wert ihrer Häuser. Bei immerhin 7,6 Millionen amerikanischer Wohnimmobilien ist dies der Fall. 18,6 Millionen Häuser stehen leer und warten auf Interessenten. Doch die lassen auf sich warten. Die Käufe durch Schnäppchenjäger sind derzeit nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Experten rechnen damit, dass die Talsohle im 3. Quartal 2009 erreicht wird. Die allgemeine Kauflaune wird erst dann einsetzen, wenn die Preise so weit fallen, dass eventuelle Mieteinnahmen bequem alle Kosten decken, glauben sie. Das bringt zumindest wieder die Spekulanten auf den Plan. Ohne staatliche Hilfe scheint im Moment nichts mehr zu gehen. In der Immobilienbranche wurde zunächst das Füllhorn der Regierung über die Verursacher, nicht aber die Opfer der Krise ausgeschüttet. Große Erwartungen setzen die Geschädigten auf den neuen Präsidenten. In Barack Obama sehen sehr viele Amerikaner den Heilsbringer. Freilich gibt es auch argwöhnische Stimmen. Das sei so, als würde die Titanic einen neuen Kapitän bekommen, nachdem sie den Eisberg gerammt hatte, illustriert Guy Cecala im Magazin Inside Mortgage Finance seine Skepsis. Natürlich hat sich Obama auch Gedanken über die Immobilienkrise gemacht. So schlägt er vor, dass alle Hypothekenbanken, die von dem milliardenschweren Hilfsfond der Regierung profitieren, zumindest drei Monate lang mit Zwangsvollstreckungen warten. Er plädiert außerdem für ein neues Gesetz gegen den Hypothekenbetrug und neue Maßnahmen, die den Erwerb eines Eigenheims auf einer soliden finanziellen Basis erschwinglicher machen. Nun ist die alte Regierung mit einem Maßnahmenpaket zur Immobilienkrise zuvor gekommen. Schuldner, die unter der Last von ruinösen Kreditverträgen mit flexiblen Zinssätzen leiden, soll die Möglichkeit gegeben werden, neue, langfristige Verträge mit niedrigen aber festen Zinssätzen auszuhandeln, vorausgesetzt sie sind mit ihren Zahlungen seit mindestens drei Monaten im Rückstand und die Hypothek macht mindestens 90 Prozent des Immobilienwertes aus.

Darüberhinaus kündigte die Notenbank an, sie wolle durch Hypotheken gesicherte Wertpapiere im Wert von 500 Milliarden Dollar kaufen, um den Häusermarkt zu stabilisieren. Inzwischen haben auch einige der Großbanken Hilfe in Form von Zahlungsaufschub und Umschuldungen zugesagt. Die Misere im privaten Wohnungsmarkt der USA ist aber nicht stellvertretend für den gesamten Immobiliensektor des Landes. "Wir haben sogar neue Auslandskunden hinzugewonnen", sagt Jim Fettgatter, Sprecher des Verbandes ausländischer Investoren Afire. Im Gegensatz zu Deutschland enthalten Reits (börsennotierte Immobilienaktien) in den USA auch Wohnungen. Sie profitieren von der Eigenheimkrise, weil viele zahlungsunfähige Eigenheimkäufer jetzt zur Miete wohnen müssen. Dadurch steigen die Mietpreise und die Erträge der Reits. Wegen der niedrigen Zinsen und bröckelnder Aktienkurse bleiben Immobilien in den USA weiter eine lukrative Alternative für institutionelle Anleger.

"Neue Auslandskunden hinzugewonnen"

Häuser warten auf Käufer. Doch die Kauflaune kommt wohl erst zurück, wenn aufgrund sinkender Preise die Mieteinnahmen die Kosten decken. Foto: AFP

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Wohngeld

Wer bestimmte Einkommensgrenzen unterschreitet, ist wohngeldberechtigt. Die Höhe des Zuschusses ist neben der Einstufung der Region auch vom Einkommen, der Zahl der Bewohner und der Miethöhe abhängig. Keine Rolle spielt mehr das Jahr, in dem das Haus errichtet wurde. jgö

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Bunt und rund

In der vergangenen Woche haben Designer und Unternehmen auf der internationalen Möbelmesse in Köln wieder ihre neuesten Kreationen vorgestellt. Viele Trends sind indes bekannt. Ob Retro-Welle, Technikmöbel oder Individualisierung: Die neuen Kollektionen setzen bekannte Entwicklungen fort. Bei den Farben gilt laut den Trendforschern noch immer Weiß als besonders chic. Gleichzeitig seien knallige Töne wie Lila oder Orange im Kommen. Laut einer Trendstudie hält auch eine Strömung namens "Eco-Pop" Einzug in die Wohnzimmer, eine "bunte und runde" Melange aus Umweltbewusstsein, Technikbegeisterung und Hightech-Kunststoffen. Eine Frischzellenkur und einen neuen Namen erhält der Liegesessel, der nun auch bunt sein darf und als "Lounger" in den Produktlisten geführt wird.

Foto: ddp

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Eingefroren. Die Frostschutz-Einstellung bei Heizungen soll bei niedrigen Außentemperaturen automatisch für eine Mindesttemperatur sorgen. Doch nicht immer dürfe man sich blindlings auf ihre Wirkung verlassen, wie der Infodienst Recht und Steuern der LBS mitteilt. Bei einer längeren Abwesenheit sei es nötig, andere Menschen um regelmäßige Kontrollen zu bitten. Im konkreten Fall hatte der Bewohner eines freistehenden Einfamilienhauses einen siebenwöchigen Mallorca-Urlaub angetreten. Die Heizung hatte er während dieser Zeit auf Frostschutz eingestellt, gelegentlich sollte auch seine erwachsene Tochter nach dem Rechten sehen. Diese beiden Vorsichtsmaßnahmen reichten allerdings nicht aus, um einen größeren Schaden zu verhindern: Die Heizung fiel aus, und in der Folge mussten Heizkörperelemente und Ventile ausgetauscht werden. Kosten: Etwa 4000 Euro. Diesen Betrag forderte der Bewohner von seiner Versicherung zurück. Diese allerdings weigerte sich, weil die erforderlichen Sicherheitsvorschriften nicht eingehalten worden seien. Das Urteil: "Grundsätzlich sind an die Kontrollpflichten strenge Anforderungen zu stellen", entschieden die Richter des Landgerichts Bonn. Das sei hier - nach allem, was in der Beweisaufnahme zu Tage getreten sei - nicht der Fall gewesen. Die Versicherung muss für den Schaden nicht aufkommen. (Landgericht Bonn, Az. 10 O 203/06)

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Lichtspiele

Neue Formen: Designer haben den Schalter entdeckt

Wer einen Faible für alles hat, was unter dem Stichwort "Design" firmiert, dürfte glückliche Jahre hinter sich haben. Im Haushalt gibt es mittlerweile kaum noch eine Schraube, Niete oder eine Klobürste, die nicht auch als Designerstücke in den Sortimenten der Einrichtungsläden (und immer häufiger auch der Baumärkte) zu finden ist. Die Formsprache erfasst die Einrichtung von der Abzugshaube bis zur Zuckerdose. Nun ist auch der Lichtschalter an der Reihe.

Obwohl ihn jeder braucht und täglich nutzt, haben die Hersteller den gemeinen Lichtschalter viele Jahre vor allem auf seine Funktion reduziert. "Schalter gewinnen nun im Gesamtkontext der Einrichtung an Bedeutung", sagt Peter Zec, Professor und Initiator des "red dot design award" in Essen. "Lichtschalter sind nicht mehr Stiefkinder der Inneneinrichter." Zwar habe es natürlich schon immer Unterschiede in Formen und Farben gegeben, ergänzt Klaus Jung vom Zentralverband Elektrotechnik und Elektroindustrie (ZVEI), "neu ist aber diese enorme Vielfalt". Der Lichtschalter werde zum Designelement, angepasst an Tapete oder Wandgestaltung.

Von schlicht bis edel, von hochmodern bis zum Retrolook, von knallbunt bis glasklar: Das Angebot ist so breit wie nie zuvor. Die modernen Schalter sollen nicht nur schön, sondern können auch praktisch sein. Was dem Innenminister nicht gefallen dürfte, freut jede Hausfrau: Ein silberfarbener Edelstahlschalter mit einer "Anti-Fingerprint-Beschichtung" verhindert sichtbare Fingerabdrücke.

Das Luxus-Segment glänzt mit den üblichen Kapriolen. Wer es edel mag oder protzen will, bekommt zum Beispiel Schalter mit einer 24-Karat-Goldauflage im Rahmen. Ebenfalls im Angebot: Ausführungen in Silber und Infrarotsensoren mit Diamanten. Für den eher alternativen Geschmack gibt es das gesamte Farbspektrum, ob in Grün, Aubergine oder ganz bunt.

Auch die Formen variieren. "Dabei bleibt die Formensprache insgesamt allerdings geradlinig und klar", sagt Zec. Beliebt sind auch wieder runde Ausführungen, gerne auch als klassische Drehschalter aus Porzellan. Eine teure Ausführung kostet bis zu 300 Euro. Bei einem ganzen Haus kommen da schnell ein paar tausend Euro zusammen. Wer es ganz puristisch mag, setzt auf die moderne Technik: Bewohner in Häusern mit Sensoren können gänzlich auf sichtbare Schalter verzichten. rem

Nicht nur praktisch, sondern nun auch schön: Der Lichtschalter. Foto: dpa

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Eingelebt. Wenn in einem Mehrfamilienhaus ein Eigentümer die alleinige Nutzung des Dachbodens zugewiesen bekommt, darf er diesen auch als Hobbyraum oder zu Wohnzwecken nutzen. Er darf dort also gelegentlich Gäste unterbringen und zu diesem Zweck auch eine Toilette und ein Waschbecken installieren. Das geht aus einem Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf hervor, auf den der Deutsche Anwaltverein in Berlin hinweist . In dem Fall wurde der im Gemeinschaftseigentum befindliche Dachboden einem Eigentümer zur ausschließlichen Nutzung zugewiesen. Zwei Miteigentümer wandten sich gegen die Nutzung als Hobby- und Wohnraum - die Zweckbestimmung eines Dachbodens verbiete eine solche Nutzung. Das Gericht sah es anders. Auch die sanitären Einrichtungen müssten nicht entfernt werden. (Az. I-3 WX 98/07)

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Zu früh gefreut

In manchen Kommunen gibt es wegen neuer Bewertungen nicht mehr, sondern sogar weniger Wohngeld

Von Joachim Göres

Circa 600 000 Haushalte in Deutschland bekamen im vergangenen Jahr Wohngeld - sie verdienten so wenig, dass sie ohne diesen staatlichen Zuschuss ihre Miete oder die Belastungen für ihr Wohneigentum nicht hätten zahlen können. Zum neuen Jahr hat die Bundesregierung das Wohngeld erstmals seit 2001 erhöht, um die in den vergangenen acht Jahren gestiegenen Kosten auszugleichen: Laut Bundesbauministerium sind die Mieten im Schnitt um zehn Prozent und die Heizkosten um 50 Prozent höher. Für viele Haushalte ist die Wohngelderhöhung jedoch niedriger als erwartet - dies liegt vor allem an der Bewertung der Regionen.

Im Schnitt 60 Prozent mehr Wohngeld hat die Bundesregierung den Betroffenen versprochen. Für Wohngeldbezieher in 421 deutschen Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern bleibt dies ein Wunschtraum. Gleichzeitig mit der Erhöhung des Wohngeldes wurden nämlich die Mietstufen, von denen die Höhe des Wohngeldes abhängig ist, in vielen Orten verändert. Dies betrifft vor allem Wohngeldbezieher in Nordrhein-Westfalen, wo 144 Kommunen abgestuft wurden. In Niedersachsen sind es 89. Dort ist die Erhöhung deutlich niedriger ausgefallen, im Extremfall wird sogar weniger gezahlt.

Gleichzeitig wurden bundesweit 179 Gemeinden höher eingestuft, vor allem in Baden-Württemberg (68) und Bayern (41). Hier können Betroffene sich über eine überdurchschnittlich hohe Wohngeldzulage freuen.

Die Höhe des Wohngeldes richtet sich unter anderem nach der Einstufung der jeweiligen Gemeinde in der Wohngeldtabelle. Entsprechend dem Mietniveau gibt es sechs Mietstufen, von Kategorie eins (sehr niedriges Mietniveau) bis Kategorie sechs (sehr hohes Mietniveau). Je höher die Mietstufe, umso mehr Wohngeld wird gezahlt. Arne Haase, der in Berlin ehrenamtlich zusammen mit anderen Behördenmitarbeitern Menschen in Wohngeldfragen berät und wichtige Informationen unter www.wohngeldantrag.de ins Internet stellt, erklärt die Auswirkungen der neuen Mietstufen am Beispiel von Saarbrücken. Dort gilt künftig nicht mehr die Kategorie vier, sondern nur noch die Stufe drei. Ein Drei-Personen-Haushalt, der in einer 70 Quadratmeter großen Wohnung in einem 2001 erbauten Haus lebt, 500 Euro Miete zahlt und ein Bruttoeinkommen von 1500 Euro bezieht, erhielt in der saarländischen Landeshauptstadt bisher 139 Euro Wohngeld, ab sofort sind es 155 Euro. Wenn zwei Personen mit dem gleichen Einkommen und der gleichen Miete in einer solchen Wohnung leben, dann bekommen sie nun sogar weniger Wohngeld - statt 48 nur noch 47 Euro.

Freuen können sich dagegen zum Beispiel Wohngeldempfänger im hessischen Gelnhausen. Ihre Gemeinde wurde von drei auf vier hochgestuft, was für den geschilderten Zwei-Personen-Haushalt eine Erhöhung von zuletzt 35 auf jetzt 60 Euro ausmacht. Am stärksten profitieren Betroffene im bayrischen Bad Abbach - dort wurde die Mietstufe von eins auf vier angehoben.

Neue Höchstgrenzen

Auswirkungen hat die Neueinstufung in einigen Regionen auch auf die Empfänger von Arbeitslosengeld II. Sie haben keinen Anspruch auf Wohngeld, sondern bekommen die Kosten der Unterkunft erstattet. Dabei gibt es Höchstgrenzen. Diese können laut Bundessozialgericht durch einen Mietspiegel oder "andere valide Erkenntnisse" festgelegt werden. Wo diese nicht existieren, gilt nach einem Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen bislang die Regelung "rechte Spalte der Wohngeldtabelle plus zehn Prozent".

Konkret bedeutet dies, dass zum Beispiel bei einem Einpersonenhaushalt in Hildesheim (einst Mietstufe vier, jetzt drei) die Kosten einer Unterkunft bisher bis zu einer Höhe von 357,50 Euro übernommen wurden. Künftig ist die neue Wohngeldtabelle ausschlaggebend. Durch die Runterstufung liegt die Höchstgrenze in Hildesheim von 2009 an nun bei 330 Euro. Bei einem Zweipersonenhaushalt sinkt die Höchstgrenze von 434,50 Euro auf 402 Euro. Das LSG-Urteil bezieht sich allerdings nur auf Niedersachsen und Bremen. Die Regelungen sind von Bundesland zu Bundesland sehr verschieden. "In Hessen ist die Wohngeldtabelle nicht entscheidend für die Berechnung der Höchstgrenzen", sagt Robert Stark, beim Hessischen Landkreistag für Fragen zum Sozialgesetzbuch II zuständig.

Die niedrigeren Mietstufen werden vom verantwortlichen Bundesbauministerium mit der bundesweit unterschiedlichen Entwicklung des Mietniveaus begründet. Nach seinen Berechnungen ist außer in NRW und Niedersachsen auch in vielen Gemeinden in Schleswig-Holstein, Sachsen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und dem Saarland das Mietniveau gegenüber der letzten Festlegung der Mietstufen im Jahre 2001 tendenziell gesunken, was in den betroffenen Orten zu einer Abstufung geführt habe. Dieser Argumentation wird in manchen Regionen widersprochen. "Das ist für mich nicht plausibel. Man kann nicht, wie jetzt geschehen, einfach 25 saarländische Gemeinden schlechter einstufen, denn bei uns sinken die Mieten ja nicht, sondern sie steigen", sagt Dieter Kipp, Sozialamtsleiter in Saarlouis.

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Vorfahrt für Nachhaltigkeit

Deutsche Bauherrenpreise zeichnen Wohnprojekte aus, die Qualität am Bau verkörpern und die Ressourcen schonen

"Hohe Qualität - Tragbare Kosten" lautet das Motto der Deutschen Bauherrenpreise 2009/2010. Ausgelobt haben sie die Arbeitsgruppe Kooperation des GdW Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, des Bundes Deutscher Architekten (BDA) und des Deutschen Städtetages (DST). Wirtschaftlichkeit, Ressourcenschonung und hohe Qualität müssten - vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung - Ziel aller am Bau Beteiligten sein, erklärt GdW-Präsident Lutz Freitag anlässlich des Wettbewerbs. Langfristig würden Wohnhäuser nachgefragt, die sich - entsprechend der sich verändernden Ansprüche ihrer Bewohner - verändern ließen.

Der Deutsche Bauherrenpreis 2009 für innovative Projekte im Wohnungs-Neubau wird im Oktober 2009 auf der Messe Expo Real in München verliehen. Zudem gibt es einen Sonderpreis "Klimaschutz im Wohnungsbau". Die Vergabe des Bauherrenpreises "Modernisierung 2010" erfolgt im Januar 2010 in Essen. Darüber hinaus wird ein Sonderpreis "Denkmalschutz im Wohnungsbau" vergeben.

An dem Wettbewerb, den das Bundesbauministerium, die Deutsche Stiftung Denkmalschutz und Unternehmen der privaten Wirtschaft unterstützen, können unter anderem private und öffentliche Bauherren, Wohnungsunternehmen, Investoren, Bauträger, Kommunen, Architekten und Ingenieure teilnehmen - mit Projekten, die seit dem 1. Januar 2005 fertiggestellt sind oder bis Ende Mai dieses Jahres vollendet werden. Bis 30. April müssen die Unterlagen beim Bund Deutscher Architekten, Köpenicker Straße 48/49, 10179 Berlin, eingegangen sein.

Weitere Informationen zum Wettbewerb und den Ergebnissen früherer Jahre gibt es im Internet unter www.gdw.de, www.bda-architekten.de oder unter www.staedtetag.de ssc

Der positive Einfluss von Holz auf das Raumklima ist unumstritten. In Rheinland-Pfalz, Hessen und Baden-Württemberg wissen Bauherren diesen Vorzug des Baumaterials offenbar besonders zu schätzen. Laut einer Erhebung, die der Holzabsatzfonds mit Sitz in Bonn unlängst veröffentlicht hat, sind dort im Jahr 2007 im bundesweiten Vergleich die meisten Eigenheime aus dem nachwachsenden Rohstoff entstanden. Spitzenreiter ist Baden-Württemberg mit einer Holzbauquote von 23,6 Prozent. Aber auch in Bayern und einigen ostdeutschen Bundesländern sind Holzhäuser beliebt. Insgesamt wurden 2007 in Deutschland circa 112 590 Eigenheime fertiggestellt, bei etwa 16 570 (14,7 Prozent) von ihnen kam vorwiegend der Naturstoff zum Einsatz. Quelle: Holzabsatzfonds

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Tür an Tür

Familien in Großstädten entscheiden sich meist aus Vernunftgründen für ein Reihenhaus

Von Joachim Göres

"Das ist ein sehr langweiliges Neubaugebiet, ziemlich monoton gebaut und die Häuser sehen alle gleich aus. Ein großer Vorteil ist, dass hier auch junge Familien mit Kindern in ähnlichem Alter einziehen", sagt ein Ehepaar, das in einem Reihenhaus lebt. Begeisterung über die eigenen vier Wände klingt anders - dennoch ist das Paar nach der Geburt des zweiten Kindes an den Stadtrand gezogen, wo es sich ein Reihenhaus für 280 000 Euro gekauft hat. Die beiden Akademiker, Mitte 30, gelten laut einer von den Landesbausparkassen (LBS) in Auftrag gegebenen Studie als typische Käufer von Reihenhäusern. Ihre Preise sind für viele am Anfang des Berufslebens stehende, gut ausgebildete Paare gerade noch erschwinglich - sie sind meist deutlich günstiger als Doppel- oder Einfamilienhäuser.

"Natürlich wollte ich nie in ein Reihenhaus ziehen, aber jetzt passt es einfach in unsere Lebensphase. Ich will aber nicht immer hier wohnen bleiben. Erstmal ist es toll, dass die Kinder hier auf der Straße und im Garten spielen können", zitiert die LBS-Studie ein weiteres Beispiel für einen typischen Reihenhaus-Bewohner. Wichtig ist neben der Spielfläche für Kinder ein Stellplatz für das Auto sowie eine gute Verkehrsverbindung zum Arbeitsplatz. Die Bewohner nähmen in Kauf, dass ihnen die hier angebotenen Objekte ästhetisch nicht zusagen. Aspekte wie Attraktivität und Individualität des Objektes würden gegenüber den Kosten-Nutzen-Aspekten hinten angestellt, so das Fazit der Studie.

"Die Nachfrage nach Reihenhäusern fällt. Wer es sich leisten kann, der kauft lieber ein Einfamilienhaus. Die Baukosten sind ähnlich, die Grundstücks- und die Erschließungskosten machen den Unterschied aus", sagt Holger Dukati, Bauleiter bei der FWD Hausbau GmbH aus Dossenheim an der Bergstraße. Das 140 Mitarbeiter zählende Unternehmen baut seit mehr als 25 Jahren Häuser und hat zuletzt keine Reihenhäuser mehr fertiggestellt. "Derzeit bauen wir einige in Weingarten, die verkaufen sich gut. Auch in Heidelberg sind sie gefragt. In anderen Regionen ist es aber viel schwieriger. Insgesamt ist der Markt gesättigt", sagt Dukati.

Im Jahr 2007 wurden laut LBS in Deutschland 94 009 Baugenehmigungen für Privathäuser erteilt, davon 63 667 für freistehende Häuser, 15 568 für Doppelhäuser und 12 669 für Reihenhäuser. Der Anteil der Reihenhäuser lag in Westdeutschland bei 15,6 Prozent, in den neuen Bundesländern bei 8,2 Prozent. Die Baukosten pro Quadratmeter betrugen im Westen im Schnitt circa 1100 Euro, im Osten knapp 900 Euro.

Die Firma Campus-Familienhaus hat in den vergangenen zwei Jahren 13 Reihenhäuser in Braunschweig gebaut. "Es gibt in den Großstädten ein konstantes Interesse bei jungen Familien. Dabei spielen die vergleichsweise niedrigen Energiekosten eine immer größere Rolle", sagt Geschäftsführer Ingo Köther. Die Campus-Reihenhäuser sind 105 bis 120 Quadratmeter groß, ohne Keller, mit einem offenen Kochen-Wohnen-Essen-Bereich im Erdgeschoss, einem acht bis zehn Quadratmeter großen Bad mit Dusche und Badewanne sowie einem Gäste-WC, drei Zimmern im ersten Stock sowie einem ausgebauten Dachgeschoss. "Man kann bestimmte Wünsche berücksichtigen, aber letztlich ist ein Reihenhaus als Standardprodukt konzipiert, um den Preis niedrig zu halten", sagt Köther. Aus diesem Grund seien in teuren Ballungsräumen Reihenhäuser oft kleiner als 100 und die dazugehörigen Grundstücke kleiner als 200 Quadratmeter.

Haus an Haus, Garten an Garten - da ist es besonders wichtig, dass man sich mit den Nachbarn versteht. Lärm kann Konflikte anheizen. "Doppelschalige Wände sind seit 20 Jahren die Regel bei Reihenhäusern, aber es gibt immer wieder Ärger wegen zu dünner Fugen und schlechter Dämmstoffe", sagt Carsten Ruhe, dessen Beratungsbüro für Akustik in Halstenbek bei Hamburg im Fall von Schallschutzproblemen zu Rate gezogen wird. Steile Treppen, die im Alter unüberwindbar werden können, sozialer Druck zur einheitlichen Fassadengestaltung, begrenzte Gestaltungsmöglichkeiten wegen standardisierter Grundrisse - Daniel Arnold kennt die Argumente der Kritiker. Der Vorstand der Deutschen Reihenhaus AG aus Köln bevorzugt eine andere Perspektive. Für die Ausstellung "In deutschen Reihenhäusern" hat Arnold Familien porträtieren lassen, die in den von seiner Firma erbauten Reihenhäusern wohnen. Sie ist bis 1. März im Museum für angewandte Kunst in Köln zu sehen. Da wird von Festen mit den Nachbarn berichtet, von der praktischen Einrichtung, vom großzügigen Obergeschoss, von der Katze, die erstmals in ihrem Leben im eigenen Garten herumtollen kann oder von der offenen Küche, durch die die Hausfrau nicht vom Rest der Familie im Wohnzimmer abgeschnitten ist. Hier herrscht nicht Uniformität und deutsche Spießigkeit, sondern es leben Deutsche, Türken, Inder, Angolaner, Serben Reihenhaustür an Reihenhaustür, jeder nach seinem Gusto - so die Botschaft.

Das stärkste Argument liefert aber der Verkaufsprospekt: 99 900 Euro inklusive Grundstück, schlüsselfertig, so der aktuelle Mindestpreis für den 81 Quadratmeter großen Haustyp der Deutschen Reihenhaus. Die günstigen Preise in diesem Bereich dürften das gewichtigste Argument bilden, sich für diese Art von Domizil zu entscheiden.

Eine Foto-Ausstellung, die Vorurteile entkräftet

Als Vorbild für den Reihenhaus-Bau fungiert die Siedlung Gartenstadt Falkenberg des Architekten Bruno Taut im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick. Die Gestaltung von Details wie Türen und Fensterläden zeigt, dass Reihenhäuser nicht zwangsläufig einfallslos, sondern auch Hingucker sein können. Die Gartenstadt ist eine von sechs sogenannten "Siedlungen der Moderne" in Berlin, die unlängst von der Unesco in die Liste des Welterbes aufgenommen wurden. Foto: AP

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Frucht und Spiele

Das Wohnprojekt "Johannis-Garten" räumt Freizeit- und Begegnungs-Möglichkeiten hohen Stellenwert ein

Nicht nur anhand von Entwurfs-Skizzen möchte die Baywobau Immobiliensuchende von den Vorzügen ihres neuen Wohnprojektes "Johannis-Garten" überzeugen. Vielmehr können sie sich von der Aussichtsterrasse des Verkaufscontainers aus bereits jetzt Eindrücke vom künftigen Wohngefühl auf dem Areal in Johanneskirchen im Münchner Stadtteil Bogenhausen verschaffen. Der Verkaufsstart war auf den 19. Dezember vergangenen Jahres gelegt worden, damit die potentiellen Käufer ihre Entscheidung über die Weihnachtsfeiertage und den Jahreswechsel "in aller Ruhe überdenken konnten", sagt Baywobau-Verkaufsleiter Thomas Wagner. Fünf Stadtvillen mit insgesamt 88 frei finanzierten Wohnungen wird der Bauträger von diesem Frühjahr an auf dem Areal am Bichlhofweg errichten.

"Das Besondere an der Wohnanlage sind die Wohnhöfe mit verschiedenen Johannisbeersträuchern als Frucht- und Blütengehölz. Beete mit Blumen verschiedener Farben, Rasenflächen, Sitzbänke und Flächen, die für Boule und Boccia geeignet sind, geben den Freiräumen ihren besonderen Charakter und schaffen Orte der Begegnung und Kommunikation", heißt es im Exposé weiter. Diesen sogenannten Grünhöfen zugeordnet seien "intime Privatgärten, die durch Hecken eingerahmt sind". Bei den Eckwohnungen würden spezielle Steinmauern für Sichtschutz sorgen. Im Norden und Osten grenzt die Wohnanlage an einen stattlichen Baumbestand. Durch eine spezielle Anordnung der Baukörper (teils im rechten Winkel zueinander, teils nach hinten versetzt) sei es hier möglich, ruhige Gartenhöfe sowie zwei oder drei Spielplätze und weitere Spielflächen für Kinder zu schaffen. "Kinder können sich hier richtig austoben", sagt Wagner. Die Spielplätze sollen teilweise durch Fahrradhäuschen abgeschirmt und so in die Anlage eingebunden werden, dass Blickkontakt von den Wohnungen aus möglich ist. Dementsprechend bilden Familien eine wichtige Zielgruppe des Bauträgers. "Aber auch Singles und Paare, die nicht ständig das pulsierende Leben der Großstadt brauchen, bei Bedarf jedoch in Kürze im Zentrum sein wollen, sind hier gut aufgehoben", ergänzt Wagner.

Jede der viergeschossigen Stadtvillen wird über 15 bis 18 Wohnungen verfügen, auf jeder Etage befinden sich somit maximal vier Wohnungen. "Helligkeit und Leichtigkeit" sollen den Gesamteindruck von der Wohnanlage prägen, zu dem auch ein "strahlendes Weiß und dezente Grautöne" bei der Farbgestaltung der Fassaden beitragen sollen. Die Wohnungen selbst böten dank ihrer "Variabilität und Flexibilität" Raum für "großzügige, repräsentative Wohnideen". Und die Konzeption der Grundrisse erlaube es, "Bedürfnisse nach Geborgenheit, Behaglichkeit, aber auch Geselligkeit in die Realität umzusetzen". Bei der Innenausstattung setzt der Bauträger auf einheimische Hölzer und umweltschonende Materialien, wobei auch Sonderwünsche berücksichtigt werden. Für die Innen- und Außenwände verwendet er ausschließlich Ziegel. Durch Wärmeschutz-Maßnahmen und entsprechende Heizsysteme werde hier der KfW-60-Standard erreicht. Die Preise für die Wohnungen im Johannis-Garten beziffert Thomas Wagner auf durchschnittlich 3500 Euro pro Quadratmeter. Für die Penthouse-Wohnungen in den Stadtvillen (je zwei pro Dachgeschoss) müsse man bis zu 4000 Euro pro Quadratmeter hinlegen.

Das benachbarte Bürogebäude, das das Wohn-Ensemble zur Johanneskirchner Straße hin abschirmt, wird nach Angaben der Baywobau aufwendig renoviert und modernisiert. Das ehemalige Casino wird abgerissen; an dessen Stelle entstehen über der neuen Tiefgarage ein Ärztehaus und ein Supermarkt. Die Tiefgaragenzufahrt führt über die Freischützstraße.

Neben der nahen S-Bahn-Station Johanneskirchen, der Bushaltestelle Bichlhofweg "gleich vor der Haustür", der geplanten Express-Tram an der Cosima-Straße und der "schnellen Autoverbindung zum Mittleren Ring" zählt Baywobau-Verkaufsleiter Wagner auch die Einkaufsmöglichkeiten, unter anderem im nahegelegenen Freischütz-Karree, und das große Angebot von Schulen und Kindergärten zu den Vorzügen des Johannis-Gartens. Auch der Freizeitwert mit Tennis- und Fußballvereinen sowie dem Golfpark Johanneskirchen und der Naherholungswert - im Denninger Anger und im Bürgerpark Oberföhring, am Unterföhringer See und am Feringasee - gehörten zu den Pluspunkten der künftigen Wohnananlage in Johanneskirchen. Wenn diese gegen Ende 2010 fertiggestellt und bezogen sein wird, werden die Nutzer den Blick auf viel Grün ganz ohne Aussichtsterrasse genießen können.

NEUBAU

Tausende Wohnungen und Häuser werden jedes Jahr in München und Umgebung gebaut. Das Angebot ist vielfältig. Unter der Rubrik Neubau stellen wir vor, was wo entsteht.

Die begrünten Wohnhöfe bilden eine Besonderheit des Projekts "Johannis-Garten", das Bedürfnisse nach Rückzug mit dem Wunsch nach Kommunikation und Geselligkeit verbinden soll. Simulation: Baywobau

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3-Zimmer-Wohnungen
Stadt / Ort / LandkreisNeubau / Erstbezug Sonstige / Wiederverkauf
Preis in Euro je Quadratmeter Wohnfläche Preis in Euro je Quadratmeter Wohnfläche
Anz.Wfl.min.mittelmax.Anz.Wfl.min.mittelmax.
München-Stadt
- einfache Lage1348324003300420041279160025003700
- mittlere Lage2988326003500440046980180028004200
- gehobene Lage648531003700460020186210032005400
- gesamt49683240035004600108281160028005400
München Umland
München-Land Nord/Ost508122003000370011578140023003400
München-Land Süd/West418221003300430015881140026004500
Lkr. Freising18782200270030007378120021003300
Lkr. Erding13731800250031004574130020002600
Lkr. Ebersberg22822000270034008678130021003100
Lkr. Starnberg13882800330040008987160026004300
Lkr. Fürstenfeldbruck398524003000350023780130020003300
Lkr. Dachau168323002800370010976150022003200
Augsburg/Ingolstadt
Stadt Augsburg28861600240029003057970015002600
Region Augsburg16792100220025002167880015002600
Stadt Ingolstadt7778180023002800987590017002600
Region Ingolstadt3781180022002600797560016002500
Übrige Region
Lkr. Landshut28851900230028001107980016002900
Lkr. Rosenheim338923002600330022083120019002900
Lkr. Miesbach14942600370055007284130024003700
Lkr. Bad Tölz16862100270035008379110018003100
Lkr. Garmisch6902900330037006984130024004100
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SZ-WOHNIMMOBILIEN-INDEX

Durchschnittliche Preise für Drei-Zimmer-Wohnungen in München und Umgebung

Wir informieren Sie heute über die aktuellen Preise von Drei-Zimmer-Wohnungen. Die Zahlen basieren auf den Auswertungen von 40 000 Immobilien-Angeboten. Erhebungszeitraum waren die Kalenderwochen elf bis 33 des Jahres 2008. Es handelt sich bei den ausgewerteten Objekten um Angebotspreise. Die beim Verkauf erzielten Werte können jeweils in Plus- und Minusrichtung abweichen. Quelle: IMV/SZ

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Das infernalische Land

Untertagewelt ohne Läuterungsberg: Kurt Drawerts Abrechnung mit der DDR

Eine echte Hölle mit allem Drum und Dran: Es gibt einen neunstöckigen Trichter mit tiefen Schächten und einem komplizierten System aus glitschigen Gängen. Ein mörderischer Gestank betäubt die Sinne, es herrscht ewige Finsternis. Für die Fron der Verdammten sorgt ein verrosteter Maschinenpark. Die Insassen sind glatzköpfige, zahnlose, bleichgesichtige Engerlinge, und wer nicht spurt, wird in die unterste Ebene voller Schotter und Schlamm strafversetzt. Der Erzähler selbst macht dem Grauen alle Ehre: Er hat einen Klumpfuß, eine Hasenscharte und einen Schiefhals, leidet unter Schuppenflechte und bemisst kaum mehr als einen Meter. In barock sich verzweigenden Satzketten schildert er uns seine Umgebung und die Qualen seiner Existenz. Was soll das sein, eine infernalische Phantasie, die literarische Version eines Hieronymus-Bosch-Gemäldes? Oder ein zeitgenössischer Dante, bei dem es keinen Läuterungsberg mehr gibt, geschweige denn ein Paradies?

Der Schriftsteller Kurt Drawert, 1956 in Henningsdorf bei Brandenburg als Sohn eines Kriminalbeamten geboren und wegen seiner Renitenz gegen Regeln schon als Jugendlicher einigen Repressalien ausgesetzt, zieht sämtliche kulturgeschichtliche Register und unternimmt in seinem neuen Roman "Ich hielt meinen Schatten für einen anderen und grüßte" den Versuch, das Unmenschliche am System der DDR in Bilder zu übersetzen und sprachlich zu transzendieren.

Gewährsmann der Unterweltreise ist eben jener klumpfüßige Insasse. Gleich auf den ersten Seiten kommt Drawerts zweite literarische Folie ins Spiel: Neben Dantes "Göttlicher Komödie", dessen Höllentopographie der Autor als metaphorische Verdichtung der "Deutschen D. Republik" nutzt, bildet die Geschichte von Kaspar Hauser den Bezugsrahmen des Romans. "An meine Stimme werden Sie sich gewöhnen, an meine gebrochene, Ihren Ohren unvertraut bleibende Stimme, an ihre Risse, Narben, wo die Wörter reißen, sich fügen, reißen, sich in Silben, zurück zu den Wörtern, zurück zu den Sätzen, zurück zu den Selbstverständlichkeiten sich formender Sätze, zurück", erklärt der Erzähler seinem Gegenüber, bei dem es sich um einen gewissen Feuerbach handelt.

Feuerbach ist natürlich ein Wiedergänger des historischen Gerichtspräsidenten Anselm von Feuerbach, Kaspar Hausers Vormund und Verfasser der berühmten Fallgeschichte für das Bayerische Justizministerium. Auch Drawerts Figur ist ähnlich wie Kaspar Hauser mittlerweile Patient einer geschlossenen Einrichtung und schildert das alte "Land unter der Erde" aus der Retrospektive. Die Berichte des zerrütteten Höllenbewohners sind mitnichten linear - sein Erzählfluss bildet die kreisförmige Struktur des Trichters nach. Es handelt sich um ein ausuferndes Stottern, Stammeln und mühseliges Durchbuchstabieren des Erlebten, bei dem sich der "Kaspar der Revolution" Schritt für Schritt durch die Dunkelheit vorantastet und die alten Sprachschablonen überwindet.

Palimpsest und Schelmensaga

Ab und zu stößt man in diesem Roman auf kleine narrative Kapseln, und eine biographische Linie bietet grobe Orientierung. So werden die Stationen Kindheit, Volkserziehung, Musterung, Armee, erste Liebesverhältnisse und die Berufstätigkeit in einer Bibliothek, genannt "Leseanstalt", durchlaufen. Allein in dieser Lebensphase blitzten glückhafte Momente auf, denn hier hat der Held unbeschränkt Zugang zu verbotenem Wissen und kann die klandestinen Texte auch noch in Umlauf bringen. Nur die Literatur ist frei von der Kontamination durch das infernalische Land.

Der Werdegang des Helden knüpft an autobiographische Erfahrungen Drawerts an. Weil ihm Abitur und Studium verwehrt blieben, schlug sich der Autor als Hilfsarbeiter durch, bis er als Nachtwächter in der sächsischen Landesbibliothek unterkam und von dort schließlich an das Leipziger Literaturinstitut Johannes R. Becher gelangte - auch im wahren Leben bot die Literatur den einzigen Ausweg aus der Misere.

In "Ich hielt meinen Schatten für einen anderen und grüßte" unternimmt der Kurt Drawert eine Generalabrechnung mit dem, was für ihn DDR war und legt eine Mischung aus postmodernem Palimpsest und satirischer Schelmensaga vor. Die groteske Verzerrung hat Prinzip: gerade durch die totale Übersteigerung gewinnt der Ich-Erzähler die Deutungshoheit über seinen Stoff zurück und widersetzt sich einer biographischen Enteignung. "Ich hielt meinen Schatten für einen anderen und grüßte" ist die originelle und oft auch mitreißende Rekonstruktion der historischen Umwälzungen in den achtziger Jahren. Dabei wird die DDR nicht, wie mittlerweile so oft, in ein putziges Retro-Design verpackt oder zu einem komisch-harmlosen Spielzeug-Ländchen umgedeutet, sondern in ihren Schrecknissen fassbar.

Drawerts Unterfangen hat aber auch eine sprachphilosophische Dimension. Das manische Gerede seines Helden legt einerseits die Sprachmechanismen der DDR bloß, spürt den Vergiftungen und Beschädigungen durch Sprache nach und bemüht sich zugleich, zu einem neuen Sprechen über die Wirklichkeit vorzudringen. Allerdings liegt genau darin das Wagnis und Risiko des Romans, sich in den selbst gebauten Sprachstollen zu verlieren. So sehr Drawerts Ansatz auf theoretischer Ebene überzeugt, so sehr erliegt er in manchen Momenten der Neigung zu einer allzu starken Verklausulierung: Wenn das Dickicht der Bezüge allzu sehr zunimmt und die Bedeutungsschichten sich fortwährend potenzieren, droht ein Leerlauf des ästhetischen Systems, und man kann der "vernarbten, brüchigen Stimme" nicht mehr folgen. Dennoch: Dies ist ein wichtiges Buch, ein Roman der Notwehr gegen die noch nicht untergegangene DDR, jenseits aller ostalgischen Vereinnahmungen. MAIKE ALBATH

KURT DRAWERT: Ich hielt meinen Schatten für einen anderen und grüßte. Roman. C. H. Beck Verlag, München 2008, 317 Seiten, 19,90 Euro.

Dem Nachtwächterdasein entkommen: Kurt Drawert Foto: Beck Verlag

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Im Stadtplan lauert der Tod

Der Privatdetektiv Nestor Burma und die Geheimnisse von Paris

Er ist wieder da. In handlichen schwarzen Hardcover-Ausgaben, die Stadtpläne der jeweiligen Arrondissements, in denen die Geschichten spielen, sowie einen literarischen "Nachgang" enthalten, legt der Heilbronner Distel-Verlag die Reihe um den Pariser Privatdetektiv Nestor Burma neu auf. In den 1950er Jahren erstmals erschienen, haben die Romane von Léo Malet (1909-1996) nichts von ihrem ironischen Klang, ihrem Spielwitz und eigenwilligen Spannungsaufbau verloren. Der Anarchist Malet kannte seine Pappenheimer Hammett, Chandler, Cain und die anderen so gut, dass er deren Art, städtische Gesellschaftsschichten abzubilden, mit Links kopieren konnte, ohne sich auf französischem Boden mit pseudoamerikanischer Coolness lächerlich zu machen. Vom ersten Nestor-Burma-Roman an schrieb Malet unverwechselbar, und die Übersetzungen von Katarina Grän bestätigen seinen literarischen Rang bis heute aufs schönste.

"Schließlich setzte sie sich und zog ihren Rock über die Knie, um die Spitze eines lila Unterrocks zu verbergen, die durch die Bewegung vorwitzig hervorgeblitzt war. Trotz ihres Äußeren war an diesem Mädchen keine Spur von Herausforderung. Sie war, wie sie war, und so musste man sie nehmen. Schließlich konnte sie sich nicht die Titten abschleifen, weil sie ein klein wenig keck hervortraten, oder ihre wohlgeformten Beine in Gummistrümpfe zwängen, um niemandes Neid zu erwecken. Sie war einfach ein hübsches, junges Mädchen, das man gern beschützt und getröstet hätte . . . ". Mit dem Auftritt von Jacqueline Carrier beginnt Nestors Abstieg in die Unterwelten des Quartier Latin im 5. Arrondissement, wo er die Gründe für den Tod eines Studenten herausfinden soll (Léo Malet, Makabre Machenschaften am Boul' Mich. Aus dem Französischen von Katharina Grän. Distel Literatur Verlag, Heilbronn 2008. 216 S., 14,80 Euro).

Warum hat sich der 20-jährige Paul Leverrier, Sohn aus gutem Hause, Nachkömmling namhafter Ärzte, in seinem 2 CV eine Kugel in den Kopf geschossen? Und hat er das überhaupt getan oder wurde er ermordet? Diese Vermutung nämlich hegt seine Freundin Jacqueline, auch dann noch, als Nestor Burma von seinen Freunden bei der Kripo längst Einzelheiten über den Tatort erfahren hat. "Paul Leverrier hatte sich aus noch ungeklärten Gründen schlicht und einfach das Leben genommen, und der Schuldige war er selbst . . . ". Doch die Liebe ist stärker als die Wahrheit, und so will Nestor auf Drängen Jacquelines Licht ins Dunkel der Familie Leverrier bringen. Seine Nachforschungen - "Scheinermittlungen" nennt sie der genervte Kommissar Faroux - führen ihn in die Gefilde des Magiers, Scharlatans und Opiumhändlers Van Straeten und ins Umfeld einer Clique von Studenten, in der die junge Yolande und deren Geliebter, der dunkelhäutige Toussaint, bald eine tragische Rolle spielen werden.

Blut fließt im 5. Arrondissement, der heldenhafte Detektiv, anfangs allein gelassen von seiner grippekranken Sekretärin, wird nicht verschont. Zum Schutz gibt er sich als Gasmann aus. "Der Held, der so dicht neben der Tür stand, hätte nur einen Blick durchs Schlüsselloch zu werfen brauchen, um zu erkennen, dass er es nicht mit einem Auftragskiller zu tun hatte. Und warum stieg der Gasmann die Treppen dann so langsam hinauf? Spannung. Immer nur Spannung. Ich bin angespannt, also schwitze ich."

Ironie und Irrwitz prägen diesen Roman. Malet kennt sich aus, in Paris, im Krimigenre, in der Liebe und dem, was davon übrig bleibt am Ende der Moral. Obwohl: Moral, was ist das? Oder: Sondervollmachten. "Hat man Ihnen eine erteilt?" fragt Kommissar Faroux. Darauf Burma: "Ich habe mir selbst eine genehmigt, und zwar an dem Tag, an dem ich meinen Fuß in dieses Metier gesetzt habe. Ich brauche nicht die Meinung von sechshundert Hornochsen, die in einem fensterlosen Stall versammelt sind. "

In diesem Moment sieht man Philip Marlowe über den Ozean winken, und Sam Spade dreht sich zustimmend eine Zigarette, während Nestor Burma seine Stierkopf-Pfeife anzündet, um ein paar klare Gedanken zu fassen. So wenig Léo Malet die Hardboiled-Attitüden der Helden seiner Kollegen einfach nur kopiert, so wenig folgt sein Ich-Erzähler Nestor Burma den festgelegten Wegen realer Stadtpläne. Zwar existieren die Stadtteile, in denen er unterwegs ist, auch bestimmte Straßen, Gebäude, Plätze und Parks könnte ein wachsamer Spaziergänger in Paris aufspüren, oft allerdings nicht genau so, wie sie im Buche stehen. Denn Malet war ein charmanter Trickser, ein Spieler im Spiel des Genres, der sich selbst ungeniert und launig in seinen Romanen als realer Dichter und Chansonnier in Erinnerung rief. Mit Nestor Burma Verbrechen aufzuklären, bereitet pures Vergnügen. Mögen die Methoden des Detektivs gelegentlich etwas altmodisch anmuten, die anarchische Grandezza seiner Auftritte bleibt davon unberührt.

Über zwei Jahre lang hat Friedrich Ani, selbst Verfasser von Kriminalromanen, an dieser Stelle Klassiker und Neuerscheinungen des Genres vorgestellt. Mit diesem Text beendet er seine Kolumne. Wir sagen Dank. SZ

"Ihr, die Ihr hier einfahrt, lasst alle Hoffnung fahren" - Bergmänner beim Schichtwechsel an einem Schacht des Mansfeld Kombinats im September 1973. Nach dem Ende der DDR wurde der Kupferabbau im Mansfelder Land eingestellt. Foto: dpa

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Zwischen Bögen, über Felder macht der Ton die Türen auf

Von Polemik und Gegenpolemik umrankt: Der österreichische Lyriker Franz Josef Czernin und sein neuer Gedichtband "staub.gefässe"

Franz Josef Czernin, der 1952 in Wien geboren wurde, war immer schon für eine Debatte gut. Ob er in einem Essay über Durs Grünbeins Gedichtband "Falten und Fallen" herfiel oder buchlang mit Marcel Reich-Ranicki ins Gericht ging: Seine Polemik war immer scharf und nicht selten treffend. Dann aber traf es ihn selbst: 2002 erschien sein Gedichtband "elemente, sonette" und entfachte - zumindest im überschaubaren Kreis der Lyrikinteressierten - einen veritablen Streit. Auslöser war eine Rezension des Essayisten Leopold Federmair in der Neuen Zürcher Zeitung.

Federmair, der ebenfalls in Wien lebt, hatte sich offenkundig tief in Czernins lyrisches Werk versenkt, dabei aber offenkundig nichts Erfreuliches zu Tage fördern können. Er sah in Czernins Sonetten lediglich Wortspiele, die nirgendwo hin führten, ein bloßes "Aufstülpen von Formprinzipien" auf das im Grunde beliebige Wortmaterial. Die Gedichte klappern, so Federmair, "in ein und derselben Gangart dahin". Was bleibt, sei der "Eindruck des Maschinellen". Das Erstaunen war groß, denn eigentlich hatte man unter Avantgardisten Federmair für einen der ihren gehalten. Überhaupt schien es ein ästhetischer Fauxpas zu sein, die gerade zu neuen Ehren gekommene österreichische Tradition der Sprachkritik und des Sprachexperiments so vehement zu kritisieren.

Und dann war es auch noch Martin Mosebach, niemand also, der im Verdacht stand, der Revolution das Wort zu reden, der die schärfste Erwiderung auf Federmair verfasste. Nachzulesen ist sie nun als Nachwort in "staub. gefässe", einem Auswahlband aus Czernins lyrischem Oeuvre (auch wenn der Untertitel irritierend "gesammelte" Gedichte verspricht). Mosebach macht darin klar, dass es sich bei Czernin nicht um einen Avantgardisten, sondern um einen Anti-Postmodernisten handelt, um jemanden, der nicht in die Ironie-Falle getreten ist, ja der sich überhaupt auf einen anderen Traditionsstrang als den protestantischen, und das heißt ja für die deutsche Literatur auch: säkularen bezieht.

Der Befürworter der lateinischen Liturgie, Mosebach, sieht nun in Czernin zwar nicht unbedingt einen katholischen Dichter, aber doch einen Autor , der versucht, den hohen Ton wieder in die Lyrik einzuführen, dem Erhabenen eine neue Form zu geben. Als wichtiges Indiz macht Mosebach dabei ein Prinzip der Zweistimmigkeit aus: in Czernins Lyrik würden Bild und im Bild ausgedrückter Gedanke immer gleichzeitig aufscheinen. Insofern herrsche eine Art umgekehrtes Bilderverbot, das Verbot bilderloser Abstraktion nämlich. Bestimmt seien Czernins Gedichte allerdings auch, so Mosebach, durch einen "geradezu exzessiven Gebrauch von Vieldeutigkeit".

Da fragt man sich zwar, wie diese Vieldeutigkeit mit der Einheit von Bild und Gedanke zusammengeht, zweifellos jedoch herrscht in Czernins Gedichten "ein Stauchen, Dehnen und Ballen und wieder Lösen, eine" - und dies zumindest verkennt Federmair - "manchmal formensprengende Dynamik vor". Wer selbst herausfinden möchte, ob Czernins Werk nun vor allem aus "Schulmeisterlichem" besteht, wie Federmair meint, oder ob es sich bei den Gedichten, wie Mosebach behauptet, um etwas ganz "Außerordentliches" handelt, der kann in "staub. gefässe" neben der Auswahl aus bereits veröffentlichten auch einige neue Gedichte Czernins zu Rate ziehen: "zwischen bögen, über felder, / macht der ton die türen auf, / lacht die not die tiere drauf, / wie sie zögen in die wälder, / was wir biegen unter fehlern, / stöhnt, in rot, durch die tore her, / dröhnt ins laub das blau so schwer, / wie wir liegen unter tälern" - ratlos zurückbleiben ist dabei durchaus auch erlaubt.

TOBIAS LEHMKUHL

FRANZ JOSEF CZERNIN: staub. gefässe. gesammelte gedichte. Hanser Verlag, München 2008. 264 Seiten, 16,90 Euro.

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Gerodete Lichtungen

Der Philosoph Ludger Honnefelder fragt, woher wir kommen

"Ursprünge der Moderne im Denken des Mittelalters" freizulegen, verspricht der Untertitel von "Woher kommen wir?" von Ludger Honnefelder. Wir haben in der Tat Überzeugungen geerbt, die uns selbstverständlich scheinen und doch jeden Tag neu verteidigt werden müssen: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren" - das behauptet gegen alle Erfahrung die Erklärung der Menschenrechte - und wenigstens dies blieb uns vom mühsam gewonnenen Glauben, dass alle Menschen Gottes Kinder seien und nicht einer des anderen Wolf.

Ludger Honnefelder hat völlig Recht, wenn er feststellt, dass das Denken des Mittelalters nur wenigen Fachleuten und sogar unter den Philosophen nur denen bekannt ist, die sich näher mit dieser Epoche befassen. Unter diesen gibt es aber freilich kaum jemanden, der dieses Denken besser kennte als er. Es entspringt einem Konflikt von zwei geistigen Bewegungen, die im hohen Mittelalter aufeinanderstoßen: die auf Offenbarung des einen Gottes gegründete Religion und die nach Gründen fragende wissenschaftliche Philosophie der Griechen. Nur lassen sich beide nicht vereinen. Die gläubige Vernunft musste ebenso Selbstkritik üben wie die denkende; denn muss der Glaube nicht für die Vernunft verantwortbar sein? Und muss das Denken nicht seine Grenze bestimmen können?

Mit großer Konsequenz und Ausdauer hat Ludger Honnefelder in seinen Forschungen die Geschichte des modernen Denkens bis ins Mittelalter zurückverfolgt. Sein großes Werk "Scientia transcendens" (Meiner, 1990) zur Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit, in der insbesondere der 1308 in Köln gestorbene Johannes Duns Scotus als ein genialer Denker auf dem Wege zu Immanuel Kants "Kritik der reinen Vernunft" entdeckt wird, erweist die Erkenntniskritik, also das Herzstück der modernen Philosophie, als Erbstück aus dem Mittelalter. Dass kein Glaube die Wissenschaft obsolet macht, ist dem westlichen Denken seit langem geläufig; dass die Wissenschaft ihren Entdeckungen keinen Sinn einflößt, wird erst jetzt immer klarer und am Beispiel der Kernenergie und der Genmanipulation auch immer beunruhigender. Der Glaube an Mögliches und damit an eine Zukunft, die Idee der Freiheit des Individuums und damit der Verantwortung, die Menschheitsgeschichte und damit die Sorge um ihr vielleicht selbstverschuldetes Ende - das alles gab es nicht schon immer. Es ist in vielen Generationen von Menschen erdacht worden.

Nicht zufällig hat die moderne akademisch organisierte Philosophie sich hier ein neues Arbeitsfeld erobert, das man mit ein wenig Ironie "philosophisches Consulting" nennen könnte: "Consulting ist eine meist produktunabhängige Dienstleistung, die Aufgaben umfasst, für die der Auftraggeber im eigenen Haus kein Know-how zur Verfügung hat", heißt es im enzyklopädischen Jargon. Ludger Honnefelder hat sich mit Sachkenntnis und durchsichtigen Argumenten in verschiedenen Institutionen und politischen Gremien für ethische Fragen in den Wissenschaften, insbesondere in der Medizin und Bioethik, engagiert, und auch seine jüngsten Buchtitel bezeugen so etwas wie eine missionarische Ader: "Was soll ich tun, wer will ich sein?" (2007) und "Was schulden wir einander?" (2008) oder "Was heißt Verantwortung heute?" (2008) stehen neben unserem "Woher kommen wir?". Das Buch ist in der seit zwei Jahren virulenten Berlin University Press erschienen. "Wir brauchen Bücher, die wie Schneisen durch die Wälder führen, die Orientierung für unser Handeln bieten - dabei leicht sind, lesbar und sprachlich ,erträglich'. Diese Bücher macht die Berlin University Press", schreibt der Chef des Verlages und derzeitige Vorsteher des Börsenvereins für den deutschen Buchhandel Gottfried Honnefelder, der Bruder unseres Autors.

Ein Buch über die "Ursprünge der Moderne im Denken des Mittelalters", das uns nicht nur die Herkunft unserer Überzeugungen, sondern auch deren Anspruch und Problematik erklärt, ist freilich sehr erwünscht - und wenn wir dem Verlagsprogramm und dem Titel glauben, dann haben wir es hier in der Hand.

Aber Ludger Honnefelder hat dieses Buch gar nicht geschrieben. Außer dem ersten und dem letzten reproduzieren die fünfzehn Kapitel längst veröffentlichte Vorlesungen und Vorträge sowie Beiträge zu Sammelbänden, Festschriften, philosophischen Zeitschriften und zum Historischen Wörterbuch der Philosophie, die sich über fast ein Vierteljahrhundert (von 1984 bis 2007) erstrecken. Aber die festen Buchdeckel und der schöne grüne Umschlag mit einem bedeutungsvollen Fernrohr sind eben nur ein "Mantel", wie ja auch die "Berlin University Press" nur ein "Mantel" ist, der weder mit Berlin noch mit einer University noch mit der englischen Sprache etwas zu tun hat.

Das Buch ist also inhaltlich und stilistisch heterogen. Es schlägt keine Schneise, sondern rodet Lichtungen. Eine Einleitung auf ganzen fünf und ein Resümee von knapp 10 Seiten helfen bei der Bemäntelung dieser Heterogenität. Die Einleitung ist so schnell hingeworfen, dass sogar syntaktische Inkongruenzen stehen geblieben sind, was in Honnefelders Schriften sonst nie vorkommt. Das Resümee formuliert die Grundgedanken abstrakt und verständlich, aber auch etwas gelangweilt. Nur wenige Eingriffe versuchen, die verschiedenen Ansätze mit dem Titel auf Vordermann zu bringen, z.B. durch einen einzigen angefügten Schlusssatz zu einem Artikel von 1986: "Allein hier liegt bei Augustin ein Ursprung der Moderne". Der Artikel "natura communis" im Historischen Wörterbuch der Philosophie (1986) schloss mit Leibniz und wird nun um ein paar Sätze über Ch. S. Peirce ergänzt. Das geschieht so lakonisch, dass nichts spürbar wird von dessen Bewunderung für die Gedanken des Johannes Duns Scotus - und noch weniger von der überzeugenden Darstellung, die der Autor dem amerikanischen Philosophen im vierten Teil seiner "Scientia transcendens" gewidmet hat.

Hier greifen wir wohl den hauptsächlichen Mangel des Buches: Dass wesentliche Elemente des modernen Bewusstseins ihren Ursprung im Mittelalter haben, ist so richtig wie unbefriedigend. Aber Ludger Honnefelder wehrt mit seinem letzten Satz jede weitergehende Frage ab: "Wer dies bestreitet, muss entweder einer (ihrerseits unhistorischen) Musealisierung des Mittelalters das Wort reden oder die genannten Elemente aus dem modernen Bewusstsein eliminieren." Aber wer dies gar nicht bestreiten will, ist mit Hinweisen wie dem auf Ch. S. Peirce erst richtig auf den Geschmack gekommen. Wie rechtfertigen oder begründen "wir" die Bedingungen aller unserer Erkenntnis, Moralität, Geschichtlichkeit? Und wer sind "wir"? Ludger Honnefelder jedenfalls ist Philosoph, Theologe und katholisch und hat dazu viel zu sagen und auch schon viel gesagt. Aber in diesem seinem letzten Satz ist er nur noch Professor.

Besonders in der ersten Hälfte des Buches produzieren wohl der Zwang zur Kürze und die professorale Sorge um Vollständigkeit einen Stil, der wenig Rücksicht auf den Leser nimmt. Keinem einzigen Satz von Ludger Honnefelder wird man vorwerfen können, dass er falsch oder auch nur nachlässig formuliert sei. Aber allzu oft ist seine Sorge nicht, lesbar zu schreiben, sondern unangreifbar. Es ist dies nicht einfach der persönliche Stil des Autors, denn er kann auch anders: Ist er nicht verständlich und überzeugend, wenn er ein Interview zu Fragen der Ethik gibt? Ist es nicht erstaunlich, dass seine Habilitationsschrift auf lange Strecken leichter zu lesen ist als manche Seite der hier versammelten Stücke? Und wer des Französischen mächtig ist, findet die beste und die am besten lesbare Darstellung seiner eigenen Position, die man ohne Zögern weise nennen darf, in jenen sechs Vorlesungen, die er als Inhaber der Chaire Étienne Gilson gehalten hat und die in einer ausgezeichneten französischen Übersetzung erschienen sind. Vielleicht wollte ja Ludger seinem Bruder nur einen Gefallen tun. Sein Porträt auf dem Umschlag blickt uns jedenfalls eher zweifelnd an, im Gegensatz zum jovial-erfolggewohnten Lächeln Gottfrieds, mit dem er im Internet seinen "Verlag für intelligent-leichte Wissenschaftsliteratur" vorstellt. HANS-HERBERT RÄKEL

LUDGER HONNEFELDER: Woher kommen wir? Ursprünge der Moderne im Denken des Mittelalters. Berlin University Press, Berlin 2008. 380 S., 39,90 Euro.

Die moderne Philosophie hat ein neues Arbeitsfeld: Consulting

Der eine Bruder schreibt Bücher, der andere macht Bücher

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Fluch der Karibik - Segen der Oper

Philipp Stölzl gelingt in Basel eine grandiose Deutung von Wagners "Fliegendem Holländer" - mit Anleihen beim Film und einer großen Liebe zum Detail

Der Coup ist Philipp Stölzl gelungen: Ganz so, wie man es aus zahllosen Aufführungen von Wagners "Fliegendem Holländer" kennt, wartet auch seine Senta auf der Bühne des Basler Theaters Mitte des zweiten Aktes nervös auf ihren Bräutigam. Doch dann passiert's - anders als in all den anderen Aufführungen tritt nicht der Verdammte der Meere ein, sondern ein Wildfremder, ein lethargischer alter Herr mit goldenen Uhrketten vor der stattlichen Plauze, dem Vater Daland seine Tochter verschachert hat. Ein Schock, der nicht nur bei Senta, sondern auch beim Publikum tief sitzt und der die Stille, die bald darauf zu Beginn des wunderbaren Duettes "Wie aus der Ferne längst vergangner Zeiten" herrscht, nicht mit dem gewohnten Aufkeimen von Liebe und Zuneigung, sondern mit klammem Entsetzen füllt.

Denn der fliegende Holländer, so Stölzls These, existiert (wie ohnedies alle um sie herum wissen) nur in Sentas Phantasie und lebt nur in dem dicken Folianten, den die halbwüchsige Kapitänstochter zur Ouvertüre aus Vaters Bibliothek stiebitzt und in dem großen Seegemälde, der dort als repräsentativer Raumschmuck hängt. Nur sie sieht und hört den schwarzbewamsten Helden, der aus diesem Bild heraus singt und mit dem sie eine andere, traumhafte Realität erlebt. Wenn sie im zögernden, zerbrechlichsten Pianoton die eigenen Sinne zu befühlen scheint und sich fragt, ob ihre Wahrnehmung denn nun Wahn oder Wirklichkeit ist, schneidet das ins Herz, so beklemmend schmerzhaft klingt Wagners Musik plötzlich. Auf so engem Raum drängen sich da Hoffnung, Entsetzen und schiere Lebensangst, dass selbst die leichten musikalischen Koordinationsprobleme der beiden Sänger wirken, als sollten sie die Gefährdung Sentas demonstrieren, buchstäblich ver-rückt zu werden.

Dieser "Fliegende Holländer" ist die vierte Opernarbeit des Regisseurs Philipp Stölzl und nach seinem meisterlichen Gounod-"Faust" im vergangenen Jahr, ebenfalls am Basler Theater, wiederum eine, die den Rang des Opern-Spätzünders als einer der wichtigsten Musiktheaterregisseure seiner Generation festigt. Tatsächlich könnte es sogar sein, dass der Multitalentierte, der zuletzt seinen Bergsteiger-Film "Nordwand" in die Kinos brachte, dem derzeit etwas orientierungslosen Regietheater so etwas wie eine neue Tür aufstößt: Eine, hinter der der Glaube an die Oper, ihre Gefühle und Geschichten liegt, hinter der man aber die gequält naturalistischen Aktualisierungen der Stoffe ebenso vergeblich sucht wie hämische oder besserwisserische Distanz. Denn Stölzl, das zeigte schon sein Regiedebüt mit Webers "Freischütz" genauso wie sein "Faust", liebt diese Stücke ebenso wie das Erzählen an sich und lässt die Liebe in jedem Detail spüren.

Auch in seinem "Holländer" ist diese reflektierte Naivität, die ernste Inhalte keineswegs ausschließt, immer spürbar: Natürlich hat der Holländer nicht nur die piratengemäße Hakenhand (und dank dem jungen Alfred Walker auch einen markanten, dringlichen Bariton), sondern auch ein echtes Schiff. Dieses Schiff, dessen Bug sich über die Basler Bühne schiebt, könnte mit seinem Muschelmodder und dem lustig blinkenden Widerschein auf den Brüsten der schmucken Gallionsfigur glatt aus dem Kinohit "Der Fluch der Karibik" stammen. So, wie die Zombie-Matrosen bei Käptn Jack Sparrow in Dienst sein könnten, scheinen die Dienstmädchen, die im Hause Daland die Spinnwebfädchen fortwischen, ein gemeinsames Aufgebot aus dem "Haus am Eaton Place" und einigen BBC-Dickens-Verfilmungen zu sein.

Stölzl und sein Team (Co-Regie: Mara Kurotschka, Bühne: Conrad Reinhardt, Kostüme: Ursula Kudrna) schöpfen da ohne Hemmungen aus dem Vollen. Von den Ärmelschonern des Buchhalters Erik (Thomas Piffka singt ihn passend als Jammerlappen) über die schicke Leselampe, die Senta beim Vorlesen ihrer Ballade hingestellt wird, bis zu den Caspar-David-Friedrich-inspirierten Bildern ("Die gescheiterte Hoffnung"), mit denen die Traumebene des Stücks immer wieder illustriert wird, sind die ganzen zweieinviertel Stunden dieses Urfassungs-"Holländers" randvoll mit Augenreizen, die jedoch in ihrer präzisen Zweckbezogenheit nur die Intensität der Erzählung erhöhen. Stölzls Opulenz gleitet eben nicht ins bloß Dekorative, sondern bleibt engstens an Musik und Text gebunden und macht selbst kühne Umdeutungen möglich: Zu den berühmten Chorszenen im dritten Aufzug ("Steuermann, lass' die Wacht") etwa lässt er Sentas Hochzeitsgäste aufmarschieren und das heillos betrunkene Brautpaar verspotten - ihr täppisch-beschwipster Ausdruck gewinnt eine fast widerwärtige Präsenz.

Es ist, wie oft bei großen Abenden an mittleren Häusern, die Regie, die diese Basler Premiere trägt und die immer wieder bekräftigt, dass es in dieser Oper schließlich um Leben und Tod geht. Friedemann Layers erschreckend nüchternem, geradezu emotionsfreiem Dirigat lassen sich leider keine menschlichen Extremzustände entnehmen, und so tapfer sich die Finnin Kirsi Tiihonen mit ihrem dramatisch präsenten, aber schon etwas strapazierten Sopran in ihre Senta wirft, so sehr hätte man dieser Inszenierung eine Protagonistin von den sängerdarstellerischen Möglichkeiten einer Nina Stemme oder Karita Mattila gewünscht. Aber welches Opernhaus erfüllt schon solche Träume? JÖRG KÖNIGSDORF

Ein Schiff wird kommen - aber es entsteigt ihm nicht Käptn Jack Sparrow, sondern der Holländer mit seinen Zombie-Matrosen. Foto: T+T Fotografie

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Der liebe Gott steckt im Detail

Google Earth zeigt die Meisterwerke des Prado scharf wie nie - was man damit anfängt, wusste schon im 19. Jahrhundert ein Mann namens Morelli

Google Earth: Das ist eine Welt ohne Zeit, ohne Wetter, ohne Regung - und bislang auch ohne Innenräume. Eine fotografische, geplättete und stillgestellte Welt, in der es immer gefühlte elf Uhr morgens ist - oder doch drei Uhr nachmittags? In diesem Murmeltiertag-Kosmos haben auch wechselnder Lichteinfall, Passanten oder klingelnde Handys keinen Platz. Aber man kann auf diese Welt herunterfallen wie nur je ein verglühender Komet. Darin liegt ihre Faszination. Raketengleich stürzt der Zoom auf den Erdball zu und fokussiert am Ende seines Flugs noch die kleinste Dachschindel. Und inzwischen sogar einzelne Farbtupfer auf Meisterwerken in einem der bedeutendsten Museen der Welt.

Mittlerweile dürfte es vieltausendfach passiert sein: Das Auge fliegt, in ein Projektil verwandelt, den Prado in Madrid an, saust geschwind auf die Puerta de Velázquez zu, schwebt dann einen Sekundenbruchteil über einer seltsam abgeflachten und schemenhaften Version des Museums - bevor, gleichsam aus dem Nichts, eins von 14 ausgewählten Meisterwerken des Museums erscheint. Der Geobrowser Google Earth hat sie fotografisch erfasst und ermöglicht jetzt rasante Zooms etwa aufs Craquelé, das Netz feinster Risse im Farbauftrag, etwa in Hieronymus Boschs "Garten der Lüste" (1498) oder, beispielsweise, auf Tränen der Trauernden in der "Kreuzigung" von Juan de Flandes (1509-18).

"The world's largest pictures" (Google), jeweils 1400-mal schärfer aufgenommen als mit handelsüblicher Digicam, geben als Reproduktionen neuester Machart in oder über dem Museum schwebend eine ihren tatsächlichen Standorten entkoppelte Digitalgalerie eigenen Rangs ab. Diese neue Form der universalen Kunstbetrachtung entspricht als Spektakel in etwa den Zooms, die Google Earth auch bislang schon ermöglicht hat. Indem dieser Modus der Welterfassung nun auch in den Museen Einzug hält - in bescheidenerem Maßstab bieten auch etwa der Louvre oder die Dresdner Gemäldesammlungen digitale Galerien -, macht er die Kunstwerke ortlos, versammelt sie zu einem plakativen "Best of".

Vom Teleobjektiv verschluckt

Das wird bedauern, wer je voller Hoffnung den Weg etwa zur Sala 12 im Hauptgeschoss des Prado abschritt und endlich Diego Velázquez' "Hoffräulein" fand, am jenseitigen Ende des Saaleingangs thronend. Doch Google Earth ersetzt nicht den Museumsbesuch, es ergänzt ihn - und zwar um, in den Worten der Suchmaschine, "Details der Gemälde, die nie zuvor gesehen wurden".

Die populärsten und je nach Zeitmode wechselweise auch "schönsten" Kunstwerke eines Museums einzeln oder zu einer Art Meistergalerie versammelt zu reproduzieren, hat ohnehin Tradition. Von Kupferstich-Illustrationen über die ersten Folianten der "besten Gemälde der Welt" mit fotografischen Reproduktionen am Ende des 19. Jahrhunderts bis zu den modernen Rankings und der Postkartenflut in den Museumsshops entwickelte sich dieser "Greatest Hits"-Standard.

Doch wie nah man nunmehr den Meisterwerken auf die Pelle rücken kann, gleichsam alle Absperrungen und Lichtschranken überwindend, hat fraglos eine neue Qualität - insgesamt wurden 8200 Einzelaufnahmen der 14 Bilder angefertigt. Christi Wunde in Rogier van der Weydens "Kreuzabnahme" wird, überscharf rangezoomt, zum tief klaffenden Abgrund; die delikaten Tupfer dagegen, die die Brosche des "Hoffräuleins" zum Funkeln bringen, verwandeln sich in Nahaufnahme zum abstrakten Moiré des pastosen Pinselauftrags.

Wie viele mediale Neuerungen wird auch diese teils euphorisch bejubelt, teils kulturpessimistisch bekrittelt. Dabei gibt es, einerseits, den selbstbewussten Maximalismus der Google-Macher und die wackere Hoffnung auf neue kunsthistorische Erkenntnisse wie auch, andererseits, Warnungen vor naivem Detailfetischismus oder gar die apokalyptische Phantasie eines gefräßigen neuen Mediums, welches sich nunmehr anschicke, die ganze Welt gleichsam mit dem Teleobjektiv zu verschlucken.

Euphorie und Bedenken den Prado-Close-ups gegenüber folgen aber ebenfalls traditionellen Reiz-Reaktions-Mustern, die auch schon die Erfindung optischer Apparate im 19. Jahrhundert begleiteten und seitdem jede technische Verbesserung fotografischer Aufnahmen grundieren. Mehr noch: Radikaler, utopischer und auch polemischer als heute wurde damals, als die Fotografie noch eine junge Erfindung war, genau das verhandelt, was nun wieder im Fokus der Aufmerksamkeit steht: die Detailgenauigkeit der Aufnahmen - und was sich daraus für die Wahrnehmung ergibt.

Die Fronten waren auch schon im 19. Jahrhundert eindeutig: Die Gegner der Fotografie sagten, das neue Medium töte die Phantasie und sei somit ein Todfeind der Kunst - die Befürworter argumentierten dagegen, es eröffne eine neue Welt, die die alte, die Welt der Materie, erblassen lasse. Charles Baudelaire, ohnehin ein genereller Feind des Realismus, schimpfte im Jahr 1859, die massenhaft verbreitete Fotografie fördere das "Gefallen am Obszönen". Baudelaire spürte, dass die Geschlossenheit des Kunstsystems durch die Fotografie in Frage gestellt wurde. Er wandte sich explizit gegen eine Demokratisierung der Bilder. Immerhin sprach der Dichter der Lichtbildkunst aber das Recht zu, als "sehr niedrige Dienerin" der Künste die Monumente der Menschheit vor dem Vergessen zu bewahren, etwa in Reisealben oder Bibliotheken.

Der Schriftsteller und Arzt Oliver Wendell Holmes dagegen befand im selben Jahr hymnisch, das fotografische Verfahren der Daguerreotypie sei ein "Triumph menschlichen Scharfsinns": "Wir fühlen uns in die Tiefe des Bildes hineingezogen". Holmes visionierte im Detailrausch gar einen neuen Kosmos der fotografisch präzisen Bilder, welcher die wirkliche Welt überflüssig mache: "Wir haben die Frucht der Schöpfung erhalten und brauchen uns nicht mehr um den Kern zu kümmern" - eine Zwei-Welten-Theorie, die angesichts digitaler Paralleluniversen wieder populär ist.

Jenseits von Jubel und Verdammung des Mediums: Beide, Holmes und Baudelaire, sind Exponenten einer Wahrnehmungskrise. Die Verbreitung der Fotografie stellte eine Herausforderung an den menschlichen Wahrnehmungsapparat dar. Man gewöhnte sich nur langsam ans neue Medium. Die Rede vom "Augenmenschen" kam auf. Der moderne Mythos der medialen Bilderflut nahm im 19. Jahrhundert seinen Ausgang.

Aber auch der diagnostische, ja detektivische Blick auf winzigste Nebensächlichkeiten in den Kunstwerken wurde im späten 19. Jahrhundert etabliert - in den Forschungen des Mediziners Giovanni Morelli in den Jahren 1874-76. Der italienische Kunsthistoriker Carlo Ginzburg hat den Spurensicherer seiner Branche wiederentdeckt. Morelli konzentrierte sich, um Originale von Kopien zu unterscheiden, nicht auf die augenfälligsten, leicht zu kopierenden Merkmale der Alten Meister, sondern auf Ohren, Finger, Heiligenscheine - eben das, was die Künstler unbewusst in immergleicher Weise malten. Es war Morelli, der auf diese Weise das Gemälde die "Schlummernde Venus" in Dresden Giorgione zuweisen konnte.

Prothese des Sehens

Kritiker wüteten, Morelli behandle die Künstler wie Verbrecher. Genau das war aber seine Errungenschaft. Fast zur gleichen Zeit, als Arthur Conan Doyle seinen "Sherlock Holmes" erfand, begründete Morelli das "Indizienparadigma" (Ginzburg) der Kunstwissenschaft. Mehr noch: Der Arzt Sigmund Freud wies darauf hin, dass Morellis Augenmerk auf "unbeachtete Dinge" entscheidend zur Herausbildung der Psychoanalyse beigetragen habe. Freuds Symptome sind Morellis Details.

Wer heute Christi Wunden heranzoomt, bewegt sich in dieser Wahrnehmungs-Tradition. Das belegt auch die Entwicklung optischer Apparate im späten 19. Jahrhundert. Nicht allein die Fotografie, sondern eigentlich erst die Diaprojektion brachte Lichtbild und Kunsthistorie in Engführung. Die Technik, Fotos auf durchsichtige Folie zu bannen, war eine Kriegserfindung; schon 1870/71 wurden Gelatinehäutchen mit fotografischen Aufnahmen als transportable Depeschen eingesetzt. Der Kunsthistoriker Hermann Grimm, ein Nachfahre der Märchen-Sammler, leistete Pionierarbeit bei der Etablierung des Mediums für den Seminarsaal. Grimm schwärmte über die an die Wand projizierten Meisterwerke "in herrlicher Beleuchtung und ungeheurer Größe, zugleich nun aber so recht in ihrem eigentlichen Formate gleichsam": "Uns stehen die Reproductionen, nicht die Originale in Erinnerung".

Niemand musste also noch nach Italien reisen oder schwere Bilder-Folianten wuchten, um Alte Meister zu sehen. Mit den riesenhaft an die Wand des Vorführsaals abgestrahlten Dürers oder Michelangelos emanzipierte sich die Kunstgeschichte endgültig als Wissenschaft.

Das bedeutet aber auch: Die neuerliche Kritik an einem fürs Ganze blinden Detailfetischismus, die sich nunmehr an Google Earth entzündet, verwechselt Ursache und Wirkung. Das Aufblasen winzigster Einzelheiten, die Ortlosigkeit und die allgemeine Verfügbarkeit der Bilder, all das war schon im 19. Jahrhundert Standard und Grundlage der Kunstbetrachtung. Seitdem ist der Bildhistoriker immer auch Maschinenwärter, Arzt und Detektiv. Google Earth bietet ihm nur eine weitere spektakuläre, digitale Prothese des Sehens - mehr nicht. Alles andere ist der pure Genuss. HOLGER LIEBS

Sie hängt, 123 mal 169 Zentimeter groß, im Saal 57B des Prado: Die "Kreuzigung" von Juan de Flandes (eigentlich: Jan van Vlaandern), gemalt 1509-18, zeigt den Heiland mit einem sich öffnenden Halbkreis von Figuren um ihn herum. Mit Google Earth lässt sich noch das kleinste Detail heranzoomen: Augen von Tier und Mensch sowie die Füße des Gekreuzigten. Prado/Google Earth

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Rettet Klenzes Marstall!

Offener Brief der Akademie der Schönen Künste München

Die Pläne, auf der handtuchschmalen Freifläche im Rücken des Münchner Marstalls einen Konzertsaal für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zu errichten und dabei das von Leo von Klenze entworfene Marstallgebäude, ein Hauptwerk des deutschen Klassizismus, von hinten zu durchlöchern und zum Foyer - man könnte auch sagen: zum Windfang - des Konzertsaals zu degradieren, haben immer schon Kritik auf sich gezogen. Jetzt hat der Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Dieter Borchmeyer, der selber ein passionierter Nutzer des Münchner Konzertangebots ist, in Absprache mit den Mitgliedern der Akademie einen Protestbrief gegen diese - inzwischen auch von Ministerpräsident Horst Seehofer mit Lob bedachten - Konzertsaalpläne veröffentlicht. SZ

Lange hat es so ausgesehen, als ob der Ideenwettbewerb "Kulturobjekt Marstall", der im September 2007 zugunsten des Konzertsaal-Entwurfs von Axel Schultes und Charlotte Frank entschieden wurde, in der Versenkung verschwunden wäre, da Finanzminister Kurt Faltlhauser, der das Projekt entschieden förderte, 2008 aus der Regierung ausschied und der neue Minister für Kunst und Wissenschaft, Wolfgang Heubisch, dem Vorhaben keine Priorität zumaß. Durch die Erklärung von Ministerpräsident Horst Seehofer - "Ich möchte dieses Projekt" - wird es jedoch neuerdings wieder aus der Versenkung heraufgeholt. Es ist daher dringend erforderlich, zu dem Wettbewerbsergebnis Stellung zu nehmen und die Öffentlichkeit auf die architektonischen, denkmalpflegerischen, städtebaulichen und allgemeinen kulturellen Konsequenzen dieser Planung hinzuweisen.

Der von Leo von Klenze entworfene Marstall ist einer der bedeutendsten Bauten dieses großen Architekten, der München wie kaum ein anderer geprägt hat. Nach schweren Verlusten im Weltkrieg zählt der Marstall neben der Glyptothek und der Alten Pinakothek zu den nicht gerade zahlreich erhaltenen Meisterwerken Klenzes. Auch wenn das großartige Gebäude nicht immer seinem ästhetischen Rang gemäß genutzt wurde, ändert das nichts an seiner herausragenden Bedeutung und prominenten Stellung in der Architektur des 19. Jahrhunderts. Der Marstall ist im Zusammenhang der Residenz als freistehendes, allseitig wirkendes Bauwerk konzipiert worden und bestimmt deshalb durch seine Dimension und Symmetrie die gesamte Umgebung.

Dass an eine Architektur dieser Bedeutung ein Anbau über die ganze Längsseite angefügt werden soll, kann nur als ein Akt der Barbarei bezeichnet werden. Genausogut könnte man vorschlagen, um einer eventuell notwendigen Erweiterung der Pinakothek willen doch einfach das Gebäude zu verdoppeln. Es ist vollkommen unverständlich und inakzeptabel, dass ein architektonisches Juwel ruiniert werden soll, um einen Konzertsaal zu gewinnen, dessen Sinn und Notwendigkeit für München umstritten ist, der aber auf keinen Fall um den Preis der Zerstörung eines herausragenden Baudenkmals verwirklicht werden darf.

Schon die Jury, in der die Denkmalpflege kein Stimmrecht hatte, merkte in ihrem Bewertungstext kritisch an, dass durch den geplanten Konzertsaal "die direkte räumliche Verbindung zwischen dem Franz-Josef-Strauß-Ring und der Marstallbebauung Süd verstellt und die Solitärwirkung des Marstalls beeinträchtigt wird", ja dass "die historisch-städtebauliche Dominanz" des Bauwerks aufgegeben und die ursprüngliche Raumwirkung "verzeichnet" würde. Um so unverständlicher ist es, dass es überhaupt zu einer Prämierung dieses nur als Desaster zu bezeichnenden Entwurfs kam. Der klassizistische Marstall würde durch einen Anbau zu einem Zwitter verunstaltet und die gesamte städtebauliche Situation zwischen Residenz, Maximilianstraße und Altstadtring gravierend beeinträchtigt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass im Auslobungstext Ziffer 8.1 festgelegt wurde, dass "eine unmittelbare Beauftragung eines der Preisträger oder Teilnehmer des Ideenwettbewerbs ausgeschlossen ist." Dass das Projekt von Schultes und Frank einfach zur Ausführung bestimmt wird, ist somit juristisch ausgeschlossen.

Die Bayerische Akademie der Schönen Künste fordert die Verantwortlichen auf, im Interesse der Kunst und Kultur in München die Planung zu einem Konzertsaal in dieser Form und an diesem Ort nicht weiter zu verfolgen. Ob München überhaupt einen dritten großen Konzertsaal braucht und ob nicht durch den Umbau der Philharmonie im Gasteig die drängenden Konzertsaalprobleme in München gelöst werden können, das soll in einer Podiumsdiskussion der Bayerischen Akademie der Schönen Künste im März erörtert werden.

Dieter Borchmeyer

Präsident der Akademie

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SZ Wochenende

bringt morgen:

Großschauspieler

Die Berlinale wird es wieder zeigen: Es gibt so tolle Mimen! Leider halten sich die meisten für zu bedeutend. Eine Tragödie. Von Tobias Kniebe

Kleinkünstler

Der Maler Werner Hoeflich kam oft schon um ein Haar ganz groß raus. Aber immer kam was dazwischen. Eine Komödie. Von Jan Brandt

Nobelpreisträgerin

Aktivistin Shirin Ebadi im großen Interview. Über das Leben im Iran 30 Jahre nach der Revolution in Teheran. Von Anne Ameri-Siemens

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Die Freiheit zum Schmock

Ein Buch über Romy Schneider vor dem Frankfurter Landgericht

Empathie heißt die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und Anteil zu nehmen an ihren Gedanken und Gefühlen. Unsere europäischen Nachbarn beklagen häufig, dass es den Deutschen an dieser Begabung mangeln würde. Ein Bedürfnis nach Empathie muss dennoch vorhanden sein, sonst gäbe es nicht so viele Ersatzschauplätze. Einer davon ist die Literatur. Wahre Urstände feiert da im Genre des Familienromans die grenzenlose Einfühlung in die für die Nachgeborenen sonst unerklärlichen Wege ihrer Vorgänger durch die Gründe und Abgründe des vergangenen Jahrhunderts. Den zweiten Schauplatz, auf dem die Luft noch etwas schwüler ist, liefern die Projektionsflächen eines verpoppten Starkults, der allen nur denkbaren Bedürfnissen Unterschlupf bietet. Aber wehe, wenn beide Schauplätze zusammenkommen. Dann werden Melodramen geschrieben.

Die von schmerzlichen Trennungen und tragischen Verlusten begleitete, im einsamen Herztod endende Lebensgeschichte der Romy Schneider ist dafür ein Paradebeispiel. Umso mehr, als die Gedenktage ihrer Geburt und ihres Todes alle fünf Jahre wieder direkt aufeinanderfolgen - der 25. Todestag wurde 2007 begangen, da schloss sich 2008 der 70. Geburtstag an. Einige Werke aus der begleitenden Bücherschwemme beschäftigen seither auch die Justiz. Der Roman, der am Donnerstag vor dem Landgericht Frankfurt verhandelt wurde, heißt "Ende einer Nacht" und trägt den Untertitel "Die letzten Stunden von Romy Schneider". Er stammt aus der Feder des 1959 geborenen Münchner Film- und Buchautors Olaf Kraemer, Verfasser auch der Uschi Obermaier-Biografie "High Times - Mein wildes Leben".

Wie ein Verliebter steigt da ein Mann mit den Mitteln der Fiktion - andere stehen ihm nicht zur Verfügung - seinem verlorenen weiblichen Objekt hinterher und versucht, in das Innere einer Frau zu schauen: "But where do you go to my lovely, when you're alone in your bed . . .", heißt das alte Lied. Ob das gelungen ist, ob die literarischen Mittel - ein in der dritten Person gehaltener innerer Monolog der Protagonistin - adäquat sind, ob die Fiktion dem vorhandenen Wissen eine neue Erkenntnis hinzufügt, ist eher zweifelhaft, geht aber die Gerichte nichts an.

Geschwärzte Passagen

Es war Horst Fehlhaber, der verwitwete dritte Ehemann von Romys 1996 verstorbener Mutter Magda, einer ebenfalls legendären Schauspielerin, der im vergangenen Herbst Strafanzeige gegen das im Münchner Blumenbar Verlag erschienene Buch gestellt und eine einstweilige Verfügung erwirkt hat. Seither darf der Verlag, der Widerspruch gegen die Verfügung angemeldet hat, das Buch nur in einer durch Aufkleber zur "Collector's Edition" erklärten Fassung mit sieben - auch optisch nicht ganz reizlosen - geschwärzten Passagen vertreiben. Die inkriminierten Stellen beziehen sich allesamt auf Vorwürfe seitens der Protagonistin gegenüber ihrer Mutter zu deren vermeintlichen Verstrickungen in das Nazi-Regime.

"Meine Mutter hatte eine Affäre mit Adolf Hitler!" - so eröffnet die Romy des Kraemer-Romans den Familien-Plot. Es handelt sich dabei um ein Zitat, das vor zwei Jahrzehnten von Alice Schwarzer aufgezeichnet wurde, eine Aussage, die man am besten metaphorisch versteht, oder aber, zumal aus dem Munde einer Wahlpariserin, ganz wörtlich französisch im Sinne von "Geschäften", denn in puncto Engagements und Gagen war Magda Schneider, der Star vieler Durchhaltefilme der NS-Zeit, bestens bedient worden.

Engere Verbindungen Magdas mit dem Regime sind - anders als im Falle von Romys Vater Wolf Albach-Retty, der ein strammer Nazi war - keine bekannt. Als belastend kann höchstens interpretiert werden, dass ein Besuch Magdas auf dem Obersalzberg im Jahr 1941 filmisch dokumentiert ist, ferner dass von Hitler Äußerungen überliefert oder kolportiert sind, wonach er anno 1930 ein glühender Verehrer der damaligen Soubrette des Münchner Theaters am Gärtnerplatz gewesen sei. Ansonsten hatte Magda Schneider, wie die meisten Deutschen, ihren alltäglichen opportunistischen Frieden mit dem System geschlossen.

Aber was für ein Stoff, um Romy Schneider in der ihr so verhassten Rolle der ewigen Sissi geradezu in Geiselhaft zu halten: Aufgewachsen als Prominentenmädel auf dem Landgut Mariengrund am Königssee in Sichtweite von Hitlers Berghof, lastet der lange Schatten von Deutschlands Nazi-Vergangenheit auch noch auf der Seele der nach Frankreich Ausgewanderten und verfolgt sie bis in die Nacht ihres Todes. Im eitlen Bestreben, auch noch diesen einsamen Tod zu ergründen, weiß sich Autor Olaf Kraemer mit einem voyeuristischen Publikum einig, das die Schauspielerin schon zu Lebzeiten vampirisierte. Wenigstens die letzten Stunden hätte man Romy Schneider in ihrem alleinigen Besitz lassen sollen.

In Frankfurt sollte es am Donnerstag um ein juristisches Abwägen postmortaler Persönlichkeitsrechte mit dem Kunstanspruch des Romans gehen. Doch wo viel Kunst in Anspruch genommen wird, entsteht oft genug - Schmock. Diese Trennungslinie sollte der gute Geschmack gebieten, nicht aber die Justiz. Das Gericht forderte die Parteien dazu auf, sich gütlich zu einigen. Sollte das nicht gelingen, wird am 13. Februar das Urteil verkündet.VOLKER BREIDECKER

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Regen, Tränen, Körpersäfte

Musik zur Stimulanz desorientierter Einzelner: Zum Debüt der hochgehandelten schottischen Band "Glasvegas"

Es ist feucht im Norden. Dauernd regnet es, da sind sich alle einschlägigen Quellen einig. Von "hohem Land" und "harten Regen" sangen schon Aztec Camera in den gloriosen Gründungstagen einer eigenständigen schottischen Pop-Musik um 1980. Ihre noch berühmteren Nachfahren, The Jesus And Mary Chain, wussten von "neun Millionen Regentagen" zu klagen, besangen den, naturgemäß überfeuchten "Aprilhimmel" und bekannten schließlich, sie seien "glücklich, wenn es regnet". Glasvegas, neuestes als dezidiert schottisch vermarktetes Produkt einer immer verzweifelter auf lokale, unbeliebige, unglobale Attribute fixierten Pop-Musik-Kultur, reiht sich gerne in diese nassen Narrationen ein. Auch bei ihnen fließt, glitscht, flutscht und schluchzt es ohne Ende. Regen, Tränen, Körpersäfte.

Eine Besonderheit nicht nur der schottischen, sondern generell jeder nordbritischen Pop-Musik der letzten - mindestens - 30 Jahre, ist die große Nähe zwischen den glamourösen, inszenierten Larger-than-life-Momenten einerseits und den gezielten Peinlichkeiten des Jungmännergewimmers andererseits. Macht man sonst Musik, um entweder größer zu scheinen als man ist oder um alles zuzugeben, versucht man im Norden immer Beides. Angeberei und schuldbewusstes Schluchzen gehen ebenso leicht in einander über wie andere, anderswo getrennte Bereiche des Lebens: der Kultus des pubertären Selbst vor Spiegeln und in Szenelokalen einerseits und bierselige Fußballverbrüderung mit den Lads andererseits. Im Namen der Band, von der hier die Rede ist, erscheint diese spezifische Entdifferenzierung des Pop-Schottentums zum Logo komprimiert.

Glasvegas soll Glasgow, die nasse Metropole mit Las Vegas, der glitzernden Bühnenstadt zusammenzwingen. Eine hübsche Idee: Man denkt zugleich an gläserne Häuserfronten, in denen sich das heiter gespreizte Leben des Narziss spiegeln kann, wie an das tiefsaftige Feuchtgebiet, das die spanischsprachige Welt Vega nennt. Nur leider ist die Balance zwischen Glamour und Depro eindeutig zuungunsten der großen Geste verschoben, im besten Fall wird das Gequengel so aufgedreht und aufgeblasen, dass es von sich aus auf präpotenten Beinen stehen kann. Was gefällt. Häufiger richtet sich dieser Sound aber an Leute, die ihre Ausweglosigkeitsgefühlen ungestört genießen wollen, nicht damit angeben.

So grummelt es denn oft tiefgründelnd bis tieftraurig auf dem unbetitelten Debütalbum (Columbia/Sony, 2009). Meterdicke, obertonreiche Gitarrenschichten werden auf harmoniesatte Keyboardunterlagen gesattelt. Ein gezielt schleppender Rockbeat trabt erdenschwer und nicht zu schnell voran. Selten sind es mehr als zwei Akkorde, wir haben ja auch nur zwei Arme. Vorne ist Platz für warmes Wimmern, für heiße Tränen, Selbstmitleid und Erinnerungen an andere Flüssigkeiten, getrunkene etwa. Doch immer, wenn es zu pubertär wird, fängt dieser wohleingelegte Soundbraten ein bisschen zu funkeln an. Aber immer auch, wenn er zu sehr glitzert, geht das gequälte Gesinge wieder los.

Totales Gequengel

Man kann mit dem Material des schottisch-nordenglischen Rock verschiedene Dinge anstellen: zwei von dreien sind erlaubt. Man darf etwa exzentrisch werden - wie Morrissey. Die emotionale Durchlässigkeit aller Lebensbereiche, der Weg von der strahlendsten Geste und der wächsernsten Maske zum verheultesten Gesicht ist jederzeit möglich. Was für eine Dynamik! Aber diese Durchlässigkeit ist nicht Genre, sie ist vielmehr ein Attribut meiner auserlesenen Persönlichkeit. Nicht jedem ist dies gegeben.

Oder man kann analytisch damit umgehen wie die sensationellen The Jesus And Mary Chain, als sie alle Bestandteile dieses Emo-Quirls zergliederten und einzeln ausstellten: böses Feedback, einfachste Country-Pop-Melodien, nebelhafte Drogenlyrik, eindeutige Slogans, sensationell aggressive Bühnenshows - jedes Element für sich. Beide Techniken haben sich als nie versiegender Quell ebenso selbstreflexiver wie erschütternder Pop-Musik erwiesen. Was man aber nicht darf, ist das Gequengel total werden lassen: die wimmernde, unsicher im Beat vor und zurückwippende Sentimentalitätssuada den Laden übernehmen lassen. Dem sind Glasvegas bei mindestens sechs von zehn Tracks gefährlich nahe.

Dabei orientieren sie sich an diesem Umstand: Pop-Musik entwickelt sich nicht nur nicht mehr, sie steht auch nicht still und sie wiederholt sich auch nicht einfach: Sie optimiert ihre Modelle. Es geht nicht einmal mehr um Revivals, sondern um die Arbeit an den längst nicht mehr als historisch verstandenen, ewigen Einheiten der Emotionsgestaltung. Ein gutes Jahrzehnt lang können wir uns jetzt schon Updates der goldenen britischen Jahre von Punk und Post-Punk anhören, in denen jedes Detail durchdachter und punktgenauer gebaut ist als in den Originalen - nur nicht mehr von einer auch nur annähernd vergleichbaren, sozialen Welt handelt. Aus Musik zu Verständigung zwischen prekären Existenzen ist eine Musik zur Stimulanz von desorientierten Einzelnen geworden. Optimierungslogik heißt also nicht mehr künstlerisch soziale Probleme in einer bestimmten historischen Lage lösen zu wollen, sondern einmal herumliegende Problemlösungen immer wieder und immer weiter hochzutunen.

Diese Optimierungslogik greift etwa auf die Fähigkeit zu starken, analytisch ausgebauten, emotionalen Kontrasten, die die erklärte Vorbild-Band The Jesus And Mary Chain entwickelt hat, zurück. So beginnt "Geraldine" zwar wie ein idealtypisch verregneter, reaktionärer Zwei-Akkord-Depro-Rocker, präzise schiebt sich die genremäßige Beatarchitektur drunter und der junge Mann beginnt nicht minder genretypisch zu klagen. In dieses akkurat gebaute Elend werden dann aber extrem kluge, helle Backing Vocals gesetzt, die nun aus einer Welt ohne Regen, aus einem Reich der chromblitzenden Theken, der Atomversuche und Wüstensonnenuntergänge zu kommen scheinen. Naive amerikanische Freiheitsversprechen brechen die geschlossene sentimentale Männlichkeit. Dieser Helligkeitseinbruch ist als Effekt ganz der scharfen Intelligenz der Reid-Brüder nachempfunden, denen wir eben jene The Jesus And Mary Chain verdankten. Doch die Optimierung hat die Ausgestelltheit der Mittel, den aggressiven Stolz auf die Smartness und den alles hinwegfegenden Auftritt der Vorbilder zugunsten eines knalligen Funktionalismus in die zweite Reihe gedrängt. Das Emo-Universum darf keine Risse kriegen. Es darf sich aufhellen, aber das Publikum will nicht mehr selber die "Mauern des Herzschmerzes niederreißen", wie es ein alter Soul-Klassiker formulierte. Es will den holistischen Emo-Film, ohne Unterbrechungen und V-Effekte. Dass bei aller Geschichtslosigkeit dann doch noch so viel Benennbares erkennbar ist, liegt bei Glasvegas zum einen daran, dass sie einen absoluten Allerweltsjungmännerock spielt, so dass einem eh alles bekannt vorkommt.

Stechende Signale

Zum anderen aber auch daran, dass ein prominenter Fürsprecher alles unternimmt, um sie in die glorioseren Kapitel der schottisch-nordenglischen Post-Punk-Geschichte nachträglich einzutragen, so hartnäckig bis sie ihm glauben und ein wenig nacheifern. Alan McGee, einem größeren Publikum als Oasis-Förderer bekannt, einem älteren aber als unermüdlicher, schon seit den frühen achtziger Jahren aktiver knarziger Lokalpatriot, ein Herbert Wehner verregneter Seelenzustände und ihrer Kneipenrockverarbeitung, ist der größte Fan von Glasvegas. Auch wenn er selbst mal als Sixties-Fan angefangen hat und sowohl seine Band Biff Bang Pow als auch sein Label Creation einer Zeit gewidmet waren, in der es um scharfe stechende Signale und grelle Farben, nicht um tränenverhangene Bierseligkeit ging, lässt er zur Zeit kein Mikro aus, um ihr Lob zu singen. Doch alle Argumente und starken Bilder, die er jetzt auffährt, wenn er die Band preist und mit Frontman James Allen gemeinsam vor die Presse tritt, stammen eben genau aus der Zeit als nordbritische Arbeiterkultur in erster Linie auf ihre Geschichte stolz war, nicht auf ihre Ethnizität und das schlechte Wetter.

DIEDRICH DIEDERICHSEN

Arbeit an den längst nicht mehr als historisch verstandenen, ewigen Einheiten der Emotionsgestaltung: "Glasvegas" Foto: Steve Gulick

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NACHRICHTEN

Vier Gemälde des britischen Malers William Turner haben für 1,4 Millionen Euro im New Yorker Auktionshaus Christie's den Besitzer gewechselt. Das Chicagoer Sammlerpaar William and Eleanor Wood Prince entschied sich unter anderem zum Verkauf des Aquarells "Brunig-Pass von Meiringen, Schweiz", das für etwas mehr als eine Million Dollar unter den Hammer kam.

Der Suhrkamp Verlag hat einen baldigen Beschluss über einen Umzug von Frankfurt nach Berlin angekündigt. "Es wird in Kürze eine Entscheidung fallen", sagte am Donnerstag Unternehmenssprecherin Tanja Postpischil. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) bekräftigte am Donnerstag sein Interesse an dem traditionsreichen Verlag. "Wir wollen den Suhrkamp Verlag nach Berlin holen, auch wenn es schmerzt in Frankfurt oder anderswo", sagte Wowereit im Abgeordnetenhaus.

Bei den rund 1000 in Finnland aufgetauchten Farbdias aus dem sogenannten Führerauftrag Monumentalmalerei handelt es sich nach Einschätzung von Experten vermutlich um Dubletten. Er halte es für "relativ unwahrscheinlich", dass neue, bislang unbekannte Aufnahmen dabei seien, sagte der Leiter der Photothek am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München, Stephan Klingen, am Donnerstag. SZ

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Sand im Auge des Betrachters

Blick, Körper, Raum: Das Festival Temps d'Image im Tanzhaus NRW widmete sich den blinden Flecken der Bildkultur

Ein dunkler Raum. Als es hell wird, sitzt ein Mensch dort, der das Gesicht der Betrachterin trägt und einen unentwegt anblickt. Wer ist dieses Gegenüber? Zu dieser merkwürdigen Erfahrung mit einem Fremden lud der amerikanische Künstler Davis Freeman beim Festival Temps d'Images in Düsseldorf ein. Das Projekt "Reflection" steht, in seiner bestrickenden Einfachheit, für eine Zeit, in der Bilder Realität bedeuten und das Verhalten prägen. All das Gefilmte und Fotografierte ist eben nicht bloß virtuelles Beiwerk oder Abbildung der vermeintlich realeren Wirklichkeit.

Dass Künstler diesem Mit- und Ineinander der Sphären verblüffende Aspekte abgewinnen, ist nicht neu; die Zeiten medialer Bühnenberauschung sind längst einer Videogewöhnlichkeit gewichen. Aber gerade deswegen hat ein solches Multisparten-Festival Entdecker-Potential. Mit unterschiedlichem Programm findet es in neun europäischen Städten sowie in Montréal statt. Bereits zum vierten Mal war es in Düsseldorf im Tanzhaus NRW zu sehen.

Der diesjährige Untertitel "Zwischen Wirklich" weist auf einen Abstand hin. Alle zwanzig gezeigten Tanzstücke, Performances und Installationen nahmen sich diese Schwelle in besonderer Weise vor: Blick, Körper, Raum. Hiroaki Umeda aus Japan zeigte in seinem Solo "While going to a condition", wie sich eine einzelne schwarz gekleidete Menschenfigur vor einer Wand mit sich wiederholenden Linien und Mustern erst belebt, dann behauptet, um schließlich zu verlöschen. Während die Balken hinter Umeda immerzu hochwandern, Quadrate erscheinen, jedes graphische Ding sich wiederholt und von einem scharfen Geräusch begleitet wird wie eine lärmende Maschine, bewegt er sich lange nicht. Dann zunächst nur eine Fußspitze. Nervöse Wellen gehen schließlich durch Umeda, der nun auch seinen Platz verlässt, ohne je wirklich menschlich zu wirken. Als ob die maschinellen Bilderwelten zwar bewegliche, tanzende Figuren generierten, diese aber gefangen hielten in ihrer kalten Einsamkeit. Der Spannungsbogen und die bildliche Überwältigung lassen einen deshalb zwar optisch beeindruckt, aber auch fröstelnd zurück.

Ausweglosigkeit schien die Grundstimmung der meisten Werke beim Festival zu sein. Tarek Halaby, Amerikaner palästinensischer Herkunft, verschachtelt in seinem Solo "Finally, I am no one" projizierte Bilder aus Kellerräumen mit Live-Aufnahmen seines Tanzes hinter einem Vorhang aus Fäden. Die Kellerbilder werden allmählich erkennbar als zerschnipselte Handlungsabläufe. Ein gefesselter Gefangener, ein Bombenbastler, ein Bewacher im Tarnanzug: Ihre kurzen Geschichten werden zerdehnt und zeitlich verkehrt, ihre Gesichter sind unkenntlich. Kein Wort fällt, nur Popmusik tönt ununterbrochen wie aus einem Nebenraum. Alles scheint "zwischen" zu sein, zu dauern bis zur Erschöpfung. Diese Botschaft über Lebenswirklichkeiten in gepeinigten Weltgegenden vermittelt Halaby mit seiner etwas überladenen Komposition aus Raum und Kamerablick und dem Kontrast zwischen kleinen Bewegungen und ausgreifendem Tanz.

Auch im Stück "The Corner" des Düsseldorfer Künstlerkollektivs Ludica, der ersten Festival-Premiere, klingt Musik von nebenan, als sei das Leben anderswo. Immer wieder öffnet sich die Tür in der Wand einen Spalt, gibt einen Lichtstrahl frei; aufdringlich muntere Musik und eine aufgedrehte italienische Stimme ertönt, Applaus. Die Tür aber ist nur eine Projektion auf der grauen Bühnenwand. Alle Aktionen der drei Darsteller auf der Bühne oder mit dem Publikum laufen ins Leere. Fragebögen werden verteilt, ausgefüllt, aber nicht eingesammelt. "What do you feel" sagt eine Stimme hundertmal, doch es ist keine Frage. Adjektive wie "happy" und "sweet" ploppen in altmodisch knalliger Werbeschrift auf die Rückwand. Die Darsteller in schwarzer Vermummung tun geschäftig; nichts passiert. Eine behördenartige Digitalanzeige zählt langsam und macht "ping". Das Dumpfe, Leere, das über der Lockerheit liegt, fühlt sich wie eine Art Blindheit an. Woanders hin zu wollen, aber nicht zu können - das macht diese Bühneninstallation auf verstörende Weise erfahrbar. Als Kritik am eigenen Medium Bühnen- und Bildunterhaltung ist "The Corner" konsequent unoriginell.

Die Skepsis gegenüber dem Bilderzauber und den medialen Wirklichkeitstapeten in kluger Weise produktiv umzusetzen, ohne dabei die vermeintlich erlösende Authentizität des Körpers zu glorifizieren, gelang vielen Künstlern bei Temps d'Images, zuletzt der Kölner Choreographin Stephanie Thiersch mit ihrer humorvollen Premiere von "Blind questions: I see you me neither". "Ich behalte die Tassen mit den blauen Blumen", ist der erste Satz. Man trennt sich, zieht aus. Es geht um Liebe: Vorstellungen von Glück sind auch Bilder. Vier großartige Darsteller auf der Bühne sprechen Dialoge der Hoffnung und des Streits, verschieben drei tapezierte Wände, eine Matratze, einen Stuhl, "Hier kommt die Lampe hin". Sie lehnen sich aneinander, ziehen, zerren und tanzen. Ein weiteres Paar, im Film, hat nur eine verlotterte Bruchbude. Sätze wiederholen sich, Bewegungen, Stille, Straßenlärm, Umarmung. Man richtet sich ein. Man treibt die Liebe in die Ecke. Die Zeit der Bilder steht nicht still. Unsere Zeit. MELANIE SUCHY

Die Quadratur des Menschen: Szene aus Hiroaki Umedas Tanz-Solo Foto: ALEX

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Feuerkopf Senior

Zum Tod des großen Juristen Werner Flume im 101. Lebensjahr

Es gibt einen Traum, den viele ordentliche Universitätsprofessoren träumen. Sie träumen davon, nicht nur Fachbücher und Fachaufsätze zu schreiben, sondern Zeitungsartikel. Sie wollen, weil sie so viel wissen, ihr Wissen nicht nur der Fachwelt vorsetzen, sondern der ganzen Welt. Dafür eignet sich die Zeitung gut. Aber dort sitzen Journalisten, die an der professoralen Darstellungsweise herummäkeln und wiederum von sich selbst glauben, dass sie alles noch viel besser wissen als die Professoren.

Der einzige deutsche Ordinarius, der in einer Zeitung schreiben konnte wann immer er wollte (und er wollte oft), war Werner Flume - Professor für Römisches Recht, Bürgerliches Recht, Steuerrecht und Rechtsgeschichte, von 1949 bis 1953 in Göttingen, dann in Bonn. Er war ein Großmeister seines Faches, ein juristischer Entdecker, ein klassischer Liberaler, ein Feuerkopf - und das nicht nur, wenn er seine legendären Vorlesungen hielt. Die 68er Jurastudenten mochte er nicht und sie ihn auch nicht, aber weder sie noch die nachfolgenden Semester kamen ohne Flume aus, wenn sie selbständiges juristisches Denken lernen wollten.

Werner Flume hat die Kraft des römischen Rechts wieder entdeckt, aus dessen Geist das Zivilrecht interpretiert und das Steuerrecht systematisiert. Sein dreibändiges Lehrbuch zum Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Rechts ist ein Klassiker, der Band "Das Rechtsgeschäft" stammt zwar von 1965, ist aber immer noch eine juristische Denkschule sondersgleichen. Wer die juristische Kraft der "anderen Meinung" kennenlernen will, der lese dieses Buch. Flume war der Meister der "anderen Meinung", also der juristischen Positionen, die von den Urteilen der Gerichte abweichen. In vielen Fragen, in denen er lange Zeit (nur von den Juristen der Anfängersemester belächelt) Minderheitsmeinungen vertrat, hat er sich durchgesetzt - oft erst, als er schon lange im Ruhestand war.

Aber mit diesen wunderbaren Gaben ist noch nicht erklärt, warum Werner Flume jahrzehntelang jederzeit in einer Tageszeitung schreiben durfte. Seine Zeitung war das Handelsblatt, er hat dieses Blatt geprägt - mindestens so, wie heute Helmut Schmidt die Wochenzeitung Die Zeit prägt. Das kam so: Flume brach 1932/33 seine wissenschafltiche Laufbahn ab, wurde Syndikusanwalt und der juristische Berater und Freund von Friedrich Vogel, dem späteren Verleger des Handelsblattes. Er bestimmte, so hieß es dort zum hundertsten Geburtstags Flumes, "weitgehend den Charakter der Zeitung". Flume war nicht nur der Souffleur des Verlegers, sondern auch respektierter Zensor der Zeitung.

Hans Mundorf, bis 1994 Handelsblatt-Chefredakteur, erinnert sich an ein Erlebnis als junger Redakteur, als er einen eher populistischen Leitartikel zur Steuerreform geschrieben hatte. Am Erscheinungstag klingelte das Telefon: "Hier Flume! Getretener Quark wird breit, nicht stark! Guten Tag!"

Werner Flume ist am Mittwoch in Bonn gestorben, wenige Monate nach seinem hundertsten Geburtstag.

HERIBERT PRANTL

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Wirrwarr der Hormone

Machen Chemikalien aus Verpackungen unfruchtbar?

Umweltschützer haben diese hartnäckigen Chemikalien schon lange im Verdacht. Perfluorierte Tenside gelten als krebserregend. Weil die Industrie die nicht abbaubaren Substanzen trotzdem gerne zu allerlei Zwecken und auch bei der Produktion so alltäglicher Dinge wie Pizzakartons und Regenjacken einsetzt, reichern sie sich langsam, aber sicher im menschlichen Körper an. Kaum eine Blutprobe, die in der Umweltprobenbank des Bundes lagert, ist frei von diesen unvergänglichen Chemikalien.

Während Umweltschützer und Industrie noch streiten, welche Konsequenzen das für den Menschen hat, berichten kalifornische und dänische Wissenschaftler nun von einer unerfreulichen Beobachtung: Perfluorierte Chemikalien können möglicherweise die Fruchtbarkeit von Frauen einschränken, schreiben die Forscher im Fachjournal Human Reproduction (Bd. 1, S. 1, 2009). Frauen mit Kinderwunsch, die besonders viel Perfluoroktansäure (PFOA) oder Perfluoroktansulfonsäure (PFOS) im Blut haben, brauchen demnach besonders viel Zeit, bis sie endlich schwanger werden.

Die Wissenschaftler machten sich für ihre Analyse die Danish National Birth Cohort zunutze, eine umfassende Studie an werdenden Müttern. Für 1240 von ihnen war zu einem frühen Zeitpunkt der Schwangerschaft die Menge an PFOA und PFOS im Blut erfasst worden. Je nach Chemikalienlast wurden die Frauen in vier Gruppen eingeteilt - von geringen Perfluor-Konzentrationen bis zu hohen. Zudem hatten alle Frauen erzählt, ob die Schwangerschaft geplant war und, wenn ja, wie viel Zeit vergangen war, bis der Wunsch in Erfüllung ging.

Das Ergebnis war deutlich: Im Vergleich zu den am wenigsten mit PFOA oder PFOS belasteten Frauen wurden die Frauen aus den drei stärker belasteten Gruppen besonders häufig als "unfruchtbar" eingestuft - zwischen eineinhalbmal und zweieinhalbmal so oft. Als unfruchtbar galten die Frauen, die eine Fruchtbarkeitsbehandlung in Anspruch genommen hatten oder bei denen mehr als zwölf Monate vergangen waren, bis sie schwanger wurden. Der Zusammenhang zwischen Chemikalienbelastung und langem Warten auf den Kindersegen blieb auch bestehen, wenn Alter und Lebensstil herausgerechnet wurden.

Gift für die Leber

"Studien an Tieren haben bereits gezeigt, dass diese Chemikalien eine Reihe von toxischen Effekten auf die Leber, das Immunsystem und die Fortpflanzungsorgane haben können", sagt Chunyuan Fei von the University of California in Los Angeles, die Erstautorin der Studie. Auch hätten erste Studien ergeben, dass die Substanzen womöglich die Sexualhormone durcheinanderbringen und das Wachstum des Ungeborenen im Mutterleib beeinträchtigen.

Die Zahl der Menschen in den Industrienationen, die ungewollt kinderlos sind, ist in der letzten Zeit stark gestiegen. Experten spekulieren schon lange, dass die Umweltverschmutzung dabei eine Rolle spielt. Allerdings konnten nie Faktoren dingfest gemacht werden, und auch bei PFOA und PFOS besteht bisher nur ein Verdacht.

Die Verwendung von PFOS zumindest ist seit Ende 2006 in Europa verboten, vor allem weil es im Tierversuch krebsfördernd wirkt. "Allerdings gibt es Ausnahmegenehmigungen", sagt Michael Gierig vom Bayerischen Landesamt für Umwelt. "Und diese betreffen ausgerechnet die häufigsten Einsatzbereiche wie die Luft- und Raumfahrtindustrie und Galvanikbetriebe. Das bereitet uns das größte Kopfzerbrechen." Derzeit überprüfe seine Behörde die Abwässer der entsprechenden bayerischen Betriebe. "Wenn gewisse Werte überschritten werden, suchen wir gemeinsam mit den Firmen nach Lösungsmöglichkeiten."

PFOA hingegen wird weiterhin breit genutzt. Das Umweltbundesamt arbeite seit Jahren an einer Risikobewertung, sagt Gierig. "Wir warten sehr darauf." CHRISTINA BERNDT

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Warten auf den großen Knall

Experten rätseln, was hinter einem Computerschädling steckt, der Millionen PC befallen hat

Das hatte es schon lange nicht mehr gegeben: einen Computerwurm, der binnen Wochen Millionen von Windows-PC infiziert. Raffiniert ist die Schadsoftware programmiert, die seit Ende 2008 unterwegs ist. Sie nutzt nicht nur eine - seit Oktober eigentlich behobene - Schwachstelle vieler Windows-Versionen aus, sondern hindert zum Beispiel auch Antivirensoftware daran, aktuelle Virensteckbriefe nachzuladen. Doch was der "Conficker" oder "Downadup" genannte digitale Wurm eigentlich anstellen soll, darüber rätseln die Experten noch immer.

Die Zeitschrift Computerbild kündigt einen Bericht an, wonach die Aufregung um den Wurm bloß ein Medienhype sei. Nicht Millionen, sondern allenfalls 500 000 Rechner seien von dem Schadprogramm befallen, berichtete das Blatt unter Berufung auf das unabhängige Magdeburger Labor AV-Test. Die Meldungen einiger Antiviren-Firmen von Millionen infizierten Computern seien "vorsichtig ausgedrückt grobe Schätzungen", sagte Guido Habicht, Geschäftsführer von AV-Test der Süddeutschen Zeitung, "wir messen diese Flut nicht".

Nicht nur das finnische Antiviren-Unternehmen F-Secure, das vor rund zwei Wochen mit der Millionen-Meldung Schlagzeilen machte, wehrt sich nun gegen den Vorwurf der Panikmache. Auch Forscher vom amerikanischen Georgia Institute of Technology und aus Deutschland bestätigen, dass Millionen von Rechnern angesteckt wurden.

Die Forscher können das ermitteln, weil infizierte PC sich sozusagen von selbst bei ihnen melden. Vereinfacht dargestellt funktioniert das so: Die Schadsoftware erzeugt über einen eingebauten Generator Zufalls-Internetadressen, jeden Tag 250 neue. Bereits befallene Rechner klappern - vom Wurm gesteuert - diese Adressen ab. Sie sehen nach, ob es dort weitere Anweisungen für sie gibt. Einen Rechner unter einer dieser Adressen, könnten die Virenautoren nutzen, um Befehle an die infizierten Rechner zu geben.

Forscher haben zwar die Methode geknackt, nach der die 250 Adressen erzeugt werden - sie können aus Kostengründen aber nicht täglich alle für sich reservieren. Sie sichern sich jedoch einige davon und sehen dann, wie viele verwurmte Rechner sich melden. Thorsten Holz, Experte für Computersicherheit an der Universität Mannheim, hat Zugriff auf einen solchen sogenannten Honigtopf. "Allein am 1. Januar", sagt er, "gab es 7,3 Millionen Zugriffe." Holz hält die von F-Secure genannten Zahlen daher für durchaus realistisch.

Bislang richtet der Wurm keine größeren Schäden an. Netzwerkverwalter müssen lediglich die davon befallenen Geräte säubern. In infizierten Netzen können oft auch Benutzer nicht mehr am Computer arbeiten, weil ihnen der Zugang zum Netz versperrt wird. Der Wurm versucht nämlich auch, sich über Firmennetze zu verbreiten und bringt dazu eine Liste hunderter gebräuchlicher Passwörter mit. Nach einigen Fehlversuchen blockieren viele Netze weitere Anmeldevorgänge. Die meisten befallenen Rechner gibt es in China, Russland und Brasilien, aber auch Deutschland bleibt davon nicht verschont, sagt Mikko Hyppönen von F-Secure, wo man pro Tag um die 20 000 PC registriert, die sich aus deutschen Netzen bei den Honigtöpfen melden.

Einige Experten befürchten, dass das dicke Ende noch kommen und der Wurm, der womöglich ukrainischen Ursprungs ist, die eigentliche Schadsoftware nachladen werde. Mikko Hyppönen dagegen hat seine eigene Theorie: "Ich glaube, da hat jemand was ausprobiert und dann wuchs ihm das über den Kopf", sagt er, "die Sache hat zu viel Aufmerksamkeit erregt."HELMUT MARTIN-JUNG

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Signal zum Schwärmen

Eigentlich sind sie Einzelgänger. Doch wenn Wüstenheuschrecken in Dürrezeiten auf den wenigen verbliebenen Futterpflanzen zusammenrücken müssen, geschieht eine erstaunliche Wandlung: Die sonst grünen Insekten färben sich dunkel, rotten sich zu Schwärmen von Milliarden Tieren zusammen und fressen ganze Landstriche kahl. Nun haben englische und australische Zoologen Serotonin als Auslöser für das Schwarmverhalten identifiziert (Science, Bd. 323, S.627, 2009). Schwärmende Heuschrecken produzieren in ihrem Nervensystem bis zu dreimal so viel von dem Signalstoff wie die Einzelgänger. Der Signalweg des Serotonins könnte damit ein Angriffspunkt sein, um spezielle Chemikalien zu entwickeln, die Heuschreckenplagen eindämmen. emm/ Foto: AP

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Der Preis der Wertschätzung

Warum Menschen mit teuren Sonnenbrillen besser sehen - der Verhaltensökonom Dan Ariely über die tägliche Irrationalität beim Geld

Als durch und durch rational handelndes Wesen gilt der Mensch nur noch in den Theorien der klassischen Ökonomie. Stets stehen ihm dort alle relevanten Informationen zur Verfügung, immer richtet er sein Verhalten am maximal möglichen Nutzen aus. Dass der Mensch diesem Ideal nicht entspricht, gestehen Wirtschaftswissenschaftler zwar seit Jahren ein, sie ignorieren diesen Umstand jedoch, wenn sie ihre Theoriegebäude errichten. Die junge Disziplin der Verhaltensökonomie erkundet die menschlichen Unzulänglichkeiten im Detail. Wissenschaftler wie Dan Ariely verstehen sich eher als Psychologen denn als Ökonomen und untersuchen menschliches Verhalten im Experiment. In seinem Buch "Denken hilft zwar, nützt aber nichts" zeigt der Verhaltensökonom vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, USA, wie irrational der wirtschaftende Mensch handelt.

SZ: Darf ich Ihnen zu Beginn unseres Gesprächs ein Erlebnis berichten?

Ariely: Nur zu.

SZ: Vor einigen Jahren habe ich mein Schlagzeug verkauft. Es war zehn Jahre alt und hatte 1000 Mark gekostet. Drei Wochen in Folge habe ich es für 250 Mark in einer Zeitung inseriert. Es haben viele Leute angerufen, aber niemand wollte es kaufen. Beim letzten Versuch habe ich 500 Mark verlangt. Das Schlagzeug ging sofort weg.Das ist doch absurd, oder?

Ariely: Überhaupt nicht, absurd war eher Ihr Verhalten.

SZ: Warum das denn?

Ariely: Wie haben Sie den Preis festgelegt, den Sie zunächst verlangt haben? Wahrscheinlich sind Sie vom Originalpreis ausgegangen und haben für das Alter des Instruments einen Betrag X pro Jahr abgezogen. Aber warum? Wie sind Sie darauf gekommen? Warum haben Sie nicht nur zehn Prozent nachgelassen?

SZ: 250 Mark schien mir ein fairer Preis zu sein. Und die klassische Ökonomie lehrt doch, dass die Nachfrage steigt, wenn der Preis fällt.

Ariely: Für manche kurzfristigen Phänomene trifft das zu. Ein Produkt einer bestimmten Marke, das Sie kennen und schätzen, gibt es für kurze Zeit für die Hälfte zu kaufen. Es existiert keine Unsicherheit über die Qualität. Das wird den Absatz kurzfristig steigen lassen. In Ihrem Fall war das anders. Sie haben dem Käufer eine Freude gemacht, indem Sie mehr verlangt haben. Jemand, der 500 Mark für das Schlagzeug bezahlt, hat mehr Spaß damit, als jemand, der nur 250 dafür bezahlt hat. Ihre Geschichte ist kein Einzelphänomen.

SZ: Warum ticken Menschen so, selbst wenn sie es besser wissen?

Ariely: Weil Erfahrung und Erwartung unsere Wahrnehmung so stark beeinflussen. Das haben wir in vielen Experimenten immer wieder belegt. Einmal haben wir Probanden Sonnenbrillen gegeben, mit denen sie bei grellem Gegenlicht Wörter von einer Tafel ablesen sollten. Sie hatten immer die gleichen Sonnenbrillen auf. Aber wenn wir ihnen sagten, sie seien von Armani, konnten sie die Wörter besser entziffern. Genauso mit Köpfhörern: Mit vermeintlichen Markenkopfhörern konnten die Probanden auf einmal Wörter besser durch Störgeräusche hindurch hören. Also, warum haben Sie nicht gleich 500 verlangt?

SZ: Das erschien mir zu viel. Es gibt keine rationale Erklärung.

Ariely: Weshalb lassen Sie den Faktor Fairness in diesen Handel? Wenn sie 1000 Euro in bar zehn Jahre lang aufbewahren, für wie viel würden Sie den Betrag anschließend verkaufen?

SZ: Für 1000 Euro natürlich.

Ariely: Genau, weil das Geld nicht schlecht wird. 1000 Euro bleiben 1000 Euro. Und es gibt sogar einige Produkte, deren Wert sich mit dem Alter nicht reduziert. Sie hatten einfach eine bestimmte Vorstellung von einer Wertminderung. Sie haben Ihren Handel nicht rational betrachtet. Es hätte auch jemand kommen können und sagen, dass das Instrument mehr wert ist als früher, weil jemand, der es geliebt hat, zehn Jahre darauf gespielt hat. Es ist kompliziert. Denken Sie mal an eine Tasse Kaffee. Wie viel würden Sie dafür bezahlen?

SZ: Das kommt auf die Qualität des Kaffees an und auf die Umgebung. Und ob es ein schneller Kaffee ist oder ich mich gemütlich hinsetzen kann. . .

Ariely: Das verdeutlicht uns doch, wie unglaublich komplex es ist, einen Preis festzulegen. Sie würden all diese Faktoren in einen Geldbetrag übersetzen. Sagen wir 1,30 Euro für einen schnellen Kaffee, für einen gemütlichen mit einer netten Unterhaltung 2,75 Euro.

SZ: Nur wenn der Kaffee auch gut ist.

Ariely: Sehen Sie, es ist wirklich sehr schwer, das jeweilige Vergnügen, das Ihnen ein Produkt bereitet, in Geld zu übersetzen. Denken Sie an die Differenz zwischen einem schnellen und einem gemütlichen Kaffee. Wie viel ist dieser Unterschied wert?

SZ: In unserem hypothetischen Fall 1,45 Euro. Aber das haben wir uns eben auch nur kurz ausgedacht.

Ariely: Es kommt immer wieder auf die konkrete Situation an. Wir treffen ständig Entscheidungen über Geld und meinen dabei sogar, wir wären gut darin. Aber Geld ist sehr kompliziert.

SZ: Geld macht doch vieles einfacher. Ich muss nicht mit fünf Eiern zum Bäcker gehen und hoffen, dass er mir dafür ein Brot gibt.

Ariely: Natürlich, wir können Geld aufbewahren, wir können es teilen und so weiter. Es macht uns flexibel - gäbe es kein Geld, hätten wir beide unsere Jobs nicht. Wir müssten alle Brokkoli anbauen und Hühner züchten. Aber zur gleichen Zeit macht die Tatsache, dass man mit Geld einfach alles kaufen kann, es unglaublich schwer einzuschätzen, was Geld wirklich wert ist.

SZ: Es gibt doch Bezugsgrößen, nach denen wir uns richten können.

Ariely: Ja. Menschen zum Beispiel, die nach einem Stundenlohn bezahlt werden, fällt es leichter, für sich den Wert der Dinge zu ermitteln. Sie haben einen Nenner: Arbeitszeit.

SZ: Das ist doch auch abstrakt. Niemand rechnet jedesmal alles in Arbeitszeit um, bevor er die Restaurantrechnung bezahlt.

Ariely: Dennoch ist die Bezugsgröße entscheidend. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen am Strand in der Sonne, und ein Freund bietet Ihnen an, Bier zu holen. Er weiß aber nicht, was es kostet. Sie geben ihm so viel Geld mit, wie Ihnen ein Bier wert ist. Einmal geht er in einen nahen Supermarkt. Das andere Mal gibt es nur in einem Hotel in der Nähe Bier zu kaufen. Würden Sie ihm beide Male unterschiedlich viel Geld mitgeben?

SZ: Natürlich, im Hotel ist das Bier sicher teurer.

Ariely: Die Freude, die Ihnen das Bier bereitet, bleibt aber gleich groß. Trotzdem geben Sie ihrem Freund mehr Geld, wenn er zum Hotel geht. Jetzt stelle ich Ihnen die Frage anders: Ihr Freund mag gerne Massagen. Wie viele Minuten Massage würden Sie für ein Bier aus dem Supermarkt und für eines aus dem Hotel geben? Ich sage Ihnen die Antwort: Der Unterschied verschwindet, wenn wir die Bezugsgröße ändern. In Massage-Dauer ausgedrückt sind die zwei Bier für die meisten Menschen nun auf einmal gleich viel Wert. Wir haben eine neue Bezugsgröße, mit der sich eine Ware viel konkreter vergleichen lässt. Das zeigt, wie komplex das Konzept Geld ist und wie schwer es manchmal ist, auf dessen Basis Entscheidungen zu treffen. Deshalb machen die meisten Menschen, was Sie mit dem Schlagzeug getan haben: Sie legen den Preis nach Gefühl fest - sowohl die Verkäufer als auch die Käufer. Und meistens setzen wir dann einen hohen Preis mit Qualität gleich, auch wenn es keinen objektiven Grund dafür gibt.

SZ: Der Mensch funktioniert also generell wie der Weintrinker, der die teure Flasche bevorzugt?

Ariely: Ja. Erwartungen spielen eine riesige Rolle in unserer Wahrnehmung. Das haben alle unsere Experimente bestätigt. Zum Wein gibt es eine wunderbare Studie, in der die Wissenschaftler Tausende Leute blind Weine probieren ließen. Dabei zeigte sich, dass die Korrelation zwischen Preis und Qualität bei Wein leicht negativ ist - nicht Null, sondern leicht negativ: Je teurer der Wein, desto weniger genossen ihn die Leute. Bei Wein-Kennern war der Zusammenhang nicht ganz so ausgeprägt, aber immer noch vorhanden. Aber was passiert, wenn man weiß, welchen Wein man probiert? Die Erwartungen kommen ins Spiel, der teure schmeckt dann besser.

SZ: Dann ist es doch sinnvoll, wenn ich teuren Wein kaufe oder einen höheren Preis für eine Sonnenbrille verlange?

Ariely: Das bringt uns zu einer sehr interessanten und schwierigen Frage. In einem Experiment haben wir untersucht, wie der Preis von Schmerzmitteln die Wirkung beeinflusst. Zunächst testeten wir mit elektrischen Schlägen, wie viel Schmerz die Probanden vertragen konnten. Dann gaben wir ihnen die angeblichen Schmerztabletten, die aber alle nichts als Vitamin C enthielten - es waren Placebos. Dabei sagten wir ihnen entweder, dass es ein teures oder ein billiges Schmerzmittel sei. Später ermittelten wir nochmal die Schmerztoleranz der Probanden.

SZ: Lassen Sie mich raten, die teure Tablette hat den Schmerz besser gelindert.

Ariely: Genau. Aber stellen Sie sich vor, Sie arbeiten für die Arzneimittelzulassungsbehörde. Sie müssen über die Zulassung eines neuen Medikaments entscheiden, das in einer kontrollierten Blindstudie getestet wurde: weiße Pillen, kein Preis, keine Marke. Aber was, wenn Preis und Marke beeinflussen, wie das Medikament bei den meisten Menschen wirkt? Stellen Sie sich vor, zwei Unternehmen stellen ein ähnliches Medikament her. Eines davon wirkt in der kontrollierten Blindstudie ein bisschen schlechter, aber die Arznei und der Hersteller haben einen hervorragenden Ruf und ein sehr gutes Marketing. Außerhalb des Labors vertrauen die Menschen diesem Mittel mehr, und deshalb wirkt es bei ihnen auch etwas besser, obwohl es die schlechtere Arznei ist. Das wirft die Frage auf: Was ist die Realität? Ist es beim Wein der Geschmack, den wir bei der Blindverkostung erleben, oder der Genuss, den wir haben, wenn wir genau wissen, was für einen Wein wir trinken?

SZ: Im Leben gibt es beide Möglichkeiten, die Blindverkostung und die offene Variante. Was ist also der richtige Weg?

Ariely: Bei der nächsten Party fragen Sie lieber nicht danach, ob Sie da gerade einen teuren Wein trinken oder nicht. Um die anderen Fragen zu beantworten, gibt es unter anderem die Verhaltensökonomie. Wir haben zwar nicht alle Antworten parat. Aber wir verfügen über alle wissenschaftlichen Instrumente, um die Antworten zu suchen. Und manchmal untergraben wir dabei die Theorien der klassischen Wirtschaftswissenschaften.

Interview: Sebastian Herrmann

Dan Ariely Foto: Lengemann/Intro

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Sex

Beim Paarungsakt von Stachelschweinen schützt das Weibchen das Männchen vor Verletzungen, indem es seinen Schweif wie eine Schutzdecke über die eigenen Stacheln legt.

Die Versuche des amerikanischen Sexualforschers Alfred Kinsey (1894 bis 1956) waren berüchtigt. Um zu ermitteln, mit welcher Wucht männliches Sperma bei der Ejakulation herausgeschleudert wird, ließ er 300 Männer vor laufender Kamera masturbieren.

Die amerikanische Schauspielerin Mae West ließ zu ihrer Zeit kaum eine Provokation aus. Sie lobte öffentlich die Vorzüge gleichgeschlechtlicher Liebe, stritt sich mit Sittenwächtern und inszenierte 1926 ein Broadway-Musical mit dem Titel "Sex". Die Amerikaner verpassten der Blondine deshalb einen Spitznamen: "Statue of Libido".

Sex am Morgen wird in Slowenien "Hahnenfrühstück" genannt.

Das größte Teleskop des Palomar-Observatoriums nahe San Diego ist aus Pyrex-Glas. Weil das Material bei Bruch keine Splitter oder scharfe Scherben bildet, ist Pyrex-Glas auch bei Dildo-Herstellern beliebt.

Der Seefahrer Christoph Kolumbus brachte ein unangenehmes Souvenir aus der Neuen Welt mit: Bei einer seiner Reisen schleppte die Besatzung seiner Schiffe wahrscheinlich die Geschlechtskrankheit Syphilis nach Europa ein.

Weil der amerikanische Gynäkologe James Platt White seine Studenten ermuntert hatte, einer Frau bei der Geburt eines Kindes zuzusehen, wurde er 1851 aus der American Medical Association ausgeschlossen. Damals durften männliche Gynäkologen selbst während einer Geburt die Genitalien einer Frau nicht zu Gesicht bekommen. Geburten fanden deshalb oft unter einer großen Zahl von Decken statt.

John Harvey Kellog, Erfinder der Cornflakes, war ein radikaler Gegner der Masturbation. Um Mädchen die Lust darauf zu nehmen, sprach er sich dafür aus, ihnen die Klitoris zu verstümmeln.

In Europa war vom späten Mittelalter an ein Nachthemd mit sogenanntem Beischlaf-Schlitz weit verbreitet. Mit dem Kleidungsstück wurde sichergestellt, dass sich die Eheleute auch beim Sex nicht nackt zeigen mussten.

Eine australische Orchideenart bringt männliche Insekten in Wallung, um von ihnen bestäubt zu werden. Ihre Blüten gleichen weiblichen Wespen so sehr, dass die angelockten Männchen die Blumen begatten. Das Täuschungsmanöver ist so erfolgreich, dass die männlichen Wespen sogar ihren Samen in die Blüten ejakulieren.SEBASTIAN HERRMANN

Illustration: Schifferdecker

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Spendables Imperium

Aus dem Hause Finck flossen Millionen an die CSU

Ein eigener Kanzlerkandidat ist Gold wert. Im Jahr 2002, als Edmund Stoiber versuchte, für die Union die Regierung in Berlin zu übernehmen, flossen so viele Spenden wie nie an die CSU: fast 19 Millionen Euro. Gut sieben Millionen davon kamen von Firmen und Verbänden. Auf der Liste der Gönner, die der Bundestag offenlegt, finden sich viele große, bekannte Namen. Doch besonders spendabel zeigten sich fünf Firmen, die sonst nicht in Erscheinung treten. Ihre Geschäftszwecke lauten zum Beispiel auf Verwaltung von Grundbesitz oder Vermögen, eine stellt nebenbei "Fluggeräte" zur Verfügung. Teils residieren sie in denselben Häusern, auch gleichen sich manchmal die Geschäftsführer. Und allen gemein ist, dass sie zum verworrenen Firmenimperium der Milliardärsfamilie von Finck gehören. Insgesamt überwiesen sie 2002 der CSU gut 1,6 Millionen Euro.

Dieses Geflecht ist in dieser Woche aufgefallen, da zwei seiner Unternehmen, wie jetzt bekannt wurde, der CSU im vergangenen Jahr gut 800 000 Euro zukommen ließen, am selben Tag und eine Woche vor der Landtagswahl. Die CSU konnte Geld gut gebrauchen. Der Wahlkampf, vor allem seine Schlussoffensive, kostete viel Geld; wie viel genau, ist nach Angaben der CSU noch unklar, insgesamt dürften es etwa elf Millionen Euro gewesen sein. Doch nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung waren diese Spenden eben kein Sonderfall, vielmehr zählen zu Finck gehörende Firmen seit langem zu den größten Gebern der CSU. Rechnet man jene gut 100 000 Euro dazu, die Patriarch August von Finck persönlich stiftete, kamen seit 1998 insgesamt 3,7 Millionen Euro zusammen. Der Baron ist gebürtiger Münchner, residiert inzwischen offenbar weitgehend in der Schweiz, hält aber weiter sein Schloss Seeseiten am Starnberger See.

Doch nie überweist die Finck'sche Hauptverwaltung selbst oder die ihr zu gut 90 Prozent gehörende Custodia Holding AG, sondern immer kleinere Firmen: die DSK Grundbesitz-Verwaltungs GmbH, die Pacelli Beteiligungs GmbH & Co. KG, die Clair Immobilien Deutschland GmbH oder auch die VuW Versicherungs- und Wirtschaftsdienst GmbH. Deren früherer Chef etwa ist unter anderem Generalbevollmächtigter der Finck'schen Hauptverwaltung und Chef von DSK, gemeinsam mit einem Herrn, der zudem für diverse weitere Finck'sche Firmen tätig ist.

Zum Beispiel für die Mercator Verwaltung GmbH, die August Heinrich von Finck gehört und die der CSU seit 1999 mehr als 1,4 Millionen Euro überwiesen hat. Sie hat nun die Grünen auf den Plan gerufen: Es gebe den Verdacht, "dass der Urheber mehrerer großer Spenden an die CSU verschleiert werden sollte", sagt Grünen-Landeschefin Theresa Schopper. Ihren Argwohn geweckt hat die Tatsache, dass Mercator laut dem Wirtschaftsauskunftsdienst Creditreform in den Jahren 2005 bis 2007 jeweils einen Umsatz von 1,1 Million Euro gemacht hat. Also scheint sie eine eher kleine Firma zu sein, die gleichwohl riesige Summen an die CSU gibt. Schoppers Verdacht: Die Spenden kämen von Dritten, die nicht genannt werden - was nach dem Parteiengesetz verboten wäre. Dafür gebe es "keinerlei Anhaltspunkte", entgegnet ein CSU-Sprecher. Doch Schopper fordert das Bundestagspräsidium auf, die Spenden zu überprüfen.Kassian Stroh

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Landespolitik

Was Kübelböck kann, kann Seehofer auch

Helmut Kohl hat es getan, Gerhard Schröder natürlich auch, und Franz Josef Strauß ist damit nicht ganz fertig geworden. Sehen Politiker das Ende ihrer Karriere heraufziehen, dann ereilt sie oft der Mitteilungsdrang. Sie wollen die Welt an ihrem Wirken teilhaben lassen, den Lauf derselben verstehbar machen, den sie selbst so oft zu beeinflussen suchten. Nun kann sich auch Ministerpräsident Horst Seehofer vorstellen, sein Leben niederzuschreiben - obwohl er sein bislang wichtigstes Amt gerade erst vor 100 Tagen angetreten hat. In den Memoiren wären auch "die Gedanken zu Rücktritten, neuen Ämtern und all dem anderen Auf und Ab" enthalten, sagte er dem Magazin Cicero.

Hinter "all dem anderen Auf und Ab" verbirgt sich wohl der Aspekt der Seehoferschen Biographie, weswegen auch politische Uninteressierte einen solchen Schmöker zu lesen bereit wären. Bei des Ministerpräsidenten Hang zur Andeutung und seiner schon professionalisierten Vorliebe dafür, sich selbst möglichst gut dastehen zu lassen, dürfte das Kapitel über seine persönlichen Auf und Abs allerdings recht kurz ausfallen. Liebhaber des unsteten Politiker-Privatlebens dürften also enttäuscht werden, aber vielleicht erfahren ja Parteifreunde aus den Memoiren ihres Chefs endlich Aufschlussreiches.

Was er wirklich denkt, wenn er während der Plenarsitzung so milde lächelnd auf der Regierungsbank sitzt, zum Beispiel. Was er dann so alles in sein Handy tippt. Was ihm der Papst bei seiner Privataudienz tatsächlich gepredigt hat. Und natürlich, was er wirklich von seinen Parteifreunden hält.

Edmund Stoiber hat seine Erinnerungen bislang nicht niedergeschrieben, auch Günther Beckstein nicht. Seehofer wäre der erste CSU-Ministerpräsident mit eigener Biographie und könnte damit auch den von ihm verehrten Franz Josef Strauß übertrumpfen. Einschränkend bleibt freilich zu erwähnen, dass andererseits sogar der einstige Deutschland-sucht-den Superstar-Teilnehmer Daniel Küblböck schon ein Buch über sein Leben geschrieben hat. Genauso wie Rapper Bushido und Kurzzeit-SPD-Chef Kurt Beck. Auch in Bayern müsste sich Seehofer einem Sozi geschlagen geben. Als erster Ministerpräsident verfasste Wilhelm Hoegner 1959 seine Memoiren. Der Titel: "Der schwierige Außenseiter". Katja Auer

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Seehofer zieht positive 100-Tage-Bilanz

München - CSU-Chef Horst Seehofer sieht seine Partei rund 100 Tage nach seinem Amtsantritt "auf dem richtigen Weg". In einer Bilanz seiner bisherigen Arbeit schrieb Seehofer in der CSU-Zeitung Bayernkurier, die Stimmung für die Partei habe sich "deutlich verbessert". Die Bürger trauten der CSU zu, auch in der aktuellen Rezession die Probleme zu lösen. Seehofer hob ferner hervor: "Der Kampfgeist der CSU lebt." Es sei "politische Klugheit der Partei" gewesen, "sich nach der einschneidenden Wahlniederlage nicht durch die Suche nach Sündenböcken selbst zu zerfleischen". Allerdings liege immer noch "ein gutes Stück harter politischer Arbeit vor uns". Der CSU-Chef fügte hinzu: "In den vergangenen 100 Tagen haben wir vieles in Bewegung gebracht." So sei die CSU "jünger und weiblicher geworden". Insgesamt sei die Partei "gut gerüstet für die Entscheidungen dieses Jahres". Seehofer war am 25. Oktober vergangenen Jahres zum neuen CSU-Chef und zwei Tage später zum bayerischen Ministerpräsidenten gewählt worden. ddp

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67 800 Arbeitslose mehr im Freistaat

Nürnberg - Die Rezession macht sich mittlerweile auch auf dem bayerischen Arbeitsmarkt bemerkbar. Weil zudem der Winter bislang besonders hart war, stieg die Zahl der Arbeitslosen im Freistaat im Januar um 67 800 auf 330 600. Die Arbeitslosenquote schnellte binnen Monatsfrist um einen vollen Prozentpunkt auf 5,0 Prozent hoch. Vor einem Jahr hatte die Quote bei 5,3 Prozent gelegen. Der bayerische Arbeitsmarkt befindet sich nach Angaben des Chefs der Regionaldirektion, Rainer Bomba, in einer guten Ausgangslage. Die niedrigste Quote weist Donauwörth mit 3,1 Prozent auf, gefolgt von Freising und Ingolstadt mit jeweils 3,2 Prozent. Spitzenreiter ist Hof mit 7,8 Prozent. Es folgen Passau (6,9), Bayreuth (6,5) sowie Deggendorf und Coburg (jeweils 6,4 Prozent). dpa

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Jede Nacht in die Mündung des Revolvers blicken

Die Angst im Kopf

Mike Muche war ein Macho, ein bärenstarker Polizist - dann erschoss er im Dienst einen Menschen

Von Olaf Przybilla

Schweinfurt - Als der Notruf am 3. März 2004 gegen 23 Uhr bei der Polizei in Schweinfurt einging, deutete alles auf einen Routineeinsatz hin. Eine Frau fühlt sich bedroht von ihrem Partner, sie bittet um Hilfe. Wenig später traf der Streifenpolizist Mike Muche gemeinsam mit einem Kollegen an der Haustür in einem bürgerlichen Stadtteil in Schweinfurt ein. Eine Frau öffnete, sie schien sehr gelassen. In der Erinnerung von Mike Muche, 51, dauerte es von da an höchstens noch zwei Minuten. Danach hatte der Polizist den Bruder jenes Freundes erschossen, mit dem er zwei Monate zuvor gemeinsam Silvester gefeiert hatte. Fünf Schuss feuerte Muche ab, drei davon trafen den Mann in den Bauch.

Zwar kann man Muche auch heute noch bei der Polizei antreffen. Das Areal der Bereitschaftspolizei in Nürnberg betritt er freilich nur, um sich dort mit ehemaligen Kollegen, denen es ähnlich ergangen ist wie ihm, über sein Trauma auszutauschen. Muche ist ein Bär von einem Mann, Polizist aber ist er nicht mehr. Wie bei Skispringern sei das, hatten ihm die Psychologen kurz nach dem Einsatz erzählt: Hat man einen schweren Sturz hinter sich, dann muss man so schnell wie möglich wieder von der Schanze springen. Muche fuhr also wieder Streife, kontrollierte Autos, schlichtete bei Ehestreit. Bis er beinahe noch einen Menschen erschossen hätte - diesmal nicht aus Notwehr, sondern aus Angst vor der Wiederkehr eines Traumas.

Zwei Minuten bis zum Tod

Im Grunde, sagt Muche, sind es genau drei sich selbst eingestandene Worte, die sein Leben verändert haben: "Ich habe getötet." Muche galt als Macho, nicht nur in der Polizeiinspektion. Hätte man ihm vorab die Situation geschildert, mit der er sich in der Wohnung des Mehrfamilienhauses konfrontiert sah - Muche ist sich sicher, er hätte geantwortet: "Wenn mich einer mit seiner Knarre bedroht, dann blas' ich den halt weg." Seit vier Jahren gilt Muche nun als kranker Mann. Er kann kaum mehr schlafen, erzählt er. Und wenn er doch einschläft, dann wacht er irgendwann auf - und blickt in die Mündung eines Revolvers.

Was Muche in der Schweinfurter Wohnung erlebt hat, nennen amerikanische Polizeipsychologen "suicide by cop". Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen Muche eingestellt. Sie geht davon aus, dass der Mann, den Muche erschossen hat, in jener Nacht unbedingt sterben wollte, dies allerdings nicht von eigener Hand. Es scheint so, als habe der Mann einen Streit mit seiner Partnerin nur deswegen angezettelt, damit die Polizei kommen muss - und ihn in einer vermeintlichen Notwehrsituation tötet.

Gustav Regener (Name geändert) war der zweite Mann bei dem Einsatz. Er ist mindestens zwei Köpfe kleiner als Muche. Das aber war nicht der Grund, warum Muche und nicht Regener als erster die Wohnung des Paars betrat. Muche und Regener wechselten sich konsequent ab bei ihren Einsätzen - einer machte die Schreibarbeit, der andere ging voran. Regener betrat die Wohnung erst, als er seinen Kollegen rufen hörte: "Vorsicht, der hat 'ne Knarre." Kurz darauf kam der Mann mit der Knarre aus dem Wohnzimmer, blieb einen halben Meter vor Regener stehen und zückte die Waffe. Es fiel ein Schuss und Regener kippte nach hinten um. Als sich der Mann aus dem Wohnzimmer danach Muche zuwendete, feuerte Muche los. Die Kollegen teilten ihm später mit, dass der Mann, der nach drei Tagen seinen Verletzungen erlag, nur eine Schreckschusspistole in der Hand gehalten hatte. Drei Jahre später beschied ihm die zuständige Behörde, es bestehe deswegen kein Anspruch auf ein bestimmtes Ruhestandsgehalt - denn ein Kriterium, die "objektive Lebensgefahr", sei bei dem Einsatz nicht erfüllt gewesen. Erst auf Intervention des damaligen Innenministers Günther Beckstein besann sich das Amt einer anderen Auslegung der Paragraphen.

Der Bruder des Freundes

Muche hat bei dem Einsatz den Bruder eines seiner besten Freunde erschossen. Aus purem Zufall hatte er ihn nie zuvor kennengelernt. Auch mit der Mutter der beiden Brüder pflegte der Polizist ein freundschaftliches Verhältnis. Aber erst drei Monate nach dem Vorfall hat es Muche übers Herz gebracht, sich mit dem Bruder des Getöteten zu treffen. Drei Stunden, erzählt Muche, habe man geredet und gemeinsam geweint. Zwar will die Familie des Getöteten nicht glauben, dass sich der Mann mit der Schreckschusspistole in dieser Nacht das Leben nehmen wollte. Aber Vorwürfe habe ihm sein ehemaliger Freund niemals gemacht. Im Frieden sei man auseinander gegangen. Auseinander? "Der Mann, den ich erschossen habe, war sein Bruder", sagt Muche - eine Freundschaft könne man da nicht mehr leben.

Gustav Regener, er ist wie Muche 51 Jahre alt, fährt weiter Streife. Er weiß seit der Nacht, was es heißt, für ein paar Augenblicke unter Todesangst zu leiden. Wenn Muche von Schweinfurt aus zur Selbsthilfegruppe der Polizisten nach Nürnberg fährt, dann begleitet ihn sein ehemaliger Kollege Regener dabei. Muche sagt, das vielleicht Schlimmste an seinem neuen Leben sei es, sich nur mit ganz wenigen Menschen wirklich darüber verständigen zu können, wie sich Todesangst anfühlt. Einen Menschen aber, der auch weiß, wie es sich anfühlt, den Bruder eines Freundes erschossen zu haben - so einen Menschen hat Muche bislang noch nicht getroffen.

Zwei Wochen nach dem Einsatz ist Muche zum ersten Mal wieder Streife gefahren. Alles schien wie immer, erzählen seine Kollegen. Nur die Sprüche, mit denen der Große mit den blauen Augen sie wie immer unterhalten habe, seien noch härter gewesen. In Wahrheit hat er sich bei jedem Einsatz "vor Angst fast in die Hose gemacht", sagt Muche. Monate hat es gedauert, bis er sich eingestehen konnte, dass er Hilfe braucht in einer Klinik. Dort haben ihm die Ärzte geraten, seine Geschichte aufzuschreiben, als Form der Therapie. Der Verlag Edition Nove hat die Geschichte jetzt unter dem Titel "Ich habe getötet" als Buch veröffentlicht.

Mike Muche gilt heute als kranker Mann. Er hat im Dienst den Bruder eines Freundes erschossen, seitdem ist nichts mehr wie es war. Foto: Daniel Peter

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Razzia bei Skinhead-Gruppe

Polizei in Augsburg zerschlägt rechtsextreme Bande

Augsburg - Sie geben sich nach Angaben der Polizei offen nationalistisch und fremdenfeindlich, tragen aber einen englischen Namen. "Hate Crew Schwaben" ("Hass-Bande Schwaben") nennen sich 15 bis 20 Skinheads, die von Augsburg aus in ganz Bayern und auch in Baden-Württemberg aufmarschieren. Am Mittwoch untersuchte die Kriminalpolizei Augsburg die Wohnungen von neun Bandenmitgliedern in den Landkreisen Augsburg, Donau-Ries und Unterallgäu sowie in Schwäbisch Hall. Dabei wurden Baseballschläger und Schlagstöcke, mehrere tausend Tonträger mit verfassungsfeindlichen Inhalten sowie hunderte Kleidungsstücke sichergestellt. Die Staatsanwaltschaft Augsburg ermittelt gegen sieben Männer im Alter von 26 bis 33 Jahren wegen des Verdachts auf Verbreiten von Propagandamitteln, Volksverhetzung, Gewaltdarstellung, Aufstachelung zum Rassenhass sowie Geldwäsche und Schwarzarbeit.

Die Ermittler werfen den führenden Mitgliedern der Gruppe vor, ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf verbotener CDs und anderer indizierter Gegenstände verdient zu haben. Einer der Beschuldigten soll verfassungsfeindliche Tätowierungen angefertigt haben. Nach Angaben der Polizei demonstrieren die Skinheads ihre Zusammengehörigkeit mit Fahnen und schwarzen Bomberjacken, auf denen ein Totenkopf abgebildet ist. Sie pflegten enge Kontakte zu anderen rechtsgerichteten Kameradschaften und Vereinigungen und engagierten sich teilweise auch politisch innerhalb der NPD. Die Verdächtigen, die teilweise bereits wegen Gewaltdelikten polizeibekannt sind, sind auf freiem Fuß. Gegen manche Gruppenmitglieder bestehe kein strafrechtlich relevanter Verdacht.

Vor der Razzia hatte die Polizei neun Monate lang ermittelt. Im Oktober hatte sie ein illegales Rockkonzert in Thierhaupten (Landkreis Augsburg) beendet. Dabei wurden Waffen, verbotene Tonträger und Kleidungsstücke beschlagnahmt, die zum Kauf angeboten worden waren. Stefan Mayr

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Mehr Freistaat im Netz

München - Mehr Informationen auf einen Blick verspricht die Staatsregierung den Nutzern ihrer neu gestalteten Internetseite. "Ohne langes nach-unten-Rollen auf der Startseite bieten wir kompakte Informationen und Zugang zu umfassendem Service für alle Bürgerinnen und Bürger", sagte Staatsminister Siegfried Schneider (CSU) zu der neuen Präsentation. Eingerichtet wurde auch eine Mediathek auf der ersten Seite. Unter www.bayern.de finden sich Angaben zu Politik und Leben im Freistaat sowie über das Land selbst. Das größte Serviceangebot steckt hinter dem Schaltfeld "Verwaltung auf einen Klick": Dort gibt es sortiert nach Lebenslagen Informationen über staatliche Leistungen und die Antragsformulare dazu. ddp

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Stiftung trägt Kosten der Sanierung

Eine Kirche wird trockengelegt

Der Dom verschwindet für Jahre hinter Baugerüsten

Von Monika Maier-Albang

In den vergangenen Jahren ging es einfach nicht: Papstbesuch, WM und dann noch der 850. Stadtgeburtstag. Fernsehkameras und Touristen aus aller Welt blickten auf München - da konnte das Wahrzeichen der Stadt nicht verhüllt werden. Jetzt hat das Staatliche Bauamt eine Generalsanierung der bröckelnden Fassade in Angriff genommen. Der Dom bleibt deshalb für einige Jahre eingerüstet.

Seit Jahren ist die Domfassade ein Sorgenkind: Ziegel- und Gesteinsbrocken lösen sich. Damit nichts herabfällt, sind Teile der Fassade mit Netzen gesichert. Zudem war man dazu übergegangen, den Dom zweimal im Jahr mit einem hydraulischen Kran abzufahren, um loses Gestein einzusammeln. Schließlich muss der Freistaat, der für die Fassade des Doms zuständig ist, sicherstellen, dass niemand zu Schaden kommt. Im Oktober hatte das Bauamt begonnen, den Nordturm bis unter die Spitze einzurüsten. Inzwischen steht das Gerüst und sobald es freigegeben ist, werden Experten das Mauerwerk unter die Lupe nehmen.

Alle bisherigen Anstrengungen waren Stückwerk - jetzt soll die Fassade von Grund auf untersucht und saniert werden. Vor allem an der Wetterseite hat Regenwasser dem Mauerwerk stark zugesetzt. Die bis zu vier Meter dicken Wände sind so durchnässt, dass Michael Hauck, der vom staatlichen Bauamt als Experte hinzugezogene Leiter der Passauer Dombauhütte "irreparable Schäden" befürchten für den Fall, dass jetzt nicht gehandelt werde. Die Sanierung wird sich über Jahre hinziehen. Wie lange - und welche Kosten entstehen, dazu wagt momentan niemand eine Prognose. Hauck spricht nur von einer "gewaltigen Aufgabe".

Für voraussichtlich drei Jahre bleibt zunächst der Nordturm eingerüstet. An ihm wollen die Sachverständigen die Schäden genau untersuchen und dann testen, was zu tun ist. Kurt Bachmann, Leiter des staatlichen Bauamtes München I, vermutet, dass vor allem die nach dem Krieg notdürftig durchgeführten Reparaturen dem Mauerwerk zusetzen. Der im 15. Jahrhundert unter dem Baumeister Jörg von Halspach errichtete Liebfrauendom war ursprünglich aus gebrannten Ton-Lehmziegel errichtet und mit Kalkmörtel verfugt worden. Diese alten Ziegel, die in den städtischen Fabrikationsstätten in Haidhausen entstanden, sind bis heute gut erhalten. Bei den Nachkriegsziegeln indes ist die Oberfläche im Laufe der Zeit porös geworden. Auch der Mörtel, den man damals verwendete, stellte sich als ungünstig heraus: Er ist mit Zement versetzt, was ihn eigentlich stabiler machen sollte. De facto aber ist er heute brüchiger als der ursprüngliche, reine Kalkmörtel. Beides bietet Bachmann zufolge "Angriffsfläche für das Regenwasser". Hinzu kommt, dass der an den Bögen verwendete Tuffstein das Wasser offenbar regelrecht in das Mauerwerk saugt. Ursprünglich war der Naturstein mit Kalkmörtel verputzt, der heute fehlt.

Nun wäre das Regenwasser allein kein Problem. Dass die Ziegel ab und an nass werden, ist normal. Normalerweise müssten sie aber auch wieder austrocknen. Diese Fähigkeit zur Selbstregulation ist der Domfassade abhanden gekommen. Von einer "Störung im Feuchtehaushalt", spricht Hauck. Woran das liegen könnte, wissen die Spezialisten bislang nicht. Sie vermuten, dass bei Ausbesserungsarbeiten in den vergangenen Jahrzehnten Materialien verwendet wurden, die die Verdunstung behindern. Im Februar wollen Experten nun am Nordturm mit einer "Schadenskartierung" beginnen. Restauratoren werden Ziegel für Ziegel untersuchen, Chemiker und Bautechniker werden herauszufinden versuchen, wie weit das Wasser bereits ins Mauerwerk eingedrungen ist und wie stark es durch Säuren und Salze geschädigt ist. Bauamt und Ordinariat stellen sich auf eine lange, weil "behutsame und nachhaltige Sanierung" (Bachmann) ein - und auf erhebliche Kosten. Die muss, so haben es Freistaat und Heiliger Stuhl im Konkordat von 1924 geregelt - zunächst die Kirchenstiftung des Doms tragen. Erst wenn die Stiftung zahlungsunfähig wäre, müsste der Staat einspringen, wovon bislang aber nicht die Rede ist. "Um Geld wird hier nicht gestritten. Wir haben ein gemeinsames Interesse, den Dom in einem guten Zustand zu halten", sagt Domdekan Lorenz Wolf. Im ersten Sanierungsjahr hat die Kirchenstiftung schon mal eine halbe Million Euro veranschlagt.

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Warnstreik verläuft glimpflich

Beim Warnstreik der Eisenbahner-Gewerkschaften Transnet und GDBA sind die Münchner Fahrgäste mit einem blauen Auge davongekommen. "Wir wollten heute noch nicht die ganze Republik lahmlegen", betont Transnet-Vorstandsmitglied Martin Burkert, der sich am Donnerstagmorgen gemeinsam mit transparentbewehrten Streikenden an der Arnulfstraße postiert hat. In der ersten Stufe des Arbeitskampfes fielen daher nur wenige Züge von und nach München aus. Betroffen war vor allem die Verbindung Richtung Nürnberg, auf der nach Bahn-Angaben zwei Regionalzugpaare und ein Intercity ausfielen. Ein Nahverkehrszug aus Memmingen erreichte streikbedingt erst mit eineinhalb Stunden Verspätung die Landeshauptstadt.

Etwa 90 Bahnmitarbeiter, vor allem Servicekräfte und Zugbegleiter, beteiligten sich nach Gewerkschaftsangaben an dem Ausstand in München, der von 4.30 bis 7.30 Uhr dauerte. Viele von ihnen verbrachten die Zeit bibbernd vor dem Eingang des Hauptbahnhofs - "die Bahn hat uns aus der Halle geworfen", berichtet Paul Eichinger, der Streikleiter der Verkehrsgewerkschaft GDBA. Bis einschließlich Sonntag sollen keine Streiks stattfinden, da die Verhandlungen weitergehen. Was dann passiert, ist offen - normalerweise werden Arbeitskämpfe so organisiert, dass die Auswirkungen mit jedem Streiktag gravierender werden.

In München wäre die wohl höchste Eskalationsstufe ein Streik bei der S-Bahn, die wegen des Nadelöhrs Stammstrecke relativ leicht lahmzulegen ist. Am Donnerstag verzichteten die Gewerkschaften auf diesen Schritt, die Züge fuhren frühmorgens ganz normal. Dass am Nachmittag trotzdem nichts mehr ging auf der Stammstrecke, hatten die Fahrgäste nicht den Streikenden, sondern einer Stellwerksstörung am Ostbahnhof zu verdanken. Zeitweise konnten nur vereinzelt Züge passieren. Das Chaos dauerte, wie so oft, mehrere Stunden.dh

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Arbeitslosenquote steigt auf 4,9 Prozent

Die Arbeitslosenquote ist im Januar ein gutes Stück gestiegen. Im Bezirk der Münchner Arbeitsagentur sind aktuell 57 425 Menschen arbeitslos gemeldet. Das sind 6368 mehr als noch im Dezember. Die Quote stieg damit von 4,3 auf 4,9 Prozent. "Viele befristete Arbeitsverhältnisse wurden nicht verlängert", erklärt Agenturchef Bernd Becking. Insgesamt zeige sich der Münchner Arbeitsmarkt damit jedoch als "noch robust". budd

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Krach in der Landtags-Koalition

FDP stimmt gegen CSU für die Aufnahme von Uiguren

Guantanamo bewegt weiter die Gemüter, nun auch in der Regierungskoalition aus CSU und FDP im Landtag. Es geht um die Frage, ob der Freistaat seine Bereitschaft erklärt, nachweislich unschuldige uigurische Häftlinge aufzunehmen, wenn die USA ihr Lager auf Kuba schließen. Die Debatte endete in einem Novum, seit die CSU die Macht mit der FDP teilen muss: Erstmals stimmte die kleine Regierungsfraktion mit der Opposition - und die CSU ist mächtig vergrätzt.

Begonnen hat am Donnerstag alles mit einem Dringlichkeitsantrag der SPD im Rechtsausschuss des Maximilianeums: Die Staatsregierung solle bei der Bundesregierung ihre Bereitschaft erklären, 17 unschuldige Uiguren aufzunehmen. München biete sich dafür an, da hier Europas größte Gemeinde der in China unterdrückten ethnischen Minderheit lebt. Es entspann sich, wie Teilnehmer berichten, eine turbulente Diskussion, in deren Verlauf der FDP-Abgeordnete Andreas Fischer einen Änderungsantrag einbrachte. Darin ist die konkrete Zahl 17 gestrichen, und es heißt, die Bundesregierung solle "im Rahmen einer internationalen Lösung" unschuldige Uiguren aufnehmen. Gegen diese Formulierung hatte die Opposition aus SPD, Grünen und Freien Wählern nichts einzuwenden, und so stimmten FDP und Opposition gemeinsam dafür.

Dass der Antrag dennoch nicht durchging, liegt allein daran, dass die CSU in den Ausschüssen die Hälfte der Abgeordneten stellt, also eine Sperrminorität hat. Der Münchner SPD-Abgeordnete Markus Rinderspacher kündigte an, in der kommenden Woche die FDP-Formulierung wortgleich ins Plenum einzubringen. "Wir gehen davon aus, dass die Liberalen ihr Bekenntnis zu den Menschenrechten auch gegen den Widerstand der CSU zum Ausdruck bringen werden." Im Plenum hätte die CSU alleine keine Sperrminorität mehr.

CSU-Fraktionschef Georg Schmid ist seinerseits sauer auf die FDP: Die Koalitionsvereinbarungen seien verletzt worden, "das wird ein Nachspiel haben." FDP-Mann Fischer aber ist sich keiner Schuld bewusst, den großen Partner düpiert zu haben. Er habe seinen Änderungsantrag vorher mit der CSU abgestimmt und sei davon ausgegangen, die Koalitionskollegen würden diesem Kompromiss zustimmen: "Ich war im allerbesten Glauben." Er habe keine Erklärung für die Verweigerung der CSU.

Bernd Kastner

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Teure Trennung

Fraport gibt Beteiligung am Airport Hahn für symbolischen Preis ab

Von Harald Schwarz

Frankfurt - Eigentlich hätte die Angelegenheit am Mittwoch dieser Woche publik gemacht werden sollen. Doch das klappte nicht, weil Politiker ein Wörtchen mitzureden haben. Nun wollen der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport und die Landesregierungen von Rheinland-Pfalz und Hessen nach Informationen der Süddeutschen Zeitung am nächsten Mittwoch bekanntgeben, wie es mit dem Hunsrück-Flughafen Hahn weitergehen soll. "Das ist so gut wie spruchreif und somit nur noch eine Sache von Tagen", sagte eine mit den Vorgängen vertraute Person, was in Kreisen der Landesregierung in Mainz bestätigt wurde.

Diesen Angaben zufolge ist sich Fraport mit dem Wirtschafts- und Verkehrsminister von Rheinland-Pfalz, Hendrik Hering, bereits einig: Dessen Land, das ebenso wie Hessen mit 17,5 Prozent "am Hahn" beteiligt ist, übernimmt die 65 Prozent aus dem Besitz des Frankfurter Flughafenbetreibers. Hessen strebt eine Kompensation für jene Zahlungen respektive Subventionen in rheinland-pfälzische Infrastruktur rund um den Hunsrück-Airport an und reicht dann seine 17,5 Prozent an Rheinland-Pfalz weiter. Der "Hahn", ein ehemals wichtiger Luftwaffen-Stützpunkt der US-Streitkräfte in Europa, wäre wieder komplett in Landeseigentum. Offiziell äußern will sich dazu noch keine der an den Transaktionen beteiligten drei Adressen.

Seit Jahren produziert der Flughafen Hahn nur Verluste. Um diese kurzfristig zu verringern und auf mittlere Sicht Gewinne anpeilen zu können, wollte Fraport dort eine Terminalgebühr, den sogenannten Hahn-Taler, von drei Euro je Passagier einführen. Dagegen lief der Billigflieger Ryanair Sturm. Er ist Hauptkunde auf dem Hunsrück-Flughafen. Er hatte Erfolg: Minister Hering verhinderte den Hahn-Taler. Seither ist klar: Fraport will seine Beteiligung loswerden. Auf einen hohen Kaufpreis für das rote Zahlen schreibende Unternehmen können die Frankfurter nicht spekulieren. Der Preis werde "nur von symbolischer Natur" sein, heißt es. Das bedeutet: Statt des Hahn-Talers wird es für Fraport einen Hahn-Euro geben.

Zudem wird bei dem Flughafen-Konzern eine Abschreibung auf das Engagement im Hunsrück in Höhe von etwa 35 Millionen Euro fällig. Dem Vernehmen nach hofft Fraport, die 2008 "am Hahn" entstandenen Verluste in Höhe von 20 Millionen Euro auf den neuen Airport-Eigentümer abwälzen zu können. "Diese Chance gibt es. Das würde die Fraport-Bilanz für 2008 entlasten", so die mit den Vorgängen vertraute Person. Rheinland-Pfalz müsste diesem Konzept zufolge auch die Hahn-Schulden von 120 Millionen Euro übernehmen.

Für den Frankfurter Flughafenbetreiber endet somit in Kürze der Ausflug in die 120 Kilometer entfernte Provinz im Hunsrück. In den Aufbau des dortigen Flughafens steckte Fraport in den zurückliegenden Jahren 130 Millionen Euro. Der Charme des Projekts war unter anderem, dass es "am Hahn" kein Nachtflugverbot gibt, wovon vor allem der Cargo-Verkehr profitiert.

Das politische Veto gegen den Hahn-Taler machte ein Festhalten an dem Engagement für Fraport aber uninteressant. Der Frankfurter Konzern hofft nach den Worten von Vize-Chef Stefan Schulte, weiterhin "in der einen oder anderen Form" mit Hahn kooperieren zu können. Schulte hält nun Ausschau nach neuen Airport-Beteiligungen.

Das Land Rheinland-Pfalz will den Flughafen übernehmen. Foto: dpa

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Embraer mag es etwas größer

Der brasilianische Hersteller will nicht mehr nur kleine Flugzeuge bauen - und könnte so ein ernster Herausforderer für Airbus werden

Von Jens Flottau

São José dos Campos - Der brasilianische Flugzeughersteller Embraer erwägt, seine Produktpalette nach oben zu erweitern und größere Flugzeuge als bisher zu bauen. Das Unternehmen prüft derzeit mehrere Szenarien und will sich voraussichtlich in etwa zwei Jahren auf einen Weg festlegen, wie Embraer-Chef Frederico Curado im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung sagte. Wegen der Weltwirtschaftskrise reduziert Embraer die Produktion aber deutlich.

Der drittgrößte Flugzeugproduzent der Welt baut Maschinen mit bis zu 120 Sitzen, die damit kleiner sind als die kleinsten Modelle von Airbus und Boeing. Mit einer weiteren Modellreihe darüber, würde sich Embraer erstmals direkt in Konkurrenz zu den beiden Herstellern begeben, die sich bislang den Weltmarkt bei großen Passagierflugzeugen teilen.

Kapazitäten steigen

"Die Kapazität neuer Flugzeuge wird im Durchschnitt wachsen", so Curado. Maschinen, die weniger als 70 oder 80 Sitze hätten, würden langsam vom Markt verschwinden, weil die Stückkosten den Airlines einen profitablen Einsatz nicht mehr erlauben würden, prognostiziert der Embraer-Chef. Deswegen sei es auch "sehr unwahrscheinlich", dass Embraer in diesem Segment investieren werde. Andererseits wolle er auch noch warten, bis wichtige Technologien serienreif sind. "Wir wollen keine halben Schritte machen", sagt Curado. Ein neues Flugzeug müsse mindestens 15 bis 20 Prozent geringere Kosten erreichen als die bislang existierenden Modelle. Entscheidend dafür, dass dies gelinge, seien neue Triebwerke.

Airbus und Boeing haben ebenfalls erste Studien für die Nachfolger ihrer Verkaufsschlager A320 und 737 gestartet. Die beiden Konzerne streben derzeit an, um das Jahr 2020 ein neues Flugzeug auf den Markt zu bringen. Embraer wäre mit dem Konkurrenzmodell drei bis vier Jahre früher bereit, wenn der aktuelle Zeitplan eingehalten wird. Allerdings gibt es Überlegungen, dass die neuen Airbus- und Boeing-Jets deutlich größer werden könnten als ihre derzeit eingesetzten Vorgänger. Dadurch würde sich eine Marktlücke ergeben, die Embraer und der kanadische Hersteller Bombardier (mit seiner C-Serie) füllen könnten. "Wir behalten natürlich im Auge, was Airbus und Boeing tun", sagt Curado. "Aber wir können heute nicht voraussagen, wie sie sich entscheiden werden."

Die strategischen Überlegungen sowohl Embraers als auch Bombardiers machen deutlich, dass die beiden bisherigen Marktführer in einem wichtigen Teil ihres Geschäftes neue Konkurrenz bekommen. Darüber hinaus entwickeln russische, chinesische und japanische Hersteller neue Regionalflugzeuge, die ihrerseits den traditionellen Anbietern in diesem Segment - Embraer und Bombardier - Konkurrenz machen werden.

Zunächst aber will Embraer mit einer äußerst vorsichtigen Strategie den aktuellen Abschwung überwinden. Das Unternehmen reduziert die Produktion seiner Regionalflugzeuge von 160 im Jahr 2008 auf nur noch 125 im laufenden Jahr, obwohl bislang noch keine Abbestellungen eingegangen sind und bislang nur wenige Kunden Termine verschieben wollen. "Fehlende Finanzierungsmöglichkeiten sind eine Tatsache", so Curado. Der brasilianische Staat unterstützt die Kunden fallweise mit Bürgschaften, hat aber anders als Frankreich und Deutschland keine über die bisherige Exportförderung hinausgehenden Pläne.

Embraer-Fabrik in Brasilien: Der Flugzeughersteller baut bislang Maschinen mit bis zu 120 Sitzen. Doch größere Modelle sind geplant. Foto: Bloomberg

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Lufthansa lehnt Staatshilfe für die Konkurrenz ab

Die Fluggesellschaft fürchtet Nachteile, wenn die Regierung bei der Finanzierung von Airbus-Jets einspringt

Von Jens Flottau

São José dos Campos - Die Lufthansa hat die geplanten Hilfen für die Kunden des Flugzeugherstellers Airbus als Wettbewerbsverzerrung kritisiert. "Das ist ärgerlich", sagte Lufthansa-Chefeinkäufer Nico Buchholz am Rande einer Veranstaltung in São José dos Campos in Brasilien mit Blick auf die staatlichen Pläne. "Konkurrenz ist gut, aber wir wollen faire Konkurrenz", forderte Buchholz.

Die Bundesregierung hatte ebenso wie die französische Regierung angekündigt, Fluggesellschaften zu helfen, die von Banken keine Kredite bekommen, um neue Flugzeuge zu finanzieren. Der Staat soll für diese Kredite künftig bürgen. Frankreich will für dieses Programm fünf Milliarden Euro bereitstellen. Über die genaue Größenordnung des deutschen Hilfspaketes gibt es noch keine Angaben.

Airbus drohen vor allem in der zweiten Jahreshälfte erhebliche Risiken, weil die Kunden die Finanzierung nicht zustande bringen. Analystenschätzungen zufolge könnten für die gesamte Industrie in diesem Jahr bis zu 200 Flugzeuge gefährdet sein. Airbus-Verkaufschef John Leahy hatte zuletzt die Banken dazu aufgefordert, "ihrer Rolle gerecht zu werden" und wieder Mittel zur Verfügung zu stellen. Wegen Stornierungen und verschobenen Lieferterminen ist die Produktion bei Airbus im laufenden Jahr anders als üblich schon jetzt praktisch nicht mehr überbucht und das Sicherheitspolster für den Hersteller abgeschmolzen. Sollten im großen Stil weitere Kunden abspringen, drohen Airbus Umsatzausfälle in Milliardenhöhe.

Im Gegensatz zu vielen Konkurrenten will Lufthansa selbst aber an den hohen Investitionen festhalten und im laufenden Jahr 50 neue Maschinen übernehmen. Der brasilianische Hersteller Embraer übergab in dieser Woche die erste von insgesamt 30 Maschinen der Baureihe Embraer 190/195, ein Regionalflugzeug mit knapp 120 Sitzen. Die ersten fünf Maschinen gehen an die italienische Lufthansa-Tochter Air Dolomiti, die anderen Flugzeuge voraussichtlich an Lufthansa Cityline.

Die Flotten-Investitionen im Jahr 2009 belaufen sich auf rund 2,5 Milliarden Euro und werden zunächst aus dem operativen Überschuss bezahlt. Die beiden ersten ursprünglich für dieses Jahr erwarteten Airbus A380 werden wegen der Produktionsprobleme des Herstellers allerdings wohl erst 2010 ausgeliefert. Neben zahlreichen neuen Regional- und Mittelstreckenmaschinen plant die Lufthansa, auch Großraumflugzeuge der A330/340-Baureihe zu übernehmen. Da die zweitgrößte europäische Airline ihre Kapazität in diesem Jahr aber nicht erweitern möchte, will sie zahlreiche ältere Maschinen aus dem Bestand verkaufen. Die Nachfrage nach gebrauchten Lufthansa-Maschinen ist Buchholz zufolge trotz der schwierigen Marktlage erstaunlich hoch: "Wir könnten deutlich mehr Boeing 737 verkaufen, als wir derzeit planen." Immer noch suchen Airlines Maschinen, mit denen sie Verspätungen wie etwa der Boeing 787 überbrücken.

Buchholz rechnet damit, innerhalb weniger Monate einen festen Kaufvertrag für die neue C-Serie des kanadischen Herstellers Bombardier zu unterschreiben. Lufthansa hatte im vergangenen Jahr eine Absichtserklärung für 30 der 120-Sitzer unterschrieben. Bombardier hatte damit die Entwicklung des Programms formal gestartet, bislang aber keine zusätzlichen Aufträge bekommen.

Die Lufthansa-Entscheidung für die C-Serie wird in der Branche auch als deutliche Warnung an Airbus und Boeing verstanden, sich mit den Nachfolgern der A320- und 737-Baureihen nicht zu viel Zeit zu lassen. Die beiden Hersteller peilen derzeit etwa das Jahr 2020 für die Marktpremiere an, vielen Fluggesellschaften ist dies aber zu spät. "Wir wollen einen echten Quantensprung bei der Effizienz", fordert Buchholz.

Wolken spiegeln sich in einem Airbus A380: Eigentlich wollte der Hersteller zwei der doppelstöckigen Flieger schon in diesem Jahr an Lufthansa liefern. Doch wegen Problemen bei der Produktion erhält die Fluggesellschaft die Maschinen wohl erst im kommenden Jahr. Insgesamt wird Lufthansa 2009 etwa 2,5 Milliarden Euro in neue Flugzeuge investieren. Foto: ddp

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Zug nach Polen

Deutsche Bahn kauft bedeutenden Gütertransporteur auf der Schiene

Von Michael Bauchmüller

Berlin - Ungeachtet der Wirtschaftskrise setzt die Deutsche Bahn ihren Expansionskurs fort. Am Donnerstag unterzeichneten Bahnchef Hartmut Mehdorn und Logistikvorstand Norbert Bensel in Warschau die Verträge zur Übernahme von PCC Logistics, der größten privaten Eisenbahn in Polen. Über den Kaufpreis wahrten beide Seiten Stillschweigen. PCC Logistics setzte im vorigen Jahr 350 Millionen Euro um. Das Unternehmen beschäftigt 5800 Mitarbeiter. Die Bahn übernimmt PCC Logistics komplett.

Nach Plänen der Bahn soll die neue Tochter zum Ausgangspunkt der weiteren Expansion Richtung Osten werden. "Wir wollen die PCC Logistics in unserem europäischen Netzwerk zum zentralen Standbein für Osteuropa weiterentwickeln", sagte Bensel. Schon jetzt betreibe das Unternehmen "leistungsfähige Verbindungen" in alle polnischen Wirtschaftszentren. Auch Mehdorn äußerte sich optimistisch. "Mit diesem Kauf baut die Deutsche Bahn Leistungen und Service für ihre Kunden in einem wachsenden Europa weiter aus", sagte er. "Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten setzen wir damit ein Zeichen für unsere Zukunftsfähigkeit." In Deutschland kämpft die Bahn derzeit mit sinkenden Aufträgen für den Güterverkehr auf der Schiene. Im Gespräch ist mittlerweile auch Kurzarbeit. Dagegen gelten die Geschäfte in Polen als einigermaßen stabil.

PCC Logistics hat in Polen einen Marktanteil von knapp acht Prozent - allerdings dominiert die Staatsbahn PKP immer noch drei Viertel des Marktes. Mit einem Transportvolumen auf der Schiene von 54 Milliarden Tonnenkilometern (zum Vergleich: in Deutschland sind es 120 Milliarden Tonnenkilometer, in Frankreich 41) hat der Schienengüterverkehr einen wichtigen Anteil am gesamten Transportgeschäft, er liegt bei rund einem Drittel. Das Unternehmen gehörte bislang dem deutsch-polnischen Unternehmer Waldemar Preussner, der Hauptsitz ist Duisburg. Er hatte 1993 die "Petro Carbo Chem", kurz PCC gegründet; zunächst als Handelsgesellschaft für chemische Grundstoffe. Seine Eisenbahn diente ursprünglich vor allem dem Transport petrochemischer Produkte. Der Schwerpunkt liegt in Schlesien. Inzwischen verfügt das Unternehmen über 400 Lokomotiven und 7700 Waggons. Der Zustand der Fahrzeuge ist nach Angaben aus Branchenkreisen gut.

Für die Bahn setzt sich damit eine ganze Serie von Zukäufen im Güterverkehr fort. Erst im vergangenen September hatte sich Railion bei der italienischen Nord-Cargo eingekauft und damit den Nord-Süd-Transit ausgebaut. In Spanien hat sich die Logistiksparte die Güterbahn Transfesa einverleibt, in Großbritannien EWS. In Ungarn und Rumänien ist die Deutsche Bahn unter der Marke "DB Schenker Rail" ebenfalls aktiv. Auch die neue Tochter dürfte diesen Namen wohl bald annehmen.

Das Engagement in Polen stärkt indirekt auch die deutschen Seehäfen. Denn mit der neuen Tochterfirma kann die Bahn leichter Güter und Container von den Häfen Richtung Osten transportieren. Eine deutsche Railion-Lok fährt die Züge bis zur deutsch-polnischen Grenze, eine Lok der neuen Tochterfirma nimmt sie dort in Empfang und fährt dann weiter. Nach Auffassung Mehdorns jedenfalls stärkt die Akquisition auch die deutsche Güterbahn-Sparte. "Wir werden gemeinsam mehr Verkehr auf die Schiene holen", sagte Mehdorn. Dies sichere Jobs sowohl in Deutschland als auch in Polen.

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Super 6: 927840 (Ohne Gewähr)

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"Ich habe erst angefangen zu leben, als ich bekannt war"

Die frühere Erotikdarstellerin Dolly Buster über die Vermarktung ihres Namens, die erste Lebenskrise und den Preis eines totalen Exhibitionismus

Eine Galerie in Garmisch stellt zur Zeit Bilder von Katja-Nora Baumberger aus. Die 39-Jährige hat vor mehr als zehn Jahren aufgehört, in Pornofilmen zu agieren. Unter ihrem Künstlernamen Dolly Buster, den 98 Prozent der Deutschen kennen, vermarktet sie jetzt selbstgemachte Bilder, Bücher und Filme. Frau Baumberger sagt, sie wollte schon immer unbedingt bekannt werden. Ein Gespräch über ein Leben als öffentliche Person.

SZ: Dolly Buster, reden wir über Geld. Sie verkaufen nun Ihre eigenen Bilder. Verdient man da gut?

Dolly Buster: Es geht nicht unbedingt ums Verdienen. Ich habe gerade 14 Bilder in Duisburg ausgestellt, davon wurden sieben verkauft. Das ist ein Kompliment.

SZ: Klar geht es ums Verkaufen, sonst würden Sie die Bilder ja verschenken.

Buster: Natürlich. Ich bin in allem, was ich mache, ein bisschen kommerziell.

SZ: Ihr Mann hat mal gesagt, Sie seien die perfekte Geschäftsfrau ...

Buster: Er dagegen ist kein guter Geschäftsmann. Er ist zu human.

SZ: Ihr Mann, der Pornoproduzent Dino Baumberger, ist zu human?

Buster: In der Erotikbranche gibt es immer mal jemanden, der nicht zahlt und mit Ausreden ankommt, etwa ein Sex-Shop-Besitzer. Mein Mann lässt sich oft hinhalten. Ich nicht. Ich bin knallhart.

SZ: Warum fingen Sie an zu malen?

Buster: Ich ging schon als Jugendliche in Prag zur Kunstschule, aber nur kurz. Ich ließ es wieder, weil mir der Weg mit der Straßenbahn zu weit war. Wir zogen dann als Aussiedler nach Deutschland, da musste ich erst mal Deutsch lernen. Erst als ich 1997 aufhörte, als Pornodarstellerin vor der Kamera zu arbeiten, fing ich wieder mit dem Malen an.

SZ: Waren Sie nochmal auf der Kunstschule?

Buster: Freunde stellten mir Arnim Tölke von der Kunstakademie Düsseldorf vor. Ich besuchte ihn im Unterricht, das war spannend. Was die da gemacht haben, hat mich aber wenig beeindruckt. Mal ehrlich: Was ich da für Müll gesehen habe! Das Malen als solches ist da Nebensache. Da sitzt ein Nacktmodell, das ein bisschen mehr Sport vertragen könnte, und dann wird geredet, albern gelacht und Wodka getrunken. Da standen sicher 200 leere Wodka-Flaschen rum.

SZ: Was verlangen Sie für ein Bild?

Buster: Die liegen verhältnismäßig günstig, bis 3500 Euro.

SZ: Vor zwei Jahren verlangten Sie bis zu 10 000 Euro. Ist Ihr Marktwert gesunken?

Buster: Es macht ja keinen Spaß, wenn die Bilder das kosten, was ein Kunsthistoriker schätzt, aber kein Mensch sich das leisten kann.

SZ: Sie waren Deutschlands bekannteste Pornodarstellerin, laut Umfragen kannten einmal 98 Prozent der Deutschen Ihren Namen. Vor zehn Jahren haben Sie aufgehört, bei Pornos mitzuspielen. Wie lange können Sie Ihre Bilder, Bücher und so weiter über Ihren Namen vermarkten?

Buster: Ich hätte mit meinem Namen besser aufpassen müssen. Viele dieser Pseudo-Kunst-Galeristen boykottieren mich, wo sie können.

SZ: Wegen Ihrer Pornos?

Buster: Vor allem, weil ich so viel in Boulevard-Medien vorkomme. Ich lasse mich immer noch zu oft zu Sachen überreden, die ich eigentlich blöd finde. Das Dschungelcamp von RTL etwa. Im Nachhinein denke ich: Hätte ich das mal nicht gemacht, da macht man sich nur lächerlich.

SZ: Aber es sichert Ihre Bekanntheit, von der Sie leben, oder?

Buster: Das ist der Grund, warum man es macht. Ich will nicht vergessen werden. Aber es ist ein schmaler Grat. Durch den Boulevard geht man auch unter.

SZ: Haben die Deutschen Sie schon vergessen?

Buster: Nein. Wenn ich Autogrammstunden gebe, kommen viele junge Leute. Manchmal kommen kleine süße Mädchen bei mir zu Hause vorbei und werfen selbstgemalte Bildchen ein.

SZ: Woher kennen bitte kleine, süße Mädchen Dolly Buster?

Buster: Aus den Boulevardshows im Fernsehen. Manche verwechseln mich mit Pamela Anderson.

SZ: Mal ehrlich: Ihre Bilder und Bücher und die Pornofilme, die Sie nun als Produzentin hinter der Kamera herstellen, verkaufen sich doch vor allem über Ihre Bekanntheit.

Buster: Dafür habe ich hart gearbeitet. Aber was nutzt mir 98 Prozent Bekanntheitsgrad in einem kaputten Land? Es würde 20 Prozent reichen, wenn die alle DVDs kaufen würden.

SZ: Sie finden Deutschland kaputt?

Buster: Absolut. Ich bin so viel damit beschäftigt, Inkassobüros zu beauftragen. Es ist ernüchternd: Ich leiste, arbeite, habe Ideen - und nichts geht voran. Vor zehn Jahren lief das anders. Da konnte man richtig etwas schaffen, da lebte ich mit einem beständigen Glücksgefühl.

SZ: Steckt die Erotikbranche in einer Krise?

Buster: Absolut. Das Internet ist schuld. Die Amerikaner finden es wahnsinnig toll, sich beim Sex zu filmen und die Aufnahmen kostenlos ins Netz zu stellen. Das ist für uns eine Katastrophe.

SZ: Sie verkaufen weniger DVDs?

Buster: In Deutschland sind wir Marktführer. Aber es geht uns schlechter. Wir haben zwölf Angestellte, mussten uns gerade von ein paar trennen. Es gibt einen Preisverfall bei DVDs. Mit dem Euro wurde alles teurer, nur Pornos nicht.

SZ: Versuchen Sie, in andere Länder zu expandieren?

Buster: Ich versuche seit Jahren, in den russischen Markt reinzukommen. Es läuft einfach nicht. Die reichen Russen lassen sich professionelle Teams kommen und von denen beim Sex aufnehmen. Diese Filme schauen sie dann an.

SZ: Wenn alles so schwierig ist, könnten Sie nicht einfach aufhören zu arbeiten, nach all Ihren Filmen?

Buster: Dazu habe ich nicht genug verdient.

SZ: Sie werden dieses Jahr 40. Haben Sie Angst vor einer Krise?

Buster: Die habe ich schon hinter mir. Das vergangene Jahr war schlimm für mich. Meine beiden Hunde sind gestorben, das hat mich sehr getroffen. Das hat meine Einstellung zu allem verändert. Es war eine unglückliche Geschichte: Ein Privatsender drehte eine Reportage über mich, bei mir zu Hause. Dann habe ich erfahren, dass einer meiner Hunde Leberkrebs hat. Er starb am letzten Drehtag. (Sie beginnt zu weinen.) Eigentlich hätte ich sagen sollen: Ihr hört jetzt auf zu drehen. Aber ich wollte so professionell sein, wie ich mein ganzes Leben war.

SZ: Und dann?

Buster: Zwei Monate später wurde der Beitrag gesendet. Vorher lief immer wieder die Vorschau: Ich heulend neben dem toten Hund. Dadurch bekam ich ein richtiges Trauma. Ich habe mir Vorwürfe gemacht, weil ich zugelassen habe, dass der tote Hund gedreht wurde. Zwei Wochen später starb mein zweiter Hund. Das war einfach zu viel. Ich hatte Albträume, in denen ich selbst tot umfalle und dabei gefilmt werde. Mein Mann musste mich manchmal in die Notaufnahme fahren, weil ich wirklich dachte, ich sterbe. Ich habe ein dreiviertel Jahr Pause gemacht. Nicht gemalt, keine Auftritte, nichts.

SZ: Alles, weil Sie um jeden Preis professionell sein wollten?

Buster: Ich habe mich immer für unverwundbar gehalten. Ich war eine perfekte Geschäftsfrau. Alles hat geklappt, was ich mir vorgenommen habe. Letztes Jahr war das erste Mal, dass mir eine Sache so aus der Hand geglitten ist. In meinen Augen war ich plötzlich ein Loser.

SZ: Hat Ihre Krise Sie verändert?

Buster: Ja, früher habe ich professionell gelebt, war immer diszipliniert. Vor Aufnahmen habe ich tagelang keine Süßigkeiten gegessen. Ich hatte höchste Verachtung für alle Leute, die nicht so diszipliniert sind. Erst jetzt begreife ich: Die anderen leben einfach ihr Leben, die genießen es, ganz normal. Das lerne ich jetzt.

SZ: Wollten Sie mal Kinder haben?

Buster: Das hätte nicht in mein Leben gepasst. Erst nach der Krise letztes Jahr habe ich den Gedanken zugelassen. Aber jetzt werde ich 40. Ich finde, das ist zu alt, um Mutter zu werden.

SZ: Sie bereuen, dass Sie die Homestory mit dem Sender gemacht haben. Bereuen Sie andere Dinge in Ihrem Leben?

Buster: Nein, es gibt nichts zu bereuen. Es gab immer nur den einen Weg. Ich wollte bekannt werden.

SZ: Sie wollten um jeden Preis bekannt werden?

Buster: Transvestiten wissen oft schon als kleine Kinder, dass sie transsexuell sind. Und ich wusste als kleines Mädchen, dass ich ein Star werden will. Das war, was wichtig war. Dafür habe ich alles getan. Das war der einzige Weg. Schon als Kind fand ich es indiskutabel, so zu sein wie die anderen. Mit zehn habe ich mir die blonde Perücke meiner Tante geliehen und mich geschminkt.

SZ: Deshalb haben Sie Pornofilme gedreht? Um anders zu sein?

Buster: Es war für mich ein Tabubruch, eine Rebellion gegen die Normalität. Als mich ein Fotograf ansprach, ob ich Fotos machen wollte, habe ich sofort zugesagt. Mir war klar, dass es um Nacktfotos ging. Das Ganze war für mich der Schritt aus dem Nichts. Ich habe erst angefangen zu leben, als ich bekannt war.

SZ: Dachten Sie nie, dass Sie dafür einen hohen Preis bezahlen? Dass andere die Kontrolle über Sie haben, zum Beispiel Zuschauer, die Sie beim Sex beglotzen?

Buster: Nein. Ich habe nur gemacht, was ich wollte. An das Publikum habe ich nicht gedacht. Das ist für mich eine uninteressante Frage.

SZ: Pornos suggerieren doch eine ständige Verfügbarkeit der Frau und verleiten manche Männer dazu, alle Frauen für verfügbar zu halten.

Buster: Ich bitte Sie. Diese Diskussion ist 15 Jahre alt und völlig überholt.

SZ: Sie haben immer viel von sich gezeigt und erzählt. Haben Sie noch ein Geheimnis vor der Öffentlichkeit?

Buster: Eigentlich nicht.

SZ: Und das ist in Ordnung?

Buster (zögert): Es ist in Ordnung. Man kann es auch anders machen, aber ich habe diesen Weg gewählt.

SZ: Wie reagieren Menschen auf Sie?

Buster: Die meisten verhalten sich zivilisiert. Was mich nervt, sind Jugendliche, 18-, 19-Jährige, die vor meinem Haus auftauchen. Da habe ich schon öfter die Polizei gerufen. Die Jugendlichen kommen angefahren, zum Spaß, vor einer Hochzeit oder so, mit einem Großraumtaxi. Taxifahrer bringen sie her, die ganz stolz sind zu wissen, wo ich wohne. Manchmal stehen die schon da, wenn ich nach Hause komme. Die sagen teilweise schlimme Sachen. Die stellen sich vor mein Haus und brüllen: ,,Komm raus, du Sau, wir wollen Dich ficken!''

SZ: Jugendliche belästigen Sie vor Ihrem Haus?

Buster: Einmal kamen welche aus dem Ort, die haben geschrien "Komm raus" und gegen die Tür gehauen. Mein Mann war nicht da, ich hatte Angst. Da habe ich die Polizei gerufen. Die haben gesagt: Wir haben ein Problem, wir haben eine Geiselnahmeübung. Da können wir nicht kommen.

Interview: Alexander Hagelüken und Hannah Wilhelm

"Mit dem Euro wurde

alles teurer,

nur Erotikfilme nicht"

"Manchmal brüllen

Jugendliche vor meinem Haus: Komm raus, du Sau!"

Dolly Buster: Oben in einem Selbstporträt, unten als lebende Person. Mit Hut. Foto: dpa

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DekaBank unter Beschuss

Sparkassen fürchten zu riskante Geschäfte

Frankfurt - Die Sparkassen ärgern sich über ihren zentralen Fondsdienstleister DekaBank. Deren Chef Franz Waas will in Deutschland das zweitgrößte Geschäft mit Derivaten hinter der Deutschen Bank aufbauen. Derivate sind Finanzinstrumente, mit denen einerseits Geschäfte abgesichert, aber auch Spekulationen betrieben werden. Dazu gehören etwa Zertifikate oder Optionen. "Waas fährt einen heißen Reifen", hieß es bei einer Tagung der Sparkassen. Sparkassen-Präsident Heinrich Haasis griff Waas nicht öffentlich an. Er sagte aber, die Sparkassen wollten keine höheren Risiken als sie tragen können. Dies gelte auch für die DekaBank und die Landesbanken.

Jedenfalls sei es kein strategisches Ziel, die Nummer 2 hinter der Deutschen Bank zu werden. Die Derivate dienten lediglich der Absicherung, Eigengeschäfte sollten damit nicht gemacht werden. Schon in der Vergangenheit hatten Sparkassen hinter vorgehaltener Hand kritisiert, dass Waas mit den hohen Eigenmitteln der DekaBank nicht richtig wirtschafte. Die Sparkassen könnten in Zeiten der Finanzkrise jeden Cent an Reserven und verfügbaren Mitteln innerhalb der Gruppe gut gebrauchen.

Haasis bestätigte, dass es im Zuge der angestrebten Neuordnung der Landesbanken "Sondierungen" zu einem Dreierbündnis zwischen WestLB, DekaBank und Helaba gebe. Die Sparkassen hätten nicht das Ziel, aus den Landesbanken auszusteigen. Ihnen schwebe der Zusammenschluss aller Landesbanken zu drei Blöcken vor. he

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Deutsche verlieren 50 Milliarden Euro

Frankfurt - Die Menschen in Deutschland haben im dritten Quartal 2008 wegen fallender Kurse an den Börsen massiv Aktien verkauft. Die Privathaushalte gaben netto neun Milliarden Aktien ab, teilte die Bundesbank am Donnerstag mit. Das Geldvermögen der privaten Haushalte betrug 4,514 Billionen Euro - ein Rückgang um 50 Milliarden Euro gegenüber der Jahresmitte 2008 und um 83 Milliarden Euro gegenüber Ende 2007. Hingegen legten die Menschen in Deutschland wieder mehr Geld auf die hohe Kante. Die Sparquote stieg leicht auf 11,4 Prozent des verfügbaren Einkommens. Gleichzeitig bauten die privaten Haushalte ihre Verbindlichkeiten um zwei Milliarden Euro ab. Insgesamt hatten die Bundesbürger Ende September 1,535 Billionen Euro Schulden. dpa

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Kunden wünschen sich mehr Infos von Bank

München - Rund 40 Prozent der Bundesbürger wünschen sich mehr Informationen zur Finanzkrise von ihrer Bank oder Versicherung. Die Kunden erwarten Informationen über die Stabilität ihres Finanzdienstleisters, die Finanzkrise allgemein oder zur Sicherheit ihrer Einlagen, ergab eine Erhebung der Boston Consulting Group (BCG). Etwa 78 Prozent der Befragten seien bis Ende 2008 aber nicht von ihren Finanzdienstleistern wegen der Krise kontaktiert worden. Dabei sind informierte Kunden laut der Umfrage grundsätzlich deutlich zufriedener mit ihrem Finanzdienstleister als Kunden, die keine Informationen erhalten haben. 57 Prozent der informierten Kunden äußerten sich zufrieden über ihre Bank, von denen, die nicht informiert wurden, nur 15 Prozent. AP

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Staatsbank packt die Konjunkturpakete aus

KfW-Vorstandschef Ulrich Schröder will künftig auch größere Unternehmen und Kommunen fördern. Erstmals seit Jahren soll es 2009 wieder Gewinn geben

Von Helga Einecke

Frankfurt - Die Staatsbank KfW besinnt sich im wirtschaftlichen Abschwung auf ihre Wurzeln und will sich als größtes Förderinstitut zeigen. "Das ist die Zeit, in der sich die KfW bewähren muss", sagte der neue Vorstandschef Ulrich Schröder. Die Bank hilft, die beiden Konjunkturpakete der Regierung umzusetzen und plant dafür in den nächsten beiden Jahren zusätzlich 40 Milliarden Euro ein. Dieses Geld muss die KfW zusätzlich am Kapitalmarkt aufnehmen. 50 Unternehmen haben im Zuge des ersten Konjunkturpakets bereits einen Bedarf von 700 Millionen Euro bei ihr angemeldet.

Als "absolute Neuheit" bezeichnete es Schröder, dass die KfW künftig auch größere Unternehmen finanziert. Damit würden wichtige Investitionsvorhaben gesichert und Firmen unterstützt, die über ihre Hausbank nicht genügend abgesichert seien. Weiteren Bedarf sieht der KfW-Chef bei den Gemeinden, weil Landesbanken, Pfandbriefinstitute und Sparkassen im Zuge der Finanzkrise als Geldgeber ausfallen könnten. Der KfW-Chef rechnet damit, dass beide Konjunkturprogramme zügig in Anspruch genommen werden. "Wir sehen das zweite Programm noch schneller abfließen als das erste", sagte er.

Nach dem Krisenjahr 2008 mit verlustreichen Engagements bei der Mittelstandsbank IKB, der insolventen US-Investmentbank Lehman und isländischen Banken will die KfW intern einiges ändern. Ihre traditionellen Förderprogramme, die zuletzt ein jährliches Volumen von 71 Milliarden Euro umfassten, werden stärker auf die drei Gruppen zugeschnitten. Bisher bereits stark vertreten ist die KfW im Mittelstand und bei privaten Kunden. Künftig soll der öffentliche Bereich - etwa Kommunen - hinzukommen. Der Vertrieb, den die Förderbank ausschließlich über andere Banken und Sparkassen vornimmt, soll mehr Gewicht bekommen.

Nach Jahren der Expansion und wachsender Reserven muss die KfW neuerdings um Erträge und Finanzierung kämpfen. Ihre Reserven sind durch die Finanzierung des IKB-Debakels aufgezehrt, ihr Wertpapierbestand im Zuge der Finanzkrise stark abgewertet. Eingestellt ist das Fördergeschäft im westlichen Europa, nachdem es wegen des Island-Engagements politische Bedenken gegen die Unterstützung des Mittelstands in anderen Ländern gab. Am Kapitalmarkt erwachsen der KfW neue Konkurrenten, weil sich private Banken ihre Anleihen vom Staat garantieren lassen. Einen Vorteil aber habe die KfW, so stellte Schröder heraus. Sie müsse ihr Geschäftsmodell nicht ändern.

2009 will die KfW wieder Gewinn machen. Diesen Gewinn sowie künftige Erträge braucht sie auch, um ihren gewaltigen Verlustvortrag abzubauen. Der Zusammenbruch der Mittelstandsbank IKB zehrte nicht nur alle Reserven auf, sondern bescherte ihr schon 2007 auch einen Verlust in Höhe von 6,2 Milliarden Euro. Wie hoch der Verlust 2008 ausgefallen ist, steht noch nicht fest. Schröder sagte lediglich, das Ergebnis werde "um Meilen" besser ausfallen als zuvor. In neun Monaten wurde bereits ein Minus von 1,8 Milliarden Euro ausgewiesen. Schröder machte klar, er werde in den Abschluss des vergangenen Jahres auch ein Polster legen, um für Kreditausfälle in diesem Jahr vorzusorgen. Dabei sei vor allem an die Tochterbank Ipex zu denken, die Projekte deutscher Firmen im In- und Ausland zu marktüblichen Zinsen finanziert.

Die KfW will sich als größtes Förderinstitut bewähren. Foto: dpa

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Reden wir über Geld mit Dolly Buster

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Billiges Öl verdirbt Shell das Geschäft

London - Infolge der gesunkenen Erdölpreise hat der britisch-niederländische Energiekonzern Shell im vierten Quartal des vergangenen Jahres einen Milliardenverlust eingefahren. Der Verlust in den letzten drei Monaten des Jahres 2008 belief sich auf etwa 2,8 Milliarden Dollar, also 2,1 Milliarden Euro, wie das Unternehmen am Donnerstag in London berichtete. Im Vorjahreszeitraum wurde noch ein Gewinn von knapp 8,5 Milliarden Dollar erzielt. Damit fiel der Jahresgewinn von Shell um 16 Prozent auf 26,3 Milliarden Dollar. Allein im Dezember gingen die Erlöse um ein Viertel zurück. Für den Verlust waren nach Unternehmensangaben auch der Rückgang der Fördermenge in den USA sowie höhere Kosten für die Ölförderung verantwortlich. AFP

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Ford fährt 2008 Rekordverlust ein

Der angeschlagene Autohersteller verbrennt 15 Milliarden Dollar

Dearborn - Der US-Autohersteller Ford hat auf seiner immer steileren Talfahrt 2008 einen Rekordverlust von fast 15 Milliarden Dollar erlitten, will aber weiter auf Staatshilfen verzichten. Es war bereits das dritte Minus in Folge nach einem Fehlbetrag von 2,7 Milliarden Dollar im Jahr 2007. Ford rechnet angesichts der schwersten Branchenkrise seit Jahrzehnten weiterhin frühestens 2011 mit operativen Gewinnen, wie der Konzern in Dearborn bei Detroit (Michigan) mitteilte. Im Schlussquartal hat sich der Verlust mit fast 5,9 Milliarden Dollar mehr als verdoppelt. Der Umsatz brach um mehr als ein Drittel auf 29,2 Milliarden Dollar (22,2 Milliarden Euro) ein. Auch in Europa machte Ford Verluste. "Wir haben den richtigen Plan", zeigte sich Konzernchef Alan Mulally jedoch überzeugt.

Ford betonte erneut, keine staatlichen Milliardenhilfen zu benötigen. General Motors (GM) und Chrysler können derzeit nur durch Notkredite der Regierung überleben. Ford verbrannte im Schlussquartal etwa 5,5 Milliarden Dollar seiner Bargeldreserven. Der Konzern nutzt bestehende Kreditlinien und holt sich Darlehen von 10,2 Milliarden Dollar. Damit sei die Liquidität ausreichend.

Der Autobauer will 1200 Jobs in der Finanzierungssparte streichen. Insgesamt baute Ford schon Zehntausende Arbeitsplätze ab und beschäftigte zuletzt etwa 220 000 Mitarbeiter. Fords weltweiter Absatz stürzte im vierten Quartal um mehr als 30 Prozent auf knapp 1,14 Millionen Autos ab. Im Gesamtjahr verkaufte der Konzern 5,40 Millionen Autos - ein Minus von rund 18 Prozent zum Vorjahr. In Deutschland steigerte Ford Absatz und Marktanteil zuletzt. Der weltweite Automarkt wird nach Schätzung des Konzerns 2009 um etwa zehn Prozent einbrechen. 2008 fiel Fords Umsatz um 15 Prozent auf 146,3 Milliarden Dollar. Das Konzernergebnis war noch schlechter, als Experten befürchtet hatten. Mit dem jüngsten Minus von 14,6 Milliarden Dollar addieren sich die Verluste seit 2006 auf etwa 30 Milliarden Dollar. dpa

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Modekette H&M schafft 7000 Jobs

Die Schweden möchten in der Krise 225 Filialen eröffnen

Stockholm - Der schwedische Textilkonzern Hennes & Mauritz (H&M) will trotz der weltweiten Wirtschaftskrise bis zum Jahresende 6000 bis 7000 neue Stellen schaffen. Wie die weltweit größte Bekleidungskette am Donnerstag in Stockholm mitteilte, stieg der Gewinn nach Steuern im vergangenen Geschäftsjahr, das am 30. November endete, gegenüber 2007 um 12,5 Prozent auf 15,3 Milliarden Kronen, also 1,4 Milliarden Euro. Beim Umsatz - ohne Mehrwertsteuer - legte H&M um 13 Prozent auf 88,5 Milliarden Kronen zu.

"Angesichts der globalen Wirtschaftslage ist das ein starkes Ergebnis. Wir sind zufrieden mit unserem Absatz", sagte Konzernchef Rolf Eriksson. Auch im vierten Quartal, von September bis November, konnte die Textilkette den Umsatz um 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 26,3 Milliarden Kronen steigern. Der Gewinn stieg um 9,4 Prozent auf 5,1 Milliarden Kronen. Einschränkend hieß es über die ersten beiden Monate des neuen Geschäftsjahres: "Das anhaltende Konjunkturtief hat den Absatz von H&M im Dezember und Januar negativ beeinflusst." Die Kette, die auch dank niedriger Preise erfolgreich ist, glaubt aber, zugleich "Vorteile aus der derzeitigen wirtschaftlichen Lage erzielen" zu können. So könnte der Konzern wegen der Krise eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber Partnern bekommen und mehr Möglichkeiten haben, neue Filialen in guter Lage zu erwerben. Unternehmenschef Eriksson verwies außerdem darauf, dass seine Firma "sich selbst finanzieren kann und nicht wie andere auf den Kreditmarkt angewiesen ist".

Im laufenden Geschäftsjahr will H&M weltweit 225 Textilhäuser eröffnen und damit das Wachstumstempo von 2008 mit 214 neuen Filialen noch leicht steigern. Die Gesamtzahl der H&M-Häuser betrug zum Jahresende 1738 mit 53 430 Beschäftigten im Konzern. Deutschland ist weiterhin der mit Abstand wichtigste Markt für das schwedische Unternehmen. Hier legte 2008 der Umsatz um 15 Prozent auf 25,4 Milliarden Kronen zu. Die Zahl der H&M-Warenhäuser stieg in Deutschland um 25 - bei fünf Schließungen - auf 339. (Kommentare) dpa

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STARBUCKS

7000 Arbeitsplätze weg

Seattle - Die weltweit größte Kaffeehauskette Starbucks gerät immer tiefer in die Krise und streicht nochmals fast 7000 Stellen. Weltweit werden weitere rund 300 Läden geschlossen, 100 davon außerhalb der USA, so Starbucks. Der Gewinn brach im vorigen Quartal wegen Konzernumbaus und Wirtschaftskrise um fast 70 Prozent auf 64 Millionen Dollar ein, der Umsatz fiel um sechs Prozent auf 2,6 Milliarden Dollar. dpa

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THYSSEN-KRUPP

Transrapidtechnik an China

Berlin - Thyssen-Krupp will China die Zustimmung zur Verlängerung der Transrapid-Strecke in Shanghai durch eine stärkere Einbindung der Chinesen schmackhaft machen. Am Rande des Besuchs des chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao wurde in Berlin eine Absichtserklärung unterzeichnet, nach der Thyssen-Krupp Teile der Kerntechnologie der Magnetschwebebahn China zur Verfügung stellen könnte. Reuters

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SCHLECKER

Abbaupläne dementiert

München - Der Drogeriediscounter Schlecker hat Angaben der Gewerkschaft Verdi über geplante Massenentlassungen zurückgewiesen. Schlecker erklärte, die Angaben seien "völlig aus der Luft gegriffen". Schlecker wolle weder Filialen schließen noch Beschäftigte entlassen. Trotz Flaute sei der Jahresumsatz 2008 um sechs Prozent gestiegen. Verdi hatte behauptet, 4000 der 10000 deutschen Filialen seien in Gefahr. SZ

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PLAYMOBIL

Preise werden erhöht

Zirndorf - Der Spielwarenhersteller Playmobil will die Preise auf dem deutschen Markt im Februar im Schnitt um 4,9 Prozent anheben. Gestiegene Lohnkosten ließen keine andere Wahl, berichtete der größte deutsche Spielzeugproduzent am Donnerstag. Playmobil schloss 2008 mit dem achten Umsatzrekord in Folge ab. Der Erlös stieg um sechs Prozent auf 452 Millionen Euro. dpa

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Kahlschlag trotz Milliardengewinn

Der britische Pharmakonzern Astra Zeneca streicht jede fünfte Stelle

Von Kristina Läsker

München - Der britisch-schwedische Pharmakonzern Astra Zeneca reagiert mit verschärftem Stellenabbau auf den anhaltenden Preisdruck im Gesundheitswesen und die zunehmende Konkurrenz durch günstige Nachahmermedikamente (Generika). Bis 2013 sollen 15 000 Stellen wegfallen, teilte der sechstgrößte Pharmakonzern bei Vorlage der Bilanz 2008 mit. Bisher war ein Abbau von 9000 Stellen geplant, nun will Astra Zeneca zusätzliche 6000 Jobs kürzen. "Die Marktbedingungen waren niemals härter", sagte Konzernchef David Brennan. Astra Zeneca mit Stammsitz in London beschäftigt weltweit 67 000 Mitarbeiter, darauf bezogen fällt bis 2013 jeder fünfte Arbeitsplatz weg. In Deutschland hatten im Jahr 2007 noch 2300 Beschäftigte für den Hersteller gearbeitet. Nach dem Verkauf eines Werkes und etlichen Kündigungen sind es heute nur noch 1300 Menschen.

Der Konzern entlässt, obwohl er üppige Gewinne macht: Weltweit erlitt Astra Zeneca zwar im vierten Quartal einen Gewinnrückgang , dennoch stieg der operative Jahresgewinn 2008 vor Steuern um neun Prozent auf knapp elf Milliarden Dollar. Der Umsatz kletterte im vergangenen Jahr um drei Prozent auf 31,6 Milliarden Dollar. Das ist für die Pharmabranche ein langsamer Anstieg: 2008 haben die Wettbewerber im Schnitt zwischen fünf und sechs Prozent zugelegt. Für dieses Jahr rechnet Konzernchef Brennan nur mit stagnierenden Umsätzen.

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Friedenszeichen

Porsche-Chef Wiedeking will sich während der Hauptversammlung zum Streit um die Mitbestimmung in der neuen Holding äußern. Offenbar haben sich die Betriebsräte von VW und Porsche angenähert. In den Aufsichtsrat ziehen mit Bernd Osterloh (VW) und Peter Mosch (Audi) zwei Vertreter der 320 000 VW-Arbeitnehmer ein. Details will IG-Metall-Vorsitzender Berthold Huber im Februar verkünden. Derzeit gibt es eine Klage der VW-Leute. Osterloh braucht Klarheit bis zur nächsten Betriebsversammlung, die wegen Kurzarbeit in Wolfsburg erst Anfang März ist. mik

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Aufstand der Rechtlosen

Die Aktionäre wollen auf der Porsche-Hauptversammlung das Management unter Wiedeking kritisieren, abstimmen können sie nicht

Von Michael Kuntz

München - Ungemütlich dürfte dieser Freitag für den Porsche-Vorstand und seinen Chef Wendelin Wiedeking werden. Denn im Vorfeld der Hauptversammlung - die erste nach der Mehrheitsübernahme von Porsche an Volkswagen - haben Aktionäre und Aktionärsvertreter deutliche Kritik angekündigt. So haben sich fünf Investmentfonds verbündet und wollen dem Porsche-Management Kursmanipulation vorwerfen. Thema wird wohl auch das Gehalt von Porsche-Chef Wendelin Wiedeking sein. Mit einem Einkommen von geschätzt fast 80 Millionen Euro ist er Deutschlands am besten bezahlter Manager.

Porsche weist noch immer nur die Gesamtbezüge seines Vorstandes aus, keine Einzelzahlen - anders als im Corporate Governance Codex vorgesehen. Die Aktionärsvertreter wollen thematisieren, wie die in diesem Jahr wegen der Optionsgeschäfte beim Kauf von VW besonders hohe Vergütung von Wiedeking zustande kam. Dabei sollen auch Optionen auf VW-Aktionen berücksichtigt worden sein, obwohl sie am Stichtag für die Festsetzung der Wiedeking-Bezüge noch liefen - also noch nicht abgerechnet waren.

Die Opposition der fünf Großinvestoren wird angeführt von Hans-Christoph Hirt, der als Sprecher des britischen Fonds Hermes zuletzt bei Siemens oder auch schon bei Volkswagen im Mai 2008 Fragen gestellt hatte. Hirt forderte im Vorfeld des Treffens der Porsche-Aktionäre von Wiedeking, seinen Sitz in der Regierungskommission zur Corporate Governance aufzugeben: "Er hat mit seiner Übernahmetaktik bei VW dem Ansehen des Finanzplatzes Deutschland geschadet." Den Handel von Porsche mit VW-Aktien sowie -Optionen kritisiert der Fonds-Manager als undurchschaubar. Insbesondere nimmt er Anstoß an dem Manöver, mit dem Porsche Ende Oktober etliche Hedgefonds und andere Marktteilnehmer ausgetrickst hat.

Damals hatte Porsche eine Erhöhung seines Anteiles an VW von 36 auf 43 Prozent mitgeteilt und hinzugefügt, man verfüge über weitere 32 Prozent in Form sogenannter cashgesettelter Optionen, habe also faktisch Zugriff auf 74 Prozent des VW-Kapitals. Das nötigte Marktteilnehmer, die auf einen fallenden VW-Kurs gewettet hatten, zum Kauf zur Unzeit. Der Kurs der VW-Aktie schoss vorübergehend über 1000 Euro und einige Spekulanten verloren sehr viel Geld.

Hermes-Mann Hirt aus London spricht für die Pensionsfonds von British Telecom BTPS, den Lehrerfonds USS, die Alterskasse der Eisenbahner Railpen sowie den holländischen Fonds ABP und den schwedischen AP2 - sie vertreten ein Anlagevolumen von insgesamt 300 Milliarden Euro. Bei Porsche allerdings besitzen sie nur stimmrechtslose Vorzugsaktien. "Sollen sie sagen, was sie wollen", kommentiert ein Insider. Das Sagen haben andere. Denn sämtliche Stammaktien liegen bei den Familien Porsche und Piëch. Selbst Verstöße gegen den Corporate Government Codex bleiben deshalb folgenlos, wenn Porsche/Piëch das so wollen - er ist lediglich eine freiwillige Richtlinie. Auch Wendelin Wiedeking sieht der Hauptversammlung gelassen entgegen. Er habe eine Menge Geld verdient und sei sehr unabhängig. Dem Magazin Fortune empfahl Wiedeking: "Fragen Sie meine Kollegen: Niemals war ich so entspannt wie heute."

Großverdiener Wendelin Wiedeking, 56, posiert an einem Porsche 911 Cabrio: Der Porsche-Chef gibt sich betont gelassen. Foto: Sven Simon

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Messe Leipzig ohne Computerspiele

München - Die Leipziger Messe veranstaltet im Sommer doch keine Ausstellung für die Computerspielebranche. "Wir setzen die Vorbereitungen aus", sagte Messechef Wolfgang Marzin der SZ. Entgegen seinen ursprünglichen Plänen tritt er damit nicht in Konkurrenz zur Kölner Messe. Am Rhein findet 2009 zum ersten Mal die Gamescom statt. Der Verband der Computerspieleindustrie BIU hatte sich nach sieben Jahren in Leipzig für einen neuen Ausstellungsort entschieden. Marzin wollte eigentlich weiter an der eigenen Games Convention festhalten. Nun gibt es im Osten Ende Juli bis Anfang August nur eine Messe für Onlinespiele. Die beiden deutschen Branchengrößen Bigpoint und Gameforge wollen teilnehmen. Als Partnerland wird Südkorea Onlinespiele-Firmen nach Leipzig schicken. Marzin hofft auf bis zu 70 000 Besucher und 70 bis 100 Aussteller. "Wir steigen ein, wie auch die Games Convention begonnen hat", sagte er. Auch in Köln werden Onlinespiele Thema sein. rdl

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Der ungeliebte Mieter

Während der Hertie-Insolvenzverwalter nach Investoren sucht, treibt der britische Eigentümer den Verkauf der Immobilien voran

Von Stefan Weber

Düsseldorf - Die Überlebenschancen der insolventen Warenhauskette Hertie schwinden. Denn neben den 19 Standorten, deren Schließung für Ende Februar Insolvenzverwalter Biner Bähr am Mittwoch ankündigte, werden möglicherweise auch einige der verbleibenden 54 Standorte bald nicht mehr von Hertie genutzt werden können. Der Haupteigentümer der Immobilien, der britische Finanzinvestor Dawnay Day, hat die Mietverträge mit dem Warenhausunternehmen zum 19. Januar 2009 gekündigt. Jetzt wird der Verkauf der ihm gehörenden insgesamt 64 Hertie-Häuser vorangetrieben. Das Mandat dafür hat die Immobiliengesellschaft Atisreal. "Per Ende Dezember sind sechs Verkäufe notariell beurkundet", sagte Christoph Meyer, Mitglied der Geschäftsführung von Atisreal, der Süddeutschen Zeitung. Er hofft, in den nächsten Wochen weitere Transaktionen perfekt zu machen. Trotz der Krise sei das Investoreninteresse für Häuser an guten Standorten nach wie vor sehr groß. In allen bisher beurkundeten Fällen hätten die Erwerber kein Interesse, die Häuser weiter an Hertie zu vermieten. Im Gegenteil: Für die neuen Eigentümer sei wichtig, dass das Warenhausunternehmen zügig ausziehe, um das Haus an andere Nutzer zu vermieten, sagte Meyer.

Hertie und Insolvenzverwalter Bähr weisen diese Darstellung zurück. Sie betonen, dass vier der sechs beurkundeten Verkäufe noch nicht in den Grundbüchern eingetragen seien. Damit seien die Transaktionen noch nicht rechtskräftig. Auch hätten die Erwerber sehr wohl Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit mit Hertie geäußert - unter der Voraussetzung, dass das Unternehmen die vereinbarte Miete zahle. Bähr verhandelt nach eigenen Angaben mit einer "Handvoll" Investoren, die an einem Kauf sowohl der Immobilien als auch an deren Betrieb durch Hertie interessiert sind.

Der Insolvenzverwalter hatte Dawnay Day am Mittwoch ein Ultimatum gestellt: Wenn die Briten nicht binnen eines Monats zu Zugeständnissen bei den Mieten bereit seien, müsse die gesamte Warenhauskette geschlossen werden. "Dawnay Day hat Hertie Mieten aufgebürdet, die von keinem Kaufhausunternehmen der Welt erwirtschaftet werden können", klagt Bähr. Mit teilweise mehr als 20 Prozent vom Umsatz seien die Mieten etwa vier Mal so hoch wie in der Branche üblich. Die aktuell hohe Quote erklärt sich allerdings auch durch den inzwischen deutlich geschrumpften Umsatz von Hertie: Als Dawnay Day die Häuser vor vier Jahren dem damaligen Karstadt-Quelle Konzern (heute Arcandor) abkaufte, erwirtschafteten sie einen Umsatz von 680 Millionen Euro. Im vergangenen Jahr sollen es nur noch 450 Millionen Euro gewesen sein.

Wie es in Finanzkreisen heißt, steht die inzwischen selbst insolvente Dawnay Day-Gruppe unter erheblichem Druck. Sie hat den Hertie-Kauf zu einem großen Teil per Kredit finanziert und benötigt hohe Mieteinnahmen für Zins und Tilgung. Da aber der insolvente Hertie-Konzern derzeit keine Miete zahlt, ist Dawnay Day offenbar gezwungen, sich durch den Verkauf einzelner Häuser Liquidität zu verschaffen. Die Briten werfen dem Insolvenzverwalter vor, bisher nicht das Gespräch gesucht zu haben. Dieser Darstellung widerspricht Bähr energisch: Er stehe seit Anmeldung der Insolvenz von Hertie im Sommer 2008 in regelmäßigem Kontakt zu den Eigentümern. In der kommenden Woche will er erneut nach London reisen, um über Mietsenkungen für die Warenhäuser zu verhandeln. Dagegen sieht Atisreal-Geschäftsführer Meyer für Hertie keine Zukunft: "Ich erwarte, dass der Insolvenzverwalter, Hertie Ende Februar komplett schließt."

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Putin will Gleichstellung

Davos - Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin fordert für eine langfristige Zusammenarbeit mit dem europäischen Luftfahrtkonzern EADS vermehrt Produktionsanteile für Russland. "Der Dialog mit EADS über die Flugzeugproduktion ist schwierig", sagte er auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Er verlange für Russland dieselben Bedingungen wie für europäische Kunden. "Teile der Produktion sollten in Russland sein, egal wie schwierig es ist." Reuters

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Opec könnte weiter kürzen

Davos - Die Organisation erdölexportierender Staaten (Opec) schließt angesichts des dramatisch gesunkenen Ölpreises weitere Förderkürzungen nicht aus. Opec-Generalsekretär Abdalla Salem el Badri sagte am Donnerstag auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos: "Wir sind nicht zufrieden mit einem Preis von 40 Dollar und auch nicht von 50 Dollar je Barrel." Selbst 50 Dollar erlaubten den Ölproduzenten keine Investitionen in den Ausbau von Kapazitäten. Wenn nicht in den Ausbau von Kapazitäten investiert werde, drohten Engpässe bei der Produktion. Man werde bis zum nächsten Opec-Treffen im März beobachten, wie der Ölpreis auf die letzten Förderkürzungen reagiere. Am Donnerstag pendelte der Preis für ein Barrel Rohöl um 42 Dollar. AP

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Krise verstärkt Datenklau

Davos - Mit der weltweiten Rezession ist die Gefahr von Datendiebstahl und Industriespionage für Unternehmen nach Meinung von Experten erheblich gestiegen. Mehr als eine Billion Dollar (770 Milliarden Euro) soll der Schaden aus Datenlecks und dem Diebstahl geistigen Eigentums allein 2008 weltweit betragen haben, geht aus einer am Donnerstag vorgestellten Studie hervor. "Es war erstaunlich für uns, wie groß der Einfluss der Gefahren ist", sagte Dave DeWalt, Chef des IT-Sicherheits-Spezialisten McAfee. Die Studienteilnehmer vermuten, dass sie allein im Jahr 2008 geistiges Eigentum im Wert von insgesamt 4,6 Milliarden Dollar (3,5 Milliarden Euro) verloren hätten. Geschätzte 600 Millionen Dollar habe die Behebung von Schäden aus den Sicherheitslecks gekostet. dpa

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Polizei entfernt Tibetflagge

Davos - Die Polizei in Davos hat aus einem Geschäft in dem Ort eine Tibetflagge entfernen lassen. Zum Weltwirtschaftsgipfel hält sich auch der chinesische Premierminister Wen Jiabao in Davos auf. Die Geschäftsführerin des Geschenkeladens, Margrit Merz, sagte im Schweizer Radio DRS, sie sei am Mittwochmorgen von der Polizei aufgefordert worden, Schriften des Dalai Lama, tibetische Gebetsbücher und die Flagge aus dem Schaufenster zu entfernen. dpa

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Heuschrecke hilf!

Finanzinvestor will mit Staatskapital den Mittelstand rauspauken

Die Idee wirkt auf den ersten Blick bizarr. "Der Bund könnte die Expertise der Beteiligungsgesellschaften nutzen, um dem Mittelstand mit Kapital zu helfen", schlug Wilken von Hodenberg am Donnerstag vor. Er ist Chef der Deutschen Beteiligungs AG, einem alteingesessenen Mittelstandsinvestor. Ein Finanzinvestor bietet sich also an, Staatsgeld in Firmen zu investieren, die durch die Wirtschaftskrise in Geldnot geraten sind. Wie soll das gehen? Waren diese Investoren nicht als Heuschrecken verschrien, weil sie selbst durch ihr Gebaren Firmen in Bedrängnis bringen?

Bei näherem Hinsehen ist die Überlegung nicht ganz abwegig. Hodenberg regt an, von den 100 Milliarden Euro, die der Bund im Zuge des zweiten Konjunkturprogramms vor allem als Kreditbürgschaften vergeben will, bis zu 20 Milliarden für Kapitalhilfen abzuzweigen. Das Geld könne über die Förderbank KfW in neue Beteiligungsfonds fließen. "Finanzinvestoren wie wir könnten eigenes Geld zuschießen und die Mittel in Firmen investieren", sagt Hodenberg. Etwa 250 Finanzinvestoren in Deutschland hätten die Expertise, sich daran zu beteiligen.

"Die Unternehmen brauchen gerade jetzt nicht mehr Schulden, sondern Eigenkapital." Das Argument ist richtig. In vielen Branchen brechen Umsätze und Gewinne rapide weg. Nur wenn die Kapitaldecke dick genug ist, finanzieren Banken Firmen irgendwann auch wieder ohne Staatsgarantie. Richtig ist auch, dass der Bund damit überfordert wäre zu entscheiden, welche Firmen er unterstützen soll. Finanzinvestoren kennen den Markt. Wenn sie zusätzlich ihr eigenes Geld investieren, hätten sie auch einen Anreiz, das Staatskapital umsichtig einzusetzen.

Warum aber geben die Finanzinvestoren den Firmen das Kapital nicht einfach selbst? Hodenberg sagt, fast alle Beteiligungsgesellschaften wollten die volle Kontrolle, sie gingen daher keine Minderheitsbeteiligungen ein. Im Bund mit dem Bund könnten sie aber die Risiken begrenzen. Dennoch dürfte das Geld eines Staats-Heuschrecken-Fonds vermutlich nicht bei den Firmen mit der größten Not landen. Der entscheidende Haken aber ist ein anderer: Zwar stehen die meisten Firmen der DBAG passabel da, obwohl Hodenberg nicht ausschließt, dass der Investor bei der ein oder anderen Firma Geld nachschießen muss. Aber Fachleute rechnen damit, dass vielen Unternehmen von Finanzinvestoren dieses Jahr die Insolvenz droht, weil sie mit zu hohen Schulden in die Rezession gehen. Als Krisenmanager empfehlen sich viele dieser Investoren daher nicht. Martin Hesse

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"Wir werden es überleben"

Während die Wirtschaftsführer in Davos eher verzagt auftreten, üben sich Politiker wie Ex-Präsident Bill Clinton in Optimismus

Von Marc Beise

Davos - Victor Pinchuk, 48, hat sein Geld in der Ukraine mit Stahl und Medien gemacht. Er ist ein leidenschaftlicher Unternehmer, aber auch ein Kunstfreund und ein passionierter Wohltäter. Also hat er eine eigene millionenschwere Stiftung für Gesundheit, Erziehung, Kultur und Menschenrechte ins Leben gerufen und im Jahr 2008 mit einem "Philanthropic Roundtable" die Davoser Bildfläche betreten. Damals war beim Welttreffen der Mächtigen und Reichen viel die Rede von einer Art Revolution im Wohltätigkeitsmarkt: dem massenhaften Engagement erfolgreicher Unternehmer, die ihre geschäftliche Erfahrung auch sozial nutzbar machen und einen Teil der verdienten Milliarden für das Wohl insbesondere von Menschen in der Dritten Welt einsetzen.Das Zauberwort lautete "Philanthrocapitalism", und die Verbindung von Kapitalismus und Wohltätigkeit schien der große Wurf. Namentlich das Microsoft-Ehepaar Bill und Melinda Gates engagierte sich mit bis dahin nicht gekannten Summen zum Beispiel gegen die Malaria in Afrika. Jetzt aber ist der Kapitalismus in die größte Krise seit 60 Jahren geraten; keine Sitzung findet im diesjährigen Davos statt, ohne dass diese geschichtliche Dimension mit Leidensmiene beschworen wird. Und plötzlich scheint die geniale Wortschöpfung eine ganz dumme Idee.

Pinchuk aber ist Unternehmer genug, aus der Not eine Tugend zu machen. Kurzerhand benannte er seinen 2. Davoser Roundtable "From Philanthrocapitalism to Philanthrocrisis" und gewann Promis wie den früheren US-Präsidenten Bill Clinton, Ex-Premier Tony Blair und Nobelpreisträger Mohammed Yunus aus Bangladesh als Mitwirkende. Diese setzten am Donnerstag mitten in die allgemeine Davoser Depression ein Zeichen der Hoffnung. Es sei nämlich keinesfalls so, berichteten die Spendensammler Clinton und Blair sowie andere Teilnehmer der Runde übereinstimmend, dass schwindende Gewinne automatisch auch wegbrechende Großspenden bedeuteten. Als lebendes Beispiel saß Internet-Milliardär Bill Gates auf der Bühne und bekundete, trotz schrumpfendem (aber immer noch gigantischem) Privatvermögen mehr denn je in seine Stiftung zu überführen. Man müsse allerdings, so der Aids-Bekämpfer Clinton, nicht immer nur Projekte benennen und Geld einfordern, sondern sich verstärkt Gedanken über die Art und Weise der Hilfe machen: "Das Wie wird unser großes Thema."

Dass solche Runden immer noch eher an der Peripherie von Davos stattfinden, hatte zuvor in einer anderen Session der Washingtoner Prediger Jim Wallis beklagt und eine ethische Diskussion über Chancen und Grenzen des Kapitalismus gefordert. Versatzstücke für eine solche Diskussion finden sich allerdings durchaus in vielen Stellungnahmen - vorzugsweise von Wirtschaftsführern selbst, die sich hier in Davos jedenfalls auf dem Podium häufig betont nachdenklich bis demütig geben. Er habe den Eindruck, mokierte sich darüber der israelische Präsident Schimon Peres, es sei ein Wettbewerb im Gange zum Küren des größten Pessimisten von Davos. Er selbst lasse sich den Optimismus nicht nehmen, sagte das Staatsoberhaupt eines Landes, das gerade einen Krieg in Gaza geführt hat.

Da traf sich Peres stimmungsmäßig mit seinem Ex-Kollegen Bill Clinton, der sich am Morgen vor Wirtschaftsführern zuversichtlich gezeigt hatte, dass die USA und die Welt die derzeitige Krise bewältigen werden: "Wir werden es überleben." Allerdings sei dazu eine enge internationale Zusammenarbeit nötig. "Eine Scheidung ist nicht drin, wir können uns nicht trennen."Clinton gab zu, dass die USA die Krise ausgelöst haben. An ihrer Bewältigung müsse weltweit gearbeitet werden. Allerdings würden die USA und damit der neue Präsident Barack Obama die Richtung vorgeben. Die USA könnten allerdings die Ausgaben und Pläne Obamas nur finanzieren, "wenn andere unsere Staatsanleihen kaufen". Dies sei etwa ohne die Unterstützung Chinas nicht zu schaffen. "Wir müssen handeln. Pessimismus ist eine Ausrede, nichts zu tun", sagte Clinton.

Der chinesische und der russische Regierungschef, Wen Jiabao und Wladimir Putin, hatten in ihren Eröffnungsreden den USA Zusammenarbeit angeboten, allerdings auch auf neuen Regeln für die Weltwirtschaft bestanden, die gemeinsam erarbeitet werden müssten. Putin hatte sich obendrein gegen die Dominanz des Dollar gewandt und mehrere gleichberechtigte Währungen gefordert.

Spitzentreffen in den Bergen: Wie sich Politiker und Manager Mut zureden

Spender unter sich (von links): Tony Blair, der chinesische Schauspieler Jet Li, Bill Gates, Moderator Matthew Bishop, Mohammed Yunus, Flugunternehmer Richard Branson. Vorne rechts Ex-Präsident Bill Clinton. Foto: AFP

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Herausforderer drehen auf

BCG legt Studie über große Unternehmen aus Schwellenländern vor

Von Karl-Heinz Büschemann

München - Die Konkurrenz zwischen etablierten westlichen Konzernen und neuen Wirtschaftsgrößen aus Schwellenländern wird durch die Finanzkrise nicht nachlassen. Das besagt eine Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting (BCG), die auf dem Wirtschaftsforum in Davos vorgestellt wurde. Multinationale Konzerne aus Europa, den USA oder Japan sollten nicht damit rechnen, dass die jetzige Krise die neue Konkurrenz aus Schwellenländern existenziell schwächt. "Selbst wenn einige der Herausforderer ins Straucheln geraten sollten, stehen viele andere in zweiter Reihe bereit, um ihren Platz einzunehmen", erklärt David Michael, BCG-Partner in Peking und Studienautor.

BCG hat in diesem Jahr 19 neue Unternehmen in die Liste der 100 größten Herausforderer der westlichen Weltmarktführer aufgenommen. Die Herausforderer seien mit Geschäften in der sogenannten Bric-Region, also in Brasilien, Russland, Indien und China, groß geworden, strebten aber inzwischen verstärkt auch am Weltmarkt an die Spitze. Die Unternehmen dieser Gruppe hätten in den vergangenen Jahren ein durchschnittliches Wachstum von 29 Prozent im Jahr erreicht. Das ist weit mehr, als die Konzerne schafften, die in den großen Börsenindizes Amerikas, Japans und Deutschlands vertreten sind. Mit einer Rendite von 17 Prozent 2007 seien diese Unternehmen besonders rentabel gewachsen.

Die meisten der neuen Konzerne sitzen in China (36), gefolgt von Indien (20), Brasilien (14), Mexiko (7) und Russland (6). Erstmals sind mit Agility, Dubai World, Emaar Properties, Emirates Airlines und Etisalat auch fünf Unternehmen aus dem Nahen Osten in der Liste vertreten. Das zeige, wie schnell sich die Golfregion wegbewege von der Ölförderung und in neue Geschäftsfelder rund um Immobilien, Logistik und Tourismus diversifiziere.

Aus China wurde das Photovoltaikunternehmen Suntec Power in die Liste aufgenommen. Suntec gehört zu den größten Herstellern von Solarzellen zur Stromgewinnung und machte 2007 einen Umsatz von 1,3 Milliarden Dollar. Suntec hat vor einem Jahr in Deutschland die KSL-Kuttler Automation Systems übernommen. Am stärksten ist in der Liste der 100 größten Herausforderer mit 20 Unternehmen die Rohstoffbranche einschließlich Metallurgie vertreten. Es folgt mit 13 Nennungen die Lebensmittelindustrie. Die Autohersteller und -zulieferer sind mit zehn genannten Konzernen die drittgrößte Branche.

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Spritfresser bleiben stehen

Autofahrer reagieren sensibel auf Kraftstoffpreise

Von Hans-Willy Bein

Düsseldorf - Die deutschen Autofahrer reagieren sehr sensibel auf die Preissprünge beim Sprit. Die Rekordpreise für Normal- und Superkraftstoff veranlassten viele Verbraucher im vergangenen Jahr, häufiger ihr Fahrzeug stehen zu lassen. Nach der Verbilligung der letzten Monate wird wieder kräftiger Gas gegeben. Diese Beobachtung von Konsumforschern und Verkehrsverbänden wird von der größten deutschen Tankstellenkette Aral bestätigt.

Die deutschen Tankstellen setzten 2008 mit 19,9 Millionen Tonnen Ottokraftstoff 2,7 Prozent weniger Benzin und Super ab. Grund hierfür seien die höheren Preise und der Trend zu Fahrzeugen mit niedrigerem Verbrauch, sagte Aral-Chef Stefan Brok. Der Diesel-Absatz nahm dagegen noch um drei Prozent auf 15,4 Millionen Tonnen zu, weil die positive Konjunktur in den ersten neun Monaten 2008 zu mehr Frachttransporten geführt habe. Weil Diesel über längere Zeit aber fast so viel kostete wie Ottokraftstoff, entschieden sich wieder mehr Verbraucher beim Neuwagenkauf für einen Benziner. Der Diesel-Anteil bei den Neuzulassungen sank von gut 48 Prozent auf 44,5 Prozent. Für dieses Jahr rechnen die Tankstellen generell mit geringerem Absatz. Auswirken dürfte sich auch die Abwrackprämie, wenn Autofahrer von alten Fahrzeugen auf Autos mit effizienteren Motoren umsteigen.

Das extreme Auf und Ab an den Tankstellen zeigt sich auch an der Zahl der Preisveränderungen. 155 Tagen mit teilweise kräftigen Preiserhöhungen standen im vergangenen Jahr 148 Tage mit Senkungen gegenüber. Diese Schwankungen setzten sich in diesem Jahr fort. 2009 gab es bisher elf Tage mit Preissenkungen. Auf der anderen Seite läuft gegenwärtig die zwölfte Runde mit Verteuerungen. Schon seit einiger Zeit ist Normalbenzin mit seiner geringeren Klopffestigkeit an den Zapfsäulen kaum noch billiger als Super. Während Shell Benzin deswegen vom Markt nehmen will, bietet Konkurrent Aral den Kraftstoff vorerst weiter an. "Solange der Kunde Benzin haben will, bekommt er das auch", sagte Brok. Bei Aral hat Benzin noch einen Anteil von acht bis zehn Prozent am Absatz von Ottokraftstoff.

Das seit Jahren zu beobachtende Tankstellensterben setzte sich mit geringerer Geschwindigkeit fort. Mitte 2008 gab es in Deutschland noch 14 883 Stationen, 21 weniger als zu Jahresbeginn. Vor zehn Jahren konnte noch an fast 16 600 Stationen in Deutschland getankt werden. Der Tankstellenpächter arbeitet nach Branchenangaben im Schnitt mit einer Marge von ein Cent pro Liter Sprit. Für die durchschnittliche Station stünde unter dem Strich ein Jahresgewinn von 50 000 Euro. Finanziert werden müssen davon aber noch die Investitionen.

Negativ wirkte sich aus, dass die Autofahrer häufiger einen Bogen um die Tankstellen-Shops machen, die mit einem Anteil von 60 Prozent wichtigste Einnahmequelle der Pächter sind. Aral musste in den Shops Umsatzeinbußen von fünf Prozent auf 1,55 Milliarden Euro hinnehmen.

Gemessen am Kraftstoffabsatz hat Aral mit seinen insgesamt 2429 Tankstellen nach eigenen Angaben einen Marktanteil von 23 Prozent. Nach Schätzungen folgen Shell - ohne die Billigstationen Rheinland - mit 22 Prozent, Jet mit 10 Prozent sowie Esso und Total mit je 8,5 Prozent. Aral wird dieses Jahr 74 Stationen mittelständischer Händler von Shell auf die eigene Marke umstellen.

Sobald Benzin billiger wird, geben Autofahrer wieder mehr Gas. Foto: ddp

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Kommentare

Raus mit den Milliarden

Obamas Konjunkturprogramm ist ein Stück Hoffnung

Von Nikolaus Piper

Ein Sieg und eine Niederlage für den neuen Präsidenten. Barack Obama hat sein Konjunkturprogramm sicher durch das Repräsentantenhaus gebracht und er wird nächste Woche wohl auch eine Mehrheit in der zweiten Kammer des Kongresses, dem Senat, dafür bekommen. Aber bisher hat er keinen einzigen Republikaner hinter seine Position gebracht. Und es wird noch viel Feilschen und Schachern im Kongress geben, ehe das Programm Gesetz wird und Obama der Weltwirtschaft den Anschub geben kann, den sie dringend braucht.

Es ist eigentümlich, dass sich all die alten Argumente gegen Staatsinterventionen in die Wirtschaft bestätigen, dass es aber trotzdem keine Alternative zu dem gigantischen Programm gibt. Der Staat ist eben nicht der weise Vater, der "über der Wirtschaft" steht, wie es sich der deutsche Ökonom Alexander Rüstow einst gewünscht hatte. Der Staat setzt sich zusammen aus Politikern, Abgeordneten und Beamten, von denen jeder seine eigenen Interessen, Wünsche und Vorurteile hat und danach handelt.

Deshalb konnte es auch gar nicht anders sein, als dass in Obamas Konjunkturprogramm lauter problematische Details stecken. Die Demokraten packten sozialpolitische Maßnahmen hinein, etwa die Ausweitung der staatlichen Krankenversicherung, die für viele Menschen sinnvoll sein mögen, die aber in einem Konjunkturpaket eigentlich nichts zu suchen haben. Ganz ähnlich werden die Republikaner jetzt im Senat das Programm mit Steuersenkungen verwässern. Und man kann darauf wetten, dass Lobbyisten in Washington viele Investitionsmilliarden in vollkommen sinnlose Verwendungen umlenken werden.

Nur kommt es darauf jetzt nicht an. In einer so außerordentlichen Situation wie der jetzigen, in der das gesamte Zukunftsvertrauen in der Wirtschaft zusammengebrochen ist, entscheidet nur eines über Erfolg und Misserfolg der Konjunkturpolitik: die zusätzlich geschaffene Nachfrage. Insofern ist es wichtig, dass so viele Milliarden wie möglich so schnell wie möglich ausgegeben werden; das ganze Programm kostet immerhin mehr als der Irak-Krieg. Wahrscheinlich wäre es sogar gut, würde Obamas Programm noch großzügiger ausfallen. Unterstützt wird er von der Notenbank Federal Reserve, die am Mittwoch ankündigte, demnächst im großen Stil amerikanische Staatsanleihen aufkaufen zu wollen. Das bedeutet, dass die Fed Geld druckt, um den Kreditfluss wieder in Gang zu setzen.

All dies wird aber nicht reichen. Der Internationale Währungsfonds hat am Mittwoch ungewöhnlich deutlich die Regierungen der Industrieländer gewarnt: Zusätzliche drastische Maßnahmen sind nötig, um den Absturz der Weltwirtschaft zu stoppen. Bereits in der kommenden Woche dürfte Washington daher die Gründung einer "Bad Bank" bekanntgeben, also eines Instituts, das den normalen Banken einen Teil ihrer faulen Kredite abnimmt. Sie wird weiter viel Geld ausgeben, um Banken mit frischem Kapital auszustatten. Und sie sollte noch einen Schritt gehen, vor dem bisher alle zurückgeschreckt sind: Obamas Team muss entscheiden, ob es nicht große Banken gibt, die nicht mehr lebensfähig sind. Wenn die Antwort "ja" heißt, müssen diese Banken schnell verstaatlicht und dann abgewickelt werden. Das ehrgeizige Konjunkturprogramm kann dauerhaft nur wirken, wenn nicht laufend immer neue Katastrophennachrichten aus dem Finanzsektor kommen. (Seiten 8 und 23)

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USA registrieren so viele Arbeitslose wie noch nie

Washington - Die Arbeitslosenzahl in den USA ist auf den höchsten je gemessenen Stand gestiegen. In der Woche bis zum 17. Januar erhielten saisonbereinigt 4,78 Millionen Menschen Arbeitslosenhilfe, wie das Arbeitsministerium in Washington am Donnerstag mitteilte. Mit der statistischen Erfassung wurde 1967 begonnen. Die Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosengeld stieg in der vergangenen Woche leicht auf 588 000 nach 585 000 in der Vorwoche. Das ist mehr, als Arbeitsmarktexperten geschätzt hatten. In den vergangenen Wochen haben amerikanische Unternehmen der verschiedensten Branchen laut einer Zählung der Nachrichtenagentur AP die Streichung von insgesamt mehr als 125 000 Stellen angekündigt. Am Donnerstag gab der Fotokonzern Kodak bekannt, sich von 4500 und damit fast von jedem fünften Mitarbeiter trennen zu wollen. AP

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Gläserne Stars

Auch Top-Verdiener bei ARD und ZDF sowie im Sport müssen sich auf mehr Transparenz bei ihren Gehältern einstellen. Die Arbeitsgruppe von Union und SPD einigte sich darauf, im Bereich öffentlich-rechtlich dominierter Unternehmen und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens zu Gunsten der Gebührenzahler für mehr Offenheit zu sorgen. Das gleiche gilt für Profiabteilungen von Sportvereinen. Aus Zeitgründen soll dieser Aspekt aber von den Regeln für Managergehälter abgetrennt werden. dku

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Die Gunst der Flaute

Der Modehändler H&M nutzt die Wirtschaftskrise zur Expansion

Von Elisabeth Dostert

Es gibt sie noch: gute Nachrichten. Der schwedische Modehändler H&M hat eine solche am Donnerstag in die Welt geschickt. Im laufenden Geschäftsjahr will die Billigkette weltweit 225 neue Läden eröffnen und bis zu 7000 Stellen schaffen. Das wären noch mehr als im vergangenen Jahr. Zwar spürt auch H&M die weltweite Wirtschaftskrise. Der Umsatzanstieg um drei Prozent im Dezember deutet auf einen schwachen Start in das neue Jahr hin, weshalb auch die Börse auf den Jahresbericht mit leichten Kursabschlägen reagierte. Im Gefolge zeigten sich auch die Papiere des größeren spanischen Konkurrenten Inditex mit Marken wie Zara und Massimo Dutti schwächer. Per saldo gilt jedoch: Schlechte Zeiten sind gute Zeiten für Discounter, weil die Verbraucher stärker darauf achten, wofür sie ihr Geld ausgeben. Davon profitieren Firmen wie H&M. Sie können dank einer guten Kapitalausstattung und einem starken und langfristig orientierten Großaktionär wie der Gründerfamilie Persson bei H&M die Gunst der Flaute nutzen. Sie sollten sie aber nicht auf Kosten der neuen Mitarbeiter ausnutzen.

7000 Stellen, das klingt gut. Aber die Schweden sagen nicht, um wie viele Vollzeitstellen es sich dabei handelt. Bei einem beträchtlichen Teil der Neuen dürfte es sich um Teilzeitkräfte mit niedrigen Löhnen handeln. In Zeiten steigender Arbeitslosenzahlen wächst auch die Gefahr, dass Firmen die Not von Menschen, die händeringend einen Job suchen, ausnutzen. Und viele Discounter sind jetzt schon für ihren rüden Umgang mit Mitarbeitern bekannt. (Seite 21)

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Maserati trotz Finanzkrise

Für New Yorks Maserati-Händler gibt es noch Hoffnung (Foto: Bloomberg): Die Wall Street hat für 2008 Jahresprämien von 18,4 Milliarden Dollar an die knapp 170 000 Beschäftigten der Branche ausgeschüttet. Dies waren rund 112 000 Dollar pro Mitarbeiter. Insgesamt handelte es sich nach Angaben des staatlichen Rechnungsprüfers um die sechsthöchste Summe aller Zeiten. Sie sank allerdings verglichen mit dem Vorjahr um 44 Prozent. Der Rückgang ist in absoluten Zahlen der stärkste der Geschichte und prozentual so deutlich wie seit mehr als drei Jahrzehnten nicht. Dem Bundesstaat New York und der Stadt entgingen so Steuern von zusammen fast 1,3 Milliarden Dollar, teilte der Rechnungsprüfer des Staates New York mit. Die Zahl der an der Wall Street Beschäftigten war wegen der Finanzkrise binnen eines Jahres um rund zehn Prozent gesunken. dpa

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Union und SPD wollen Gehaltsexzesse eindämmen

Koalition kämpft gegen die Gier

Ein Gesetz soll verhindern, dass Manager sich zu sehr an der kurzfristigen Rendite orientieren

Von Daniela Kuhr

Berlin - Die große Koalition hat sich auf schärfere Regeln für Managergehälter geeinigt. Die neuen Vorgaben sollen verhindern, dass Vorstände nur auf den schnellen Erfolg aus sind. "Falsche Vergütungsanreize müssen korrigiert werden", sagte Joachim Poß (SPD), der mit Otto Bernhardt (CDU) die Arbeitsgruppe zu Managergehältern geleitet hat.

Mit den neuen Regeln will die Koalition das kurzfristige Renditedenken zurückdrängen. Dieses habe die Katastrophe an den Finanzmärkten mitbefördert, sagte Poß. So dürfen Manager ihre Aktienoptionen in Zukunft frühestens nach vier Jahren und nicht wie bisher nach zwei Jahren einlösen. Zudem soll der Aufsichtsrat eines Unternehmens das Gehalt des Vorstands im Nachhinein auch einmal herabsetzen dürfen. Für Fehler wird das Kontrollgremium stärker haften als bislang. Auch muss in Zukunft der gesamte Aufsichtsrat über das Gehalt eines Vorstandsmitglieds entscheiden und nicht mehr nur ein kleiner Ausschuss des Aufsichtsrats.

Die Arbeitsgruppe schlägt zudem neue Regeln vor für den Wechsel eines Vorstands in den Aufsichtsrat. Der Vorstand soll beispielsweise frühestens drei Jahre nach seinem Ausscheiden Mitglied in einem Prüfungsausschuss des gleichen Unternehmens werden können. Eine absolute Obergrenze für Vorstandsbezüge soll es aber nicht geben. "Mit unseren Vorschlägen wollen wir ein Umdenken bei Managern und Aufsichtsräten bewirken", sagte Poß. "Angemessenheit der Gehälter, langfristige Nachhaltigkeit und Transparenz sind jetzt gefragt."

Die Koalitionsarbeitsgruppe war im vergangenen Sommer eingesetzt worden, um Regeln gegen exzessive Managergehälter auszuarbeiten. Sie hat sechs Mal getagt. "Das Ergebnis kann sich sehen lassen, auch wenn erwartungsgemäß nicht in allen Punkten Einvernehmen erzielt werden konnte", sagten die beiden Vorsitzenden Bernhardt und Poß am Donnerstag nach der letzten Sitzung.

Die Punkte, in denen es keine Einigung gab, sollen am 4. März im Koalitionsausschuss beraten werden. In ihm sitzen die Spitzen der Koalition. Umstritten ist nach wie vor insbesondere, ob die steuerliche Absetzbarkeit von Vorstandsgehältern begrenzt werden soll. Die SPD hatte vorgeschlagen, dass Unternehmen Managergehälter nur noch bis zu einer Million Euro vollständig als Betriebsausgaben absetzen können. Was darüber hinausgeht, solle nur zur Hälfte absetzbar sein. Die Union lehnt das wegen rechtlicher Bedenken ab.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), die ebenfalls der Arbeitsgruppe zu den Managergehältern angehörte, teilt die Bedenken nicht. "Rechtlich wäre es möglich, den Abzug zu begrenzen", hatte sie im SZ-Interview gesagt. "Bei den Gehältern der Aufsichtsräte ist das schließlich seit Jahren geltendes Recht." Doch Steuerexperten meinen, dass sich dies nicht vergleichen lasse, weil Aufsichtsräte als Selbständige arbeiten, während Vorstände bei ihren Unternehmen angestellt sind.

Strittig blieb auch die Forderung der Sozialdemokraten, Manager darauf zu verpflichten, ihre Entscheidungen stärker am Wohl der Allgemeinheit, des Unternehmens und der Arbeitnehmer auszurichten. Ebenfalls keine Einigung wurde erzielt bei dem Vorschlag, die Aufsichtsräte zu verkleinern und die Zahl der Mandate einzuschränken, die ein einzelner Aufsichtsrat wahrnehmen darf.

Auch die Frage, ob es bei den Haftpflichtversicherungen für Manager eine verbindliche Selbstbeteiligung geben solle, blieb offen. In der Wirtschaft sind diese Versicherungen, die unter dem Begriff D&O (Directors and Officers) bekannt sind, mittlerweile sehr verbreitet. Fast jedes Unternehmen schließt solch eine Police für seine Manager ab, um Schäden im Falle fahrlässigen Verhaltens abzudecken. Kritiker wenden ein, dass die Manager daher keinerlei Haftung mehr zu befüchten hätten, zumal die Beiträge für die D&O-Versicherung in aller Regel das Unternehmen zahlt.

Aktionärsschützer begrüßten das Ergebnis, auf das sich die Arbeitsgruppe geeinigt hat. "Es ist wichtig, das langfristige Denken und Handeln des Vorstands zu fördern", sagte Marco Cabras von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). In der Vergangenheit hätten sich Boni oder Aktienoptionen häufig an den Quartalszahlen orientiert, was falsche Anreize gesetzt habe. Gut sei zudem, dass es keine generelle Deckelung der Gehälter gebe. "Vorstände dürfen ruhig sehr gut verdienen, wenn sie denn sehr gute Leistung bringen."

Union und SPD wollen noch vor der Bundestagswahl Gesetzesänderungen beschließen. "Es besteht die Hoffnung, dass wir in den Punkten, in denen wir uns geeinigt haben, noch tätig werden", sagte Poß.

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INHALT

INTERVIEW

"Hohe Risiken"

Hypo-Real-Estate-Chef Axel Wieandt über die schwierige Rettung. Seite 18

POLITIK UND MARKT

"Wir werden es überleben"

Bill Clinton und andere reden in Davos über eine bessere Welt. Seite 19

UNTERNEHMEN

Zug nach Polen

Deutsche Bahn übernimmt Gütertransporteur auf der Schiene. Seite 20

GELD

Bekannt um jeden Preis

Dolly Buster über die Vermarktung ihres Namens und ihre Lebenskrise. Seite 26

Kursteil Seiten 22 und 24

Fondsseiten Seiten 24 und 25

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Kurse des Tages

Autoaktien bleiben sensibel. Mit Kursabschlägen von bis zu sechs Prozent reagierten die Papiere von BMW am Donnerstag auf Gerüchte, der Konzern werde in Kürze eine Gewinnwarnung veröffentlichen. Offiziell will der Hersteller aus München in der ersten Februar-Woche Umsatzzahlen nennen, Ergebnisse dann im März.

Spekulationen um einen Verlust von einer Milliarde Franken im Handelsgeschäft setzten am Donnerstag die Aktien des Schweizer Bankkonzerns UBS unter Druck. Auch andere Finanztitel gaben nach dem fulminanten Kurssprung am Mittwoch einen Teil ihrer Gewinne wieder ab.

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Gilbert Grape - Irgendwo in Iowa

Tele 5, 20.15 Uhr. Der junge Gilbert (Johnny Depp, r.) kümmert sich um seine drei Geschwister. Denn der Vater ist tot, die Mutter bewegungsunfähig ans Sofa gefesselt. Besonders der geistig behinderte Arnie (Leonardo DiCaprio) braucht seine Fürsorge. Als Gilbert die Touristin Becky - Juliette Lewis - kennenlernt, überdenkt er seine Selbstlosigkeit. Foto: Tele 5

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"Handelsblatt" spart

Die Verlagsgruppe Handelsblatt nimmt angesichts der Wirtschafts- und Anzeigenkrise weitere Einschnitte vor. So wird die gedruckte Ausgabe der Nachmittags-Zeitung News am Abend eingestellt, teilte der Düsseldorfer Verlag mit. Das Blatt, das seit 1995 erscheint und von der Handelsblatt-Redaktion mitproduziert wird, wurde bisher ab etwa 16 Uhr unter anderem in den Zügen der Deutschen Bahn und in den Flugzeugen von Air Berlin verteilt. Künftig soll News am Abend nur noch digital erscheinen und an Unternehmenskunden geliefert werden. Diese könnte die Zeitung mit eigenen Inhalten erweitern, hieß es. SZ

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Das Zweite ist Erster

Das ZDF vermeldet einen erfolgreichen Januar 2009. Mit Datum 28. Januar schließt das Zweite den ersten Monat dieses Jahres an der Spitze aller Sender ab. Bezogen auf die Gesamtzuschauerzahl erreichte der öffentlich-rechtliche Sender eigenen Angaben zufolge 14,4 Prozent, Privatsender RTL 12,7 (bei den 14- bis 49-Jährigen 17,8; Sat 1: 10,2) und die ARD lediglich 12,4 Prozent. Die beiden ZDF-Programme Wetten, dass . . .? (10,62 Millionen) und Das Traumschiff (9,69) führen demnach die Hitliste der Top-50-Sendungen des Januar an. Bei der ARD holten vor allem drei Tatort-Ausstrahlungen hohe Quoten. SZ

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Ein erzwungener Plan B

Umstrittene "Zeitungszeugen" vorerst ohne NS-Nachdrucke

Man kann dem britischen Verleger Peter McGee nicht vorwerfen, er verstünde nichts vom Zeitungsgeschäft. "Zensiert" steht in dicken roten Buchstaben auf dem Cover der aktuellen Ausgabe seines umstrittenen Wochenmagazins Zeitungszeugen, die seit Donnerstag im Handel ausliegt. Im Heft ist zwar so gut wie nichts mehr drin, wofür man es bisher gekauft hätte, aber der Titel macht neugierig. Die "Sondernummer" erscheine "aufgrund der Vorgehensweise des bayerischen Finanzministeriums", heißt es. Gemeint ist die Beschlagnahmung von mehreren tausend Nachdrucken des NS-Blattes Völkischer Beobachter, die der zweiten Nummer beilagen. Der Freistaat Bayern versteht sich als Inhaber der Rechte der Nazi-Zeitung und anderer NS-Blätter und verbietet den Nachdruck. Statt Faksimiles der Frankfurter Zeitung, eines liberalen Wirtschaftblattes, und des Angriffs von Joseph Goebbels über Adolf Hitlers Ermächtigungsgesetz gibt es nun nur noch vier Seiten, auf denen sich McGee, sein Anwalt, seine Chefredakteurin und sein wissenschaftlicher Beirat wortreich gegen ihre "Zensur" wehren.

Zum Start der Sonderausgabe saß McGee am Donnerstag im Amaliensalon des Münchner Hotels Königshof und versuchte Zuversicht auszustrahlen. Rund 30 Journalisten waren gekommen, um zu hören, wie sich der 48-jährige Brite gegen den Freistaat wehren will. Der Eindruck: zumindest nicht mehr ganz so kämpferisch wie in den vergangenen drei Wochen. Ihm sei "an einer weiteren Eskalation nicht gelegen", sagte McGee. Man habe die Bayern von Anfang an "nicht provozieren" wollen, ergänzte sein Anwalt Ulrich Michel. Vielleicht liegt es daran, dass McGee die staatlichen Maßnahmen, die er "drakonisch" nannte, allmählich Respekt einflössen; auch gegen ihn persönlich laufen Ermittlungen, unter anderem wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.

Plan B: Ohne Nazis

Vielleicht fürchtet McGee aber auch schlicht um sein Geschäft. Von den 300 000 Exemplaren der ersten Ausgabe konnte er nach eigenen Angaben 200 000 Stück à 3,90 Euro verkaufen. Doch schon die teilweise beschlagnahmte zweite Ausgabe (Auflage 150 000) dürfte kein großer Erfolg mehr geworden. Und bei der nachdruckfreien dritten Nummer geht er selbst von einem Verlust aus. Wer will, kann zwar einen "Bestellkupon" ausfüllen. Dafür soll es später eine Vollversion geben, inklusive Nachdrucke. Doch das kann dauern: "sobald der rechtliche Disput beigelegt wurde", heißt es im Heft.

McGees Anwalt Ulrich Michel trug in München noch einmal alle seine Einwände gegen die Rechtsauffassung des Freistaats vor. Der wichtigste: Für die Zeitungszeugen gelte die "Zitatfreiheit", weshalb keine Verletzung des Urheberrechts vorliege. Zu diesem Schluss komme auch ein neues zwölfseitiges Gutachten des Rechtsgelehrten Bernd Heinrich von der Humboldt-Universität in Berlin. Bis die rechtliche Frage geklärt sei, müsse McGee leider auf alle NS-Nachdrucke verzichten, erklärte Michel, sonst drohe gleich die nächste Beschlagnahmung.

Der Streit könnte schon in den nächsten Wochen vor dem Landgericht in München verhandelt werden, die nächste Stufe wäre dann direkt das Bundesverfassungsgericht. Bis zum Urteil will McGee "wie geplant" weitermachen - mit den unter Hitler nicht mehr lange gedruckten bürgerlichen und linken Zeitungen, mit Exil-Publikationen und mit ausländischen Blättern. "Plan B" nennt McGee das. Ob er aufgeht? Der Reiz der Zeitungszeugen, das zeigt die öffentliche Debatte, liegt im Nachdruck der NS-Blätter, im so nicht dagewesenen massenhaften Zugang zu "verwerflichem, rassistischem und kriminellem Material" (McGee). Ohne ihn dürfte das Interesse der Journalisten und der anderen Leser rasch erlöschen. MARC FELIX SERRAO

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Die dunkle Seite

"Belege opportunistischen Verhaltens": Ein Buch dokumentiert die bisher unbekannte NS-Vergangenheit des Verlegers Georg von Holtzbrinck

War Georg von Holtzbrinck ein Nazi, der Hitler und Goebbels unterstützte und davon profitierte? Jetzt liegt das Ergebnis einer Studie in Form eines Buches vor: "Zu unserem großen Bedauern", teilten die Kinder Monika Schoeller von Holtzbrinck, Dieter und Stefan von Holtzbrinck mit, sei das NS-Regime "in alle Lebens- und Arbeitsbereiche und damit auch in das verlegerische Handeln unseres Vaters eingedrungen". Mit dem neuen Buch zur verlegerischen Rolle Georg von Holtzbrincks im Dritten Reich, heißt es weiter, werde ein "bislang weitgehend unbekanntes Teilstück der deutschen Buchhandelsgeschichte in der Nazi-Zeit bekannt. Im Interesse der erwünschten rückhaltlosen Aufklärung wurden alle in Familien- und Unternehmenshand befindlichen Materialien zur Verfügung gestellt und die akademische Arbeit unterstützt. In Summe erschlossen sich nahezu dreißig Archive zwischen Washington und Moskau, alle aufgefundenen Dokumente stehen der weiteren Forschung zur Verfügung."

Am 1. August 1948 schrieb Georg von Holtzbrinck einem Onkel in New York: "Jetzt liegt die Geschichte hinter einem." Er war erleichtert und fügte an: "Vergessen werden wir sie aber nicht."

Holtzbrinck sprach nicht vom Dritten Reich und den Untaten der Nazis, sondern von seinem Entnazifizierungsverfahren. Das war "moralisch viel deprimierender als die unmittelbaren Gefahren für Leib und Besitz, die der Krieg mit sich gebracht hatte", schrieb er.

Es hat Gründe, dass für ihn die Entnazifizierung schlimmer war als die Zeit im Nationalsozialismus. Unter dem Aktenzeichen 37/1V/17542 begann im Jahr 1946 in Stuttgart ein Spruchkammerverfahren gegen Georg von Holtzbrinck. Dem 36-Jährigen wurde vorgeworfen, die Diktatur Adolf Hitlers mit seinen Zeitschriften, mit seiner Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens oder auch den Nationalsozialistischen Monatsheften unterstützt und vom Nazi-Regime profitiert zu haben. Gehörte Holtzbrinck zu den Belasteten der Kategorie II? Das sind Nutznießer des Unrechtsregimes, die sich persönliche oder wirtschaftliche Vorteile verschafften. Oder war er nur ein Mitläufer, wie er selbst und sein Verteidiger versichern?

Holtzbrinck sei "ein überzeugter Anhänger" der Nazis gewesen und "ist in die Gruppe der Aktivisten einzureihen", behauptete der Ankläger. Als Beleg führte er eine Mitgliedschaft in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), im NS-Studentenbund, in der Reichspressekammer, vor allem aber die Mitgliedschaft in der NSDAP an. Georg von Holtzbrinck sei bereits 1935 in die Partei der Nazis eingetreten und habe damit automatisch als belastet zu gelten.

Für den Unternehmer ging es um alles oder nichts. Holtzbrinck beobachtete in den Nachkriegstagen auf seinen Zugfahrten nach Stuttgart viele hungrige Menschen, wie er einmal nach New York schrieb. Er hatte zu essen, er besaß sogar ein Auto, auch wenn er wegen Spritmangels damit noch nicht fahren konnte.

Aber wie würde er nach dem Urteil dastehen? Stufte man ihn als Belasteter ein, wäre seine Karriere als Verleger beendet. Holtzbrinck drohten bis zu fünf Jahre Arbeitslager, der Verlust des Wahlrechts und des Vermögens. Der Ruin. Das Verfahren dauerte zwei Jahre. Sein Verteidiger erhob in 24 Fällen Einspruch. War Georg von Holtzbrinck ein Nazi, der eine gewichtige Rolle spielte für Hitlers Propagandaminister Goebbels? Bis heute beginnt die offizielle Unternehmensgeschichte 1948. Holtzbrinck überging in einem Geburtstagsband 1969 (Das Buch zwischen gestern und morgen) die heiklen Punkte der Biographie und betonte, die Reichspressekammer habe die Schließung seines Unternehmens wegen Unzuverlässigkeit angedroht.

Die Wahrheit ist komplizierter. Seit das amerikanische Magazin Vanity Fair 1998 die Karteikarte seiner Parteimitgliedschaft abdruckte und ihm vorwarf, er habe die Ideologie der Nazis verbreitet, rätselt die Verlagswelt über die dunkle Vergangenheit von Georg von Holtzbrinck im Dritten Reich. 1998 lehnte es Sohn Dieter von Holtzbrinck ab, die Enthüllung zu kommentieren oder auf die Aktivitäten seines Vaters in der Nazizeit einzugehen. Davor war lediglich 1968 im Spiegel von Holtzbrincks Vergangenheit als "Ex-Pg", als ehemaliger Parteigenosse der NSDAP, die Rede. Der Hinweis wurde von Historikern offenbar übergangen und blieb folgenlos.

Erst als die in Gütersloh ansässige Bertelsmann AG auf Druck der Öffentlichkeit um 1998 ihre Legende vom Widerstandsverlag berichtigen musste, ließen Stefan und Dieter von Holtzbrinck die Geschichte des eigenen Hauses im Dritten Reich untersuchen. "Unsere Familie und unser Unternehmen haben Verantwortung, die Vergangenheit zu erklären", sagte Firmenchef Stefan von Holtzbrinck damals der New York Times. Die Erben handeln geschäftlich auch mit Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Denn zu Holtzbrinck gehören neben Buchverlagen wie S. Fischer und Rowohlt die Wochenzeitung Die Zeit, das Handelsblatt und der Tagesspiegel. Die so genannte Schwarze Reihe bei S. Fischer fühlt sich der Aufklärung der NS-Zeit verpflichtet.

Der Journalist Thomas Garke-Rothbart, bis Ende 2008 bei der Thüringer Allgemeinen in Erfurt beschäftigt, forschte seit 1998 und legt jetzt mit dem Buch . . . für unseren Bereich lebensnotwendig . . . (Verlag K.G. Saur) neue Erkenntnisse vor. Familie Holtzbrinck machte nicht nur Quellen und das Verlagsarchiv zugänglich, sondern finanzierte einen Teil der Forschung. Sie habe seine Arbeit aber nicht autorisiert, betont Garke-Rothbart. Das Buch sei eine unabhängige Darstellung.

Wer war der Mann, der den Grundstein legte für das renommierte Verlagshaus, das heute ehemals jüdische Verlage besitzt und Autoren wie Thomas Mann, Franz Kafka und Susan Sontag verlegt? Garke-Rothbarts Buch gibt Auskunft: Georg von Holtzbrinck wurde am 11. Mai 1909 als viertes von fünf Kindern eines adeligen Gutshofbesitzers in Hagen in Westfalen geboren. Er erhielt den Vornamen jenes Vorfahren, der 1694 von Kaiser Leopold I. in den Adelsstand erhoben worden war. Doch Georgs Vater musste den Familienbesitz verkaufen, auch das nachfolgende Gut konnte er nicht halten. Das Geldvermögen wurde durch die Inflation entwertet. Die Verarmung sei "eine prägende Erfahrung" gewesen, schreibt Garke-Rothbart.

Als Georg von Holtzbrinck 1929 sein Jura-Studium in Bonn und Köln begann, musste er sich den Lebensunterhalt selbst verdienen. 1931 wurde er Mitglied im NS-Studentenbund. Nach 1945 argumentierten seine Anwälte, die Organisation sei "damals nichts weiter als andere Studentenorganisationen auch" gewesen. Er habe lediglich an acht Treffen teilgenommen und sei wegen des niedrigen Beitrags beigetreten. Die Versprechungen der NSDAP auf wirtschaftliche Besserung, sagte Holtzbrinck 1949, hätten auf Studenten, "eine beträchtliche Anziehungskraft ausgeübt". Vom wirklichen Gesicht des Nationalsozialismus sei nichts zu erkennen gewesen.

Doch ganz so harmlos war der Studentenbund nicht, meint Garke-Rothbart, immerhin war die NS-Studentenorganisation wegen Hetze gegen jüdische Kommilitonen und missliebige Professoren an der Universität Köln verboten. Die Organisation firmierte als "NSDAP. Sektion Universität". Wer Mitglied werden wollte, musste zur Gauleitung. Holtzbrinck muss klar gewesen sein, auf was er sich einließ.

Im Sommer 1930 warb Holtzbrinck Abonnenten für die Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, einer Art Buchgemeinschaft der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart. Diese Zeitschriftenbände beinhalteten einen Roman oder eine Novelle, eine historische Skizze und einen Wissenstext. Holtzbrinck war so erfolgreich, dass er von 1931 an ganz in das Geschäft der Zeitschriften- und Buchwerber umstieg. Im November 1932 rechnete er 836 neue Abonnenten ab, für die er 3762 Reichsmark Provision erhielt. Das Studium brach er ab, seine Kontakte nutzte er für die Vertriebsarbeit und heuerte dafür Studenten an. Damals begann die Zusammenarbeit mit August-Wilhelm Schlösser, seinem langjährigen Partner. Schlösser arbeitete seit 1928 als Vertreter für die Union Deutsche Verlagsgesellschaft.

Holtzbrinck verdiente 1932 rund 20000 Reichsmark, also zirka 1667 Reichsmark im Monat. 70 Prozent der Ärzte mussten mit weniger als 170 Reichsmark auskommen. Allein im Januar 1933 verdiente er 4760 Reichsmark und hatte mehr als 16 000 Reichsmark auf dem Konto, was heute der Kaufkraft von ungefähr 160000 Euro entspricht. Am 30. Juni 1933 waren es bereits 37 558 Reichsmark. Gemeinsam mit ihren Vertretern waren Holtzbrinck und Schlösser in ganz Deutschland unterwegs. "Wir lebten flott, logierten in noblen Hotels", notierte einer der Vertreter.

Im Januar 1934 wurden Schlösser und Holtzbrinck exklusiv mit der gesamten Zeitschriftenwerbung beauftragt und verpflichteten sich, jährlich 50000 neue Abonnenten zu werben. Als sich der Markt veränderte und Einbußen drohten, erwarben sie die Deutsche Verlagsexpedition (Devex), eine Firma, die nur aus einem Namen bestand, die sie ausbauen wollten. Die Reichspressekammer sah die Devex als Neugründung an und verweigerte wegen eines generellen Verbots von Neugründungen die Zustimmung. Die Auseinandersetzung zog sich hin. Erst im Dezember 1936 wurde die Firma gegen eine Zahlung von 100 Reichsmark Strafe genehmigt. Das klingt, als hätte die Devex unter Druck der NS-Behörden gestanden, doch das Gegenteil sei der Fall gewesen, schreibt Garke-Rothbart. Die nachträgliche Genehmigung sei ein Entgegenkommen gewesen.

Holtzbrinck hatte sich mit der Partei gut gestellt. Die Genehmigung sei auch auf seinen Eintritt in die NSDAP, der 1933 oder 1935 erfolgte (die Quellen sind da widersprüchlich), zurückzuführen, wie Holtzbrinck später gesagt habe. Er erhielt die Mitgliedsnummer 2.126.353. Holtzbrinck war also zu einem frühen Zeitpunkt eingetreten, sein Partei-Engagement habe er allerdings "auf ein Mindestmaß beschränkt" (Garke-Rothbart). Um Aufträge zu erhalten, habe er gegenüber Wehrmacht, Staat und Partei wiederholt mit der Parteizugehörigkeit argumentiert. Zu Verhandlungen nahm er seinen Onkel Erich mit, einen Major, hochdekorierter Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges und Standartenführer des SS-Hauptamtes. Der beeindruckte mit seiner Uniform und erhielt Provisionen. Gegen Ende des Krieges soll Holtzbrinck gesagt haben: "Wenn es gutgeht mit dem Ausgang des Krieges, habe ich einen Onkel, welcher SS-Führer ist, wenn es anders kommt, einen nahen Verwandten in Amerika." Dort lebte ein anderer Onkel.

Schlösser wandte sich an die Privatkanzlei von Adolf Hitler und erhielt ein Empfehlungsschreiben. Damit sicherte sich die Devex einen Vertrag mit der Deutschen Arbeitsfront (DAF), der mit 25 Millionen Mitgliedern größten und finanzstärksten NS-Massenorganisation. Die Devex leistete den Vertrieb der DAF-Zeitschriften Schönheit der Arbeit und Freude und Arbeit.

1938 betrug die Auflage aller DAF-Blätter 28,5 Millionen Exemplare. Doch mit Kriegsbeginn wurde Schönheit der Arbeit eingestellt und ein Teil der Auflage von Freude und Arbeit gestrichen. Wegen Zahlungsrückständen der Devex kam es zu einem Prozess über drei Instanzen, den Holtzbrinck später als politischen Widerstand darstellte. "Diese Bewertung des Verfahrens ist nicht haltbar", urteilt Garke-Rothbart.

Holtzbrinck feierte ohne äußeren Druck den Kriegsausbruch und den Führer und verlegte dazu 1939 eine Sonderausgabe über den Feldzug in Polen. "Man muss natürlich jetzt zuschlagen, damit man anderen Verlagen . . . zuvorkommt", schrieb er an Schlösser. Beide bemühten sich um Texte des von den Nazis verehrten Autors Hans Grimm (Volk ohne Raum) und druckten sie nach.

Holtzbrincks Sonderband unterschied sich nicht von der offiziellen Propaganda; Beiträge entnahm er der Parteizeitung Völkischer Beobachter und kümmerte sich selbst um die Bildauswahl. Drei Tage im Monat traf er sich mit seinem Lektor Hans-Ludwig Oeser, seit 1933 Mitglied der NSDAP und von 1937 an Kreisamtsleiter der NSDAP für Buchwesen und Schrifttum, um den Inhalt abzustimmen.

Holtzbrinck befürchtete, der Krieg könnte die Geschäfte behindern, aber der Umsatz erreichte 1942 mit 1,6 Millionen Reichsmark einen Höchststand. Holtzbrinck verdiente 120 140 Reichsmark. Am 1. März 1943 wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Das Geschäft kontrollierte er von unterwegs, indem er Briefe schrieb. Seinen Vorgesetzten schenkte er Bücher, um genügend Freiraum für seine Geschäfte zu erhalten.

Was bedeutet die Forschungsarbeit für die Erben? Den Recherchen zufolge "finden sich Belege opportunistischen Verhaltens. (. . .) Wir, seine Kinder, wie auch seine Freunde und seine Kollegen kannten in dem 1983 verstorbenen Firmengründer einen Mann ohne antisemitische, militaristische oder uniformistische Züge. Mit seinem Handeln und seinen Mitteln trat unser Vater nach dem Kriege für die Wiedergutmachung gegenüber denjenigen ein, die unter dem Deutschland der Nazis gelitten hatten - ein Handeln, das auch uns verpflichtet." Wenigstens gebe es "keinerlei Dokumente und Veröffentlichungen rassistischen Inhalts und - trotz gewisser Sympathien in der Anfangszeit - keinerlei Hinweise auf eine aktive Parteimitgliedschaft."

Garke-Rothbart bestätigt das und sagt: "Das Verhalten Georg von Holtzbrincks war exemplarisch für das vieler mittlerer Unternehmer."

Eine gewichtige Rolle für Hitler und Goebbels spielte er nicht; seine Kontakte liefen auf der Arbeitsebene der Behörden, nicht auf Ebene der Machthaber. Es sei auch schwer vorstellbar, dass er brüllend bei Parteiveranstaltungen gestanden habe. Sein Beitritt zur Studentenorganisation sei aber "keine Jugendsünde" gewesen, wie seine Anwälte später glauben machen wollten. Verlagshistoriker Siegfried Lokatis betont: Holtzbrinck habe "eher unbedeutende Firmen" geleitet. Ob er vom Einsatz durch Zwangsarbeiter profitierte, bleibt unklar.

Ein Magengeschwür verhalf Georg von Holtzbrinck zu einer vorzeitigen Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft. Er durfte nicht arbeiten. Seine Frau Addy, die er 1938 geheiratet hatte, war trotz drängender Anfragen kein Mitglied der NSDAP geworden und erhielt die Genehmigung für Druck und Vertrieb farbiger Postkarten. Auch das Geschäft mit dem Vertrieb von Büchern lief wieder an. Dazu engagierten die Eheleute die in geschäftlichen Dingen völlig unbedarfte Else Wienskowitz aus Dillingen, mit der Addy im September 1945 ein neues Unternehmen gründete. Ihr Mann zog die Fäden im Hintergrund.

Beim Verfahren vor der Stuttgarter Spruchkammer belastete ihn Heinrich Durst, der Anwalt von Holtzbrincks ehemaligem Partner Paul Ackermann: "Soweit ich es beurteilen kann, war v.H. ein guter Nazi, vor allen Dingen ein Nutznießer, der aus dem Alleinvertrieb der verschiedenen Nazizeitschriften sehr viel Geld verdient hat."

Holtzbrinck bot Zeugen auf, die ihm bestätigten, dass er ein entschiedener Gegner des Krieges war, dass er eine Sekretärin beschäftigte, deren Ehemann einen jüdischen Elternteil hatte, dass er fast nie ein Parteizeichen trug und mit seinem Lektor Olaf Saile "die Möglichkeit eines aktiven Widerstandes gegen das Selbstmordregime Hitlers" besprach.

Am 25. Februar 1948 fand die öffentliche Verhandlung gegen Georg von Holtzbrinck statt. Seine Anwälte betonten noch einmal, er habe durch den Nationalsozialismus keinen wirtschaftlichen Vorteil, sondern Nachteile erlitten. Nach Anhörung der Zeugen und Sachverständigen beantragte der Kläger, ihn als Mitläufer einzustufen. Holtzbrinck solle 1500 Reichsmark Strafe zahlen. Der Richter folgte dem Kläger, verurteilte Holtzbrinck zur Zahlung von 1200 Reichsmark. Das Urteil hält seine Parteimitgliedschaft fest und dass Holtzbrinck seine Parteikontakte genutzt habe, sich das Alleinvertriebsrecht seiner Zeitschriften zu sichern. Allerdings habe er lediglich aus wirtschaftlichen, nicht politischen Motiven gehandelt.

Die Kinder von Holtzbrinck betonen: "Die Einstufung als Mitläufer im Entnazifizierungsverfahren und das Gesamtprogramm im historischen Kontext zu beurteilen, steht uns nicht an. Dies ist und bleibt Sache der akademischen Forschung."

Bemerkenswert ist angesichts der Vergangenheit des Verlagsgründers, dass die Kinder von Holtzbrinck trotz dieses schweren Erbes mit S. Fischer oder Farrar, Straus & Giroux angesehene ehemals jüdische Verlage erwerben konnten. Wie war das möglich?

Der jüdische Verleger Roger Straus, der seinen Verlag Farrar Straus & Giroux 1994 verkaufte, sagte vor Jahren: Er habe bei dem Geschäft die Vergangenheit von Holtzbrinck sehr wohl bedacht. Jeder, der die Zeit überlebt habe, habe kooperiert: "Ich dachte mir, sie sind so sauber, wie es nur ging."

Gahrke-Rothbart fragt sich in seiner Forschungsarbeit (die er als Dissertation an der Fernuniversität Hagen einreichen will), ob Holtzbrinck "nicht doch ein Nutznießer des Systems war. In der umgangsprachlichen Auslegung des Begriffs besteht kaum ein Zweifel daran".

THOMAS SCHULER

Zwei Jahre dauerte das Verfahren zur Entnazifizierung. Ihm drohte der Ruin.

"Wir lebten flott, logierten in noblen Hotels", notiert einer der Vertreter

Das Gericht stellte fest, er habe aus wirtschaftlichen, nicht aus politischen Motiven gehandelt.

"Zu unserem großen Bedauern", teilen die Erben mit, sei das NS-Regime "in alle Lebens- und Arbeitsbereiche und damit auch in das verlegerische Handeln unseres Vaters eingedrungen": Söhne Dieter (li.) und Stefan von Holtzbrinck, Verlagsgründer Georg von Holtzbrinck (ganz rechts). Das Unternehmen Holtzbrinck finanzierte einen Teil der nun veröffentlichten Studie. Fotos: laif, Marek und Seeberger

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Verantwortlich: Christopher Keil

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Vier Milliarden Dollar zuviel

Staatsanwälte ermitteln gegen Ex-Merrill-Lynch-Chef John Thain

New Yorks Generalstaatsanwalt Andrew Cuomo nennt es "die Vier-Milliarden-Dollar-Frage". Warum hat der Verwaltungsrat der Investmentbank Merrill Lynch noch kurz vor Veröffentlichung der hohen Verluste kräftige Bonuszahlungen an Führungskräfte und Broker genehmigt? Wurden die Kontrolleure getäuscht? Und warum hat die Bank of America, die Merrill kurze Zeit später übernahm, die Zahlungen nicht verhindert? Die Strafverfolger haben die Ermittlungen aufgenommen. Schon in den kommenden Tagen sollen Ex-Merrill-Lynch-Chef John Thain und zwei führende Bank of America-Manager vernommen werden.

Die Ausschüttung der Boni gehörte zu Thains letzten Amtshandlungen. Im Dezember, einen Monat früher als gewöhnlich und nur drei Tage vor dem Abschluss der schon vereinbarten Übernahme durch die Bank of America, gönnte der Bankchef seinen Managern vier Milliarden Dollar aus der Unternehmenskasse. Es war sein Abschiedgeschenk gewissermaßen. Als Erfolgsbeteiligungen jedenfalls lassen sich die Boni nicht rechtfertigen. Merrill Lynch hat allein im vierten Quartal einen Verlust von mehr als 15 Milliarden Dollar eingefahren. Ohne die Übernahme durch die Bank of America wäre die Investmentbank wohl pleite.

Ziel der Ermittlungen Cuomos ist es, herauszufinden, ob es Wege gibt, die Bonuszahlungen zurückzufordern. Außerdem untersuchen die Strafverfolger, ob Thain gegen Wertpapiergesetze verstoßen hat. Mehrere Verwaltungsratsmitglieder behaupten jedenfalls, von den enormen Verlusten im vierten Quartal nichts gewusst zu haben, als sie die Ausschüttung genehmigten. Thain hatte seinen Job bei Merrill Lynch erst im November 2007 angetreten. Der frühere Goldman-Sachs-Chef war als Sanierer gekommen und ging in Schande. Bank of America-Chef Kenneth Lewis drängte ihn vor einer Woche aus dem Amt, empört über die Bonus-Zahlungen und die 1,2 Millionen Dollar teure Renovierung des Vorstandsbüros, die Thain mitten in der Finanzkrise in Auftrag gegeben hatte. Offenbar wollte sich Thain zudem einen 40-Millionen-Dollar-Zuschlag genehmigen lassen. Am Ende gab er sich allerdings ohne Prämie zufrieden. Auch die Renovierungskosten hat er inzwischen erstattet - und nun erhebt er seinerseits Vorwürfe gegen Lewis. Die Bank of America habe von den Bonuszahlungen gewusst, behauptet Thain.

Lewis steht unter Druck. Die Merrill-Übernahme sah anfangs aus wie ein Coup, doch sie wurde zum Desaster. 50 Milliarden Dollar zahlte die Bank of America für Merrill. Das schlechte Geschäft habe nicht nur den Aktionären geschadet, argumentiert die Staatsanwaltschaft, sondern auch den Steuerzahlern. Und so erstrecken sich die Ermittlungen inzwischen auch auf die Bank of America. Schließlich musste die Bank aus North Carolina schon zum zweiten Mal den staatlichen Rettungsfonds anzapfen. Immerhin: Kenneth Lewis muss sich keine Bonus-Verschwendung vorwerfen lassen. Die Bank of America hat die Auszahlungen an ihre Mitarbeiter drastisch zusammengestrichen. Moritz Koch

Im Blickpunkt

John Thain Foto: AP

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Eine Familie, die Kreditinstitute saniert

"Ich habe noch nie eine Aufgabe auf halber Strecke beendet", war einer der Sprüche von Paul Wieandt. Der Banker, der 2007 mit 71 Jahren gestorben ist, hat sich in Deutschland einen Namen als energischer Sanierer gemacht. 1984 übernahm der Vater von Axel Wieandt die Führung der Landesbank Rheinland-Pfalz. Das Institut war durch riskante Leasinggeschäfte in Schwierigkeiten, Wieandt senior brachte sie wieder auf Kurs. Ab 1990 erledigte er den nächsten Sanierungsfall, bei der ehemals gewerkschaftseigenen BfG-Bank. Ende 2001, nach seiner Pensionierung, wurde er als Retter für die Schmidt-Bank verpflichtet. Die fränkische Privatbank stand kurz vor dem Aus und wurde nur durch die Milliardenhilfe der großen Privatbanken gerettet. Wieandt wickelte das Institut geräuschlos ab und verkaufte die Reste an die Commerzbank. Sein Sohn Axel hat nun einen noch schwierigeren Sanierungsjob übernommen. Der promovierte Betriebswirt, der seine Karriere bei McKinsey und bei Morgan Stanley begann, wechselte 1998 zur Deutschen Bank, zuletzt diente er Konzernchef Josef Ackermann als Strategiechef. Im Oktober 2008 wurde er überraschend zum Chef der Hypo Real Estate berufen. Rat kann er sich dabei im Familienkreis holen. Sein jüngerer Bruder ist bei McKinsey. Seine Schwester ist Partnerin bei der Investmentbank Goldman Sachs und verheiratet mit Martin Blessing, seit 2008 Chef der Commerzbank - der Bank, an der sich der Staat bereits mit 25 Prozent beteiligt hat. cbu

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"Ein Zusammenbruch unserer Bank birgt hohe Risiken"

Vorstandschef Axel Wieandt über die schwierige Rettung der Hypo Real Estate

Der Mann ist korrekt. Er kommt pünktlich auf die Minute. In der linken Hand trägt er eine dicke grüne Aktenmappe. Der Anzug, die Manschettenknöpfe, der Scheitel - alles sitzt genau. Axel Wieandt, 42, gibt sein erstes Interview als Chef der Hypo Real Estate, der Krisenbank schlechthin. Im Oktober übernahm er von einem Tag auf den anderen den Job als Sanierer, den Josef Ackermann, sein Chef bei der Deutschen Bank, ihm angetragen hatte. Seither lebt Wieandt in einem Münchner Drei-Sterne-Hotel und sieht seine Familie in Frankfurt nur noch am Wochenende.

SZ: Herr Wieandt, Ihr inzwischen verstorbener Vater war ein bekannter Banker und hat unter anderem die BfG-Bank saniert und später die Schmidt-Bank in Hof abgewickelt. Liegt das Retten von Banken in Ihren Genen?

Wieandt: Mein familiärer Hintergrund hat bei der Entscheidung für diese Aufgabe bei der Hypo Real Estate sicher auch eine Rolle gespielt. Ich hatte zu meinem Vater ein enges und vertrauensvolles Verhältnis. Aber das Sanieren von Banken wird nicht mit den Genen weitergegeben. Und ob uns die Sanierung der HRE gelingt, muss sich erst noch zeigen.

SZ: Sie hatten einen sicheren Job bei einem sicheren Geldhaus, der Deutschen Bank. Nun leiten Sie Deutschlands Krisen-Institut Nummer eins. Haben Sie den Wechsel schon bereut?

Wieandt: Nein. Ich habe von meinem Vater auch gelernt, dass man sich in die Pflicht nehmen lassen muss. Als mir diese Herausforderung angetragen worden ist, habe ich sofort zugesagt.

SZ: Warum?

Wieandt: Weil die Rettung der HRE wichtig für das Finanzsystem und die Wirtschaft in Deutschland und auch in Europa ist.

SZ: Sie haben keine Erfahrung im Führen einer Bank. Ein Nachteil?

Wieandt: Ich fühle mich dieser Herausforderung gewachsen. Und die, die mich mit dieser Aufgabe betraut haben, sehen das offenbar genauso.

SZ: Wie weit sind Sie mit der Sanierung der Bank?

Wieandt: Wir haben in den ersten 100 Tagen einiges bewegt: Transparenz über die Lage der Bank geschaffen, ein strategisches Konzept zur Neuausrichtung vorgelegt und die Unternehmensstruktur vereinfacht. Dazu kommt der personelle Neuanfang. Der Aufsichtsrat wurde neu besetzt und hat mittlerweile alle Vorstände ausgetauscht. Wir haben damit überzeugend dokumentiert, dass wir einen Neuanfang wollen. Es sind alle wesentlichen Voraussetzungen geschaffen, dass der Bund jetzt seinerseits über weitere Maßnahmen zur Unterstützung der Hypo Real Estate entscheiden kann.

SZ: Ihr früherer Chef Josef Ackermann hat gesagt, die Deutsche Bank würde sich schämen, Staatsgeld anzunehmen. Schämen Sie sich?

Wieandt: Ich weiß nicht, ob Sie Dr. Ackermann da richtig zitieren.

SZ: Wir denken schon.

Wieandt: Unabhängig davon gilt: Die Hypo Real Estate hat nur mit Unterstützung des Bundes eine positive Zukunft. Wir haben immer deutlich gesagt, dass Eigenkapitalhilfen nötig sind, um die Fortführung der Bank zu ermöglichen. Und die Fortführung ist im Interesse des deutschen Finanzsystems. Wenn der Bund einsteigt, stärkt das an den Kapitalmärkten und bei den Kunden wieder das dringend benötigte Vertrauen.

SZ: Wie viel muss der Bund übernehmen, ein Viertel der Anteile, eine Mehrheit oder die ganze Bank?

Wieandt: Ich begrüße einen Einstieg des Staates. Ob, wie und in welcher Höhe dieser erfolgt, entscheidet zunächst der Bund.

SZ: Haben Sie als Mann, der sein ganzes Leben bei einer privaten Bank gearbeitet hat, kein Problem damit, dass Ihr Haupteigentümer künftig der Staat ist?

Wieandt: Nein, überhaupt nicht. Besondere Zeiten erfordern besondere Lösungen.

SZ: Teuer wird es auf jeden Fall. Die Steuerzahler haben bisher 92 Milliarden Euro bereitgestellt, so viel wie noch nie für ein Unternehmen in Deutschland. Ist die Bank ein Fass ohne Boden?

Wieandt: Manche Menschen befürchten, das ganze Geld sei weg. Aber das ist überhaupt nicht so. 42 Milliarden Euro sind staatliche Garantien, die nur in Anspruch genommen würden, wenn die HRE nicht mehr leistungsfähig wäre. Und 50 Milliarden Euro sind von uns mit Sicherheiten unterlegte Kreditlinien, die unter anderem von einem Finanzkonsortium kommen und für die teilweise der Bund bürgt. Der Steuerzahler hat bis heute keinen Euro verloren. Gleichzeitig bezahlen wir, und das ist richtig so, Gebühren für die Garantien an den Staat.

SZ: Wie hoch ist der maximale Verlust des Staates, wenn alles ausfällt?

Wieandt: Das ist eine rein hypothetische Frage. Wir haben ein Konzept für die Sanierung präsentiert. Wir konzentrieren uns künftig auf das Immobilien- und Staatsfinanzierungsgeschäft auf der Grundlage des Pfandbriefs. Aus dem internationalen Geschäft außerhalb Europas werden wir uns weitgehend zurückziehen. Und wir werden uns an der goldenen Bankregel orientieren, langfristige Engagements auch langfristig zu refinanzieren. So können wir wieder wettbewerbsfähig werden.

SZ: Bekommen Sie derzeit überhaupt noch frisches Geld von privater Seite?

Wieandt: Für uns ist es im Moment sehr schwierig, uns an den Finanzmärkten zu refinanzieren. Aber wenn der Bund einsteigt, wäre dies das Vertrauenssignal, auf das die Märkte warten. Dann sind wieder ganz andere Kredite an uns möglich.

SZ: Warum soll der Staat die Bank überhaupt retten? Wäre es nicht billiger für alle Bürger, die Hypo Real Estate einfach pleitegehen zu lassen?

Wieandt: Ein Zusammenbruch unserer Bank birgt hohe Risiken für andere Elemente des Finanzsystems. Wir haben eine Bilanzsumme von 400 Milliarden Euro, die ist vergleichbar mit der der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers. Die Eskalation der Finanzkrise nach dem Fall von Lehman hat gezeigt, welche Auswirkungen Kettenreaktionen an den Märkten haben können.

SZ: Wann bekommen die Steuerzahler ihr Geld zurück?

Wieandt: Wir haben erklärt, dass wir für die Restrukturierung sicher zwei bis drei Jahre brauchen. Das wird ein steiniger Weg werden.

SZ: Welche Fehler haben Ihre Vorgänger im Vorstand gemacht?

Wieandt: Ich konzentriere mich auf die Zukunft, nicht auf die Vergangenheit, die zudem bekanntermaßen Gegenstand von Untersuchungen des Aufsichtsrates und von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ist.

SZ: Für ehemalige Vorstände wie Vorstandschef Georg Funke waren teilweise großzügige Abfindungen und Ruhegehälter vorgesehen. Die meisten Deutschen haben dafür kein Verständnis.

Wieandt: Die Vergütungen für Vorstände sind Sache des Aufsichtsrats. Mein Eindruck ist, dass sich unser Aufsichtsrat seiner Verantwortung gegenüber dem Unternehmen, aber auch der Öffentlichkeit sehr wohl bewusst ist.

SZ: Wenn der Aufsichtsrat den kritischen Zeitgeist in Sachen Managergehälter kennt: Wie viel verdienen Sie?

Wieandt: Ich habe einen Fünf-Jahresvertrag und werde alles zur Rettung dieser Bank tun. Einzelheiten meines Vertrages werden gemäß den Corporate-Governance-Regeln veröffentlicht.

SZ: Wenn der Staat einsteigt, würden die Vorstandsgehälter ohnehin auf 500 000 Euro beschränkt.

Wieandt: Der Vorstand würde das natürlich akzeptieren und die Gehälter, wo erforderlich, auf das notwendige Niveau senken.

SZ: Der Namen Hypo Real Estate dürfte für alle Zeiten verbrannt sein. Planen Sie schon eine Umbenennung?

Wieandt: Wir prüfen diese Frage, und es gibt erste Überlegungen in diese Richtung. Aber im Vordergrund steht jetzt nicht die Verpackung. Wir arbeiten mit Vorrang am Inhalt.

Interview: Caspar Busse, Alexander

Hagelüken, Ulrich Schäfer

"Die Hypo Real Estate hat

nur mit Unterstützung

des Bundes eine Zukunft"

"Der Steuerzahler hat

bis heute noch

keinen Euro verloren"

Der Vater Banker, die Schwester Bankerin, der Schwager Banker: Axel Wieandt bestreitet, dass "das Sanieren von Banken mit den Genen weitergegeben wird." Er prüft, ob die Hypo Real Estate einen neuen Namen erhält. Foto: Schellnegger

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In Wartestellung bei Conti

Der Continental-Manager Nikolai Setzer übernimmt kommissarisch die Leitung der Sparte Pkw-Reifen. Er untersteht Hans-Joachim Nikolin, der im Vorstand zusätzlich zur Sparte Nutzfahrzeug-Reifen vorübergehend auch die Sparte Pkw-Reifen vertritt, wie aus einem internen Conti-Papier hervorgeht. An der Struktur mit zwei Reifen-Sparten ändert sich nichts. Reuters

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SAF-Holland holt neuen Chef

Führungswechsel beim Lkw-Zulieferer SAF-Holland. Rudi Ludwig, der die frühere SAF Otto Sauer Achsenfabrik mit der US-Firma Holland zusammengeschlossen und an die Börse gebracht hatte, zieht sich Ende Februar aus dem operativen Geschäft zurück. Nachfolger wird bereits an diesem Montag Rainer Beutel, der zuletzt Chef des Autospiegelherstellers Schefenacker war. SZ

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Genossen komplett

Der Bundesverband der Volksbanken und Raiffeisenbanken hat seinen Vorstand komplettiert. Der Verwaltungsrat berief den 49-jährigen Volkswirt Andreas Martin, derzeit im Vorstand des Deutschen Genossenschafts-Verlags, in das Leitungsgremium - als drittes Mitglied neben dem Präsidenten Uwe Fröhlich und Gerhard Hofmann. Reuters

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Wunderkind ist abgebrannt - schon wieder

Der einstige Jungstar Lars Windhorst hat erneut Insolvenz angemeldet. Inzwischen ermittelt auch die Staatsanwaltschaft. Eine Anklage wird nicht ausgeschlossen

Von Uwe Ritzer

Die Dame, die sich am Handy von Lars Windhorst meldet, macht wenig Hoffnung. Nein, Herr Windhorst sei nicht zu sprechen. Auch später nicht. Sie könne sich auch nicht vorstellen, dass Herr Windhorst zurückrufen oder überhaupt Fragen beantworten werde. Lars Windhorst, einst von Kanzler Helmut Kohl als neues deutsches Wirtschaftswunderkind gepriesen, redet prinzipiell nicht gerne öffentlich über seine Geschäfte. Vor allem dann nicht, wenn er mit diesen wieder einmal eine Millionenpleite hingelegt hat. Am Dienstag stellten Windhorst und sein Geschäftsführerkollege Peter Ogrisek beim zuständigen Amtsgericht Berlin-Charlottenburg Insolvenzantrag für die Vatas Holding GmbH. Der Finanzinvestor, der zeitweise an der Fluggesellschaft Air Berlin und am Mobilfunk- und Internetdienstleister Freenet beteiligt war, scheint schon länger ins Trudeln geraten zu sein. Den Ausschlag gab wohl eine 150-Millionen-Euro-Klage der Norddeutschen Landesbank (NordLB).

Dabei geht es um eines der merkwürdigsten Aktiengeschäfte im vergangenen Jahr. Zwischen Herbst 2007 und Anfang 2008 kaufte die NordLB für 234 Millionen Euro Aktien an unterschiedlichen Firmen wie dem Kabelausrüster Euromicron, dem Handyzulieferer Balda und dem Altenheimbetreiber Curanum. Doch der Auftraggeber für die Käufe, die Vatas GmbH mit ihrem Geschäftsführer Windhorst, holte die Anteilscheine nie ab. Die NordLB blieb darauf sitzen und musste eine millionenschwere Risikovorsorge in ihre Bilanz einstellen.

Der Fall sorgte für Aufsehen und löste erneut Interesse an Lars Windhorst und seinen Geschäften aus. Öffentliche Aufmerksamkeit ist der Handwerkersohn aus Westfalen ja gewohnt, seit Helmut Kohl den damals 18-Jährigen auf eine Vietnamreise mitnahm und ausgiebig mit ihm für Fotos posierte. Der "Junge, der an die Zukunft glaubt" (Kohl) wurde fortan von höchsten politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kreisen hofiert.

Große Steherqualitäten

Damals firmierte Windhorst als Chef einer Firmengruppe. Die gibt es schon lange nicht mehr, und hinter Windhorst, heute 32, liegt eine beispiellose Kette bestehend aus Insolvenzen, Offenbarungseid, Schulden und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren. Dabei bewies der Mann mit dem Milchgesicht, dem selbst Feinde Charisma nachsagen, große Steherqualitäten.

Die Umstände seiner Abstürze waren immer schillernd und dubios. Das gilt auch für den mysteriösen Crash jenes Privatflugzeuges, das am zweiten Weihnachtsfeiertag 2007 mit Windhorst als Passagier bei bestem Wetter am Flughafen im kasachischen Almaty zerschellte. Der Pilot starb, Windhorst überlebte schwerverletzt. Auch geschäftlich havarierte Windhorst mehrfach.

2005 meldete er Privatinsolvenz an. 60 Gläubiger, darunter namhafte Banken und Konzerne, sowie US-Filmstar Michael Douglas, machten 72 Millionen Euro an Forderungen geltend, um sich anschließend erstaunlicherweise mit 1,6 Millionen Euro zufriedenzugeben.

Einer der damaligen Gläubiger war Robert Hersov, Spross einer südafrikanischen Industriellenfamilie. Angeblich schuldete Windhorst Hersov 4,28 Millionen Euro. Hartnäckig hält sich das Gerücht, Windhorst arbeite zumindest einen Teil dieser Schulden bei Hersov ab, zu dessen Firmengeflecht auch die Vatas-Gesellschafterin Sapinda International Limited mit Sitz in London gehört. Wie hoch die Vatas-Verbindlichkeiten sind, konnte der vorläufige Insolvenzverwalter Rüdiger Wienberg nicht beziffern. Ein Sanierungsfall sei die Windhorst-Firma schon länger. Ein Sanierungsplan sei nun an der NordLB-Klage gescheitert, sagte Wienberg.

Die Umstände der Pleite beschäftigen inzwischen auch die Berliner Staatsanwaltschaft. Sie hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, nachdem der britische Finanzinvestor Audley Capital im Mai 2008 Strafanzeige gegen Windhorst und dessen Kompagnon Ogrisek wegen Insolvenzverschleppung gestellt hat. Audley hatte für 29,4 Millionen Euro Anteile am Altenheimbetreiber Curanum gekauft, und Vatas soll zugesichert haben, diese zum selben Preis im Frühjahr 2008 zurückzukaufen. Audley vermutet, dass Vatas damals schon pleite war.

Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt jedoch auch in anderem Zusammenhang gegen Windhorst. Seit mittlerweile sechs Jahren geht es unter dem Aktenzeichen 5 Wi Js 1160/03 um einen möglichen Betrug am Hamburger Geschäftsmann Ulrich Marseille, einem der größten privaten Betreiber von Kliniken, Pflege- und Senioren-Einrichtungen in Deutschland. Dieser hatte Windhorst zehn Millionen Euro geliehen; er hat sie größtenteils bis heute nicht zurückerhalten. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte nun, die Ermittlungen in diesem Fall seien abgeschlossen. Momentan werde behördenintern entschieden, ob das Verfahren eingestellt oder aber Anklage gegen Lars Windhorst erhoben wird. Es könnte eng werden für das einstige Wunderkind.

Auf Partys zeigt er sich gern: Lars Windhorst - hier mit dem Berliner Unternehmer Hans Wall - bei einem Diplomaten-Diner in Berlin. Foto: Schroewig / PA

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"Niemanden bespitzelt"

Ermittler der Bahn rechtfertigt die Fahndungsmethode

Von Hans Leyendecker

Berlin - Der Anti-Korruptionsbeauftragte der Bahn, der frühere Frankfurter Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner, hat die heimliche Überprüfung von Mitarbeitern des Unternehmens verteidigt. Zum "Einmaleins der Kontrolle" gehöre auch die Massendatenanalyse, erklärte er der Süddeutschen Zeitung. "Fraud-Screening" sei in großen Unternehmen ein "ganz üblicher Vorgang" und werde auch von Wirtschaftsprüfern empfohlen. Nur durch ein Wechselspiel von "flächendeckender und gezielter Kontrolle" seien effektive Korruptionsbekämpfung und erfolgreiche Prävention möglich. Wenn eine Unternehmensleitung solche Kontrollen strikt ablehne, könnten Staatsanwälte sogar Verfahren wegen "Untreue durch unterlassene Kontrolle" einleiten.

Schaupensteiner, der seit Sommer 2007 für die Bahn in Berlin arbeitet, wandte sich gegen "die Skandalisierung eines Routinevorgangs". Niemand sei bespitzelt oder überwacht worden. Lediglich Daten von Mitarbeitern und Lieferanten seien gegenübergestellt worden, um zu prüfen, ob Mitarbeiter sich über Strohfirmen selbst Aufträge gäben. Als Korruptions-Staatsanwalt in Frankfurt habe er "etliche solcher Fälle" bei der Bahn bearbeitet.

Bei der Gegenüberstellung der Stammdaten von Mitarbeitern seien der Name, die private Anschrift, die Bankverbindung und - "soweit vorhanden" - die private Telefonnummer eingegeben worden. Bei den Lieferanten seien diese Daten ebenfalls eingegeben worden. "Wir sind in vielen Fällen fündig geworden", sagte Schaupensteiner. Die Bahn, die im Jahr Aufträge in zweistelliger Milliardenhöhe vergebe und auch Milliarden an Steuergeldern für Investitionen erhalte, müsse solche Kontrollen durchführen.

Dass bei der großen Massendatenanalyse, die auch "Rasterfahndung" genannt wird, zwei von drei Bahn-Mitarbeitern überprüft worden sind, ist nach Aussage Schaupensteiners darauf zurückzuführen, dass 2002 in den EDV-Listen nur 173 000 der mehr als 230 000 Bahn-Beschäftigten elektronisch erfasst worden seien. Dass auch Lokomotivführer oder Zugbegleiter, die keine Aufträge vergeben, überprüft wurden, hänge mit der Methode zusammen. Auf die Frage, ob es korrekt gewesen sei, dass die Bahn-Mitarbeiter weder vorher, noch nachher informiert wurden, wollte der Anti-Korruptions-Beauftragte nicht eingehen. Das Ergebnis der rechtlichen Untersuchung müsse abgewartet werden.

Diese offenkundig ausgebliebene Benachrichtigung der Beschäftigten wird von einem anderen Bahn-Manager als "äußerst unangenehm" bezeichnet: "An diesem Punkt kann sich noch Sprengstoff entwickeln", sagte er der SZ. Es gibt Hinweise, dass sich angeblich der Betriebsrat 1998 mit solchen Ausforschungen einverstanden erklärt haben soll. Entsprechende Unterlagen wurden aber noch nicht gefunden. (Seite 4)

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Tiefensee macht der Bahn-Führung Druck

Verkehrsminister fordert rasche Aufklärung der Datenaffäre / Der Aufsichtsrat will unabhängige Ermittler einsetzen

Von Michael Bauchmüller und Klaus Ott

Berlin/München - In der Datenaffäre bei der Deutschen Bahn wächst der Druck auf Bahnchef Hartmut Mehdorn. Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) forderte am Donnerstag eine umfassende und schnelle Aufklärung. "Es geht nicht an, dass immer neue Tatsachen scheibchenweise an die Öffentlichkeit gelangen", sagte Tiefensee der Süddeutschen Zeitung. "Wenn die Bahn sich im Rahmen der Korruptionsbekämpfung, die zweifellos eine wichtige Aufgabe ist, korrekt verhalten hat, dann kann dies ja schnell und umfassend dargelegt werden", sagte Tiefensee.

Die Bahn hatte, wie am Mittwoch bekannt geworden war, die Daten von 173 000 ihrer 240 000 Mitarbeiter an eine Detektei weitergegeben. Diese sollte anhand von Adressdaten und Bankverbindungen überprüfen, ob Mitarbeiter mit Scheinfirmen Geschäfte zu Lasten der Bahn abwickeln. Dazu waren die Daten mit jenen von 80 000 Lieferanten abgeglichen worden. Bei Datenschützern und Gewerkschaften hatte das heftige Kritik ausgelöst, bis hin zum Vorwurf der "Rasterfahndung".

Nach SZ-Informationen will der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn (DB) nun unabhängige Ermittler mit einer umfassenden Untersuchung beauftragen. Das war am Donnerstag aus Aufsichtsratskreisen zu erfahren. Der Prüfungausschuss des Aufsichtsrats trifft sich diesen Freitag zu einer Sondersitzung in Berlin. Geplant ist, eine von der Bahn unabhängige große Anwaltskanzlei oder eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft einzuschalten, die den Vorgang prüft.

Mitglieder des Kontrollgremiums sagten, man wolle wissen, wer die massenhafte Überprüfung der Belegschaft angeordnet habe und was genau vor sich gegangen sei. Außerdem hat Aufsichtsratschef Werner Müller nach Angaben seines Sprechers den Vorstandsvorsitzenden Hartmut Mehdorn aufgefordert, dem Kontrollgremium "noch einmal umfassend zu diesem Themenkomplex zu berichten".

Letzte Woche hatte Mehdorn dem Aufsichtsrat geschrieben, es gebe keine Hinweise darauf, dass es bei der Überprüfung der Mitarbeiter zu Gesetzesverstößen gekommen sei. Zu diesem Zeitpunkt war öffentlich nur von 1000 Beschäftigten die Rede, die durchleuchtet worden seien. Mehdorn erwähnte in dem Brief den Datenabgleich bei 173 000 Mitarbeitern nicht. Aus dem Aufsichtsrat heißt es dazu, man sei "zu keiner Zeit und in keiner Form" über die Massenkontrolle informiert worden. Die Aktion unter dem Codenamen "Babylon" war eine von 43 Nachforschungen, mit denen die Bahn zwischen 1998 und 2007 die Detektei "Network Deutschland" beauftragte. Ob die Bahn nach 2007 möglicherweise selbst Daten abglich, war am Donnerstag von der Bahn nicht zu erfahren. Die Detektei war auch in den Datenskandal der Telekom verwickelt.

Die Bahn-Gewerkschaften wollen nun Konsequenzen sehen. Der Kampf gegen die Korruption sei "richtig und wichtig", erklärten die Gewerkschaften Transnet und GDBA. Es gebe aber Grenzen. Dazu zähle die pauschale Kontrolle von über 170 000 Mitarbeitern. Eine "Rasterfahndung" gehe zu weit, sagte Transnet-Chef Alexander Kirchner. GDBA-Chef Klaus-Dieter Hommel schrieb Bahnchef Mehdorn, das Vertrauen der Belegschaft in den Vorstand sei beschädigt. Auf Seiten der Arbeitgebervertreter im Aufsichtsrat wird von einem "GAU" für das Klima im Konzern gesprochen. Auch die SPD macht Druck. "Bei der Angelegenheit werden wir nicht lockerlassen", sagte ihr verkehrspolitischer Sprecher Uwe Beckmeyer der SZ. "Da hört der Spaß auf." (Seite 4)

Auch eine Art von Transparenz: Um Korruption aufzudecken, wurden die Daten von 173 000 Bahn-Mitarbeitern mit denen von Lieferanten verglichen. Foto: ddp

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Drohungen eines Dienstes

Im Bundestag beklagt ein Kritiker die Praktiken des BND

Von Peter Blechschmidt

Berlin - Bizarre Einblicke in die Welt der Geheimdienste hat am Donnerstag die Vernehmung des Publizisten Erich Schmidt-Eenboom im BND-Untersuchungsausschuss des Bundestages erbracht, als es um die Bespitzelung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst ging. Von Menschen als "lebendigem Briefkasten" und "zweibeinigen Wanzen" sprach Schmidt-Eenboom, und davon, dass ihm gedroht worden sei, man würde ihn "schlachten" oder ihm "die Bude auf den Kopf" stellen. Letztere Drohungen waren zwar anonym, doch legte Schmidt-Eenboom die Vermutung nahe, sei seien aus dem BND gekommen.

Seit vielen Jahren ärgert der Publizist den Dienst mit Büchern über dessen Interna. Eine Veröffentlichung im Jahr 1993 löste eine großangelegte Suchaktion des BND nach den Quellen Schmidt-Eenbooms innerhalb des Dienstes aus. Über drei Jahre hinweg wurde der Autor observiert, noch von 2000 bis 2003 wurde sein Altpapier durchsucht. Die Operation war rechtswidrig, wie heute niemand bestreitet. Die undichten Stellen fand der BND nicht.

Das alles ist seit geraumer Zeit bekannt, nicht zuletzt durch den Bericht eines vom Parlamentarischen Kontrollgremium für die Geheimdienste (PKG) bestellten Sonderermittlers aus dem Frühjahr 2006. Dieser Bericht enthalte jedoch viele falsche, vom BND stammende Einzelheiten, sagte Schmidt-Eenboom am Donnerstag. Vor allem trat er der Schlussfolgerung des Ermittlers entgegen, er sei ein Vertrauensmann (V-Mann) des BND gewesen. Schmidt-Eenboom räumte ein, dass er zwischen 1997 und 2005 etwa zehn Gespräche mit einem Abgesandten des BND geführt habe. Dabei sei er immer wieder nach seinen Quellen gefragt worden, für Informationen seien ihm schon mal eine Einbauküche oder 20 000 Mark Honorar versprochen worden. Er habe jedoch keinerlei verfängliche Angaben gemacht, vielmehr sogar gelegentlich "Desinformation" betrieben.

Erst im Mai 2005 habe ihm einer der BND-Observierer von der Ausspähaktion gegen ihn erzählt, sagte Schmidt-Eenboom. Dieser Informant habe ihm auch gesagt, dass er mit Richtmikrofonen belauscht worden sei. Außerdem sei sein Telefon abgehört worden. Abhörmaßnahmen hat der BND allerdings bestritten. Schmidt-Eenboom hielt es für wahrscheinlich, dass die Leitung des BND und auch das übergeordnete Bundeskanzleramt zumindest vom Ausmaß der Überwachungsaktion gegen ihn nicht informiert gewesen seien. Nach seinem Wissen hätten untergeordnete Ebenen im Dienst ein starkes Eigenleben geführt. "Beim BND gibt es einen substantiellen Mangel an Dienstaufsicht", sagte der Geheimdienstexperte.

"Beim BND gibt es einen substantiellen Mangel an Dienstaufsicht"

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Genauigkeit in fünf Schritten

Die Pflegestufen sollen erweitert werden - das könnte den Hilfebedarf älterer Menschen präziser erfassen

Von Charlotte Frank und Nina von Hardenberg

München - Demenzkranke Menschen könnten künftig deutlich mehr Geld aus der Pflegeversicherung bekommen. Sie würden am stärksten von einem neuen Einstufungssystem der Pflegekassen profitieren, das am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Ein Expertengremium schlug vor, die bisherige Einteilung in drei Stufen durch ein fünfstufiges Modell abzulösen und die Definition der Kassen, wann ein Mensch pflegebedürftig ist, weiter zu fassen. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) stellte sich hinter das Konzept, obwohl dies nach Einschätzung von Experten zu höheren Kosten führen dürfte. Der Bundestag soll nach dem Willen der Ministerin noch vor der Wahl im Herbst eine Entschließung verabschieden. Zu einer Gesetzesänderung wird es aber in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommen.

Statt wie bislang hilfsbedürftige Menschen allein nach dem zeitlichen Pflegeaufwand zu beurteilen, sollen nach dem Vorschlag der Expertenrunde nun auch kognitive und soziale Beeinträchtigungen einbezogen werden. Maßgeblich für die Einstufung soll also der Grad der Selbstständigkeit insgesamt werden.

Ministerin Schmidt lobte das Konzept. Damit werde der tatsächliche Hilfebedarf des Einzelnen besser abgebildet. Die oft kritisierte "Minutenpflege" werde der Vergangenheit angehören. Die große Koalition hatte bereits bei den Koalitionsverhandlungen 2005 betont, dass der bisherige Begriff der Pflegebedürftigkeit zu eng gefasst ist und vor allem geistig verwirrte Menschen zu wenig berücksichtigt. Seit November 2006 befasst sich das Expertengremium deshalb im Auftrag der Regierung mit einer Neudefinition des Pflegebegriffs.

Das vorgeschlagene System unterscheidet von "selbständig" und "geringe Beeinträchtigung" bis "schwere Beeinträchtigung" und "völliger/weitgehender Verlust von Selbstständigkeit" fünf Pflegestufen. Für die Einteilung haben Wissenschaftler der Universität Bielefeld ein neues Instrument entwickelt, das "neue Begutachtungsassessment". Dieses stellt zwar - wie das geltende System - weiterhin darauf ab, wie stark ein Mensch in seiner Mobilität und Selbstversorgung beeinträchtig ist. Ebenso wichtig werden aber die Faktoren Kognition, das Verhalten, die Gestaltung des Alltagslebens, soziale Kontakte und die Selbstständigkeit im Umgang mit der eigenen Krankheit. Zudem legt auch die Einstufung in einen der fünf Bedarfsgrade nur noch die Höhe der Leistungen fest, keineswegs aber ihre Art.

Dies hilft vor allem demenzkranken Patienten, die durch das geltende System oft benachteiligt wurden. Es nimmt die Einteilung in die drei Pflegestufen allein auf Basis der Einschätzung vor, ob ein Mensch 90, 180 oder 300 Minuten Unterstützung am Tag braucht, um Alltagsaufgaben wie das Ankleiden oder etwa das Öffnen einer Zahnpastatube zu bewältigen. Gerade Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen aber sind oft noch körperlich fit - im Alltag kommen sie deshalb trotzdem nicht alleine zurecht.

Daneben könnten durch die Einführung des niedrigschwelligen ersten Bedarfsgrades ("selbständig") auch Menschen mit Behinderungen bessergestellt werden, deren Einschränkungen bislang nicht ausreichen, um als pflegebedürftig angesehen zu werden. Im geltenden System werden sie noch unter der "Pflegestufe null" gehandelt. Diese erfasst Versicherte, die zwar Hilfsbedarf haben, jedoch nicht gleich auf die täglichen 90 Minuten Unterstützung der Pflegestufe I angewiesen sind. So steht ihnen bislang nur der Weg offen, zusätzliche Sozialhilfeleistungen zu beantragen.

Auch nach oben hin musste das geltende System bereits erweitert werden: Wenn der Pflegeaufwand das Maß der Pflegestufe drei übersteigt, kann ein Härtefall beantragt werden. Diese hilfsweisen Ergänzungen des dreistufigen Systems zeigen bereits, wie dringend eine Neudefinition ist. Dennoch wurde das Vorhaben bei der Pflegereform im Juli 2008 ausgelassen. Schon damals stiegen die Beiträge der Versicherten um 0,2 Prozentpunkte. Durch die Neudefinition, schätzen die Experten, würden auf Pflege- und Sozialversicherung noch einmal mindestens 240 Millionen Euro Mehrkosten im Jahr zukommen.

Vertreter der Pflegebranche forderten die Regierung auf, das Konzept schnell umzusetzen. Bis eine Reform in Kraft tritt, kann es allerdings noch dauern: Zunächst wurde der Beirat damit beauftragt, bis Ostern 2009 konkrete Strategien zur Einführung des neuen Pflegebegriffs zu entwickeln. (Seite 4)

Die neue Definition würde die Kassen jährlich 240 Millionen Euro kosten

Nur wer körperlich behindert ist, wird im heutigen System einigermaßen genau eingestuft. Foto: Hartmut Pöstges

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Atommüll vor der Haustür

Karlsruhe - Das Bundesverfassungsgericht hat den Rechtsschutz von Anwohnern gegen Atommüll-Transporte unmittelbar vor ihrer Haustür gestärkt. Das Gericht hob am Donnerstag zwei Entscheidungen des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts auf. Dieses hatte die Berufung zweier Bürger aus dem Landkreis Lüchow-Dannenberg, die ohne Erfolg vor dem Verwaltungsgericht gegen einen Castor-Transport geklagt hatten, von vornherein als unzulässig abgewiesen. Das "spezifische Gefährdungspotential bei der Beförderung von Kernbrennstoffen" hätte aus Sicht der Karlsruher Richter aber eine inhaltliche Überprüfung nahegelegt. dpa

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Nein zu Anti-Terror-Gesetz

Berlin - Die Opposition lehnt das neueste Anti-Terrorgesetz der großen Koalition ab. Damit könnte im Bundesrat das zustimmungspflichtige Vorhaben scheitern, die Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten unter Strafe zu stellen. Union und SPD haben im Bundesrat keine eigene Mehrheit mehr. Bei der ersten Lesung im Bundestag sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) am Donnerstag, die Koalition wolle eine Gesetzeslücke schließen. (Seite 4) dpa

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Deserteur mit leerem Magen

Ein hungriger russischer Soldat hat sich nach Georgien abgesetzt - Moskau spricht von Entführung

Von Frank Nienhuysen

Moskau - Alexander Gluchow wirkt entspannt in dem Video, vor ihm liegen Pommes und ein Big Mac in einer Schachtel. Doch zum Essen kommt er nicht. Denn Gluchow hat viel zu erzählen - er berichtet, wie er bei McDonalds in der georgischen Hauptstadt Tiflis gelandet ist. Gluchow ist russischer Unteroffizier, und falls die Version stimmt, die er bei Tisch berichtet, hat er sich freiwillig von seiner Truppe in Südossetien abgesetzt und auf die Seite Georgiens geschlagen. Ausgehungert sei er gewesen, weil er kaum etwas zu essen bekommen habe. Duschen habe er schon lange nicht mehr können, und obwohl er all seine Aufgaben erfüllt habe, sei sein Kommandeur mit ihm ständig unzufrieden gewesen. Politische Gründe habe er für seine Flucht nach Georgien nicht gehabt, sagte der junge Mann. "Wenn es in der Nähe eine Grenze zu einem anderen Staat gegeben hätte, wäre ich ebenso gegangen.

Dass sich wenige Monate nach dem Krieg zwischen Russland und Georgien ein russischer Soldat auf der anderen Seite verköstigen lässt und später bei einem Fernsehauftritt auch noch Präsident Michail Saakaschwili um Asyl bittet, hat sich zu einem diplomatischen Scharmützel ausgewachsen. Das russische Verteidigungsministerium hält die Angelegenheit für eine Provokation Georgiens und für den "Versuch, die russische Armee zu diskreditieren". Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Interfax wirft Moskau den Georgiern vor, Gluchow von seiner Einheit entführt zu haben. Nun wird von Tiflis gefordert, den Soldaten freizulassen. "Geben Sie es zu", sagte laut Interfax ein Militärkommissar aus Gluchows Heimatregion Udmurtien, "um zu flüchten und Asyl zu beantragen, braucht man Gründe. Aber wegen der schlechten Bedingungen und weil er lange nicht geduscht hat? Das ist lachhaft."

Gluchow hat nach russischen Medienberichten vor eineinhalb Jahren den Dienst bei der Armee begonnen. Als Angehöriger eines Motschützen-Bataillons, einer mobilen Infanterie-Einheit, wurde er im Juni - vor Ausbruch des Krieges - nach Südossetien versetzt. Bei den Kämpfen sei er aber nicht dabei gewesen.

Für Georgiens Führung, insbesondere für Präsident Michail Saakaschwili, wäre die Desertion eines russischen Soldaten nach der militärischen Niederlage im August natürlich eine Genugtuung. Erst am Donnerstag hatten mehrere Oppositionsparteien Saakaschwili in einer gemeinsamen Erklärung zum Rücktritt aufgerufen und vorgezogene Neuwahlen gefordert. Sie werfen ihm unter anderem vor, das Land in den Krieg mit Russland getrieben zu haben.

Der Vorsitzende des georgischen Parlaments, David Bakradse, rief Russland auf, "seine Zeit sinnvoller zu verbringen, als sich zu propagandistischen Zwecken mit dem Schicksal Gluchows zu beschäftigen". Dieser habe auf eigenen Wunsch seine Einheit verlassen und sei nach Tiflis gekommen. In einer weiteren Videoaufnahme, in der sich der russische Soldat in Uniform zeigt, spricht er auffällig langsam, macht immer wieder Pausen. Für russische Medien ist daher klar, dass Gluchow von georgischer Seite eingespannt worden ist. "Es sieht ganz danach aus, als sage er einen fremden Text auf", schreibt die russische Zeitung Moskowskij Komsomolez. "Seine Stimme ist leblos, die fremde Hand ist deutlich zu merken."

In einem Interview mit dem russischen Radiosender Echo Moskaus beteuerte Gluchow jedoch, er sei auf eigene Initiative nach Georgien geflüchtet. Aber er sei kein Verräter. Doch auch seine Mutter Galina Gluchowa gab ein Interview. Der Rossijskaja Gaseta sagte sie, "ich fürchte, dass man ihn mitgenommen hat. Er ist gern zur Armee gegangen."

Glücklich über Fast-Food: der fahnenflüchtige Alexander Gluchow. rtr

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Zu viel Feinstaub

Brüssel - Wegen einer zu hohen Feinstaub-Belastung drohen Deutschland hohe Geldbußen. Die EU-Kommission eröffnete am Donnerstag in Brüssel ein Verfahren gegen die Bundesregierung, weil die seit vier Jahren geltenden Partikel-Grenzwerte nicht eingehalten werden. Unter einer überhöhten Luftverschmutzung litten demnach vor allem Bürger in Großstädten wie München, Köln oder Leipzig. Feinstaub wird von Industrie, Verkehr und Heizanlagen erzeugt und kann Asthma und Lungenkrebs auslösen. EU-Umweltkommissar Stavros Dimas sagte, die Einhaltung der seit Januar 2005 geltenden EU-Grenzwerte müsse "allerhöchste Priorität" haben. AFP

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Schäuble mahnt Karlsruhe

Karlsruhe - Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat das Bundesverfassungsgericht an den Grundsatz der richterlichen Selbstbeschränkung erinnert. Dieser müsse in der rechtspolitischen Debatte gestärkt werden, sagte er nach einem vorab verbreiteten Redemanuskript an der Universität Karlsruhe. Es gehe darum, "den von der Verfassung für die anderen Verfassungsorgane garantierten Raum freier politischer Gestaltung offenzuhalten". Alle Beteiligten sollten sich der daraus folgenden gegenseitigen Respekt bewusst bleiben. ker.

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Massenstreiks in Frankreich

Paris - Der als schwarzer Donnerstag angekündigte Streiktag in Frankreich wurde nach Ansicht der Gewerkschaften zu einem schwarzen Tag für Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Die Gewerkschaften sprachen von bis zu 70 Prozent Beteiligung in einzelnen Branchen, während die öffentlichen Arbeitgeber weit geringere Zahlen präsentierten. Vor allem in Paris fiel das befürchtete Chaos in der Métro aus, allenfalls 20 Prozent der U-Bahn-Fahrer beteiligten sich an dem Streik. Schwieriger war es für die Bewohner der Vororte; einige S-Bahn-Linien standen still. Auch beim Zugverkehr kam es - abgesehen vom Eurostar zwischen Paris und London, sowie beim Thalys von Paris Richtung Westen - zu erheblichen Einschränkungen. Der Schaden des landesweiten Streiks wurde am Donnerstag von Beobachtern auf etwa eine halbe Milliarde Euro veranschlagt. Gleichwohl sympathisiert die Mehrheit der Franzosen mit den Streikenden. kr.

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Angebote an den Gegner

Obama will in der Krise auch Stimmen der Republikaner

Von Nikolaus Piper

New York - Präsident Barack Obama hat mit seinem Programm gegen die Wirtschaftskrise eine erste Niederlage einstecken müssen. Zwar hat die große Mehrheit der demokratischen Abgeordneten im Repräsentantenhaus dem 819-Milliarden-Dollar-Konjunkturprogramm des Präsidenten zugestimmt - und dem Programm damit über die erste Hürde geholfen. Aber die 177 Republikaner stimmten mit Nein; elf Demokraten schlossen sich ihnen an. Für den neuen US-Präsidenten ist dies Sieg und Niederlage zugleich. Er wird nun den Republikanern entgegenkommen müssen. Diese kritisieren, dass das Konjunkturpaket - sein Volumen übersteigt die direkten Kosten des Irak-Kriegs - zu viel zusätzliche Staatsausgaben und zu wenig Steuersenkungen enthalte.

Am Montag soll eine leicht veränderte Fassung des Pakets im Senat beraten werden. Von der Debatte in der zweiten Kammer des Kongresses hängt der weitere Fortgang des Verfahrens ab. Wenn es Obama im Senat nicht gelingt, einige Republikaner auf seine Seite zu ziehen, könnte die Opposition dort das Paket durch "Filibustern", also durch Endlosdebatten blockieren. Angesichts der dramatischen Lage der amerikanischen Wirtschaft gilt es zwar als unwahrscheinlich, dass sie dies tatsächlich tun werden. Aber es wäre ein Rückschlag für die Reformbemühungen des neuen Präsidenten, könnte er nicht bei seinem ersten wichtigen Gesetz ein Stück von jener Überparteilichkeit verwirklichen, die er im Wahlkampf versprochen hatte.

"Die Strategie dieses Gesetzes ist es, Milliarden Dollar in alle bürokratischen Richtungen zu werfen und dann die Daumen zu drücken, dass alles gutgeht," sagte der republikanische Abgeordnete Ken Calvert aus Kalifornien. Um eine größere Mehrheit im Senat zu bekommen, dürften die Demokraten den Republikanern nun vermutlich anbieten, den Anteil der Steuersenkungen im Paket erhöhen. Nach US-Medienberichten könnte die so genannte Alternative Minimum Tax substantiell gesenkt werden; das ist eine Art Mindeststeuer, die eigentlich verhindern soll, dass sich Reiche durch Buchführungstricks ganz der Steuerpflicht entziehen, die aber inzwischen auch mehr und mehr mittlere Einkommen und kleine Geschäftsleute betrifft. Dieser Schritt würde jedoch die Kosten des Pakets auf mehr als 900 Milliarden Dollar erhöhen. In einem symbolischen Punkt sind die Demokraten den Republikanern schon entgegengekommen: Sie nahmen ein Programm zur Förderung der Geburtenkontrolle aus dem Paket.

Der größte Teil des Konjunkturprogramms, zusammen 526 Milliarden Dollar, soll dieses und nächstes Jahr wirksam werden. Es enthält eine Fülle von Ausgaben für Infrastruktur, Bildung und Energieversorgung, auch sozialpolitische Maßnahmen. So wird der Zugang für Arbeitnehmer zur staatlichen Krankenversicherung Medicaid erleichtert.

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Deutscher Tanker vor Somalia entführt

Kampala - Am Horn von Afrika ist ein deutscher Tanker, der Flüssiggas transportiert, von mutmaßlich somalischen Piraten entführt worden. Die MV Longchamp, die unter der Flagge der Bahamas fährt, ist am Donnerstag in den frühen Morgenstunden im Golf von Aden attackiert worden. Nach Angaben der ostafrikanischen Seefahrerverbandes hat es "einen heftigen Schusswechsel an Bord gegeben"; angeblich sei die Crew aber unversehrt, hieß es. Den Angriff bestätigte auch das Unternehmen "Bernhard Schulte Shipmanagement", die Betreiberfirma der Longchamp in Hamburg. Deutsche Seeleute sind nicht an Bord. Von den 13 Besatzungsmitgliedern kommen zwölf von den Philippinen und einer aus Indonesien. Der 3400-Tonnen-Tanker wurde in Japan gebaut und ging 1990 in Betrieb.

Die Kaperung der Longchamp ist bereits der dritte Piratenüberfall am Horn von Afrika in diesem Jahr. Die weltweite Piraterie hat sich seit dem Jahr 2008 erheblich verschärft, die Gewässer entlang der somalischen Küste und im Golf von Aden gelten als besonders gefährlich. Dort gab es im vergangenen Jahr allein 111 Angriffe, 42 Schiffe wurden dabei entführt. Weltweit wurden 293 Schiffsüberfälle registriert, so viele wie noch nie zuvor.

Etwa 20 Marineschiffe aus Europa, Asien und den USA überwachen das Seegebiet, um Angriffe auf Frachtschiffe zu vermeiden. Erst vor einigen Tagen nahm eine französische Fregatte neun Piraten fest. Dennoch geraten weiterhin Schiffe in die Gewalt von Seeräubern. Die Piraten sind mit modernen Booten und neuester Waffentechnik ausgerüstet. Im vergangenen Jahr haben sie mit ihren Entführungen nach Schätzungen von Experten mehr als 30 Millionen Euro Lösegeld erpresst. perr

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Die Pullover-Revolution

Präsident Obama bricht mit den strikten Kleidungsvorschriften seines Vorgängers

Jetzt auch noch die Kleidung. Barack Obama bricht im Moment nicht nur mit jeder politischen Entscheidung, die George W. Bush in den vergangenen acht Jahren getroffen hat. Auch die formalen Kleidungsvorschriften seines Vorgängers weicht er im Weißen Haus auf, wie es einer entzückten Reporterin der sonst eher nüchternen New York Times aufgefallen ist: "Mr. Obama versprach, den Wandel nach Washington zu bringen und das hat er auch getan - nicht nur in der Substanz, sondern auch im präsidentiellen Modestil."

Unter Bush war es noch selbstverständlich gewesen, dass der Mann im Zentrum der Macht Besprechungen im Anzug abhielt, zumindest solange sein Handeln von einem Fotografen festgehalten werden konnte. Jeans zu tragen war für Mitarbeiter verpönt, und auch am Wochenende galt: Anzugspflicht. Ein ehemaliger Berater Bushs berichtet sogar davon, dass sein Chef ihn einmal eine Viertelstunde lang zusammengestaucht habe, weil seine Kleidung nicht dem strikten Dresscode entsprochen habe.

So etwas wird es unter Obama offenbar nicht mehr geben. Seine Leute dürfen auch mal lässiger gekleidet zur Arbeit auftauchen. Schließlich lebt der Präsident im Weißen Haus es selbst vor. In Freizeithose und grauem Pulli kam er am Samstag zu einer Besprechung mit seinem Wirtschaftsexperten zusammen. Schon tauchen die ersten Bilder auf, die den neuen Präsidenten ohne Jackett bei einer Lagebesprechung in seinem Arbeitszimmer zeigen.

Der Chefberater des Präsidenten, David Axelrod, lieferte der Zeitung eine verblüffende Erklärung für das lockere Styling des Präsidenten. Er lasse die Heizungen massiv aufdrehen. Die Temperatur sei dann so hoch, dass Obama manchmal lieber auf das Sakko verzichtet. "Er ist aus Hawaii, okay?", bemühte sich Axelrod der Reporterin die Sehnsucht seines Chefs nach dem Aloha-Gefühl zu beschreiben. Sein Boss möge es so warm, dass im Oval Office nun sogar "Orchideen gedeihen würden". SZ

Gern auch mal im Hemd: Weil es der US-Präsident warm mag im Büro, verzichten seine Mitarbeiter und er auch schon mal auf das Jacket. Foto: dpa

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Täter im Schatten

Nach der Selbsttötung eines Offiziers dringen in der Türkei immer mehr Details über eine Geheim-Truppe ans Licht, die Morde an Kurden beging

Von Kai Strittmatter

Istanbul - Oberst Abdülkerim Kirca war querschnittsgelähmt. Die Kugel in den Rücken, heißt es, habe er sich 1999 im Kampf gegen kurdische Aufständische von der PKK eingefangen. Im Jahr 2004 zeichnete ihn Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer mit dem Ehrenorden des türkischen Staates aus. Am Montag letzter Woche frühstückte Kirca noch gemeinsam mit seiner Frau und Tochter. Dann bat er seine Frau, ihn zu baden. Er nahm die - gläubigen Muslimen vorgeschriebenen - rituellen Waschungen vor. Seine Frau brachte ihn ins Schlafzimmer. Er bat sie, ihn allein zu lassen. Dann schoss er sich eine Kugel in den Kopf. Oberst Kirca ist tot. Die Debatte über sein Leben und Tun aber ist entbrannt. Seit dem Selbstmord des Gendarmerieoffiziers kommt die Türkei aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Kirca hat dafür gesorgt, dass eine der geheimnisvollsten Organisationen der Türkei ans Licht gezerrt wird - eine Schattentruppe, deren Existenz bis heute von Staat und Armee offiziell geleugnet wird und um deren Verbrechen doch viele wissen. Fünf Buchstaben stehen für diese Truppe, die lange Jahre Angst und Schrecken verbreiteten - vor allem unter den Kurden der Türkei im Südosten des Landes: Kirca nämlich arbeitete für Jitem, "Nachrichtendienst und Terrorabwehr der Gendarmerie". Nach allem, was man bislang weiß, waren dies die Todesschwadronen des Staates, eingesetzt vor allem während des Bürgerkrieges zwischen Armee und PKK Ende der 1980er bis zum Beginn des neuen Jahrtausends - und verantwortlich für einen Großteil der vielen tausend ungeklärten Morde. Jitem verschleppte und ermordete vor allem Zivilisten, die angeblich Sympathisanten der PKK waren. Die PKK ihrerseits ging oft ähnlich brutal vor und ließ staatstreue Kurden abschlachten.

Jitem erledigte den Job, den Polizei und Armee nicht erledigen konnten oder wollten. Und der sah so aus: "Eine Person ohne Haftbefehl schnappen, sie zum Hauptquartier bringen, sie verhören, foltern, dann hinrichten und schließlich verbrennen oder vergraben." So zumindest beschreibt ein Mann seinen Job, der von sich selber sagt, er sei von 1991 an ein Jahrzehnt lang Agent von Jitem gewesen: Abdülkadir Aygan. Er ist selbst Kurde und Ex-PKK-Kämpfer, und Jitem rekrutierte ihn offenbar, nachdem er gefasst wurde und seinen Militärdienst leisten musste.

Oberst Kirca ist wohl auch deshalb tot, weil Abdülkadir Aygan nun spricht. Zum Beispiel erzählt Aygan von drei jungen kurdischen Gewerkschaftern, die von einem Gericht freigesprochen worden waren. Kirca persönlich habe sie vor seinen Augen durch Genickschuss getötet, auf einer Autobahn, sagt Aygan. Er erzählt auch von jenem Jungen, den man mit Kopfschuss auf offenem Feld habe liegen lassen und der sich wie durch ein Wunder ins nächste Krankenhaus schleppte. Oberst Kirca habe daraufhin die zweite Exekution des jungen Mannes befohlen, diesmal war sie erfolgreich. Oder von jenem Pärchen, das händchenhaltend durch die Straßen von Diyarbakir ging, als Jitem sie aufgriff. "Abdülkerim Kirca hat das Mädchen selbst gefoltert", behauptet Aygan. Beide seien ermordet worden. "Eine Jitem-Operation endete immer mit dem Tod", sagt Aygan, "ganz egal, ob einer redete oder nicht."

Aygan lebt heute in Schweden. 2004 hat er ein Buch veröffentlicht über sein Leben bei Jitem ("Der Überläufer"). "Damals hat die türkische Presse seine schockierenden Geständnisse komplett ignoriert", erinnert sich die Autorin und Kolumnistin Perihan Magden. "Die Zeiten haben sich geändert." Tatsächlich stoßen Aygans Enthüllungen heute auf neues Interesse - denn einige Staatsanwälte begreifen zum ersten Mal die Aufarbeitung der düsteren Vergangenheit als nationale Aufgabe. Die mutige liberale Zeitung Taraf hat einem Interview mit Aygan diese Woche drei ganze Seiten gewidmet. Teile der Presse versuchen nun, Aygans Glaubwürdigkeit zu diskreditieren, weil er "ein PKK-Mann" sei. Ümit Kardas, selbst ehemaliger Militärrichter in Diyarbakir und heute Anwalt in Istanbul, glaubt Aygan indes: "Was er erzählt, deckt sich mit dem, was man im Südosten erlebt hat", sagt Kardas: "Seine Enthüllungen sind wichtig und ernstzunehmen." Gibt es Jitem heute noch? "Natürlich", sagt Kardas.

Zentren des Bösen

Aygan ist nicht der erste, der über Jitem auspackt. In Diyarbakir lief seit kurzem ein Prozess gegen Oberst Kirca. 1996 gab es sogar einen Bericht des Premierministeriums, in dem Jitem im Allgemeinen und dem Oberst im Besonderen vorgeworfen wurde, "Planer und Ausführer" vieler ungeklärter Verbrechen im Umfeld der Armee zu sein. Die Gendarmerie untersteht der Armee. Der Bericht hatte nie Folgen - was vor allem an der Macht der Armee in der Türkei lag.

Und so war auch das Bild, das sich der türkischen Öffentlichkeit letzte Woche beim Begräbnis von Oberst Kirca bot, als Signal gedacht: Der komplette Generalstab erwies dem Toten die letzte Ehre. Die Offizier stellten sich hinter die Familie Kircas, die eine schriftliche Erklärung verteilte, in der es hieß: "Dies ist ein Beispiel dafür, wie Menschen, die ihrer Nation loyal gedient haben, sich das Leben nehmen, weil Zentren des Bösen Negatives verbreiten."

Die türkische Armeeführung stand stramm bei der Beerdigung von Oberst Abdulkerim Kirca in Ankara. Ihm wird die Tötung von Kurden vorgeworfen. Foto: AP

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Sauerland-Prozess im März

Düsseldorf - Der Prozess gegen die mutmaßlichen islamistischen Terroristen der sogenannten Sauerland-Gruppe beginnt am 24. März. Den drei Angeklagten Fritz Martin G., Adem Y. und Daniel Martin S. wird Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens und Verabredung zum Mord vorgeworfen. Daniel S. ist zudem wegen versuchten Mordes angeklagt. Der Prozess vor dem 6. Senat des Oberlandesgerichts Düsseldorf ist zunächst bis Ende August auf 47 Verhandlungstage angesetzt. graa

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Uni-Ärzte wollen mehr Geld

Berlin - Ohne eine Annäherung haben Arbeitgeber und Gewerkschaft die Tarifverhandlungen für die 22 000 Uniklinik-Ärzte vertagt. Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder lehnte die Forderung der Ärztegewerkschaft Marburger Bund nach im Schnitt neun Prozent mehr Einkommen in einer ersten Tarifrunde als "nicht verhandelbar" ab. Beide Seiten sprachen am Donnerstag in Berlin jedoch von einer "konstruktiven Atmosphäre". dpa

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Angst vor einem starken Mann

Zentralstaat oder Land mit autonomen Regionen: Die Provinzwahlen könnten über die Zukunft des Irak entscheiden

Von Rudolph Chimelli

Paris - Bei den irakischen Provinzwahlen am Samstag geht es um mehr als um die Zusammensetzung regionaler Vertretungen. Als erste landesweite Abstimmung, seit Premierminister Nuri al-Maliki vor zweieinhalb Jahren sein Amt übernahm, sind diese Wahlen zugleich ein Gradmesser für dessen Ansehen. Ferner wird sie als Auftakt zu den Parlamentswahlen verstanden, die Ende des Jahres stattfinden sollen. In 14 der 18 irakischen Provinzen wird gewählt. Die drei Provinzen der autonomen kurdischen Region nehmen nicht teil, und der Wahltermin für die Provinz Kirkuk (Arabisch: Tamim), um deren Zugehörigkeit Kurden und Araber streiten, wird erst später festgesetzt werden.

Insgesamt bewerben sich 14 400 Kandidaten um nur 440 Sitze in den Provinzräten. Von den 28 Millionen Einwohnern des Irak haben sich 14,4 Millionen als Wähler registrieren lassen. Vor vier Jahren, als im ganzen Land gewählt wurde, waren 15,5 Millionen eingeschrieben. Dies lässt eine höhere Wahlbeteiligung erwarten, noch mehr indessen die Tatsache, dass Kandidaten sich zum ersten Mal mit Namen präsentieren müssen und sich auf Plakaten meistens auch mit Bild zeigen. Frühere Abstimmungen erfolgten anonym mit Listen, weshalb sich die Wähler überwiegend nach Religion oder Stammeszugehörigkeit richteten. Unter amerikanischem Druck hat die Regierung eine 25-Prozent-Quote für Frauen festgesetzt.

Indirekt geht es bei den Provinzwahlen auch um die Frage, ob der Irak sich in Zukunft als zentralistisch regierter Staat entwickelt. Die größte schiitische Partei des Landes, der Oberste Islamische Rat SCI, hofft auf eine Mehrheit in den neun südlichen Provinzen, in denen sich der Großteil des Erdöls befindet. Der SCI strebt danach, aus dem Süden eine autonome Region nach dem Beispiel von Kurdistan zu machen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss der SCI vor allem die heilige Stadt Nadschaf beherrschen, die als Hauptstadt der autonomen Region vorgesehen ist. Dort residiert auch der angesehenste geistliche Würdenträger des Irak, Ayatollah Ali al-Sistani.

Suheir al-Hakim, ein SCI-Führer aus der Gelehrtenfamilie der Hakim, die seit Generationen die Stadt beherrscht, erklärt die Autonomie zu "unserem Recht nach Buchstaben und Geist der Verfassung". Einer autonomen Region, die durch Referendum geschaffen werden kann, stehen laut irakischer Verfassung erhebliche Rechte zu. Sie kann ihre eigene Verfassung erlassen, Bundesgesetze ändern, falls sie den örtlichen Gepflogenheiten widersprechen, die innere Sicherheit wahrnehmen und "Vertretungen" im Ausland errichten. Nach Ansicht der Gegner dieses Projekts würde das Entstehen einer zweiten autonomen Region neben Kurdistan de facto das Ende des Irak durch Spaltung nach konfessionellen und ethnischen Linien bedeuten und wachsendem iranischen Einfluss die Tür öffnen.

Die Amerikaner stellt dieses Problem vor ein Dilemma. Sie haben seit Jahren aus Gründen der Stabilität den SCI unterstützt, obgleich dieser enge Beziehungen zur Regierung in Teheran unterhält. Ferner sind die Vereinigten Staaten stets für Dezentralisierung und mehr Vollmachten für die Provinzen eingetreten. Damit soll nach ihren Vorstellungen verhindert werden, dass ein neuer starker Mann nach dem Vorbild des gestürzten Diktators Saddam Hussein die Zentralmacht übernimmt. Der neue Vizepräsident der Vereinigten Staaten, Joe Biden, hatte vor zwei Jahren in der New York Times die Bildung dreier autonomer Regionen für Kurden, Sunniten und Schiiten vorgeschlagen, um die damaligen blutigen Auseinandersetzungen zwischen Irakern zu beenden. Bidens Idee schlug sich in einer Senats-Entschließung nieder, die für den Präsidenten freilich nicht bindend war.

Premierminister Nuri al-Maliki, der gleichfalls die Unterstützung der USA genießt, ist ein entschiedener Gegner der Dezentralisierung. "Ohne einen starken Staat sind wir erledigt", sagte er vergangene Woche. Er ist dafür nicht nur vom SIC heftig kritisiert worden, sondern auch vom Präsidenten der kurdischen Region, Massud Barsani. Ohne Maliki beim Namen zu nennen, sagte Barsani vor Studenten: "Wir wissen, da ist jemand, der die Diktatur im Irak über die Kontrolle von Armee und Polizei wieder herstellen will."

In der Tat beobachten viele Iraker mit Missbehagen, dass Maliki seine persönliche Macht ausdehnt. Er hat militärische Befehlshaber abgelöst und zwei Sonder-Verbände gegründet, die nur ihm verantwortlich sind, nicht dem Verteidigungs- oder dem Innenministerium. Der eine, die Bagdad-Brigade, soll 3000 Mann umfassen. Sie hält auch Gefangene in der Grünen Zone fest, dem geschützten Regierungs-Areal im Zentrum der Hauptstadt, darunter Muntasser al-Saidi, der den scheidenden amerikanischen Präsidenten George W. Bush mit seinen Schuhen bewarf. Der andere Verband ist eine Antiterrorismus-Einheit, deren Größe und Aufgaben ungeklärt sind. Außerdem sucht Maliki die Unterstützung von Stammesführern - was auch Saddam Hussein tat.

Die Logik von Malikis Vorgehen liegt darin, dass die Kurden, der SCI und der oppositionelle Schiiten-Führer Muktada al-Sadr ihre bewaffneten Milizen haben, die Dawa-Partei, welcher der Regierungschef angehört, aber nicht. Bisher kontrolliert die Dawa nur eine einzige Provinz im Süden, Kerbela. Wie der SCI hofft auch die Dawa auf Ausweitung ihres Einflusses durch die Wahlen. Die Bewegung von Sadr, die sich vor allem auf die Masse der Armen in der schiitischen Volksgruppe stützt, ist nicht als Partei zugelassen. Ihre Kandidaten treten deshalb als "Unabhängige" auf. Im vorletzten Jahr hatte Sadr seine Minister aus der Regierung Malikis wegen dessen Zusammenarbeit mit den Amerikanern abgezogen. Selbst relativ geringe Wahlerfolge könnten die Sadristen wieder zu unentbehrlichen Koalitionspartnern für andere schiitische Kräfte machen. Unter den Sunniten ist die Irakisch-Islamische Partei die stärkste Gruppe.

Umfragen zeigen, dass den Irakern die Versorgung mit Wasser und Strom, die nach wie vor katastrophal ist, wichtiger ist als die Politik. Dieses Problem hat sogar die Sicherheit als Hauptsorge verdrängt. Nur 16 Prozent der Befragten zeigten sich landesweit zufrieden mit der Elektrizitätsversorgung. Um Zwischenfälle am Wahltag zu verhindern, werden Landgrenzen und Flughäfen geschlossen. In größeren Städten wird auch der Autoverkehr unterbunden.

Unter amerikanischem Druck hat die Regierung eine Quote für Frauen festgesetzt

Den Irakern ist die Versorgung mit Wasser und Strom wichtiger als die Sicherheitslage

Die Kandidaten bei den Wahlen im Irak müssen sich erstmals mit Namen präsentieren und zeigen sich auf Plakaten oft auch mit Bild - wie hier in Basra. Getty

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Israel wieder beschossen

Jerusalem - Die Waffenruhe im Gazastreifen hat sich am Donnerstag als brüchig erwiesen: Erstmals seit ihrem Beginn vor zehn Tagen feuerten militante Palästinenser wieder eine Rakete auf Israel ab. Das Geschoss schlug laut Militärangaben auf offenem Gelände ein. Niemand sei verletzt worden. Der neue Nahost-Gesandte der USA, George Mitchell, bemüht sich derzeit in der Region um eine Festigung der Waffenruhe. AP

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Gefangen in einem kleinen Stück Dschungel

Sri Lankas Armee hat die Tamil Tiger fast besiegt - nun jagt sie den Chef der Rebellen

Von Oliver Meiler

Singapur - Lebend ergeben würde sich Velupillai Prabhakaran wohl nie. Der Chef und Gründer der Tamil Tiger, ein 55-jähriger Guerillakämpfer von gedrungener Gestalt und mit unbedingtem Kampfeswillen, trägt in seiner Tasche immer eine Kapsel mit Zyankali. Sollte ihn die srilankische Armee stellen, würde er sich wahrscheinlich umbringen. Viele Kader seiner Rebellenorganisation zogen in den vergangenen 25 Jahren des Bürgerkriegs den Selbstmord der Schmach einer Verhaftung vor. Die meisten von ihnen nahmen Zyankali. Sie taten es auf Geheiß von Prabhakaran, dessen Befehle nie viel Raum für Interpretationen offenließen.

Nun macht es den Anschein, als stehe Velupillai Prabhakaran, der von Militärexperten als gescheiter Stratege und Taktiker beschrieben wird, selber am Ende. Glaubt man dem srilankischen Armeechef, Sarath Fonseka, ist die militärische Offensive zu 95 Prozent abgeschlossen. Und für die restlichen fünf Prozent, so der General, genügten einige Monate. Das Militär hat die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) mit seiner massiven, brutalen, einjährigen Offensive am Boden, aus der Luft und vom Meer zusehends in die Enge getrieben.

Viele zivile Opfer

Die Tiger sind umzingelt, geschwächt wie nie zuvor in dem Konflikt und fast ohne konventionelle militärische Optionen. Von ihrem früheren Hoheitsgebiet bleibt nur noch ein kleines Stück Dschungel im Norden der Insel übrig, etwa 30 auf 50 Kilometer, aus dem sie höchstens noch als Guerillakämpfer operieren können. In den vergangenen Tagen hat die Armee auch die letzte Hochburg der Tiger eingenommen, die Küstenstadt Mullaitivu, das militärische Hauptquartier der Rebellen. Als die Armee in die Stadt eindrang, waren die Tiger schon weg, ihre Büros verlassen. Auch viele tamilische Zivilisten waren geflüchtet.

Ihnen gehört nun die ganze Sorge der internationalen Hilfsorganisationen. Ungefähr 250 000 Menschen gelten als gefangen zwischen den Fronten, dem Kreuzfeuer ausgesetzt. Von den Rebellen werden sie angeblich als menschliche Schutzschilde missbraucht - und von den Regierungstruppen offenbar beschossen.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, dessen Leute seit Beginn der Militäroperation als einzige internationale Helfer ohne Unterbrechung im Kriegsgebiet vertreten sind, berichtet von "Hunderten Toten und von Scharen von Verwundeten" und warnt vor einer humanitären Krise. Es mangelt an allem, vor allem aber an der medizinischen Versorgung der Opfer. Die Vereinten Nationen evakuierten am Donnerstag Hunderte Verletzte aus dem Kriegsgebiet, unter ihnen fünfzig Kinder in einem kritischen Gesundheitszustand.

Beide Kriegsparteien weisen die Anschuldigungen, die gegen sie erhoben werden, scharf zurück. Die Regierung in Colombo behauptet, sie stelle im Gegenteil sicher, dass die Zivilisten geschützt würden, indem sie ihnen eine Sicherheitszone zugewiesen habe und sie vor jedem Bombardement mit Flugblättern warne. Die Tiger wehren sich gegen den Vorwurf der Gegenseite, sie feuerten selber Raketen auf die Zivilbevölkerung ab und hinderten Krankenwagen daran, Verletzte in die Krankenhäuser zu bringen. Es steht Propaganda gegen Propaganda. Verifizieren lässt sich wenig. Unabhängigen Berichterstattern ist der Zutritt zu den nördlichen Bezirken verwehrt. Und srilankische Journalisten werden verfolgt, verprügelt oder gar getötet, wenn sie sich kritisch gegen die Militärstrategie der Regierung äußern.

So sind viele Fragen offen. Die militärisch wichtigste scheint derzeit diese zu sein: Wo versteckt sich Velupillai Prabhakaran? Sri Lankas Präsident Mahinda Rajapakse sagte unlängst in einem Interview mit dem indischen Nachrichtenmagazin India Today: "Dieser Krieg endet erst, wenn wir Prabhakaran haben." Er sagte nicht, ob er ihn tot oder lebendig fassen will. Wird Prabhakaran getötet, ist die Gefahr groß, dass sein Tod von den seinen als Martyrium verklärt und seinen Mythos stärken würde. Der Rebellenchef wird von seinen Anhängern wie ein Volksheld gefeiert, der alleine fähig sei, Sri Lankas Tamilen, etwas mehr als 15 Prozent der Bevölkerung und mehrheitlich hinduistisch, aus der Unterdrückung der singhalesischen, hauptsächlich buddhistischen Mehrheit zu lösen und ihnen einen eigenen Staat zu geben.

Flucht im Fischerboot

Nun gibt es aber Spekulationen, wonach der Rebellenchef das Land verlassen haben könnte. Genannt werden gleich mehrere mögliche Ziele, so etwa Indonesien, Thailand und Malaysia. Die LTTE brauchten in den vergangenen Jahren Südostasien als Drehscheibe für den Waffennachschub. Malaysias Regierung jedenfalls wies die Polizei vorsorglich an, nach Prabhakaran Ausschau zu halten. Die LTTE haben noch immer zwei oder drei Flugzeuge, die sie für Flüge dieser Art brauchen könnten.

Einem anderen Gerücht zufolge ist Velupillai Prabhakaran mit einem Fischerboot in den indischen Bundesstaat Tamil Nadu geflohen, der nur einige Dutzend Seemeilen von Sri Lanka entfernt ist und wo ungefähr 55 Millionen Tamilen leben. Er hatte dort einmal eine große Anhängerschaft. Die indischen Tamilen sympathisierten in den achtziger Jahren mit dem Kampf ihrer "Brüder". Doch nachdem die LTTE 1991 den früheren indischen Premierminister Rajiv Gandhi bei einer Wahlkampfveranstaltung in Tamil Nadu umgebracht hatten, erlahmte die Sympathie. Indien drängt seither auf eine Auslieferung von Velupillai Prabhakaran.

Wo ist Velupillai Prabhakaran? Die Tamil Tiger erteilten Spekulationen, wonach ihr Anführer Sri Lanka verlassen haben könnte, eine Absage: Die Gerüchte um Prabhakarans Flucht seien nur billige Propaganda. Der Chef lasse sein Volk nicht im Stich. Foto: AFP

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Lulas Spagat

Brasiliens Präsident ist beim Weltsozialforum umstritten

Von Peter Burghardt

Buenos Aires - Nun versucht sich also auch Brasiliens Präsident wieder bei den Globalisierungszweiflern, für manche ist er da längst ein Fremder. 2001, als das Weltsozialforum als Antwort auf das Schweizer Weltwirtschaftsforum erfunden wurde, da gehörte Luiz Inácio Lula da Silva noch zu den führenden Aktivisten. Nachher machte er als Kämpfer gegen den Hunger den Spagat zwischen Porto Alegre und Davos, den Zentren von Widerstand und Luxus. In den vergangenen Jahren war Lula bei der Gegenveranstaltung dann gar nicht mehr vertreten, und ehemalige Mitstreiter wandten sich ab vom früheren Gewerkschaftsführer aus der Arbeiterpartei PT. Für sie ist der von der Mehrheit so umschwärmte Staatschef des aufstrebenden Riesenreiches zu sehr Freund der Märkte, ihr neuer Held heißt Hugo Chávez. Doch mit der Heimkehr des Alternativentreffens an brasilianische Ufer kommt auch Lula zurück.

Durchweg angenehm wird es nicht für ihn, das macht schon der Tagungsort. Nach Abstechern nach Nairobi, Mumbai, Caracas, Bamako und in andere Städte versammelt sich die Bewegung diesmal in Belém am Amazonas-Delta. Nicht zuletzt soll an dem großen Fluss auf die Zerstörung des wichtigsten Ökosystems der Erde und die Gefährdung seiner Menschen aufmerksam gemacht werden. Zum Start zogen nicht nur Zehntausende Demonstranten mit Sambatrommeln durch die Straßen der Hafenstadt - 1500 indigene Bewohner bildeten zur Begrüßung außerdem ein gewaltiges "SOS Amazonia", der Hilferuf wurde aus Hubschraubern fotografiert und war auch an Lula adressiert.

Aus allen Anrainerländern sind Ureinwohner nach Belém gepilgert, manche kamen aus abgelegenen Dörfern am Amazonas und selbst aus dem bolivianischen Hochland. Die Umwelt- und Ureinwohnerorganisation Amazonas Watch erinnerte daran, dass in den vergangenen vier Jahrzehnten fast ein Fünftel des Regenwaldes abgeholzt worden sei, jährlich zwischen 11 000 und 27 000 Quadratkilometer. Die Zerstörung werde zugunsten von Soja- und Rindfleischexporten wesentlich beschleunigt, erklärte Greenpeace auch bei dieser Gelegenheit. Sogar eine Art Autobahn durch den umfangreichsten Dschungel des Planeten plant die brasilianische Regierung, nachhaltiger Naturschutz ist Lula weniger wichtig als der Aufstieg seiner Nation zur Wirtschaftsmacht. Allerdings steht die geplagte Umwelt jetzt nicht mehr im Mittelpunkt dieses 9. Sozialforums, denn dazwischen kam die schlimmste Finanzkrise der Neuzeit.

Was tun, fragte Lenin. Was tun, fragen sich auch die unterschiedlichsten Kritiker in Belém. Wie immer ist es ein Sammelsurium an Meinungen, einig sind sich alle nur in der Gewissheit, dass es mit diesem Kapitalismus so nicht weitergehen kann. Die einen wünschen sich einen wie auch immer gearteten Sozialismus. Andere wie der Forum-Mitbegründer Oded Grajew regen einen "sozial verantwortlicheren Markt" und "eine Demokratie mit stärkerer Beteiligung" an. Verbrannte US-Fahnen werden anders als in der Bush-Ära nicht mehr gemeldet, auch gibt es viel weniger Parolen gegen das Imperium, Obama sei Dank. Doch fragen sich die Teilnehmer, wo denn all die Milliarden herkommen, mit denen ihre Politiker Banken und Konzerne retten wollen. Fehlt es nicht sonst am Geld für die Ärmsten?

Auch da ist Lula in der Zwickmühle, Brasiliens Einkommen sind trotz Fortschritten weiterhin am ungleichmäßigsten verteilt auf dem Globus. Er unterstützt einerseits Bedürftige mit Sozialprogrammen und stärkt jetzt andererseits mit massiven Interventionen das angeschlagene Finanzsystem. Diese und andere Themen wurden am Donnerstag mit Lula und den Kollegen Hugo Chávez aus Venezuela, Evo Morales aus Bolivien, Rafael Correa aus Ecuador und Fernando Lugo aus Paraguay diskutiert. Bei der Debatte zuvor mit der brasilianischen Landlosenvereinigung Sem Terra (MST), größte Sozialorganisation Brasiliens und einst Lulas Basis, war Brasiliens Präsident ausdrücklich nicht eingeladen.

Die geplagte Umwelt steht nicht mehr im Mittelpunkt - dazwischen kam die Finanzkrise

Bunte Teilnehmer: brasilianische Ureinwohner beim Forum der Globalisierungs-Kritiker in Belém. Foto: AP

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Koch als Terrorhelfer

Washington - Ein US-Bezirksrichter hat am Mittwoch den Antrag eines jemenitischen Guantanamo-Häftlings auf Haftentlassung abgelehnt. Der Koch Ghaleb Nassar Al Bihani wird seit mehr als sieben Jahren auf dem US-Stützpunkt in Kuba festgehalten. Nach eigenen Angaben arbeitete er als Küchenhilfe bei den Taliban in Afghanistan und gab selbst nie einen Schuss aus einer Waffe ab. Richter Richard Leon entschied jedoch, Al Bihani habe dennoch die Taliban unterstützt. Schon Napoleon habe schließlich gesagt, dass jede Armee auf ihrem Magen marschiere. Die Entscheidung der US-Regierung, ihn als feindlichen Kämpfer einzustufen, sei daher gerechtfertigt. AP

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Blackwater ohne Lizenz

Bagdad/Straßburg - Die USA müssen eine neue Sicherheitsfirma zum Schutz ihrer Diplomaten im Irak engagieren. Die irakischen Behörden haben dem bisher damit betrauten Unternehmen Blackwater die Lizenz entzogen, wie ein Sprecher des Innenministeriums bestätigte. Die Entscheidung sei der US-Botschaft übermittelt worden. Blackwater war im September 2007 in Verruf geraten: Wachleuten der privaten Sicherheitsfirma wird vorgeworfen, grundlos 17 Iraker erschossen zu haben. Blackwater erklärte dagegen, die Wachleute seien angegriffen worden und hätten in Notwehr gehandelt. Fünf ehemalige Mitarbeiter der Firma sind in den USA wegen Totschlags angeklagt. Mit der wachsenden Bedeutung privater Sicherheitsfirmen befasste sich am Donnerstag der Europarat in Straßburg. Der SPD-Abgeordnete Wolfgang Wodarg zählt weltweit über tausend solcher privaten Militär-Agenturen. Die größten dieser Sicherheitsfirmen seien Aktiengesellschaften. Jeder Konflikt bedeute für sie mehr Profit, so Wodarg. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats forderte die 47 Mitgliedsstaaten auf, ihr staatliches Gewaltmonopol zu verteidigen und Einsätze von Sicherheitsfirmen scharf zu kontrollieren. AP/cob

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Jagd auf Drogenhändler

Brüssel - In der militärischen Führung der Nato ist ein schwerer Konflikt über den Einsatz in Afghanistan ausgebrochen. Kommandierende Generäle in Kabul und im Einsatzkommando in den Niederlanden haben sich einem Bericht von spiegel-online zufolge geweigert, einem Befehl von Nato-Oberbefehlshaber Bantz Craddock zu folgen. Dieser Befehl sei rechtswidrig. Deutsche Militärkreise bestätigen der Deutschen Presseagentur dpa am Donnerstag, dass Craddock in einem geheimen Befehl angewiesen habe, Jagd auf "alle Drogenhändler und deren Einrichtungen" in Afghanistan zu machen. Dabei könne darauf verzichtet werden, vorher festzustellen, ob es sich tatsächlich um "militärische Ziele" handele, die Drogenhändler also Unterstützer der Aufständischen sind. Sowohl der deutsche General Egon Ramms, der die Nato-Kommandozentrale in Brunssum leitet, als auch der Nato-Kommandeur in Kabul, David McKiernan, haben den Befehl angeblich als Verstoß gegen internationales Recht zurückgewiesen. Er widerspricht auch den von den Nato-Ländern vereinbarten Einsatzregeln, wenn Craddock damit eine breite militärische Offensive gegen Drogenanbau und Drogenhandel einleiten wollte. Und er verstößt gegen die Absprache mit der Regierung in Kabul, deren Aufgabe der Kampf gegen die Drogen ist. Diese Übereinkunft war getroffen worden, weil die Nato nicht alle Sicherheitsaufgaben in Afghanistan übernehmen kann und will. wtr

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Heute bei

Endlich wieder Fußball

Zum Start der Bundesliga-Rückrunde: die Vorschau auf den Spieltag, eine neue Video-Kolumne und am Abend eine Einzelkritik zum Spiel HSV - Bayern.

www.sueddeutsche.de/bundesliga

Frisches Kapital

Quer durch Deutschland lesen Studenten plötzlich wieder Marx - freiweillig, und in ihrer Freizeit. Einige Verlage kommen mit dem Drucken kaum nach. www.sueddeutsche.de/lesekreis

Foto: AP

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Vater wirft Tochter von einer Brücke

Sydney - Ein australischer Vater von drei Kindern hat seine vierjährige Tochter von einer Brücke 60 Meter tief in den Tod gestoßen. Der 35-jährige Vater, der mit der Mutter der Kinder offenbar um das Sorgerecht streitet, wurde festgenommen. "Er stieg aus, nahm das kleine Mädchen aus dem Auto, ging zur Brüstung und ließ es fallen", berichtete der leitende Ermittler. Das Kind schlug 60 Meter tiefer im Fluss Yarra auf. Dann fuhr der Mann davon, zu einem Termin beim Vormundschaftsgericht - mit den beiden sechs und acht Jahre alten Brüdern des Kindes im Auto. Dort wurde er - unter akutem psychischen Schock stehend - festgenommen. Schockierte Autofahrer hatten sofort Polizei und Rettungskräfte alarmiert, die das Mädchen schwer verletzt aus dem Fluss bargen. Sie brachten das Kind mit einem Hubschrauber ins nächste Kinderkrankenhaus - dort erlag Darcy ihren schweren inneren Verletzungen. dpa

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Für 155 000 Dollar: Paar lässt Hund klonen

San Francisco - Ein US-Ehepaar hat seinen toten Labrador für 155 000 Dollar klonen lassen. Der zehn Wochen alte Welpe, der in Südkorea zur Welt gekommen war, sei nun seinen Besitzern Edgar und Nina Otto in Boca Raton (Florida) übergeben worden, berichtet die Zeitung Miami Herald. Er wohnt in einem großen Haus auf einem weitläufigen Grundstück mit neun anderen Hunden, zehn Katzen und sechs Schafen. Der Welpe ist nicht der erste kommerzielle Klonhund der Welt. Bereits im vergangenen Jahr hatte die Amerikanerin Bernann McKinney aus Hollywood für 50 000 Dollar drei Kopien ihres zwei Jahre zuvor gestorbenen Pitbull-Terriers Booger erhalten. dpa

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Tödliche Vernebelung

Militärübung neben der Autobahn kostet Tschechin das Leben

Wien - Eine überraschend über der Autobahn liegende Nebelbank - Autofahrer fürchten sich zu Recht davor. Wird ein Hintermann draufknallen, wenn man scharf bremst und im Unsichtbaren zum Stehen kommt? Auf der Autobahn bei Korneuburg nördlich von Wien ist genau das geschehen: Im Nebel kollidieren sieben Kraftwagen, eine Frau stirbt, sieben Personen werden verletzt. Doch was wie einer dieser immer wieder auftretenden Nebelunfälle aussieht, wächst sich nun zu einem Skandal aus: Aller Wahrscheinlichkeit nach war eine Nebelübung des österreichischen Bundesheeres direkt neben der A22, der "Donauuferautobahn", die Ursache für die Karambolagen.

Augenzeugen erklären, die Nebelbank, in die man da unverhofft geraten war, sei nicht weiß, sondern schwarz gewesen: eine undurchdringliche Dunstschicht aus schwarzem Rauch. Urheber des unnatürlichen Phänomens soll die beim österreichischen Militär gebräuchliche Nebelgranate NC-NbHG 75 gewesen sein. Auf einem direkt neben der Schnellstraße gelegenen Gelände, etwa 260 Meter entfernt von der Fahrbahn, absolvierten Rekruten eine Nebelübung. Die undurchdringliche Atmosphäre dafür sollte die Rauchmunition erzeugen. Das gelang offenbar so wirkungsvoll, dass die Kraftfahrzeuge nebenan ineinanderkrachten und eine junge Tschechin zu Tode kam. Sie wurde am Steuer eingeklemmt und verbrannte.

Öffentlich wurde die Sache erst durch skandalöse Begleiterscheinungen, die den österreichischen Verteidigungsminister Nobert Darabos (SPÖ) dazu veranlasst haben, die Aufklärung des Falles zur Chefsache zu machen: Soldaten der Van-Swieten-Kaserne in Wien Stammersdorf hatten Journalisten berichtet, sie hätten während der Übung die Großkarambolage gehört. Als sie zu Hilfe eilen wollten, seien sie daran gehindert worden. Dabei hätten sie auf Befehl eines Vorgesetzten gehandelt, der ihnen auch verboten habe, diesen Vorfall weiterzuerzählen.

Ein Drittel der Soldaten gab später zu Protokoll, man habe sich buchstäblich eingeschüchtert gefühlt. Das österreichische Bundesheer setzte daraufhin eine interne Untersuchungskommission ein, die rasch abwiegelte: Es sei ungeklärt, ob die Munition Ursache der Sichtbehinderung gewesen sei. Die Rekruten seien allein zu ihrem eigenen Schutz daran gehindert worden, auf die vernebelte Autobahn zu laufen. Im Übrigen seien die Rekruten alles Neulinge gewesen, die noch keine ausreichende Qualifikation für sachgerechte Hilfeleistung gehabt hätten. Außerdem habe sich ein Kundschafter des Bundesheeres davon überzeugt, dass zivile Rettungsfahrzeuge bereits zum Unfallort geeilt seien.

Auch die parlamentarische Beschwerdekommission für das Bundesheer interessiert sich nun für die Sache. Es wurde nämlich bekannt, dass die übenden Soldaten ausgerechnet einem Sanitätszug angehören und - obwohl erst zwei Wochen im Dienst - wenige Stunden zuvor eine ausgiebige Hilfsübung durchgeführt hätten. Außerdem seien zwei ausgebildete Sanitäter und ein Soldat mit abgeschlossenem Medizinstudium dabei gewesen - auch ihnen sei die Hilfeleistung verboten worden. Durch das Zögern der Vorgesetzten seien mindestens zehn Minuten vergangen, die vielleicht das Leben der Tschechin hätten retten können.

Der Staatsanwalt ermittelt

Die Staatsanwaltschaft hat jetzt die Sache in die Hand genommen und schon nach erstem Augenschein erklärt, Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung würden in diesem Fall unvermeidlich sein. Das Bundesheer leitete inzwischen ein Disziplinarverfahren gegen einen "Ausbildungsverantwortlichen" ein. Ganz allgemein seien Übungsvorschriften missachtet und die Nebelmunition zu nah an der Autobahn gezündet worden, heißt es. Vorgeschrieben ist, dass solche Granaten nicht näher als 300 Meter an sensiblen Objekten wie Gebäuden und Verkehrswegen eingesetzt werden dürfen.

Dass die Soldaten ohne Schutzwesten nicht auf die Fahrbahn gelassen worden seien, wird hingegen als umsichtige Schutzmaßnahme gewertet. Österreichische Militärexperten verlangen nun, das Heer müsse grundsätzlich derlei Übungen in der Nähe von Verkehrswegen verbieten. Der militärische Übungsplatz bei Korneuburg wurde vorerst geschlossen. Michael Frank

Keine Auskunft, keine Fahrkarten, kein Verkehr: Auch auf dem Magdeburger Hauptbahnhof blieb das Servicezentrum geschlossen. In vielen Städten fielen Zugverbindungen aus oder es kam zu Verspätungen. Foto: dpa

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Die Anti-Fastfood-Festung

Die toskanische Stadt Lucca will die italienische Küche fördern, indem sie fremdländische Lokale verbietet

Von Stefan Ulrich

Sie ist mal Segen, mal Fluch für Lucca, die größte vollständig erhaltene Stadtmauer Europas. Vier Kilometer lang ziehen sich die Festungswälle aus rötlichem Ziegel um das Centro Storico. Diese Mauern hielten viele Feinde fern und schützten die stolzen, freien Bürger. Später engten sie Lucca jedoch ein und schnitten das Zentrum von der Moderne ab. Heute wirkt sich das als Segen aus: Unzählige Touristen flanieren auf den Mauern und bummeln durch die Altstadt, die mit ihren Palazzi aus dem Mittelalter und der Renaissance, ihren Flaniergassen und den historischen Geschäften die schönsten Toskanaträume übertrifft.

Nun aber wähnen die mehrheitlich rechts-konservativen Stadtväter diese Welt in Gefahr. Fremdes, Billiges, Lautes und Hässliches niste sich in den ehrwürdigen Gemäuern ein, beklagen sie. Hamburgerrestaurants, Straßenimbisse, fremdländische Lokale bedrohten das Stadtbild und die heimische Esskultur. Fünf Kebab-Stände für 8000 Einwohner seien doch wohl ein bisschen viel, finden die Räte. Zudem schlägt es ihnen auf den Magen, dass die Frittenbuden bereits bis in die stimmungsvolle Via Fillungo mit ihren Jugendstilläden vordringen.

Daher entschied der Stadtrat jetzt mit seiner konservativen Mehrheit: Genug ist genug. Fortan werden keine neuen Schnellimbisse mehr genehmigt. Die Restaurants haben sich edel einzurichten, die Kellner elegante Uniformen anzuziehen. Zudem sollen mehr traditionelle Luccheser Gerichte auf die Speisekarten kommen, Dinkelsuppe oder "Torta coi becchi", eine Torte aus Mangold, Rosinen und Pinienkernen. Zudem bestimmte der Stadtrat, dass keine Lokale mehr eröffnen dürfen, "deren Aktivitäten auf andere Ethnien zurückzuführen sind". Addio Kebab, Sushi, Frühlingsrollen.

Die letzte Regelung löste Empörung in Italien aus. Linke Politiker werfen dem Gemeinderat vor, er wolle Ausländer diskriminieren und betreibe "gastronomischen Rassismus". Andere argwöhnen, hier solle via Küche ein Apartheid-Regime wie einst in Südafrika errichtet werden. Der Küchenkritiker Vittorio Castellani klagt: "Italien erweist sich als fremdenfeindlich und schämt sich nicht einmal mehr dafür." Der Schriftsteller und Journalist Massimo Fini moniert, der Begriff "Ethnien" diskriminiere gezielt andere Rassen. Deswegen dürfe in Lucca kein Schwarzer mehr ein Restaurant aufmachen, wohl aber ein Deutscher mit seinen "Krauti" und "Kartoffeln".

Die derart gescholtenen Stadtpolitiker versuchen sich zu wehren. "Wir führen keinen Kreuzzug", versichert Mauro Favilla, der Bürgermeister von Lucca. Der Stadtrat habe nichts gegen Ausländer, sondern wolle lediglich die kulinarische Tradition und das Ortsbild innerhalb der Mauern erhalten. Von den Verboten seien genauso italienische Schnellimbisse, etwa Pizza-Stände, betroffen. Außerdem bekomme die Stadt auch viel Unterstützung für ihre Beschlüsse.

Esst Schinken und Salami!

Tatsächlich lobt der italienische Landwirtschaftsminister Luca Zaia: "Solche Initiativen sind willkommen." Es sei besser, wenn die Jugend edlen Schinken und Salami esse, als Kebab. So nehme sie auch etwas von der Geschichte ihres Territoriums auf. Die Region Lombardei überlegt derweil, ähnliche Regeln wie die Stadt Lucca aufzustellen. In Mailand würden bereits ein Viertel der Restaurants, Lokale und Bars von Ausländern betrieben, die nicht aus der EU kämen, stellte die Handelskammer der Stadt fest. In der Regierung der Lombardei heißt es: "Wir verlieren unsere Identität, wenn die charakteristischsten Ecken unseres Territoriums ausverkauft werden." Im Küchenkrach um Lucca gehen die Ansichten also weit auseinander. Geht es um Rassismus oder den Erhalt lokaler Traditionen? "Das ist wirklich ein schwieriges Problem", meint der Deutsch-Toskaner Ulrich Kohlmann. Er arbeitet als amtlich geprüfter Fremdenführer in Lucca und organisiert kulinarische Reisen, sodass er die Küchenprobleme bestens kennt. Das ästhetische Bild der Altstadt sei ein kultureller Wert, von dem die Luccheser lebten, sagt er. Denn deswegen kämen die Touristen ja nach Lucca. Daher sei es richtig, wenn die Gemeinde ihre lokale Gastronomie und ihr Stadtbild schützen wolle.

"Es wäre nicht schön, wenn irgendwann alle Städte gleich ausschauen, mit einem Gucci-Geschäft und ein paar Kebab-Buden, egal ob man nach Shanghai, München oder Lucca kommt", sagt Kohlmann. In Lucca gehe es darum, die hässlichen Seiten der Moderne auszusperren, mit ihrer schrillen Reklame, Plastik und Wegwerfkultur. "Ich sehe ja, was da in Pisa und Florenz abläuft, und das ist wirklich schlimm." Die umstrittenen Regeln des Stadtrats gingen jedoch zu weit, weil das Verbot neuer "ethnischer" Lokale auch hochwertige Restaurants betreffe. "Lucca soll sich gegen Fastfood sperren - ohne sich gegen gute Küche aus anderen Ländern einzumauern."

Die Piazza dell' Anfiteatro zählt zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt Lucca, die sehr stolz ist auf ihr historisches Erbe. Konservative Luccheser wollen nun ausländischen Restaurants und Imbisslokalen keine Genehmigung mehr erteilen - sie sorgen sich um die kulinarische Tradition. Politiker der Linken dagegen werfen der Stadtratsmehrheit Rassismus vor. Foto: Ropi

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Apotheker unter Betrugsverdacht

Lübeck - Die Lübecker Staatsanwaltschaft ist einem großangelegten Betrug mit Arzneimitteln auf der Spur. Zwei Lübecker Apotheker sollen jahrelang nur für Klinikapotheken bestimmte Medikamente bei Pharmaherstellern gekauft und sie gewinnbringend an Pharmagroßhändler und niedergelassene Ärzte verkauft haben. Bislang werde gegen zwei Lübecker Apotheker, zwei Pharmahändler und drei Mitarbeiter einer gesetzlichen Krankenkasse wegen Verdachts des gewerbsmäßigen Betruges ermittelt, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Die Ermittler gehen von einem Schaden in Millionenhöhe und einer erheblichen Wettbewerbsverzerrung aus. Krankenhausapotheken können Medikamente zu sehr viel niedrigeren Preisen bei den Pharmafirmen kaufen als öffentliche Apotheken. Dieses Gefälle sollen die beschuldigten Apotheker ausgenutzt haben, indem sie Krankenhausware an Apothekerkollegen weiterverkauften. dpa

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DIE FRAGE

Ist Petra in Xanten?

Schwan Petra, bekannt für seine Liebe zu einem schwanenförmigen Tretboot, ist seit Neujahr vom Aasee in Münster verschwunden. 100 Kilometer entfernt wurde nun in Xanten ein Trauerschwan gesehen.

Reinhold Wiens, Mitinitiator des "Freundeskreises Schwarze Petra": "Schwäne legen auch längere Strecken zurück, wenn sie auf der Suche nach einem offenen Gewässer sind. Es ist also möglich, dass Petra einfach umgezogen ist. Wir hoffen, in den nächsten Tagen ein Foto des Schwans aus Xanten zu erhalten. Anhand einer Besonderheit an Petras Fuß könnten wir sie identifizieren. Wir fürchten aber, dass sie sich vielleicht verletzt hat. In den vergangenen Jahren hat Petra im Zoo überwintert, sie kennt die Gefahr von Eis und Kälte also nicht. Zudem hatte der Silvesterlärm sie sehr aufgeregt."

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LEUTE

Cécilia Attias, 51, Ex-Frau von Staatschef Nicolas Sarkozy, ist um Schmuck im Wert von einer halben Million Euro beraubt worden. Die Täter hätten ein Fenster im ersten Stock des Stadthauses im Pariser Nobelvorort Neuilly eingeschlagen und seien in das meist unbewohnte Appartement eingedrungen, berichtet die Zeitung Le Parisien. Attias, die mit ihrem neuen Mann in Dubai lebt, habe dazu noch keine Aussage gemacht. Die ehemalige Première Dame hatte gut 20 Jahre mit Sarkozy zusammengelebt. Foto: dpa

John Landis, 58, US-Regisseur, streitet sich mit Michael Jackson um Geld. Landis hatte 1983 Michael Jacksons "Thriller"-Video gedreht. In seiner Klageschrift vor einem Gericht in Los Angeles hält Landis ("Blues Brothers") dem Musiker vor, er habe ihn vier Jahre lang nicht an den Einnahmen aus dem Hit-Video beteiligt, berichtet Variety. Landis spricht von "betrügerischem und böswilligem" Verhalten Jacksons. Zu Wochenbeginn war bekanntgeworden, dass Jackson "Thriller" als Broadway-Musical auf die Bühne bringen will.

Dieter Bohlen, 55, Pop-Produzent, kann wieder ruhig schlafen. Wegen des Einbruchs in sein Haus sowie acht weiterer Straftaten wurde ein 47-Jähriger nun zu zwölf Jahren und neun Monaten Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Das Landgericht Lübeck sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte unter anderem drei schwere Raubüberfälle und drei Einbruchsdiebstähle verübt hat. Allein bei dem Einbruch in Bohlens Villa in Tötensen bei Hamburg Ende 2003 waren Gemälde, Gitarren, Elektrogeräte und Kleidung im Gesamtwert von 150 000 Euro gestohlen und die Hauseinrichtung erheblich beschädigt worden. Der Täter sei eine Gefahr für die Allgemeinheit, urteilte das Gericht.

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STILKRITIK

Rudi Assauer und sein Tröster

Wenn Männer eigentlich heulen müssten, trinken sie Pils, nicht nur im Ruhrgebiet. Harte Männer trinken besonders viel Pils, vor allem dann, wenn sie von ihren Frauen verlassen werden. Man kennt das ja: zu viel Stress im Büro, zu viele Verpflichtungen, außerdem will sich die Frau auch mal selbstverwirklichen. Im Fall des ehemaligen Fußballmanagers Rudi Assauer hat das Bier gesiegt und die Liebe verloren. Seine Simone ist ihm abhanden gekommen, die schöne Frau Thomalla, sehr bedauerlich. Die beiden waren so ein hübsches Paar: Jahrelang trank Assauer in aller Seelenruhe sein Pils, sie himmelte ihn an, und die männlichen Zuschauer des Fernsehspots dachten: Rudi, was biste 'n toller Kerl! Natürlich geht das Leben weiter, auch nach der Trennung von Assauer und Thomalla, die inzwischen im Tatort Erfolge feiert. Aber wer kann sie ersetzen? Es gibt aus Sicht der Werbefuzzis nur eine Lösung: Ein noch härterer Kerl als Rudi. Einer wie Bruce Willis, den nix umhaut, keine Frau, kein Pils, schließlich ist der Hollywoodstar in Idar-Oberstein geboren. Bruce und Rudi kommen demnächst als Männerfreunde ins deutsche Fernsehen, um gemeinsam Bier zu trinken. Hollywood trifft Gelsenkirchen, Mann tröstet Mann. Bruce Willis, der Held aus "Stirb langsam", kennt zum Glück keinen Schmerz. Na dann, prost! Christian Mayer

Foto: obs

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Achtlings-Mutter hat schon sechs Kinder

Washington - Die Mutter der am Montag in Kalifornien geborenen Achtlinge hat ihren spektakulären Nachwuchs zum ersten Mal in Augenschein genommen. Sie wurde am Mittwoch in einem Rollstuhl auf die Baby-Intensivstation ihrer Klinik in Bellflower nahe Los Angeles gefahren, wo sie die sechs Jungen und zwei Mädchen erstmals in ihren Brutkästen betrachten konnte, berichtet das US-Magazin People. Nach Angaben des US-Fernsehsenders CBS hat die Mutter der Achtlinge schon sechs ältere Kinder. Eine Bekannte, die anonym bleiben wollte, hatte dem Sender verraten, die Frau habe bereits vier Söhne und zwei Töchter, unter ihnen Zwillinge. Das Krankenhaus folgt indes weiter dem Wunsch der Achtlings-Eltern, deren Identität geheim zu halten. Unklar bleibt, ob die Geburt der Babys Folge einer künstlichen Befruchtung ist. Den Babys, die bei der Geburt zwischen 680 und 1500 Gramm wogen, geht es nach Angaben der Ärzte gut. dpa

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Arm und reich - in der Not gleich?

Wer was offenlegen muss

Von Claus Hulverscheidt und Thomas Öchsner

Den Reichen gibt er's, den Armen nimmt er's. Wer sich die Diskussion um Milliardenhilfen für die Wirtschaft einerseits und den Streit über die Höhe der Hartz-IV-Sätze anderseits anschaut, der könnte auf den Gedanken kommen, der Staat messe mit zweierlei Maß - frei nach dem Motto: Bedürftige müssen sich bis auf das Hemd ausziehen, Milliardäre wie Maria-Elisabeth Schaeffler müssen dagegen keinen einzigen eigenen Cent einsetzen, bevor sie Geld vom Staat bekommen. Wie nicht anders zu erwarten, ist die Realität ein wenig komplizierter.

Arbeitslosengeld II (Hartz IV) wird nur gezahlt, wenn der Empfänger den Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft finanzieren kann. Dazu prüfen die Arbeitsagenturen nicht nur penibel, ob ein Arbeitslosengeld-Empfänger mit einem Partner zusammenlebt, der für ihn sorgen kann. Sie haken auch nach, ob Vermögen vorhanden ist, das sich vor Auszahlung der Staatshilfe verwerten lässt.

Das Geld der Arbeitslosen

Dafür gibt es Regeln: Wer Arbeitslosengeld II beantragt und nach 1947 geboren wurde, darf für sich und seinen Partner einen Freibetrag von je 150 Euro pro Lebensjahr behalten, mindestens aber 3100 Euro. Dieser Freibetrag gilt auch für jedes hilfebedürftige minderjährige Kind. Wer vor 1948 auf die Welt kam, erhält einen Freibetrag von 520 Euro pro Lebensjahr. Ein Beispiel: Ein 38-jähriger Mann käme auf 5700 (38 x 150), seine 32-jährige Frau auf 4800, die 17-jährige Tochter auf 3100 Euro. Die Familie dürfte Rücklagen von 13 600 Euro behalten. Hinzu kommen 750 Euro pro Kopf für "notwendige Anschaffungen", Freibeträge für die Altersvorsorge und Härtefallregelungen für Lebensversicherungen.

Gerät ein Unternehmen in Not, hat es keinerlei Anspruch auf Staatshilfe. Seit jedoch die Bundesregierung einen Rettungsfonds für die deutschen Banken errichtet hat, bitten auch Industriekonzerne den Bund um Hilfe.

Eine Bank, die Geld aus dem Rettungsfonds haben will, muss dem Staat ihre Bücher öffnen. Geht es nur um Bundesbürgschaften, belässt es der Staat bei einer Überprüfung der Kerndaten. Benötigt die Bank dagegen Eigenkapital, also tatsächlich Geld, wird das Zahlenwerk auch im Detail durchleuchtet. Entscheidend ist dabei unter anderem eine Frage: Ist das Institut trotz oder wegen seines Geschäftsmodells in die Krise geraten? Letzteres ist etwa bei der Hypo Real Estate der Fall, deren Konzept in der bisherigen Form wohl nie wieder funktionieren wird. Der Staat gibt dennoch Geld, weil er Zeit gewinnen will, um das Institut "geordnet" abzuwickeln. Jeder, der Eigenkapitalhilfen erhält, muss zudem hohe Zinsen zahlen.

Das Vermögen der Unternehmer

Um zu verhindern, dass die Profiteure einer staatlichen Rettungsaktion am Ende die Altaktionäre sind, kann der Bund auch selbst als Anteilseigner einsteigen. Dazu werden neue Aktien ausgegeben, die der Finanzminister kauft. Für die Altaktionäre bedeutet das, dass ihre Beteiligung schrumpft. Denkbar ist auch, dass der Staat seine Miteigentümer drängt, ihre Aktien zum aktuellen Marktpreis zu verkaufen. Für manchen Aktionär der Hypo Real Estate käme das einem Kapitalverlust von 90 Prozent gleich. Im Extremfall behält sich der Bund sogar Enteignungen vor. Von Milliardärinnen wie Schaeffler würde er zudem einen Sanierungsbeitrag aus dem Privatvermögen verlangen. Dazu zwingen könnte er sie wohl nicht, doch wahrscheinlich würde eine Entscheidung davon abhängig gemacht werden. Denn auch die Bankvorstände müssen Auflagen erfüllen. Gibt der Fonds Eigenkapital, werden die Jahresgehälter der Manager auf 500 000 Euro begrenzt.

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Schaeffler und der Staat

Eine fränkische Firma kauft einen Dax-Konzern, das Geschäft wurde von manchen Politikern und Managern sogar gefeiert. Heute gehört Continental zum Familienunternehmen Schaeffler; aber nun wird klar, dass die Franken sich Conti nicht leisten konnten. Die Schulden sind immens. Jetzt soll die Politik helfen, weil es um Arbeitsplätze geht. Doch muss der Staat dafür einstehen, wenn Unternehmer sich verheben?

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Rechnungen mit Unbekannten

Wie in der Finanzkrise aus einer oft gelobten Unternehmerin eine Bittstellerin wurde

Von Uwe Ritzer und Martin Hesse

Günther Beckstein war einst der erste Spitzenpolitiker, der Maria-Elisabeth Schaeffler zur Seite sprang. "Ich halte das Engagement von Schaeffler bei Continental für wohlüberlegt und ambitioniert", sagte der damalige bayerische Ministerpräsident. "Zwei fortschrittliche Unternehmen" würden sich hier zusammentun und die Stärke von Schaeffler sei es, sich "nicht wie viele börsennotierte Unternehmen allzu stark an der kurzfristigen Kursentwicklung orientieren zu müssen." Das war im Juli vergangenen Jahres.

Wenn Maria-Elisabeth Schaeffler jetzt mit Bundeswirtschaftsminister Michael Glos über Staatsbeihilfen verhandelt, ist sie zur Bittstellerin geworden. Und ob es der Milliardärin am Ende hilft, dass sie den CSU-Politiker gut kennt, dass man hört, sie duze ihn? Es ist zumindest wohl nicht bedeutungslos für ihr Anliegen, dass die Stadt Schweinfurt im Wahlkreis des Ministers liegt und Schaeffler dort im Jahr 2001 den Kugellagerhersteller FAG gekauft hat.

Im Verborgenen

Die Franken kämpfen nun gegen die Schulden, die sie sich aufgeladen haben mit der Übernahme der Hannoveraner Continental AG. Es ist eine Geschichte, die im Verborgenen begann, und die jetzt, da die Rechnungen nicht aufgehen, eine allzu öffentliche geworden ist.

Alles begann am 28. Februar 2008. Als Privatperson kaufte Maria-Elisabeth Schaeffler 2500 Conti-Aktien zu 67,20 Euro das Stück. Macht 168 000 Euro - überschaubar für eine Frau, deren Privatvermögen auf mehr als sechs Milliarden Euro taxiert wird. Dann kauft Schaeffler immer neue Aktienpakete. Vor allem aber schließt sie Geschäfte mit Investmentbanken ab. Vereinfacht gesagt kaufen die Banken Conti-Aktien und räumen Schaeffler Anwartschaften auf diese ein. Erst nach Monaten, am 12. Juli 2008, wird alles bekannt. Kurz darauf bestätigt Schaeffler, über mehr als 20 Prozent der Anteile an Conti zu verfügen.

Jedoch wolle man sich mit 30 Prozent begnügen, was für die Kontrolle über die Hauptversammlung reichen würde. Die Conti-Spitze schäumt. Der überrumpelte Vorstandschef Wennemer wettert, Schaeffler habe sich "auf rechtswidrige Weise angeschlichen, um die Kontrolle über Continental zu erlangen". Er schaltet die Börsenaufsicht ein. Doch das Vorgehen der Franken mag trickreich gewesen sein, rechtlich war es in Ordnung. Am 30. Juli veröffentlicht Schaeffler ein offizielles Übernahmeangebot. Man bietet 70,12 Euro pro Aktie. Zu wenig, heißt es seitens Conti. Am 21. August kommt es zur Einigung. Derzufolge zahlt Schaeffler 75 Euro. Ein Preis, der nach damaligem Stand hoch aber vertretbar erscheint. Zugleich verpflichten sich die Franken, sich vier Jahre mit 49,99 Prozent der Conti-Anteile zu begnügen.

Dann trifft die Finanzkrise mit voller Wucht die Automobilwirtschaft. Wohl auch deshalb werden Schaeffler nun von den Aktionären 90 Prozent der Conti-Anteile angeboten, weit mehr als erhofft. Und entsprechend seinem Übernahmeangebot muss das Familienunternehmen diese auch zum Garantiepreis von 75 Euro übernehmen. Nun werden die sechs Banken nervös, die Schaeffler das Geschäft mit einem 16-Milliarden-Euro-Kredit finanzieren. Als Sicherheiten sollten eigentlich die Conti-Aktien dienen, doch deren Wert ist auf einen Bruchteil der 75 Euro gefallen. Schaeffler pocht auf die Kreditzusagen und betont das eigene "langfristige strategische Interesse" bei Conti. Nach dem Motto: Auf Dauer wird alles gut. Kurz vor Weihnachten 2008 genehmigt die EU-Kommission die Übernahme kartellrechtlich. Am 8. Januar 2009 zahlt Schaeffler vereinbarungsgemäß die Conti-Aktionäre aus. Seither hält man 49,99 Prozent der Anteile; weitere 40 Prozent werden bei Banken geparkt für etwaige Co-Investoren. Doch die bleiben aus. Und die Krise verschärft sich.

Schließlich bleibt Maria-Elisabeth Schaeffler nur noch, den Staat um Hilfe zu bitten. In Bankenkreisen heißt es, dass nur frisches Kapital in Höhe von mindestens drei Milliarden Euro Schaeffler und Conti helfen könne. Staatsgarantien würden nur kurzfristig helfen. "Außerdem werden die Schulden wegen des Abschwungs weiter steigen", sagte ein mit der Situation vertrauter Banker. Es gebe nur drei Möglichkeiten: Entweder Schaeffler finde einen ausländischen Staatsfonds, der sich beteiligt, oder gewinne den Staat als Kapitalgeber. Gelinge das beides nicht, müssten die Banken Teile von Schaeffler übernehmen. Dazu sind die Banken aber nach SZ-Informationen nur als Ultima Ratio bereit.

Unternehmer schaffen Arbeit, und sie haben in guten Zeiten Gewinne gemacht. Wenn es darum geht, staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen, argumentieren sie wie Maria-Elisabeth Schaeffler (oben) mit Arbeitsplätzen. Doch der Staat interessiert sich auch für die Gewinne aus der Vergangenheit und das Geschäftsmodell des Unternehmens, wenn er in der Krise helfen soll. dpa/Bloomberg

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Aktuelles Lexikon

Septuaginta

Die Septuaginta ist die griechische Übersetzung des Alten Testaments. Legenden zufolge wünschte der Leiter der Bibliothek von Alexandria eine griechische Ausgabe der Thora, der fünf Bücher Moses. Daraufhin erarbeiteten 72 jüdische Gelehrte in 72 Tagen die Übersetzung, jeder für sich und doch entstand 72-mal derselbe Wortlaut. So erklärt sich der lateinische Titel Septuaginta (siebzig). Tatsächlich wird die Übersetzung für die hellenistischen Juden entstanden sein, die das Hebräische nicht mehr beherrschten. Die Septuaginta ist zunächst ein Zeugnis des Zusammentreffens von Judentum und Griechentum, hier kann man erkennen, wie das griechische Denken auf die hebräische Begrifflichkeit einwirkte. Die Septuaginta war stark verbreitet, auch die Autoren des Neuen Testamentes benutzten sie, wenn sie sich auf die Bücher des Alten Bundes bezogen; bis heute ist sie maßgebend für die Griechisch-Orthodoxen. Und zuletzt ist sie auch ein selbständiger Textzeuge. Die Juden, die im 3. Jahrhundert v. Chr. und später ihre heiligen Schriften ins Griechische übersetzen, arbeiteten mit älteren Textstufen als dem sogenannten masoretischen Text, jener Revision des hebräischen Textes, die nach der Zerstörung des Tempels 70 n. Chr. entstand. Erstmals ist nun eine deutsche Übersetzung der Septuaginta erschienen. Ein zweibändiger Kommentar ist erarbeitet und wird bis zum nächsten Frühjahr vorliegen. stsp

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Die Angst vor der reinen Lehre

Viele Politiker würden die Firmen gern sich selbst überlassen,doch sie fürchten die Konsequenzen

Von Nico Fried

Am vergangenen Sonntag äußerte der niedersächsische Ministerpräsident und stellvertretende CDU-Vorsitzende Christian Wulff eine sehr klare Meinung: "Die CDU muss viel deutlicher vertreten, dass wir eher für einen Rückzug des Staates eintreten, als dass jetzt mitgemacht wird", sagte Wulff im ZDF. Fast zur selben Zeit wurde bekannt, dass die Firma Schaeffler bei der Übernahme des Hannoveraner Reifenherstellers Conti in Nöte geraten ist. Seither verhandeln mehrere Bundesländer, wie man den beiden Unternehmen helfen kann, darunter auch Niedersachsen mit seinem Ministerpräsidenten Wulff. Das Beispiel zeigt, wie schnell die reine Lehre und die Realität des Lebens in Zeiten der Wirtschaftskrise in Konflikt geraten können. Bei den Banken hat der Staat aus Angst um den gesamten ökonomischen Kreislauf geholfen. Bei privaten Wirtschaftsunternehmen gehen die Meinungen auseinander - und zwar quer durch die Parteien.

So bekam es die CDU schon auf ihrer Klausurtagung Anfang des Jahres mit einem Vorstoß des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers zu tun, der Staat solle im Zweifel zum Erhalt von Arbeitsplätzen direkt bei Firmen einsteigen. Damit konnte sich Rüttgers zwar nicht durchsetzen, gleichwohl wollte die CDU einen solchen Einstieg aber auch nicht für alle Zeiten ausschließen. Die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel legte sich später ebenfalls nicht öffentlich fest und verwies auf Einzelbeispiele aus den Ländern, wo es derartige Rettungsaktionen bereits gegeben habe. Ansonsten aber wird von ihr überliefert, dass sie derartige Interventionen des Staates im Prinzip sehr befremdlich finde.

Deutlich rigorosere Ablehnung kam nun von einer Seite, wo man es weniger erwartet hätte: aus der SPD. Finanzminister und Parteivize Peer Steinbrück sagte am Donnerstag der Berliner Zeitung zum Fall Schaeffler, es sei "nicht Aufgabe des Staates, in solchen Fällen einzugreifen, in denen unternehmerische Entscheidungen möglicherweise nicht durchdacht genug waren". Vom Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier wird man eine solche Festlegung wohl nicht hören: Steinmeier hat unter dem Ministerpräsidenten Gerhard Schröder viele Jahre in Niedersachsen gearbeitet, schon damals manche Krise mit Conti durchlebt; er dürfte nun auch Rücksicht auf die Sorgen der Belegschaft dort nehmen. Dieser Gegensatz zwischen einer Überforderung des Staates im Allgemeinen und den konkreten Nöten von Betroffenen kann sich gerade in der SPD zu einem schweren Konflikt ausweiten.

Im Wirtschaftsministerium von Michael Glos (CSU) kursiert nun die Idee, einen Wirtschaftsfonds aufzulegen, der - ähnlich wie der Rettungsfonds bei Banken - bei Unternehmen in Not einspringt. Allerdings ist das Konzept noch nicht sehr weit gediehen, zum Beispiel in der Frage, nach welchen Kriterien den Unternehmen geholfen werden solle. Und woher eigentlich das Geld kommen soll.

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Heute in der SZ

Der überforderte Staat

Die Rettung der Unternehmensgruppe Schaeffler ist den Steuerzahlern nicht zuzumuten. Von Guido Bohsem 4

Die Anti-Fastfood-Festung

Die toskanische Stadt Lucca will die italienische Küche fördern, indem sie fremdländische Lokale verbietet. 10

Staunen über Kissins Kunst

Der 38-jährige Pianist spielte Prokofjew und Chopin im Gasteig.

Von Joachim Kaiser 11

Die dunkle Seite

Ein Buch dokumentiert die bisher unbekannte NS-Vergangenheit des Verlegers Georg von Holtzbrinck 15

Der Preis der Wertschätzung

Warum Menschen mit kostspieligen Sonnenbrillen besser sehen - über die Irrationalität alltäglichen Handelns. 16

Alle einsteigen?

Wie die Regierungen die angeschlagenen Geldhäuser retten wollen. 23

Abschied als Fortschritt

Marcell Jansen hat den Wechsel vom FC Bayern zum HSV nicht bereuen müssen. Von Jörg Marwedel. 29

TV- und Radioprogramm 32

Rätsel 29

München · Bayern 30, 31

Familienanzeigen 30

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Zugausfälle und Verspätungen

Warnstreik bei der Bahn trifft vor allem den Süden

München - Etwa 400 Beschäftigte der Deutschen Bahn haben am Donnerstag mit Warnstreiks Druck auf das Unternehmen ausgeübt. Die meisten von ihnen traten in Nürnberg und München in den Ausstand, aber auch in Köln und Hamburg gab es größere Streikaktionen. Im Süden Deutschlands fielen nach Angaben der Bahn 36 Regional- und sieben Fernverkehrszüge aus. Betroffen waren außer den Strecken zwischen Nürnberg und München auch die Strecken von Nürnberg nach Hamburg sowie Karlsruhe. Die Tarifverhandlungen werden an diesem Freitag in Frankfurt fortgesetzt. Bahn-Vorstand Norbert Hansen sagte der Süddeutschen Zeitung, er werde ein neues Angebot vorlegen. Die Bahn hoffe, bis Samstag einen Tarifvertrag abschließen zu können. (Seite 3, Panorama) SZ

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20 Seiten Immobilien, Kauf- und Mietmarkt

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HEUTE MIT

In dieser Ausgabe: Der amerikanische Autor Philip Roth erklärt seine ganz besondere Arbeitsweise. Wir werfen einen behutsamen Blick auf die tragische Lebensgeschichte von Petra Schürmann. Jürgen Todenhöfer analysiert, warum Afghanistan der falsche Ort für den Krieg gegen den Terror ist. Und, yes Sir, wir stellen Ihnen den modernsten Hutmacher von London vor.

Liegt nicht der gesamten Auslandsauflage bei

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Das Streiflicht

(SZ) Als Latein noch Pflicht war, hatten die meisten Gymnasiasten einen Fundus an Zitaten, mit denen sie sich von Fall zu Fall als Humanisten auswiesen. Eins davon war aus Vergils "Aeneis", aus einer Schlachtenschilderung: "Quadrupedante putrem sonitu quatit ungula campum." Das Lautmalerische dieses Hexameters ist augen- bzw. ohrenfällig, man hört den Hufschlag förmlich. Umso interessanter ist die Übersetzung der Zeile. Aus der Fülle der Varianten seien zwei wiedergegeben: "Donnernd zerstampft im Galoppe der Huf den trockenen Boden" und "Malmend zerstampfet das Feld mit gevierteltem Trabe der Hufschlag". Einmal Galopp also und einmal Trab. Für den nur poetisch Interessierten mag das gehupft wie gesprungen sein. Der Pferdekenner wird das so nicht stehenlassen, sondern auf die Unterschiede zwischen den Gangarten hinweisen: auf das zweitaktig Schwingende des Trabs einerseits, das viertaktig Ratternde des Galopps andererseits, das man mit vier Fingern auf der Tischplatte nachmachen kann, wenn auf dem Bildschirm wieder mal die Sioux heranbrausen.

Alles Mögliche glaubt der Mensch von den Tieren zu kennen: den Hunger der Löwen und den Durst der Kamele, das Lachen der Hühner und das Schweigen der Lämmer. Von ihren Gangarten hat er jedoch kaum eine Ahnung. Da begnügt er sich mit dem, was ihm von der Biologiestunde her noch im Gedächtnis ist, beispielsweise dass der Bär ein Sohlen-, der Hund hingegen ein Zehengänger ist, und an ganz guten Tagen gibt er im Freundeskreis zum Besten, dass der Fuchs schnürt - "nur nicht, wie unsereins, den Gürtel enger", wie er vielleicht, und natürlich schmunzelnd, hinzufügt. Muss man erwähnen, dass das alles höchst beschämend ist? Das Tierreich hat schließlich auch in dem Punkt eine große Vielfalt vorzuweisen. Man denke nur an die Kröte, die ihre vier Beine bemerkenswert koordiniert zu bewegen weiß, oder an die Indische Stabschrecke, die von ihren sechs Beinen drei stets am Boden lässt; mit dieser Systematik hat sie die Entwicklung statisch stabiler Laufroboter nicht unwesentlich beeinflusst.

Der ungarische Forscher Gábor Horváth und sein Team sind dieser Unwissenheit nun genauer nachgegangen. Anhand von 307 Darstellungen gehender oder laufender Tiere konnten sie nachweisen, dass deren Gangart in ungefähr der Hälfte der Fälle fehlerhaft dargestellt wird. Das Erstaunlichste an der Sache: Während es in veterinär-anatomischen Büchern und in naturhistorischen Museen von Ungenauigkeiten wimmelt, bewegen sich die in Hollywood computeranimierten Filmtiere so korrekt wie nur möglich. Für die gern als liederlich ausgeschimpfte Traumfabrik ist das so was wie ein Oscar. Für unsere Schulen aber müsste es ein Ansporn sein, in Bio mal eine etwas härtere Gangart einzuschlagen.

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Stärkster Zuwachs seit Jahren

387 000 Arbeitslose mehr

Wirtschaftskrise und Wetter verantwortlich / Gespräche über Staatshilfe für Schaeffler-Konzern ergebnislos

München - Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist im Januar deutlich gestiegen. Aufgrund der Wirtschaftskrise und des harten Winters wuchs die Zahl im Vergleich zum Dezember um 387 000 auf 3,49 Millionen Menschen. Zudem waren erstmals seit drei Jahren weniger Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Die Entwicklung fachte die Debatte über Staatshilfen für angeschlagene Unternehmen an. Beratungen über eine Unterstützung für den in Bedrängnis geratenen Autozulieferer Schaeffler verliefen ergebnislos.

"Es gibt keine guten Nachrichten", sagte der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise, am Donnerstag bei Vorlage der Arbeitsmarktzahlen. "Die Arbeitslosigkeit stieg, die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nahm ab und die Arbeitskräftenachfrage sinkt mittlerweile kräftig", sagte Weise. Die Arbeitslosenquote stieg um 0,9 Punkte auf 8,3 Prozent. Saisonbereinigt, also ohne jahreszeitliche Schwankungen wie die Witterung, verzeichnete die BA 56 000 Arbeitslose mehr. Dies ist der stärkste saisonbereinigte Anstieg seit November 2002. Daten vom November 2008 zeigen, dass es mit 27,91 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einen Rückgang um 105 000 gab.

Dagegen stieg die Zahl der Kurzarbeiter. Während der Kurzarbeit verringern Firmen die Arbeitszeit, weil die Aufträge wegbrechen. Die Arbeitsagenturen zahlen dabei einen Teil des Lohns, das sogenannte Kurzarbeitergeld. Die BA schätzt, dass es im Januar etwa so viel Kurzarbeiter gegeben hat, wie im Dezember. Zum Jahresende waren bei den Arbeitsagenturen 404 000 Kurzarbeiter gemeldet. Außerdem sinkt die Bereitschaft der Firmen, Mitarbeiter einzustellen. "Damit deutet sich ein Ende des fast dreijährigen stetigen Beschäftigungswachstums an", so die BA. Das gemeldete Stellenangebot verringerte sich von Dezember auf Januar um 18 000 auf 485 000.

Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) appellierte an die Unternehmen, die neuen Möglichkeiten der erweiterten Kurzarbeit zu nutzen und ihren Mitarbeitern die Teilnahme an Weiterbildungen zu ermöglichen. Auch Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt ermunterte die Firmen, Kurzarbeit "im größstmöglichen Umfang" sinnvoll einzusetzen, um Beschäftigung so weit wie möglich zu stabilisieren. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sprach von einem "deutlichen Alarmsignal".

Vertreter von Bund und Ländern berieten am Donnerstag über eine Unterstützung für den Autozulieferer Schaeffler, der die Aktiengesellschaft Continental auf Pump gekauft hatte. Die Firmengruppe mit mehr als 200 000 Mitarbeitern hatte um Staatshilfen von vier Milliarden Euro nachgesucht. Nach einem Krisengipfel der Eigentümerin Maria-Elisabeth Schaeffler mit den Vertretern der Politik zeichnete sich aber keine schnelle Lösung ab. In Regierungskreisen hieß es, es sei klar, dass niemand "eine Unternehmerin, die sich verspekuliert hat, mit Steuergeldern sanieren" wolle. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) sagte, "Wir können es doch keinem Menschen erklären, Unternehmen, hinter denen Milliarden-Vermögen stehen, mit Steuergeldern zu unterstützen." Schaeffler hatte für Conti zehn Milliarden Euro gezahlt. Inzwischen beträgt der Wert nur noch gut zwei Milliarden Euro.

Für den Bund wird der Fall aber problematisch, wenn sich herausstellen sollte, dass Schaeffler/Conti durch die Wirtschaftskrise so in Existenznot gerät, dass Tausende Arbeitsplätze in Gefahr sind. Dann müssten an den Konzern die gleichen Maßstäbe angelegt werden wie an andere, die um Hilfe gebeten hätten, also etwa Opel, hieß es in Regierungskreisen. Nach Angaben von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) wollen die beteiligten Unternehmen gemeinsam mit den Banken in den nächsten Wochen ein Zukunftskonzept vorlegen. Dann soll es neue Gespräche mit Bund und Ländern geben. (Seiten 2 und 4) shs/ hul/tö

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Frühling im Winter

Nach einem kalten Winter könne man im Frühjahr mit Stolz auf die Beziehungen blicken, sagte der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao bei seinem Staatsbesuch im Berliner Kanzleramt. Er signalisierte damit, dass die frostige Episode nach dem Empfang des Dalai Lama durch Angela Merkel vorüber ist. Mit der Bundeskanzlerin vereinbarte Wen engere Zusammenarbeit, damit man die Wirtschaftskrise gemeinsam überwinden könne. (Wirtschaft)

Foto: dpa

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Tiefensee: Bahn soll Datenaffäre aufklären

Berlin - Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) fordert von der Deutschen Bahn eine umfassende und schnelle Aufklärung der Datenaffäre. Es gehe nicht an, "dass immer neue Tatsachen scheibchenweise an die Öffentlichkeit gelangen." Die Bahn hatte die Daten von 173 000 Mitarbeitern einer Detektei überlassen, die nach kriminellen Geschäften forschen sollte. (Seiten 4 und 6) SZ

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Haftpflichtpflicht

Experten wollen Radfahr-Rowdys in die Verantwortung nehmen

Es sind scheinbar zwei Welten: Auf viele Autofahrer und Fußgänger wirken Radfahrer wie Kamikaze-Piloten, die sich nicht um Vorschriften scheren und so sich und andere gefährden. Die Radler dagegen fühlen sich als Opfer, benachteiligt gegenüber dem motorisierten Verkehr und gegängelt von starren Regeln. Das Ergebnis des Straßenkampfes zeigt die Statistik: 2007 wurden in Deutschland 425 Radfahrer getötet und 79 004 verletzt. Die Zahl der Todesopfer sank zwar innerhalb von 15 Jahren auf die Hälfte, dennoch bleibt Radfahren eine riskante Art der Fortbewegung. Beim 47. Deutschen Verkehrsgerichtstag am gestrigen Donnerstag in Goslar gingen Experten der Frage nach, wie die Verkehrsdisziplin und damit auch die Sicherheit der Radfahrer weiter verbessert werden könnten.

Dass Radler nicht immer Unschuldsengel sind, zeigt eine Forschungsarbeit, die die Planungsgemeinschaft Verkehr (PGV) in Hannover im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums erstellt hat. "45 Prozent der befragten Radfahrer geben zu, bei Rot über die Ampel zu fahren", sagte Dankmar Alrutz, Chef der PGV. Allerdings: "Drei Viertel davon sagen auch, sie fänden das nicht gut." Was wie ein Widerspruch klingt, lässt sich erklären: Radler wissen sehr wohl, dass sie einen Regelverstoß begehen, schließlich haben 85 bis 90 Prozent von ihnen einen Führerschein.

"Radfahrer wollen sicher und gut vorankommen, doch jede Unterbrechung, wie eine rote Ampel, reduziert das Durchschnittstempo", erklärte Roland Huhn vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC). "Ich habe für jeden Radfahrer Verständnis, der bei einer roten Ampel nach rechts abbiegt, da kann nichts passieren." Deshalb müsse die Infrastruktur auch auf die Erfordernisse des Radverkehrs ausgelegt werden, forderte Huhn. So wären weniger Ampeln durchaus eine sinnvolle Sache.

Bei 13 000 Rotlichtverstößen pro Tag alleine in Münster sieht das Udo Weiss, Leiter der Direktion Verkehr beim Polizeipräsidium Münster, naturgemäß anders. Das Fahrrad sei das Verkehrsmittel der Zukunft und müsse gleichberechtigt betrachtet werden, sagte er. Doch das bedeute, dass auch für Radfahrer gleiche Rechte und Pflichten gelten müssten. Dass sich viele nicht an die Regeln halten, führte Weiss auf ihre Anonymität zurück. Er plädierte deshalb für eine Ausweispflicht ab 16 Jahren und eine obligatorische Haftpflichtversicherung. Denn Radler sind nicht nur Opfer: Bei Unfällen mit Fußgängern sind sie die Hauptschuldigen, so ein Ergebnis der PGV-Studie. Doch aus Angst vor Schadenersatzforderungen machen sich Radfahrer häufig aus dem Staub.

Burkhard Horn von der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung verlangte, die Politik müsse auch finanziell eine Gleichberechtigung des Fahrrads mit anderen Verkehrsmitteln herstellen. Schließlich seien Radfahrer heute in allen Schichten und Altersgruppen zu finden. Auch aus "aus umwelt-, klima- und verkehrspolitischen Gründen" werde das Fahrrad immer wichtiger. So zeige ein Blick nach Kopenhagen, dass gute Infrastruktur, etwa eine "grüne Welle für Radler", sowie Aufklärungsarbeit den Radverkehr fördern und sich positiv auf die Sicherheit auswirken.

Wie das finanziert werden soll, wusste Friedrich Denker, der Präsident des Verkehrsgerichtstages, zu sagen: mit Mitteln aus dem Konjunkturpaket. Einen Teil davon sollten die Kommunen für den Bau von Radwegen einsetzen. Marion Zellner

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Schärfere Auflagen für Managergehälter

Berlin - Die große Koalition strebt schärfere Auflagen für Managergehälter an. Eine Arbeitsgruppe vereinbarte am Donnerstag zum Abschluss sechsmonatiger Beratungen gemeinsame Vorschläge. So sollen Manager Aktienoptionen erst nach vier statt derzeit nach zwei Jahren einlösen dürfen. Die Haftung der Aufsichtsräte wird verschärft. Am 4. März wird sich der Koalitionsausschuss mit dem Plan beschäftigen. (Wirtschaft) SZ

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Das Wetter

München - Die örtlichen Morgennebel lösen sich schnell auf, dann scheint fast überall die Sonne. Nur im Osten und Südosten quellen stärkere Wolken auf, doch es bleibt weitgehend trocken. Null bis sechs Grad. (Seite 31)

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Piraten kapern deutschen Tanker

Nairobi - Vor der Küste Somalias haben Piraten den Tanker einer deutschen Reederei gekapert. Beim Überfall auf die MV Longchamp brachten sie 13 Besatzungsmitglieder aus den Philippinen und Indonesien in ihre Gewalt. Der unter der Flagge der Bahamas fahrende Frachter wird vom Bernhard Schulte Shipmanagement in Hamburg betrieben. (Seite 8) AFP

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CSU fordert Gesine Schwan zum Rückzug auf

"Aussage über Horst Köhler war diffamierend" / Zunächst keine Unterstützung der SPD-Spitze für eigene Kandidatin

Von Nico Fried

Berlin - Die CSU hat die SPD-Bewerberin um das Amt des Bundespräsidenten, Gesine Schwan, zur Aufgabe ihrer Kandidatur aufgefordert. Grund sind Äußerungen Schwans über die Amtsführung von Bundespräsident Horst Köhler, die in der Union auf heftige Kritik stießen. "Diese Form der Selbst-Disqualifizierung lässt als einzig eleganten Ausweg nur noch den Rückzug ihrer Kandidatur offen", sagte CSU-Generalsekretär Karl-Theodor zu Guttenberg. "Für alle, die es noch nicht wussten, ist nach diesen diffamierenden Aussagen klar, dass Frau Schwan keine gute Bundespräsidentin wäre." Zuvor hatte bereits CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla Schwan Respektlosigkeit vorgeworfen.

Schwan war in der Wochenzeitung Die Zeit im Zusammenhang mit ihren Vorstellungen von der Amtsführung eines Bundespräsidenten mit den Worten zitiert worden: "Der Graben zwischen Politik und Gesellschaft wird in der aktuellen Amtsführung eher vertieft als überbrückt." Sie wolle Köhler keinen Vorwurf machen, "aber meinem Eindruck nach nimmt er eine Erosion der Demokratie in Kauf". Am Donnerstag erklärte Schwan, es sei ihr keineswegs um einen persönlichen Angriff auf Köhler gegangen. "Ich habe auf die legitime Frage geantwortet, was Schwerpunkt meiner Amtsführung wäre." Sie habe die Sorge, dass in Deutschland insgesamt zu wenig getan werde, um die Kluft zwischen Politik und Bürgern zu überwinden. Darin sähe sie ihre Hauptaufgabe als Bundespräsidentin. "Meine Diagnose einer Erosion der Demokratie ist keineswegs neu und ich habe schon oft betont, dass das Amt des Bundespräsidenten meiner Meinung nach zu ihrer Überwindung beitragen kann."

Aus der Spitze der SPD erhielt die Präsidentschaftskandidatin am Donnerstag zunächst keinerlei öffentliche Rückendeckung. Ein Sprecher verwies auf die Erklärung Schwans. Allerdings wurde für den Abend während eines gemeinsamen Auftritts der Kandidatin mit SPD-Chef Franz Müntefering in Berlin noch eine Stellungnahme des Parteivorsitzenden erwartet. Lediglich der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy, der im Frühjahr 2008 eine neuerliche Kandidatur Gesine Schwans maßgeblich vorangetrieben hatte, sprang Schwan öffentlich bei: "Ich denke, dass Frau Schwan mit eigenen Qualitäten glänzen kann, ohne auf Defizite des Amtsinhabers verweisen zu müssen", sagte Edathy der Süddeutschen Zeitung. "Es ist allerdings zutreffend, dass der amtierende Bundespräsident gelegentlich zu populistischen Äußerungen neigt und damit unkenntlich macht, dass demokratische Entscheidungsprozesse komplexer Natur sind."Müntefering hatte erst am Montag in der Präsidiumssitzung der SPD Berichte zurückgewiesen, die Parteispitze unterstütze Schwan nicht ausreichend. Die Kandidatin selbst hatte eine Meldung dementiert, sie habe sich bei SPD-Abgeordneten über mangelnden Rückhalt beklagt.

Die FDP lehnte am Donnerstag eine Stellungnahme zu den Äußerungen Schwans ab. Ein Sprecher der Grünen-Fraktion verwies darauf, die Grünen hätten bislang noch nicht entschieden, ob sie Schwan bei der Bundespräsidentenwahl am 23. Mai in der Bundesversammlung unterstützen wollten. Darüber solle zunächst bei einem Treffen der Fraktionschefs der Grünen aus Bund und Ländern gesprochen werden. (Seite 4)

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HEUTE

FEUILLETON

Der liebe Gott steckt im Detail

Scharf wie nie: Google Earth und die Meisterwerke des Prado Seite 13

LITERATUR

Gerodete Lichtungen

Der Philosoph Ludger Honnefelder fragt, woher wir kommen Seite 14

MEDIEN

Englishman in Bayern

Umstrittenes Projekt "Zeitungszeugen" vorerst ohne NS-Nachdrucke Seite 15

WISSEN

Wirrwarr der Hormone

Chemikalien aus Verpackungen könnten unfruchtbar machen Seite 16

www.sueddeutsche.de/kultur

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Die Entlarvung des 20. Juli

Man darf Stauffenberg nicht als einen Helden unserer heutigen Zeit sehen - eine Antwort auf die Thesen des Historikers Richard J. Evans / Von Karl Heinz Bohrer

Es ist das Verdienst des von dem englischen Historiker Richard J. Evans verfertigten Urteils (SZ Magazin vom 23.1.2009) über den Attentäter Stauffenberg als neudeutschen "Helden", dass es das oberflächliche Interesse vom Film und seiner Erzählung hin zur moralischen und politischen Substanz diesen Heldenbilds gelenkt hat. Wenn er dabei darauf aus gewesen sein sollte, einer deutschen Leserschaft Aufklärung zu verabreichen, dann liegt ein doppelter Irrtum vor: Zum einen besteht diese Aufklärung von Evans aus historischen Halbwahrheiten, widersprüchlichen Thesen und ehrabschneiderischen Allusionen, die Person Stauffenbergs betreffend. Zum anderen aber sind diese Verzerrungen selbst mehr oder weniger die in der bundesrepublikanischen Intelligenz geläufige Ansicht zum 20. Juli und zu den hauptsächlich adligen Verschwörern aus alten preußischen Familien. Insofern trug Evans Eulen nach Athen. Wenn man die aktuelle Rezeption und Beurteilung des Attentats, das Hitler im Juli 1944 töten sollte, angemessen verstehen will, muss man den versetzten Horizont von 2009 im Blick haben.

Bevor ich also auf die Schwächen von Evans' Thesen eingehe, zunächst ein kurzer Blick auf den aktuellen deutschen Horizont: Man hat sich daran zu erinnern, dass bis Ende der fünfziger Jahre und länger die überwältigende Mehrheit der deutschen Bevölkerung das Attentat und seine führenden Männer geradezu stigmatisierte (Die Zeit vom 8. 1. 2009). Die Motive hierfür, das deutet Evans Text mit Recht an, speisten sich einerseits aus Überbleibseln der nazistischen Mentalität der Bevölkerungsmehrheit, zum anderen aber aus dem Ressentiment einer neuen kleinbürgerlichen Mittelschicht, die mit Charakteren wie Stauffenberg, Tresckow, Kleist, Schulenburg, Bussche, Trott zu Solz, aber auch Moltke und Yorck von Wartenburg kulturell, politisch und psychologisch nichts mehr anfangen konnte. Dass auch eine Reihe bürgerlicher Männer von Rang und Namen - der bekannteste ist wohl Dietrich Bonhoeffer - als frühe Widerständler ihr Leben verloren, hat dieses Vergessen nicht verhindern können.

Wenn die Namen der unmittelbaren Attentatsverschwörer überhaupt noch in der Erinnerung des BRD-Publikums auftauchten, dann eher - den offiziösen Gedenktagen zum Trotz - als wohlfeile Sündenböcke: Konnten diese Mitglieder einer elitären Oberschicht, indem sie verschwanden, zugleich doch den Makel der nazistischen Vergangenheit abtragen helfen, der sich die westdeutsche Mehrheit zunächst nicht gestellt hat (bis dann die Kinder und Enkelkinder eben dieser Nazis nicht müde wurden, mit ihren "antifaschistischen" Selbstdarstellungen das intellektuelle Klima zu verkitschen).

Insofern kommt Evans' Entstellung des 20. Juli und seiner zentralen Gestalt, die sich in seinem wichtigen Buch "The Third Reich At War" (2008) nicht findet, diesem Milieu nunmehr nachdrücklich entgegen, ja, man gewinnt bei der Lektüre seines Textes zuweilen den Eindruck, er sei ihm aus diesem zum Teil akademisch-westdeutschen Kreisen souffliert worden. Die zweifelhafte Darstellung hat zwei Brennpunkte: 1. die Problematisierung des "moralischen Motivs Stauffenbergs", 2. die Problematisierung seines Vorbildcharakters. Beim ersten Aspekt beginnt schon der innere Widerspruch und die unklare Identifizierung.

Wenn denn, wie Evans zu Eingang noch sachlich vermerkt, Stauffenberg durch ein emphatisches Moralverständnis markiert war, sei es aristokratischer Ehrenkodex, katholische Lehre oder romantische Dichtung, dann galt dies auch für seine anfängliche Affinität zum Nationalsozialismus, den Stauffenberg als "geistige Erneuerung" missdeutete. Wenn denn "wahre Spiritualität" am Anfang von Stauffenbergs politischem Impuls lag - neben Stefan Georges mystischem Nationalismus war es vor allem wohl die Sprache Hölderlins, sein Wort vom "Vaterland", dem "heiligen Herz der Völker", sein Bekenntnis "das Heilige sei mein Wort" -, dann wäre konsequenterweise von dieser Spiritualität aus, die bei Hölderlin noch pietistisch gefärbt war, Stauffenbergs moralischer roter Faden zu verfolgen. Es überzeugt deshalb nicht, Stauffenbergs anfängliches patriotisches Engagement im Krieg zum moralischen Defizit zu erklären.

Um die Motive Stauffenbergs zu verunklären, operiert Evans gern mit Jahreszahlen. "Erst 1941" seien Stauffenberg Zweifel gekommen. Zweifel wegen was? Wegen der Erfolgsmöglichkeit des nationalsozialistischen Kriegs oder wegen der nationalsozialistischen Verbrechen in Russland? Evans' Rhetorik wird an dieser Stelle opak: Wenn er zugeben muss, dass es eindeutig die nationalsozialistischen Massentötungen waren, die Stauffenberg, den spirituell motivierten Soldaten, zum Attentäter machten, warum dann die Relativierung dieses Motivs durch den Hinweis auf Stauffenbergs Einsicht in die militärische Zwecklosigkeit dieser Verbrechen, eine Einsicht, die auch hohen SS-Führern gekommen ist?

Evans verfolgt ohnehin die Taktik, mit Hinweis auf den angeblich späten Zeitpunkt zum Attentatsentschluss dessen moralische Motivation in Zweifel zu ziehen, als ob die Angst vor dem absehbar verlorengehenden Krieg und nicht Sittlichkeit die Verschwörer motiviert hätte. So behauptet Evans im zitierten, ansonsten durchweg fairer historischer Beobachtung geschuldeten Buch "The Third Reich At War", Fritz Dietlof von der Schulenburg, einer von Stauffenbergs frühen politischen Mentoren, habe erst 1943, nach der Katastrophe von Stalingrad, den Entschluss zum Attentat gefasst. In Anbetracht der Tatsache, dass es unstrittige Dokumente dafür gibt, dass Schulenburg schon 1939, vor Ausbruch des Krieges, in konspirativem Gespräch die Notwendigkeit einer Beseitigung Hitlers erwog - nicht zuletzt wegen der offensichtlich gewordenen Kriminalität des Regimes -, ist Evans' Verschiebung des Zeitpunkts ehrabschneiderisch verleumderisch zu nennen, impliziert sie doch, dass es ausschließlich militärische Gesichtspunkte waren, die Schulenburg gegen Hitler motivierten. Diese im Buch nur angedeutete Sicht wird jetzt zur Methode. Dass Schulenburg wie Stauffenberg auch in Kategorien eines uns heute fremd gewordenen preußisch-deutschen Patriotismus dachten, scheint Evans eindimensionale historische Phantasie zu überanstrengen.

Unklar in der Argumentation, spielt Evans nunmehr immer wieder die "militärische" gegen die "moralische" Motivation aus bis hin zum Punkt des glatten Selbstwiderspruchs: Während er einerseits Stauffenbergs Haltung "eher von militärischen als von moralischen Überlegungen geprägt" sieht, spricht er im nächsten Absatz von dessen "moralischer Überzeugung", um diese gleichzeitig den anderen Verschwörern abzusprechen, obwohl ihm die Haltung jüngerer Putschoffiziere, etwa von dem Bussche oder Ewald Heinrich von Kleist, bekannt sein müsste, wie sein Werk über das Dritte Reich im Krieg durchaus belegt. Diese falsche Identifizierung erreicht schließlich ihren grotesken letzten Schritt, wenn Stauffenbergs Hinrichtung und Hitlers Selbstmord im Begriff des Selbstopfers gleichgeschaltet werden: Stauffenberg beabsichtigte nicht sich zu opfern, sondern vor allem als Täter für weiteres zu überleben. Und Hitler opferte mitnichten sich selbst, sondern expressis verbis das deutsche Volk.

Ist die Beurteilung des moralischen Motivs nicht ohne Infamie, so die politische Folgerung nahezu begriffsstutzig. Dass Evans preußischen Offizieren vorwirft, deutsche Nationalisten zu sein, die wie Hitler eine Revision des Vertrags von Versailles beabsichtigten und eine europäische Machtpolitik des Reichs guthießen, ist allein schon reichlich naiv, aber auch scheinheilig.

Wenn englische Politiker und Intellektuelle der dreißiger Jahre Adam von Trott zu Solz' Versuchen, über seine alten Oxforder Beziehungen Gehör für ein geheimes Deutschland des Widerstands zu finden, misstrauten, weil sie darin ihnen unakzeptabel erscheinende patriotische Motive entdeckten und ihn deshalb allzu gern als Nazi verstanden und als solchen bei seinen amerikanischen Gesprächspartnern verdächtigten, dann hatte das seine Gründe. Dieses Misstrauen entsprang einem intellektuell begründeten Argument, wie die Briefe von Trotts Oxforder Freunden Sheila Grant Duff und Isaiah Berlin zeigen.

Evans kann diese verständliche Unsicherheit über Trotts "hegelianische" Mentalität aber nicht für sich in Anspruch nehmen. Seine für einen Historiker unserer Epoche erstaunliches Argument, die Verschwörer seien, weil keine Demokraten, untauglich für jede Ehrung, lässt seine Argumentation jenseits der falschen Tatsachenbehauptungen in die Blindheit jener politischen Correctness entgleisen, die man auch aus einschlägigen Kategorien deutscher Zeithistoriker kennt, die deutsche Geschichte unter dem sozialdemokratisierten Gesichtswinkel schreiben.

Es ist gar nicht strittig, dass Stauffenbergs erster geistiger Einfluss, Stefan George, ähnlich wie Ernst Jünger und Gottfried Benn, präfaschistische Phantasmen bereithielt. Und es ist ebenso wenig strittig, dass des jungen Stauffenberg Reverenz an das mittelalterliche "Reich" reaktionär war - ähnlich wie einige Ideen von Novalis in "Die Christenheit oder Europa". Aber was folgt daraus? Es folgt daraus, dass beider politisches Denken zweifellos kein Modell ist für die sozialstaatlich organisierten europäischen Gesellschaften der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese sozusagen tautologische Einsicht nun aber dahingehend zu fundamentalisieren, dass man den Verschwörern jede moralische und kulturelle Relevanz abspricht, ist ein intellektuell beschränktes Vorgehen, ist geistige Bigotterie. So wie Georges, Jüngers und Benns präfaschistische Phantasien zugleich bedeutende Symbole der Moderne enthielten und also nicht einfach dem Verdikt des politischen Moralismus anheimfallen, so repräsentierten Stauffenberg und seine Freunde - in anderer Weise als der Kreis um die ebenso "idealistischen" Geschwister Scholl - eine Höhe des sittlichen, charakterlichen und kulturellen Formats, von dem heutige Politiker und andere Mitglieder der Funktionselite nur träumen können.

Evans hätte der Hinweis des durchaus kritischen Hans Mommsen tiefer zu denken geben müssen, dass man über die heute anachronistisch wirkenden politischen Ideen nicht nur Stauffenbergs und Schulenburgs, sondern auch des Kreisauer Kreises nicht die Noblesse und Charakterstärke dieser zweifellos nachdrücklich konservativen Männer vergessen dürfe. Evans hat sie nicht bloß vergessen, sondern offenbar gar nicht erkannt.

Es ist nun, wie englische Kritiker des Films "Operation Walküre" zu Recht gesagt haben, dessen spezifisches Defizit, dass der geistige Hintergrund der Verschwörer nicht einmal angedeutet wird. Das hätte allerdings eine neue "Suche nach der verlorenen Zeit" verlangt, die in einem solchen Filmgenre nicht möglich ist. Die Dokumente für eine solch verlorengegangene geistig-moralische Zone existieren ja, man braucht bloß die partiell zugänglichen Briefe von Trott zu Solz oder Schulenburg, die Tagebücher einer Marie "Missie" Wassiltschikow oder Ursula von Kardoffs zu lesen, um Evans summierende gänzliche Aberkennung als Tendenzschrift zu erkennen.

Es handelt sich, abgesehen von der verwischten Ordnung der historischen Fakten, vor allem um einen zentralen Denkfehler: Den Glauben, man könne ein geistiges und kulturelles Paradigma verneinen, wenn man - durchaus zu Recht - die politische Vorbildfunktion in Frage stellen kann. Wie philiströs und geschichtsphilosophisch naiv zu meinen, der Nutzen von heute sei das einzige Kriterium der damaligen Tat. Aber um diesen Nutzen geht es ja gar nicht!

Die Gefahr, dass in der Vorstellung eines historisch ungebildeten Kinopublikums die Figur des amerikanischen Schauspielers mit der seines deutschen Originals zur Figur eines vorbildlich heroischen Helden von heute zusammenschmelze, ist kein ausreichender Grund, Stauffenberg seine historische Würde zu nehmen. Vielmehr lässt sich Bertolt Brechts Satz: "Unglücklich das Land, das Helden nötig hat" auf den Sommer 1944 münzen: Diese Tat war notwendig, weil es ein unglückliches, aus der Gemeinschaft der Völker sich verabschiedendes Land war. In diesem Sinne waren es Helden. Aber schließlich auch in einem aktuellen Sinne, den Evans völlig übersieht. Es waren Leute mit enormer Zivilcourage, das heißt mit der Fähigkeit und Bereitschaft zur absoluten Isolation. Das ist eine sehr aktuelle Tugend. Man möchte Vergleichbares von den politisch korrekten, relativ konformistischen Nachkommen der Nazis in einer postheroischen Gesellschaft gar nicht fordern. Es steht die Wette, dass dieser politisch korrekte Konformismus damals das Attentat lauthals verdammt hätte. Deshalb sollten seine Vertreter - und ebenso ihr neuer Stichwortgeber Evans - aufhören, aus dem vergangenen historischen Ereignis die Funken eines aktuellen moralischen Triumphalismus gegen dessen Autoren zu schlagen. Die Deutschen als Nation politisch verantwortlich zu machen, ist vernünftig und geboten. Aber ihren politischen Minderheiten die Ehre zu geben, die ihnen gebührt, dazu gehört offenbar mehr an Finesse als jene, über die Professor Evans verfügt. Das zu erkennen ist um so nützlicher, als das angedeutete deutsche Milieu Evans' Entlarvung des 20. Juli ihm lammfromm vom Mund ablesen wird.

Der Autor ist Professor der Literaturwissenschaft an der Stanford University und Herausgeber der Monatszeitschrift "Merkur".

Stauffenberg dachte in Kategorien eines heute fremden preußisch-deutschen Patriotismus

Sie sollten aufhören, daraus die Funken eines moralischen Triumphalismus zu schlagen

Verschmilzt die Figur des amerikanischen Schauspielers mit dem Helden Stauffenberg? Abb.: AKG/Gebhardt

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Kunstverkauf

Brandeis University vor rechtlichen Problemen

Ganz so einfach wird die Brandeis University den Plan nicht umsetzen können, ihr Kunstmuseum zu schließen und die Sammlung zu verkaufen, um ihre Finanzen zu sanieren. Seit die Universität das Vorhaben am Montag angekündigt hat, brandet ihr nicht nur ein donnernder Proteststurm entgegen. Auch eine Fülle rechtlicher Problem erwartet sie. Kunsthistoriker Robert Storr meint, der Verkauf könne einen "schlimmen Präzedenzfall schaffen." Auch wirtschaftlich sei er unsinnig: "Es ist der schlechteste Moment, Kunst zu verkaufen." David Alan Robertson vom Verband der Universitätsmuseen erklärte: "Das wird die Schleusentore öffnen. Es schadet allen unseren Institutionen." Jasper Johns, selbst mit einem Gemälde in der Sammlung vertreten, sagte: "Ich finde es erstaunlich. So etwas habe ich noch nicht gehört." Bevor die Universität die Sammlung abstoßen kann, erwartet sie eine Flut von Prozessen. Gemeinnützige Institutionen wie die Universität sind beim Verkauf ihres Besitzes an strikte Auflagen gebunden. Noch schwieriger wird es bei Schenkungen, vor allem wenn bestimmte Klauseln ausgehandelt wurden. Die Staatsanwaltschaft von Massachusetts hat angekündigt, das nun für jedes einzelne Werk zu prüfen. Jonathan Novak, ein Kunsthändler aus Los Angeles, der dem Museum viele Werke geschenkt hat, meinte: "Hätte ich gewusst, dass sie diese Sachen eines Tages verkaufen würden, ich hätte sie ihnen nie gegeben." jhl

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Staunen über Kissins Kunst

Immer noch auf der Suche: Der russische Pianist entwaffnet und irritiert mit Prokofjew und Chopin in der Münchner Philharmonie

Die technische, die manuelle Sicherheit dieses weltweit gefeierten russischen Star-Pianisten hat etwas Entwaffnendes. Manche vertrackten Chopin-Passagen, bei denen bereits die berühmtesten Flügelmänner patzten, legt er derart unangefochten selbstverständlich hin, als ob Einstein sich belustigte, das kleine Einmaleins aufzusagen.

Was freilich die Gestaltung großer, bedeutungstiefer Werke angeht, so scheint Jewgenij Kissin immer noch - und das muss wahrlich kein Nachteil sein - auf der Suche. Für's Träumerisch-Leise, Verdämmernde findet er herzbewegend schöne, vollkommen authentische Töne. Mit dem großen Schwung aber, mit männlich klar und unforciert gegliederten Stellen indessen hat er manchmal noch Probleme. Das lehrte vor ein paar Jahren seine Interpretation der Beethovenschen Klavierkonzerte. Und das ließ sich auch in seinem Münchner Prokofjew-Chopin-Abend am vergangenen Mittwoch nicht ganz überhören. Erstaunlicherweise wirkte dieser genialische Künstler musikalisch-interpretatorisch am überzeugendsten als er, nachdem er in Moskau als Wunderkind begonnen hatte, einst 18jährig hier in München so delikat und aufregend artikulierte, wie eine Mischung aus jungem Rubinstein und jungem Arrau . . .

Der vorgestrige Auftritt, der Münchens Klavier-Freaks in überfüllter Gasteig-Philharmonie mit einem Künstler von nach wie vor genialischen Fähigkeiten konfrontierte, zerfiel ein wenig. Und zwar in zwei recht ungleiche Teile: am Anfang durchaus effektbedacht, die achte Klaviersonate sowie drei Stücke aus der "Romeo und Julia"-Ballett-Suite von Sergei Prokofjew. Nach der Pause eine Gruppe von 12 Chopin-Nummern, die mit Ausnahme der "Polonaise-Fantasie" kurz waren. Mazurkas, Etüden. Es fehlte da doch das gewichtige Hauptwerk: eine Sonate, Ballade etwa oder die f-Moll-Fantasie.

Dem Publikum mag die Bravour, mit welcher Kissin Prokofjew besiegte, durchaus imponiert haben. Trotzdem legte sich der Eindruck nahe, dass die melodiöse, zugleich etwas aufgedonnerte Kunst Prokofjews mittlerweile doch ein wenig gealtert ist. In den Fünfziger oder Sechziger Jahren, als Svjatoslav Richter und Gilels diese riesige achte Sonate meisterten, wirkte sie wie fabelhaft erregende, russisch-zeitgenössische Musik. Heute erscheint manches gestrig, sehr forciert. Russische Seele, die manchmal zur Red-Seele tendiert.

Ob Kissin das alles unbewusst oder bewusst spürte, lässt sich nicht entscheiden. Immerhin neigte er im ersten Satz der Prokofjew-Sonate - einem melodischen Andante dolce - doch auffällig zu unmäßigem Über-Nuancieren. Er mystifizierte ein quasi-natürliches Andante zum hochempfindsamen Adagio, raubte der Musik ausdruckssüchtig alle Verhaltenheit. Dafür spielte er die raschen Verläufe rückhaltlos wild, ohne jene Bändigung, wie sie seinen großen russischen Vorgängern da notwendig schien. Die "Romeo und Julia"-Stücke pointierte Kissin glänzend. Doch dass es sich um Ballett-Musik handelt, um hübsche Orchester-Nummern, die in Prokofjews Klavier-Fassung viel von ihrer Originalität verlieren, war offenkundig. Man wurde einmal mehr daran erinnert, wie sehr sich im Lauf der vergangenen Jahrzehnte der tiefsinnige Schostakowitsch vor den ehedem überlegen scheinenden Prokofjew geschoben hat . . .

Die Entscheidung über den interpretatorischen Rang des Konzertes fiel also nach der Pause, bei Chopin. Mit einem gewichtigen Spätwerk, der Polonaise-Fantasie Op. 61, begann Kissin. Chopin gibt hier keine Polonaise mehr, sondern er meditiert über den charakteristischen Rhythmus. Man erlebt das träumerische Erwachen und Versickern des ritterlichen Polonaise-Stolzes. Doch nun schien es, als ob Kissin, allzu sensibel für Zartes, Verwehendes, der Fantasie ihre Dialektik raubte. Wo sie sich stolz doch zur Idee des polnischen Tanzes bekennt, gibt Kissin zu wenig schwungvollen Nachdruck, zu wenig Artikulation. Gewiss haftet dem strahlenden Sich-Aufbäumen des todkranken Komponisten auch etwas Überhitztes an - nur muss das eben gleichfalls herauskommen! Vor dem Schluss-Accellerando gibt Chopin 14 hinreißende "sempre fortissimo"-Takte: eine herbe, krönende melodische Steigerung. Es ist der gewaltige Affekt-Höhepunkt des ganzen Werkes. Kissin hebt es nicht als majestätisches Ereignis heraus, wie es die großen alten Chopin-Spieler alle ganz selbstverständlich taten. Stattdessen findet nur ein manuell virtuos gemeisterter Abschluss statt.

In den Mazurken war dann die lyrische Sensibilität des Künstlers zu bestaunen, etwa in der vielgespielten cis-Moll Mazurka Op. 30, 4. Aber auch da schien Kissin weit mehr die abgeblendete Melancholie des Hauptthemas zu interessieren als der "con anima" Schwung aus Eigensinn und Stolz während des zweiten Themas.

Alles das könnte den Schluss nahelegen, es gehe Kissin mittlerweile doch hauptsächlich um jene träumerischen Zartheiten, die er unvergleichlich beherrscht. Doch einem solchen Fazit widerspräche die Auswahl jener acht Etüden aus Opus 10 und Opus 25, mit denen Kissin schloss. Da wählte er nämlich durchaus die schwersten, dramatischsten, manchmal an der Grenze zur Unspielbarkeit verharrenden Stücke. In der grausam heiklen a-Moll Etüde Op. 10, 2, wo dem Ringfinger und dem kleinen Finger Fürchterliches zugemutet wird, entdeckte er zarten, balladesken Zauber. Chopin verlangt da mehrfach "sempre legato", weil er jenes klirrende spitze Non-Legato, in welches sich die meisten Pianisten flüchten, unbedingt vermeiden möchte. Kissin zeigte, dass er die Mittel besitzt, eine solche Forderung sinnvoll zu erfüllen. Die Presto-Etüde Op. 10, 4 spielte Kissin so wild und stürmisch, wie es selbst Rubinstein nicht besser konnte. Und am allerschönsten gelang der "Più lento"-Mittelteil der e-Moll-Etüde Op. 25, 5. Da zauberte Kissin. Während er leider am Schluss, in der "Großen Sturm"-Etüde, nur brillierte. - So brachte er ein begeistertes Publikum mit seiner Kunst zum Staunen, auch zu heftigen Ovationen. Wer weiß, wohin ihn sein Weg noch führt. JOACHIM KAISER

Genialische Fähigkeiten: der russische Pianist Jewgenij Kissin Foto: Obs, dpa

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Eisschnelllauf-Weltcup in Erfurt

Spitzentrio sagt ab

Erfurt (sid) - Beim Weltcup der Eisschnellläufer am Wochenende in Erfurt kommt es im Team-Wettbewerb nicht zum Start des Spitzentrios Anni Friesinger, Claudia Pechstein und Daniela Anschütz-Thoms. Pechstein und Anschütz-Thoms wollen sich wegen der Mehrkampf-WM eine Woche später in Hamar schonen. "Im Hinblick auf die WM muss man Prioritäten setzen", sagte Anschütz-Thoms, die sich in Erfurt auf die Einzelstrecken 1500 m und 3000 m konzentrieren will. Pechstein verwies auf eine Trainingspause wegen einer "fiebrigen Infektion". Auch sie wird in Erfurt über 1500 und 3000 m starten. Friesinger hatte vor dem ersten Start in Erfurt diesen Freitag gesagt, dass sie nur am Teamwettbewerb teilnehme, falls auch Pechstein und Anschütz-Thoms laufen.

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Kurz gemeldet

Cacau, 27, Stürmer von Fußball-Bundesligist VfB Stuttgart, wird deutscher Staatsbürger. Der gebürtige Brasilianer wird am 2. Februar seine Einbürgerungsurkunde erhalten. Das teilte das Landratsamt Waiblingen mit. Cacau lebt seit 1999 in Deutschland. Allerdings ist der Einsatz von Cacau zum Rückrundenstart am Samstag gegen Mönchengladbach unwahrscheinlich. Der Angreifer war am Montag wegen einer Nierenkolik ins Krankenhaus eingeliefert worden.

Ohne Dante, seinen neuen, 2,5 Millionen Euro teuren Abwehrchef, tritt Fußball-Bundesligist Borussia Mönchengladbach zum Rückrundenauftakt am Samstag in Stuttgart an. Der brasilianische Verteidiger laboriert weiterhin an einem Muskelfaserriss im Oberschenkel.

Robert Kovac, 34, kroatischer Fußball-Nationalspieler vom Bundesligisten Borussia Dortmund, wechselt mit sofortiger Wirkung zu Dinamo Zagreb. Er unterschrieb einen Vertrag bis 30. Juni 2010. Dortmund soll angeblich für den Verteidiger 400 000 Euro Ablöse erhalten.

Andreas Herzog, ehemaliger deutscher Bundesliga-Profi, ist vom österreichischen Fußball-Bund (ÖFB) mit der Aufgabe als U-16-Auswahltrainer betraut worden. Bislang amtierte der 40-Jährige als Assistent von Chefcoach Karel Brückner; diese Aufgabe wird er fortführen. Verteidiger Vragel da Silva von Fußball-Bundesligist Energie Cottbus hat sich erneut am Knie operieren lassen müssen. Bei dem Eingriff wurde der Meniskus geglättet. Der Brasilianer war erst vergangene Woche ins Mannschaftstraining zurückgekehrt, nachdem er wegen eines Knorpelschadens im Knie ein halbes Jahr lang pausiert hatte.

Der 1. FC Kaiserslautern muss im Spitzenspiel der 2. Fußball-Bundesliga gegen den FSV Mainz 05 am Montag auf Kapitän Axel Bellinghausen verzichten. Der Mittelfeldspieler musste wegen eines Leistenbruchs operiert werden und fällt wohl zwei Wochen lang aus.

Für Olaf Kölzig ist die Saison in der Nordamerikanischen Eishockey-Liga NHL so gut wie beendet. Der Torhüter des Tampa Bay Lightning fällt mit einer angerissenen Bizepssehne im linken Arm voraussichtlich drei bis vier Monate aus. Kölzig wird am Samstag bei Ben Shaffer, dem Teamarzt seines früheren Clubs Washington Capitals, operiert.

Anja Blieninger, 27, Skirennfahrerin aus Altenau, hat sich bei ihrem Sturz während des FIS-Torlauf in Leogang einen Kreuzbandriss und weitere Verletzungen im rechten Knie zugezogen.

Biathlet Manuel Müller hat zum Auftakt der Junioren-WM in Canmore/Kanada das 15-km-Einzelrennen gewonnen. Der 19-jährige Oberstdorfer siegte mit 27,5 Sekunden Vorsprung vor dem Russen Alexei Wolkow und Erik Lesser aus Frankenhain (29,2 Sekunden zurück).

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Aktuelles in Zahlen

Basketball

NBA

Dallas - Golden State 117:93, Indiana - Milwaukee 107:99, Miami - Washington 93:71, Boston - Sacramento 119:110, New Jersey - Toronto 106:107, New York - Atlanta 112:104, Minnesota - Detroit 89:98, New Orleans - Denver 94:81, Oklahoma - Memphis n.V. 114:102, Houston - Philadelphia 93:95, Portland - Charlotte 88:74, LA Clippers - Chicago 75:95.

Männer, EuroChallenge,

Zwischenrunde, 1. Spieltag

Gruppe I: Telekom Bask. Bonn - Cholet Basket/FRA 68:71 (34:26), Belgacom Lüttich - EiffelT. Den Bosch 81:68 (43:29).

Gruppe J: EWE Baskests Oldenburg - Kiew 73:86 (34:38), Galatasary Istanbul - Virtus Bologna 91:104 (55:50).

Eishockey

Champions League, Finale

Lions Zürich - Metallurg Magnitogorsk 5:0 (1:0, 1:0, 3:0). - Hinspiel 2:2.

NHL

Pittsburgh - NY Rangers 6:2, Calgary - Buffalo 5:2, Anaheim - Chicago 2:3, Vancouver - Nashville 3:5.

Fußball

2. Bundesliga, 18. Spieltag

FC Augsburg - 1. FC Nürnberg Fr. 18.00

VfL Osnabrück - FC St. Pauli Fr. 18.00

RW Oberhausen - TuS Koblenz Fr. 18.00

1860 München - SC Freiburg So. 14.00

SV Wehen - Alemannia Aachen So. 14.00

FSV Frankfurt - Rot-Weiss Ahlen So. 14.00

Greuther Fürth - FC Ingolstadt 04 So. 14.00

Hansa Rostock - MSV Duisburg So. 14.00

1. FC Kaiserslautern - Mainz 05 Mo. 20.15

1 FSV Mainz 05 17 9 4 4 33:19 31
2 Kaiserslautern 17 9 4 4 33:22 31
3 SC Freiburg 17 9 3 5 26:18 30
4 Greuther Fürth 17 8 5 4 36:25 29
5 Ale. Aachen 17 8 4 5 26:19
28 6 FC Augsburg 17 8 3 6 26:22
27 7 FC St. Pauli 17 8 3 6 28:30
27 8 1. FC Nürnberg 17 6 7 4 24:17
25 9 RW Ahlen 17 7 3 7 24:30
24 10 MSV Duisburg 17 5 7 5 24:19
22 11 1860 München 17 6 4 7 20:17
22 12 Ingolstadt 04 17 6 3 8 23:28
21 13 Oberhausen 17 6 2 9 17:31
20 14 VfL Osnabrück 17 4 7 6 24:31
19 15 Hansa Rostock 17 4 5 8 25:29
17 16 TuS Koblenz 17 4 5 8 22:29
14 17 SV Wehen 17 2 8 7 18:31
14 18 FSV Frankfurt 17 2 7 8 15:27
13

Koblenz wurden 3 Punkte abgezogen.

19. Spieltag; Freitag, 6.2., 18 Uhr: Freiburg - Osnabrück, Aachen - Rostock, Koblenz - Frankfurt; Sonntag, 8.2., 14 Uhr: St. Pauli - Fürth, Duisburg - Wehen, Mainz - 1860, RW Ahlen - Augsburg, Ingolstadt - Oberhausen; Montag, 9.2., 20.15 Uhr: Nürnberg - Kaiserslautern.

Italien, 21. Spieltag

Catania Calcio - Inter Mailand 0:2
Udinese Calcio - Juventus Turin 2:1
AC Mailand - CFC Genua 1:1
Cagliari Calcio - AC Siena 1:0
FC Turin - Reggina Calcio 0:0
AS Rom - US Palermo 2:1
AC Florenz - SSC Neapel 2:1
Chievo Verona - US Lecce 1:1
Sampdoria Genua - Lazio Rom 3:1
Atalanta Bergamo - FC Bologna 0:1

1 Inter Mailand 21 36:15 49
2 Juventus Turin 21 34:16 43
3 AC Mailand 21 36:22 41
4 CFC Genua 21 31:19 37
5 AS Rom 21 31:26 36
6 AC Florenz 21 28:19 35
7 SSC Neapel 21 28:23 33
8 US Palermo 21 30:27 32
9 Cagliari Calcio 21 27:23 31
10 Lazio Rom 21 32:32 31
11 Atalanta Bergamo 21 26:25 27
12 Udinese Calcio 21 30:33 26
13 Catania Calcio 21 20:26 26
14 AC Siena 21 15:20 25
15 Sampdoria Genua 21 19:25 23
16 FC Bologna 21 24:33 22
17 US Lecce 21 20:31 19
18 FC Turin 21 21:36 17
19 Chievo Verona 21 14:30 17
20 Reggina Calcio 21 17:38 14

England, 23. Spieltag

Wigan Athletic - FC Liverpool 1:1
FC Chelsea - FC Middlesbrough 2:0
Manchester City - Newcastle United 2:1
West Ham United - Hull City 2:0
FC Everton - FC Arsenal 1:1
Blackburn Rovers - Bolton Wanderers 2:2

1 Manchester United 22 39:10 50
2 FC Chelsea 23 44:13 48
3 FC Liverpool 23 37:15 48
4 Aston Villa 23 38:24 47
5 FC Arsenal 23 38:25 42
6 FC Everton 23 31:27 37
7 Wigan Athletic 23 26:24 32
8 West Ham United 23 31:31 32
9 Manchester City 22 41:31 28
10 Hull City 23 29:44 27
11 FC Fulham 21 19:18 26
12 FC Sunderland 23 24:32 26
13 Tottenham Hotspur 23 24:28 24
14 Bolton Wanderers 23 24:32 24
15 FC Portsmouth 22 22:35 24
16 Newcastle United 23 29:39 23
17 Blackburn Rovers 22 27:38 22
18 FC Middlesbrough 23 18:35 21
19 Stoke City 23 20:38 21
20 West Bromwich Albion 23 20:42 21

Spanien, Pokal, Viertelfinale, Rückspiele

Sporting Gijon - Athletic Bilbao 1:2 (Hinspiel 0:0), Betis Sevilla - RCD Mallorca 0:0 (0:1); außerdem: FC Sevilla - FC Valencia (2:3), FC Barcelona - Espanyol Barcelona (0:0).

Länderspiel

Mexiko - Schweden 0:1 (0:0).

Handball

Männer, Weltmeisterschaft in Kroatien, Platzierungsspiele

Um Platz 5: Deutschland - Ungarn 28:25 (16:13). Deutschland: Lichtlein (Lemgo), Heinevetter (Magdeburg) - Kaufmann (8/Lemgo), Tiedtke (6/Großwallstadt), Glandorf (3/Nordhorn), Jansen (3/Hamburg), Müller (3/Großwallstadt), Klein (2/Kiel), Strobel (2/Lemgo), Schöne (1/Göppingen), Schröder (Hamburg), Christophersen (Wetzlar), Roggisch (RN Löwen).

Zuschauer in Zagreb: 2000.

Um Platz 7: Schweden - Serbien. - Platz 9: Slowakei - Norwegen. - Platz 11: Mazedonien - Südkorea 32:31 (14:14). - Lazarov (Mazedonien) wirft 15 Tore und stellt mit insgesamt 92 Treffern einen neuen WM-Rekord auf.

Halbfinale; Freitag, 30.1., in Zagreb bzw. Split: Kroatien - Polen, Frankreich - Dänemark.

Frauen, Bundesliga, 12. Spieltag

1.FC Nürnberg - FA Göppingen 34:23 (6:10)

1 Leverkusen 14 407:375 19:9
2 HC Leipzig 14 430:393 18:10
3 VfL Oldenburg 14 390:365 17:11
4 Frankfurt Oder 14 431:436 16:12
5 1. FC Nürnberg 14 372:349 15:9
6 Buxtehuder SV 14
375:368 14:14 7 DJK/MJC Trier 14
357:361 14:14 8 Rhein-Mn. Bienen 15
430:456 14:16 9 FA Göppingen 15
408:412 13:17 10 Blomberg-Lippe 14
395:396 12:16 11 Thüringer HC 14
352:380 8:20 12 BVB Dortmund 14
347:403 6:22

Nürnberg wurden 4 Punkte wegen Lizenzierungsverfahren abgezogen.

Leichtathletik

7. Springer-Meeting in Cottbus

Männer, Stabhochsprung: 1. Lewis (Großbritannien) 5,65, 2. Otto (Dormagen), 3. Ecker (Leverkusen), 4. Straub (Filstal) je 5,60, 5. Schulze (Kornwestheim/Ludwigsburg) 5,40.

Frauen, Hochsprung: 1. Gordejewa (Russland) 1,99 m, 2. Kröger (Berlin) 1,92, 3. Ryan (Irland) 1,88.

Tennis

Australian Open in Melbourne (12 Mio.$),

Männer, Halbfinale

Federer (Schweiz/2) - Roddick (USA/7) 6:2, 7:5, 7:5; außerdem (Freitag, ab 9.40 Uhr MEZ): Nadal (Spanien/1) - Verdasco (Spanien/14).

Doppel, Halbfinale: B. & M. Bryan (USA/2) - Dlouhy/Paes (Tschechien/Indien/4) 6:3, 6:3, Bhupathi/Knowles (Indien/Bahamas/3) - Kubot/Marach (Polen/Österreich) 6:3, 6:1.

Frauen, Halbfinale

S. Williams (USA/2) - Dementjewa (4) 6:3, 6:4, Safina (3) - Swonarewa (7/alle Russland) 6:3, 7:6 (4).

Doppel: Hantuchova/Sugiyama (Slowakei/Japan/9) - Dechy/Santangelo (Frankreich/Italien) 6:4, 6:3, S. & V. Williams (USA/10) - Dellacqua /Schiavone (Australien/Italien/12) 6:0, 6:2

Mixed, Halbfinale

Dechy/Ram (Frankreich/Israel) - Medina Garriques/Robredo (Spanien/7) 7:6 (7), 6:4.

Sport im Fernsehen

Freitag, 30. Januar

9.30 - 12 Uhr, Eurosport: Tennis, Australian Open, Halbfinale in Melbourne, Rafael Nadal - Fernando Verdasco.

10.30 - 12.15 Uhr, ARD: Wintersport; Ski alpin, Frauen, Slalom-Weltcup in Garmisch- Partenkirchen; ca. 11.30 Uhr: Ski nordisch, Männer, Langlauf-Weltcup in Rybinsk.

13 - 15 Uhr, ARD: Wintersport; Ski nordisch: Frauen, Langlauf-Weltcup in Rybinsk; ca.13.25 Uhr: Ski alpin, Frauen, Slalom-Weltcup in Garmisch- Partenkirchen, 2. Lauf; 14.40 Uhr: Eisschnelllauf, Frauen, Weltcup in Erfurt, 500 m.

13.45 - 14.30 Uhr, Eurosport: Ski alpin, siehe ARD.

17.15 - 19.15 Uhr, DSF: Handball, Männer, WM in Split, Halbfinale, Dänemark - Frankreich.

17.30 - 19.55 Uhr, Premiere: Fußball, 2. Liga, u.a. FC Augsburg - 1. FC Nürnberg.

19 - 21.15 Uhr, Eurosport: Eishockey, DEL, Adler Mannheim - Hannover Scorpions.

20.15 - 22.45 Uhr, ARD & Premiere: Fußball, Bundesliga, 18. Spieltag, Hamburger SV - FC Bayern München.

20.15 - 22.15 Uhr, DSF: Handball, Männer, WM in Zagreb, 2. Halbfinale, Kroatien - Polen.

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Dortmunds teures Pokal-Aus

Werder schlägt die Hintertür zu

Dortmund - Torsten Frings hatte der kalte Abend regelrecht in Verzückung versetzt - soweit man bei einem wie Frings Verzückung erkennen kann. Jedenfalls tanzte Werder Bremens Nationalspieler nach dem Abpfiff an seiner ehemaligen Wirkungsstätte in Dortmund im Stile eines Kängurus auf seine Mitspieler los. Und vor den Mikrophonen, die ihm anschließend hingereckt wurden, meinte man fast, den coolen Frings jauchzen zu hören: "Wir haben offenbar aus unseren Fehlern was gelernt. In der Hinrunde standen wir nach guten Spielen oft mit leeren Händen da." Diesmal ging es Bremens Gegner Borussia Dortmund so, der sich nach dem 1:2 von seinen Pokal-Ambitionen verabschieden muss.

Frings wollte, ebenso wie sein Trainer Thomas Schaaf, aus dem schwer erkämpften Sieg auch gleich die Trendwende für den Rest der Saison ableiten. Aber ob das Achtelfinal-Spiel in Dortmund schon so prognosetauglich war? Dortmunds Trainer Jürgen Klopp beklagte, dass "man die Bremer nicht so spielen lassen kann". Sollte heißen: Wenn Dortmund das Bremer Mittelfeldspiel nur ein wenig mehr bekämpft hätte, wenn seine Stürmer Mohamed Zidan und Alex Frei nicht fünf Großchancen vergeben hätten, bevor Bremen zum Ausgleich kam - es wäre zu dem Happyend für Frings und Bremen gar nicht gekommen.

Die 74 000 Zuschauer hatten ein auf merkwürdige Art ausgeglichenes Spiel gesehen, über dessen Gesamtniveau man sich streiten konnte. Hätte Dortmunds Torjäger Alex Frei kurz vor seinem 1:0 in der 11. Minute auch seine erste Chance verwandelt, es wäre den Bremern ganz sicher schwer gefallen, wieder ins Spiel zurück zu kommen. Zu berechenbar schien das Bremer Ballgeschiebe zunächst gegen die quirligeren Dortmunder. Vor allem BVB-Neueinkauf Kevin Prince Boateng hatte eine Serie guter Aktionen. Aber Bremen gewann langsam aber sicher die Dominanz über das Spiel.

Borussias Patzer

Schiedsrichter Manuel Gräfe hatte bei diesem Systemwettkampf die schlechtesten Karten. Bremen unterstellte dem Berliner, gleich zwei elfmeterreife Szenen (ein Handspiel von Neven Subotic, ein Foul von Verteidiger Felipe Santana an Diego) nicht gepfiffen zu haben. Außerdem war Dortmunds Führungstor durch Frei ein Foul von Florian Kringe an Hugo Almeida vorausgegangen.

Die "individuelle Klasse, die Werder auf den Rasen bringt", wie Jürgen Klopp hinterher befand, konnten die Dortmunder letztlich aber nicht mit viel Laufarbeit aufwiegen. Vor allem im Defensivzentrum, wo der Brasilianer Tinga den am Knöchel verletzten Sebastian Kehl vertreten musste, leistete der BVB sich zu viele Patzer. Zumal Hugo Almeidas Schuss zum 1:1 nicht unhaltbar erschien; vor dem 1:2 durch Claudio Pizarro hatte Torwart Weidenfeller dagegen noch Diegos Freistoß bravourös gemeistert.

Für Dortmund, dessen Vorstandschef Hans-Joachim Watzke am Montag vehement auf die zu erwartenden Folgen der Finanzkrise für die Bundesliga (insbesondere für seinen BVB) hingewiesen hatte, bedeutet das Pokal-Aus auch den Verlust wichtiger Millionen. Im vergangenen Jahr hatte sich Dortmund nach enttäuschender Bundesliga-Platzierung über das Erreichen des Pokalfinales (unter anderem durch ein 2:1 im Achtelfinale gegen Bremen) noch in den Vorhof des Uefa-Pokals gerettet. Diese Hintertür ist nun verschlossen, und in der Liga rangiert Dortmund auf einem sechsten Platz sechs, den es nach den Erkenntnissen des Abends in der Rückrunde an Teams wie Werder Bremen verlieren dürfte.

Frings und die anderen Bremer können sich nach dem intensiven Spiel in Dortmund dagegen ausrechnen, was nach vorne noch gehen kann. Bis hin zu den Champions League-Plätzen. Dass im einst wenig geliebten DFB-Pokal zudem inzwischen richtiges Geld zu verdienen ist, das sich im Jahresbudget leicht mit vier oder fünf Millionen Euro Haben oder Nichthaben auswirken kann, diese Erkenntnis werden nicht nur die Dortmunder haben. Freddie Röckenhaus

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Pittsburgh trifft Pittsburgh West

Ken Whisenhunt, Trainer der Arizona Cardinals, und neun seiner Spieler arbeiteten einst für die Steelers - jetzt kämpfen sie gegen ihren Ex-Klub um die Super Bowl

Tampa - Die Geschichte, welche die Super Bowl zwischen den Arizona Cardinals und den Pittsburgh Steelers so besonders macht, beginnt im Jahr 1944. Damals waren die Arizona Cardinals noch in Chicago angesiedelt, nicht allzu weit entfernt von Pittsburgh also. Weil gegen Ende des 2. Weltkrieges viele Footballspieler für den Kriegsdienst eingezogen wurden, beschlossen die Vereine, die Teams zu fusionieren. Es war der Beginn einer großen Freundschaft, und weil die Besitzer dieser beiden Franchise-Unternehmen mittlerweile Familiendynastien darstellen, sind die Kontakte immer noch gut. So gut, dass ein ehemaliger Co-Trainer der Steelers nun Cheftrainer der Arizona Cardinals ist - und somit in der Super Bowl 43 in Tampa (Montag, 0.28 Uhr MEZ) auf sein altes Team trifft.

Cardinals-Coach Ken Whisenhunt trägt eine Mütze mit dem aktuellen Super Bowl-Emblem, und in seinem Gesicht trägt er Stolz. Hier in Tampa redet er gerne über die vergangenen zwei Jahre und wie er es geschafft hat, aus einem Team, das nie richtig ernst genommen wurde, einen Super Bowl-Teilnehmer zu machen. Und das, obwohl die Punkterunde hohe und peinliche Niederlagen enthielt. Ein wenig hört er sich an wie ein US-Präsident bei der Antrittsrede: "Wir haben Jungs gebraucht, die sich wirklich aufeinander verlassen, die an unser System glauben und wie ein Team spielen."

Worüber er immer noch nicht so gerne redet, ist die Zeit davor. Bis heute sind nicht alle Details bekannt, warum Ken Whisenhunt Pittsburgh verließ. Als Hauptverantwortlicher für die Offensive gewann er mit den Steelers vor drei Jahren die Super Bowl, ein Jahr später galt er als bester Kandidat für den Cheftrainerposten. Doch bevor eine offizielle Entscheidung fiel, nahm Whisenhunt das Jobangebot aus Arizona an. Die Entscheidung kam so unerwartet, dass nur die Vereinsoberen dafür verantwortlich sein konnten, ohne dass der Deal schon vorher öffentlich wurde.

Offiziell hegt Whisenhunt natürlich keinen Groll gegen die Steelers. In der Woche vor der Super Bowl pflegen die Kontrahenten ohnehin, sich hymnisch zu loben. Fast schon albern klingt es, wenn Whisenhunt über den Quarterback der Pittsburgh Steelers spricht: "Ben Roethlisberger hat sich großartig entwickelt", sagt er. "Ich würde gerne mal mit Ken Golf spielen gehen, wenn das hier alles vorbei ist", sagt Roethlisberger. In Diplomatenspache heißt das wohl: Ich würde dich gerne besiegen. Denn es ist ein offenes Geheimnis, dass Whisenhunt und Roethlisberger nie die besten Freunde waren. Als Roethlisberger 2006 einen Motorradunfall hatte, bei dem er ohne Helm gefahren war, verwies Whisenhunt auf mögliche Langzeitschäden und wollte den Quarterback auf der Ersatzbank lassen. Roethlisberger gab später zu, dass er sich unter Whisenhunt in seinen Möglichkeiten eingeschränkt gefühlt habe. Whisenhunt hält also nicht viel von Roethlisberger - was nun für ihn zu beweisen ist.

Doch Whisenhunts Vorgeschichte hat noch weitreichendere Folgen. Als der 48-Jährige in die Wüste von Arizona zog, nahm er zwei Co-Trainer und neun Spieler mit, weshalb nun auch gerne vom Spiel Pittsburgh gegen Pittsburgh West die Rede ist. Einer von ihnen, der Passempfänger Sean Morey, erzählt, wie sehr ihn die Atmosphäre in der Kabine und im Klassenzimmer, wo Spielzüge studiert werden, an seine Zeit in Pittsburgh erinnert. Und Quarterback Kurt Warner glaubt, dass die Trainer auch das Selbstvertrauen und die Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Gegner mit nach Phoenix gebracht hätten, wofür die Steelers bekannt sind. Die Cardinals haben noch nie die Super Bowl gewonnen, sie waren bisher noch nicht einmal nah dran. Die Steelers hingegen waren schon fünfmal erfolgreich und wären mit einem Sieg am Wochenende alleiniger Rekordmeister der National Football League (NFL).

Mental wie physisch spielen die Cardinals nun so, wie es die Steelers vor drei Jahren taten, mit ungewöhnlichen Trickspielzügen, um den Gegner zu irritieren. Außerdem haben die Steelers immer noch 20 Spieler im Kader, die einst unter dem heutigen Cardinals-Trainerstab trainierten. Die Vertrautheit ist also gegenseitig, niemand hat einen taktischen Vorteil. Wahrscheinlicher ist, dass beide Teams viele Aufstellungen und Spielzüge zeigen, die bisher weiter unten in den Schubladen der Trainer lagen. Das macht diese Super Bowl trotz der klaren Favoritenrolle der Steelers unberechenbar. Zumal mehrere Spieler angekündigt haben, Strafen für übertriebenes Feiern in Kauf zu nehmen, wenn sie einen Touchdown erzielen. Christoph Leischwitz

Trainer Ken Whisenhunt Foto: AFP

Quarterback Kurt Warner Reuters

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Doping-belasteter Trainer Goldmann

Prozess am 16. Februar

Darmstadt (dpa) - Der Doping-belastete Trainer Werner Goldmann kämpft am 16. Februar vor dem Arbeitsgericht in Darmstadt um seinen Job beim Deutschen Leichtathletik-Verband. Dies bestätigte eine Sprecherin des Gerichts. Der DLV hatte den früheren Wurf-Bundestrainer auf Empfehlung des Deutschen Olympischen Sportbund keinen neuen Arbeitsvertrag vom 1. Januar an gegeben. Ein Grund dafür war, dass vor Olympia in Peking der frühere Kugelstoßer Gerd Jacobs behauptet hatte, Goldmann habe ihm in den 80er Jahren Anabolika verabreicht. Goldmann bestreitet das. Für Goldmann hatten sich 20 deutsche Werfer stark gemacht - darunter Robert Harting, der Diskus-WM-Zweite.

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Mit Blick aufs Dach der Eltern

Der Heimweltcup in Garmisch-Partenkirchen bringt den deutschen Skirennfahrern nicht nur Vorteile

Garmisch-Partenkirchen - "Das ist mein Berg, mein Hang, mein Rennen": Deshalb freut Felix Neureuther sich auf den Weltcupslalom am Sonntag in seinem Heimatort Garmisch-Partenkirchen. Auch wenn es zur Zeit durchaus Gründe gibt, die ihm die Freude an seinem Beruf als Skirennfahrer vergällen könnten: Am Dienstag schied er in Schladming schon wieder aus, zum fünften Mal in diesem Winter.

"Ich werde vor dem Slalom am Gudiberg vermutlich nervöser sein als bei der WM in Val d'Isère", sagt seine Partenkirchener Skiclubkollegin Maria Riesch. Sie hat zwei Chancen: den Slalom am Freitag, den Super-G am Samstag. Im Gegensatz zu Neureuther sind für sie Rennen vor der Haustür etwas ganz und gar nicht Vertrautes. Sie fuhr erst einmal hier, "es ist eine neue Situation für mich, überhaupt Rennen hier in Garmisch zu fahren. Ofterschwang vergangenes Jahr war auch ein Heimrennen, schon dort war ich ziemlich nervös - hier ist es noch mal eine Nummer mehr: Man steht am Slalomstart, schaut bis in den Ort runter (nebenbei genau aufs Dach des elterlichen Betriebs - einen guten Steinwurf vom Ziel entfernt/die Redaktion), und das auch noch als Favoritin und Lokalmatadorin. Ich hoffe, dass ich in dieser Situation die Nerven behalte."

Der Druck wird größer

Heimrennen sind erst mal eine Chance: Wo fuhr Stefan Stankalla, heute Rennleiter auf der Kandahar-Piste für das Frauenrennen, seine einzigen Top-Ten-Resultate herein? Auf der Kandahar (2001, Fünfter im Super-G, Neunter in der Abfahrt). Wo schien der spätere Siegfahrer Max Rauffer erstmals im Kreis der Elite auf? Vor elf Jahren in Garmisch, als Abfahrtsachter. Wo holte der spätere WM-Dritte Florian Eckert seine ersten Weltcuppunkte: Hier, als 28., 20-jährig. Demnächst wird er 30 und hat für diesmal studienhalber als Rennleiter der Männerabfahrt ausgesetzt.

Ortsansässige Teilnehmer neben den beiden Cracks sind in der Abfahrt am Samstag die Strodl-Brüder Peter und Andreas, im Slalom Fritz Dopfer (SC Garmisch - alle anderen fahren für Partenkirchen), die jüngere Riesch-Schwester Susanne, Fanny Chmelar sowie Nina Perner, die zwar bei Rheinbrüder Karlsruhe eingeschrieben ist (denen einst auch die Olympiasiegerin Katja Seizinger angehörte), aber aus sportlichen Gründen verzogen nach Garmisch. Für sie gilt Heimvorteil schon wegen guter Terrainkenntnis: Der Slalomhang am Gudiberg ist die Trainingsstrecke des Olympiastützpunktes gleich nebenan, und die neuen Speedpisten am Kreuzeck wurden von den Heimfahrern vorab getestet.

Die beiden Anführer des Teams spüren bei den Rennen zu Hause auch etwas anderes: zunehmenden öffentlichen Druck. "Vergangenes Jahr hat mich Garmisch fertig gemacht - der Zugang, der Trubel", gesteht Felix Neureuther. Er war damals der Meinung, er könne da alles steuern und koordinieren, aber nachdem er - gesundheitlich angeschlagen - an Rang 17 geendet hatte, musste er einsehen: "Es war zu viel" und beschloss für 2009: "Das Heimrennen werde ich diesmal ganz anders angehen."

Erst recht, weil er in einem ziemlichen Tief steckt, eine Woche vor Beginn der Weltmeisterschaften. "Aus meiner persönlichen Situation kann ich ja nicht raus", sagt der in Wengen, Kitzbühel, Schladming dreimal hintereinander Ausgeschiedene. "Ich weiß trotz allem, dass ich schnell bin - das gibt mir Mut und Zuversicht für Garmisch. Für dieses Rennen baut man auch eine besondere Spannung auf. Es ist was ganz Großes, das zu erleben und zeigen zu können, was man kann. Darauf freue ich mich absolut und extrem." Aber damit ihn Garmisch diesmal nicht wieder fertig macht, hat er sich mit seinem Kinetiktrainer an einen unbekannten Ort verzogen ("ich bin mal weg"), um in Ruhe mental und koordinativ zu arbeiten, zu versuchen, alles wieder auf die Reihe zu kriegen. Die Ski wurden erst diesen Freitag wieder in Betrieb genommen.

Er ist schon so oft den Gudiberg heruntergefahren, seine Klubkollegin Maria Riesch - wie er 24 Jahre alt - hingegen überhaupt noch nie. Auch nicht in ihrem Debütwinter 2001: Der Super-G auf der Kandahar war das einzige Weltcuprennen, in dem sie in jener Saison mitmachen durfte. "Unglaublich, dass das schon acht Jahre her ist!", aber die Erinnerung ist frisch: "Mit Startnummer 60 auf der Kandahar", 16-jährig. Weil sie als Neuling derart weit hinten eingereiht war und die Startintervalle zwei Minuten betrugen, wurde es Nachmittag, bis sie endlich dran war. "Ich wartete in der Skihütte Garmischer Haus und aß einen Germknödel. Dieses erste Weltcuprennen war ein cooles Erlebnis".

Noch cooler durch den Ausgang: "Ich fuhr gleich in die Punkteränge", landete auf Platz 20. Sogleich entbrannte die Kampagne um Germany's next Skistar, und Coaches und Betreuer bekamen mächtig was zu tun mit der Abschirmung des Talents, welches behutsam aufgebaut werden sollte. Das ist wohl gelungen - elf Weltcuppunkte wie damals sind heutzutage eine eher karge Ausbeute für Maria Riesch, und acht Jahre später braucht sie keine Zeit mehr in der Skihütte totzuschlagen, bis sie endlich drankommt. Wolfgang Gärner

"Ich weiß trotz allem, dass ich schnell bin": Slalomfahrer Felix Neureuther fiel zuletzt vor allem durch die Tatsache auf, dass er dreimal in Serie ausschied (hier in Kitzbühel) - am heimischen Gudiberg sinnt er auf Revanche. Foto: Reuters

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Judo-Bundestrainer mit Stasi-Karriere

Birthler prüft Ultsch

Leipzig (sid) - Der neue Judo-Bundestrainer Detlef Ultsch wird von der Birthler-Behörde wegen seiner früheren Stasi-Tätigkeit überprüft. Anschließend wird die zuständige Kommission des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) sich mit der Personalie befassen. Laut Peter Frese, Präsident des Deutschen Judo-Bundes (DJB), sei mit Einverständnis von Ultsch Akteneinsicht beantragt worden. Der zweimalige Weltmeister Ultsch war bereits 16 Jahre als Nachwuchs-Bundestrainer tätig. Laut Frese sei der DJB davon ausgegangen, da es sich nicht um eine Neueinstellung handelt, dass Ultsch bereits überprüft worden sei.

Laut Medienberichten war Ultsch, 53, unter anderem Berufsoffizier im Stasi-Wachregiment gewesen. "Die DOSB-Kommission soll diese Sache bewerten", sagte Frese. Er hofft, dass der DJB weiter mit Ultsch zusammenarbeiten kann.

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Versöhnlicher Abschluss

Am Ende kamen die Ungarn doch noch einmal heran, die Deutschen waren zudem in Unterzahl, und nach den Spielen der vergangenen Tage war klar: Sicher kann sich dieses Team erst sein, wenn die Schlusssirene ertönt, bis dahin können jederzeit die erstaunlichsten Dinge passieren. Diesmal aber war der Vorsprung groß genug, 28:25 (16:13) haben die deutschen Handballer die Auswahl aus Ungarn besiegt und sich damit den fünften Platz dieser WM in Kroatien gesichert. "Damit kann ich sehr gut leben", sagte Bundestrainer Heiner Brand zufrieden, "wenn mir das vorher jemand angeboten hätte, dann hätte ich es angenommen."

Es war für die Deutschen ein versöhnlicher Abschluss des Turniers, das aus ihrer Sicht zwei Themen hatte: erstens, wie rasant sich die junge, neu zusammengestellte Mannschaft entwickelt hat, und zweitens, was sich die Schiedsrichter bisweilen zusammengepfiffen haben. Am Donnerstag war das zweite Thema erst einmal erledigt, "so langsam verfliegt auch die Enttäuschung, nicht ins Halbfinale gekommen zu sein", sagte Brand. Die war auch bei den Spielern verflogen. Sie stellten sich gesammelt ins, ums und ans Tor und posierten jubelnd für ein Mannschaftsfoto - eine Erinnerung an ein gelungenes, aufregendes und lehrreiches Turnier.

Beim Sieg gegen die Ungarn musste Brand auf Pascal Hens verzichten, und wie immer in diesem Turnier hatte die Mannschaft auf schlechte Nachrichten eine gute Antwort. Diesmal hieß die Antwort Lars Kaufmann, der sich wie im Bild gegen Tamas Ivancsik (Foto: AP) immer wieder in Szene setzte und acht Treffer erzielte. Mehr Tore warf niemand auf dem Feld.

Ebenso spektakulär agierte Silvio Heinevetter, der in der zweiten Halbzeit ins Tor durfte. Wie ein Schlangenmensch wand er sich bisweilen durch die Luft, seine Quote an gehaltenen Bällen war phantastisch, sie betrug über 50 Prozent. Heinevetter ist ein weiterer Spieler mit großer Zukunft in dieser deutschen Mannschaft, die sich noch am Anfang ihres Weges befindet. zas

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Champions-League-Sieger Zürich

Schweiz auf Eis

Kommt Putin? Das war am Mittwochnachmittag die bange Frage am Ostufer des Zürichsees, jedenfalls, wie der Blick lästere, für die "tapferen St. Galler Kantonspolizisten", die seine Sicherheit hätten gewährleisten müssen - obwohl sie doch "schon ihre gesamte Kampfkraft mit der Jagd nach einer aus dem Kinderzoo ausgerissenen Biberratte verpufft" hätten. Doch der russische Ministerpräsident blieb in Graubünden - beim Davoser Weltwirtschaftsforum - unter seinesgleichen. Und im Seestädtchen Rapperswil wurde ohne ihn Geschichte geschrieben. Keineswegs im Sinne Russlands.

Denn nicht der HK Metallurg aus dem Stahlzentrum Magnitogorsk im Südural hat die neue Champions Hockey League gewonnen, den nochmals aufgewerteten Titel als bester Eishockeyklub Europas. Nicht der hochofenhohe Favorit also - sondern der Außenseiter aus der Schweiz: der ZSC Lions aus Zürich, angeleitet vom ehemaligen Münchner Meistertrainer Sean Simpson, angefeuert von 6000 völlig euphorisierten Eidgenossen. Schon das 2:2 im Hinspiel war eine Überraschung gewesen, das Rückspiel wurde zur Demütigung: 5:0 stand es, als um 21.57 Uhr die Schlusssirene ertönte - der größte Erfolg einer Schweizer Eishockey-Vereinsmannschaft seit Erfindung des Eishockeys (um 1850) und der Schweiz (1291) war perfekt. Den Vorgängerwettbewerb namens Champions Cup hatten ausschließlich russische Mannschaften gewonnen.

"Dieser Erfolg ist für mich das Größte", jubelte Sean Simpson, "wir haben die Chance bekommen, Sportgeschichte zu schreiben - und haben es getan." Was auch deshalb erstaunlich ist, weil bei den Lions vor allem Schweizer auf dem Eis stehen, Männer die Blindenbacher, Schnyder und Grauwiler heißen, und die man nun auf der Rechnung haben muss, wenn im April die Eishockey-WM stattfindet. In der Schweiz. Im Herbst steht den Lions noch die Freude bevor, gegen ein amerikanisches NHL-Team um den Victoria Cup zu spielen. Dann aber nicht mehr in Rapperswil, sondern womöglich in ihrem eigenen Zürcher Hallenstadion. Das war am Mittwoch belegt gewesen. Mit einer Gala namens "Art on Ice". Claudio Catuogno

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Seine Nummer eins

Halbfinalist Roger Federer zeigt sich mit frischem Selbstvertrauen

Melbourne - Roger Federer hat inzwischen etwas von einem Elder statesman. Wenn er vom Tennisplatz kommt, lobt der 27-Jährige als erstes den Gegner. Anschließend folgt - zumindest bei den Australian Open - ein launiger Plausch mit Jim Courier, der die Zuschauer meist prächtig unterhält. Nach dem Duschen kommen dann Ausführungen zum Tennis früher, heute und überhaupt. So war es auch am Donnerstag nach dem Halbfinale gegen Andy Roddick. Federer hatte souverän gewonnen: 6:2, 7:5, 7:5. Also lobte er den Gegner ("Das Niveau war hoch"), er verriet Courier, dass er vier Handtücher in seiner großen Tasche davonschmuggle ("Ich habe schon so viele, dass ich im Hotel darunter schlafe"), und als er seine goldene Uhr ums Handgelenk gelegt hatte, reflektierte Federer über sich, Pete Sampras, Rod Laver und Ken Rosewall: "Wir werden nie genau wissen, wer der Beste überhaupt war."

An diesem Sonntag bietet sich Federer zumindest die Möglichkeit, den eigenen Status um eine Größe wachsen zu lassen. Zum 18. Mal in seiner Karriere steht er in einem Grand-Slam-Finale. Häufiger hat die letzte Runde der prestigeträchtigsten Turniere lediglich ein Profi erreicht: Ivan Lendl kommt auf 19 Endspiele - aber lediglich auf acht Titel. Die Kategorie der Grand-Slam-Triumphe führt Pete Sampras mit 14 an. Federer kann den Rekord nun einstellen. Sein Gegner wird an diesem Freitag von 9.30 Uhr deutscher Zeit an ermittelt. Es wird in jedem Fall ein Linkshänder aus Spanien sein. Entweder Rafael Nadal, die aktuelle Nummer eins der Weltrangliste, oder der 25 Jahre alte Fernando Verdasco, der bei einer großen Veranstaltung noch nie so weit gekommen ist. Gegen Nadal hat Federer 2008 in Wimbledon und bei den French Open im Finale verloren. Eine Revanche käme ihm deshalb recht.

In der Grand-Slam-Bilanz zwischen den beiden führt Nadal 5:2. Außer in London und in Paris haben sich die Wege der beiden aber noch nie gekreuzt. "Das wäre eine faszinierende Begegnung", sagt Federer über die Aussicht, Nadal gegenüberzutreten. Der fünf Jahre Jüngere dürfte das spätestens nach dem Videostudium des ersten Halbfinal-Spiels ähnlich sehen. Gegen Roddick zeigte Federer Beeindruckendes. Ihm glückten 16 Asse - doppelt so viele wie dem als Gewalt-Aufschläger berüchtigten Roddick. Der US-Amerikaner konnte einem Leid tun. Kein anderer Spieler musste sich Federer so oft geschlagen geben. 16 Mal zog Roddick gegen ihn schon den Kürzeren, dabei spielte er dieses Mal wirklich nicht schlecht. Aber was er auch versuchte: Federer hatte eine Antwort. Im ersten Satz glückten ihm zwei Breaks. Von da an kontrollierte er die Partie. Nach zwei Stunden war sie vorbei. 15 000 Augenzeugen applaudierten. Unter ihnen auch derjenige, nach dem die Bühne benannt ist: Rod Laver. "Ich wusste nicht, dass er da ist", gab Federer an: "Hoffentlich habe ich die Chance, mit ihm zu reden." Von Legende zu Legende sozusagen.

Bis auf das Fünfsatz-Match gegen Tomas Berdych im Achtelfinale ist Federer locker durch das Turnier marschiert, bei dem er 2008 vom Drüsenfieber geschwächt im Halbfinale Novak Djokovic unterlegen war. Die Krankheit hat er weit hinter sich gelassen. Was seine Ziele in diesem Jahr seien, ist er nach dem Finaleinzug gefragt worden. Geantwortet hat Federer ganz ruhig: "Ich will hier gut abschneiden, vielleicht zum ersten Mal in Paris gewinnen, meinen Wimbledon-Titel zurück und dann die US Open zum sechsten Mal gewinnen. Außerdem will ich einige Masters-Titel sammeln, um meine Nummer eins zurückzubekommen." Er hat wirklich "meine Nummer eins" gesagt.René Hofmann

Chancenlos (I): Andy Roddick streckt sich gegen Roger Federer. Foto: AFP

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Mit dem stillen Eifer eines Tüftlers

Dänemarks Handballer zerlegen gerne Favoriten - im WM-Halbfinale soll es Frankreich treffen

Zadar - Im Grunde ist es vollkommen überflüssig, die Halbfinals dieser Handball-WM auszuspielen, da sich sämtliche Experten darüber einig sind, dass Gastgeber Kroatien und Olympiasieger Frankreich sich locker durchsetzen und am Sonntag zum Traumfinale in Zagreb aufeinandertreffen. Die meisten dieser Experten gehen davon aus, dass Kroatien das Endspiel gewinnt. Zu den Ausnahmen gehört der deutsche Bundestrainer Heiner Brand, der auf die Frage, wer Weltmeister werde, eine Denkpause einlegte, über seinen Schnäuzer strich, die Denkpause ausdehnte, und schließlich brummte: "Frankreich." Wie er zu dieser Ansicht gelange? "Die sind einfach noch besser", beschied Brand, und in der Tat: Die Franzosen sind furchterregend gut besetzt, angeführt werden sie vom 24 Jahre alten Nikola Karabatic, der sagt: "Ich habe jedes Jahr einen großen Titel gewonnen. 2006 die EM, 2007 die Champions League mit Kiel, 2008 Olympia, und jetzt zählt der WM-Titel." Neben dem genialischen kroatischen Spielmacher Ivano Balic gilt er als bester Handballer der Welt.

Da aus Gründen der Vollständigkeit die Halbfinals an diesem Freitag allerdings doch ausgespielt werden, sehen sich die Franzosen noch einer kleinen Unwägbarkeit gegenüber, die den Namen Dänemark trägt und sich erlaubt hat, im vergangenen Jahr Europameister zu werden. Im Finale nahmen die Dänen die Kroaten mit dem stillen Eifer eines Tüftlers auseinander, der jedes alte Auto, dessen er angesichtig wird, umgehend zerlegen muss. Die Kroaten wussten gar nicht, wie ihnen geschah, sie standen dem Tempospiel der Dänen hilflos gegenüber, wieder und wieder wurden sie von den Außenspielern Lars Christiansen und Hans Lindberg überrannt, und was sie besonders überraschte: Die Dänen hielten das bis zum Ende durch. Sie werden jetzt nicht mehr nervös.

"Dieser Sieg hat uns einen Schub gegeben", erzählt Lars Christiansen vor dem Halbfinale gegen die Franzosen, "wir können jetzt auch den letzten Schritt über den Berg machen." Bewiesen hatte er das 2008 persönlich, als er im EM-Halbfinale gegen Deutschland in der letzten Aktion zum Siebenmeter antrat. Es stand unentschieden, und Christiansen war dafür bekannt, dass er Siebenmeter nach Belieben ins Tor setzte - nur nicht, wenn es um alles ging. Diesmal aber traf Christiansen, die Deutschen waren raus, die Dänen übern Berg. "Wir bleiben immer cool und spielen unser Spiel weiter", sagt Christiansen, "wir wissen, dass es sechzig Minuten dauert."

Zuvor waren die Dänen dafür bekannt, mit der Leidenschaft eines Insektensammlers dritte Plätze anzuhäufen, wobei ihnen ihre Fähigkeit zupass kam, in Halbfinals aufs Schönste zu scheitern. "Wir können jetzt das, was die Deutschen früher konnten", sagt Christiansen, "wir sind ruhig bis ganz zum Schluss und wissen, dass wir gewinnen werden. Das muss man sich erarbeiten." Die neue, junge Mannschaft der Deutschen muss sich diese Fähigkeit erst wieder aneignen; sie scheiterte bei ihrer Niederlage gegen die Dänen am Mittwoch in der Schlussphase nicht nur an den Schiedsrichtern, sondern auch an der Konsequenz des Gegners.

Neben den brillanten Außen Lindberg und Christiansen verfügen die Dänen über einen exzellenten Torwart. Kaspar Hvidt wirkt in seiner schwarzen Torwartmontur wie ein Mann, der eine Vorliebe für öffentliche Auftritte in übergroßen Schlafanzügen pflegt. Hinter dem harmlosen Äußeren verbirgt sich ein Muskelmann mit den biegsamen Gelenken einer Ballerina, der bisweilen Bälle in Schulterhöhe mit dem Fuß abwehrt. Sein Gegenüber an diesem Freitag, der Franzose Thierry Omeyer, gilt seiner Konstanz wegen als bester Torwart der Welt. An seinen wirklich guten Tagen ist Hvidt jedoch unvergleichlich.

Auch Kreisläufer Michael Knudsen gehört zu den Besten seines Fachs, bei der WM 2007 wurde er ins All-Star-Team gewählt. Um diese vier herum hat Trainer Ulrik Wilbek eine Mannschaft gebaut, die tatsächlich insofern an die deutsche Auswahl erinnert, als dass sie nur als Team funktioniert. Karabatic kann für die Franzosen ein Spiel mehr oder weniger allein entscheiden, "wir aber haben keine Stars", sagt Christiansen, "wir arbeiten immer als Kollektiv."

Seinen Spielern hat Trainer Wilbek immer wieder erklärt, dass sie die Besten sind, und es hat lange gedauert, bis sie ihm glaubten. Große Töne sind im Land verpönt; als das Team 2008 mit dem ausdrücklichen Ziel zur EM fuhr, Erster zu werden, sagte Wilbek: "Das ist nicht normal in Dänemark." Mittlerweile erscheint es allerdings normal, dass Christiansen trotz der vermeintlichen Übermacht der Franzosen sagt: "Es wird hart, aber wir wollen in dieses Finale." Es ist nicht wahrscheinlich, aber gut möglich, dass die Dänen alle Experten eines Besseren belehren, Heiner Brand eingeschlossen. Christian Zaschke

Der Däne Lars Christiansen Foto: dpa

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Ewig Zweite

Jelena Dementjewa scheitert auch bei ihrem 41. Versuch, ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen

Melbourne - Jelena Dementjewa ist eine beeindruckende Erscheinung. Nicht nur auf dem Tennisplatz. Vor ihrem Halbfinale gegen Serena Williams bei den Australian Open besuchte die 27-Jährige einen Streichelzoo. Bei der Gelegenheit tätschelte sie ein Kängurus. Dem Männchen hat das gefallen. Es sonderte umgehend eine deutliche Duftmarke Pheromone ab, wie Dementjewa an dem Geruch erkannte, der sie an "gewürzten Kaffee" erinnerte. Die Russin achtet auf die Wirkung, die sie macht. Nicht nur auf dem Tennisplatz. Sie ist die einzige Spielerin, die sich immer erst gewissenhaft die Haare föhnt und schminkt, bevor sie sich nach den Matches den Fragen der Presse stellt. Meist antwortet sie dann freundlich und milde. Meist. Die Tradition endete an diesem Donnerstag.

Als Dementjewa nach ihrem 3:6 und 4:6 gegen Serena Williams das kleine Theater betrat, in denen die Spieler in Melbourne über ihre Auftritte reden sollen, sah noch alles aus wie immer. Ihre Augen leuchteten, die langen Haare waren sauber zu einem Zopf gerafft. "Ohne das Dach", sagte Dementjewa, "hätten wir heute nicht überlebt." 44,3 Grad Außentemperatur - da kommen selbst Kängurus ins Schwitzen. Vielleicht war es die Hitze. Vielleicht war es die Enttäuschung. Auf jeden Fall überraschte Dementjewa gleich zu Beginn mit einer merkwürdigen Einschätzung: "Ich fand, es war ein gutes Match. Serena hat wirklich gut gespielt." Es klang harmlos, wie die Schilderung einer Begegnung im Kuschelzoo. Was umgehend kritische Fragen provozierte. Acht Doppelfehler, Frau Dementjewa, sind das nicht ein bisschen viele? Hat der große Druck Ihren Arm zittern lassen? War das Ihre schlechteste Leistung in diesem Jahr? Dementjewa war konsterniert. "Das war keine schlechte Leistung", insistierte sie. "Einen besonderen Druck habe ich nicht gespürt. Das war nicht das erste Turnier, vor dem ich zwei andere gewonnen hatte." Binnen weniger Sekunden stürzte die gefühlte Temperatur in dem kleinen Theater ins Frostige. Nach zehn Antworten war die Fragerunde vorbei. Dementjewa fliegt jetzt zum Fed Cup nach Moskau, in die Kälte. Vermutlich wird sie dort weit wärmer empfangen, als sie in Melbourne verabschiedet wurde.

Jelena Dementjewa ist ein gutes Beispiel dafür, was im Sport passiert, wenn jemand viel Talent mitbringt und viel erreicht, das ganz große Ziel aber doch immer wieder verfehlt. Erst wird er bestaunt und bewundert. Irgendwann kommt das Belächeltwerden dazu. Jelena Dementjewa ist eine großartige Tennisspielerin. Sie hat tolle Grundlinien-Schläge. Sie bewegt sich schnell und anmutig. Aber sie hat eine große Schwäche: Ihr Aufschlag ist ungefährlich und unzuverlässig. Würde sie den ersten Schlag besser beherrschen, hätte sie ihr ganz großes Ziel vermutlich schon erreicht. Im Jahr 2004 stand sie im Finale der French Open in Paris ihrer Landsfrau Anastasia Myschkina gegenüber. Sie verlor in zwei Sätzen. Das gleiche Resultat erlebte sie im gleichen Jahr bei den US Open gegen Swetlana Kusnezowa. Bei den Australian Open hätte sie nun zum dritten Mal in einem komplett russischen Finale auftreten können, denn im zweiten Halbfinale setzte sich Dinara Safina mit 6:3, 7:6 (4) gegen Wera Swonarewa durch.

Dementjewa spielt seit elf Jahren professionell Tennis. Diese Australian Open waren das 41. Grand-Slam-Turnier, an dem sie teilnahm. Mehr Anläufe für einen Grand-Slam-Titel hat bislang erst eine Grand-Slam-Siegerin gebraucht: Jana Novotna war 29, als sie in Wimbledon ihre erste große Trophäe bekam. Vier Jahre zuvor hatte sie sich dort nach einem verlorenen Finale gegen Steffi Graf weinend in die Arme der Herzogin gestürzt. "Die ewige Zweite" - so wurde Novotna genannt. Den Ruf hat auch Dementjewa. Im vergangenen Jahr hat sie bei den Olympischen Spielen in Peking Gold gewonnen. Die erste Frage, die sie nach dem Triumph gestellt bekam: "Frau Dementjewa, warum wechselt die Nummer eins im Frauentennis gerade so häufig?"

Natürlich ist es ungerecht, Jelena Dementjewa für all die Unzulänglichkeiten verantwortlich zu machen, die das Frauentennis zurzeit aufweist. Aber sie bietet eben viel Angriffsfläche: Seit fünf Jahren in der Weltspitze. Nie ganz oben. Dazu einen lächerlichen Aufschlag. Dagegen lässt sich schwer etwas setzen. In Melbourne hätte sich Jelena Dementjewa die Gelegenheit dazu geboten. Weil Jelena Jankovic früh ausgeschieden ist, geht es nicht nur um den Titel und viel Preisgeld. Bei den Frauen geht es auch darum, wer die Nummer eins der Rangliste wird. Dementjewa, die so oft schon die Nummer zwei war, hätte sich die Chance geboten aufzurücken. Ganz nach oben. Das wäre für sie eine Genugtuung gewesen. Williams hat sie ihr genommen. Nun können Safina oder sie die Nummer eins werden. Für die Amerikanerin wäre es das dritte Mal.René Hofmann

Chancenlos (II): Jelena Dementjewa, am Donnerstag von Serena Williams bezwungen, wartet weiter auf ihren ersten Grand-Slam-Titel. Foto: AP

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DFB-Pokal, Achtelfinale

Borussia Dortmund - Werder Bremen 1:2 (1:0)

BVBorussia Dortmund: Weidenfeller - Lee, Santana, Subotic, Schmelzer - Tinga (87. Öztekin) - Boateng, Kringe - Hajnal (66. Sahin) - Frei, Zidan (76. Valdez). - Trainer: Klopp.

SV Werder Bremen: Wiese - Fritz, Mertesacker, Pasanen, Tosic - Frings - Tziolis, Özil - Diego - Pizarro (90.+2 Niemeyer), Almeida. - Trainer: Schaaf.

Tore: 1:0 Frei (11.), 1:1 Almeida (62.), 1:2 Pizarro (80.). - Referee: Gräfe (Berlin). - Gelbe Karten: Boateng, Tinga, Frei - Pasanen, Diego. - Zuschauer: 74 000.

Bayer Leverkusen - Energie Cottbus 3:1 (3:0)

TSV Bayer 04 Leverkusen: Adler - Castro, Friedrich, Sinkiewicz, Kadlec - Rolfes - Renato Augusto, Vidal, Barnetta (66. Schwegler) - Helmes (66. Gekas), Kießling (77. Sukuta-Pasu). - Trainer: Labbadia.

Energie Cottbus: Tremmel - Pavicevic, Radeljic, Cvitanovic, Ziebig - Rajnoch, Rost - Sörensen (66. Jula), Skela, Iliev (54. Angelov) - Rangelov (80. Jelic) . - Trainer: Prasnikar.

Tore: 1:0 Helmes (12.), 2:0 Kadlec (29.), 3:0 Renato Augusto (43.), 3:1 Skela (90.+1). - Schiedsrichter: Stark (Ergolding). - Gelbe Karten: Friedrich, Sinkiewicz - Rajnoch, Ziebig. - Zuschauer (in Düsseldorf): 16 000.

VfL Wolfsburg - Hansa Rostock 5:1 (0:0)

VfL Wolfsburg: Benaglio - Riether, Simunek, Barzagli, Schäfer - Josue - Zaccardo (46. Gentner), Hasebe (46. Dejagah) - Misimovic - Okubo (84. Pekarik), Grafite. - Trainer: Magath.

Hansa Rostock: Hahnel - Bülow, Gledson (57.Lukimya), Diego Morais, Oczipka - Retov, Svärd (69. Kroos) - Schindler, Lisztes, Fillinger - Dorn (80.Kern). - Trainer: Eilts.

Tore: 1:0 Grafite (58.), 2:0 Bülow (65., Eigentor), 2:1 Fillinger (68.), 3:1 Gentner (79.), 4:1 Grafite (86., Handelfmeter), 5:1 Grafite (90.). - Schiedsrichter: Drees (Münster). - Gelbe Karten: Dorn, Diego Morais. - Zuschauer: 12 546.

Karlsruher SC - SV Wehen Wiesbaden 0:1 (0:0)

Karlsruher SC: Miller - Celozzi, Sebastian, Buck, Carnell (79. Görlitz) - Mutzel, Engelhardt (71. Stindl) - Timm, Federico, da Silva - Kennedy (71. Freis). - Trainer: Becker.

SV Wehen Wiesbaden: Walke - Simac, Kopilas, Glibo, Schönheim - Siegert (70. Ziegenbein), Panandetiguiri, Schwarz, Orahovac (88. Hübner) - Ziemer (82. Diakite), König. - Trainer: Frank.

Tore: 0:1 König (73.). - Schiedsrichter: Kircher (Rottenburg). - Gelbe Karte: Schwarz. - Zuschauer: 13 686.

VfB Stuttgart - FC Bayern München 1:5 (0:3)

Hamburger SV - TSV 1860 München 3:1 (1:0)

Carl Zeiss Jena - FC Schalke 04 1:4 (0:1)

SC Freiburg - FSV Mainz 05 1:3 (0:0)

Weitere Termine

Viertelfinale (Auslosung am Sonntag in der ARD-

Sportschau): 3./4. März. - Halbfinale: 21./22. April. Endspiel am 30. Mai in Berlin.

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Geldstrafe für den VfB-Torwart

Lehmann bereut

Stuttgart (dpa) - Torwart Jens Lehmann wird für seine heftige Kritik an Mitspielern und Trainern des VfB Stuttgart nach der Pokal-Pleite gegen Bayern München intern zur Kasse gebeten. "Er bekommt eine Geldstrafe", erklärte ein Sprecher des Bundesligisten. Eine Summe nannte er nicht. "Jens hat sich bei mir und den Kollegen entschuldigt", sagte Teamchef Markus Babbel, "er hat betont, dass die Kritik nicht auf das Trainerteam bezogen war." Nach dem 1:5 gegen die Bayern hatte Lehmann, 39, die Qualität der Wintervorbereitung in Zweifel gezogen: "Man muss sich die Frage stellen, warum Bayern schnell, spritzig und präsent auf dem Platz war und wir so gar nicht." Diese Aussagen waren als indirekte Kritik an Babbel verstanden worden. "Wir haben seine Entschuldigung akzeptiert, damit ist der Fall erledigt", sagte Babbel.

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FC Bayern vor Topspiel beim HSV

Ribéry, der freche Wohltäter

München - Jürgen Klinsmann hielt eine halbleere Flasche Bio-Apfelschorle in der Hand. Von Champagner-Laune wollte der Trainer des FC Bayern nichts mehr wissen, 40 Stunden nach der Pokalgala in Stuttgart (5:1), die - je nach Neigung des Betrachters - Begeisterung oder Furcht vor Langeweile auslöste. Fieberhaft wurde im Land debattiert, ob überhaupt noch irgendwer irgendwie irgendwann in dieser Saison jenes "schwarze Ballett" (Bild) aus München in seinen edlen dunklen Auswärtsdressen stoppen könne. Doch die 6,0 in der B-Note vom Pokalsieg zählt nichts mehr, wenn am Freitagabend TV-Anstalten in 170 Ländern den Bundesliga-Rückrundenstart der Bayern beim Hamburger SV übertragen: "Das wird eine heiße Kiste", warnte Klinsmann, "wir wissen, was passieren kann, wenn wir dort verlieren." Der HSV wäre Tabellenführer.

Verhindern soll dies die neue Münchner Mixtur aus Kunst und Kampf. Flotter Angriffswirbel beginnt beim aggressiven Diebstahl des Spielgeräts - dies war zuletzt die zentrale Lektion: "Wir haben in Stuttgart gesehen, was es bringt, wenn wir uns nicht weit fallen lassen, sondern vorne pressen", erläuterte Klinsmann das Projekt Vorwärtsverteidigung. Personell ändert er in Hamburg wohl nichts. Auf der rechten Seite, die zur linken in der Vorrunde abfiel, wirbelte Bastian Schweinsteiger im Pokal so alert, dass es Herausforderer Hamit Altintop "schwer hat, vorbeizukommen", sagt Klinsmann. Hinten rechts vertraut er Christian Lell, der den gesperrten Massimo Oddo ersetzt.

Keine Frist für van Bommel

Elfmeter dürfte auch in Hamburg Filou Franck Ribéry schießen - "aber anders", befahl Klinsmann grinsend, bloß nicht: gelupft! Die provokante Strafstoß-Nummer des Franzosen gegen VfB-Torwart Jens Lehmann war indes nicht das einzige Aufregerthema. In der Heimatzeitung L'Équipe wiederholte Ribéry seine Forderung, Bayern möge sich prominent verstärken, um "auch in der Champions League das notwendige Niveau zu haben". Den Klubbossen gefallen derlei Kaufempfehlungen wenig, Ribery sagt: "Wenn ich einige Namen lanciere, die uns weiterbringen könnten, ist das zum Wohle des Vereins." In eigener Sache sagte Ribéry, der Vertrag hat bis 2011: "Es wird viel über meine Zukunft geredet. Viele Clubs haben Interesse geäußert und von riesigen Summen Geld war die Rede. Ich versuche, mich davon nicht beeinflussen zu lassen."

Klinsmann reagierte gelassen: "Franck weiß, dass wir vieles in die Wege leiten." Neben HSV-Stürmer Ivica Olic, der das Duell mit seinem neuen Arbeitgeber gesperrt verpasst, plant Bayern weitere kraftvolle Transfers. Bleiben sollen die Routiniers Zé Roberto und Mark van Bommel. Zé kündigte für "Mitte Februar" Gespräche an. Bei Kapitän van Bommel, der mit dem neuen Ein-Jahres-Angebot unzufrieden ist und auch bei HSV-Trainer Martin Jol auf dem Zettel stehen soll, wird die Entscheidungsfrist 31. Januar wohl überzogen: "Es gibt keine Deadline", sagte Klinsmann, "wenn Mark noch ein, zwei Wochen braucht, kein Problem!" mok

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Abschied als Fortschritt

Marcell Jansen hat den Wechsel vom FC Bayern zum HSV nicht bereuen müssen

Hamburg - Gerd vom Bruch, 67, ist ein einfacher Mann. Einmal hat er eine Bundesligamannschaft trainiert. Das war zwischen 1989 und 1991 Borussia Mönchengladbach. Später ist er Spielerberater geworden. Und womöglich kann der frühere Handwerker den Profis durchaus etwas mitgeben, was sich als Lebensweisheit bezeichnen ließe. Seinem Klienten Marcell Jansen, 23, etwa hat er im vergangenen August gesagt: Wenn du das Gefühl hast, dass dein jetziger Klub dich nicht zu hundert Prozent braucht, dich aber jemand anders unbedingt will, dann zögere nicht, einen Schlussstrich zu ziehen und etwas Neues anzufangen.

Also hat der Nationalspieler Jansen eine Unterredung mit dem neuen Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann gesucht, um auszuloten, zu wie viel Prozent dieser hinter ihm stehe. "Ein nettes, gutes Gespräch", sagt Jansen. Aber in diesem Moment wusste er, dass der Coach andere Vorstellungen hatte. Die Idee etwa, Philipp Lahm vom linken auf den rechten Außenverteidigerposten zu versetzen, um Platz für Linksfuß Jansen zu schaffen, kam in Klinsmanns Gedankenwelt nicht vor. Der noch drei Jahre laufende Vertrag war für den Profi plötzlich soviel wert wie ein gesperrtes Bankkonto.

Innerhalb weniger Stunden stand für ihn fest: Ich gehe. Und zwar zum Hamburger SV, wo in Dietmar Beiersdorfer nicht nur ein Sportchef war, der schon im Jahr 2006 die HSV-Rekordsumme von zehn Millionen Euro für den gebürtigen Gladbacher ausgeben wollte, sondern in Martin Jol auch ein Trainer, der schon lange für ihn schwärmte. Berater vom Bruch hatte den Kontakt zu Beiersdorfer nie abreißen lassen und wusste natürlich, dass die Hamburger nach den Verkäufen von Rafael van der Vaart und Vincent Kompany genug Geld hatten.

Marcell Jansen sagt, er empfinde den Wechsel nach dem "schönen Jahr" in München mit dem Gewinn des Doubles "nicht als Rückschritt". Er freue sich zwar, die "Betreuer und Physios" und natürlich auch seinen Playstation-Kumpel Bastian Schweinsteiger zum Rückrundenstart an diesem Freitag in Hamburg wiederzusehen. Doch für seine Entwicklung sei der HSV genau so gut: "Weil er eine Philosophie hat und Luft nach oben." Im Prinzip passe das gut, denn Klub und Spieler hätten genau die gleichen Ziele, nämlich zum Beispiel das Erreichen der Champions League.

Marcell Jansen redet gern. Ob nach schlechten Spielen wie jenem 1:2 mit der Nationalelf gegen Kroatien bei der EM 2008, wo er das 0:1 mit verschuldete; oder nach den neuerdings immer besseren Auftritten für den HSV. Seit zehn Tagen kommt er aus dem Plaudern gar nicht mehr heraus, weil alle etwas über sein erstes Duell mit dem FC Bayern wissen wollen. Viele wollen auch erfahren, ob er jungen Spielern wie dem Gladbacher Alexander Baumjohann raten würde, zum FC Bayern zu gehen. "Soll ich dem Alex sagen, geh' nicht?" Vielleicht passiere ja das Unerwartete, und er setze sich tatsächlich dort durch.

Manchmal sitzt Marcell Jansen zum Interview in der Kneipe "Raute", von der er auf den neu verlegten Hamburger Stadionrasen blicken kann. Dass er einer der begehrtesten deutschen Profis ist, sieht man eigentlich nur an seiner Armbanduhr. Die ist derart mächtig wie bei den meisten Fußballern. Ansonsten sagt er gern Sätze wie: "Sei einfach, dann bist du etwas Besonderes." Oder: "Ich bin niemand, der sich über Materielles definiert." Ansichten, die ihn als netten, unkomplizierten Jungen ausweisen.

Auch Martin Jol scheint ihn so zu sehen: "Marcell", sagt der Trainer, "macht uns sehr viel Freude. Er wird immer fitter und hat riesiges Talent." Offenbar haben sich da zwei gefunden. Denn das, was Jansen über den Coach sagt, ist mehr als man normalerweise über einen Vorgesetzten sagt. Jol sei "ein besonderer Typ". Der habe "nicht nur eine gute Menschenkenntnis, sondern ist auch clever und lässt sich nicht blenden". Vor allem aber gucke er stets, was am besten zur Mannschaft passe. Und das bedeutet für Jansen derzeit, dass er nicht mehr linker Verteidiger spielt, sondern im Mittelfeld, weil dahinter Dennis Aogo sich einen Platz erkämpft hat. Jansen hat es als Lehrstück begriffen, das ihn fußballerisch weiterbringt. Er arbeite jetzt erstmal für die Mannschaft und er wisse aus eigener Erfahrung, was Aogo brauche: "Einen Mann vor ihm, der auch im Defensiv-Verband arbeitet."

Anders als Lukas Podolski, der seine alte Heimat Köln der HSV-Offerte vorzog, möchte Jansen nicht so schnell heimkehren. "Lukas ist fast drei Jahre in München, ich bin erst ein Jahr weg", sagt der Rheinländer, "das hätte meinen menschlichen Reifeprozess unterbrochen." Ein Haus hat er in Mönchengladbach dennoch gebaut. Auch für seine Eltern, bei denen er sich "für meine glückliche Kindheit" bedanken wollte. Jörg Marwedel

Keine Angst mehr vor großen Namen: Marcell Jansen (links, im Zweikampf mit Mailands Brasilianer Ronaldinho) hat eine schwere Eingewöhnungszeit in Hamburg hinter sich - inzwischen aber einen Stammplatz. Foto: Getty

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Tore zu!

Von Klaus Hoeltzenbein

Gerald Asamoah sagt, er sei beim Pokalspiel der Schalker in Jena rassistisch beleidigt worden. Auf dem Platz und auf dem Weg zum Bus seien wieder jene Affenlaute zu hören gewesen, die den gebürtigen Ghanaer schon häufiger tief in seiner Seele verletzt haben. Bei Hertha BSC suchen sie in ihrem Gefolge gerade nach einigen Chaoten, die bei einem Testspiel der Berliner gegen den senegalesischen Stürmer von Babelsberg 03, Babacar N'Diaye, pöbelten. Hertha hatte sich am Mittwoch in einem Brief beim Regionalligisten entschuldigt und will gegen den Rädelsführer die maximale Vereinsstrafe verhängen, ein dreijähriges Stadionverbot. Und wenige Tage ist es erst her, dass Tennis Borussia Berlin, ein Verein mit jüdischen Wurzeln, darüber Klage führte, beim Hallenturnier der Berliner Regional- und Oberligisten aus dem Fanblock des 1. FC Union antisemitisch beleidigt worden zu sein.

Gerald Asamoah kennt den Zwiespalt, der sich ergibt, wenn er auf solche Pöbeleien hinweist. Einerseits wolle er das Thema nicht zu hoch hängen, "um diesen Leuten keine Öffentlichkeit zu bieten", andererseits "tut es natürlich immer wieder weh". Gerade deshalb ist es wichtig, dass Asamoah seinen Schmerz in Worte fasst, dass er erzählt, wenn er sich verletzt fühlt. Denn nur über die öffentliche Klage wird diese Debatte präziser, erzählt der deutsche Nationalspieler doch auch, wie oft er in der Bundesliga schon bei Energie Cottbus zu Gast war, ohne dass er dort Beleidigendes zu hören bekam. Was auch eine wichtige Botschaft ist, wurden doch die jüngsten Auswüchse wieder aus Berlin und aus dem Osten gemeldet, wo der Fußball in den mittleren und unteren Spielklassen häufiger als anderswo als Vehikel für rassistische und/oder gewaltsame Aktionen benutzt wird.

Natürlich sind im Westen ähnliche Vorkommnisse aktenkundig, Gründe gibt es jedenfalls genug, um nun die 36 Erst- und Zweitligisten geschlossen hinter der Aktion "Tag gegen das Vergessen" zu versammeln. Zum fünften Mal nimmt der deutsche Profifußball zum Rückrundenstart am Wochende teil an jenem Gedenktag (27. Januar), der an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz 1945 erinnert. Dieser Tag sollte der Fußballgemeinde mehr sein als ein Pflichttermin für symbolische Gesten. Er sollte ihr Mut machen, couragiert all die kleinen Tore zu schließen, durch die der Geist von gestern ins Stadion weht. Auch, damit sich dort kein Sturm entwickeln kann.

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Fans verletzen Ordner

Aufruhr beim KSC nach dem 0:1 im Pokal gegen Wehen

Karlsruhe (sid) - Das Wildparkstadion glich einem Pulverfass. Vor dem Spielerausgang gingen die Fans auf die Barrikaden und forderten eine Stellungnahme der "Versager", im Presseraum redeten Manager Rolf Dohmen und Trainer Edmund Becker Klartext. Nach dem peinlichen 0:1 (0:0) im Achtelfinale des DFB-Pokals gegen den Zweitliga-Vorletzten SV Wehen Wiesbaden fürchten Verantwortliche und Anhänger des Karlsruher SC vor dem Rückrundenstart in der Fußball-Bundesliga am Sonntag beim VfL Bochum den erneuten Absturz in die Zweitklassigkeit. "Das war eine Null-Leistung statt ein Neustart. Statt mit breiter Brust fahren wir jetzt mit einer Hühnerbrust nach Bochum", erzürnte sich Dohmen und redete sich in Rage: "Ich bin maßlos sauer. Das war katastrophal, das war unter aller Sau."

Auch Becker fand deutliche Wort. "Da war keine Leidenschaft, keine Aggressivität, keine spielerische Linie", klagte der KSC-Coach: "Die Spieler verdienen richtig Kohle und haben nichts zurückgezahlt, damit der Verein durch Zusatzeinnahmen auf besseren Füßen steht." Helfen soll nun Zugang Dino Drpic vom kroatischen Meister Dinamo Zagreb. Angesichts des Ausfalls von Kapitän Maik Franz, der am Donnerstag an der Ferse operiert wurde, soll Drpic für Stabilität in der Abwehr sorgen.

Vor der Geschäftsstelle war die Stimmung so aufgeheizt, dass ein Ordner von Fans schwer verletzt wurde. Der Mann musste mit einer stark blutenden Platzwunde am Kopf und einem Schock in ein Krankenhaus eingeliefert werden, nachdem er von Anhängern überrannt und von einem Verkehrsleitkegel am Kopf getroffen worden war. Zu dem Vorfall war es gekommen, als dreißig KSC-Fans nach Schlusspfiff versuchten, sich Zugang zur Geschäftsstelle des Erstligisten im Wildparkstadion zu verschaffen. Die Polizei nahm vorübergehend sieben Personen fest. Die Ermittlungen dauern an.

Während die KSC-Profis ein Spießrutenlaufen über sich ergehen lassen mussten, ließen sich die Wehener Spieler nach dem größten Erfolg der Klubgeschichte von den Fans feiern, allen voran Torschütze Ronny König (73.) und Torhüter Alexander Walke, der zum Schluss mit einer glänzenden Parade gegen Sebastian Freis den Sieg festhielt. "Wichtig ist, dass wir den Schwung mitnehmen für die Rückrunde und die Klasse halten", sagte Trainer Wolfgang Frank nach seinem gelungenen Einstand.

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Bundesliga

Hamburger SV - FC Bayern München Fr. 20.30

Hannover 96 - FC Schalke 04 Sa. 15.30

1. FC Köln - VfL Wolfsburg Sa. 15.30

Bor. Dortmund - Bayer Leverkusen Sa. 15.30

Hertha BSC - Eintracht Frankfurt Sa. 15.30

1899 Hoffenheim - Energie Cottbus Sa. 15.30

Werder Bremen - Arminia Bielefeld Sa. 15.30

VfL Bochum - Karlsruher SC So. 17.00

VfB Stuttgart - Borussia M'gladbach So. 17.00

1 (1) 1899 Hoffenheim 17 11 2 4 42:23 35
2 (2) Bayern München 17 10 5 2 39:24 35
3 (4) Hertha BSC 17 10 3 4 27:20 33
4 (5) Hamburger SV 17 10 3 4 26:24 33
5 (3) B. Leverkusen 17 10 2 5 36:21
32 6 (8) Bor. Dortmund 17 7 8 2
27:19 29 7 (7) FC Schalke 04 17 7 6 4
24:16 27 8 (10) Werder Bremen 17 7 5 5
39:28 26 9 (6) VfL Wolfsburg 17 7 5 5
35:25 26 10 (9) VfB Stuttgart 17 7 4 6
26:23 25 11 (12) 1. FC Köln 17 7 1 9
19:25 22 12 (11) Ein. Frankfurt 17 5 4
8 23:29 19 13 (13) Hannover 96 17 4 5
8 20:32 17 14 (14) Arm. Bielefeld 17 2
8 7 15:27 14 15 (15) Karlsruher SC 17 4
1 12 15:32 13 16 (16) Energie Cottbus 17 3
4 10 12:29 13 17 (17) VfL Bochum 17 1
8 8 19:30 11 18 (18) Bor. M'gladbach 17
3 2 12 18:35 11

19. Spieltag; Freitag, 6.2., 20.30 Uhr: Bielefeld - Hertha; Samstag, 7.2., 15.30 Uhr: Schalke 04 - Bremen, Karlsruhe - Hamburg, Wolfsburg - Bochum, Leverkusen - Stuttgart, Gladbach - Hoffenheim, Frankfurt - Köln; Sonntag, 8.2., 17 Uhr: Cottbus - Hannover 96, Bayern München - Borussia Dortmund.

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Devisen und Rohstoffe: Metall-Preise brechen ein

Der Euro hat sich am Donnerstag knapp oberhalb der Marke von 1,31 Dollar gehalten. Die Gemeinschaftswährung notierte um 16 Uhr bei 1,3105 Dollar, nach 1,3144 Dollar am Vortag. Am Mittwochabend hatte der Euro nach der Zinsentscheidung der US-Notenbank (Fed) kräftig um rund zwei Cent nachgegeben. Wie erwartet, hatte die US-Notenbank den Leitzins unverändert in einer Spanne von Null bis 0,25 Prozent belassen. Im Anschluss an die Fed-Zinssitzung hatten die amerikanischen Notenbanker jedoch erklärt, zur Stützung der Kreditmärkte notfalls US-Staatsanleihen zu kaufen. Dies sorgte für Verluste beim Euro, da "die US-Notenbank erkennen lässt, dass sie im Vergleich zur EZB entschiedener gegen die Finanzkrise vorgehen will", sagten Analysten.

Steigende Lagerbestände haben bei vielen Anlegern die Furcht vor einer anhaltenden Nachfrageschwäche nach Rohöl und Basismetallen geschürt. Die richtungsweisende US-Ölsorte WTI verbilligte sich um 2,8 Prozent auf 40,98 Dollar je Barrel (159 Liter). Bei den Basismetallen gab der Preis für Kupfer um 5,3 Prozent auf 3145 Dollar je Tonne nach. "Der Anstieg der Kupfer-Lagerbestände ist einer der größten seit langer Zeit", sagte David Wilson, Analyst der Société Générale. Eine Feinunze Gold kostete zum Londoner Nachmittagsfixing 892,25 (895,25) Dollar. SZ/Reuters/dpa

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Deutsche Börse: Dax rutscht wieder ab

Die deutschen Aktienindizes sind am Donnerstag nach dem vorherigen Kursanstieg wieder abgerutscht. Börsianern zufolge fehlten dem Markt neue Impulse, und entsprechend blieben Anschlusskäufe aus. Der Dax stand am Nachmittag 2,7 Prozent tiefer bei 4396 Punkten. Auch der MDax fiel um 2,6 Prozent auf 5043 Punkte, und der TecDax verlor 3,4 Prozent auf 478 Punkte.

Bankentitel litten Händlern zufolge besonders unter Gewinnmitnahmen. Deutsche-Bank-Aktien fielen am Dax-Ende um 7,4 Prozent auf 20,51 Euro. Am Vortag hatten die Aktien der Deutschen Bank, der Commerzbank und der Postbank prozentual zweistellig zugelegt, weil die Fantasie von der Einrichtung einer "Bad Bank" in den USA die Händler beflügelt hatte.

Auch Autowerte zählten zu den Verlierern. Daimler-Papiere rutschten um 5,7 Prozent auf 22,15 Euro ab und Volkswagen verlor 5,9 Prozent auf 252,15 Euro. Zahlen des notleidenden US-Autobauers Ford, der wegen der weltweiten Branchenkrise immer tiefer in die roten Zahlen stürzt, belasteten. Im TecDax brachen Wirecard-Aktien ein und verloren 11,2 Prozent auf 4,29 Euro. Börsianer hatten die Bilanzvorlage des Zahlungsabwicklers am Morgen noch leicht positiv bewertet. Am Rentenmarkt notierte der Bund-Future bei 122,96 (Vortag: 123,06) Prozent.

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Weltbörsen: Wall Street im Minus

Die US-Aktienmärkte sind angesichts schlechter Konjunkturdaten und einer Vielzahl negativ ausgefallener Unternehmensbilanzen mit Verlusten gestartet. Der Dow Jones lag in der ersten halben Handelsstunde 1,7 Prozent im Minus bei 8270 Punkten. Der breiter gefasste S&P-500 fiel um 2,3 Prozent auf 854 Zähler. Der Nasdaq Composite gab 2,1 Prozent auf 1526 Punkte ab. Die Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe sind nach Regierungsangaben in der vergangenen Woche auf 588 000 gestiegen. Auch die Entwicklung beim Auftragseingang für langlebige Güter sank den fünften Monat in Folge und verdeutlichte die tiefe Rezession der US-Wirtschaft. Auf der Unternehmensseite belastete der Milliardenverlust beim Autokonzern Ford den Markt. Nach Bekanntgabe eines Nettoverlustes von etwa 5,9 Milliarden Dollar im vierten Quartal fielen die Aktien des Autoherstellers Ford um 2,5 Prozent.

Die europäischen Aktienmärkte präsentierten sich schwach. Der Euro Stoxx 50 fiel um 2,1 Prozent auf 2275 Punkte. In London gab der FTSE 100 um 2,8 Prozent auf 4175 Punkte nach. Dort brachen Titel der Beteiligungsgesellschaft 3i Group um 17 Prozent ein und markierten zwischenzeitlich beim Stand von 183,105 Pence ein neues Rekordtief. Händler verwiesen auf die Meldung vom Vortag, dass der Wert der Vermögenswerte im vorigen Quartal eingebrochen ist.

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Merkel, Steinbrück & Co., Privatbankiers

Ökonomen streiten heftig darüber, ob und wie Finanzinstitute verstaatlicht werden sollen

Von Catherine Hoffmann

München - Kaum eine Woche vergeht ohne neue Rettungsmaßnahmen für Finanzhäuser, Milliarden-Dollar-Verluste und abstürzende Aktienkurse. Die Banken sitzen auf Bergen von verdorbenen Papieren und gammeligen Kreditforderungen, von denen viele wohl auf der Müllkippe landen werden. Sinkt der Wert der Papiere, sind die Banken zu Abschreibungen gezwungen, die Verluste schnellen in die Höhe. Die Finanzkrise trifft die großen Privatbanken mit voller Wucht: Die Deutsche Bank enttäuschte mit einem Quartalsverlust von 4,8 Milliarden Euro, bei der amerikanischen Citigroup waren es 8,3 Milliarden Dollar, und in Großbritannien schockierte die Royal Bank of Scotland (RBS) mit einem Jahresverlust von 28 Milliarden Pfund - dem größten der britischen Firmenhistorie.

Es wird immer deutlicher: Die bisherigen Nothilfen haben die Abwärtsspirale nicht gestoppt, es wird sogar noch schlimmer. Wären Banken eine ganz gewöhnliche, profitorientierte Industrie, die allein den Gesetzen des Marktes gehorcht, müsste man zur Not auch Bankenpleiten zulassen. Weil das aber völlig inakzeptabel ist, bleibt den Politikern nur die Frage, welches die nächste Rettungsmaßnahme ist. Soll der Staat die Banken weiter mit Kapital versorgen? Soll er ihnen riskante Wertpapiere abkaufen und in eine Bad Bank auslagern? Oder soll er die Institute gleich verstaatlichen? Was vor 18 Monaten noch unvorstellbar war, ist heute Realität: Die RBS gehört zu 70 Prozent der britischen Regierung, der amerikanische Versicherer AIG ist zu 80 Prozent in Staatshand, Deutschland besitzt 25 Prozent an der Commerzbank. Und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück schließt nicht aus, die Eigentümer der Hypo Real Estate (HRE ) zu enteignen, um die Bank komplett verstaatlichen zu können.

Pro: Vertrauen kehrt zurück

Das Argument der Retter: Nach Lehman kann sich die Welt eine weitere Bankenpleite nicht leisten. Der Einsturz der Geldhäuser müsse um jeden Preis verhindert werden, weil sonst die Wirtschaft zusammenbricht. Aus diesem Grund haben alle Banken, ob öffentlich oder privat, eine Art Garantie des Staates. Diese Staatsgarantie ist nicht explizit - und doch bewahrt sie die Unternehmen vor dem Untergang. Genau hierin liegt auch das Problem: Die Banken nutzen diese Garantie aus. Sie gehen bedenkenlos hohe Risiken ein. Deshalb war die Branche jahrelang so profitabel, darum haben ihre Manager so viele Millionen verdient.

Aber die Banker haben es übertrieben und dabei ihren Auftrag aus den Augen verloren: Banken sind zuerst und vor allem ein Versorgungsbetrieb. Nur stellen Kreditinstitute eben nicht Strom, Schulunterricht oder Eisenbahnfahrten bereit, sondern Kapital für die Investoren und einen sicheren Hafen für das Geld der Sparer. Deshalb sind die Banken so wichtig für die Wirtschaft, deshalb werden sie so streng reguliert, wenn auch nicht streng genug, wie die Krise zeigt. Nun muss der Staat helfen, denn eine Bank ist kein normales Unternehmen wie jedes andere. Deshalb ist die Vergesellschaftung von Banken auch kein Tabu.

Noch schrecken viele Politiker, Aufseher und Notenbanker vor dem letzten Schritt zurück. Doch einige Ökonomen halten ihn für die einzige konsequente Lösung der Finanzkrise. Der Kapitalbedarf sei so groß, dass die völlige Verstaatlichung des Finanzsektors geboten sei. Selbst der frühere Chef der Deutschen Bank, Hilmar Kopper, forderte in einem Interview mit der Zeit schon vor Monaten: "Man sollte angeschlagenen Banken keine Garantien geben, sondern sie verstaatlichen. Der Staat übernimmt die Institute, rekapitalisiert sie und kann sie danach wieder privatisieren."

Für eine solche Lösung hegen auch eine Reihe renommierter Volkswirte wie Willem Buiter, Nouriel Roubini und Paul Krugman Sympathie. Ihr Argument: Wenn der Staat nur die faulen Kredite aufkauft, ist das nichts anderes als eine enorme Subvention für die Banken. Der Staat gibt hunderte von Milliarden Euro und Dollar aus, ein gewaltiges Geschenk für die Aktionäre, und ermuntert die Bankmanager damit, künftig genauso riskant und unvernünftig zu arbeiten wie in der Vergangenheit. Da solle er besser gleich die Banken kaufen - und zwar zwangsweise und ohne Ausnahme -, die Aktionäre enteignen, die Banken reparieren und anschließend zu Geld machen. Devise: Geld gegen Aktien. Das sei teuer, aber nicht unbezahlbar. Nach groben Schätzungen würde eine solche Lösung den Steuerzahler am Ende zwischen zehn und 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts kosten. So könne der Staat wenigstens durchregieren, das bestehende Management feuern, Gehälter stutzen, riskante Positionen abbauen und allzu gewagte neue Geschäfte unterbinden.

Verstaatlichung sei der einfachste Weg, die Bilanzen zu säubern. Der Staat könne alle zweifelhaften Wertpapiere und Kreditforderungen der verstaatlichten Banken in eine neue Bad Bank transferieren. Der Aufkauf der faulen Papiere durch die Bad Bank würde durch einen staatlichen Kredit finanziert. Der Staat als einziger Eigentümer der schlechten Bank, kann die Papiere dann ganz nach Wunsch und Möglichkeit verwerten, er arbeitet praktisch wie ein Hedgefonds.

Der Vorteil: Die neuen Banken im öffentlichen Eigentum sind sauber. Sie können, nachdem sie mit genug frischem Kapital versorgt wurden, ihre Aufgabe, Kredite zu vergeben und Spareinlagen sicher zu verwahren, wieder erfüllen. Und später, wenn die Krise endlich ausgestanden ist, kann der Staat seine Banken wieder privatisieren und unter neuen, besseren Regeln arbeiten lassen. Die Steuerzahler würden also nicht nur (wie bislang) die schlechten Risiken tragen, sie (und nicht Aktionäre) würden von allen Chancen profitieren, die eine Gesundung von Banken und Wirtschaft mit sich bringt. Stärkstes Argument der Befürworter: Nur eine Verstaatlichung gibt den maroden Banken ihre Kreditwürdigkeit zurück. Wenn einer in diesen Tagen noch als sicher gilt, dann doch der Staat.

Contra: Mauschelei droht

Trotz der prominenten Befürworter, überwiegt die Skepsis gegenüber einer Verstaatlichung. Ordnungspolitisch gilt sie schlicht als Unding. Eine Marktwirtschaft kann nur funktionieren, wenn man auch marktwirtschaftliche Regeln zulässt. Das bedeutet, dass Unternehmer die Früchte ihrer Arbeit ernten dürfen, die Verluste ihrer Fehlentscheidungen aber tragen müssen. Das System wird in dem Moment ausgehebelt, in dem sich der Manager aus der Verantwortung stehlen kann. Und das ist bereits mit den staatlichen Garantien, Kapitalspritzen und Rettungsschirmen geschehen. Bestraft werden dagegen jene Banken, die das Richtige getan und vorsichtig operiert haben. Sie müssen jetzt ohne staatliche Subventionen klarkommen - und haben im Wettbewerb das Nachsehen. Aber ein Sündenfall - das erste staatliche Rettungspaket - rechtfertigt ja nicht den nächsten, die Verstaatlichung.

Zudem hat der Staat keine Erfahrungen als Banker, und dort, wo er als Eigentümer mit an Bord ist, wie bei den Landesbanken, hat er sich blamiert. Die Landesbanken hat die Krise mindestens so hart getroffen wie private Institute. Das allein zeigt schon: Der Staat hat nicht die Kompetenz, Banken zu führen. Die Gefahr ist groß, dass mit den Banken und ihrem Kreditgeschäft Politik gemacht, Wählerinteressen bedient werden und Lobbyisten Einfluss gewinnen. Und schließlich: Selbst, wenn all diese Hürden genommen werden, wird eine spätere Privatisierung hundertprozentiger Staatsbanken nicht einfach sein. Es sei nur daran erinnert, wie mühsam es für den Staat war, sich von Anteilen an ehemaligen Staatsbetrieben wie der Deutschen Telekom zu trennen, wie schwierig der Börsengang der Deutschen Bahn ist.

Wie der Streit um viel, wenig oder gar keine Verstaatlichung auch ausgeht - eines ist klar: Der Steuerzahler wird für die Banken kräftig bluten müssen.

Bundesadler: Hat er bald die Banken unter seinen Fittichen? Foto: AP

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Alle einsteigen? Was die Regierungen noch tun wollen, um die angeschlagenen Geldhäuser zu retten

Gute Bank, schlechte Bank

Wie auch immer faule Papiere ausgelagert werden - am Ende trägt der Steuerzahler die Risiken

Von Catherine Hoffmann und Nikolaus Piper

München/New York - Die Finanzbranche schöpft neue Hoffnung. In Deutschland wie Amerika wird darüber diskutiert, ob die Banken faule Wertpapiere und Kreditforderungen beim Staat abladen können. Der Bilanzschrott würde in einer Bad Bank, einer "schlechten Bank" - entsorgt wie Dioxin auf einer Giftmülldeponie. Die ökonomische Logik dahinter: Lagern die Banken ihre Risiken in eine eigene Gesellschaft aus, werden ihre Bilanzen blitzblank, und sie können als Good Bank weiterarbeiten.

Der Begriff Bad Bank ist allerdings unscharf. Es wird darüber gestritten, ob der Staat diese Institution einrichtet oder die Banken selbst, ob es eine schlechte Bank geben soll oder viele. "Wie auch immer die Bad Bank konstruiert wird, am Ende läuft es darauf hinaus, dass der Steuerzahler die Risiken der faulen Wertpapiere übernimmt und für Verluste geradesteht", sagt Christoph Kaserer, Wirtschaftsprofessor an der TU München.

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück lehnt eine zentrale staatliche Bad Bank ab. "In Anerkennung der Auswirkungen fauler Wertpapiere in den Bilanzen der Banken stellt sich aber die Frage, ob nicht jedes einzelne Institut die Möglichkeit bekommt, Problempapiere aus seiner Bilanz auszulagern und so neu durchzustarten", sagte Steinbrück der Berliner Zeitung. Der abgetrennten Good Bank müsse dann über den Rettungsschirm geholfen werden, fügte der Finanzminister hinzu. Die Steinbrück-Lösung könnte bedeuten, dass eine Bank in Schieflage hochriskante Forderungen aus ihrer Bilanz abspaltet und in eine Tochtergesellschaft einbringt, für die der Staat Garantien übernimmt. Der Vorteil für Berlin: Erst mal müsste kein Geld ausgegeben werden, um die zweifelhaften Papiere aufzukaufen und eine Bad Bank zu schaffen. Gezahlt werden muss erst, wenn Forderungen ausfallen.

Einen anderen Weg schlägt die US-Regierung ein. Der amerikanische Finanzminister Timothy Geithner wird vermutlich in der kommenden Woche Pläne für eine echte Bad Bank bekannt geben, weil die bisherigen Maßnahmen bei weitem nicht reichen. Im vergangenen September hat Geithners Vorgänger im Amt, Henry Paulson, bereits einen Fonds zum Aufkauf fauler Kreditpapiere geplant, was nichts anderes ist als eine Bad Bank. Aus dem Fonds wurde das "Troubled Assets Relief Program" (Tarp) von 700 Milliarden Dollar, dessen erste Tranche allerdings überwiegend für die Rekapitalisierung der Banken ausgegeben wurde.

Jetzt also soll eine echte Bad Bank gegründet werden. Als ziemlich gesichert gilt die organisatorische Form der amerikanischen Bad Bank: Sie wird vom staatlichen Einlagensicherungsfonds FDIC und dessen ehrgeiziger Chefin Sheila Bair verwaltet werden. Offen sind dagegen entscheidende Fragen: Welchen Preis zahlt die Bad Bank für die Schrott-Papiere? Und wie viel Geld braucht sie? Theoretisch stünde dafür die zweite Tranche aus dem Tarp-Programm zur Verfügung, insgesamt 350 Milliarden Dollar. Aber einen Teil des Geldes wird Minister Geithner für andere Zwecke benötigen, zum Beispiel, um bedrängten Hausbesitzern direkt zu helfen. Vor allem aber könnte der Bedarf die Summe weit übersteigen. Ein neuer Rettungsplan für die US-Banken könnte die Steuerzahler bis zu zwei Billionen Dollar kosten, berichtete das Wall Street Journal.

Auch wenn die Vorschläge von Geithner und Steinbrück einen unterschiedlichen Anstrich haben, vereint sie doch die Grundidee der Bad Bank: Es geht einfach nur darum, dass besonders riskante Positionen aus der Bankbilanz ausgelagert werden. Im klassischen Modell, das in den USA bevorzugt wird, gründet der Staat die Bad Bank, kauft den Banken die schlechten Papiere ab und finanziert das Geschäft mit Steuergeldern.

In jedem Fall sind die krisengeschüttelten Banken auf einen Schlag ihre Risiken los, Anleger können ihnen wieder vertrauen. Investoren, die der Good Bank Geld geben, haben die Sicherheit, dass ihr frisches Kapital nicht unter den Altlasten fauler Forderungen begraben wird. Nun können die Banken die Kreditmärkte wieder in Schwung bringen. Der Nachteil dieser Lösung: "Sie kostet sehr viel Geld", sagt Kaserer. "Der Staat muss aufpassen, dass die Banken ihm nicht unnötig viele Risiken aufhalsen und allzu viele Verluste auf den Steuerzahler abwälzen."

Entscheidend ist deshalb die Frage, wie die Schrottpapiere bewertet werden. Übernimmt der Staat alles, was stinkt, werden die Banken versuchen, möglichst viele zweifelhafte Forderungen loszuwerden - zu möglichst überhöhten Buchwerten. Da kein Wirtschaftsprüfer und Bankmanager den wahren Wert der Papiere kennt, ist eine raffinierte Konstruktion der Bad Bank gefragt: Die Banken, die Forderungen abgeben, müssen an künftigen Verlusten (und Gewinnen) der Bad Bank beteiligt werden, damit das Management keinen Anreiz hat, Mondpreise für seine Wertpapiere zu verlangen. Sonst ist der Steuerzahler der Dumme.

Amerika will jetzt doch

eine Giftmülldeponie für

toxische Anlagen schaffen.

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Neues Studium an der Pleite-Uni

Von Martin Groß

Die Betriebswirtschaftslehre (BWL) in Deutschland steht vor einer Revolution. Im Studium sollen bundesweit gleich zwei neue Pflichtfächer eingeführt

werden: "Bad Banking" und "Pleite machen - und dann einfach irgendwo Fördergeld beantragen". So können Zehntausende BWL-Nachwuchskräfte doch noch auf unerwartete Karrierechancen hoffen, dem üblichen Krisengerede zum Trotz.

Die Privat-Universität Witten-Herdecke, vor einigen Wochen selbst mit Staatsgeld vor dem Untergang bewahrt, soll die beiden neuen Fächer im Auftrag der Kultusministerkonferenz entwickeln. "Wir verfügen bekanntlich über hinreichende Erfahrung im Umgang mit diesen neuen, toxischen Marktkräften", sagt Linus von Bickenfeldt, 24, BWL-Studentensprecher in Witten. Mit traurigem Blick erinnert er sich an das monatelange Drama um das Weiterbestehen seiner Uni. "Es war eine schlimme Zeit, jeder hier musste sich Sorgen um seinen Zweitwagen machen."

Beim Gedanken an die Zukunft hellt sich von Bickenfeldts Gesicht schnell wieder auf. "Vor allem freuen wir uns, dass wir das Lernmodul ,Bad Banking' ganz eigenverantwortlich entwickeln dürfen." Die aktuelle Diskussion um das Thema Bad Bank werde von

wenig Wissen und viel Hektik beherrscht. "Der Staat ist doch mit der Entwicklung einer Bad Bank total

überfordert. Bad Banking sollte von vornherein aus privatwirtschaftlicher Perspektive, also unserer, gesehen werden. Der Staat hat sich da rauszuhalten", sagt er. Seine Uni werde demnächst die Best-Practice-Bad-Bank der Zukunft vorstellen.

Beratung in der Toxic Lounge

Ein Wettbewerb unter den Studenten - von Bickenfeldt: "Bei uns geht gar nichts ohne Wettbewerb" - soll die beste Bad Bank ermitteln. "Wir haben den Wettbewerb auch schon richtig getauft: ,Bad Bank - Billing the Future'. Was so viel heißt wie: Rechnungen der Zukunft." Die studentischen Arbeitsgruppen befassen sich zum Beispiel mit der Frage, wie das Filialnetz einer Bad Bank aussehen könnte. "Und wie soll so eine Bad-Bank-Filiale ausgestattet sein? Wie sollen die Beratungsräume, die wir im Moment Toxic Lounges nennen, aussehen? Holzvertäfelung, Marmor, Chrom, Gemälde, Porzellansammlungen oder doch lieber der schlanke Look, alles nur Resopal und Billigfurnier?", fragt von Bickenfeldt.

Nicht nur in Fragen der Einrichtung erhoffen sich die Studenten Anregungen von Heinz Halde, ehemaliges Vorstandsmitglied der Notenbank der DDR. "War ganz schön schwierig, den zu finden", sagt von Bickenfeldt, und dann lächelt er ein bisschen, als er weiter erzählt. "Wir haben ihn als Verkäufer in einem Baumarkt in Frankfurt/Oder ausfindig gemacht. Wir mussten auslosen, wer ihn von da abholt. Aber wir sind sehr froh, dass wir Halde als erfahrenen DDR-Banker gewonnen haben. Er ist ein wichtiger Berater für unser Projekt. Die DDR-Notenbank war schließlich mal die beste Bad Bank der Welt."

Bild mit Symbolcharakter: Alte Flaschen türmen sich im Osthafen von Frankfurt. Dahinter die Hochhäuser des Bankenviertels. Foto: dpa

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