Europa als Maß

Von Martin Winter

Krisen haben zumindest ein Gutes. Sie bieten die Gelegenheit, ausgetretene Pfade zu verlassen und neue Wege zu gehen. Wenn nun also die politischen Führer Europas in diesen Tagen weltwirtschaftlicher Untergangsstimmung auf ihrem Gipfeltreffen um den globalen Schutz des Klimas ringen, sich um den besten Weg aus dem Konjunktur-Tal streiten und die Reform der Europäischen Union endlich unter Dach und Fach zu bringen versuchen, dann geht es um noch mehr. Dann bekommt auch das Kleingedruckte ein Gewicht weit über seine sachliche Bedeutung hinaus. Es wird zum Indikator von Stärke oder Schwäche.

Überall auf der Welt wird verzweifelt nach Auswegen aus den Krisen gesucht. Andere Länder und Kontinente werden diesen EU-Gipfel daher genau beobachten. Sie werden an Europa Maß nehmen. Sie werden wissen wollen, ob hinter dem europäischen Anspruch auf eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz mehr als Maulheldentum steckt. Ob die Europäer den Mut und die Kraft haben, sich aus ihren nationalen Eigenbrödeleien zu befreien und sich den globalen Herausforderungen gemeinsam zu stellen. Europa kann jetzt beweisen, dass es für Führungsaufgaben taugt und Verantwortung über seine Grenzen hinaus zu übernehmen bereit und fähig ist.

Dass die Europäer mehr können, als nur auf dem Basar ihres gemeinsamen Marktes zu feilschen, haben sie im Sommer gezeigt. Auf den Krieg um Georgien reagierte die Union unter französischer Präsidentschaft und mit tatkräftiger deutscher Unterstützung schnell, umsichtig und erfolgreich. Als das globale Finanzsystem in die Knie ging, knirschte es zwar kurz im europäischen Gebälk, aber dann wurde überzeugend und aufeinander abgestimmt gehandelt.

Mit dem Einbruch der Konjunktur aber fielen die europäischen Staaten auf die alte Unart zurück, ihr Heil zwischen den heimischen Wänden zu suchen. Die Regierungen in Paris und Berlin, die eigentlich die EU gemeinsam vorwärts ziehen müssten, haben sich im Streit um die Ankurbelung der Konjunktur sogar dermaßen ineinander verkeilt, dass sie Europa wirtschaftspolitisch an den Rand der Lähmung gebracht haben. Solch ein Europa beeindruckt niemanden.

Eine Chance aber bleibt. Gelingt es, ein ehrgeiziges Programm zum Schutz des Klimas mit einem ambitionierten Plan zur Belebung der Konjunktur zu verbinden, dann setzen die Europäer der Welt ein Beispiel. Klimaschutz und eine Ankurbelung der Konjunktur müssen kein Gegensatz sein, wenn man es klug anpackt.Richtig gestalteter Klimaschutz ist kein Jobkiller, sondern zwingt zu technischen Innovationen, die neue Arbeitsplätze schaffen. Das belebt auch den Export. Im Klimapaket selbst steckt schon ein Konjunkturprogramm. Das greift aber nicht, wenn sich die Staaten der EU nur zu dem durchringen, was Autohersteller, Stromproduzenten und die energieintensiven Industrien allerhöchstens verkraften zu können behaupten.

Europäischer Mut wird auch nötig sein, die Konjunktur generell wieder in Gang zu bringen.Dabei kommt es nicht so sehr darauf an, wie viel Geld die Europäer in die Hand nehmen. Entscheidend ist, dass sie es gemeinsam und gezielt tun. Die Krise trifft die europäischen Staaten ohne Unterschied. Es gäbe viele Möglichkeiten für zukunftsträchtige Investitionen, auch über nationale Grenzen hinweg. Berlins Ärger über die EU-Partner, die von Deutschland nun besondere Anstrengungen verlangen, ist verständlich, aber nutzt wenig. Als mit Abstand größtes Industrieland und größter Profiteur des gemeinsamen Marktes agiert Deutschland im eigenen Interesse, wenn es das europäische Zugpferd spielt.

Vor einem Jahr haben sich die Europäer auf Drängen der deutschen Kanzlerin Angela Merkel auf ehrgeizige Klimaziele verständigt. Europa beansprucht seitdem die Vorreiterrolle beim Klimaschutz. Schleichen sich die Europäer aus diesem Versprechen jetzt fort, dann sieht es schlecht aus für den Klimaschutz. Denn der neue amerikanische Präsident mag ja guten Willens sein. Aber die USA sind noch weit davon entfernt, die Welt mit sich zu ziehen auf dem Weg zu einem Klimaschutz, der diesen Namen verdient. Und wenn der europäische Druck nachlässt, dann werden auch die Amerikaner sich nicht beeilen, geschweige denn Chinesen oder Inder.

Europa muss jetzt Einigkeit zeigen, wenn es die Erwartungen, die es selbst geweckt hat, erfüllen will. Es ist höchste Zeit, dass Berlin und Paris ihre europäische Führungsrolle wieder übernehmen - und zwar gemeinsam. Europa war immer nur dann stark, wenn Deutsche und Franzosen am gleichen Strang in die gleiche Richtung gezogen haben. Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy sollten sich daran nicht nur erinnern, sondern auch entsprechend handeln. Wenn sie es zulassen, dass der EU-Gipfel sich mit Minimalbeschlüssen begnügt, nur um irgend ein Ergebnis vorweisen zu können, dann kegelt Europa sich selber aus dem Kreis der ernst zu nehmenden Mächte. Dieses Treffen hat die Bezeichnung Gipfel wirklich verdient. Es kann zu einer Wegmarke werden, an der sich andere Kontinente und Länder orientieren. Aber er kann auch der Ort werden, an dem Europa abstürzt.

Maßnahmen zur Konjunkturbelebung ab 2008 Klimaschutz Wirtschaftslage in der EU Natur und Umwelt in der EU Folgen der Finanzkrise in der EU SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Blick nach vorn

In Hessen beginnen die Koalitionverhandlungen zwischen CDU und FDP

Von Christoph Hickmann

Frankfurt - Es kommt nicht oft vor, dass die hessische SPD sich geschlossener präsentiert als die Landes-CDU, doch am Dienstag war dies zumindest zahlenmäßig ausnahmsweise einmal der Fall. Während die neue SPD-Landtagsfraktion Thorsten Schäfer-Gümbel einstimmig für die Wahl zu ihrem Vorsitzenden nominierte, wählten die CDU-Kollegen ihren bisherigen Chef Christean Wagner wieder zum Fraktionsvorsitzenden. Offiziell war von einer "großen Mehrheit" die Rede; nach Angaben aus der Fraktion stimmten bei einer Enthaltung 38 Abgeordnete mit Ja und sieben mit Nein.

Es war eine Randnotiz zwei Tage nach der Wahl, denn bereits am Nachmittag trafen sich die Delegationen von CDU und FDP im Landtag zu einer ersten Runde der Koalitionsverhandlungen. Der Zeitplan ist eng, schließlich soll Roland Koch bereits in der konstituierenden Sitzung des Parlaments am 5. Februar zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Und bei der FDP hat man zusätzlich noch ein paar "vordergründig profan klingende Sorgen", wie es deren Parlamentarischer Geschäftsführer (und mit einiger Wahrscheinlichkeit künftiger Fraktionschef) Florian Rentsch ausdrückte. Schließlich müssen die Liberalen 20 Abgeordnete unterbringen und ausstatten, neun mehr als bisher. Auch der Sitzungssaal sei zu eng, sagte Rentsch. Man wolle ihn erweitern lassen.

Bei der SPD hat man ganz andere Sorgen, schließlich ist die Fraktion von 42 auf 29 Abgeordnete geschrumpft. In der Sitzung am Dienstag plädierte auch der designierte Vorsitzende Schäfer-Gümbel dafür, die beiden fraktionsinternen Gruppen aufzulösen, die Vorwärts-Runde der Parteilinken sowie die Aufwärts-Gruppe der Parteirechten und Netzwerker. Zuvor hatte dies bereits die bisherige Aufwärts-Sprecherin Nancy Faeser gefordert. Schäfer-Gümbel soll in der nächsten Woche zum Fraktionschef gewählt werden. Gleiches gilt für den bisherigen Vorsitzenden der Grünen-Fraktion, Tarek Al-Wazir - wobei dessen dauerhafter Verbleib in Wiesbaden angesichts der Aussicht auf fünf weitere Jahre in der Opposition mehr als nur fraglich ist.

Die Abgeordneten der Linkspartei hatten derweil anderes zu tun: Sie solidarisierten sich mit den Gegnern des Frankfurter Flughafen-Ausbaus. Unter deren Protest begann der Flughafen-Betreiber Fraport am Vormittag mit den Rodungsarbeiten im Kelsterbacher Wald. Damit wird der Bau der geplanten und in der Region heftig umstrittenen vierten Landebahn vorbereitet. Während Ministerpräsident Koch den Beginn der Arbeiten als "wichtiges Zeichen für die Wirtschaftskraft und die Zukunftsfähigkeit" Frankfurts und der Rhein-Main-Region bezeichnete, kritisierten neben der Linkspartei auch die Grünen die Rodung. Fraport schaffe "vollendete Tatsachen, bevor auch nur ein einziges erstinstanzliches Urteil über den Planfeststellungsbeschluss vorliegt", teilten sie mit.

Der hessische Verwaltungsgerichtshof hatte in der vergangenen Woche die noch ausstehenden Eilanträge gegen den Ausbau abgewiesen. Das Hauptsacheverfahren beginnt allerdings erst im Sommer.

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Der Kosovo darf sich wieder bewaffnen

"Sicherheitstruppe" wird zunächst nur Minen räumen und Bevölkerung schützen - später soll sie die Nato ablösen

Von Enver Robelli

Zagreb - Knapp ein Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung erhält der Kosovo eine neue Sicherheitstruppe, die von der albanischen Bevölkerungsmehrheit als zukünftige Armee des Zwergstaates gesehen wird. Die Gründung der Kosovo Security Force (KSF) hatte der finnische UN-Vermittler Martti Ahtisaari in seinem Plan für die Lösung des Kosovo-Konflikts vorgeschlagen. Demnach umfasst die Organisation 2500 aktive Angehörige und 500 Reservisten. Sie soll an diesem Mittwoch ihre Arbeit aufnehmen.

Der Aufbau der kosovarischen Einheiten obliegt der Nato. Offiziere des westlichen Verteidigungsbündnisses, vorwiegend Briten, sollen die KSF-Mitglieder ausbilden. Die Uniformen sind ein Geschenk der USA. Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung hatte im vergangenen Herbst angekündigt, dass Deutschland sieben Millionen Euro für die Truppe zur Verfügung stellen wolle.

Laut Angaben eines Nato-Sprechers wird die kosovarische Sicherheitstruppe nur leicht bewaffnet und erst nach einigen Jahren einsatzbereit sein. Dann will die Allianz ihre militärische Präsenz im Kosovo reduzieren. Derzeit sind dort etwa 15 000 internationale Soldaten stationiert. Die Sicherheitstruppe soll zunächst Aufgaben wie Zivilschutz, Krisenreaktion und Minenräumung übernehmen. Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer hat mehrmals betont, dass es sich bei der KSF nicht um eine Armee handle. Die Organisation sei eine Gendarmerietruppe nach französischem Vorbild. Vor allem Spanien und andere Nato-Länder, welche die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkannt haben, lehnen die Pläne für den Aufbau einer militärähnlichen Truppe ab.

Die Kosovo Security Force löst das Schutzkorps ab, das nach dem Krieg 1999 als Nachfolgeorganisation der Rebellenarmee UCK gegründet worden war und seither als Auffangbecken für arbeitslose Krieger diente. Dutzende ehemalige UCK-Mitglieder sind in den vergangenen zehn Jahren wegen illegaler Aktivitäten und Terroranschlägen aus dem Schutzkorps entlassen worden. Die Umwandlung der UCK-Nachfolgeorganisation bietet für die Nato die Chance, möglichst viele einflussreiche und in kriminelle Machenschaften verwickelte Ex-Rebellen frühzeitig in die Rente zu schicken. Kosovarischen Medienberichten zufolge soll nur etwa ein Drittel der neuen Sicherheitstruppe aus früheren Kämpfern bestehen. Zum Befehlshaber der KFS wurde Sylejman Selimi ernannt, ein früherer Kommandant der kosovarischen Untergrundarmee UCK. Selimi war bisher Chef des Kosovo-Schutzkorps und genießt das Vertrauen westlicher Botschaften in Pristina. Serbiens Präsident Boris Tadic verurteilte die Gründung der Sicherheitstruppe im Kosovo und forderte deren Auflösung.

Könnten bald arbeitslos sein: Nur ein Teil der Kämpfer der Rebellenarmee UCK und ihrer Nachfolgeorganisation sollen übernommen werden. Foto: dpa

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"Anzeige gegen Banzer gezielte Diffamierung"

Frankfurt - Der hessische Kultus- und Justizminister Jürgen Banzer (CDU) sollte durch die gegen ihn erstattete Missbrauchsanzeige nach Einschätzung der Frankfurter Staatsanwaltschaft kurz vor der Landtagswahl gezielt diffamiert werden. Da es "keine Anhaltspunkte" gebe, "dass die behaupteten Straftaten einen Realitätsgehalt aufweisen", habe die Staatsanwaltschaft es abgelehnt, Ermittlungen einzuleiten, teilte die Behörde am Dienstag mit. In der vergangenen Woche war bei der Wiesbadener Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige eingegangen, in der Banzer unter anderem vorgeworfen wurde, vor etwa zwei Jahren ein damals 14-jähriges Mädchen sexuell missbraucht zu haben. Die Anzeige hatte der angebliche Vater des vermeintlichen Opfers erstattet. Wie die Staatsanwaltschaft mitteilte, waren "Name und Anschrift der Person unzutreffend". Zuvor hatte bereits der in der Anzeige benannte Rechtsanwalt vermutet, dass es sich bei den Vorwürfen um eine Intrige handele: Er habe den Erstatter unter der angegebenen Handynummer nicht erreicht, zudem sei zu verabredeten Treffen niemand erschienen. Banzer hatte die Angelegenheit am Montag selbst öffentlich gemacht, um möglichen Spekulationen zuvorzukommen. Er hatte die Vorwürfe in schärfster Form zurückgewiesen. hick

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Arbeitgeber muss Urlaub abgelten

Berlin - Arbeitsunfähig erkrankte Beschäftigte haben im Zweifelsfall Anspruch auf eine Vergütung ihres ungenutzten Jahresurlaubs. Das geht aus einem Urteil hervor, das der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag gefällt hat. In dem Fall war ein deutscher Arbeitnehmer lange erkrankt und schließlich vorzeitig in Rente gegangen. Wegen der Krankheit konnte er weder 2004 noch 2005 seinen Jahresurlaub nehmen. Beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis wollte er sich den Anspruch auf Urlaub in Geld ausbezahlen lassen. Der Arbeitgeber weigerte sich und verwies darauf, dass Jahresurlaub spätestens in den ersten drei Monaten des Folgejahres genommen werden müsse. Der EuGH gab jetzt jedoch dem Arbeitnehmer recht. Zwar sei es grundsätzlich zulässig, den Anspruch auf Jahresurlaub zu befristen, entschieden die obersten EU-Richter. In Deutschland läuft diese Frist üblicherweise Ende März des Folgejahres ab. Wenn ein ordentlich krankgeschriebener Arbeitnehmer aber keine Möglichkeit habe, in diesem Zeitraum seinen Jahresurlaub anzutreten, so bleibe sein Anspruch darauf bestehen, urteilte der EuGH. Könne er den Urlaub nicht mehr antreten, weil sein Arbeitsverhältnis ende, müsse ihm der Anspruch in Geld ausbezahlt werden (Rechtssache: C-350/06). dku

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Das Gas fließt

Nach zwei Wochen Blockade wird EU wieder beliefert

Von Frank Nienhuysen

Moskau - Nach zweiwöchiger Blockade fließt seit Dienstag wieder russisches Gas über die Ukraine in die Europäische Union. Die Slowakei, die besonders unter dem Streit zwischen Russland und der Ukraine gelitten hat, bestätigte am Mittag, dass auf den Pipelines wieder der nötige Druck sei. In Deutschland wird das Gas für diesen Mittwoch erwartet. EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso zeigte sich erleichtert über das Ende der Krise, zugleich aber auch tief enttäuscht über das Verhalten Moskaus und Kiews. "Mit keinem Partner hatten wir jemals derartige Erfahrungen", sagte er. "Das werde ich nicht vergessen." Die Europäische Union müsse daraus ihre Lehren ziehen und für mehr Vielfalt unter ihren Gas-Lieferanten sorgen.

Russland und die Ukraine hatten am Montag nach wochenlangem Streit ein Abkommen unterzeichnet, das für zehn Jahre gelten soll. Die Ukraine muss demnach vom nächsten Jahr an Weltmarktpreise an den russischen Energiekonzern Gazprom bezahlen. Das Land erhält jedoch für das laufende Jahr 2009 einen Nachlass von 20 Prozent. Im Gegenzug werden die Transitgebühren, die Russland an die Ukraine abgeben muss, erst 2010 erhöht.

Die tschechische Regierung als derzeitige Ratsvorsitzende der Europäischen Union erklärte, dass der Konflikt das Ansehen Russlands und der Ukraine geschadet habe. Als Konsequenz aus dem Streit werde sich die EU nun um einen breiteren Energiemix kümmern; Prag wolle sich zudem für weitere Transitstrecken einsetzen. Bisher werden etwa 80 Prozent des aus Russland importierten Gases über die Ukraine nach Westeuropa geleitet. Ein weiterer wichtiger Transitweg verläuft über Weißrussland. Die EU bemüht sich um den Bau der Nabucco-Pipeline, über die künftig Gas aus dem Kaspischen Meer über die Türkei nach Westeuropa geliefert werden soll. Die von Russland und Deutschland vereinbarte Nordstream-Trasse wird das Gas künftig durch die Ostsee direkt von Russland in den Westen bringen.

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Fragen von Leben und Tod

Der Bundestag berät darüber, wie verbindlich Patientenverfügungen sein sollen - es liegen gleich drei interfraktionelle Gesetzentwürfe vor

Von Nina von Hardenberg und Charlotte Frank

München/Berlin - Kathrin K. ist erst 28 Jahre alt, aber in Gedanken hat sie bereits alle möglichen Arten durchgespielt, auf die sie sterben könnte. Sie hat sich überlegt, was mit ihr angestellt werden soll, wenn sie mit einem schweren Gehirnschaden im Krankenhaus liegt, mit Mehrfach-Organversagen oder wenn sie ins Wachkoma fällt. "Mit bestimmten Dingen muss man sich auseinandersetzen", sagt Kathrin K., der Tod gehört für sie dazu. Seit Oktober verfügt die Geographin aus Heidelberg deshalb über eine Patientenverfügung. Sechs Seiten, auf denen sie detailliert beschreibt, wie Ärzte sie behandeln sollen, wenn sie sich selbst nicht mehr äußern kann. "Ich fahre täglich 30 Kilometer Fahrrad", sagt sie, dabei könne ihr etwas zustoßen.

Große Unsicherheit

Mit solchen Überlegungen zählt Kathrin K. zu einer Minderheit: Bei der jüngsten Umfrage aus dem Jahr 2005 gaben nur 14 Prozent der Deutschen an, eine Patientenverfügung zu besitzen. Und auch sie können nicht sicher sein, dass ihre Wünsche von Ärzten befolgt werden. Denn unter Medizinern und Richtern herrscht große Unsicherheit darüber, wie strikt eine Verfügung umzusetzen ist. Zwar hat sich der Bundestag vorgenommen, den rechtlichen Status von Patientenverfügungen zu klären. Doch der Gesetzgebungsprozess kommt nur schleppend voran. Denn auch die Abgeordneten sind sich keineswegs einig, wie mit den Verfügungen umgegangen werden soll. An diesem Mittwoch findet im Bundestag nun die lang erwartete erste Lesung von zwei Gesetzesentwürfen zu Patientenverfügungen statt.

Die Abgeordneten wollen über dieses ethisch wichtige Thema ohne Fraktionszwang abstimmen - und doch blockiert gerade die Parteipolitik die Arbeit. Der Bremser ist in diesem Fall vor allem die Union. 2007 fand im Bundestag eine Orientierungsdebatte zu Patientenverfügungen statt. Seither sind die verschiedenen Positionen im Parlament klar. Und seither weiß die Union, dass in ihrer Fraktion die Vorstellungen, wie mit dem Thema Sterben umgegangen werden soll, weit auseinander liegen. "Für die Union könnte das zur Zerreißprobe werden", heißt es aus Fraktionskreisen.

Die besten Erfolgsaussichten hat ein Gesetzentwurf, den die Gruppe um den SPD-Rechtsexperten Joachim Stünker konzipiert und schon im Sommer eingebracht hat. Er konnte knapp 200 Abgeordnete als Unterstützer gewinnen, darunter viele von FDP, Grünen und Linken. Der Entwurf stellt die Selbstbestimmung in den Mittelpunkt. Patientenverfügungen sind demnach "unabhängig vom Stadium und der Art der Erkrankung" zu befolgen, sofern sich Arzt und Betreuer einig sind, dass die Verfügung auf die konkrete Situation passt.

Eine so starke Betonung der Selbstbestimmung widerstrebt jenen Abgeordneten, die den Lebensschutz und die Fürsorgepflicht des Arztes stärker beachtet sehen wollen. "Stünker macht sich das Sterben zu einfach", kritisiert etwa die Fraktionschefin der Grünen, Renate Künast. "Bei Fragen von Leben und Tod darf es keine rechtlichen Grauzonen geben", sagt auch CDU-Fraktionschef Wolfgang Bosbach. Die Mehrheit der Unions-Abgeordneten lehnen Stünkers Entwurf ab. Auf eine eigene Linie konnten sie sich jedoch auch nicht einigen.

An diesem Mittwoch werden deshalb zwei gegensätzliche Entwürfe im Parlament vorgestellt, die beide führend von Unions-Abgeordneten erarbeitet wurden: Wichtigster Vertreter der Lebensschutz-Position ist der stellvertretende Fraktionschef Wolfgang Bosbach (CDU). Er schlägt höhere Hürden für den Abbruch von lebenserhaltenden Behandlungen vor. Demnach darf ein Arzt den vorab verfügten Willen eines Patienten, ein Beatmungsgerät abzustellen, nur dann befolgen, wenn die Krankheit bereits einen "unumkehrbar tödlichen Verlauf" genommen hat, sowie bei einigen besonders schweren Leiden. Uneingeschränkt sollen dagegen nur solche Verfügungen gelten, die mit Hilfe eines Arztes und eines Notars erstellt wurden.

Auf der anderen Seite stehen Wolfgang Zöller (CSU) und Hans Georg Faust (CDU), die "jede Überregulierung" am Lebensende ablehnen. Die Abgeordneten kommen mit ihrem Entwurf den Wünschen der Bundesärztekammer entgegen, die sich stets gegen eine gesetzliche Regelung gewandt hatte. Das Sterben sei "nicht normierbar", hat Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe immer wieder betont. Eine Position, die Faust, der selbst Arzt ist, gut nachvollziehen kann. "Von mir aus hätte ich kein Gesetz zu Patientenverfügungen angestoßen", betont er.

Viele in seiner Partei denken offenbar ähnlich. Sie könnten auf eine Neuregelung verzichten - und damit auch auf eine Debatte, in der die Union kein scharfes Profil zeigen kann, sondern nur ihre innere Zerrissenheit. Die SPD, die das Verzögerungsspiel aus Rücksicht auf den Koalitionsfrieden lange mitgespielt hat, wird das aber kaum zulassen. Schon im Sommer brachte Stünker seinen Entwurf schließlich alleine ins Parlament ein, da sich die zwei Gruppen um Bosbach und Zöller/Faust nicht dazu entschließen konnten. Die Unionsabgeordneten werden sich darum in den nächsten Monaten bekennen müssen. Sieben Millionen Menschen mit einer Patientenverfügung wüssten dann endlich, was das Dokument eigentlich wert ist.

Endstation Krankenhaus: Viele Mediziner wehren sich gegen eine gesetzliche Überregulierung des Lebensendes der Patienten. Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe sagt: "Das Sterben ist nicht normierbar." Foto: AP

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Patientenverfügung

In einer Patientenverfügung können Menschen festlegen, wie sie im Falle einer Bewusstlosigkeit behandelt werden wollen. Eine gute Verfügung ist eine, die klar formuliert ist, darin sind sich Experten einig. "Ein flott ausgefülltes Formular stiftet mehr Verwirrung als dass es nutzt", erklärt die Stiftung Warentest. Auch Eugen Brysch von der Deutschen Hospiz Stiftung warnt vor schwammigen Sätzen wie: "Ich will nicht an Schläuchen hängen." Solche Formulierungen seien ungenau und auch unsinnig. "Auch für die Gabe starker Schmerzmittel können Schläuche nötig sein", sagt er. Besser sei es deshalb, in der Verfügung möglichst spezifisch auf konkrete Krankheitszustände einzugehen. Von vorgedruckten Mustern aus dem Internet, die nur noch angekreuzt werden müssen, wird deshalb unbedingt abgeraten. Wer den Text selbständig verfassen will, findet auf der Internetseite des Bundesjustizministeriums geprüfte Formulierungshilfen. Die Unterschrift eines Arztes oder Anwalts ist sinnvoll - ihr Fehlen macht eine Verfügung aber nicht ungültig. chf

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Am Ende glücklich

Monika Renz hat 600 Menschen beim Sterben begleitet

Als Leiterin der Psycho-Onkologie am Kantonsspital in St. Gallen hat Monika Renz mehr als 600 Menschen beim Sterben begleitet. Ihre Erfahrungen beschreibt die studierte Psychologin und Theologin in dem Buch "Zeugnisse Sterbender".

SZ: Haben Sie Angst vor dem Tod?

Renz: Ich denke, das verliert sich nie. Es ist wie eine letzte Ehrfurcht, die mich immer wieder ergreift. Aber ich habe auch Vertrauen und glaube, dass das Leben ein außerordentliches Ende nimmt.

SZ: Viele Menschen befürchten, am Ende wehrlos und abhängig zu sein . . .

Renz: Die meisten haben weniger Angst vor dem Tod, als vor Ohnmacht und Leid davor. Diese Angst speist sich zum Teil aus Unwissen. Die wenigsten Menschen wissen, dass Ohnmacht nur so lange schlimm ist, bis ich loslassen und mich in gute pflegende Hände begeben kann. Es gibt eine Art innere Schwelle - danach ist es schön, ein Fließen, ein Friede. Diese Erfahrungen zu übermitteln, hilft gegen die Angst. Aber das setzt auch voraus, dass es eine gute palliativmedizinische Versorgung gibt.

SZ: Welche Rolle spielen Patientenverfügungen bei Ihrer Arbeit?

Renz: Patientenverfügungen sind in unserer Arbeit sehr wichtig. Sie sind ein Hilfsmittel gegen die Angst vor menschlicher Manipulation. Ich kann mich besser auf den Sterbeprozess einlassen, wenn ich weiß, dass ich den Ärzten trauen kann. Natürlich bleibt die Frage, ob ich nachher noch das Gleiche will, wie vorher. Bei uns im Spital ist es darum üblich, dass ein Arzt die Verfügung mit dem Patienten zusammen ausfüllt.

SZ: In England wurde eine Dokumentation über einen todkranken Mann gezeigt, der sich mit Hilfe von Dignitas das Leben nahm. Was halten Sie davon?

Renz: Ich unterscheide zwischen Suizidbeihilfe und Suizid. Es gibt Menschen, die mitten im Leben keinen anderen Ausweg sehen, als sich zu töten. Aber ich wehre mich dagegen, dass Sterbehelfer diesen Schritt unterstützen, und so das Sterben zum Machtkampf wird. Ich versuche mit einem Verzweifelten ins Gespräch zu kommen. Ich erzähle, wie befreiend es sein kann, wenn er den Gedanken an Suizid aufgibt. Das ständige Fragen nach dem erlösenden Mittel erhöht die Spannungen und damit die Schmerzen. Ich vergleiche die Todesnähe mit der Geburt: Irgendwann muss man hindurch. Seelisch und geistig. Das macht die Menschen in einer Weise glücklich, die ich im Leben nicht kenne.

SZ: Wie sind Sie da so sicher?

Renz: Von den 600 Patienten hatten 305 eine Art spirituelle Öffnung. Manche haben Worte wie "schön" oder "da" gestammelt. Zwei sagten "Jesus". Auch wenn nicht gesprochen wurde, war die Wendung augenfällig. Man konnte sehen, wie sich die Gesichtszüge entspannten. Natürlich kämpfen mache Menschen bis zum Schluss und lassen nicht los. Aber ich hatte den Eindruck, dass auch sie im allerletzten Moment Ruhe und Zustände außerhalb von Schmerzen fanden. Meine Aufgabe ist es, Übersetzungsarbeit zu leisten, was in den Sterbenden passiert. Der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe erübrigt sich dann.

Interview: Nina von Hardenberg

Monika Renz. Foto: oh

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HEUTE

FEUILLETON

Münchner Kindl

Pfitzners Schaffenskriseoper "Palestrina" in München Seite ??

LITERATUR

Leben nach der Katastrophe

Stewart O'Nan erzählt vom Verschwinden eines Mädchens Seite 14

MEDIEN

Retter aus Mexiko

Der Milliardär Carlos Slim kommt der "New York Times" zur Hilfe Seite 15

WISSEN

Keime aus der Hühnerbrust

Infektionen mit dem Campylobacter-Erreger werden immer häufiger Seite 16

www.sueddeutsche.de/kultur

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Rückzug aus Berlin?

Christie's steht vor Veränderungen

Andreas Rumbler, Geschäftsführer von Christie's Deutschland, hat am Dienstag Meldungen über eine Schließung des Berliner Standorts des Auktionshauses dementiert. Es seien keine dahingehenden Entscheidungen gefallen, so Rumbler. Anfang der Woche hatte es Spekulationen gegeben, das Berliner Büro sei bereits geschlossen. In jüngster Zeit hatte das Haus bekanntgegeben, dass man in den deutschen Niederlassungen Stelleneinsparungen plane (SZ vom 17. Januar). Christie's beschäftigt weltweit etwa 2100 Menschen, der Konkurrent Sotheby's um die 1500 Mitarbeiter. Mit 4,82 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr 2008 verbuchte Christie's ein Minus von elf Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Am Dienstag war die Berliner Niederlassung entgegen anderslautender Meldungen besetzt. Wie sich die Einbußen auf die internationale Struktur der Auktionshäuser auswirken werden, ist derzeit fraglich. Rumbler räumte ein, es werde Veränderungen bei Christie's in Europa geben. irup

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Die Zeitenwende

Noch ein Gedenkjahr: 1979 prägt die Welt bis heute

Deutschland bereitet sich auf ein gewichtiges Gedenkjahr vor: Anfang und Ende der alten Bundesrepublik und DDR sind zu begehen. Anfang und Ende der beiden deutschen Staaten markieren die Periode des Ost-West-Konflikts. Es war jedoch das Jahr 1979, in dem die multipolare Welt von heute Kontur gewann. Die beiden Großmächte gaben noch ein Jahrzehnt länger den Ton an, auch schienen sich nach dem Fall der Mauer die Vereinigten Staaten als einzige Supermacht etablieren zu können. Aber die Ausrufung der Islamischen Revolution im Januar 1979 und die zum Scheitern verurteilte Afghanistan-Invasion im Dezember 1979 deuten schon das Ende ihrer Vorherrschaft an. Von Süden betrachtet, war bereits 1979 das annus mirabilis,die Zeitenwende.

Viel geschah damals: Zu Neujahr nehmen die Volksrepublik China und die Vereinigten Staaten endgültig diplomatische Beziehungen auf, Präsident Deng Xiaoping fliegt nach Washington und beendet die lange Todfeindschaft mit den USA. Die Volksrepublik geht auf Weltmachtkurs, den es bis heute fährt - ohne Demokratie, mit der der KP-Chef 1979 ein wenig geliebäugelt hat.

Im März schließen Ägypten und Israel unter Schirmherrschaft Jimmy Carters in Washington Frieden. Premier Menachem Begin und Präsident Anwar al-Sadat, die sich bald darauf auch in Kairo die Hand schütteln, besiegeln ein Zweckbündnis, das heute gegen Hamas gerichtet ist, gegen den Ableger der ägyptischen Moslembruderschaften, seinerzeit der radikalste Flügel des sunnitischen Islam. Moslembrüder und demobilisierte Afghanistan-Kämpfer ziehen bis nach Algerien, wo sie den bis heute nicht befriedeten Bürgerkrieg religiös aufladen. Diese Anfänge des Islamismus (und das Ende des Drittwelt-Sozialismus) konnte man seinerzeit auch in Algier mitverfolgen, noch verkleidet als Aufstand der Arabophonen gegen die Privilegien der an Frankreich orientierten Staatsklasse.

Ayatollah Chomeini ist der Mann des Jahres, der viele blendet und fasziniert, als Reza Pahlewi, der Schah von Persien, abtreten muss. Im Februar triumphal aus dem französischen Exil nach Iran zurückgekehrt, ruft der schiitische Geistliche am 1. April die Islamische Republik aus, die sich als zäheste Herausforderung beider Großmächte erweisen sollte. Deren Koexistenz wird im Salt-II-Abkommen im Juni 1979 noch einmal bekräftigt; die Strategic Arms Limitation Talks reduzieren die Zahl der Interkontinentalraketen. Die Supermächte hocken weiter auf einem Overkill an Sprengköpfen, aber der atomare Schrecken ist durch Dauerverhandlung rationalisiert und wirksam monopolisiert.

Erblühen der Religionen

Die Ratifizierung des Abkommens scheitert im amerikanischen Kongress am Einmarsch der Russen in Afghanistan. Ende des Jahres folgt der Nato-Doppelbeschluss über die Mittelstreckenraketen in Europa. Der bringt den USA und der Sowjetunion offene oder verkappte Dissidenten in ihren Blöcken ein und gestaltet die bilateralen Beziehungen wieder frostiger. Besonders die Bevölkerungen der beiden deutschen Staaten nehmen jetzt eine Art innere Kündigung bei ihren Schutzmächten vor. Es beginnt die deutsche Wiedervereinigung, auch wenn drei Viertel der Westdeutschen noch überzeugt sind, dass sie die selbst nicht mehr erleben werden.

Europa wächst unterdessen zwischen den Blöcken und über sie hinaus, allerdings auf die übliche Weise eines ökonomischen, die Bürger wenig bewegenden Institutionalismus. An der ersten echten Wahl zum Europäischen Parlament im Juni bleiben Beteiligung und Interesse schwach. Damals gilt noch: Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa. Doch im März starten Deutsche und Franzosen das Europäische Währungssystem EWS, ein System fester, aber flexibler Wechselkurse. Es füllt das Vakuum, das nach dem Ende des Systems von Bretton Woods entstanden ist, und bewirkt eine supranationale Harmonisierung, die zur Euro-Zone führt. Auch in Wirtschaft und Handel war nun die Hegemonie der Dollarökonomie gebrochen, die US-Wirtschaft, voran der Leitsektor Automobilindustrie in Detroit, schleppt sich von Krise zu Krise und kann die Weltwirtschaft nicht mehr auf Schwung bringen.

Zur Konjunkturkrise kommt im Juni mit dem zweiten Ölschock (und einem historisch hohen Benzinpreis von einer Deutschen Mark pro Liter) die Energiekrise, das OPEC-Kartell stellt seine Funktionsfähigkeit unter Beweis. Die Konsequenz: Nuklearstrom wird die gesuchte Alternative, auch wenn die Vereinigten Staaten im März in Harrisburg knapp an einer Katastrophe vorbeischrammen und die Sowjetunion gewiss mehrere Beinahe-Havarien vom Tschernobyl-Typ überstanden hat. Was heute kaum noch jemand weiß: Im Februar beruft die World Meteorological Organization in Genf die erste Welt-Klima-Konferenz ein. Beunruhigende Veränderungen des Klimas sind bereits erkennbar - eine ganze politische Generation lang könnten wir Bescheid wissen und Vorkehrungen getroffen haben, aber schon damals lenken Autokrise und Schneechaos vom Wesentlichen ab. Das Bewusstsein der Endlichkeit der fossilen Zivilisation, das der Bericht des Club of Rome über die "Grenzen des Wachstums" zu Beginn des Jahrzehnts schaffen wollte, verbreitet sich nicht. China, Indien, Brasilien und andere Tigerstaaten, damals noch an der Schwelle, folgen dem Skript der karbonen Wirtschaftsgeschichte Europas, Amerikas und Russlands, ohne die Kehrseiten zu sehen.

Fürchtet euch nicht vor Amerika

Erkannt werden sie von Postmaterialisten im reichen Norden, die aus dem Status verlachter Waldschrate heraustreten. Im Lauf des Jahres 1979 formen ernüchterte Linksradikale und konservative Schöpfungsbewahrer die grüne Anti-Partei, die im Oktober gleich ins Parlament von Bremen einzieht, vor allem aber in Gorleben und Bonn gegen die Atomkraft zu Felde zieht. Nimmt man die kommenden Proteste gegen den Nachrüstungsbeschluss hinzu, wächst nicht nur in Westdeutschland die größte außerparlamentarische Kohorte seit langem.

Die Grünen sind in Europa die einzig flächendeckende Parteigründung seit der Restauration der parlamentarischen Systeme nach 1945, die ökologische Wende schaffen sie aber nicht. Sie bringen vielmehr die europäische Sozialdemokratie in eine Krise, von der sie sich nirgendwo wirklich erholen wird - und damit, da die Neulinge allein auf Rot-Grün setzen, fast überall die Neokonservativen ans Ruder. Eine lange Ära des Interessenausgleichs zwischen Kapital und Arbeit geht zu Ende, auch eine sozialdemokratische Illusion politischer Planung und Staatsintervention.

Radikalste Verfechterin des Klassenkampfs von oben wird Margret Thatcher, die im Mai als Prime Minister in die Downing Street Nummer 10 einzieht. Von ihr stammt die militante, gegen Gewerkschaften und Wohlfahrtsstaat zielende Formel "There is no Alternative", ein großflächiges Programm der neoliberalen Deregulierung. In Kalifornien schickt sich 1979 ein Ex-Gouverneur namens Ronald Reagan an, den durch die Iran-Krise in Bedrängnis geratenen Jimmy Carter zu beerben. Der Exponent des rechten Flügels der Republikaner ist ebenfalls der Meinung, der Staat sei nicht die Lösung, sondern das Problem.

Unter anderem weil der Kapitalismus seit den Siebziger Jahren ungleicher, ungerechter und exklusiver geworden ist und weil Amerika in vielen Ländern des Südens kaum mehr Strahlkraft besitzt als die späte Sowjetunion, erblühen weltweit politische Religionen und religiöser Fundamentalismus. Das symbolische Ereignis des Jahres 1979 ist deswegen die Demütigung der Supermacht bei der Besetzung ihrer Botschaft in Teheran und die gescheiterte Befreiung der Geiseln.

"Fürchtet euch nicht, Amerika ist zu nichts fähig", predigt Chomeini, auch die Sowjetunion nennt er eine teuflische Macht, die sich im afghanischen Guerillakrieg ruinieren wird. Die islamische Republik hat die Intifada und den palästinensischen Regionalkrieg internationalisiert, sie tritt in den Club der Atommächte ein. Zum Jahrestag der Islamischen Revolution gibt Chomeini die Parole aus: "Wir müssen uns alle erheben, den Staat Israel auflösen und das Volk Palästinas an seine Stelle setzen".

CLAUS LEGGEWIE

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Bode und Bauhaus

Liam Gillick plant Kunst-Edition für die Biennale in Venedig

Kaum ein Haus ist anspruchsvoller und für Künstler schwerer zu bewältigen als der Deutsche Pavillon in Venedig. Der ehemalige "Padiglione Bavarese" der Münchner Secession, 1912 mit antikisierendem Dekorationsfries verhübscht und danach als Pavillon des ganzen Reiches fungierend, wurde 1937 von den Nazis eiskalt-monumental aufgemotzt. Seitdem muss, wer dort ausstellt, auch irgendwie mit der Architektur verfahren - entweder kritisch oder eskapistisch.

Der Brite Liam Gillick, der in diesem Jahr Deutschland auf der Biennale vertritt, wird nun am 12. Februar in Berlin die Erinnerung an die Nachkriegszeit wachrufen, als man den Pavillon ernsthaft modernisieren wollte. Die in geringer Auflage hergestellte, bis zu einem halben Meter große Kunst-Edition, die Gillick als Diskussionsbeitrag im Rahmen seiner Arbeit für Venedig versteht, wird das Modell eines Entwurfs des Documenta-Gründers Arnold Bode sein, den dieser 1957 schuf: In bester Bauhaus-Tradition war ein schlichter Kubus mit seitlich versetztem Eingang vorgesehen, der das Gebäude sozusagen entgiftet hätte. Damals hatte das Auswärtige Amt sogar Kontakt zu einigen der bedeutendsten Baumeister des Landes aufgenommen, zu Hans Scharoun, Egon Eiermann und Ludwig Mies van der Rohe, um den pseudosakralen Nazitempel umzubauen.

"Ich interessiere mich für die Frage, was bei der Renovierung des Deutschen Pavillons in den Sechzigern geschah: Hat niemand je darüber nachgedacht, ob das Haus entfernt und ein neues gebaut werden soll?", so Gillick zur SZ. "Es gab solche Pläne. In diesem Terrain bewege ich mich gedanklich und finde Ideen. Das Haus ist ein Ort der Erinnerung, es zeigt seine Geschichte." Gillick hat Kontakt zum Documenta-Archiv aufgenommen; Spekulationen, er werde Bodes Pläne in Venedig tatsächlich 1:1 ausführen, erteilte er jedoch eine Absage.

Gillick, der in seinen Arbeiten immer wieder urbanistische Themen reflektiert, spielt mit Bodes Modell aus einer Zeit, als das Land wirklich noch modern dachte, auch auf aktuelle städtebauliche Entwicklungen an - beispielsweise in Berlin, wo man ein Monument der Moderne nach dem anderen abreißt, um einen Feudalbau der Hohenzollern dem Umriss nach emporwachsen zu lassen. Der Kommissar des Deutschen Pavillons, Nicolaus Schafhausen, wollte nicht ausschließen, dass der Erlös der Edition auch der Finanzierung für die Biennale dient, sieht die Summe aber als nachrangig an.

Nachdem schon Anfang 2008 die Deutsche Bank als Hauptsponsor des Deutschen Pavillons absprang, finanziert jetzt Hugo Boss den Auftritt, dessen Auftraggeber freilich das Auswärtige Amt und das Institut für Auslandsbeziehungen sind - von ihnen kommt ein Beitrag von etwa 250000 Euro. Weitere Sponsoren und auch das Goethe-Institut werden ebenfalls beteiligt sein. Bleibt die Frage, ob der Auftraggeber zukünftig nicht auch der Hauptfinanzier sein sollte. HOLGER LIEBS

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Ein Polizeistaat namens L.A.

Aktuelle Wut, gespeist aus der Geschichte: "Der fremde Sohn" von Clint Eastwood

Immer wenn man meint, diesem Film auf die Schliche zu kommen, überrascht Clint Eastwood, der alte Fuchs, seine Zuschauer von neuem. Ein Historienfilm, denkt man zunächst: weil die Farben angegraut und entsättigt sind, weil Angelina Jolie glockenförmige Stummfilmhüte trägt und durch Los Angeles eine Straßenbahn fährt. "Eine wahre Geschichte", heißt es dann auch lapidar auf einer Schrifttafel - nicht "basierend auf" oder "inspiriert von". Mit diesem Anspruch wird "Changeling/Der fremde Sohn" von der unglaublichen Prüfung einer gewissen Christine Collins erzählen, deren Sohn eines Tages im Jahr 1928 spurlos verschwunden war, woraufhin ihr eine korrupte Polizei einen falschen Straßenjungen unterschob und dann versuchte, ihre Proteste durch Einweisung in die Psychiatrie zu ersticken.

Die Mutter, ewig gehetzt

Aber nein, keineswegs nur historisch - ein moderner Mütterfilm, meint man wenig später zu spüren: Wie sensibel und zugleich gnadenlos hier dem ewigen Schuldbewusstsein der berufstätigen oder auch nur lebenshungrigen Frau nachgespürt wird - da liegt plötzlich sogar der Fall Maddie ganz nah. Christine Collins, eine Tour de Force für Angelina Jolie, hat ihr neunjähriges Kind zu Hause alleingelassen, sie stürzt also wie gehetzt aus der Arbeit, wird aber vom Vorgesetzten aufgehalten, der sie loben und befördern will - ja danke, sagt sie, aber nicht jetzt. So gebremst verpasst sie die Trambahn, kommt aufgelöst in ihrer Straße an - und wie leer und dunkel und tot das Haus in diesem Moment schon daliegt, das bestätigt die schlimmsten Ängste und schnürt ihr die Kehle zu.

Doch Moment: Vielleicht geht es doch eher um einen Monsterfilm? Ein Film wie "Das Omen", mit einem Monster in Kindergestalt, einem Wechselbalg wie aus Märchen und Sagen. Das untergeschobene Kuckuckskind sperrt gierig den Schnabel auf und scheint immun zu sein gegen den Hass seiner Wirtsmutter. "Goodnight, Mommy", sagt es, genauso scheinheilig wie gruselig. Aber auch wieder falsch - denn bald verwandelt sich alles in einen sehr direkten Frauengefängnisfilm à la "Frauen bis aufs Blut gequält" - zumindest für einige Zeit: Wenn nämlich Angelina Jolie in die geschlossenen Abteilung der Psychiatrie eingeliefert wird, erlebt sie das volle Programm der denkbaren Scheußlichkeiten, vom Elektroschock bis zur Durchsuchung aller Körperöffnungen, ausgeführt von einer bösen blonden Aufseherin.

Und dann, kaum ist die Hauptfigur vorläufig weggesperrt, beginnt schon wieder etwas Neues, ein richtiger Serienkillerfilm: Es gibt Hinweise auf verschwundene Jungs, die zu einer abgelegenen Farm in der Wüste führen, auch der echte Sohn der verzweifelten Mutter könnte dort gewesen sein. Wenn der unerschrockene Detektiv an diesem Ort ankommt, lauert die Kamera ihm schon auf, durch einen Spalt im Holzverschlag lugt sie hindurch. Gleißendes Sonnenlicht, undurchdringliche Schatten. Aus den Schatten aber ragen Äxte und Hackebeile hervor, in solcher Zahl, dass man denkt: Ist ja gut jetzt. . . Eine Tür knarzt eindrucksvoll. Ein aufgescheuchtes Huhn flattert auf.

In Windeseile also wechselt der Regisseur Eastwood seine Stilmittel und Erzähltechniken, aber er lässt das alles völlig natürlich erscheinen, und er macht auch kein Aufhebens darum. Und so war es ja wirklich, könnte man sagen: Der Fall des falschen Collins-Jungen mündete ganz unmittelbar in das größte Verbrechen, das bis dahin die Stadt Los Angeles erschüttert hatte - in den Fall des Massenmörders Gordon Northcott.

Wie soll das also weitergehen: Ein Gerichtsdrama, bei dem mit donnernder Stimme die Gerechtigkeit zurückschlägt? Dazu das Kurzporträt eines getriebenen Kindsmörders, gespielt von Jason Butler Harner, bei dem Peter Lorre sehr heftig grüßen lässt? Und zuletzt noch ein Statement zur Todesstrafe? Aber ja, alles drin, alles mit dabei. Wer gerne klassischen Erzählern folgt, die ihre Motive zu perfekten Paketen verschnüren, wird hier irritiert sein. Denn diese Geschichte, der Eastwood so beharrlich in allen Wendungen folgt, verweigert sich dem Wunsch nach Auflösung. Wo in Wirklichkeit Zweifel blieben, wird auch der Film keine Antworten geben - und die Hinrichtung eines Verurteilten ändert daran schon gleich gar nichts.

Aber dann ist es doch so, dass aus ganz verschiedenen Richtungen, in einer Art experimentellen Zangenbewegung, Erkenntnisse eingekreist und schließlich dingfest gemacht werden. Sie tragen ein großes Potential an Wut in sich - und man meint zu spüren, dass diese Wut auch Eastwood selbst antreibt. Es geht um den Wahnsinn, dem man sich zum Beispiel gegenübersieht, wenn eine unkontrollierbare Sicherheitsbürokratie beginnt, ihre eigene Realität zu schaffen.

Dann sagt der Verstand, dass ein neunjähriger Junge nicht innerhalb eines halben Jahres um fünf Zentimeter schrumpfen kann. Doch Polizisten und Ärzte reden so lange, bis sie wegerklärt haben wollen, was nicht wegzuerklären ist. Genauso - diese Verbindung muss dann aber der Zuschauer selbst ziehen - wirkte oft genug das Realitätsverständnis der Bush-Administration.

Korrektur mit Donnerhall

Und die Rechtlosigkeit einer Frau, die allein durch die Unterschrift eines Polizisten weggesperrt werden kann - erinnert sie nicht an das Gefühl, dass heute Guantanamo-Häftlinge haben müssen? Im Grunde geht es hier um Terror von Staats wegen, um einen Polizeistaat, der sich für kurze Zeit mitten in Amerika ausbreiten konnte. Und doch: Amerika wäre bei Eastwood nicht Amerika, wenn seine aufrechten Bürger das nicht schon nach kurzer Zeit mit Donnerhall korrigieren würden. In unseren Gerichtssälen, scheint er zu sagen, bleibt noch einiges zu tun.TOBIAS KNIEBE

CHANGELING, USA 2008. Regie: Clint Eastwood. Buch: J. Michael Straczynski; Kamera: Tom Stern. Mit Angelina Jolie, John Malkovich, Jeffrey Donovan. Universal, 142. Min.

"Das ist nicht mein Kind!" wird Christine Collins (Angelina Jolie) in Clint Eastwoods "Der fremde Sohn" stöhnen, flüstern, brüllen. Doch der Polizist Captain J.J. Jones (Jeffrey Donovan, rechts) glaubt ihr nicht. Foto: image.net

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Es wäre ein Traum, wenn das realisiert würde . . .

Mariss Jansons und die Freunde seines Orchesters wollen am Münchner Marstall einen neuen Konzertsaal errichten. Jetzt hat Seehofer den Plänen zugestimmt

Das mehrmals totgesagte Projekt, den Marstall an der Rückseite der Münchner Residenz in einen international konkurrenzfähigen Konzertsaal zu verwandeln, hat eine überraschende Wiederbelebung erfahren. Den Anstoß dazu hat der neue bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) gegeben, der beim Jahresempfang der Evangelischen Akademie in Tutzing sagte, er sei überzeugt, "dass wir in München einen Konzertsaal brauchen". Vorausgegangen war ein Gespräch Seehofers mit Mariss Jansons, dem Chefdirigenten des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunk, der seit geraumer Zeit den Neubau eines Konzertsaals fordert. Offenbar hat Janssons' Befürchtung, München werde ohne einen Saal mit höchster Klangqualität seinen Rang als führende Musikstadt verlieren, auf den Ministerpräsidenten Eindruck gemacht. Auf SZ-Anfrage fügte Seehofer hinzu, er betrachtete einen Konzertsaal auf dem Marstallgelände als große Chance für die Kunst- und Kulturstadt München: "Ich möchte dieses Projekt. Wir müssen jetzt alle Hebel in Bewegung setzen, um es möglich zu machen."

Für den ehemaligen bayerischen Finanzminister Kurt Faltlhauser, der gemeinsam mit Jansons für den Konzertsaal kämpft, sind Seehofers Aussagen ein bedeutsamer Schritt in die richtige Richtung. Von einem Durchbruch zu reden, sei aber zu früh, denn noch müsse sich Seehofer mit dem Koalitionspartner FDP absprechen. Vorrangig wird es dabei ums Geld gehen, und das ist angesichts der Finanzkrise und des Landesbank-Desasters im Freistaat knapp. Kunstminister ist neuerdings der Liberale Wolfgang Heubisch, und der hat sich in puncto Finanzierung schon vor Wochen skeptisch geäußert. Mindestens 120 Millionen Euro würde der Bau kosten, etwa ein Drittel der Summe sollen Sponsoren und private Spender locker machen sowie der Bayerische Rundfunk, dessen Orchester hier die seit langem ersehnte Heimat fände. Heubisch gibt sich auch nach Seehofers Vorstoß zurückhaltend: Ein neuer Konzertsaal sei zwar "wünschenswert", doch zuvor müsse man unter anderem klären, ob das Marstallgelände tatsächlich der richtige Standort sei und "welche Konstruktion eine solche Konzerthalle" haben solle.

Das Marstall-Projekt ist seit Jahren ein steter Quell für Streitereien in Politik und Öffentlichkeit. Faltlhauser und Jansons machen dabei gehörig Dampf, insbesondere mit der Schreckensvision des kulturellen Niedergangs Münchens. Vor allem die Akustik der Münchner Musikhallen steht in der Kritik. Weder der Herkulessaal in der Residenz noch die Philharmonie im städtischen Kulturzentrum Gasteig können Jansons zufolge mit den besten Sälen mithalten. "Was nützt es", klagt Jansons, "wenn wir sagen, wir sind die führende Musikstadt, und gleichzeitig gibt es keinen Saal mit einer Spitzenakustik." In aller Welt gebe es inzwischen exzellente Konzertsäle, wohingegen München so übel beleumdet sei, dass "viele Orchester hier nicht mehr spielen wollen". Faltlhauser warnt: "Hamburg baut die Elbphilharmonie, ein spektakuläres Vorhaben! Kann München in einem derartigen nationalen Wettbewerb zurückstecken? Sicherlich nicht."

Als Faltlhauser noch Finanzminister im Kabinett Stoiber war, hat die Staatsregierung per Ideenwettbewerb auszuloten versucht, ob das Marstallgebäude die Voraussetzungen für eine kulturelle Nutzung erfüllt. Der Marstall ist ein höfischer Prachtbau, um 1820 errichtet vom königlichen Baumeister Leo Klenze. Das marode Architektur-Monument, das derzeit dem Residenztheater als Kulissenlager, Werkstatt und Studiobühne dient, muss in jedem Fall saniert werden. Faltlhausers Hoffnung ist, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: den Marstall aufzumöbeln und damit gleichzeitig das Konzertsaal-Problem zu lösen. Als Sieger des Ideenwettbewerbs gingen die Berliner Kanzleramts-Architekten Axel Schultes und Charlotte Frank hervor. Ihr Entwurf sieht für die freie Fläche hinter dem Marstall einen Zwillingsbau in moderner Formensprache vor. Der Altbau würde als Foyer dienen, stünde aber auch für Ausstellungen, Vorträge und Theaterproben zur Verfügung.

Nach dem Ideenwettbewerb war das Projekt ins Stocken geraten. Stoiber und sein Nachfolger Beckstein hatten andere Probleme, die Finanzkrise schien dem Vorhaben endgültig den Garaus zu machen. Gleichwohl focht Faltlhauser, seit zwei Jahren nicht mehr im Amt, unverdrossen weiter. Er steht an der Spitze des Vereins "Konzertsaal Marstall", der Geld zu sammeln verspricht, sobald die Staatsregierung sich zum Bau entschließt. Faltlhauser schöpft jetzt neue Hoffnung: "Es ist ein Traum, wenn das realisiert würde." WOLFGANG GÖRL

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Schröders Muse: Wie Beethoven den Soundtrack für die Peanuts lieferte

Die Musik hat eine Gestalt in den Peanuts-Comics des Charles M. Schulz. Die Musik ist ein kleiner blonder Junge im Ringelhemd, der tief gebeugt an seinem Spielzeugklavier sitzt. Die schwarzen Tasten hat er erst aufmalen müssen. Schröder heißt er, und er hat zwei herausragende Eigenschaften: Er liebt Klassik, und er kann jede Sekunde vor Jähzorn platzen. In einer Folge von 1969 lehnt Lucy, das Luder, das sich nur von ihm zähmen lässt, bei ihm am Flügel und nervt, wie nur Verliebte nerven können. Was wohl die Antwort auf das Leben sei, fragt sie Schröder, und Schröder brüllt in dicken Großbuchstaben, die Lucy fast aus dem Bild schleudern: BEETHOVEN!

Schröder verehrt Beethoven, er hat immer seine Büste in der Nähe und einen ganzen Schrank voll mit Ersatz. Knapp ein halbes Jahrhundert hat Schulz bis zu seinem Tod im Februar 2000 die Peanuts gezeichnet, und fast jedes Jahr ließ er Schröder am 16. Dezember den Geburtstag des Komponisten feiern. Manchmal steckte er ihn in ein Sweatshirt, das das Konterfei des Idols zierte. Ursprünglich hatte er ihm seine eigene Passion für Brahms mit ins Comic-Leben geben wollen, doch dann befand er, dass Beethoven "lustiger" klinge. Beethoven also gehört zu den Peanuts beinahe so wie Peppermint Patty. Trotzdem stellte ein amerikanischer Musikwissenschaftler nun fest: Potzblitz, seine Rolle in der Serie ist noch viel größer als gedacht! Ludwig van Beethoven hat, unbemerkt von ihm und vom Rest der Welt, den Soundtrack der Peanuts geschrieben.

Immer, wenn Schröder in die Tasten haut, blitzen über seinem Klavier Noten auf, und diese Noten hat William Meredith von der San Jose State University einfach mal gespielt. Hunderte Strips hat er untersucht, ein ganzes Jahr war er beschäftigt. Bisher dachte man, die Noten hingen nur dekorativ im Bild herum. In einer Folge schmückt Snoopy sogar einen Christbaum damit. Jetzt wissen wir: Der Klassik-Freund Schulz - und Schande über alle, die jemals etwas anderes erwartet haben - pflegte seinen formidablen Hang zum Hintersinn nicht nur in Bild und Text. Auch die Musikpassagen hat er nie zufällig gewählt. Und natürlich hat er sich vor allem bei Beethoven bedient, um die Stimmung eines Bildes oder die Gefühle einer Figur zu unterstreichen. "Wer die Musik in den Strips nicht versteht, kann nicht die ganze Bedeutung des Werks erfassen", sagt Meredith. Die Ergebnisse seiner Forschungen sind derzeit in einer Ausstellung im Schulz Museum im kalifornischen Santa Rosa zu inspizieren. (Foto: PEANUTS © United Feature Syndicate, Inc.)

In der eingangs beschriebenen Szene wendet sich Schröder von Lucy ab und spielt den ersten Satz aus der Klaviersonate Nummer 8 in c-Moll, die "Paethétique" - pure Leidenschaft. In der Bilderfolge von 1953, in der Schröder sich wie im Wahn in den Liegestütz wirft und Hanteln zur Decke wuchtet. Entschlossen schreitet er dann an den Flügel und stemmt ein Stück, das ihm Furor in die Augen und Schweiß auf die Stirn treibt. Es ist der Beginn von Beethovens Hammerklaviersonate - größer, schwieriger hat er für Klavier nie komponiert. ROMAN DEININGER

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Leider lauwarm

Die Londoner "White Lies" wären gerne eine große kalte Rockband

Der leere, abwesende Blick ist beliebt in der Bandfotografie und in Musikvideos. Weltschmerz, Melancholie, Trauer über die Sinnlosigkeit des Lebens und manches mehr scheinen den Rocksänger zu bedrücken. Tiefes Leiden suggeriert der Blick. Die White Lies haben ihn besonders gut drauf. Er passt ideal zum Arsenal der Düsternis, das die Band bereithält. Das drei 20-jährigen Londoner tragen natürlich immer schwarz, dunkel rollt der Bass, kalt schweben die Keyboard-Akkorde über der Stimme von Sänger Harry McVeigh, die von Angst, Tod und fernen Schreien in der Nacht erzählt. Englands Musikpresse feiert das Album "To Lose My Life" (Polydor/Universal, 2009) schon jetzt als die große Hoffnung des Rock 2009. Sie ist einer Band erlegen, die das große Erbe von Joy Division für Stadion und Pausenhof aufbereitet hat. McVeigh singt mit Ian Curtis' kehligem Tremolo Hymnen des Schmerzes, die jeden Teenager einladen, traurig seinen Kopf zur Seite zu legen, mitzusingen, sich in Schwermut zu suhlen. Ian Curtis genügte es noch "Love will tear us apart" zu singen, den White Lies reicht das nicht mehr, sie brauchen ein düsteres, aber nicht allzu böses Schauspiel. Doch die Zitation finsterer Pop-Motive ergibt noch keine große Band. Da hilft auch der leerste Blick nichts. BENEDIKT SARREITER

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Reichlich reduziert

Andrew Bird versöhnt den verqueren Folk mit dem Pop

Als begabter Violinist, solider Gitarrist und begnadeter Kunstpfeifer hat man es nicht leicht in der Popwelt (es sei denn, man will bei Jethro Tull oder im Mittelalterrock groß rauskommen). Andrew Bird kann davon ein Lied, nun ja, singen, geigen, pfeifen. Jetzt veröffentlicht der 35-jährige Multiinstrumentalist das achte Album seiner bislang eher erfolglosen Karriere. Aber schon mit seinem letzten Album ("Armchair Apocrypha", 2007) hatte sich angedeutet, dass er von der Öffnung des Pop zum verquerem Folk profitieren wird. "Noble Beast" (Fat Possum, 2009) beginnt mit der Essenz seines bisherigen Werks: Streicher, eine gezupfte Gitarre, eine gepfiffene Melodie. Der Musiker aus Chicago weiß, wie man Pophits schreibt - er weiß nur nicht, ob er das auch wirklich will. Es kämpft der Virtuose mit dem Popfan und dem feinsinnigen Arrangeur. Die Songs sind vielschichtig. Pastoral und doch bescheiden, elegisch und doch hoffnungsvoll. In "Masterswarm" wird reichlich gejammert - um das Lied nach einer Minute in einen munteren Bossanova kippen zu lassen. Er spielt den perfekten Popsong ("Fitz and the Dizzy Spills"), Grunge-Balladen ("Natural Disasters"), Kammermusik-Klangexperimente ("Unfolding Fans"), Country-Perlen ("Souverian"). Aber es ist kein Eklektizismus. Bird ist einfach ein Feind der Reduktion. Er zelebriert Komplexität. Allerdings ohne damit auch nur eine Sekunde zu nerven! JAN KIRSTEN BIENER

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Wild windend

Gewalttänze: Esa-Pekka Salonens neues Klavierkonzert

Von Schaffenszweifeln scheint Komponist Esa-Pekka Salonen - Jahrgang 1958 und auch weltberühmter Dirigent - nicht heimgesucht zu sein, auch wenn eines seiner Stücke den Titel "Insomnia" trägt. Auf seiner neuesten Platte (DG) versammelt Salonen drei vor Kraft nur so strotzende Stücke, deren beständige und sich dauernd steigernde Energieentladungen einem beim ersten Hören überwältigen. Bei mehrmaligen Hören schälen sich feine Strukturen aus diesen dahinrauschenden Lavaströmen heraus, die ihre Herkunft von Strawinsky nie verleugnen, aber Klangoberflächen anbieten, die Pendant scheinen zu Wolkenkratzern aus Stahl und Glas: wild im Sonnenlicht glitzernde Klangtürme.

Zentrum der Platte ist das von Yefim Bronfman gespielte Klavierkonzert, ein halbstündiger Dreisätzer, der sich nach kurzer Orchestereinleitung vom Soloinstrument angeführt zu einen zunehmend entgrenzten Massentanz von Großstadtmenschen steigert. Diese mit kraftstrotzender Grazie inszenierten Gewalttänze prägen alle Stücke der CD - auch das Orchesterstück "Helix", das sich auf den finalen Punkt hinwindet: fulminanter Jubel des Publikums. Salonen ist versierter Kenner des Orchesters, seine Technik ist stupend, seine Durchhaltevermögen überwältigend. So einem kann, im Gegensatz zu vielen europäischen Kollegen, Komponieren nicht zum Problem werden - oder sollte das im Kraftrausch der Stücke verborgen sein?

REINHARD J. BREMBECK

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Ankündigung einer Revolution

Die französische Kaderschmiede ENA soll sich wandeln

Die französische Regierung scheint entschlossen, eine sakrosankte Regelung zu beseitigen, mittels derer bislang die Weichen für die Besetzung der Spitzenpositionen in Verwaltung, Politik und Wirtschaft gestellt wurden. Wie der für den Staatshaushalt zuständige Minister Eric Woerth dieser Tage vor Studenten der Elitehochschule ENA (Ecole Nationale d'Administration) ankündigte, sollen die 10 bis 15 bestbenoteten Absolventen des jeweils 27 Monate dauernden Studiengangs das schon lange kritisierte Privileg verlieren, sich ihr künftiges Tätigkeitsfeld in der bürokratischen Spitze der Republik frei auswählen zu können. Bislang war es Praxis, dass diese Elite der Elite automatisch Aufnahme in der "Cour des Comptes", der "Inspection des Finances" oder dem "Conseil d'Etat" fand. Alle drei Institutionen bieten ihren Mitgliedern die sichere Gewähr zügigen Aufstiegs zu leitenden Positionen in Politik, Verwaltung und Privatwirtschaft.

Wer nicht zu diesen Glücklichen gehörte, musste sich je nach Notendurchschnitt damit abfinden, im weniger prestigeträchtigen diplomatischen Dienst oder im Corps der Präfekten unterzukommen. Beide Laufbahnen sind allein schon deswegen weit weniger beliebt, weil sie mit häufigen Ortswechseln verbunden sind. Außerdem bieten sie nur begrenzte Karrierechancen, die überdies von der jeweils die Regierung stellenden Parteienkonstellation abhängig sind. Schließlich gibt es aus dieser einmal eingeschlagenen Laufbahn lebenslang kein Entrinnen mehr, denn der Aufstieg zu einer Führungsposition in Verwaltung oder Privatwirtschaft ist so gut wie ausgeschlossen. Das verhindert nicht zuletzt der ausgeprägte esprit de corps der jeweils Besten einer "Promotion", die stets darüber wachen, dass diese Positionen nur mit ihresgleichen besetzt werden. Dieser hochdifferenzierte, hochmütig-elitäre Kastengeist der "Enarchen", wie die Absolventen der ENA genannt werden, hat aber auch zur Folge, dass sich Seilschaften und wahre "Dynastien" ausbilden, die von vornherein verhindern, dass Außenseiter eine realistische Chance haben, in den exklusiven Zirkel zu gelangen. Bezeichnend dafür ist, dass die allermeisten Absolventen der ENA aus arrivierten Familien in Paris stammen.

Wer sich nach den Noten im Abschlussexamen noch nicht einmal für die Verwendung als Präfekt oder Diplomat qualifiziert, wird "administrateur civil". Das ist gewissermaßen ein Stigma, denn es signalisiert den Eingeweihten, dass dieser Enarch sich nicht die Qualifikation erworben hatte, um seine Karriere in einem der drei prestigeträchtigen "grands corps d'état", also dem Rechnungshof, der Finanzinspektion oder dem Staatsrat zu beginnen. In der Nomenklatur der Enarchie gelten diese Absolventen deshalb als "sous-hommes", als "Untermenschen".

Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der anders als seine Amtsvorgänger kein Absolvent der ENA ist, hatte diese Auswahlpraxis kürzlich als "schockierend" bezeichnet, da sie nicht denen, die für einen wichtigen Posten am besten geeignet sind, den Zugang dazu verschafft, sondern dass allein die Noten in einem Abschlussexamen über ein ganzes Berufsleben entscheiden. Die Kritik ist umso berechtigter, als dieser exklusive Club der Spitzen-Enarchen, von dem nicht wenige bald aus dem Staatsdienst ausscheiden, um wesentlich besser bezahlte Führungsposten in der Privatwirtschaft zu übernehmen, ein informelles Netzwerk bildet, das angesichts des traditionell engen Verhältnisses, das zwischen dem Staat und den großen Unternehmen in Frankreich besteht, Nepotismus und "Vetternwirtschaft" Tür und Tor öffnet.

Leider wird die Reform, die darauf abzielt, grundsätzlich allen Absolventen der ENA die gleichen Chancen zu eröffnen, aber erst nach 2011 wirksam werden. JOHANNES WILLMS

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Dünne Berliner Luft

Kosten essen Kunst auf: Wie die Deutsche Oper schlagartig zu 800 000 Euro Defizit kommen konnte

Alles ist relativ, in Relation zueinander. Es kann einem zwar schwindelig werden, wenn man von den gewaltigen Geldsummen und ihrer Bankenherkunft hört, den Milliardenpaketen und Billionenlöchern, für die jede Vorstellungskraft fehlt. Wenn man nun an jene gerade bekannt gewordenen 800 000 Euro Defizit der Deutschen Oper Berlin denkt, die plötzlich im Kalenderjahr 2008 ein Loch in die Kasse des Hauses gerissen haben, dann fehlt auch dafür die richtige Vorstellung. Ist das nicht, im Vergleich mit der Bankenbranche, eine gefühlte Petitesse? Und doch entsteht dem zweitgrößten deutschen Opernhaus aus der Zahl ein Problem, das dramatische Folgen haben kann.

Die institutionalisierte Krise

Hinter der "nur" sechsstelligen Summe steckt nicht die Tatsache, dass man über seine Verhältnisse gelebt hat, sondern, wie Axel Baisch aussagt, der Geschäftsführende Direktor der Oper, ein Finanzstrukturproblem in der äußerst krisenanfälligen Berliner Opernlandschaft, deren Anfälligkeit durch eine der Krise trotzende Opernstiftung keineswegs dauerhaft behoben wurde. Zwei Hauptursachen lassen sich demnach für das Defizit ausmachen, die zu tun haben mit einem strukturellen Ungleichgewicht der drei großen Häuser: Deutsche Oper, Staatsoper und Komische Oper.

Erstens schnitt die Deutsche Oper bei der Etaterhöhung um 20 Millionen Euro, die sich die Opernstiftung Anfang 2008 gutschreiben durfte, deutlich schlechter ab als etwa die Berliner Staatsoper, die die Hälfte davon erhielt. Von den vier Millionen für die Deutsche Oper blieben aber wegen der längst verfügten Zuschussabsenkung nur 1,5 Millionen übrig, die in Technik und Gehaltserhöhungen der Musiker flossen. Zweitens wurden 2008 der Deutschen Oper 900 000 Euro aufgebrummt, weil die Karlsruher Versorgungskasse des Bundes und der Länder durch Satzungsänderung eine Zusatzzahlung vieler Institutionen in die Rentenversicherung des Öffentlichen Dienstes verfügte. Die hat aber nur die Berliner "West-Oper" zu zahlen, während die beiden anderen, im Osten der Stadt gelegenen Häuser davon ausgenommen sind. Bis 2015 fällt eine ähnliche Summe jährlich an, die, so Axel Baisch, zum Beispiel bei der Bayerischen Staatsoper vom Finanzministerium dort beglichen werde.

Für Baisch, der gute Nerven und Zuversicht zu besitzen scheint, ist es selbstverständlich, dass das Haus in Zukunft einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen muss und wird. Hat die Deutsche Oper Berlin also einfach nur Pech gehabt? Intendantin Kirsten Harms, deren Vertrag bis 2011 läuft und die das Haus gern weiterhin führen würde, sieht den grundsätzlichen Konflikt, in dem sich viele Theater in Deutschland befinden: Dass in einem Land, das auf Wachstum angelegt ist, die Tarifsteigerungen für das Personal von Theatern aus dem hauseigenen Etat zu bezahlen sind. Wodurch die Kunst in Gefahr gerät.

Die Politik ist gefragt

"Das Personal im Theater kann man eben nicht, wie in vielen anderen Branchen, durch Technik und Rationalisierung ersetzen." Für Berlin hofft Kirsten Harms auf die Einsicht der Politik, dass die Finanzierung der kontinuierlichen Kostensteigerungen nicht von der Kultur selbst, der Kunst und den Künstlern, gezahlt werden kann, denn sonst säge man an dem Ast, auf dem man selbst sitzt: "Es ist ja die Kultur, die den Mythos Berlin belebt. Und Kultur, die Magnetkraft besitzt, ist schließlich ein wichtiger Wirtschaftsfaktor."

Woher soll die Deutsche Oper 2010 Zusatzkosten von 2,6 Millionen Euro nehmen? Einsparungen dürfen so wenig wie möglich im künstlerischen Bereich vonstatten gehen, der "Kunde" soll - wie in anderen Branchen - so lange wie möglich nichts von einer Minderung der Qualität spüren. So müssen zunächst der Gebäudeunterhalt, die Werbung sowie die technischen Investitionen pausieren. Zugleich geht es, sehr vorsichtig, an jene Stellen, die aus Altersgründen frei und nicht mehr besetzt werden. Schon jetzt sind von den 550 Planstellen der Deutschen Oper nur noch 510 tatsächlich besetzt, in Chor und Orchester sind 14 Stellen eingespart. Reduziert werden Vorstellungen und Premieren, von denen es statt sechs nur noch vier bis fünf geben wird, einschließlich der Koproduktionen. Die Eröffnungspremiere der nächsten Spielzeit, Beethovens "Fidelio", ist abgesagt.

Wird das Sparen zum Kaputtsparen? Wenigstens scheint der designierte Generalmusikdirektor Ronald Runnicles, nicht zu resignieren, sondern sich an dem Spagat von künstlerischer Qualität und deren Finanzierung mit eigenen Ideen zu beteiligen. WOLFGANG SCHREIBER

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Das Design der Krise

Holztisch, Esoterikbett und Barbiezimmer: Die Möbelmesse zeigt, wie man sich passend zum Jahr 2009 einrichtet

Verblüffend: In vielen westlichen Ländern werden die Familien und Haushalte immer kleiner, während die Küchen immer größer werden. Die Küche etwa, die man benötigt, um den laut Hersteller "antiksten Tisch der Welt" angemessen aufzunehmen, sollte 140 Quadratmeter nicht unterschreiten. Derzeit ist dieser Tisch - zwölf Meter lang, fast zwei Meter breit und knapp vier Tonnen schwer - auf der soeben eröffneten Möbelmesse in Köln zu besichtigen. Entworfen hat ihn, im Auftrag der Firma Riva 1920, der Schweizer Architekt Mario Botta, von dem es heißt, er arbeite gern mit massiven und archaischen Materialien.

In diesem Fall stand ihm tausend Jahre altes Kauri-Moorholz aus Neuseeland zur Verfügung, wobei die aus einem einzigen Stück Holz gearbeitete Tischplatte so dick ist, dass die Unterkonstruktion aus schweren Stahlträgern an das Tragwerk einer Fabrikhalle erinnert. Ein besseres Signet hätte sich die diesjährige Möbelmesse kaum aussuchen können. Der Tisch, so antikst wie holzest, steht für "Green Production", also für Ökologie. Dazu mutet er so archaisch an, als stünde er sonst in der Burg Tintagel, um - als allerletztes Konjunkturpaket - nun auch die Ritter der Tafelrunde gegen die Wirtschaftskrise zu versammeln. Und das tausendjährige Holz mag einen mit den Halbwertszeiten der Finanzprodukte und Politikeransichten versöhnen.

In Köln wird folglich - das ist ja durchaus angenehm - in den nächsten Tagen viel gute Laune vor dem Hintergrund von 100 000 Möbeln verbreitet. Ja, sagt man, die Möbelbranche trotzt der Krise erfolgreich. Nein, sagt man, die Umsätze brechen nicht ein. Ja, sagt man, schlechte Zeiten für Autoingenieure sind gute Zeiten für Sofakonstrukteure.

Grüner wird's doch noch

In unsicheren Zeiten bleibe man eben daheim, nähre sich redlich und studiere die Möbelkataloge. Man richtet sich sozusagen ein - in der Krise. Das Ganze nennt man "Homing", "Cocooning" oder "neues Biedermeier". Wobei die wahre Biedermeier-Ära gerade auf dem Terrain der Möbelkunst von staunenswert kühnen, in die Moderne weisenden Formfindungen geprägt war - was man von der ungehobelten Holzästhetik der diesjährigen, wieder einmal pseudo-ökologisch ergrünten Möbelmesse nicht in jedem Fall behaupten kann. Das Mobiliar der Wirtschaftskrise scheint sich vor allem auch einer Krise der Phantasie und einem Mangel an Ingeniosität zu verdanken.

Nicht jedes Möbelstück, das aus einem Baum gesägt wurde, ist dem Gedanken der Nachhaltigkeit verpflichtet. Und nicht jede Holzdekoration der Messestände ist in der Lage, etwas Substantielles zur Diskussion um den Klimawandel zu leisten. Dennoch lässt es sich kaum ein Hersteller entgehen, auf der grünen Welle zu surfen. Da gibt es etwa die "Natürlich Wohnen GmbH", das Label "Design trifft Natur" oder die "Eco-Ethical-Company". Umweltbewusst sind die solcherart vermarkteten Produkte nicht immer. Erst allmählich einigt sich die Branche auf geeignete Zertifikate und überprüfbare Herstellungsstandards. Da ist eine Firma wie Cor weiter: Neben einer angenehm unaufgescheuchten Produktionslinie wird dort - im 25. Jahr! - Peter Malys Sessel "Zyklus" als Jubilar präsentiert. Das ist durchaus ein Beitrag zum Thema Nachhaltigkeit - denn auch die ästhetisch betriebene Neuerungssucht hat etwas mit Öko-Irrsinn zu tun.

Oder die Firma Frommholz: Deren Polstermöbel behaupten erst gar nicht, Design zu sein: Aber es gibt bei Frommholz zehn Jahre Gewährleistung, also das Versprechen auf ein langes Möbelleben. Nicht alle Holzbänke, die auf der Kölner Möbelmesse wie antikstes Wikinger-Picknick-Zubehör herumstehen, können so etwas für sich beanspruchen. Kein Zufall auch, dass die Gestalter von e15, die schon vor Jahren mit der Wiederentdeckung von fulminant formschönen Eichenmöbeln auf sich aufmerksam gemacht haben, in diesem Jahr auffällig antihölzern und mit viel Weiß und elegantem Grau agieren. Möglicherweise sind die e15-Designer ihrer Zeit voraus.

Holz ist nicht das einzige Kennzeichen einer schutzbedürftigen Wohn-Gegenwart. Selten waren beispielsweise so viele Kamine auf der Messe zu sehen. Tröstlich loderndes, dabei streng orthogonal gefasstes Feuer heizt so manchem Stand ein. Einmal sogar unter dem Begriff "ecosmartfire" - ob hier unbezahlte Gasrechnungen als Energieträger dienen?

Auf Knopfdruck

Auch die Esoterik boomt in Zeiten wegbrechender Glaubenssätze: Bei "Relax" schläft man in Betten aus Zirbenholz, weil durch die in der Zirbe enthaltenen ätherischen Öle - "wissenschaftlich erwiesen" - die Herzfrequenz günstig beeinflusst werde. Wer in einem Relax-Bett schläft, so Relax, spare sich pro Tag 3500 Herzschläge. Und auch gegen Wasseradern schirme das Relax-Bett ab, das man übrigens auch mit kleinen Plättchen aus Rohdiamanten ordern kann. Schließlich ist die Heilkraft der Diamanten nicht zu unterschätzen. Vermutlich gilt das auch für das benachbarte Bett "Private Cloud", ein Privatwolkenbett in Form einer Babywiege für Erwachsene. Es soll sich ebenso zur Entspannung eignen wie der Wellness-Lounge-Sessel "brainLight", der inklusive Visualisierungsbrille, Kopfhörer sowie 50 Licht- und Tonprogrammen ausgeliefert wird.

"Die meisten Menschen", so brainLight, "berichten nach mehrmaligen Anwendungen von positiven geistigen Veränderungen und erhöhter Lernfähigkeit." Man lernt nicht aus. "Nur wer einen kühlen Kopf bewahrt und innerlich ausgeglichen ist", heißt es etwa über das Modell, das auf den Namen "Synchro be relaxed" hört, "hat heutzutage beste Chancen, sein Leben mit Freude und Erfolg zu meistern." Vielleicht sollte der Synchro be relaxed angesichts der Bedeutung der Wissens- und Retro-Relaxed-Gesellschaft in eines der noch anstehenden deutschen Konjunkturprogramme aufgenommen werden. Zumindest wäre zu überlegen, ob der antikste Tisch der Welt zusammen mit ein paar Ecosmartfire-Kaminen und brainLight-Berieselungssesseln das künftige Humboldtforum bereichern könnte. "Ausgeglichenheit auf Knopfdruck": Was wäre den politischen, wirtschaftlichen und ästhetischen Bilanzen der Gegenwart sonst zu wünschen? GERHARD MATZIG

Die rosarote Brille reicht nicht mehr: In schwierigen Zeiten muss es schon das rosarote Jugendzimmer "Barbie at home" von Wellemöbel sein. Foto: Markus Oh

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Glück und Verdienst

Der Bundespräsident gratuliert Joachim Kaiser zum 80.

Einen glücklichen Jubilar feierte Bundespräsident Horst Köhler, als er am gestrigen Dienstag in Schloss Bellevue ein Essen für Joachim Kaiser zu dessen 80. Geburtstag gab. Glück habe Kaiser gehabt, weil ihm schon als Kind Musik und Literatur zugänglich wurden: "Ein Lebenszufall, eine Gnade."

Aber aus diesem Glück habe Kaiser auch etwas gemacht: "Sie waren nie ein schlampiges Genie, die es auch gibt, sondern Sie haben sich Ihr Leben lang gebildet." Unablässige Arbeit, Entdeckergeist, Leidenschaft - damit habe Kaiser die glückliche Ungerechtigkeit ausgeglichen, so früh und selbstverständlich in die Kultur zu finden. So wuchs ein guter Lehrer für ein gutes Feuilleton, das die Leser zu den Werken führt, nicht zum Verfasser des Artikels. "Sie brauchen Ihre hohe Bildung nicht in falscher Bescheidenheit zu verstecken, weil Sie sie für das Publikum nutzbar machen wollen", sagte Köhler. "Das spüren die Leser - und darum verehren sie Sie."

Dem konnte der Gefeierte nicht widersprechen. Ja, Talent sei nur die eine Hälfte, gab Joachim Kaiser zu bedenken, aber man müsse ihm auch gewachsen sein. Ein Pianist, der nach einer halben Stunde Partiturstudium eine Mahler-Symphonie nachspielen könne, verfehle seine Ziele, wenn er nicht Charakter habe. Reichtum an Begabung und ein Charakter, der ihr entspreche, darin bestehe das verdiente Glück der Meisterschaft. Kaiser erinnerte sich an einen alten Herren, der mit siebzig zum ersten Mal die "Ilias", dann auch die "Odyssee" schön fand und fragte, ob dieser Homer noch mehr geschrieben habe. Spätes Glück - aber am Ende eines "homer- und humorlosen Lebens".

Damit war die Bühne frei für die beiden alles beherrschenden Themen der Stunde: die Krise und die Bildung. Der Ökonom Köhler forderte mehr Kommunikation zwischen Feuilleton und Wirtschaftsteil. Ein Kollege der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gab zu bedenken: Nun, da alle ökonomischen Theorien sich als unhaltbar herausgestellt hätten, könne es nur noch um ihre Schönheit gehen. "Das ist mir zu feuilletonistisch", befand Kaiser, der gestand, zum ersten Mal in seinem Leben die Zeitungslektüre neuerdings mit dem Wirtschaftsteil zu beginnen. Zeugt diese unhomerische Verspätung nicht auch von großem Glück? GUSTAV SEIBT

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NACHRICHTEN

Nach mehrjährigen Arbeiten soll das Großmünster in Zürich in diesem Sommer Glasfenster des Kölner Malers Sigmar Polke erhalten. Der Einbau der zwölf Fenster werde voraussichtlich im August abgeschlossen sein, sagte Münsterpfarrerin Käthi La Roche am Dienstag der Katholischen Nachrichten-Agentur in Zürich. In einigen Wochen solle bereits ein erstes Werk als Muster installiert werden.

Nach einer Beschwerde der bulgarischen Regierung bei der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft ist ein Detail der umstrittenen Kunstinstallation"Entropa" im Brüsseler EU-Ministerrat verhüllt worden. Es handelt sich um eine primitive Hock-Toilette, die der tschechische Künstler David Cerny als Sinnbild für Bulgarien in das Werk eingefügt hatte. "Entropa" besteht aus klischeehaften Darstellungen aller 27 EU-Länder (SZ vom 17. Januar).

Das Berliner Landgericht verhandelt seit Dienstag über die Ansprüche der Erben auf die Plakatsammlung Sachs des Deutschen Historischen Museums. Der Sohn von Hans Sachs will die Rückgabe mehrerer tausend Werke erreichen. Darunter ist auch das Titelblatt des Simplicissimus. Während der NS-Zeit wurde die Sammlung von der Gestapo beschlagnahmt. Nach dem Krieg wurde ein Konvolut der Plakate in einem Ost-Berliner Keller aufgefunden und dem DDR-Museum für Deutsche Geschichte übergeben. Seit der Wiedervereinigung ist die Sammlung in Bundesbesitz.

Der englische Geschichtsprofessor Bill Niven will das reale Vorbild für die Rolle der Hanna Schmitz in "Die Vorleserin" identifiziert haben. Niven sagte gegenüber britischen Medien, die Figur der Hanna Schmitz (in der Verfilmung gespielt von Kate Winslet) erinnere ihn an Ilse Koch, eine KZ-Aufseherin, die zwischen 1937 und 1941 in Buchenwald stationiert war und wegen ihrer Grausamkeit gegenüber Häftlingen die "Bestie von Buchenwald" genannt wurde.

Der japanische Illusionskünstler Shigeo Fukuda ist im Alter von 76 Jahren gestorben. Bekannt gemacht hatten den Graphikdesigner seine formreduzierten Poster mit politischer Aussage und seine illusionistischen Skulpturen, die mit der räumlichen Wahrnehmung des Betrachters spielen. Als erster japanischer Designer wurde er in die New York Art Directors Hall of Fame aufgenommen. Sein Buch"Visual Illusion" gilt als praktisches Lehrbuch der Branche. SZ

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Münchner Kindl

Dirigentin Young und Regisseur Stückl versuchen es an der Bayerischen Staatsoper mit Pfitzners "Palestrina"

Seltsam, diese entspannte Gelassenheit danach. Barockmeister Marc-Antoine Charpentier nannte zwar "Les arts florissants" eine "Idyle en musique" - aber Hans Pfitzners "Palestrina", ebenfalls intensiv beschäftigt mit dem Blühen der Künste, ist zumindest vom Thema her alles andere als eine Idylle. Verhandelt vielmehr eine drastische Schaffenskrise des Renaissancekomponisten Palestrina (der als Alter Ego Pfitzners durchgehen darf), die aber viel idyllischer tönt als Charpentiers charmante Mini-Oper. Dieser verblüffenden Diskrepanz zwischen Ton und Wort ist es zuzuschreiben, dass man das Münchner Nationaltheater nach viereinhalb Pfitzner-Stunden in mild heiterer Stimmung verlässt.

Für das Milde und Gelassene ist vor allem Dirigentin Simone Young zuständig. Die Hamburger Opernchefin ist sich nur allzu bewusst, dass der selten gespielte "Palestrina" vor 88 Jahren im kleinen Münchner Prinzregententheater erstaufgeführt wurde - mitten im Ersten Weltkrieg, dessen Vorahnung und Spuren erkennbar sind in der resignierenden Grundstimmung angesichts einer aus den Fugen geratenden Welt. Young und das Staatsorchester umwerben Pfitzners elegant dahinmäandernde Textur, die keine Verdickungen kennt, kein großes Pathos und so gut wie keine Expansionen. Aber auch kein Furioso und kein Presto und keine gnadenlos die Seele aufreißende Innenschau.

Pfitzner als sein eigener Librettist ist ein eleganter Erzähler, der die hier verhandelten Themen - Unglück, Todesverzweiflung, Existenzängste - mit Pastellklangfarben und episch breit skizziert. Daraus resultiert der Eindruck entspannter Gelassenheit. Doch lässt es sich nicht von der Hand weisen, dass diese gewichtigen Themen in Verbindung mit einer derart leicht virtuosen Kompositionsmanier letztlich zu leicht genommen werden. Simone Young aber und das durch Understatement beeindruckende Staatsorchester spielen, als hätten sie seit Jahrhunderten täglich mit dieser Partitur zu tun. Spielfluss und Konzentration sind ihr Motto, und so strömt die Musik Stunde um Stunde beglückend dahin.

Lichte Trauer ist Pfitzners Anliegen, und das kann er mit seinem ausgebremsten Temperament überaus gut. Das können auch Gabriela Scherer und besonders Christiane Karg sehr gut. Die beiden eröffnen nach kurz tastendem Vorspiel die Oper, und weil Pfitzner wie schon Richard Wagner größere Probleme mit Frauen hatte, müssen die beiden Hosenrollen spielen - Kastraten waren zu Pfitzners Zeiten schon passé und Countertenöre noch nicht in Mode.

Ambivalent abgeklärt

Scherer gibt, leicht herb, den nach Avantgarde lüsternen Silla, der seinen Lehrer Palestrina für demodé hält. Hatte Wagner in den "Meistersingern", dem Vorbild für "Palestrina", seinen Beckmesser mit hämisch ungelenker Musik bedacht, die bei gutem Willem als Avantgarde durchgehen kann, so verhält sich Pfitzner zum Anderen ambivalent abgeklärter. Zumindest in dieser Oper - ansonsten konnte dieser Antisemit und Deutschnationale auch ganz anders. Doch alles, was 1917 als Avantgarde hätte gelten können, kann mit der harmlosen Silla-Musik nicht gemeint sein, kein Schönberg und kein Mahler. Das Neue wird hier nicht kategorisch abgelehnt. Aber wie Palestrina ist auch Pfitzner aufgrund innerer Widerstände unfähig, sich auf dieses Neue einlassen zu können.

Diese mit Verständnis untermauerte Unfähigkeit produziert die Trauer des "Palestrina", die besonders schön bei Christiane Kargs Ighino, dem Sohn des Komponisten, herauskommt. Karg singt einen phantasiebegabten Jungen, dem Um- und Zusammenbruch der Welt des Vaters größte Angst bereiten. Was ist da für ein Ahnen und Stocken in Kargs Stimme, die so ganz ohne histrionische Mätzchen eine ins Leben pubertierende Kinderseele portraitiert.

Ansonsten kann nur Michael Volle auf diesem Niveau mitsingen. Als Giovanni Morone leitet er eine Sitzung des Trienter Konzils - sichtlich am Rande des Nervenzusammenbruchs, aber immer gefasst, immer im letzten Moment die Contenance wahrend. Denn das in Massen aufgefahrene Klerikergezücht hat nichts als Zank, Zwietracht, Eigennutz im Sinn. Aber Volle moderiert, legt Würde in seinen elegant geführten Bariton, dessen strömende Linien lockend beruhigen, lächelnd antreiben, untergründig drohen.

In Volle und Karg geht das anfangs von Regisseur Christian Stückl gewählte Konzept auf, der die Geschichte offenbar streng aus einer Schauspielperspektive erzählen möchte. Nur Körper und Tonfall sollen zählen. Firlefanz, Einfälle, Aktion werden dagegen gebändigt - aber das ist in der gern mit Ungenauigkeiten und Unwägbarkeiten operierenden Oper Hybris. Und selbst wenn jenseits von Karg und Volle auch alle anderen dieses Konzept kongenial mitgetragen hätten, so bleibt doch fraglich, ob mit diesem kaum in die Tiefe dringendem Ansatz eine solch komplexe Oper angemessen ausgeleuchtet hätte werden können.

Der erste Akt, er kann als Oper für sich gelten, beschreibt eine Schaffenskrise und ihre Überwindung. Dass Stückl in einer Vision die Komponisten der Vergangenheit wie die Meuterer auf der Bounty hochfahren lässt, grüne Engel nazarenerhaft hinstellt und Palestrinas Frau als Münchner Kindl-Puppe zeigt, gehört eher ins Arsenal des Schichtl als der Staatsoper. Genauso das Grimassieren von Falk Struckmann in Gesang und Spiel. Mit Betontönen degradiert er den Kunstfreund und Kirchenpotentaten Carlo Borromeo fast schon zur schmierigen Knallcharge und gibt dessen große Szene der Lächerlichkeit preis.

Christopher Ventris wirkt in der Titelrolle indisponiert, auch ist seine Stimme zu schwer und zu unbeweglich für eine Rolle, die eher den leicht eleganten Liedersänger als den Heldentenor erfordert - Karl Erb, Julius Patzak, Fritz Wunderlich und Nicolai Gedda brillierten einst als Palestrina. Ventris jedenfalls spielt und singt mit zu viel Nachdruck, setzt zu viel Kraft und zu große Gesten ein, um diesem doch eher verhalten in Sinnlosigkeit watenden Komponisten gerecht werden zu können.

Nach diesem Akt hätte problemlos Schluss sein können. Doch Pfitzner wollte mehr, wollte nicht nur das Psychogramm einer Schaffenskrise, sondern auch - da wird die Geschichte unangenehm - den totalitären Schulterschluss von Kunst, Politik und Kirche. Wobei er sich keine Illusionen machte über die Verkommenheit dieser Institutionen. Stückl aber verweigert die Analyse dieses befremdlichen Wunsches. Also gibt es als zweiten Akt ein allzu langes Scherzo, das sich oft in belanglosen Details verliert und in dem der auf die Farben Pink und Grün geeichte Bühnenbildner Stefan Hageneier alle Hände voll mit Kardinalsausstattung zu tun hat. Jedenfalls quillt die Szene über, und immer wieder liefert der eine oder andere Würdenträger Kabinettsstückchen gelungener Genrekunst: John Daszaks giftet tenoral, Wolfgang Koch flegelt spanische Arroganz, Roland Bracht grantelt alpines Missvergnügen.

Abgesang und Apotheose

Der dritte Akt dann Abgesang und Apotheose mit überlebensgroßer Papstpuppe und lindwurmlangem Papamobil. Eine kurze Sterbeszene ist das bei Stückl, Trauer der Vollendung, Einverständnis mit dem Fortgang der Welt. Mild und utopisch ist diese angehängte Versöhnung von Alltag mit Kunst, und zeigt ganz klar, dass Pfitzner die Handlung über den erschöpfenden ersten Akt hinaus kaum schlüssig treiben konnte.

Trotz starker Momente ist "Palestrina" musikalisch zu kontrastarm, zu sehr nur einem Duktus, dem der Trauer, verpflichtet, plump in der Komik, immer eine Spur zu geschwätzig im Libretto und dramaturgisch unausgeglichen. Drastische Striche hätten dem Stück aufhelfen können. Das wollte man nicht, und so wird man wieder 20 Jahre auf die nächste Münchner "Palestrina"-Premiere warten dürfen. REINHARD J. BREMBECK

Kaum ist die Schaffenskrise überwunden, da wird Palestrina (Christopher Ventris, kniend rechts) vom Papst persönlich (Peter Rose, Mitte) zum Staatskomponisten Nummer Eins gemacht - aber am meisten freut sich Komponistensohn Ighino (Christiane Karg, kniend links). Foto: Rabanus

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Der ganze Spaß

Warum Urheberrechtler gegen die VG Wort klagen wollen

Die Bundesregierung setzt eine Kommission prominenter deutscher Urheberrechtler ein, um ein Gesetz zu entwerfen, das Autoren finanziell besserstellen soll. Der Lobbyverband der Buchverleger läuft dagegen Sturm. Die Regierung erklärt, alles sei nicht so gemeint gewesen, und ändert das Gesetz erneut, wobei sie sich so ungeschickt anstellt, dass die Autoren schlechter wegkommen als zuvor. Geht das mit rechten Dingen zu?

Martin Vogel ist kein Unbekannter. Der promovierte Jurist ist Richter in den Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts und Mitautor des wichtigsten deutschen Urheberrechtskommentars. Doch bei der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort), die derzeit Ansprüche auf einen Teil der Tantiemen erhebt, die Google für digitalisierte Bücher an amerikanische Verleger und Autoren zahlt, hat Vogel sich unbeliebt gemacht, weil er sich für die Rechte freier Autoren eingesetzt hat. Schriftsteller und Journalisten, die Texte veröffentlichen und bei der VG Wort angemeldet sind, bekommen dort einen Anteil der sogenannten Reprographieabgabe. Mit dieser Abgabe wird vergütet, dass Nutzer die Texte der Autoren kopieren, beispielsweise in Copyshops. Denn eigentlich müsste jeder, der einen Text kopieren möchte, erst den Autor um Erlaubnis bitten und mit ihm aushandeln, wie viel er ihm zu zahlen bereit ist. Da das in der Praxis das Kopieren unmöglich machen würde, nimmt die VG Wort dieses Recht der Autoren kollektiv wahr. Von Copyshops und Geräteherstellern kassiert sie Abgaben und schüttet sie nach einem Verteilungsplan an die Autoren aus.

Allerdings schließen nicht nur Autoren mit der VG Wort einen Wahrnehmungsvertrag ab, sondern auch Verleger. Und auch sie erhalten einen Teil der Ausschüttungen, die die Gesellschaft vornimmt. Warum eigentlich, mag man fragen, da Verleger doch selbst keine Bücher schreiben, mithin keine Urheber sind und folglich auch keine Urheberrechte haben können, aus denen sie Vergütungsansprüche ableiten dürften?

Ganz einfach: Verleger sitzen bei Vertragsverhandlungen mit Autoren meist am längeren Hebel. Also lassen sie sich in der Regel alle Rechte, die das Urheberrecht den Autoren zuspricht, im Kleingedruckten übertragen. Das gilt auch für die Vergütungsansprüche aus der erwähnten Reprographieabgabe der Copyshops. Die Verleger verfügen in der VG Wort also nicht über eigene, sondern nur über abgeleitete Rechte. Um von den Ausschüttungen etwas abzubekommen, genügt das. Belletristik-Autoren erhalten 70 Prozent der Ausschüttung, die Verleger 30 Prozent, bei Wissenschaftstexten beide je 50 Prozent.

So war es jedenfalls bis 2002. Dann entwarf im Auftrag der damaligen Justizministerin Herta Däubler-Gmelin eine Gruppe von Jura-Professoren das sogenannte "Stärkungsgesetz": ein urheberfreundliches Regelwerk, demzufolge das gesamte Geld aus den Copyshops künftig in die Taschen der Autoren fließen sollte. Woraufhin die erfreuten Autoren die VG Wort darauf aufmerksam machten, dass die bisherigen Verteilungsschlüssel nicht beibehalten werden konnten.

Doch sie hatten die Rechnung ohne Christian Sprang gemacht. Der Justitiar des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der Interessenvertretung der Verleger, gilt in der Branche als erfolgreicher Lobbyist. In einer Sitzung des Rechtsausschusses erklärt die Bundesregierung alsbald, es sei "keineswegs beabsichtigt" gewesen, "mit §63a Urheberrechtsgesetz einen neuen Verteilungsschlüssel für die VG Wort vorzugeben."

Kein Wunder, dass die Vertreter von Autoren und Verlegern sich über eine Änderung des Verteilungsplans zugunsten der Autoren nicht einigen können. Nachdem 2003 die zuständige Aufsichtsbehörde Änderungen anmahnt, ringt der Verwaltungsrat sich zähneknirschend wenigstens zu einem Kompromiss durch und senkt den Verlegeranteil stufenweise auf knapp 40 Prozent. Am 17. Januar 2004 soll eine Mitgliederversammlung diesem Beschluss zustimmen. Am Morgen desselben Tages erscheint in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Artikel von Martin Vogel, der als Angehöriger der Expertenkommission das Gesetz mit ausgearbeitet hat. Der im Verwaltungsrat erzielte Kompromiss, schreibt Vogel, sei "eindeutig gesetzeswidrig". Die Quote von fast 40 Prozent für die Verleger sei "der von den Urhebern zu zahlende Preis dafür, dass die Verteilungspläne in der Mitgliederversammlung der VG Wort geändert werden können". Die Verleger haben die Autoren erpresst, bedeutet das im Klartext. Änderungen des Verteilungsplans sind nämlich laut Satzung der VG Wort nicht ohne die Zustimmung der Verleger möglich. Mit einer einzigen Gegenstimme, derjenigen Vogels, wird der Vorschlag abgenickt.

Kurz darauf, am 27. September 2004, legt das Justizministerium den ersten Entwurf zur Überarbeitung des Gesetzes vor. Lesart und Zielvorgabe der wünschenswerten Änderungen sind klar definiert: "Eine Auslegung, welche den Anteil der Verleger schmälert, entspricht nicht der Intention des Gesetzgebers . Sollte sich die Erwartung nicht erfüllen, dass die Verleger in der VG Wort wie vor der Schaffung des Urhebervertragsrecht an den Vergütungen beteiligt werden, müsste der Gesetzgeber den §63a grundlegend ändern." Die Verlegerbeteiligung soll wieder gesetzlich verankert werden.

An dem "Stärkungsgesetz" von 2002 sei bereits im Vorfeld "furchtbar herumgemäkelt worden", erklärt der Jurist Gernot Schulze, Co-Autor des Dreier/Schulze-Urheberrechts-Kommentars. "Das war eine richtige Kampagne - die Verleger hatten es ja selbst in der Hand, was für Anzeigen sie schalten und was für Werbeplätze sie dafür zur Verfügung stellen wollten. Den §63a haben sie dabei bloß übersehen." Und Gerhard Schricker, Herausgeber des anderen maßgeblichen Urheberrechts-Kommentars, schreibt: "Dass die Bundesregierung nachträglich erklärt, Derartiges sei nicht beabsichtigt gewesen , ist angesichts des klaren Wortlauts der Gesetzesbegründung unerheblich." Von wegen nicht so gemeint.

Aber wer hört schon auf Juristen? Der Überarbeitungsentwurf von Ministerialdirektor Elmar Hucko macht keinen Hehl daraus, dass es sich bei der vorgeschlagenen Neufassung des Paragraphen um einen "Konsens" handele, welchen "Vertreter der Urheber und der Verleger bei einem Gespräch im Bundesministerium der Justiz erzielt haben." Entsprechend begeistert ist Verlegeranwalt Sprang: "Der Börsenverein ist dankbar, dass sich das Bundesjustizministerium nicht nur in dieser Sache bemüht hat, die durch die missglückte Reform des Urhebervertragsrechts entstandenen Konflikte zu bereinigen. Er begrüßt insbesondere die Klarheit der Begründung zu der Neuregelung von §63a. Es ist sehr zu wünschen, dass der neue Gesetzestext die ersehnte befriedende Wirkung hat und von den Gremien der Verwertungsgesellschaft Wort in vernünftiger Weise gelebt wird." Auch ver.di-Jurist Schimmel kann kaum etwas finden, was er gegen die autorenunfreundliche Neufassung einzuwenden hätte.

Im Börsenverein knallen die Sektkorken. Die Verleger wollen es jedoch keineswegs mit dem erzielten Kompromiss bewenden lassen. Als die zunächst nur für wissenschaftliche Zeitungen gültige Regelung auch auf den Buchbereich Anwendung finden soll, ziehen der Rowohlt-Verlag und der Oldenbourg-Verlag vor Gericht und verklagen die VG Wort auf Auszahlung der ihnen angeblich zu Unrecht vorenthaltenen Beträge. Das Gericht gibt den Verlegern Recht - allerdings nicht in der Sache, sondern aufgrund eines Formfehlers der Aufsichtsbehörde.

Hinter den Kulissen ist man einstweilen nicht untätig gewesen. Im Bundesjustizministerium hat man eifrig an der Neuformulierung des Paragraphen gefeilt, der zum 1. Januar 2008 Gesetz werden und endlich den ganzen Streit beenden soll. Aber ein Gesetz so zu formulieren, dass auch wirklich drinsteht, was drinstehen soll, fällt dem Justizministerium nach wie vor schwer. Autoren und Verleger sollen sich die Urheberrechtsabgaben teilen - so die Absicht des Gesetzgebers. Die Neufassung des Paragraphen ermöglicht nun aber sogar eine hundertprozentige Abtretung der entsprechenden Rechte an die Verleger. Lässt ein Autor das mit sich machen, hat er theoretisch gar keinen Anspruch mehr auf Geld von der VG Wort.

Ist das wirklich so gemeint? Wohl eher nicht. Ist der Paragraph dennoch so zu interpretieren? Namhafte Juristen wie Norbert Flechsig, Thomas Hoeren, Martin Vogel bestätigen dies. Nicht zuletzt hat der Direktor des Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum, Reto Hilty, den Rechtsausschuss des Bundestages in einer Stellungnahme explizit auf die unglückliche Formulierung hingewiesen - vergeblich. Börsenvereins-Justitiar Christian Sprang seufzt. "Der ganze Spaß hat uns bis zu der Änderung vier Millionen Euro gekostet." Jetzt bloß nicht mehr dran rütteln.

Anfang 2008 kehrt die VG Wort zu ihren alten Verteilungsplänen zurück. Martin Vogel wendet sich daraufhin an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags. Kurz vor Weihnachten, also nach zehn Monaten, erhält Vogel Antwort: Petition abgelehnt. Sechs Jahre Streit in der VG Wort sind genug. "Eigentlich müsste ein Autor vor Gericht seine 100 Prozent einklagen", sagt Vogel. Doch welcher freie Autor kann sich das leisten? Vielleicht macht Vogel es am Ende noch selbst. Er hat einen festen Job beim Europäischen Patentamt.

In einer am Montag veröffentlichten Presseerklärung hat die VG Wort nun gemeinsam mit dem Verband Deutscher Schriftsteller, dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem Schweizer Buchhändler- und Verlegerverband Anspruch auf einen Teil des Geldes erhoben, das aus einer Einigung über die Rechte an digitalisierten Büchern vom Internet-Giganten Google an amerikanische Autoren- und Verlegerverbände fließen soll. Mit welchem Recht sie dies im Namen der Autoren tut, ist unbekannt. Wie das Geld verteilt werden soll, ob an Urheber, sprich Autoren und Übersetzer, oder auch an Verleger, darauf darf man gespannt sein.

Ilja Braun ist Journalist. Er schreibt für das urheberrechtliche Infoportal www.irights.info. Zum Streit in der VG Wort wird dort in Kürze eine ausführliche Dokumentation erscheinen.

Im Klartext bedeutet das, dass die Verleger die Autoren erpresst haben

Die Autoren kommen schlechter weg als zuvor. Geht das mit rechten Dingen zu?

Eine Auslegung, die den Anteil der Verleger schmälert, billigt der Gesetzgeber nicht

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Das Leben nach der Katastrophe

Stewart O'Nan erzählt in seinem neuen Roman "Alle, alle lieben dich" vom Verschwinden eines Mädchens

Im Kreis der Familie Larsen gibt es ein eingespieltes Ritual: "Jedes Mal, wenn sie sich auf engem Raum drängten wie in der Küche, rief der Erste, dem es auffiel: ,Die ganze Familie in einem Zimmer.'" Eine kleine, etwas alberne Angewohnheit, die ab dem Juli 2005 aus dem Leben der Larsens getilgt ist, wie sich überhaupt dieses Leben schlagartig verändert - Kim, die achtzehnjährige Tochter, verschwindet an einem heißen Sommertag spurlos. Gerade war sie noch mit ihren Freundinnen am Fluss baden, hat sich in ihr Auto gesetzt, um zur Arbeit zu fahren, einer Aushilfstätigkeit an der Tankstelle. Dann verliert sich ihre Spur. Es sollte der beste Sommer ihres Lebens werden, "der Sommer, von dem sie seit der achten Klasse geträumt hatten."

Bereits in seinem im Jahr 2005 erschienenen fabelhaften Roman "Abschied von Chautauqua" zieht sich das Motiv eines an einer Tankstelle verschwundenen Mädchens bedrohlich über die brüchige Idylle einer Sommerfrische. Nun hat O'Nan aus diesem Stoff einen ganzen Roman gewonnen, der, wie das Nachwort vermuten lässt, auf einer realen Begebenheit beruht. Das allerdings tut der literarischen Qualität von "Alle, alle lieben dich" keinen Abbruch - wie in seinem gesamten Werk zeigt O'Nan sich als ein genauer Beobachter des durchschnittlichen amerikanischen Kleinstadtlebens und der dahinter lauernden Abgründe.

Idiotische Disneytränen

Das ist O'Nans Terrain, auf dem er sich so perfekt auskennt wie sonst wohl kein anderer amerikanischer Gegenwartsautor. Kingsville, Ohio, so heißt die Kleinstadt, in der die Larsens leben und aus der sich Kim und ihre Freundinnen herausträumen. Eine insgesamt friedliche Gemeinde im Mittleren Westen, nicht weit von Cleveland entfernt. Fran, Kims Mutter, arbeitet im Krankenhaus; Ed, der Vater, bekommt als Immobilienmakler seit Jahren die Vorzeichen der großen Krise zu spüren; seit einiger Zeit müssen die anfallenden Rechnungen zum Teil von den Ersparnissen bezahlt werden. Kims fünfzehnjährige Schwester Lindsay schließlich, die heimliche Protagonistin des Romans, leidet unter der Schönheit und Beliebtheit ihrer Schwester, während sie selbst sich mit einer Brille und einer Zahnspange herumplagen muss. Eine ganz normale Familie.

Raffiniert arrangiert O'Nan seinen Roman um eine schmerzhafte Leerstelle und setzt in Mosaiktechnik nach und nach ein Bild zusammen, das sich nicht zu einem harmonischen Ganzen fügen kann und will. Minutiös werden gleich zu Beginn Kims letzte Stunden mit den Freunden, der Schwester und den Eltern beschrieben; was danach geschieht, bleibt lange im Dunkeln und ist auch nicht weiter wichtig - "Alle, alle lieben dich" ist kein Thriller, wie der Klappentext behauptet, sondern ein mitreißendes, manchmal anrührendes, aber niemals sentimentales Buch über das Weiterleben nach einer Katastrophe. Und eine Studie darüber, wie sowohl jeder Einzelne, aber auch eine ganze Stadt als soziale Gemeinschaft mit einem Ereignis wie diesem umgeht. Der familiären Panik und Hilflosigkeit steht die Nüchternheit und Routine entgegen, mit der die Polizei den Fall behandelt. Es ist ein unauflösbarer Widerspruch, den O'Nan aufeinanderprallen lässt: Die einzelnen Kapitelüberschriften tragen Namen wie "Beschreibung der vermissten Person" oder "Letzter bekannter Aufenthaltsort". Hinter der Sachlichkeit tut sich Verzweiflung auf: Fran Larsen sucht Hilfe im Internet, durchforstet die zahlreichen Homepages mit ähnlich gelagerten Fällen, druckt Musterflugblätter aus. Währenddessen organisiert Ed Larsen Freiwilligentrupps, die in der Umgebung von Kingsville vergeblich nach Spuren von Kim suchen. So weit, so normal.

Doch es gibt einen Punkt, an dem die von Beginn an zweifelhaft erscheinende Familiensolidarität kippt; an dem die Risse im Lars'schen Mikrokosmos unübersehbar werden. Wie so oft sind es nicht die spektakulären, dunklen Seiten des American Way of Life, für die O'Nan sich interessiert. Er fängt vielmehr feine Stimmungslagen und -veränderungen auf. Die Suche nach Kim wird, angetrieben von Fran, zusehends zum Selbstzweck. Der blanke Aktionismus, der die dem Alkohol in großen Mengen zusprechende Mutter antreibt, kaschiert die Hoffnungslosigkeit. Die Tage gehen ins Land, von Kim fehlt weiterhin jede Spur; zunächst taucht noch nicht einmal ihr Auto auf. Eine aufwendig inszenierte Medien- und Betroffenheitsmaschinerie setzt sich in Gang; Buttons und Armbänder werden entworfen, mit deren Verkauf die Belohnung für Hinweise finanziert werden soll; im örtlichen Baseballstadion werden pompöse Gedenk- und Solidaritätsveranstaltungen für Kim abgehalten; das Lied "Somewhere over the Rainbow" wird zum Soundtrack der Kitschgala. Mittendrin sitzt die so kluge wie zurückhaltende Lindsay, bemüht sich, ihre "idiotischen Disneytränen" zurückzuhalten und denkt sich, wie bescheuert ihre große Schwester all das gefunden hätte.

Die Ordnung der Listen

Es ist eine subtile Doppelbödigkeit, die den Roman durchzieht: Die Polizei bittet die Eltern um eine Frontalaufnahme von Kim, auf der diese lächelt; kurze Zeit später liest Fran im Internet, "dass auf die Art der Gerichtsmediziner die Aufnahme eines Schädels über die ihres Gesichts legen und die Zähne direkt miteinander vergleichen konnte." Und auch der Romantitel selbst spielt mit den Verklärungseffekten, die bereits kurz nach dem vermeintlichen Verbrechen einsetzen: Nicht nur dass Kim seit Jahren im Dauerstreit mit ihrer Mutter gelegen hat; noch dazu war sie wohl gemeinsam mit einem zwielichtigen Dealer (mit dem sie auch ihren Freund betrogen hat) in ein unsauberes Geschäft der größeren Art verwickelt. Die personale Erzählperspektive, die von Kapitel zu Kapitel wechselt, ist ein bewährtes Stilprinzip Stewart O'Nans. Auf diese Weise werden die Abgründe zwischen Innen- und Außenwelt, zwischen Schein und Sein besonders augenfällig. So ist "Alle, alle lieben dich" auch das Porträt einer Ehe in Schieflage: Während Fran geradezu aufzublühen scheint und die sinnlose Suche nach einer spurlos Verschwundenen in endlose Listen und komplizierte Organisationsstrukturen verwandelt, ist Ed zusehends ausgelaugt und ausgebrannt. Zu Weihnachten besteht Fran noch darauf, auch für Kim ein Geschenk zu kaufen; die Gebühren für das College, auf das sie nie gegangen ist, werden weiterhin bezahlt.

Doch die Monate und die Jahre vergehen; die Benefizveranstaltungen werden schlechter besucht. Lindsay geht, wir schreiben mittlerweile 2008, auf ein College in Chicago, wo sie endlich nicht mehr nur die Schwester eines prominenten Opfers ist; Ed geht jeden Tag angeln und kapselt sich ab. "Es gab", so heißt es gegen Ende, "immer noch Augenblicke, in denen alles, was mit seinem Leben nicht stimmte, gleichzeitig auf ihn einstürzte, unentrinnbar und fest miteinander verknüpft, und dann ballte er die Fäuste, um den Drang zu unterdrücken, den Menschen umzubringen, der ihnen Kim genommen hatte. Diese Augenblicke gingen vorbei, aber im Grunde seines Herzens befürchtete er, rachsüchtig und verbittert zu werden. Sonntags bat er um Vergebung. Den Rest der Woche fand er das Gefühl gerechtfertigt."

Beiläufig kommt vieles daher. O'Nans Sprache ist ruhig, beherrscht, wenig aufregend, doch die Nähe zu seinen Figuren ist unerbittlich; dem fein justierten Blick entgeht kaum etwas - unterdrückte Wut und offene Trauer, Neid und Missgunst, Verlorenheit und Sehnsucht, Hoffnung und Ernüchterung. Der Umstand, dass das Zentrum des Romans eine Projektionsfläche all dessen ist, lässt die Verlaufslinien seiner Konflikte nur noch deutlicher zu Tage treten. In "Alle, alle lieben dich" erweist sich Stewart O'Nan einmal mehr als ein glänzender Erzähler, der nicht auf Effekte setzt, sondern auf so kunstvolle wie dezente Präzision.CHRISTOPH SCHRÖDER

STEWART O'NAN: Alle, alle lieben dich. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Thomas Gunkel. Rowohlt Verlag, Reinbek 2009. 411 Seiten, 19,90 Euro.

Es sind nicht die spektakulär dunklen Seiten des American Way of Life, für die O'Nan sich interessiert, sondern die feinen Risse in der Normalität Getty Images

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Wasserleichen

Zu tief in die Spree geblickt: Zora del Buonos "Canitz' Verlangen"

Findet ein schwuler Literaturwissenschaftler am Ufer der Spree eine Wasserleiche. Fällt dem Literaturwissenschaftler ein Wasserleichen-Gedicht ein. Flieht der Literaturwissenschaftler nach Hause, schlägt das Gedicht nach und entscheidet nach einiger weiterer Lektüre freihand, ein Seminar zum Thema abzuhalten. Was in der Zusammenfassung nach einer Klageschrift gegen das deutsche Bildungssystem klingt, gemahnt in Zora del Buonos' Erzähldebüt "Canitz' Verlangen" anfangs durchaus an den Stoff, aus dem gute Novellen sind. Knapp und klar seziert del Buono, wie ihr Universitätsdozent vom Recherchieren mehr und mehr ins Stolpern gerät, und das, obwohl er als schwuler Mann sich von Amts wegen nicht über weibliche Wasserleichen zu erhitzen bräuchte.

Dass nämlich die Kulturgeschichte der Wasserleiche nur so strotzt vor männlich-heterosexuellen Verschmelzungsphantasien und Nymphen-Erschreibungen, erfährt Canitz bei seinen schlingernden Untersuchungen am verunsicherten eigenen Leib: "Es schien ihm plausibel, dass Frauen ins Wasser gingen. Er stellte sie sich als gallertartige Wesen vor, die sich auflösten, die reinste Passivität, eins mit dem Element und der Natur, anämisch, entrückt und in ihr Schicksal ergeben." Unheilig angezogen torkelt Canitz auf seinen Berliner Erkundungen durch ein ganzes Sachbuch von Wasserleichen-Referenzen, vom Schicksal der "Jud Süß"-Schauspielerin und "Reichswasserleiche" Kristina Söderbaum bis hin zum, jawohl, Prozentanteil der weiblichen Suizide durch Ertrinken in der Schweiz - 2005 satte elf Prozent.

Alle Faktenhubereien und Gallertträume aber werden konterkariert durch del Buonos ausgekühlt reduzierte Beobachtungsweise. Canitz' Gedanken und Handlungen sind so nüchtern abgeschildert, dass zunehmend verschwimmt, wie stark er wirklich Grund unter den Füßen verliert. Für seine diffuse Irritation muss es Ursachen geben, die mehr auf Seiten des Lebens als auf Seiten der Kulturgeschichte liegen. "Das Wiehern der ertrinkenden Pferde vergessen die Leute nie", raunt Canitz ein Antiquar über die Flüchtlingstrecks während des Zweiten Weltkrieges zu. Canitz' Mutter hat als junges Mädchen einen ebensolchen Treck mitgemacht, und spätestens an dieser Stelle ist klar, dass an allem einmal mehr die Familie schuld ist.

Die Handlung kulminiert reichlich geballt in einer Art aufgepfropftem Familienroman: Canitz' Mutter hat ein Leben lang ein dunkles Geheimnis gehütet, das im Massenselbstmord durch Ertrinken Hunderter Frauen aus Angst vor den einmarschierten Sowjettruppen in Demmin im Mai 1945 begründet liegt. Canitz und sein Verlangen verlieren sich in der sperrig getüftelten Konstruktion dieses Familientraumas - und damit weit entfernt von Wasser und Wahn, jener eingangs hypnotisch beschriebenen Entrückung, bei der "die Welt sich entfernt und in den Hintergrund verschwindet und der Mensch nur noch aus diffusen Nebeln und klopfenden Ohrgeräuschen besteht".FLORIAN KESSLER

ZORA DEL BUONO: Canitz' Verlangen. Roman. marebuchverlag, Hamburg 2008. 157 Seiten, 18 Euro.

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Wer aber schreibt diese Romane?

Dag Solstads fabulierende Fußnoten zu "Armand V."

Wie viele Fußnoten darf ein Roman haben? Eher wenige bis keine, möchte man denken dürfen, die Fußnote hat es, zumal in Deutschland, seit Anthony Graftons "Die tragischen Ursprünge der deutschen Fußnote" (1995) nicht leicht. Doch wurde in Thüringen 2005 immerhin eine Staatsexamensarbeit mit dem Titel "Paratexte: Fußnoten und Anmerkungen als textkonstituierende Bestandteile neuerer Erzählliteratur" gefertigt. Dag Solstad, zwischen Oslo und Berlin pendelnder Norweger, setzte dieses Prinzip um und legte 2006 den jetzt auf Deutsch vorliegenden Roman "Armand V. - Fußnoten*" - und auf dem Schutzumschlag geht es nun unten weiter - "*zu einem unausgegrabenen Roman" vor, der 99 Fußnoten als einzige Textmenge enthält.

Die Fußnoten verbinden sich zu einer Erzählung über Armand, einen norwegischen Diplomaten, in ähnlichem Alter wie der Autor (Jahrgang 1941). Armands Sohn beginnt eine Militärkarriere bei einer norwegischen Eliteeinheit. Dieser Umstand belastet das ohnehin bereits entfremdete Verhältnis zwischen Vater und Sohn zusätzlich. Dass der Sohn bereits in Fußnote 1b sexuell erniedrigt und der Vater Armand V. unfreiwillig Zeuge davon wird, hebt die Vater-Sohn-Beziehung auf eine Ebene reduzierter Fürsorgepflicht. Gegen Ende des Buches kehrt der Sohn blind von einem Auslands-Einsatz zurück. Armand, inzwischen norwegischer Botschafter in London, nimmt den Sohn in die Botschaftswohnung auf, kümmert sich umfassend und finanziert ihm jedwede blindenspezifische Hilfe und Weiterbildung.

Ungefähr so müsste der Erzählstrang auf der Oberfläche des Buches als herkömmlicher Roman verlaufen; aus den Fußnoten kann der Leser leicht diese Oberfläche erschließen. Der Konflikt, den Armand unausgesprochen mit dem Sohn ausficht, findet seinen Kern in der mangelnden Identifikationsmöglichkeit eines gebildeten, linken, in den sechziger Jahren sozialisierten Oberklassennorwegers mit dem diplomatischen Dienst seines Heimatlandes, dem er aus Komfortbedürfnis und nationalempathischer Identitätssehnsucht, doch mit depressiver Ironie, angenehm nach oben karrierekletternd, angehört.

Der Fußnotenfluss ermöglicht es dem Autor, immer wieder in der Ich-Form in den nicht niedergeschriebenen, sondern nur notierten Roman einzusteigen und in den Notaten darüber zu spekulieren, warum er den Roman nicht geschrieben habe. Solstad verweist auf seinen letzten, aus seiner Sicht richtigen und guten Roman "T. Singer" von 1999. Sein Schriftstellerdasein habe damit geendet. Im Roman "16/07/41" (Solstads Geburtsdatum) von 2002 griff Solstad bereits zum Textmittel Fußnote. Im vorliegenden, von Ina Kronenberger vorzüglich übersetzten Werk wirkt die gänzliche Reduktion darauf aber auch manieriert. Dieser Befund schmälert jedoch das Lesevergnügen mit dem Buch allenfalls zur Hälfte. Solstads Abschweifungen, Lakonismen der Selbstbeobachtung, schließlich die betörende Erzähleleganz in der Schilderung von konstituierenden Episoden aus Armands Leben, vor allem aus den sechziger und achtziger Jahren, sind gelungen und geben Zeugnis einer durchdachten literarischen Komposition: "Ist ein Roman etwas, das bereits geschrieben wurde, und der Schriftsteller nur derjenige, der es findet und mühsam ausgräbt? Ich muss zugeben, dass mir von Jahr zu Jahr bewusster wird, wie ich zu einer solchen Auffassung neige. Aber wer hat den Roman ursprünglich geschrieben?"

Der Text hat auch eine deutliche, doch nie aufdringliche politische Dimension. Sie wird erzählt und nicht behauptet - Armands Arrangement mit und Abscheu vor der auch Norwegen betreffenden imperialen Verteidigungslinie "Westliche Welt und Werte" seit Mitte der neunziger Jahre finden erzählerisch ihren exemplarischen Gipfel mit Armands Beschreibung der Kopf- und Rumpfpartie des amerikanischen Botschafters in London bei einem zufällig gleichzeitigen Toilettenbesuch während eines Botschaftsempfangs. Wenn es stimmt, dass der Roman die Fähigkeit hat, das Innenleben eines Menschen darzustellen, dann schafft Solstad das auch mit Fußnoten zu einem Roman.STEPHAN OPITZ

DAG SOLSTAD: Armand V. Fußnoten zu einem unausgegrabenen Roman. Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger. Dörlemann Verlag, Zürich 2008. 288 Seiten, 21,90 Euro.

Dag Solstad Foto: action press

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Gepriesene Atome

Krimi-Preis für Linus Reichlin

Der Deutsche Krimi-Preis geht in diesem Jahr an den Schweizer Schriftsteller Linus Reichlin. Wie das Bochumer Krimi-Archiv mitteilte, konnte sich Reichlin mit seinem Werk "Die Sehnsucht der Atome" durchsetzen. Im internationalen Wettbewerb siegte Richard Stark mit seinem Buch "Fragen Sie den Papagei". Die Auszeichnung wird in diesem Jahr zum 25. Mal vergeben. Mit dem Preis werden Autoren gewürdigt, die literarisch gekonnt und inhaltlich originell dem Genre neue Impulse geben. Über die Preise, die sich auf Neuerscheinungen des vergangenen Jahres beziehen, hatte eine Jury aus Kritikern und Fachbuchhändlern entschieden. ddp

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Zu betrunken, um die Hostie zu schlucken

Bitte stellen Sie die Tiere mit Namen vor: Zwei Bücher, die in der Welt des Wissens den Menschen so ernst nehmen wie das Tier

Henry Glass, der von 1978 bis zu seinem Tod im Jahr 2000 Redakteur im Wissenschaftsressort des Spiegel war, gehörte wie Tiziano Terzani zu jenen Spiegel-Autoren, die man nach dem Namen las. So grundverschieden ihre Themen auch waren, bei beiden schien immer noch ein Interesse an Sprache durch, das etwas von der Magie spüren ließ, sich im Schreiben von den ödipalen Zwängen der Muttersprache befreien zu können. Während aber der in Italien geborene Terzani ein philosophisch nervöser Geist war, der allem Fernöstlich-Asiatischen offen gegenüberstand, war für Glass die Welt zu einem Un-Ort geworden, durch die man sich am besten hindurchtrank.

Trinkfest wie James Joyce oder Flann O'Brian, mit denen Glass über seinen nordirischen Vater in unterirdischer Verbindung stand, soll Glass gewesen sein. Das berichten jedenfalls noch heute ehemalige Kollegen mit nachhaltiger Bewunderung. Man kann das jetzt in einem kleinen Band seiner besten Spiegel-Texte, "Weltquell des gelebten Wahnsinns", bis in die kleinsten Verästelungen seiner Wissenschaftsskizzen nachvollziehen.

"Der Whisky wirft mehr Fragen auf, als man von ihm trinken kann", zitiert Glass in einem für seine Schreibweise exemplarischen Text mit dem Titel "Seele vom Holz" einen Chemiker, der über Jahre im Auftrag der schottischen Whisky-Industrie die Geschmacksingredienzien des Stoffes untersuchte. Bei Glass wird die Geschichte um die heutigen Whisky-Forscher, deren einziger Zweck darin besteht, einen Instant-Whisky zu schaffen, der die Reifezeit des alten Schnapses verkürzen soll, zu einem kurzen Gang durch die Geschichte des britischen Imperialismus.

Als im sechsten Jahrhundert irische Mönche ausgezogen waren, um dem Morgenland den dreifaltigen Gott zu verkünden, brachten sie einen Fusel mit, der bald Anlass zu strengen Gesetzen gab. 40 Tage musste demnach ein Bischof, "der so besoffen ist, dass er bei der Messe die Hostie auswürgt", bei Wasser und Brot verbringen. Glass schafft es mühelos, so nicht nur die Geschichte des Whiskys zu erzählen, der aus dem Fusel nach Jahrhunderten der Verfeinerung geworden ist, sondern auch einen Blick auf die Erziehungsmaßnahmen zu werfen, die die Einführung des Whiskys in Britannien mit sich brachte und die keineswegs jeden Missbrauch verhindern.

Whisky gefällt nämlich nicht nur Menschen. In einer andern Geschichte erzählt Glass von zu Alkoholikern gewordenen Eseln. Michel, ein Esel, der in einer schottischen Whisky-Destille arbeitete, hatte so ausgiebig von der Maische genascht, die er in seinem Verdauungsschlauch zu Alkohol vergor, dass er zum Alkoholiker geworden war. Das Tier war damit nicht allein in Großbritannien - und so gibt es heute dort eine ernstzunehmende Forschung zum Alkoholproblem bei Tieren. Glass ist dabei schon so weit post-human, dass er die Esel natürlich mit ihren Namen vorstellt.

Ein Subjekt, das sterben kann

Mit Namen auch stellt die vielleicht wichtigste Publikation dieses Herbstes zum Mensch-Tier-Verhältnis ihre Protagonisten vor. "Ich, das Tier. Tiere als Persönlichkeiten in der Kulturgeschichte" ist ein von Künstlern und Wissenschaftlern bestrittener Sammelband, den man gleichzeitig als hervorragende Einführung in die "Animal Studies" lesen kann. Das Anliegen der Animal Studies ist es, Tiere als Subjekte ernst zu nehmen. Um das zu können, ohne in einer beliebigen Betrachtung des Tieres zu enden, die dann nichts weiter als die gängige, ewige und fabelhafte narzisstische Projektion von Menschen auf Tiere wäre, muss man allerdings ein paar Begriffe und Sachverhalte klären. Das tut der in den USA lehrende Japanologe Akira Mizuta Lippit exemplarisch in seinem Beitrag "Der Tod eines Tieres". Nach der angestrengten Logik der westlichen Metaphysik kann das Tier nicht sterben. Und zwar einfach deshalb nicht, weil das Tier sein Sein nicht sprachlich reflektieren kann. Lippit, der auch Filmwissenschaftler ist, sieht nun in einem in einem Film sterbenden Tier die Auflösung dieser alten Metaphysik auf uns zukommen. "Das Tier stirbt und wird sterbend gesehen - und dies an einem Ort jenseits der Erreichbarkeit von Sprache", schreibt er an einer entscheidenden Stelle seiner Reflexion. Wer es also nicht schon von seiner Katze wusste, weiß spätestens, seit es Film gibt, dass das Tier einen Tod hat.

Um den Tod eines Tieres geht es auch im schönsten Text des Bandes: "Die abwesende Freundin: Laikas kulturelles Nachleben" von Amy Nelson. Laika, jene Mischlingshündin, die im November 1957 als erstes Lebewesen in der Sputnik 2 die Erde umkreiste, ist nämlich bereits wenige Stunden nach dem Abschuss der Kapsel an Überhitzung und Panik gestorben. Das weiß man aber erst seit sechs Jahren. Vorher hat die Sowjetbehörde immer behauptet, dass Laika erst nach ein paar Tagen im Orbit gestorben sei, ohne gelitten zu haben. Nicht nur durch diese Lüge wird Laika für Nelson zu einem Vermittler über die fließenden Grenzen von Menschen- und Hundeidentität hinweg. Im Leid vereint Laika "den Widerspruch zwischen der grausamen Realität ihres Lebens und Sterbens und der idealisierten Vorstellung der Leute von Hunden", schließt Nelson ihren tollen Text. Und um diesen Widerspruch kreisen alle Texte, von dem aus man das Mensch-Tier-Verhältnis anfangen kann, neu zu denken. CORD RIECHELMANN

HENRY GLASS: Weltquell des gelebten Wahnsinns. Skurriles aus der Welt der Wissenschaft. Kein & Aber, Zürich 2008. 174 Seiten, 16,90 Euro.

Ich, das Tier. Tiere als Persönlichkeiten in der Kulturgeschichte. Hg. von Jessica Ulrich, Friedrich Weltzien und Heike. Reimer Verlag, Fuhlbrügge 2008. 319 Seiten, 29,90 Euro.

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Tour-Klatsch

Zwei Jahre war Peter Meyer gerade für seinen Intendanten Fritz Raff (Saarländischer Rundfunk) Sprecher der ARD. An diesem Dienstag zitiert ihn der Sportinformationsdienst als "ARD-Tour-Sprecher": Live-Berichte in kleinerem Rahmen von etwa täglich einer Stunde seien "im Grundsatz" denkbar. ARD-Programmchef Volker Herres hat das auf SZ-Anfrage dementiert: Es gebe keinen neuen Stand. Es werde keine flächendeckende Liveberichterstattung von der Tour geben. Meyer bestritt das Zitat. Eine Stunde live wäre eine Fläche. Zusammenfassungen mit Live-Schaltung zur Tour sind aber wohl geplant. chk

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Im Juli

SWR, 23.00 Uhr. Regisseur Fatih Akin schickt Moritz Bleibtreu und Christiane Paul auf eine charmante Reise durch das hochsommerliche Osteuropa: Ein naiver Referendar hofft, in Istanbul seine große Liebe zu treffen, und übersieht dabei die Reize seiner Beifahrerin. Bleibtreus Spiel wurde mit dem Deutschen Filmpreis gewürdigt. Foto: SWR

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Historiker protestieren

Im Streit zwischen dem bayerischen Finanzministerium und dem Projekt Zeitungszeugen haben prominente Historiker am Dienstag gegen das Nachdruckverbot wissenschaftlich kommentierter NS-Blätter protestiert. "Aufklärung über die Verbrechen (. . .) ist ohne fundierte Analyse der Original-Dokumente nicht möglich", schreiben sie. Die zweite Nummer soll am Donnerstag in Deutschland erscheinen, unter anderem mit einem Faksimile des Völkischen Beobachters. Das Ministerium, Inhaber der Verwertungsrechte, hat das verboten. SZ

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Eine gemachte Heldin

Wie die Medien die ehemalige Bochumer Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen auf Fallhöhe brachten

Die Krönungsmesse ist ein Werk von Wolfgang Amadeus Mozart, das 1779 im

Salzburger Dom uraufgeführt wurde. Es gibt einige Strafverfolger wie den Bonner Oberstaatsanwalt Fred Apostel, die das aus fünf Teilen bestehende geistliche Chorwerk früher als Sänger in einer Kantorei mitgesungen haben, aber es wird vermutlich nur wenige Staatsanwälte geben, die eine Anklage in einem Prozess als eigene "Krönungsmesse" bezeichnen.

Die in eine Affäre verstrickte ehemalige Bochumer Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen soll im Gespräch mit Journalisten bedauernd davon gesprochen haben, dass sie ihre "Krönungsmesse" verpasse, weil sie die Anklage in dem an diesem Donnerstag in Bochum beginnenden Prozess gegen den geständigen Steuersünder Klaus Zumwinkel nicht mehr vertreten kann.

Ihre oberste Chefin, die Düsseldorfer Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter, hat den Spruch heftig kritisiert: "Wir brauchen keine Staatsanwälte, die nach ,prominenten Fällen' gieren oder ,Krönungsmessen' feiern wollen", erklärte die CDU-Ministerin vorige Woche. Die Politikerin betonte, dem "Bild des Staatsanwalts in unserer Gerichtsverfassung" entspreche nur der Beamte, der seine Arbeit "objektiv, sorgfältig und unspektakulär" verrichte. Also einer, der nicht durch die Presse zur öffentlichen Person und damit berühmt wird.

Was immer die als Einzelrichterin zum Amtsgericht Essen gewechselte ehemalige Staatsanwältin Lichtinghagen in den vergangenen Monaten gemacht hat, war aber spektakulär, jedenfalls aus Sicht der Medien. Zwar gibt es 1016 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Nordrhein-Westfalen, aber kein anderer, keine andere hat es zu solcher Prominenz gebracht wie die 54-Jährige.

"Bochums schärfste Waffe", schrieb die taz. "Leitwölfin im Rudel der harten

Hunde" die Financial Times Deutschland. Sie war die Frau, die "Jagd in der High Society" machte, wie der Spiegel meinte. Das Magazin hatte sie schon im Jahr 2000 als "außergewöhnlich unerschrockene Vertreterin ihres Berufsstandes" beschrieben. Nach der Heimsuchung Zumwinkels im Februar 2008 wurde sie auf Seite Drei in der Süddeutschen Zeitung so vorgestellt: "Eine Frau, die gerne überrascht".

"Wer hoch steigt, fällt tief", hat Margrit Lichtinghagen früh von ihrer Großmutter gelernt, und die Ex-Staatsanwältin hatte, dramaturgisch ausgedrückt, die moralische Fallhöhe, die für einen Skandal unentbehrlich ist. Für diese Fallhöhe braucht es einen Leser, der enttäuschbar ist, und eine Heldenfigur, der am besten große Redlichkeit, Mut und Unerschrockenheit zugebilligt werden.

Aufstieg und Niedergang der Margrit Lichtinghagen, die wegen der Verteilung

von Millionen aus Geldbußen an von ihr bevorzugte allgemeinnützige Organisationen möglicherweise ein Ermittlungsverfahren zu gewärtigen hat, sind ein Lehrstück für die journalistischen Seminare. Aus ihrer Sicht ist der Fall noch komplizierter: "Nur weil ich eine Frau bin, haben die Medien mich derart hochgeschrieben", sagte sie in einem Gespräch im Januar. Niemals wäre ein Mann "von den Medien so nach oben geschossen worden". Sind angebliche Heldinnen gefährdeter als vorgebliche Helden? Werden Frauen eher als Männer zur Projektionsfläche der Geschlechter für Sehnsüchte und auch für Vorurteile?

Die Geschichte der Ermittlungen im Weichbild der Wirtschaftskriminalität wurde viele Jahre von Männern geschrieben. Da war der ehemalige Chef der Steuerfahndung in Sankt Augustin, Klaus Förster, der vor gut 30 Jahren auf die große Umwegfinanzierung der bürgerlichen Parteien stieß. Er ließ die Politiker nicht mehr aus dem Schwitzkasten, obwohl die zuständige Oberfinanzdirektion ihn aufforderte, für eine Weile zumindest die Finger von dem heißen Fall zu lassen.

Volljurist Förster, dessen Frau Margarete eine Apotheke führte, war ebenso mutig wie finanziell unabhängig und ließ sich nicht zur Räson bringen. Er quittierte den Staatsdienst, als die Ermittlungen nicht mehr aufzuhalten waren und arbeitete als Rechtsanwalt. Er ist in Büchern und von Jurys hoch geehrt worden.

Für einen Teil der Öffentlichkeit zumindest war auch der ehemalige Augsburger Staatsanwalt Winfried Maier zeitweise ein Held. Er ermittelte in jener berühmten Panzeraffäre, die mit dem Namen des Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber verbunden ist und wechselte dann, als er sich relativ alleingelassen wähnte, resigniert als Richter zum Landgericht. Seine spöttisch formulierten Grundregeln für den "idealen Staatsanwalt" finden sich seitdem in einschlägigen Werken über den Zustand des deutschen Gemeinwesens und der Strafverfolgung: "Die Bestechung da oben interessiert mich nicht; die Weisung des Vorgesetzten stört mich nicht; die Einflussnahme von oben irritiert mich nicht; der Ladendiebstahl ist strafbar - nicht?"

Seit einiger Zeit treten in großen Wirtschaftsstrafverfahren wie bei VW oder Siemens bevorzugt Staatsanwältinnen in führender Rolle auf, aber keine von ihnen wurde von den Medien als eine Heldin vorgestellt, die sich vor nichts fürchtet. Das mag auch damit zusammenhängen, dass sich diese Staatsanwältinnen - wenn überhaupt - nur im Team präsentiert haben.

Richtig ist natürlich auch, dass der Ruf der Abteilung 35 der Bochumer Staatsanwaltschaft, der Margrit Lichtinghagen 15 Jahre angehörte, wie Donner klang. Die Abteilung werde "von Wirtschaftskriminellen im ganzen Land

gefürchtet", schrieb der Spiegel früh. Dieser Befund hing untrennbar mit den Auftritten der Staatsanwältin Lichtinghagen zusammen. Ihr System war schlicht: Um viel Geld bei den Reichen einzusammeln, übte sie auf Beschuldigte eine Menge Druck aus, um dann am Ende doch auf die Beantragung von Haftstrafen ohne Bewährung zu verzichten. Das Ende solcher Verfahren wurde in kaum einem Medium differenziert beschrieben. Stattdessen wurde das System aus Repression und Kooperation fälschlicherweise mit Begriffen wie "Unerschrockenheit" übersetzt.

Irritierende Glückwünsche

Und dass Steuerstrafverfahren, um die sie sich vorwiegend kümmerte, juristisch betrachtet eher schlicht sind, blieb meist auch unbeachtet. Es bleibt dabei: Zur Heldin wird, wen die Medien zur Heldin machen wollen. Dass sogar ein Film über die Bochumer Staatsanwältin mit Veronica Ferres in der Hauptrolle geplant war, galt manchem da draußen als Zertifikat für Unabhängigkeit und Mut und führte drinnen in der Behörde zu Spötteleien und vielleicht auch Neid.

Als Staatsanwältin hat Margrit Lichtinghagen immer wieder mal versucht, das Bild der Heldin Lichtinghagen wegzuwischen. Als ihr nach der Zumwinkel-Durchsuchung und dem folgenden Medien-Hype sogar Steuerfahnder, mit denen sie seit mehr als einem Jahrzehnt eng zusammenarbeitete, zum Erfolg gratulierten, war sie sichtlich irritiert und fassungslos. Sie hat den Beamten mitgeteilt, dass sie ihnen alles zu verdanken habe. Auf das Team, nicht auf den Einzelnen, komme es an. Teams aber haben keine Fallhöhe. HANS LEYENDECKER

Margrit Lichtinghagen war die Frau, die angeblich Jagd auf die deutsche High Society machte. Foto: AP

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Was bleibt?

Die Sat-1-Beschäftigten streiken in Berlin und gratulieren sich selbst

Die Mail vom 9. Januar war anders abgefasst als die kämpferischen Mitteilungen des Berliner Betriebsrates von Sat 1. Der muss sich seit Wochen mit dem Umzug des Kommerzkanals nach München, dazu einem umfänglichen Stellenabbau beschäftigen und schrieb: "Die Betriebsräte möchten uns allen zum 25. Geburtstag recht herzlich gratulieren."

Während RTL seine Gründung am 2.1. 1984 Anfang Januar im Programm mit Trailern, grafischen Einblendungen und zwei Shows feierte, funkte Sat 1 - am 1.1. 1984 an den Start gebracht - dumpf vor sich hin. Die Gesellschafter von KKR und Permira, beides Finanzinvestoren, blieben offenbar stumm. Von Stolz ist in der "BetriebsräteInfo" die Rede, von Engagement und Kreativität. Am Schluss heißt es dann: "Auch unser Vorstand und die Geschäftsführungen der Pro Sieben Sat 1-Sender gratulieren zum Jubiläum. Allerdings nicht uns (!), sondern RTL!"

Tatsächlich schickten die für die Sender verantwortlichen Manager Bartl, Proff, Alberti, Rossmann und Bolten im Chor eine Grußadresse an RTL. Zwei Stunden später am 9. Januar antwortete Sat 1-Sprecherin Kristina Fassler: Angesichts der schweren Entscheidung vieler Mitarbeiter, den Arbeitsplatz entweder ganz zu verlassen oder nach München umzuziehen, sei "mental vielleicht nicht so viel Platz für ein Jubiläum".

Immerhin war genügend Platz für einen 36-stündigen Streik der Beschäftigten, der am Dienstag dieser Woche auf dem Gendarmenmarkt in Berlin begann. Man fragt sich schon, was am Ende übrig bleibt von Sat 1. chk

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Keinfamilienhaus

Wenn er arbeitet und sie: Ein Film über moderne Eltern

So lakonisch der Titel daherkommt, Mama arbeitet wieder, das ist natürlich nichts anderes als die Fanfare zu einer ideologischen Schlacht. Karriere- gegen Gluckenmütter, traditionelle Ernährer gegen neue Vorzeigeväter zwischen Sandkasten und Wickeltisch, Mama gegen Papa - immer geht es um die heikle Frage, wer sich wie lange um die Kinder kümmern sollte und wie viel Leben da noch übrig bleibt. Gerade erst hat es Frankreichs Justizministerin gewagt, fünf Tage nach Kaiserschnitt in - mon dieu! - Highheels an ihren Arbeitsplatz zurückzuspazieren, und damit eine gesellschaftliche Debatte ausgelöst. Stoff für einen bitterkomischen Spielfilm (Regie: Dietmar Klein) ist also reichlich in Umlauf.

Der Bauingenieur Mark Vogt (Tim Bergmann) bewohnt mit seiner Frau Corinna (Anna Schudt) und zwei kleinen Kindern ein Einfamilienhaus im Grünen. Oberflächlich läuft alles rund: Er arbeitet, sie kümmert sich um Haushalt und Nachwuchs, abends sinken sie knutschend ins Ehebett. "Wir waren das, was man eine traditionelle Kleinfamilie nennt", sagt Mark, "doch plötzlich wurden wir eine ganz moderne Familie." Als der Chef um Hilfe ruft, kehrt Corinna schneller als geplant in ihren Job zurück. Eine Nanny muss her; der ehrgeizige Gatte erklärt sich widerstrebend bereit, früher von seiner Baustelle zu verschwinden und dafür mehr Zeit mit den Kindern und der Schmutzwäsche zu verbringen. "Alles eine Sache der Organisation", glauben sie - und täuschen sich.

Das Drehbuch vereint alle kleinen und großen Widrigkeiten, die auf Doppelverdiener mit Kindern zukommen können: die spöttischen Sprüche der Kollegen (in seine Richtung), der strafende Blick der Vollzeitmutter (in ihre), das schlechte Gewissen, die Müdigkeit, die kleinlichen Machtspielchen und Streitereien und schließlich die Entfremdung voneinander, bis hin zum drohenden Ehebruch . . . Das wird mit viel Esprit erzählt und kommt der banalen Wahrheit, dass der Selbstverwirklichung mit Kindern Grenzen gesetzt sind, ziemlich nahe. Berufstätige Eltern werden sich bei Dialogen wie "Hast du ans Einkaufen gedacht?" - "In der Mittagspause, Schatz!" jedenfalls zutiefst verstanden fühlen.

Wie man sein Leben zwischen Kindern, Job und Beziehung nun wirklich in den Griff bekommt, auf diese Frage maßt sich der Film eine Antwort gar nicht erst an. Allein das macht ihn schon liebenswert. TANJA REST

Mama arbeitet wieder, ARD, 20.15 Uhr

Kinder statt Baustelle: Ingenieur Mark Vogt (Tim Bergmann) lebt ein traditionelles Eheleben - bis seine Frau wieder ins Büro geht. Foto: SWR

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Gekaufte Zeit

Der Milliardär Carlos Slim kommt der "New York Times" zur Hilfe - gegen stolze Zinsen

Aufatmen in Manhattan: Der mexikanische Milliardär Carlos Slim ist der New York Times mit einer Investition von 250 Millionen Dollar zu Hilfe geeilt und hat damit vermutlich eine unmittelbar drohende Liquiditätskrise in dem Verlag erst einmal abgewendet. Die Entscheidung wurde am späten Montagabend in New York bekannt, der Aktienkurs der Times erholte sich zunächst, geriet jedoch im frühen Handel an der Wall Street schon wieder unter Druck.

Die Investition mag der New York Times für die nächsten Monate Handlungsspielraum geben, die Details des Geschäftes machen jedoch klar, wie ernst die Lage bei der ehrwürdigen Zeitung inzwischen ist. Carlos Slim, mit einem Vermögen von 60 Milliarden Dollar einer der reichsten Männer der Welt - fast auf Höhe des amerikanischen Investors Warren Buffett -, hat der Zeitung zunächst einen Kredit gewährt, der bis 2015 läuft. Diesen lässt er sich mit unglaublichen 14,1 Prozent Zinsen vergüten. Der sehr hohe Satz - formal eine garantierte Dividende - ist Ausdruck der angespannten Finanzlage; Schuldverschreibungen des Verlages werden von den Ratingagenturen inzwischen als Schrottanleihen eingestuft, sie tragen ein sehr hohes Ausfallrisiko. Der 250-Millionen-Kredit ist einem Bezugsrecht für Aktien zu einem Preis von 6,36 Dollar verbunden.

Sollte Slim das Bezugsrecht ausüben, würde er damit einen Anteil von elf Prozent an der Times erwerben. Da er bereits im vergangenen September 6,9 Prozent der Aktien gekauft hatte, hielte er dann 18 Prozent an dem Verlag und damit fast so viel wie die dominierende Verlegerfamilie Ochs-Sulzberger (19 Prozent). Die Sulzbergers beherrschen den Verlag bisher, weil sie den überwiegenden Teil der mit einem Mehrfachstimmrecht ausgestatteten B-Aktien halten.

Baseball Team im Angebot

Nicht so ganz klar ist, was Slim eigentlich will. Der mittlerweile 68-jährige Witwer hat sein Vermögen in Mexiko mit der Telefongesellschaft Telmex und dem größten Mobilfunkbetreiber Lateinamerikas, America Movil, gemacht, er ist an der Bank Inbursa beteiligt und besitzt eine Industrieholding. Slim tritt als Kunstsammler und Mäzen auf und ist mit dem früheren amerikanischen Präsidenten Bill Clinton befreundet. Als er im September erstmals bei der Times einstieg, sagte er öffentlich nur, der Verlag sei ein

tolles Unternehmen und habe einen günstigen Preis geboten. Möglicherweise will

er jetzt mit seinem Kredit nur die Verluste begrenzen, die er bisher mit den Times-Aktien erlitten hat, vielleicht will er die Times aber auch beherrschen. In diesem Falle ist die Frage, was den Ingenieur in die Lage versetzen sollte, mit der Branchenkrise besser umzugehen als die bisherigen Verleger.

Aus Sicht des Times-Verlages ist das Kalkül klar: Er will Zeit kaufen. Die New York Times steht vor einem doppelten Problem: Sie ist einmal, wie die Zeitungsbranche fast auf der ganzen Welt, von einer schweren Konjunktur- und Strukturkrise betroffen. Anzeigenerlöse bleiben aus, Leser wandern ins Internet

ab. Im November lagen die Anzeigenumsätze um 21 Prozent niedriger als vor einem Jahr, auch in den beiden Monaten zuvor waren die Erlöse mit zweistelligen

Prozentsätzen eingebrochen. In der gleichen Zeit hat die Aktie der Times 50 Prozent ihres Wertes verloren. Zudem ist der Verlag unterkapitalisiert, die Eigentümer genehmigten sich bisher immer großzügige Dividenden, auch in nicht so guten Jahren. In den Zeiten des Kreditbooms verschuldete sich die Times heftig, jetzt werden die Kredite unter wesentlich ungünstigeren Bedingungen fällig. Das Darlehen von Carlos Slim dient teilweise dazu, solche Kredite abzulösen.

Der Verlag versucht jetzt, mit dramatischen Schritten, Kapital zu sichern und

die Kosten in den Griff zu bekommen. Das neue Verlagsgebäude in Manhattan soll verkauft und anschließend zurückgemietet werden. Auch der Anteil an der Baseball-Mannschaft der Red Socks in Boston steht zur Veräußerung an, ohne dass bisher ein Erwerber gefunden wäre. Ein Vertriebszentrum in New York wurde geschlossen, der Lokalteil verlor einen eigenen Aufschlag, um Druckkosten zu sparen. Schließlich nahmen die Eigentümer auch eine Kürzung der Dividende um drei Viertel hin. "Dies wird eines der

schwierigsten Jahre, die wir bisher erlebt haben", sagte Verlagschefin Janet Robinson im vergangenen Monat. Das dürfte sich auch mit dem teuren Geld aus Mexiko nicht geändert haben.

NIKOLAUS PIPER

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Verantwortlich: Christopher Keil

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Hauptsache, es sticht

Akupunktur lindert Kopfschmerz, egal wo die Nadeln sitzen

Anhängern der Akupunktur muss es einen Stich versetzen. Jahrelang haben sie dafür gekämpft, dass ihre Behandlungsmethode im Westen anerkannt wird. Jetzt zeigen große Studien, dass die chinesische Nadel-Technik bei Spannungskopfschmerzen zwar tatsächlich hilft und zudem Migräne-Attacken vorbeugen kann. Doch gleichzeitig belegen die Studien, dass nicht nur Stiche in einen der 361 klassischen Akupunkturpunkte auf den Meridianen helfen können - eine Scheinakupunktur hat offenbar ähnlich lindernde Wirkung. Es ist also egal, wohin gestochen wird.

"Im Vergleich zur medikamentösen Standardtherapie gegen heftigen Kopfschmerz ist die Akupunktur in Studien sogar überlegen, hat aber weniger Nebenwirkungen", sagt Klaus Linde vom Zentrum für naturheilkundliche Forschung der Technischen Universität München. Er hat beide Studien geleitet, die am heutigen Mittwoch in der Cochrane Database of Systematic Reviews erscheinen. Übersichtsarbeiten für die Cochrane-Datenbank gelten als besonders aussagekräftig, denn sie fassen den Forschungsstand seriös zusammen. Dazu werden nur die besten Fachartikel ausgewertet. Wissenschaftliches Mittelmaß, das zu Unrecht eine Therapie lobt oder verdammt, fällt hingegen unter den Tisch.

Um zu klären, ob Akupunktur gegen Spannungskopfschmerzen hilft, wurden elf Studien mit 2300 Teilnehmern ausgewertet. In die Analyse zur Migräne-Prophylaxe flossen sogar 22 Studien mit 4400 Probanden ein. In beiden Fällen wirkte Akupunktur besser als Schmerzmittel. "Das liegt wohl auch daran, dass die Teilnehmer die Akupunktur erwartet haben und keine Medikamente", sagt Hans-Christoph Diener, Chef der Neurologie am Universitätsklinikum Essen. "Akupunktur ist eine sehr potente Placebo-Therapie." Klaus Linde ist sich nicht so sicher, wie die Wirkung zu erklären ist. Neben Placebo-Effekten wie Zuwendung des Arztes, Ritualen der Behandlung und der Erwartungshaltung habe auch das Stechen einen Anteil, der aber noch weiter erforscht werden müsse. "Ich denke nicht, dass die Akupunktur wirkt, wenn ein Arzt nicht daran glaubt und die Therapie nicht überzeugend vermittelt", sagt Klaus Linde.

In den aktuellen Studien berichten immerhin 47 Prozent der Patienten mit Kopfschmerz, dass sich die Zahl der Tage mit Beschwerden halbiert habe - unter Patienten, die medikamentös behandelt wurden, waren es nur 16 Prozent. Zudem wurde klassische mit Scheinakupunktur verglichen. Dazu werden Nadeln falsch gesetzt oder durchdringen nicht die Haut. Die Unterschiede zwischen beiden Techniken waren marginal: Bei 50 Prozent der Patienten waren die Schmerzen nach klassischer Nadelung deutlich gelindert. Nach Scheinbehandlung war dies bei 41 Prozent der Fall.

"Es gibt keine klassischen Akupunkturpunkte und auch keine Scheinakupunktur", sagt Iven Tao vom Lehrstuhl für Naturheilkunde der Universität Essen. Er hat Sinologie und chinesische Medizin studiert und klassische Quellentexte der Akupunkteure seit der Han-Dynastie um Christi Geburt ausgewertet. "Diese Punkte sind nicht genau zu lokalisieren, es gibt vielmehr reaktive Areale."

Zwei Drittel der Bevölkerung stehen der Akupunktur aufgeschlossen gegenüber. Die wissenschaftliche Medizin verlangt jedoch Wirksamkeitsnachweise. Die gibt es für die Akupunktur nicht nur bei Kopfschmerzen, sondern auch bei Rücken- und Kniebeschwerden. "Aus Patientensicht gibt es keinen Grund gegen die Akupunktur, wenn man offen dafür ist", sagt Klaus Linde. Hans-Christoph Diener kann nicht nachvollziehen, warum die Kassen Akupunktur bei Spannungskopfschmerz nicht mehr erstatten. "Für manche Menschen, bei denen Medikamente nicht ansprechen, ist das oft der letzte Ausweg." WERNER BARTENS

Nach klassischer Lehre müssen die Akupunkturnadeln an festgelegten Stellen gesetzt werden. Die traditionelle chinesische Behandlung wirkt allerdings auch, wenn die Stiche danebengehen. Foto: Getty Images

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Das indische Gen

Mutation versiebenfacht Risiko für Herzmuskelerkrankungen

Einer von 25 Indern trägt eine genetische Mutation, die sein Risiko für Herzmuskelerkrankungen deutlich erhöht. Forscher vom Zentrum für Zell- und Molekularbiologie in Hyderabad haben erkannt, dass das Risiko für Herzmuskelschwäche auf das Siebenfache steigt, wenn ein Stückchen von dem Gen MYBPC3 fehlt. Dieses Gen wacht über die Kontraktion des Herzmuskels. "Die Betroffenen haben eine erhöhte Anfälligkeit für Herzversagen", schreiben die Forscher (Nature Genetics, online). Allerdings erkranken längst nicht alle Personen, die die Mutation tragen - das Risiko liegt etwa bei eins zu 40.

Gleichwohl: Dass eine so gefährliche Genvariante so weit verbreitet ist, erstaunt Genetiker. "Es sind nur wenige solcher Mutationen bekannt", sagt Arne Pfeufer, der am Helmholtz-Zentrum München die Genetik von Herzerkrankungen untersucht. So tragen acht Prozent aller Afrikaner eine Genvariante, die das Risiko für Herzrhythmusstörungen verneunfacht. Und in den beiden holländischen Provinzen der Niederlande haben Forscher eine genetische Ursache für Herzmuskelschwäche entdeckt, die ebenfalls das Gen MYBPC3 betrifft und sehr häufig auftritt. "Ein Viertel aller Fälle dort geht auf diese eine Mutation zurück", so Pfeufer.

Offen bleibt, weshalb so gefährliche Mutationen nicht aussterben. Die indischen Forscher sehen einen möglichen Grund darin, dass die Krankheit erst im fortgeschrittenen Alter zuschlage. Dann hätten die Mutationsträger längst Kinder in die Welt gesetzt. Eine andere Erklärung sei, dass die Genvariante in jungen Jahren Vorteile biete, sagt Pfeufer.

Das Wissen um die mutierten Gene hat in Pfeufers Augen jedenfalls Vorteile: Betroffene könnten ihr Herz durch einen gesünderen Lebensstil schützen. Die indischen Forscher gehen erheblich weiter. Sie preisen bereits eine hierzulande verbotene Möglichkeit an: "Nun, da der Defekt identifiziert ist, gibt es einen Hoffnungsschimmer", schreiben sie. Wenn sich Eltern das wünschen, könnten sie ein Ungeborenes mit solchen Anlagen abtreiben. CHRISTINA BERNDT

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Große Gefühle

Elefanten trauern jahrzehntelang

Elefanten überwinden den Verlust von verwandten Artgenossen erst nach sehr langer Zeit. Haben Afrikanische Elefanten etwa durch Wilderer ihre Familie verloren, dauert es 20 Jahre und länger, bis sie wieder Bindungen zu Artgenossen eingehen. Das berichtet ein Team um die Ökologin Kathleen Gobush von der US-Klimabehörde NOAA im Fachjournal Molecular Ecology (online vorab). Die Forscher beobachteten mehr als 100 Elefantengruppen im Mikumi-Nationalpark in Tansania. Ehe der Elfenbeinhandel 1989 weltweit verboten wurde, wurden fast 75 Prozent der Elefanten in dem Park von Wilderern getötet. "Viele der Elefantenkühe verloren ihre Mütter und Schwestern und waren zu einem Einzelgängerleben verdammt", sagt Sam Wasser, einer der beteiligten Wissenschaftler. Das Sozialgefüge der Elefanten im Mikumi-Nationalpark ist dadurch noch heute verändert. Die Wissenschaftler beobachteten dort viele Elefanten, die in ungewöhnlich kleinen Gruppen leben. Ein Drittel der weiblichen Elefanten in dem Nationalpark waren sogar Einzelgänger. Viele Elefanten hätten den Verlust ihrer Gruppe auch Jahrzehnte nach dem Vorfall nicht überwunden, folgerten die Forscher. SZ

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Begleiter im Geiste

Wenn Kinder mit einem imaginären Gefährten leben, ist das kein Anlass zur Sorge

Phantastische Wesen bevölkern seit jeher als Kobolde, Geister und Engel das kollektive Bewusstsein der Menschheit. Sie manifestieren sich in Fabeln, Kinderbüchern ebenso wie in phantastischen Filmen. Aber eben nicht nur dort. Auch im Kopf von Kindern, Jugendlichen und manchmal sogar Erwachsenen können erdachte Wesen zu erstaunlicher Realität heranreifen. Die irrsten Figuren, geboren aus nichts anderem als dem eigenen Geist sind für viele, meist junge Menschen ein enger Begleiter im Alltag. "Imaginäre Gefährten" nennt die Psychologie jene Phantasiegestalten, die sich dadurch auszeichnen, dass ein Mensch sie so beschreibt, ja sogar mit ihnen lebt, als würden sie wahrhaft existieren. Dabei sind sie für andere Personen alles andere als real.

Diese Phantasiefiguren sind keineswegs Zeichen eines kranken Geistes. Sie sind gerade bei Kindern Ausdruck einer lebendigen Einbildungskraft, die ihnen hilft, ihren Platz in der Welt zu finden. Alles, was sie dafür brauchen, ist Zeit, um alleine zu spielen - in Gesellschaften, in denen Kinder diesen Freiraum nicht haben, tauchen fiktive Begleiter nur selten auf. Überraschenderweise sind imaginäre Gefährten bis heute in der Psychologie wenig erforscht. Richard Passman und Espen Klausen von der University of Milwaukee merkten jedoch kürzlich in einer Überblickstudie im Fachjournal Journal of Genetic Psychology an, diese Forschungsrichtung bekomme nach 100 Jahren und mehreren Fehlstarts nun endlich einen festen Stand.

Es sind vor allem die drei- bis siebenjährigen Kinder, die mit den Phantasiefiguren leben, haben Psychologen festgestellt. Meist sind die Begleiter Menschen, aber auch Superhelden, Tiere oder Zauberer kommen vor. Die Kinder sprechen und spielen mit ihnen, manche der Begleiter passen in die Hosentasche, andere schweben. Nach verschiedenen Studien leben bis zu zwei Drittel aller Kinder für eine Weile mit solchen Schöpfungen. Auch bei Jugendlichen sind fiktive Freunde offenbar keine Seltenheit. Und obwohl Kinder mitunter darauf bestehen, dass ihre Eltern für die imaginären Begleiter einen Platz am Tisch decken, ist ihr Realitätssinn im Allgemeinen deswegen nicht geschmälert.

In der Forschung hat sich im vergangenen Jahrzehnt die Position entwickelt, wonach imaginäre Kumpane eine positive Entwicklungsphase im Leben von Kindern markieren. Die Psychologin Marjorie Taylor von der University of Oregon konnte in mehreren Untersuchungen feststellen, dass die betroffenen Kinder sich schneller als ihre "allein lebenden" Altersgenossen eine Vorstellung von den Gefühlen und Gedanken ihrer Mitmenschen bilden. Außerdem verfügen Kindern mit imaginären Freunden über deutlich bessere Kommunikationsfähigkeiten, erkannten die Psychologen Anna Roby und Evan Kidd von der University of Manchester im vergangenen Jahr.

Es gebe noch andere Gründe, warum sich ein Kind einen unsichtbaren Kumpel zulegt, sagt die Entwicklungspsychologin Inge Seiffge-Krenke von der Universität Mainz. So leben Kinder auf diesem Wege bisweilen Allmachtsphantasien aus. Andere kompensieren Einsamkeit - immerhin sind die außergewöhnlichen Freunde unter Einzelkindern weit verbreitet. Und schließlich spielen die imaginären Begleiter gelegentlich die Rolle soufflierender Engelchen und Teufelchen, durch die das Kind lernt, eine Welt voller Ver- und Gebote zu durchschiffen.

Es mag zwar mitunter vorkommen, dass fiktive Kameraden bei Kindern ein gestörtes Verhältnis zur Wirklichkeit andeuten, doch sind solche Fälle offenbar selten. Auch sollte das Phänomen nicht als Signal für Missbrauch oder Vernachlässigung verstanden werden, denn gepeinigte Kinder spielen weniger und entwickeln daher meist keine so bewegte Phantasie. "Eltern sollten sich wegen imaginärer Gefährten ihrer Sprösslinge generell keine Sorgen machen", sagt Inge Seiffge-Krenke.

Normalerweise sind die Begleiter reine Phantasiegebilde. Aber es gibt auch Charaktere aus der Medienwelt, die Kinder zu Bezugspersonen erheben - das kann Pippi Langstrumpf sein, der Kobold Pumuckl oder einer der modernen Kämpferfiguren. Manchmal werden auch Kuscheltiere und Puppen zum Leben erweckt. Ein bekannte Illustration dieses Phänomens ist die in den USA populäre Comic-Serie "Calvin und Hobbes", in der der sechsjährige Calvin mit seinem für ihn höchst lebendigen Stofftiger Hobbes Abenteuer besteht. Ist ein Erwachsener zugegen, verwandelt sich Hobbes blitzartig in ein lebloses Kuscheltier zurück.

Solchermaßen "personifizierte Objekte" kommen nicht von ungefähr. Sie verdanken sich nicht zuletzt der menschlichen Neigung, Dingen eine Essenz oder Seele zuzuschreiben. So haben die Psychologen Bruce Hood von der britischen University of Bristol und Paul Bloom von der Yale University dokumentiert, dass Kinder in Objekten oft eine über die rein physischen Qualitäten hinausgehende Eigenschaft wahrnehmen.

In einem 2007 veröffentlichten Experiment lehnten es fast alle Kinder ab, als Ersatz für einen geliebten Gegenstand - ein Stofftier oder anderes Spielzeug - eine "Kopie" zu akzeptieren. In Wirklichkeit bot man den Kindern den ursprünglichen Gegenstand an - vollkommener konnte die Kopie also gar nicht sein -, aber die Kinder lehnten den Tausch dennoch ab. Hood erkennt in diesem Verhalten einen Hang zum magischen Denken: "Auch Erwachsene sind nicht ganz frei davon. Einen Füller von Einstein behandeln wir mit größerer Ehrfurcht als einen äußerlich identischen, der keiner Berühmtheit gehörte. Und die Mehrheit würde es ablehnen, den gereinigten Pullover eines Serienmörders anzuziehen."

Auch bei Jugendlichen kommen imaginäre Charaktere vor. Diese spielen aber eine andere Rolle als bei Kindern. Während die Kleinen vor allem Spielkameraden für gemeinsame Aktivitäten suchen, ist es für Jugendliche wichtig, einen Ansprechpartner zu haben, dem sie sich anvertrauen können - ein zentrales Merkmal von Freundschaften während der Adoleszenz. Der imaginäre Gefährte hilft ihnen, das sich entwickelnde Verhältnis von Selbst, Welt und sozialem Umfeld auszubalancieren.

Da verwundert es wenig, dass diese Figuren oft im Tagebuch auftauchen, das als Person angesprochen wird: "Liebes Tagebuch . . ." Die Psychologin Seiffge-Krenke berichtete in einer Untersuchung über die Tagebücher von 94 Jugendlichen, dass knapp die Hälfte der Schreiber mit einem imaginären, überwiegend weiblichen Gefährten lebte. Ein berühmt gewordenes Beispiel ist "Kitty", die Anne Frank in ihrem Versteck vor den Nazis als enge Freundin erschaffen hat. Dass imaginäre Begleiter von Jugendlichen aus Not oder Einsamkeit entstehen, ist jedoch nicht der Fall. Die Tagebuchschreiber in Seiffge-Krenkes Studie zeichneten sich durch ausgeprägte Empathie und soziale Kompetenz aus.

Sogar Erwachsene leben mit imaginären Gefährten, was jedoch von der Psychologie noch wenig erforscht wurde. Anders als bei James Stewart in dem Film "Mein Freund Harvey", im dem ein zwei Meter großer Hase als loyaler Freund fungiert, liegen hier oft einschneidende Gründe vor. So gibt es medizinische Berichte, dass an Psychosen leidende Erwachsene solche Vorstellungen erzeugen, um ihre beengte Welt zu bewältigen. Als pathologisch würde wohl auch das kinderlose Ehepaar in dem Film "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" gelten, das vorgibt, es habe einen Sohn. Auch kommt es vor, dass Menschen, die eine nahestehende Person verloren haben, den Verstorbenen in Halluzinationen erleben. Das kann im Extrem dazu führen, dass alte Menschen den toten Gefährten dauerhaft in ihr Leben zurückkehren lassen.

So berichtete der kanadische Psychiater Ken Shulman bereits vor mehr als 20 Jahren von drei über 80-jährigen Senioren, deren jahrzehntelange Ehepartner verstorben waren. Obwohl sie um den Verlust wussten, wunderten sie sich keineswegs über die Rückkehr des Gemahls oder der Gemahlin - eine Frau vermied sogar gezielt, das heikle Thema anzusprechen, um die Erscheinung nicht zu verscheuchen. Allerdings waren die Patienten alle bereits leicht senil. "Das waren Tröster und Gesellschafter", sagt Shulman rückblickend.

Doch warum haben Wissenschaftler dieses Thema so lange gemieden? Es mag daran liegen, dass viele Kinder sich später ihrer imaginären Freunde kaum noch entsinnen. So berichtet Seiffge-Krenke von einem Treffen mit jungen Erwachsenen, die der Psychologin ihre Jahre zuvor verfassten Jugendtagebücher zur Verfügung gestellt hatten.

Als Inge Seiffge-Krenke eine der Frauen fragte, ob sie sich noch an ihre imaginäre Freundin "Kathrin" erinnere, konnte diese sich außer dem Namen nichts ins Gedächtnis zurückrufen. Dabei hatte sie sich lange und intensiv mit Kathrin auseinandergesetzt. Der Grund dafür könnte sein, dass die Kinder und Jugendlichen stets die volle Kontrolle über ihre Figuren bewahren. Auch wenn sie den imaginären Begleiter nicht mehr brauchen: Dann lassen sie die einstigen Gefährten sterben - oder einfach verblassen

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HUBERTUS BREUER

Manche der fiktiven Freunde passen in die Hosentasche

Am Ende lassen Kinder die Figuren sterben

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Keime aus der Hühnerbrust

Infektionen mit Campylobacter nehmen in Europa zu

Sie stecken in einem Viertel des Hühnerfleisches, das in der EU roh verkauft wird. Sie lösen beim Menschen Durchfall, Krämpfe und Fieber aus - und sie sind auf dem Vormarsch: Campylobacter-Keime sind nach Angaben der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA für die meisten Infektionen verantwortlich, bei denen sich Menschen bei Tieren oder an Tierprodukten anstecken können. In Europa erkrankten im Jahr 2007 etwa 200 500 Menschen an einer Campylobacter-Infektion. Das sind 14 Prozent mehr als im Vorjahr, berichteten die EFSA und das Europäische Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) am Dienstag in Brüssel.

Mehr als die Hälfte dieses Zuwachses geht auf das Konto von Deutschland. Dort ist die Zahl der Infektionen mit dem Bakterium im EU-Vergleich am stärksten gestiegen. Beim Robert-Koch-Institut, das in Deutschland für die Erhebung der Infektionszahlen zuständig ist, macht man die warmen Temperaturen im Jahr 2007 dafür verantwortlich. Abweichungen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten könnten aber auch auf die unterschiedliche Qualität der Meldesysteme zurückzuführen sein, sagte Andrea Ammon. "Europaweit ist die Situation alarmierend und erfordert Gegenmaßnahmen von Seiten der nationalen Lebensmittelbehörden", so die Leiterin der ECDC-Überwachungsabteilung.

Im Kampf gegen Salmonellen hat ein EU-weites Präventionsprogramm erste Erfolge gezeigt. Zwar sind Salmonellen-Infektionen nach wie vor die zweithäufigste Ursache für Krankheiten, die von Tieren auf den Menschen übertragen werden können. Seit vier Jahren stecken sich in Europa aber immer weniger Menschen mit den Keimen an - im Jahr 2007 waren es knapp 152 000. Auch diese Bakterien finden sich am häufigsten auf Hühnerfleisch. Zudem sind acht Prozent aller geschlachteten Schweine mit den Keimen verunreinigt. Um sich vor solchen Infektionen zu schützen, empfehlen die EU-Behörden, Fleisch gründlich durchzugaren und vor allem bei der Zubereitung von Geflügel in der Küche auf die Hygiene zu achten. MARTIN KOTYNEK

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Klare Sicht in Europa

Es gibt nur noch halb so oft Nebel wie vor 30 Jahren

Der Nebel über Europa hat sich in den vergangenen 30 Jahren gelichtet. Die Zahl der Tage, an denen die Sicht auf acht Kilometer oder weniger eingeschränkt war, ist seit 1978 um mehr als die Hälfte gefallen, haben ein französischer und zwei niederländische Klimaforscher errechnet (Nature Geoscience, online). Ihre Daten stammen von 342 Wetterstationen zwischen Estland und Algarve, Irland und türkischer Riviera. Die mittlere Zahl der Herbst- und Wintertage, an denen Nebel die Sicht auf maximal zwei Kilometer beschränkte, ist demnach von etwa 20 auf zehn gesunken. Unter solchen Wetterbedingungen leiden Länder in Nordeuropa häufiger als solche im Süden. Besonders betroffen waren auch die osteuropäischen Staaten, wo andererseits der Rückgang besonders ausgeprägt war.

Die Forscher bringen den Trend zu weniger Nebel mit der saubereren Luft in Verbindung. Mindestens für die 1990er-Jahre passt die zeitliche und räumliche Verringerung der Schwefeldioxid-Emissionen in Industrieabgasen gut zur verbesserten Sicht. Diese trägt damit auch zu der im globalen Vergleich überproportionalen Erwärmung Europas bei, weil mangels Nebel mehr Sonnenlicht den Boden erreicht. Zehn bis 20 Prozent der Aufheizung gehen auf den verringerten Dunst zurück, entnehmen die Forscher ihren Zahlen. Ähnliche Effekte hatten andere Wissenschaftler schon bei der Wolkenbildung durch Aerosole nachgewiesen. Der verringerte Nebel hat sich aber unabhängig von der verringerten Wolkenbildung entwickelt.cris

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Sexfalle unter Wasser

Duftstoffe verwirren Neunaugen

Meerneunaugen haben nur eine Chance sich zu paaren, danach sterben sie. Weibchen riechen das männliche Paarungshormon noch über weite Entfernungen und finden so die Laichgründe, die in Flussarmen liegen. Amerikanische Forscher haben diese Fähigkeit nun ausgenutzt, um eine Duftfalle für Neunaugen zu entwickeln (PNAS, online). Damit wollen sie die Neunaugenplage in den Großen Seen bekämpfen. Dort wurden Meerneunaugen Anfang des 20. Jahrhunderts eingeschleppt. Seither haben sich die Tiere dort zur Gefahr für einheimische Fische wie Forelle und Lachs entwickelt. Als Jugendliche saugen sich die aalartigen Meerneunaugen an den Fische fest und leben ähnlich wie Vampire von deren Blut und Muskelgewebe.

Die Forscher stellten nun im Labor das männliche Paarungshormon her und testeten die Substanz an weiblichen Neunaugen in einem Fluss, der als Laichgebiet der Tiere bekannt ist. Etwa die Hälfte der Neunaugen-Weibchen schwamm flussaufwärts genau an die Stelle, wo die Forscher den Duftstoff ins Wasser gegeben hatten. Wenn sie sich paaren wollen, schwimmen die Neunaugen aus den Seen in einige der einmündenden Flüsse. Mit ihrer Falle wollen die Forscher die Weibchen nun in die Flussarme locken, in denen sie keine Männchen finden und sich somit nicht fortpflanzen können. emm

Mit Hornzähnen beißen sich Neunaugen an Fischen fest. Blickwinkel/A.Hartl

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Kabinett ernennt Beauftragte

Neue Vertreter für Behinderte, Ausländer und Datenschutz

München - Das bayerische Kabinett hat am Dienstag die Nürnberger Fremdsprachenkorrespondentin Irmgard Badura (35) zur neuen Behindertenbeauftragten berufen. Gleichzeitig wurde der stellvertretende Berliner Datenschutzbeauftragte Thomas Petri als Landesbeauftragter für den Datenschutz in Bayern vorgeschlagen. Er muss noch vom Landtag bestätigt werden. Als Integrationsbeauftragten für Ausländer und Migranten ernannte das Kabinett den CSU-Landtagsabgeordneten Martin Neumeyer. Die SZ hatte darüber berichtet.

Badura tritt die Nachfolge von Anita Knochner an, die seit 2004 Behindertenbeauftragte in Bayern war. Die Stelle eines Integrationsbeauftragten ist auf Initiative der FDP neu geschaffen worden. Petri soll das Amt von Michael Betzl übernehmen, der sein Amt wegen eines laufenden Ermittlungsverfahrens im Zuge der Liechtenstein-Steueraffäre abgegeben hatte. Ihm wird Steuerhinterziehung vorgeworfen. Petris Amtszeit beträgt nach Mitteilung der Staatskanzlei in München sechs Jahre. Der promovierte Rechtswissenschaftler war bislang stellvertretender Datenschutzbeauftragter von Berlin. Von 2000 bis 2004 war er Leiter des Referats Privatwirtschaft beim Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz in Schleswig-Holstein und danach Mitarbeiter beim 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts. dpa

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Kommentar

Wendungen einer Staatsregierung

Will man dem Murks, den die deutschen Länder zum Nichtraucherschutz in der Gastronomie produziert haben, etwas Positives abgewinnen, dann dies: Immerhin existiert nun ein breiter Konsens darüber, dass es angenehm für alle und der rauchenden Minderheit zumutbar ist, den Qualm aus Speiselokalen zu verbannen. Das hat Bestand über alle Wendungen auch einer bayerischen Regierung hinaus.

Ansonsten ist im Spannungsfeld zwischen Gesundheitsschutz und Opportunismus die Logik auf der Strecke geblieben. Logisch wäre es gewesen, den Gastronomen weiterhin die freie Wahl zu lassen oder das Rauchen in der Gastronomie ohne Ausnahme zu verbieten. Plausibel wäre auch ein dritter Weg gewesen, aber den zu beschreiten war der Bundesgesetzgeber schlicht zu feige: Warum können die Beschäftigten in allen anderen Branchen der Wirtschaft beanspruchen, ihrer Tätigkeit ohne Rauchbelästigung nachzugehen, nur in dieser nicht?

Wenn die Logik auf der Strecke bleibt, kommt so etwas zustande wie nun auch in Bayern: Wer ein Lokal mit 74 Quadratmetern in der Fläche betreibt, kann sich frei entscheiden. Wer eines mit 76 Quadratmetern oder mehr bewirtschaftet, hat diese Freiheit nicht. In einem riesigen Festzelt ist es dann wieder egal, da spielt auch die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen keine Rolle mehr.

Die Kontrolleure dürfen nun mit dem Metermaß anrücken, denn so mancher wird kleine bauliche Veränderungen vornehmen. Und wie wird es die Obrigkeit mit dem Nebenraum halten? Kann der über die Gaststube entlüftet werden, immer dann, wenn die Bedienung durchgeht? Das Ganze ist unwürdig, so unwürdig wie die Entmündigung von Stammgästen, die - ob Raucher oder Nichtraucher - fast allesamt damit einverstanden sind, dass sie von 22 Uhr an einem Raucherclub angehören.Wolfgang Roth

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Schulbus fährt gegen Hauswand

Oberthulba - Im unterfränkischen Oberthulba sind 29 Kinder am Dienstag verletzt worden, als ihr Schulbus auf eisglatter Straße wegrutschte und gegen eine Hauswand prallte. Neun Schüler mussten ihre Verletzungen in Krankenhäusern behandeln lassen, einer von ihnen erlitt mittelschwere Verletzungen. 20 weitere Kinder klagten nach Angaben der Polizei aus Würzburg über schmerzende Prellungen und wurden ambulant versorgt. Der 62 Jahre alte Busfahrer blieb unverletzt. "Es ist dem Busfahrer zu verdanken, dass nichts Schlimmeres passiert ist", sagte ein Polizeisprecher. "Es ist sehr glimpflich ausgegangen." Der Bus transportierte Kinder im Alter zwischen sechs und 13 Jahren. Da die Straße glatt war, fuhr der Busfahrer auf der abschüssigen Strecke im Schritttempo. Dennoch verlor der Mann die Kontrolle über das Fahrzeug, der Bus geriet ins Rutschen und prallte an eine Hauswand. dpa

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Beckstein will wieder als Anwalt arbeiten

Nürnberg - Der frühere Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) will neben seinen landespolitischen Ämtern wieder als Anwalt arbeiten. "Ich werde mich in meiner Kanzlei in Nürnberg wieder stärker einbringen", kündigte der CSU-Politiker an. Er werde aber sicher nicht von früh bis spät in dem nach ihm benannten Anwaltsbüro arbeiten, sagte Beckstein. Schließlich habe er mit seinem Landtagsmandat noch ein Amt, das er sehr ernst nehme. Aber er werde in der Kanzlei immer wieder präsent sein. Becksteins Anwaltszulassung hatte seit dem Jahr 1988 geruht. In der aus zehn Anwälten bestehenden Sozietät wolle er sich auf Verwaltungsrecht, Verfassungsrecht sowie Kartell- und Vergaberecht konzentrieren. "Da habe ich viel Erfahrung gesammelt", sagte Beckstein. dpa

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Prozess um "Porno-Pater" geplatzt

Würzburg - Der Prozess vor dem Amtsgericht Würzburg um einen Pater aus dem Kloster Maria Laach ist vorläufig geplatzt. Dem 51 Jahre alten Benediktiner wird vorgeworfen, in einem Würzburger Erotikgeschäft mindestens 42 Sexfilme gestohlen zu haben. Wegen des großen öffentlichen Interesses wollte der Pater erreichen, dass er nicht selbst vor Gericht erscheinen muss. Der Richter erklärte dessen Anwesenheit dagegen als notwendig für die Aufklärung des Falls. prz

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Bayerns Regierung entdeckt wieder ihr Herz für Raucher

"In die Gasthäuser soll der Friede einziehen"

Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) verteidigt das neue Rauchverbot als Regelung mit Augenmaß

Am Dienstag hat das Kabinett seinen Gesetzentwurf zur Lockerung des Rauchverbots beschlossen. Laut Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) werden Nichtraucher trotzdem besser geschützt.

SZ: Herr Söder, welche Ihrer Zuständigkeiten mögen Sie weniger: Gammelfleisch oder das Rauchverbot?

Söder: Man kann sich die Aufgaben nicht immer aussuchen. Aber es lohnt doch mitzuhelfen, einen starken Nichtraucherschutz zu etablieren. Wir wollen, dass dauerhafter Rechts- und Gesellschaftsfriede in die Gasthäuser einzieht.

SZ: Richtig machen kann man es nicht.

Söder: Es gibt zwei Extreme: Nichtraucherschutz ohne Ausnahme. Und: Rauchen geht über alles. Die Politik muss da einen vernünftigen Weg finden. Für uns ist der Nichtraucherschutz absolut wichtig. Das zeigt sich vor allem daran, dass unsere Neuregelung rechtlich überprüfbar und verbindlich ist. In Bayern wurde der Nichtraucherschutz im vergangenen Jahr durch die Flucht in Raucherklubs ausgehebelt. Das wird jetzt geändert.

SZ: Als Gesundheitsminister müssten Sie für strenge Regeln sein, doch Sie werben für eine Lockerung. Das ist absurd.

Söder: Der Vollzug hat in der Praxis nicht wirklich funktioniert. Jetzt wird es einen stabileren und verlässlicheren Nichtraucherschutz geben. Dabei wird aber auch der bayerischen Philosophie "Leben und leben lassen" Rechnung getragen.

SZ: Rechtlich hat der Vollzug vielleicht nicht geklappt. Faktisch haben sich die meisten Bayern mit der Situation gut arrangiert. Warum das ändern?

Söder: Wir mussten ohnehin tätig werden, weil seit dem 1. Januar eigentlich alle Bierzelte rauchfrei wären. Das wäre in der Praxis aber nicht durchführbar gewesen. Daher haben sich CSU und FDP auf eine Reform geeinigt.

SZ: Herausgekommen sind diverse Widersprüche: Warum ist Passivrauchen im Bierzelt nun nicht mehr gefährlich?

Söder: Im Gegensatz zu Gaststätten sind Festzelte vorübergehende Einrichtungen, für drei Wochen. Gaststätten aber bleiben das ganze Jahr. Außerdem ist eine Kontrolle zum Beispiel auf dem Oktoberfest praktisch unmöglich.

SZ: Warum bitte sollen Bierzelt-Kontrollen nicht durchsetzbar sein? Die Kommunen und die Wirte wollen bloß nicht.

Söder: Es macht keinen Sinn, etwas zu erzwingen, was der bayerischen Tradition wie auch der Rechtswirklichkeit entgegensteht.

SZ: Viele Jugendliche verbringen sehr viel Zeit in Festzelten.

Söder: Das halte ich für übertrieben. Jugendliche halten sich sicher öfter in Diskotheken auf - und da haben wir jetzt eine Regelung mit einem klaren Jugendschutz gefunden.

SZ: Sie ändern jetzt ein Gesetz, für das sich die CSU vor kurzem noch ziemlich gebrüstet hat. Nur wegen des Wahlergebnisses. Ist das Grundlage Ihrer Politik?

Söder: Nein. Das Gesetz hat im Laufe der Zeit erhebliche Schwächen im Vollzug gezeigt. Durch den Wildwuchs etwa an Raucherklubs ist genau das Gegenteil eingetreten und der Nichtraucherschutz geschwächt worden.

SZ: Anders herum gefragt: War das Rauchverbot wahlentscheidend?

Söder: Es schadet keinem, aus der Vergangenheit zu lernen - vor allem wenn es dem gesellschaftlichen Frieden dient.

SZ: Wäre es nicht sinnvoller gewesen, für das Rauchverbot zu werben, Aufklärung zu betreiben, den Vollzug zu kontrollieren - als das Gesetz zu ändern?

Söder: Wir haben jetzt eine sehr seriöse und ausgewogene Lösung, diese befindet sich im Einklang mit vielen anderen Bundesländern. Radikalität ist meistens ein schlechter Ratgeber, Vernunft und Augenmaß sind besser. Politik, die sich von den Menschen abkoppelt, wäre falsch.

SZ: Was steht in der Innovationsklausel des Gesetzes?

Söder: Wenn es technische Möglichkeiten gibt, das gleiche Schutzniveau zu erreichen, können diese nach Prüfung durch das Landesamt für Umwelt zugelassen werden. Wir werden uns mit den Bundesländern, die eine vergleichbare Regelung haben, untereinander abstimmen.

SZ: Wann haben Sie selbst zuletzt geraucht?

Söder: Zigaretten seit Urzeiten nicht mehr. Auch Zigarillos schon lange nicht mehr. Denn meine Tochter hat gesagt: Das stinkt. Und dann kriegst Du keinen Kuss mehr.

Interview: Kassian Stroh

Rauchverbot: Was künftig gelten soll

Gaststätten: Generell rauchfrei. Einen abgetrennten Nebenraum kann der Wirt aber zum Raucherzimmer deklarieren und entsprechend kennzeichnen. Dann dürfen dort keine Minderjährigen hinein.

Diskotheken: Auch hier Rauchverbot, mit Ausnahme eines abgetrennten Raucherzimmers, in dem sich nur Erwachsene aufhalten dürfen und in dem Tanzverbot herrscht.

Festzelte: Hier darf wieder geraucht werden, auch von Minderjährigen.

Eckkneipen: Wirte sogenannter Einraumgaststätten können diese zu Raucherkneipen erklären. Voraussetzung: Sie sind nicht größer als 75 Quadrameter und es werden dort nur "kalte oder einfach zubereitet warme Speisen" angeboten. Minderjährige müssen draußen bleiben.

Raucherklubs: Sie soll es künftig nicht mehr geben, die entsprechende Passage im Gesetz, die das bisher ermöglicht, wird gestrichen.

Öffentliche Gebäude: In Behörden, Hochschulen, Krankenhäusern und Heimen bleibt das Rauchen verboten. Dort können Raucherräume eingerichtet werden - nicht aber in Schulen und Jugendeinrichtungen, die komplett rauchfrei sein müssen.

Kultureinrichtungen und Vereinsheime: Für sie gilt dasselbe wie für Mehrraumgaststätten. kast

"Der Vollzug des Rauchverbots hat in der Praxis nicht funktioniert", sagt Gesundheitsminister Söder. Foto:Langer

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Bahn erhält von Bayern weniger Geld

München - Bayerns neuer Verkehrsminister Martin Zeil hat auf die Klagen unserer Leser über regelmäßige Verspätungen und Pannen bei der Deutschen Bahn umgehend reagiert. Der Minister hat die Bayerische Eisenbahngesellschaft aufgefordert, gegenüber der Bahn auf eine "schnelle Behebung der Qualitätsprobleme" zu drängen und die Kritik der Fahrgäste ernst zu nehmen.

Die größte Sorge bereitet Zeil derzeit das von der DB Regio betriebene Augsburger Netz für Elektrozüge. "Obwohl wir mit deutlichen Mehrbestellungen in der Region Augsburg jetzt ein sehr gutes Fahrplanangebot bereitstellen, überwiegt derzeit leider der Ärger über die verspätete Zulassung der Neufahrzeuge durch das Eisenbahnbundesamt", sagte Zeil. Insbesondere die umsteigefreien Verbindungen über Augsburg hinaus seien damit technisch noch nicht möglich. "Verspätungen, verpasste Anschlüsse und mangelhafte Fahrgastinformationen verärgern nicht nur die Fahrgäste", betonte der Minister. Nach Angaben von Zeil hat die Bayerische Eisenbahngesellschaft als Besteller der Nahverkehrszüge "wegen mangelhafter Leistungen" bis auf weiteres ihre Zahlungen an die Deutsche Bahn gekürzt.

Auch das Dieselnetz Nürnberg bereitet wegen Kapazitätsengpässen offenbar Ärger. Der Minister hat deshalb bereits Post vom Fürther CSU-Landrat Matthias Dießl erhalten. Die DB Regio sei jetzt von der Bayerischen Eisenbahngesellschaft aufgefordert worden, kurzfristig Lösungen zu finden, sagte Zeil.

Mittlerweile haben nach der Süddeutschen Zeitung auch die Nürnberger Nachrichten ihre Leser aufgefordert, der Redaktion ihre täglichen Probleme mit der Bahn zu schildern.

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Legal, illegal, ganz egal

Die Chronologie eines ungeliebten Gesetzes

Wohl wenige bayerische Gesetze haben derart viele Wendungen in derart kurzer Zeit genommen wie das Rauchverbot, das offiziell "Gesetz zum Schutz der Gesundheit" heißt. Eine kurze Chronologie der wichtigsten Stationen:

Schnappaufs erster Gesetzentwurf, der gescheitert wäre: Am 10. Juli 2007 billigt das Kabinett den Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Werner Schnappauf. Kernpunkte: In öffentlichen Gebäuden wird das Rauchen verboten. In Gaststätten und Discos auch, mit Ausnahme abgetrennter Nebenräume. In Festzelten darf weiter geraucht werden. Wäre das Verbot so Gesetz geworden, wäre es vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert, das viel später ähnliche Länder-Regelungen für unzulässig erklärte wegen der Benachteiligung von kleinen Einraumkneipen.

Stockingers Antrag, der alles so wollte, wie es jetzt kommt: Weil er genau diese Benachteiligung verhindern will, beantragt der CSU-Abgeordnete Hans Gerhard Stockinger im Oktober 2007 fraktionsintern: Wirte von Einraumkneipen sollen selbst entscheiden dürfen, ob bei ihnen geraucht werden darf oder nicht.

Schnell finden sich 40 CSU-Abgeordnete, die sein Ansinnen unterstützen.

Schmids Verschärfung, an die sich heute fast keiner mehr erinnern will:Doch Stockinger erreicht letztlich das Gegenteil. Weil prompt andere Abgeordnete das Rauchverbot verschärfen wollen, entsteht in der CSU-Fraktion ein ziemliches Durcheinander. Statt zu viele Ausnahmen zuzulassen, schwenken am Ende, am 24. Oktober 2007, fast alle CSU-Abgeordnete auf den harten Kurs um, den auch Fraktionschef Georg Schmid vertreten hat: komplettes Rauchverbot - in allen Gaststätten, auch in Bierzelten. Ministerpräsident Günther Beckstein lässt den Passus einfügen, dass das Rauchverbot nur für "öffentlich zugängliche" Wirtschaften gilt. Pro forma die Ausnahme für Privatfeiern, faktisch das juristische Schlupfloch, durch das in der Folge Tausende Raucherklubs entstehen. Im Landtag votieren schließlich am 12. Dezember 2007 140 Abgeordnete für das verschärfte Gesetz, fraktionsübergreifend. 14 Abgeordnete der CSU stimmen dagegen.

Becksteins Nach-Wahl-Entschärfung, die in ein peinliches Hickhack mündet: Bei den Kommunalwahlen am 2. März 2008 sackt die CSU auf ihr schlechtestes Ergebnis seit 1966 ab. Bei der Wahlanalyse besteht große Einigkeit, das Rauchverbot sei mit schuld, man müsse es ändern. Beckstein favorisiert eine weitgehende Freigabe, Schmid blockiert. Der karge Kompromiss: Bis Ende 2008 wird das Rauchen in Bierzelten wieder erlaubt. Offizieller Grund: Die Stadt München hat Sicherheitsbedenken, wie sie die Bürger in den Zelten vom Rauchen abhalten soll. Tatsächliches Motiv: Die Landtagswahl liegt mitten in der Wiesn-Zeit, da will die CSU keinen Ärger mit dem Rauchverbot.

Das Votum der Verfassungsrichter, das Bayern prahlen lässt: Am 6. August 2008 gibt das Bundesverfassungsgericht bekannt, die strenge bayerische Regelung sei voll verfassungskonform. Gesundheitsminister Otmar Bernhard tönt, bald würden alle anderen Länder die bayerische Regelung übernehmen.

Seehofers Kehrtwende, die auch ohne die FDP gekommen wäre: Trotz rauchender Wiesn endet die Landtagswahl katastrophal für die CSU. Horst Seehofer übernimmt das Ruder und verhandelt mit der FDP eine Koalition. Er ist nicht der Einzige in der CSU, der das lästige Thema endlich vom Tisch haben will. Am 15. Oktober 2008 verkünden CSU und FDP in Grundzügen jene Änderungen, die das Kabinett nun beschlossen hat. Kassian Stroh

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Der FC Bayern testet und plant

Ribéry kostet 150 Millionen

Kaiserslautern - Am Montagabend wurden die Münchner Bayern in Kaiserslautern ungewohnt freundlich empfangen. Das ist anders gewesen, als der Rekordmeister und der Fritz-Walter-Klub sportlich noch auf Augenhöhe agierten. Aber im Januar 2009 kamen die Bayern ja vor allem als Samariter, um dem nach wie vor klammen FCK finanziell unter die Arme zu greifen. "Wir sind stark für Tradition und hoffen, dass der FCK bald wieder oben ist", erklärte Manager Uli Hoeneß nach dem 2:0 beim Zweitliga-Zweiten vor fast 43 000 Zuschauern. Und da der FCK-Vorstand Stefan Kuntz den Einstieg eines Investors weiterhin "als Hirngespinst" bezeichnen muss, war er froh, dass Bayern zu "sehr fairen Konditionen" vorbeischaute. Von den 600 000 Euro Einnahmen sollen rund 450 000 für den FCK hängenbleiben.

Bei den Münchnern war derweil der Transfer Lukas Podolskis zum Sommer nach Köln "schon lange gegessen", wie Hoeneß behauptete. Der Nationalstürmer selbst fehlte auf dem Betzenberg, angeblich wegen Nachwirkungen einer Grippe. In seiner Abwesenheit empfahl sich erneut Landon Donovan als Alternative. "Viel Schwung" habe der US-Amerikaner nach seiner Einwechslung gebracht, attestierte Hoeneß nicht nur wegen des Kopfballtores (75.) zum 2:0 (Luca Toni hatte die Führung erzielt/25.). Der technisch versierte und quirlige Offensivspieler wirkte sehr konzentriert - eben wie jemand, der gewillt ist, seine dritte Chance in der Bundesliga nach zuvor zwei gescheiterten Versuchen bei Bayer Leverkusen endlich zu nutzen. Jürgen Klinsmanns Mannschaft spielte ansonsten effektiv, aber nicht schön - und damit so wie ausgangs der Hinrunde.

Keinerlei Vollzug gebe es von Mittelfeldspieler Anatoli Timoschtschuk aus St. Petersburg zu berichten, versicherte Hoeneß hinterher auf engagiertes Nachfragen eines russischen Reporters. "Er hat ein Angebot von uns, jetzt liegt es an ihm." Ähnlich liege der Fall bei Kapitän Mark van Bommel, dem eine Offerte für nur ein weiteres Jahr vorliegt. Das Interesse an Timoschtschuk und der wohl bereits fixe Wechsel des Gladbachers Alexander Baumjohann, die ähnliche Positionen spielen, lassen den Holländer zusätzlich zögern. Franck Ribéry werde dagegen ganz bestimmt nicht gehen, meldete Hoeneß gereizt angesichts spekulierter Begehrlichkeiten des AC Mailand. "Wenn Kakà 120 Millionen Euro wert ist, dann ist Ribéry 150 wert, und dann würden wir anfangen, nachzudenken", sagte er. Weitaus günstiger ist Ergänzungsspieler José Ernesto Sosa zu haben. Vom vermeintlichen Interesse aus Barcelona von Espanyol wollte Hoeneß zwar nichts wissen ("bisher ist niemand an uns herangetreten"), aber er fügte hinzu: "Das heißt aber nicht, dass er nicht doch wechseln könnte." Tobias Schächter

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Immer schön einschenken

Die Fehltritte von Bremens Spielmacher Diego häufen sich

Vor einigen Jahren hat Werder Bremens Trainer Thomas Schaaf einmal festgestellt: "Einen Brasilianer muss man sich leisten können." Das war damals wohl vor allem auf das Stürmer-Unikum Ailton gemünzt, denn der lebensfrohe und torgefährliche Profi kam eigentlich jedes Jahr ein paar Tage später aus dem Urlaub in der geliebten, vor allem aber warmen Heimat zurück ins kalte Deutschland. Dann kamen Naldo und Diego nach Bremen, und plötzlich galten zumindest Brasilianer im Werder-Dress als wahre Musterprofis. Vorbilder, die allenfalls mal zu schnell mit dem Auto unterwegs waren, ansonsten aber bei aller Spielfreude fast preußische Disziplin an den Tag legten. Schließlich kam 2007 noch der Brasilianer Carlos Alberto nach Bremen. Der wiederum gehörte zu jenen, die man sich trotz dessen Ballkunst lieber nicht leistet in einem ehrgeizigen Team. Deshalb wurde der teuerste Einkauf der Werder-Geschichte nach Schlafstörungen und Prügeleien mit Mitspielern schon nach einem halben Jahr wieder fortgeschickt.

Dass aber ein Brasilianer, wie viele andere Menschen, mal Vorzeigeprofi und mal Tunichtgut ist, das ist zumindest an der Weser eine neue Entwicklung. Ausgerechnet Diego hat in dieser Woche zugegeben, er sei auch "nur ein ganz normaler Mensch". Erst hat er seinen Glanz als bester Bundesliga-Spieler an den für Bayern München auflaufenden Franzosen Franck Ribéry verloren. Nun ist er dabei, seinen Nimbus als perfekter Schwiegersohn aufzugeben - nicht nur wegen seiner Bekanntschaft mit Schlagerstar Sarah Connor, während seine Verlobte Lenita in Brasilien lebt.

Die Verkehrskontrolle, die ihn des Nachts am Sonntag mit gut 0,8 Promille am Steuer seines weißen VW Touareg erwischte, ist im Prinzip zwar eher ein geringes Vergehen, für das Werder-Geschäftsführer Klaus Allofs ihm keine zusätzliche Strafe aufbrummen will. Wer wolle einem "23-Jährigen verdenken, das er nachts mal unterwegs ist"? Dennoch ist es nur der vorerst letzte Punkt in einer Liste von vielen kleinen Fehltritten. Und sie wird auch nicht durch die originelle Erklärung des Weintrinkers Diego besser, der auch dem Kellner im aktuellen Fall eine Mitschuld gab, weil dieser immer wieder nachschenkte.

Es begann schon vor der Saison, dass Diego nicht mehr so wollte, wie sie es in Bremen gern gesehen hätten. Er ist trotz des Vetos seines Arbeitgebers mit der brasilianischen Olympia-Auswahl zu den Spielen nach Peking gefahren und fehlte deshalb bei Bremens ersten Bundesligapartien. Werder schluckte es. Dann passierte es mehrmals, dass der Spielmacher verspätet zum Training erschien, worüber Allofs und Schaaf ebenfalls weitgehend hinwegsahen. Schließlich würgte Diego im November beim Bundesligaspiel in Karlsruhe (0:1) den KSC-Profi Christian Eichner und wurde deswegen zu vier Spielen Sperre verurteilt. Da belegte ihn sogar Werder mit einer Geldstrafe.

Jetzt aber wies Allofs vor allem darauf hin, dass selbst im vergleichsweise stillen Bremen inzwischen eine höchst interessierte Medienmasse die Werder-Profis rund um die Uhr überwacht, einschließlich etlicher Paparazzi. Man könne, so Allofs, die Spieler nur warnen. Vor allem aber möchte man den international durchaus begehrten Diego nicht dazu bringen, aktuell über einen anderen Klub nachzudenken. Vielleicht hat die Bremer Führung auch deshalb versucht, den jüngsten Verstoß nicht unter der Rubrik "Disziplin" einzuordnen, dem Hauptthema bei Werder seit Monaten. Doch wo soll man das Delikt denn sonst verbuchen, auch wenn es nur "privat" war und Diego trotz des Weingenusses "nicht betrunken oder angetrunken" war, wie er selbst sagte.

Gleichwohl gibt es auch Beobachter, die hinter Diegos Aussetzern latentes Kalkül zu erkennen glauben. Will der einst so artige Spieler Werder dazu bringen, ihn vielleicht doch ein ganzes Stück vor Ablauf seines bis 2011 laufenden Vertrages abzugeben? Denn eines sagt man den Brasilianern im Allgemeinen und insbesondere Diego ja nach: Am liebsten würden sie alle im wärmeren Süden spielen, bevorzugt in Spanien oder Italien. Oder ist der jüngste Fall doch nur der Fehltritt eines 23-Jährigen, egal welcher Nationalität? Jörg Marwedel

Im Imagewandel: Diego Foto: AP

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Real will Cas anrufen

Der spanische Rekordmeister Real Madrid will alle rechtlichen Mittel ausschöpfen, um einen gemeinsamen Einsatz der Neuzugänge Klaas Jan Huntelaar und Lassana Diarra in der Champions League zu erwirken: Nach der Ablehnung durch die Uefa plant Reals Interims-Präsident Vicente Boluda nun sogar den Gang vor den Internationalen Sportgerichtshof CAS in Lausanne. Der Verein sei es seinen Mitgliedern schuldig, "alles Menschenmögliche zu unternehmen", sagte Boluda. Real hatte im Winter den niederländischen Stürmer Huntelaar und Mittelfeldspieler Diarra aus Frankreich in der Annahme verpflichtet, dass beide noch für die Champions League spielberechtigt seien. Da aber beide bereits im Uefa-Cup spielten, darf laut Reglement nur einer auflaufen. sid

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Moggi-Prozess vertagt

Der Prozess zur Aufklärung des italienischen Ligaskandals ist am Dienstag in Neapel unmittelbar nach seiner Eröffnung wegen eines Formfehlers auf den 24. März vertagt worden. Neben dem ehemaligen Manager von Juventus Turin, Luciano Moggi, müssen sich 23 weitere Angeklagte verantworten. Unter ihnen sind zahlreiche Schieds- und Linienrichter sowie Verbands- und Klubfunktionäre. 13 Angeklagten wird Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Sportbetrug, den übrigen elf Beschuldigten lediglich Sportbetrug vorgeworfen. Moggi soll Spiele in der Serie A zugunsten von Rekordmeister Juventus und befreundeten Klubs manipuliert haben. Dafür war er 2006 vom Sportgericht des italienischen Verbandes mit einem fünfjährigen Berufsverbot belegt worden. dpa

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Robinho büchst aus

Dem brasilianischen Nationalstürmer Robinho droht eine Strafe durch den englischen Premier-League-Klub Manchester City: Der 24-Jährige hatte eigenmächtig das Trainingslager auf Teneriffa verlassen. "Ich weiß, dass Robinho nicht im Trainingszentrum in Teneriffa ist. Wenn er das Gelände verlassen hat, dann ist das ein grober Verstoß gegen die Klub-Disziplin", sagte City-Geschäftsführer Garry Cook. Inzwischen teilte Robinho mit, dass er wegen familiärer Probleme nach Brasilien geflogen sei, "ich möchte zum Klub zurückkehren und werde alle Missverständnisse ausräumen". Robinho war im Sommer für 42 Millionen Euro Ablöse von Real Madrid gekommen. sid

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Ein unmoralisches Angebot

Kakà bleibt beim AC Mailand, weil die Tifosi Druck ausüben und Berlusconi Angst um sein Image hat

Rom - Zurückkehren kann jeder, erst recht auf dem roten Teppich. Etwa Andrej Schwetschenko, der sich nach seinem Ausflug zum FC Chelsea wieder reumütig in den Schoß der Milan-Familie flüchtete. Er wurde aufgenommen wie der verlorene Sohn und spielt wie ein schlechtes Double seiner selbst. Nein, zurückkehren ist keine Kunst. Aber bleiben, nein sagen, wenn einem die Ölscheichs kofferweise Geld unter die Nase halten, eine Summe, die, legte man sie in 50-Euro-Scheinen hintereinander, 180 Kilometer lang wäre: Wer das tut, der ist stärker als die Gier. Der muss Herz haben. Das Herz von Kakà.

Nun könnte man sagen, dass auch Ricardo Izecson dos Santos Leite, 26, kaum mehr essen kann als drei cotolette alla milanese pro Tag, und dazu müssten die neun Millionen, die er netto vom AC Mailand erhält, allemal reichen. Aber 15 Millionen? 19 Millionen gar, mehr als das Doppelte auszuschlagen, wie sein Immer-Noch-Arbeitgeber Silvio Berlusconi behauptet? "Er hat den Wert der Zugehörigkeit, der Freundschaft, der menschlichen Wärme höher eingeschätzt", glaubt der. "Kakà ist von außergewöhnlicher moralischer Geradlinigkeit."

Die Reporter heulen mit

Also sprach der Präsident des AC Mailand und des Ministerrats am Montagabend im Processo, einem bizarren Fußballprogramm auf einem Privatsender, der ausnahmsweise nicht Berlusconi gehört. Der Premier rief live den Moderator an, es gibt eben Staatsgeschäfte, die dulden keinen Aufschub. Soll die Welt auf Obama warten, in Italien ging es um Kakà. Und um ein Lehrstück über den größten gemeinsamen Nenner in Berlusconistan: Fußball eben, was sonst.

Der mögliche Transfer des Fifa-World-Players von 2007 zu Manchester City war vorige Woche wie eine Soap-Opera inszeniert worden. City-Besitzer Mansour bin Zayed Al Nahyan, Mitglied der Königsfamilie von Abu Dhabi, hatte dem hoch verschuldeten AC Mailand die ungeheuerliche Summe von 100 Millionen Euro für Kakà geboten - den Spieler selbst lockte der Scheich mit einem Gehalt, das den Brasilianer zum höchstbezahlten Kicker der Welt gemacht hätte. Als die Emissäre aus Manchester vor einer Woche zum ersten Mal in Mailand eintrafen, lehnte Kakà rundheraus ab: "Das ist nicht die erste Offerte, die ich nicht annehme. Ich will bei Milan alt werden." Pustekuchen, tönte es ihm da aus der Chefetage des AC entgegen. "Ein solches Angebot kann man nicht ausschlagen", erklärte Silvio Berlusconi - und meinte damit nicht nur das mögliche Rekordgehalt für Kakà, sondern vor allem die mittlerweile auf 120 Millionen gekletterte Offerte an seinen Klub. Mit diesem hübschen Sümmchen hätte man Milan runderneuern können.

Am Samstag gewann Milan zu Hause 1:0 gegen Florenz; das Siegtor gelang Pato, aber das Spiel gehörte Kakà. Alles roch nach Abschied, nach einem Abschied wider Willen. Kakà habe beim Training geweint, wussten die Reporter-Tifosi des Haus-und-Hofsenders Milan Channel zu berichten, und damit sich die Zuschauer das illustriert vorstellen konnten, heulten die Fernsehleute gleich mit: Kakà, so interpretierten die Fans die Schlagzeilen, ziehe nichts nach England. Er wolle unbedingt in Mailand bleiben, werde aber von den bösen Klubmanagern gezwungen, dem Werben des Scheichs nachzugeben. In Berlusconis Abwesenheit rückten dessen Stellvertreter Adriano Galliani auf der Vip-Tribüne des Meazza-Stadions aufgebrachte Nachbarn derart auf den Leib, dass die Ordner eingreifen mussten. "Galliani, hau du doch ab zu City", stand auf den Spruchbändern in der Kurve und: "Galliani Juventino, Berlusconi Interista." Dazu schrien 65 000 "Kakà verkauft man nicht". Nach dem Schlusspfiff umarmten die Milan-Männer ihren Kollegen demonstrativ und innig, es war eine perfekte Inszenierung, nur der Regen blieb aus. Der Modeschöpfer Giorgio Armani, Milan-Fan seit frühester Kindheit, erklärte öffentlich, er schäme sich für die monströse Summe, für die Kakà "verschachert" werden solle: "Lieber wäre mir, der ganze Klub wechselte den Besitzer."

"Ohne Essen und Trinken"

Kakàs Verkauf hätte das große Geld gebracht - aber auch das Einzige, was Berlusconi wirklich fürchtet: einen nicht absehbaren Verlust an Konsens und Popularität. In großem Stil Kasse zu machen, um dafür den Fans ihr Idol zu nehmen - verheerend. Das würde ja aussehen, als wenn man es nötig hätte!

Der Montag kam, die Engländer flogen wieder ein. Vor dem Sitz des Vereins an der Via Turati und unter der Wohnung von Kakà versammelten sich Hunderte von Tifosi. Und Kakà zeigte sich am Fenster. Er legte die Hand aufs Herz und warf ein Trikot in die Menge. Die Geste wirkte echt. Er war konsequent geblieben. Aber hatte er auch entschieden?

Er habe den Spieler nie getroffen, stellte nun City-Manager Garry Cook fest. "Es ist schwer, etwas auszuschlagen, was dir gar nicht angeboten wurde." Vier Mal sei er selbst in Sachen Kakà in Mailand gewesen: "Wir wollten ihn kaufen und Milan wollte ihn verkaufen." Beim AC Mailand sei die Delegation in "einen Raum ohne Essen und Trinken gesperrt"worden, "es war interessant zu sehen, wie sie sich benahmen", kommentierte Cook auf der Homepage seines Klubs. "Sie leben in einer anderen Welt." Und sehr cool fügte der Brite hinzu: "Ich glaube, es gab in der Sache einigen politischen Druck. Da haben sie es einfach vergeigt." Birgit Schönau

"Ich will bei Milan alt werden": Sehr zur Freude der Anhänger hält der Brasilianer Kakà dem AC Mailand die Treue. Foto: AP

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Scheich macht reich

Von Klaus Hoeltzenbein

Denen, die sich ein Leben lang mit Fußball beschäftigen, wird oft nachgesagt, sie würden sich weigern, erwachsen zu werden. Sie wollten auf ewig das Kindliche im Manne bewahren, sie wollten für immer spielen. Verwunderlich ist es deshalb nicht, dass in diesen Kreisen jene Vorstellung vom Orient gepflegt wird, die diese Männer als Kinder in den "Märchen aus 1001 Nacht" erzählt bekamen. Von der Pracht der Paläste, von Kronleuchtern, die größer sind als jeder Wüstenkaktus, von schillernden Stoffen, verziert mit Edelsteinen, von romantisch verschleierten Frauen, von Bauchtänzerinnen. Man glaubt, den Duft von Weihrauch und Myrrhe zu riechen, und sieht in der Ferne die Kamele am sonnenroten Horizont. Aber hat nicht auch Sulaiman Al Fahim aus Abu Dhabi ein Recht darauf, das Kindliche im Scheich auszuleben? Gewiss hat er das, nur träumt er nicht so viel, er handelt, tatkräftig: "Ich fühle mich wie ein vollkaskoversicherter Bulldozer, der alles wegräumt, was sich in den Weg stellt."

Das hat er gesagt, der Scheich, als er im Sommer dem einstigen Premierminister von Thailand, Thaksin Shinawatra, mit seiner Abu Dhabi United Group (Adug) den einstigen englischen Spitzenklub Manchester City abkaufte. City steht lange schon im Schatten des Lokalrivalen United, und auch deshalb träumen die City-Fans vom Morgenland. Sie kleiden sich als Scheichs, und Eastland, das Viertel, in dem der Klub beheimatet ist, wurde in "Middle Eastlands" umgetauft. Allerdings wollen die Fans anstatt Weihrauch und Myrrhe doch lieber den Auspuff des Bulldozers riechen, sei doch der Tank - Krise hin, Krise her - randvoll, wie Sulaiman versprach: "Geld spielt keine Rolle. Wir haben sehr tiefe Taschen."

Unglaubliche 615 Millionen Euro, mindestens, sollen zur Verteilung kommen, und es ging ja gut los, gegen 42 Millionen wurde zunächst der Brasilianer Robinho bei Real Madrid abgestaubt. Dann aber kam die Anbaggerei ins Stocken: Ronaldo, Berbatov, Villa, Messi, Bufon, Gomez und zuletzt Kaká ließen sich nicht locken, schwer wird's nun, die 18 Weltstars, mindestens, aufzutreiben, die Suleiman den City-Fans versprach. Der Scheich wird sein Geld nicht los, er muss aber, denn der Klub darbt auf Rang elf. Jetzt werden dem Hamburger SV für einen gewissen Nigel de Jong gut 20 Millionen geboten. Das klingt wie eine Episode aus 1001 Nacht, und für den Bulldozer ist es leicht zu stemmen. Er bekommt ja sonst nichts auf die Schippe.

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Weitblick statt Luxus

Bayer 04 Leverkusen hat sich mit seinen perspektivischen Transfererfolgen Ansehen erarbeitet

Leverkusen - Sie haben neulich noch mal beim zuständigen Agenten nachgefragt, aber die Antwort war: nein, nichts zu machen. Der Vertrag, den Pedro Geromel bis 2012 mit dem 1. FC Köln geschlossen hat, enthält weder eine Ausstiegsklausel noch sonst ein Schlupfloch, das die Anbahnung eines Arbeitsplatzwechsels erleichtern könnte. Sollte ein Verein Geromel verpflichten wollen, dann müsste er den Kölnern eine vermutlich schmerzhaft hohe Ablösesumme bezahlen. Seitdem sie das so genau wissen, ärgern sie sich noch mehr in Leverkusen, dass ihnen der 23-jährige brasilianische Verteidiger aus Portugals erster Liga nicht früher aufgefallen ist, denn diesen Mann hätten sie gern gesehen in ihrer Mannschaft. Sein sportliches Profil ist wie geschaffen für einen Platz in der Bayer-Elf, und die wirtschaftlichen Bedingungen hätten auch ins Bild gepasst. Mit anderen Worten: Der FC hat im vergangenen Sommer einen Transfererfolg gelandet, für den sich eigentlich Bayer 04 zuständig fühlt.

Die Tätigkeit der Leverkusener Personalbörse ist durch den kleinen Betriebsfehler aber nicht behindert worden. Diese Abteilung scheint keine Ruhephasen und Feiertage zu kennen und sich immer im Zustand der Hoch-Saison zu befinden. Anfang des Jahres 2009 wurde nun bekannt, dass Mitte des Jahres 2010 der Juniorennationalspieler Lars Bender vom TSV 1860 nach Leverkusen wechseln soll. Der 19-Jährige dementierte, aber eher pflichtgemäß: Er wisse von dem Interesse, sagte er, es habe ja auch "ein Gespräch stattgefunden", und selbstredend wolle er erste Liga spielen, aber am liebsten mit den Löwen - und ansonsten "werde ich über Inhalte meines Vertrages keine Kommentare abgeben".

Muss er auch nicht, das Wesentliche hat sich sowieso rumgesprochen: Benders Vertrag mit den Löwen enthält (anders als der von Geromel mit Köln) eine Klausel, und die besagt, dass er 2010 für zwei Millionen Euro Ablöse gehen darf, sollte der TSV 1860 bis dahin den Aufstieg nicht geschafft haben. In Leverkusen sagt man zu all dem lieber nichts, aber das liegt daran, dass man ziemlich zuversichtlich ist, Lars Bender ab dem nächsten Jahr bei Bayer 04 spielen zu sehen. "Dieser Spieler ist nicht stark - er ist außergewöhnlich", sagt ein Angehöriger des sogenannten "Scouting Office", das bei Bayer potentielle Transferkandidaten sichtet und studiert.

Diese Art von weitblickender Personalpolitik muss man sich zwar leisten können, es ist aber offensichtlich, dass sich Bayer gerade deshalb wertvolle Spieler leisten kann - weil eben mit Weitblick gearbeitet wird. Aus der Ära des Luxus' unter Reiner Calmunds Herrschaft hat Bayer zur Politik der Perspektive gefunden: Man bringt Talente aus der eigenen Schule hervor (Adler, Castro), sammelt preisgünstig ein paar Perlen ein (Helmes, Rolfes, Barnetta, Henrique) und fügt ein paar Anlagen aus aller Welt hinzu (Kießling, Renato Augusto, Kadlec), die durchaus etwas kosten dürfen, solange sie nur dem verbindlichen Anspruch des Hauses standhalten: Aussicht auf Entwicklung sollen sie haben, keine Superstargehälter kosten und, logisch, gut Fußball spielen.

Hoffenheims Geld reicht nicht

Der Faktor der Spekulation gehört auch dazu, aber nach dem gegenwärtigen Stand lässt sich wohl behaupten, dass der 20-jährige brasilianische Mittelfeldstar Renato Augusto mehr als die angelegten sechs Millionen Euro einbringen wird, wenn er wie erwartet in zwei, drei Jahren zu einem großen Klub in Spanien oder England wechselt. Und dabei hat sich der Klub nur die Hälfte seiner Transferrechte leisten können: Ein brasilianisches Besitzerkonsortium hält weiterhin die andere Hälfte.

Leverkusens Strategie ist im Grunde simpel, sie beruht auf präziser Arbeit und Analyse. Viele Bundesligaklubs nehmen ähnliche Methoden für sich in Anspruch, aber so konsequent wie Bayer geht derzeit keiner vor. Das hat sich nicht nur als sportlich ergiebig erwiesen, es besitzt auch eine eigene Dynamik. Bei einer bestimmten Spezies von ehrgeizigen, selbstbewussten Profis hat Bayer 04 als Ausbildungsbetrieb hohen Niveaus eine Lobby gefunden. So weckte man beim Freiburger Rechtsverteidiger Daniel Schwaab, 20, schnell das Interesse für die Anstellung zur nächsten Saison, schon im vergangenen Sommer wurden die Modalitäten geklärt. Und die Verantwortlichen der TSG Hoffenheim mussten dieser Tage merken, dass Geld auf dem Transfermarkt nicht immer das entscheidende Argument ist: Noch am Abend des unglücklichen Tages in der vorigen Woche, an dem sich ihr Mittelstürmer Vedad Ibisevic das Kreuzband riss, nahmen sie Kontakt zu dem 20-jährigen Schweizer Nationalspieler Eren Derdiyok und zu dessen Arbeitgeber auf, dem FC Basel. Die Basler hätten das Geschäft mit den Deutschen gern gemacht, aber Derdiyok verwies trotz der verheißungsvollen Hoffenheimer Offerte auf das Versprechen, das er - schon lange zuvor - Bayer Leverkusen gegeben habe.

Ob Derdiyok tatsächlich im kommenden Sommer kommt oder erst im Jahr 2010, ist dabei noch gar nicht klar. Ihre Perspektive aber haben beide Seiten abgesteckt. Und vor allem darauf kommt es ihnen an. Philipp Selldorf

Trickreich, dynamisch und in Europa schon begehrt: Leverkusens brasilianischer Spielgestalter Renato Augusto hat seinen Vertrag vorzeitig verlängert. Getty

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Der ewige Pleitekandidat

Seit drei Jahrzehnten steht Chrysler am Rande des Ruins

Der amerikanische Autohersteller Chrysler hat von den drei großen Branchenvertretern der USA die wohl bewegteste Geschichte. Das 1925 gegründete Unternehmen machte in den vergangenen Jahrzehnten vor allem durch seine Krisen und durch seine wechselnden Großaktionäre auf sich aufmerksam. Derzeit steht der kleinste der großen Drei in Detroit wieder einmal am Rande des Ruins, und der europäische Fiat-Konzern will sich mit 35 Prozent an Chrysler beteiligen. Das wurde am Dienstag von beiden Seiten bestätigt.

Von Chrysler gibt es im Moment nicht viele Zahlen. Das Unternehmen gehört seit 2007 zu der Finanzgesellschaft Cerberus, ist nicht mehr an der Börse notiert und muss keine Bilanzen mehr veröffentlichen. Doch einige Zahlen über Chrysler sind bekannt. Zum Beispiel der Absatz. Allein im Dezember brach dem Unternehmen, das praktisch nur in Nordamerika vertreten ist, die Hälfte des Umsatzes weg. Im gesamten Jahr 2008 lag der Absatz mit gut zwei Millionen Fahrzeugen um 30 Prozent unter dem Vorjahr. So schlimm geriet keiner der beiden Konkurrenten General Motors und Ford unter die Räder. So kann es nicht verwundern, dass Chrysler neben General Motors die Regierung in Washington um Staatshilfe anrief. Nur mit schnellen vier Milliarden Dollar aus Washington sei die Pleite des Unternehmens noch abzuwenden, war die Botschaft aus der Zeit vor Weihnachten.

Zwei Eigentümer haben sich in den vergangenen zehn Jahren bei Chrysler eine blutige Nase geholt. Im Jahr 1998 kaufte der deutsche Daimler-Konzern den drittgrößten Vertreter der US-Autoindustrie für 36 Milliarden Dollar. Im Jahr 2007 zog er nach nicht endenden Milliardenverlusten die Notbremse und verkaufte die amerikanische Tochter für etwa 7,5 Milliarden Dollar an die Finanzgesellschaft Cerberus. Cerberus holte mit Bob Nardelli, der von der Baumarktkette Home Depot kam, und Jim Press von Toyota die höchstbezahlten Automanager in ihre Neuerwerbung. Die Gesellschaft erkannte jedoch bald, dass sie sich mit diesem Schritt völlig übernommen hatte. Cerberus fühlte sich von Daimler über den Tisch gezogen und verlangte sieben Milliarden Euro zurück.

Nichts scheint zu helfen. Chrysler ist seit Jahren dabei, Fabriken zu schließen und Personal zu entlassen. 2006 hatte das Unternehmen noch 130 000 Beschäftigte. Derzeit sind es bereits weniger als 60 000, aber die Verluste wollen nicht verschwinden. Die Autos des Konzerns, zu dem auch die Marken Dodge und Jeep gehören, finden wenig Anklang - gerade in Zeiten hoher Spritpreise. Lange Zeit war der Chrysler Voyager - ein Familienvan - das Zugpferd des Hauses. Zuletzt war der Chrysler 300 noch einmal ein Erfolg. Alle anderen Modelle wurden von den Kunden gemieden. Der Verkauf war höchstens noch mit hohen Rabatten möglich. Karl-Heinz Büschemann

Chrysler-Chef Bob Nardelli hat endlich für sein Unternehmen einen Partner gefunden. Foto: AP

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Opel-Bürgschaft soll bis Ende März stehen

Frankfurt - Die Bürgschaft über 1,8 Milliarden Euro für den Autohersteller Opel soll nach SZ-Informationen bis Ende März perfekt sein. Ein Firmensprecher wollte dies allerdings nicht kommentieren und sagte: "Es gibt keinen Zeitdruck. Opel ist nach wie vor liquide." Ursprünglich sollte die Bürgschaft, mit der die Tochtergesellschaft des angeschlagenen US-Konzerns General Motors (GM) an Kredite der Europäischen Investitionsbank kommen will, bereits vor Weihnachten beschlossene Sache sein. Im GM-Reich gibt es derzeit Debatten über die Zukunft von Opel und der schwedischen Schwesterfirma Saab. Überlegt wird etwa, die vorgesehene Fertigung des Saab-Modells 9-5, für die Opel den Zuschlag erhalten hat, zu Saab nach Trollhättan zurückzuverlagern. haz.

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Hochzeit nach schwieriger Scheidung

Die Zusammenarbeit von Fiat und General Motors war kein Erfolg - trotzdem setzen die Italiener auf eine Beteiligung bei Chrysler

Von UIrike Sauer

Rom - Der große Antreiber aus Turin macht mal wieder von sich reden. Erst vor einem Monat rüttelte Fiat-Retter Sergio Marchionne Automanager und Öffentlichkeit mit einer düsteren Prophezeiung wach. Nur sechs Autokonzerne würden weltweit die Wirtschaftskrise überleben, sagte er. Marchionne sprach als Erster offen aus, was vielen in der Branche schwante: Der dramatische Absatzeinbruch in der Autoindustrie bedroht auch europäische Hersteller in ihrer Existenz. Eine Chance hätten nur Unternehmen, "die mehr als 5,5 Millionen Fahrzeuge im Jahr bauen", sagte der Italo-Kanadier nüchtern. Fiat verkauft nicht einmal die Hälfte davon. Um Italiens größtem Autokonzern dennoch eine Existenz zu garantieren, setzt Marchionne nun auf die USA, auf das Epizentrum der Krise. Und ausgerechnet auf Chrysler, den kleinsten und schwächsten der taumelnden US-Hersteller.

Nach dem Weckruf war klar, dass der Fiat-Chef sich nicht von einer Fusionswelle überrollen lassen will. Und es stand zu erwarten, dass Marchionne, zu dessen Lieblingsworten "Lichtgeschwindigkeit" zählt, unter Hochdruck an neuen Allianzen arbeitet. Er warf aber eines seiner wichtigsten Prinzipien über Bord. Denn Fiat übernimmt in Detroit 35 Prozent an der früheren Daimler-Tochter. Dabei hatte Marchionne vor vier Jahren, nach der Trennung von Fiat und General Motors (GM), die Parole "Keine Fusionen" ausgegeben. Die Erfahrungen bei der unerquicklichen Ehe mit GM hatten gelehrt, von komplizierten Zusammenschlüssen und Kapitalverflechtungen Abstand zu nehmen.

Schicksalsjahr 2009

Der umtriebige Manager schloss dafür bis heute mehr als zwanzig Abkommen über die gezielte Zusammenarbeit mit Partnern rund um den Globus ab. Unter dem Eindruck der Krise strebt er nun jedoch engere Kooperationen an, um Fiat vor einer Übernahmewelle in die bestmögliche Position zu bringen. Für den umjubelten Fiat-Lenker geht es darum, die Glanzleistung seiner Saniererkarriere zu retten: die wundersame Auferstehung des abgeschriebenen Turiner Autokonzerns.

Nun schaut Fiat also erneut über den Atlantik. Das Anbandeln mit Chrysler steht freilich unter umgekehrten Vorzeichen wie die fruchtlose Ehe mit General Motors. 2002 hoffte Fiat, durch die Überkreuzbeteiligung und die Gründung von zwei Gemeinschaftsunternehmen mit GM die schwerste Krise der Konzerngeschichte zu überwinden. Die Turiner wurden allerdings bitter enttäuscht. Doch immerhin konnte der 2004 angetretene Marchionne in einem harten Verhandlungspoker eine Auflösung der Verbindung aushandeln und 1,5 Milliarden Euro von General Motors einstecken. Die Trennungsprämie war 2005 die Voraussetzung für das neue Durchstarten von Fiat.

Mit dem Fiat 500, einem Fahrzeug im Retro-Design, gelang dem Konzern 2007 ein Verkaufsschlager. Dennoch könnte 2009 zum Schicksalsjahr werden. Die Weltrezession droht, die Früchte der Turiner Anstrengungen zunichte zu machen. Marchionne stellte daher vor einem Monat klipp und klar fest, dass Fiat einen Partner braucht. Beim fünftgrößten Autokonzern Europas kehren die Beschäftigten in diesen Tagen gerade nach einem Monat Zwangspause an die Arbeit zurück. Weitere Produktionsstopps sind geplant. Branchenexperten zählen Fiat zu den schwächsten Anbietern in Europa. Zu klein und zu stark auf Italien konzentriert sei die Firma, sagen sie.

Zudem kämpfen die italienischen Hersteller - meist Kleinwagenspezialisten - traditionell mit dem Problem geringer Margen, weil sie in der lukrativen Oberklasse wenig zu bieten haben. Marchionne wird am Donnerstag die Ergebnisse für 2008 vorstellen. Analysten erwarten einen Gewinnrückgang: von zwei Milliarden Euro im Vorjahr auf 1,76 Milliarden Euro. Erst vor einer Woche hatte Marchionne jedoch erklärt, dass er die Hoffnung auf ein Erreichen seiner ehrgeizigen Ziele für das kommende Jahr nicht aufgegeben hat. "Tritt bis Ende 2009 eine Rückkehr zur Normalität ein, bestätigen wir unsere Ziele für 2010", sagte er.

Autoindustrie in der Krise: Die Hersteller suchen ihr Heil in Allianzen und Sparprogrammen

Der alte Fiat Cinquecento, wie er bei dem Unternehmen in den fünfziger Jahren vom Band lief: Cinquecento bedeutet "500" - daher nannten die Italiener das Nachfolgemodell, das 2007, genau 50 Jahre nach Start des Cinquecento, auf den Markt kam, Fiat 500. Dieses Fahrzeug im Retrodesign ist ein Verkaufsschlager. Trotzdem leidet der Konzern unter der weltweiten Wirtschaftskrise und sucht sein Heil nun in einer Beteiligung bei Chrysler. Foto: AFP

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Geld vom Präsidenten

Frankreich sagt den Produzenten sechs Milliarden Euro zu

Von Michael Kläsgen

Paris - Etwa 1000 Teilnehmer sind am Dienstag im Pariser Wirtschaftsministerium zu einem mehrtägigen Autogipfel zusammengekommen. Frankreichs Premierminister Francois Fillon versprach der Branche zum Auftakt eine Hilfe von fünf bis sechs Milliarden Euro. Vor wenigen Tagen hatte Renault den eigenen Finanzbedarf auf neun Milliarden Euro beziffert. Konzern-Chef Carlos Ghosn zeigte sich offen für eine Kapitalerhöhung.

Der Staat hält an Renault derzeit 15 Prozent. Christian Streiff, Chef von PSA Peugeot Citroën, sagte, direkte Staatshilfe sei für ihn nur "unter Bedingungen vorstellbar, die weder unsere Kapitalstruktur noch unsere Unabhängigkeit oder Handlungsfreiheit verändern". Der Staat müsse den Herstellern bei der Entwicklung der Hybridtechnik helfen, die Banken zur zinsgünstigen Kreditvergabe verleiten und starke Zulieferer wie in Deutschland schaffen.

Dazu wurde bereits ein 300 Millionen Euro schwerer Zulieferer-Fonds gegründet. Außerdem half der Staat den Finanztöchtern der beiden Hersteller mit jeweils 500 Millionen Euro. Fillon sagte, weitere Hilfe gebe es nur, wenn die Unternehmen keine Produktion ins Ausland verlagerten, keine Werke in Frankreich schlössen - die Überkapazität liegt bei 20 Prozent -, keine Boni an das Management und keine Dividenden an die Aktionäre auszahlten. Ghosn forderte seinerseits von der Regierung die Aussetzung der Gewerbesteuer und ein europäisches Rettungspaket. Im Dezember hatte er das notwendige Volumen eines solchen Pakets mit 40 Milliarden Euro veranschlagt, nationale Rettungsmaßnahmen inbegriffen.

Fillon verlangte ergänzend ein rasches und abgestimmtes Handeln der Staaten und der EU-Kommission. EU-Vizepräsident Günter Verheugen entgegnete, im EU-Budget gebe es keinen Spielraum für Hilfen. Man müsse zudem verhindern, "dass Gewinne in guter Zeit privatisiert und Verluste in schlechter Zeit sozialisiert werden". Von den 300000 mittelständischen Firmen der Branche in Europa sei jedes fünfte gefährdet. "Langfristig wird die Produktion vor allem kleiner Wagen von West- nach Osteuropa wandern", sagte er. Die Ergebnisse des Gipfels will Staatspräsident Nicolas Sarkozy Anfang Februar bekanntgeben.

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Zwangsurlaub für jeden Dritten

BMW beantragt Kurzarbeit - vorerst bis Anfang April. Für die konzerneigene Bank wird Staatshilfe geprüft

Von Michael Kuntz

München - Der Autohersteller BMW begegnet der Absatzkrise erstmals mit Kurzarbeit. Das Unternehmen stellte entsprechende Anträge für 26000 Mitarbeiter, das entspricht knapp einem Drittel der Belegschaft im Inland. Betroffen sind in den Werken Dingolfing 15000 Beschäftigte, in Regensburg 8000 und in Landshut 2700. Hinzu kommen 190 Mitarbeiter in der Fabrik für Bremsscheiben in Berlin, teilt BMW mit. Der Konzern will Einkommensverluste so weit ausgleichen, dass das Nettoeinkommen eines nach Tarif bezahlten Mitarbeiters inklusive Kurzarbeitergeld 93 Prozent des bisherigen Niveaus nicht unterschreitet.

In den Monaten Februar und März sollen einzelne Produktionstage oder Schichten ausfallen. Gegenüber den ursprünglichen Planzahlen sollen 38000 Fahrzeuge nicht gebaut werden. Zusammen mit den 65000 Fahrzeugen im vergangenen Jahr streicht BMW damit insgesamt den Bau von 103000 Autos - gemessen am Jahresabsatz wird etwa jeder zwölfte BMW nicht gebaut.

Nach den bisherigen Planungen soll die Fertigung von April an dann wieder in vollem Umfang laufen. "Unsere Produkte sind so attraktiv, da können wir so optimistisch sein", sagt ein Sprecher. Der neue 7er ist bislang erst in Europa erhältlich und dürfte nach der bevorstehenden Markteinführung in USA und China in größeren Stückzahlen gefragt sein. Außerdem bringt BMW mit dem kleinen Geländewagen X1 und dem Sportwagen Z4 neue Autos, die in den Werken produziert werden, in denen jetzt kurzgearbeitet wird.

Bei BMW betont man, dass es sich bei der Kurzarbeit um eine zusätzliche Maßnahme handelt. Dabei wird ein Teil der nicht gearbeiteten Zeit von der Bundesagentur für Arbeit vergütet. Betriebswirtschaftlich ist das anders als bei den bisherigen Maßnahmen, deren Kosten weitgehend vom Unternehmen beziehungsweise seinen Mitarbeitern zu tragen waren. Bisher hat BMW als Folge der schwächeren Nachfrage die Produktion durch Trennung von Leiharbeitern, Urlaub, Angebote für Sabbaticals, Einsatz in anderen Werken und den Abbau von Zeitkonten angepasst.

Die Zeitkonten böten trotz Kurzarbeit auch künftig Spielraum für mögliche Anpassungen. Nach Phasen voller Auslastung waren diese bei vielen Mitarbeitern in der Produktion zu Beginn der Krise gut gefüllt. "Sie sind noch nicht leer", bestätigt ein Sprecher. Erst im vergangenen Jahr hatten Management und Arbeitnehmer vereinbart, den Rahmen der Zeitkonten auf plus beziehungsweise minus 300 Stunden kräftig auszuweiten.

Nicht betroffen von der Kurzarbeit sind die Werke München und Leipzig sowie die Fabriken in den USA und China. Am stärksten trifft es Dingolfing, wo 15000 von 20000 Menschen kurzarbeiten müssen. Dort wird vor allem der 5er BMW gebaut, den es schon seit März 2003 gibt und der daher nicht mehr so gefragt ist wie früher. Das Nachfolgemodell wird erst für 2010 erwartet. In Dingolfing wird auf demselben Fließband auch der 7er montiert, das neue Oberklassen-Auto, das die jetzt fehlenden Stückzahlen des 5er nicht ersetzen kann.

Unabhängig vom Antrag auf Kurzarbeit prüft BMW weiter, ob seine Bank staatliche Hilfe in Anspruch nehmen soll. Dies hatte vor Weihnachten als erste Autobank VW Finance angekündigt.

Folgen im Management

BMW reagiert auf die Krise nicht nur mit Kurzarbeit, sondern auch mit Veränderungen im Management. So wird der Leiter des Vertriebs in Deutschland abgelöst. Philipp von Sahr wird zuständig für die Region Belgien-Luxemburg. Sein Nachfolger für den deutschen Markt wird Karsten Engel, der damit einen der wichtigsten Jobs innerhalb der BMW-Gruppe übernimmt. Erich Papke, bisher zuständig für Polen, wird BMW-Chef in der Schweiz. Der bisherige Landesmanager Dölf Carl hat BMW bereits verlassen.

Der Standort München ist noch nicht von der Kurzarbeit bei BMW betroffen. Im Bild die Motorhaube eines Oldtimers. Foto: AP

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MAN stoppt Fertigung in drei Werken

München - Nach dem Einbruch auf dem Lastwagen-Markt fährt auch der Nutzfahrzeug- und Maschinenbaukonzern MAN seine Produktion zurück und plant Kurzarbeit in mehreren Lkw-Werken. Für die Standorte München, Nürnberg und Salzgitter seien durchschnittlich 42 Schließtage im ersten Halbjahr vereinbart worden, sagte ein Sprecher von MAN Nutzfahrzeuge in München. Hinzu kommt der Abbau von Arbeitszeitkonten und die Nutzung anderer Arbeitszeitmodelle, so dass es der IG Metall zufolge um 70 Tage geht. Betroffen seien 9400 Beschäftigte in Deutschland, sagte der Firmensprecher. Seit Dezember gelte zudem für das Werk im österreichischen Steyr Kurzarbeit. dpa

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Der Kreml sagt Njet

Investor Oleg Deripaska plant einen neuen Bergbaukonzern

Die Krise bringt zusammen, was lange nicht zusammengehören wollte. Zumindest hätte Oleg Deripaska das gern. Russlands lange Zeit reichster Mann, der in den vergangenen Monaten sein Vermögen schrumpfen sah, möchte sich ausgerechnet mit seinem einstigen Erzrivalen zusammentun: Wladimir Potanin. Beide wollen, so melden russische Medien, gemeinsam einen riesigen Bergbaukonzern gründen, an dem sich auch der Staat beteiligen soll. Die Rohstoffpreise sind abgestürzt, Deripaska, Chef der Basic-Element-Gruppe, hat Milliarden verloren und ist knapp bei Kasse. Wie so viele hat er seine Einkaufstour durch die Welt mit Aktien finanziert, auch seinen 25-Prozent-Anteil am weltgrößten Nickel-Konzern Norilsk Nickel bezahlte er so. Aber die Kurse haben sich mehr als halbiert, Deripaska musste sich bereits an eine staatliche Bank wenden, um seine Nickel-Anteile halten zu können. Nachdem er mit Wladimir Potanin, der ebenfalls Anteile an Norilsk Nickel hält, ein halbes Jahr lang um die Besetzung des Aufsichtsrates gestritten und das Geschäft so gut wie lahmgelegt hatte, legten die beiden im Herbst unter dem Eindruck der Krise ihren Streit bei.

Und nun noch dies: Der neue Konzern, den eine Sprecherin bereits in einer Liga mit Giganten wie BHP Billiton sieht, soll einen Marktwert zwischen 70 und 100 Milliarden Dollar haben und neben Norilsk Nickel auch andere Unternehmen anlocken: Roman Abramowitschs Evraz-Gruppe, Alischer Usmanows Metalloinvest und den Bergbaukonzern Mechel. Vor allem aber soll er Schulden in Aktien umwandeln, denn auch Norilsk Nickel ist milliardenschwer verschuldet. Die Hoffnung der Investoren ist, dass der Staat eine Sperrminorität von 25 Prozent plus einer Aktie erwirbt und zudem seinen 60-Prozent-Anteil am weltweit größten Titanhersteller VSMPO-Avisma auf die neue Gruppe überträgt. Eine Liste mit den Wunschkandidaten habe man bereits am Montag Vizepremier Igor Setschin vorgelegt, hieß es. Bislang ohne Reaktion.

Die Krise hat den ohnehin hohen Staatsanteil in der Wirtschaft weiter gesteigert, gerade in Schlüsselbereichen wie der Rohstoffindustrie. Der Verfall der Rohstoffpreise hat das Land schwer getroffen. Am Montag beauftragte Premierminister Wladimir Putin Finanzminister Alexej Kudrin, einen neuen Haushaltsplan aufzustellen. Bislang ging Kudrin von einem Ölpreis von 90 Dollar pro Barrel aus, nun muss er mit 41 Dollar pro Barrel rechnen. Etwa die Hälfte des laufenden Staatshaushaltes von knapp 250 Milliarden Euro speist sich aus Energieexporten. Bislang kann Russland die Ausfälle durch einen milliardenschweren Stabilitätsfonds ausgleichen. Nach Jahren des Wachstums von zuletzt sieben Prozent geht Kudrin aber für 2009 von null bis zwei Prozent aus.

Dennoch ist die Reaktion des Kreml auf Deripaskas Ambitionen bislang verhalten. Arkadij Dworkowitsch, ein Wirtschaftsberater des Präsidenten, sagte in einem Interview mit der Financial Times, er bezweifle, dass eine solche Fusion tatsächlich Gestalt annehme: "Ich glaube nicht, dass die Kooperation genügend Vorteile bietet." Sonja Zekri

Oleg Deripaska Foto: Reuters

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Mitten im Wolfswinter

Der Unternehmer Maths Sundqvist war einer der reichsten Schweden. Die Finanzkrise hat sein Vermögen stark dezimiert.

Von Gunnar Herrmann

Ein Glaspalast, in dessen geschwungener Front sich verschneite Wälder spiegeln, futuristische Seilbahngondeln und viele internationale Gäste - Maths Olov Sundqvist hatte Großes vor mit der Stadt Östersund. Ein Konferenzzentrum mit einem 200-Zimmer-Luxushotel sollte dort entstehen. "Björntanden", der Bärenzahn, hieß das Projekt wegen der ungewöhnlichen Form, die der Stararchitekt Gert Windgårdh für die neue Attraktion Nordschwedens entworfen hatte. Aber nun liegen die Pläne auf Eis. Denn in den kommenden Monaten wird Sundqvist genug damit zu tun haben, wenigstens Teile seines Firmenimperiums zu retten. Große Träume passen da nicht mehr ins Kalkül.

Sundqvists riskante Geschäfte haben im vergangenen Jahr reichlich für Schlagzeilen gesorgt. Die Investmentbank Carnegie, die ihm Kredit gegeben hatte, schrammte nun knapp am Konkurs vorbei. Nun wurde bekannt, dass auch die schwedische Handelsbank womöglich viele Millionen durch Sundqvist verloren hat. Viel Wirbel um einen, der bisher eher als Prototyp des schwedischen Unternehmers galt: bescheiden, strebsam, aus einfachen Verhältnissen. Den Trubel mied der heute 58-jährige Investor, der zeitweise einer der reichsten Schweden war, Interviews waren selten.

Zu Hause ein König

Sundqvists Karriere begann in den siebziger Jahren, als er wegen der Erkrankung seines Vaters das familieneigene Busunternehmen übernehmen musste. Da hatte er gerade Abitur und Militärdienst hinter sich. Aus wenigen Bussen machte er rasch einen ganzen Fuhrpark. Er übernahm Konkurrenzfirmen, expandierte, und schließlich verkaufte er das Unternehmen an die Kommune. Die Millionen, die er bei diesem Geschäft machte, bildeten die Basis für seinen Aufstieg zum Finanzinvestor und Immobilienspekulanten. Er sanierte Grundstücke, übernahm forstwirtschaftliche Betriebe und dehnte sein Reich, dessen Zentrum die in Östersund ansässige Investmentfirma Skrindan ist, später auch auf andere Branchen aus. So kaufte er zum Beispiel in Östersund eine Lokalzeitung.

In seiner nördlichen Heimat avancierte der Geschäftsmann schnell zum Helden. "Der König von Jämtland" wird er ehrfürchtig genannt. Schon in den achtziger Jahren legte er sich ein standesgemäßes Schloss zu, einen 800-Quadratmeter-Prachtbau, der ursprünglich einem Bergwerksbesitzer als Domizil diente. Sundqvist investierte fleißig in der Region. Oft war er der Einzige, der einer maroden Firma noch frisches Geld und eine neue Chance gab. In vielen Fällen zahlte sich seine Beharrlichkeit aus. Und die Menschen in Jämtland danken es ihm bis heute: Trotz der Fehlschläge der jüngsten Zeit hört man dort kaum Kritik.

In Östersund ist Sundqvist auch weniger publikumsscheu: Gelegentlich tritt er dort er bei Tanzveranstaltungen als Schlagersänger auf. Einem Zeitungsbericht zufolge hat der Milliardär sein Talent zum Tenor entdeckt, als er vor zehn Jahren bei einer Karaoke-Sendung im Radio teilnahm. Ein lange geplantes "Heimkehrerkonzert" in dem Dorf Kaxås, wo er seine Kindheit verbracht hatte, musste Sundqvist im Herbst jedoch absagen. Denn die Fernsehkameras waren ihm aus der großen Stadt gefolgt und belagerten die Provinzbühne. Die Reporter waren nicht gekommen, um den Unternehmer singen zu hören. Sie wollten wissen, was er zur Verstaatlichung der Investmentbank Carnegie zu sagen hatte. Die Bank hatte schon länger mit Problemen zu kämpfen.

Was ihr letztlich den Rest gab, war der Umstand, dass sie Maths Sundqvist weit mehr Geld geliehen hatte, als nach schwedischem Gesetz erlaubt war. Das Institut hatte dem Jämtland-König etwa 100 Millionen Euro geborgt.

Inzwischen werden in der Branche auch Zweifel laut an Sundqvists Zahlungsfähigkeit. Seine Kredite hatte er zwar mit Grundstücken abgesichert - aber auch die haben durch die Krise an Wert verloren. Nun berichtete eine Zeitung, dass der 58-Jährige bei der Handelsbank etwa 90 Millionen Euro geliehen hat. Mit dem Geld hatte er in den vergangenen Jahren die starke Expansion seines Imperiums finanziert. Unter anderem war er in großem Stil bei dem börsennotierten Messtechnik-Spezialisten Hexagon eingestiegen und bei Industrivärden, einer Finanzfirma, die sich auf den Industriesektor spezialisiert hat.

In den vergangenen Monaten hat Sundqvist große Teile seines Aktienvermögens veräußert, um Schulden abzuzahlen. Zugleich hat aber auch die Krise sein Vermögen dahinschmelzen lassen. Die Zeitung Svenska Dagbladet schätzt, dass sein Aktienvermögen im Laufe des Jahres 2008 von etwa 500 Millionen auf 150 Millionen Euro schrumpfte. Nach seinen jüngsten Verkäufen gefragt, sagte Sundqvist, er bereite sich nun auf einen "Wolfswinter" vor. So sagt man in Jämtland für "schlechte Zeiten".

Die Carnegie-Affäre

Die Probleme begannen im Herbst 2007, als bekannt wurde, dass die Mitarbeiter der Investmentbank Carnegie die Bilanzen geschönt hatten, um ihre Bonuszahlungen aufzublähen. Die Affäre brachte auch die Regierung in Bedrängnis - Finanzmarktminister Mats Odell hatte sich ehemalige Carnegie-Manager als Berater in sein Ministerium geholt. Im Oktober 2008 musste Carnegie bei der Zentralbank um Geld bitten, um die Liquidität zu sichern. Als die Finanzaufsicht sich die Bilanzen des Instituts genauer besah, stellte sie fest, dass die Bank ungewöhnlich große Summen an einen einzigen Kunden verliehen hatte: Maths O. Sundqvist. Die Kredite für den Geschäftsmann aus Östersund waren höher, als es nach schwedischem Recht zulässig gewesen wäre. Im November beschloss die Regierung, Carnegie zu verstaatlichen. ghe

Maths Sundqvist investierte viel in seiner Heimat Jämtland in Nordschweden. Foto: dpa

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Nebenjobs im Ruhestand

John Allan, Noch-Finanzchef der Deutschen Post, wird sich nach seinem Abschied Ende Juni doch nicht vollständig in den Ruhestand zurückziehen. Im September übernimmt er den Aufsichtsratsvorsitz der britischen Elektromarkt-Kette DSG. Zu Jahresanfang hatte die Post mitgeteilt, der 60-jährige Allan werde auf eigenen Wunsch aus dem "aktiven Berufsleben" ausscheiden. An dieser Darstellung ändere auch die neue Aufgabe nichts, sagte eine Post-Sprecherin. Der Schotte Allan war früher Chef des britischen Logistikkonzerns Exel, der 2005 von der Post übernommen wurde. Danach rückte er in den Vorstand des Bonner Konzerns, zuständig zunächst für den Logistikbereich und seit 2007 als Finanzvorstand. Die neue Aufgabe wird Allan aber durchaus beschäftigen: Die Elektrohandelskette DSG hat unter der aktuellen Kaufzurückhaltung der Verbraucher zu leiden, der Umsatz ging zuletzt deutlich zurück. "Allan bringt wertvolle internationale Erfahrung mit", sagte DSG-Aufsichtsratsmitglied Andrew Lynch. Allan wird auch weiterhin Post-Chef Frank Appel als Berater zur Verfügung stehen, wie die Sprecherin nun bestätigte. Ein Nachfolger für Allan als Finanzchef wird noch gesucht. SZ/dpa

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Toyoda lenkt Toyota

Akio Toyoda soll als neuer Präsident den japanischen Autobauer Toyota aus der Krise führen. Das Unternehmen bestätigte nun offiziell, dass der Enkel des Firmengründers im Juni als Präsident die Leitung des Konzerns übernehmen wird. Er löst damit Katsuaki Watanabe ab, der in den Aufsichtsrat wechselt. Die Ernennung des 52-jährigen Toyoda war schon erwartet worden. Sie muss noch von der Aktionärsversammlung bestätigt werden. Es ist das erste Mal seit 14 Jahren, dass wieder ein Mitglied der Familie Toyoda das Unternehmen führt. Die von den USA ausgelöste weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise macht auch Toyota zu schaffen. Vor allem im wichtigen Markt Nordamerika brach die Nachfrage im vergangenen Jahr ein. Die Zeitung Yomiuri berichtete am Dienstag, um Kosten zu sparen, wolle Toyota im Laufe des Jahres in Japan komplett auf Zeitarbeiter verzichten. AP

Akio Toyoda Foto: AP

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Ein Deutscher für Norsk Hydro

Norsk Hydro, der größte europäische Aluminiumkonzern, erweitert den Konzernvorstand um zwei Mitglieder. Mit dem Deutschen Oliver Bell rückt erstmals ein Ausländer in den Holding-Vorstand des norwegischen Konzerns auf. Die Änderungen treten am 30. März in Kraft, wenn Svein Richard Brandtzaeg das Amt des Vorstandschef von Eivind Reiten übernimmt. Die Geschäftsfelder Aluminium Metal und Aliminum Products werden unterteilt. Bell wird für die Walzwerke des Konzerns verantwortlich sein, der in Deutschland mit 6500 Mitarbeitern 2,7 Milliarden Euro umsetzt. hwb

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Karriere bei Bertelsmann

Der Vorsitzende der Geschäftsführung bei der Bertelsmann-Tochter Mohn Media, Markus Schmedtmann, wechselt in den Vorstand der Bertelsmann-Druck- und Dienstleistungssparte Arvato. Schmedtmann werde künftig für die Druck-Aktivitäten in Deutschland und Osteuropa zuständig sein, teilte das Unternehmen mit. Der 38-Jährige, der seit 1991 bei Bertelsmann ist, wird damit Nachfolger von Markus Dohle, der im vergangenen Jahr als Vorstandschef zur Buchverlagssparte Random House nach New York wechselte. dpa

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Ein weiblicher Computerfreak

Padmasree Warrior, Technikchefin von Cisco, könnte bald Technologiebeauftragte der neuen US-Regierung werden

Frauen sind in der Informationstechnologiebranche noch immer in der Minderheit. Die Quote weiblicher Angestellter liegt bei weniger als 20 Prozent. In die Position, in die es Padmasree Warrior geschafft hat, kommen noch weniger: Nur fünf Prozent aller Technikverantwortlichen im Vorstand sind Frauen. Warum das so ist? "Die Frage berührt mich leidenschaftlich", sagt die Technikchefin des weltweit größten Netzwerkausrüsters Cisco. Noch immer gelinge es in den Schulen nicht, Mädchen für Mathematik und Naturwissenschaften zu begeistern. "Authentisch sein", das könne sie Frauen als Rat mitgeben. Und: "Nicht versuchen, wie ein Mann zu wirken". So hat die 48-Jährige Karriere gemacht - vielleicht bald auch in Washington.

Nach US-Medienberichten ist Warrior in der engeren Auswahl für den Posten des obersten Technikverantwortlichen (CTO, Chief Technology Officer) der Vereinigten Staaten. In dieser Position - vergleichbar dem IT-Beauftragten der Bundesregierung - würde Warrior sich um die Informationstechnologie-Schwerpunkte der US-Regierung kümmern. Im Rennen um den Posten ist auch Vivek Kundra, ebenfalls gebürtige Inderin und Technikbeauftragte der Stadt Washington DC.

Das Interesse an Technik hat Warrior schon im Elternhaus mitbekommen. Ihre Mutter studierte Mathematik, ihr Vater war Wissenschaftler. Mit 17 Jahren verließ sie ihr Zuhause, studierte am Indian Institute of Technology in Delhi, und ging Anfang der 80er Jahre "mit 100 Dollar und einem Einweg-Ticket", wie sie sagt, in die USA, um zu promovieren. Daraus wurde nichts, denn ein Job beim Handyhersteller Motorola kam dazwischen. 1984 startete sie dort in einer Niederlassung in Arizona - 23 Jahre später verließ sie den Konzern als CTO mit Verantwortung für zuletzt 26 000 Mitarbeiter und einem Entwicklungsbudget von 3,7 Milliarden Dollar.

Seither arbeitet sie für Cisco - dem Konzern, der weg will vom Ruf, Klempner des Internets zu sein. Cisco verdient Geld mit dem Aufbau von Rechner- und Telefonnetzen. In fünf Jahren aber, sagt Warrior, sei Cisco eine Firma, "die Kommunikationserlebnisse liefert. Von Mensch zu Mensch. Von Gerät zu Gerät. Über Grenzen hinweg."

Solche Visionen für die Strategie des nordamerikanischen Unternehmens zu entwickeln, gehört zu ihren Aufgaben. Als "Geek" beschreibt sie sich selbst, als Computerfreak also. Doch stets modisch gekleidet, scheint nichts ferner zu liegen als das Bild des Stubenhockers, der nur vor dem Rechner sitzt. "Mich interessiert nicht Technologie an sich", sagt sie. "Ich finde spannend, was man damit machen kann, und wie es ändert, was uns als Menschen interessiert." Zu beobachten, was ihr 15-jähriger Sohn mit seinem Computer anstelle, inspiriere sie.

Dabei müsse sie selbst gar nicht stets die richtigen Antworten parat haben. Viel wichtiger sei es, die richtigen Fragen zu stellen, erklärt Warrior. "Ich verlasse mich auf clevere Leute", sagt sie weiter. Diesem Umstand habe sie ihren Aufstieg in eine Vorstandsposition zu verdanken. "Das ist ein Nugget, den ich stets bei mir trage." Thorsten Riedl

"Nicht versuchen, wie ein Mann zu wirken" lautet ein Karriere-Tipp von Padmasree Warrior. Foto: Bloomberg

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"Wir dürfen niemanden aufgeben"

Bundesarbeitsminister Olaf Scholz will Langzeitarbeitslose mit mehr als 50 Jahren noch stärker fördern. Schon jetzt gibt es erste kleine Erfolge bei der Vermittlung

Von Thomas Öchsner

Berlin - Es gibt die Dinge, über die sich auch ein routinierter Politik-Profi wie Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) noch so richtig aufregen kann. Dazu gehören Menschen, die Langzeitarbeitslose mit über 50 Jahren abstempeln - zu Verlierern der Gesellschaft, die ohnehin keine Chance mehr haben, einen festen Job zu bekommen. "Was mich empört, ist der Zynismus, der die Hoffnungslosigkeit zum Fakt erklärt", sagt der Minister und fügt hinzu: "Es geht mehr, als wir uns angewöhnt haben zu glauben, wenn das Engagement vor Ort stimmt."

Dass Scholz dies sagen kann, ohne dabei eine Sonntagsrede zu halten, verdankt er dem Bundesprogramm "Perspektive 50plus". Das kann zwar nicht jedem älteren Langzeitarbeitslosen helfen. Aber immerhin haben seit Oktober 2005 knapp 42 000 von ihnen über diese "Beschäftigungspakte für Ältere" einen Arbeitsplatz gefunden - auch weil die Jobcenter in den Arbeitsagenturen inzwischen ungewöhnliche Wege einschlagen, um über 50-Jährige zu vermitteln.

Die Angst nehmen

Nach Angaben von Scholz sind etwa 800 000 Menschen im Alter von über 50 Jahren offiziell als erwerbslos registriert. Viele von ihnen haben mehrere Handicaps, die einen Wiedereintritt ins Berufsleben erschweren: "Etwa 60 Prozent leiden unter gesundheitlichen Problemen", sagt Dieter Schulze, Koordinator des Beschäftigungspakts "Joboffensive 50plus" für fünf Jobcenter in Nordrhein-Westfalen. Etwa ein Drittel dieser Langzeitarbeitslosen sei schon seit drei oder vier Jahren ohne Stelle. Vielen fehle deshalb das Selbstbewusstsein. "Sie haben Angst, einen Arbeitsplatz anzutreten", weil sie nicht wüssten, was auf sie zukomme und ob sie die Arbeit überhaupt schafften, berichtet Schulze. Ein weiteres Problem: Der überwiegende Teil hat kein eigenes Auto, keinen Führerschein oder keine Fahrpraxis mehr. Einen neuen Job zu ergattern, kann dann schon am Weg zur Arbeit scheitern.

Genau hier setzt "Perspektive 50plus" an: In den 237 Arbeitsgemeinschaften und bei den Kommunen, die an dem Programm beteiligt sind, versuchen die Vermittler, die Beschäftigungschancen der über 50-Jährigen systematisch zu erhöhen. So gibt es zum Beispiel Geld zum Erwerb eines Führerscheins, ein Training, um die Fahrsicherheit zu verbessern und sogar Schulungen, um sich mit dem Tarifsystem im öffentlichen Nahverkehr zurechtzufinden.

Männer und ihre Gesundheit

Die Arbeitslosen sollen aber auch lernen, sich mehr um ihre Gesundheit zu kümmern. Angeboten werden deshalb Gesundheitschecks. Gesundheitsmanager erstellen Pläne, um die körperliche und geistige Fitness zu verbessern. Vor allem Männer "geben ihre Gesundheit beim Arzt ab und sagen, der ist dafür verantwortlich", erzählt der nordrhein-westfälische Koordinator Schulze.

Was konkret in den Jobcentern angeboten wird, hängt von den Bedürfnissen in der jeweiligen Region ab. "Es gibt kein Schema, über das alle gebügelt werden müssen", sagt der Arbeitsminister.

Derzeit unterstützen 62 regionale Beschäftigungspakte das Programm "Perspektive 50plus". Darin können sich zum Beispiel Unternehmen, Kammern, Verbände, Sportvereine, Krankenkassen, Bildungsträger und weitere Akteure des regionalen Arbeitsmarktes zusammengeschlossen haben. Bislang läuft das Programm noch nicht bundesweit. Dies soll sich aber in den nächsten zwei Jahren ändern. Das ehrgeizige Ziel des Ministers: Bis Ende 2010 sollen die Vermittler in den Jobcentern etwa 200 000 ältere Langzeitarbeitslose ansprechen und für einen Job fitmachen. 50 000 sollen so eine Stelle bekommen.

Nach Angaben von Scholz profitierten allein im vergangenen Jahr knapp 74 000 Langzeitarbeitslose von dem Programm "Perspektive 50plus". Fast 19 400 fanden einen Arbeitsplatz, die meisten waren sozialversicherungspflichtige Vollzeitjobs. Im vergangenen Jahr stellte der Bund dafür 90 Millionen Euro zur Verfügung.

Für 2009 stockte Scholz die Mittel auf 130 Millionen Euro auf. Nun sollen die Jobcenter 86 000 Langzeitarbeitslose ansprechen und 26 000 von ihnen bei einem Unternehmen fest unterbringen. "Wir wollen erfolgreicher sein als im letzten Jahr", sagt Scholz. Er weiß aber auch, dass dies davon abhängt, "dass es Engagierte gibt, die die Initiative unterstützen". Dem Arbeitsminister jedenfalls scheint es wirklich wichtig zu sein, "dass wir niemanden aufgeben".

Seit Oktober 2005 haben bereits 42 000 Arbeitslose, die älter als 50 Jahre sind, über das Programm der Bundesregierung Arbeit gefunden. Foto: ddp

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Gasversorger senken ihre Preise

München - Die Gasverbraucher in Deutschland können sich für Februar und März zum Teil auf deutlich sinkende Preise freuen. Laut einer Marktübersicht des Vergleichsportals Check24.de, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, senken 145 Gasanbieter zum 1. Februar oder 1. März ihre Preise im Durchschnitt um 7,2 Prozent (bei einem Verbrauch von 20 000 Kilowattstunden pro Jahr). Spitzenreiter mit einer Senkung um jeweils 25,1 Prozent sind dabei die Gas- und Wasserversorgung Fulda sowie die Gas- und Wasserversorgung Osthessen. Um 20,7 Prozent senken die Stadtwerke Bad Homburg v. d. Höhe ihre Gaspreise.

Im Gegenzug erhöhen nur drei Versorger die Tarife, darunter die Stadtwerke Neustadt a. d. Aisch, die von ihren Kunden bei einem Jahresverbrauch von 20 000 Kilowattstunden 9,5 Prozent mehr verlangen. Nach Einschätzung der Check24-Marktbeobachter werden weitere Gasversorger im April mit Preissenkungen nachziehen.

Beim Strom setzen die Versorgungsunternehmen ihre Preiserhöhungen der vergangenen Monate allerdings unbegrenzt fort: Laut der Check24-Übersicht haben insgesamt 105 Anbieter zum Februar oder März Preissteigerungen um im Durchschnitt 7,8 Prozent angekündigt. Spitzenreiter sind hier die Stadtwerke Amberg mit einer Erhöhung um 16,25 Prozent bei einem jährlichen Durchschnittsverbrauch von 4000 Kilowattstunden Strom. mvö

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Bausparkassen mit Rekordergebnis

Stuttgart - Das Geschäft der Bausparkassen boomt in der Finanzkrise. Während die Bundesbürger in Scharen aus Aktienfonds flüchten, verzeichnete die Bausparkasse Schwäbisch Hall im vergangenen Jahr mit 32 Milliarden Euro das beste Neugeschäft in ihrer Geschichte. Die Zahl der abgeschlossenen Bausparverträge stieg um 27 Prozent auf 1,1 Millionen, das Vertragsvolumen um knapp 17 Prozent auf 32 Milliarden Euro. Insgesamt betreut Schwäbisch Hall jetzt nach eigenen Angaben 6,6 Millionen Kunden, die 7 Millionen Verträge über ein Bausparvolumen von 208 Milliarden Euro halten. Am Vortag hatte bereits Konkurrent Wüstenrot ein Rekordergebnis. AP

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Die Millionen der alten Witwe

Herbert Batliner, zentrale Figur der deutschen Parteispendenaffäre, erleidet in Liechtenstein vor Gericht eine schwere Niederlage

Von Hans Leyendecker und Uwe Ritzer

Vaduz - Im Mai 2007 schrieb sich der berühmte frühere Liechtensteiner Treuhänder Professor Dr. Dr. Herbert Batliner sein Leid von der Seele. In einem vertraulichen Brief an den Kölner Wirtschaftsprüfer Professor Dr. Jörg-Andreas Lohr, der auch Testamentsvollstrecker der Flick-Familie ist, klagte der 80jährige Doktor der Jurisprudenz und der Ökonomie, er habe manchmal "Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit" in Deutschland gehabt. Ein untreuer Angestellter hatte Anfang der neunziger Jahre aus Batliners Kanzlei in der Vaduzer Aeulestraße Unterlagen mit den Daten über Stiftungen deutscher Kunden gestohlen und eine CD-Rom mit all den vertraulichen Angaben war schließlich bei der Bochumer Staatsanwaltschaft gelandet.

Aus der Angelegenheit wurde eines der größten Steuerstrafverfahren der Republik: Der "Datenklau", schrieb Batliner dem Wirtschaftsprüfer Lohr, der ihm im Rechtsstreit zur Seite stand, "hat mir zehn Jahre Lebensqualität genommen" und "eine riesige berufliche und persönliche Enttäuschung gebracht". Das gegen ihn in Bochum eingeleitete Verfahren wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung wurde im Sommer 2007 gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von zwei Millionen Euro eingestellt.

Der Vaduzer Rechtsanwalt, der auch die Titel "Fürstlicher Kommerzienrat, Senator H.C." im Briefkopf führt und unter anderem Präsident des Fürstlich Liechtensteinischen Staatsgerichtshofs war, hat jetzt möglicherweise auch Probleme, die Entscheidungen der Justiz in seinem Vaterland zu verstehen. Der Oberste Gerichtshof in Vaduz befand kürzlich, dass Batliner die verbliebenen 1,2 Millionen Franken inklusive Zinsen an den Kurator einer mittlerweile gelöschten Stiftung namens "Alma Mater" zurückzahlen muss. Der ungeheuerliche Vorwurf: Der Träger des Komturkreuzes des päpstlichen Silvesterordens mit Stern, des Großen Tiroler Adler-Ordens und auch der Goldenen Pfadfinderlilie habe den Gesundheitszustand einer an Altersdemenz leidenden Witwe ausgenutzt und sich unrechtmäßig bereichert. Batliner hat diese Anschuldigung stets empört zurückgewiesen. Großes Pfadfinderehrenwort. Sein Anwalt kündigte jetzt an, das Urteil vor dem Staatsgerichtshof auf seine Verfassungsmäßigkeit prüfen zu lassen.

Der Fall ist nicht nur wegen der Besonderheiten mit den Liechtensteiner Stiftungen interessant, sondern auch für Historiker. Über die 1990 eingerichtete Stiftung Alma-Mater, zu deutsch die nährende Mutter, konnte eine Christa Buwert aus Köln verfügen. Sie ist die Witwe des früheren Geschäftsführers der Staatsbürgerlichen Vereinigung (SV), Hans Buwert. Sein Name und das Kürzel SV sind eng verwoben mit den großen Parteispendenskandalen, die in den achtziger Jahre und neunziger Jahren von der Justiz aufgearbeitet wurden. Noch immer rätseln Experten, wo ein Teil des Schatzes verblieben ist.

Alma-Mater und Batliner sind deutsche Parteispendengeschichte geworden. Umgerechnet rund hundert Millionen Euro waren nach Liechtenstein und in die Schweiz geflossen. Mit dem Geld sollten die Sozis von der Macht ferngehalten werden. Es wurde von den bürgerlichen Parteien gewaschen und dann an der Steuer vorbei nach Deutschland geschleust. Weil sich der frühere Kanzler Helmut Kohl im Juli 1985 vor einem Mainzer Parteispenden-Untersuchungsausschuss nicht mehr an den Geschäftszweck der SV (Spendenbeschaffung) erinnern konnte, drohte ihm ein Verfahren wegen Verdachts der uneidlichen Falschaussage. Er hätte vermutlich als Regierungschef zurücktreten müssen.

Nur weil der damalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler bei seinem Chef nachträglich einen Blackout diagnostizierte, konnte damals Schlimmeres verhindert werden. Geißler hatte eine eigentlich sehr einfache Frage des damaligen Ausschuss-Vorsitzenden Georg Adolf Schnarr (CDU), die Kohl fälschlicherweise mit einem knappen und unmissverständlichen "Nein" beantwortet hatte, als "sehr kompliziert formuliert" diagnostiziert. Dass Batliner und Kohl gute Bekannte sind, zeigt noch einmal, wie dicht das weitgespannte Netz des früheren CDU-Vorsitzenden war.

Auch wirft der frisch von dem Vaduzer Gericht behandelte Fall alte Fragen neu auf: Woher stammte das Geld der Alma Mater? Wer profitierte von den Resten des SV-Schatzes? Die hessische CDU, die bis zuletzt mit der illegal operierenden Organisation zusammengearbeitet hat, war stets ein heißer Favorit. Als der Verein Anfang der achtziger Jahre seine Geschäftstätigkeit einstellte, blieben zunächst rund sechs Millionen Euro verschwunden.

Die Stiftung Alma-Mater war mit etlichen Millionen Franken gut bestückt. Das Geld sollte dazu dienen, der Witwe ihren Lebensabend zu sichern. Die Buwerts waren kinderlos. Als Christa Buwert knapp neun Jahre nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1997 Besuch von Reportern bekam, erzählte sie, ihr sei nur eine kleine Rente geblieben. Von einer Stiftung habe sie noch nie gehört.

In Verfahren vor dem Land- und dem Oberlandesgericht zu Vaduz ist über die Entwicklung auf den Konten der so gut nährenden Mutter gesprochen worden, dabei kam Erstaunliches zutage. Im Juni 1998 waren an den Treuhänder Batliner zehn Millionen Franken geflossen. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil es schon eine Interessenkollision sein kann, wenn ein Treuhänder gleichzeitig Organ und Begünstigter einer Stiftung ist.

Der Ehrenmann Batliner hatte vor Gericht berichtet, die alte Dame habe ihm die zehn Millionen für "geleistete Dienste" geschenkt. Im Juni 1998 hätten er und seine Frau sich mit Witwe Buwert in Zürich getroffen und die habe schon vorher gesagt, dass sie ihm nach der bösen Datenklau-Affäre helfen wolle. Er habe spontan bei der Begegnung in Zürich einen Vertrag formuliert und sie habe unterschrieben. Gut, dass sie die richtige Zeile fand, denn die Witwe kann nicht gut gucken.

Ein Jahr später habe sie ihm noch einmal 1,2 Millionen Franken geschenkt, damit sich der bekannte Gemäldesammler ein weiteres Gemälde kaufen konnte. Zwar sollte Batliner, so stand es in den Statuten der Stiftung, nach dem Tod der Stifterin als "Honorar für geleistete und zu leistende Dienste" ohnehin fünf Prozent erhalten, aber die Witwe soll, so Batliner, gesagt haben, es sei besser mit warmen Händen zu geben. Diese Erkenntnis war nicht neu, aber sie ist dennoch wahr.

Als dann aber die Bochumer Ermittler begannen, die Geschichte der Alma-Mater neu aufzurollen, wurde auch das zuständige Finanzamt Köln-Altstadt hellhörig. Batliner überwies der Witwe zehn Millionen Franken, damit sie ihre Schulden beim Finanzamt und die Geldstrafe bezahlen konnte.

Die deutschen Behörden fanden die diversen Ausschüttungen seltsam und wurden in Liechtenstein vorstellig. Die Vaduzer beauftragten einen Anwalt, die Belange der Stiftung zu vertreten. Auf ihn geht das für Batliner unangenehme Verfahren zurück. Witwe Buwert konnte als Zeugin nicht gehört werden, weil sie an Demenz leidet. Bis zuletzt hat sich Batliner gesträubt, die restlichen 1,2 Millionen Franken plus Zinsen zurückzuzahlen. Das von dem Geld gekaufte Bild habe für ihn einen hohen persönlichen Erinnerungswert, soll er gesagt haben.

Aber auch er weiß, dass es besser ist, mit warmen Händen zu geben. Das deutet jedenfalls der Ablauf seines Bochumer Verfahrens an, das so elegant und geräuschlos im Sommer 2007 mit der Zahlung von zwei Millionen Euro an gemeinnützige Einrichtungen beendet wurde. "Auch wenn es sich um eine sehr hohe Geldauflage handelt: das Bewusstsein, dass man hier Gutes tun kann, um anderen Gesellschaftsschichten zu helfen, bestärkt mich in dieser Richtung", hatte Batliner "in Dankbarkeit" dem Steuerfuchs Lohr mitgeteilt. Dass von dem Geld auch die Hannelore-Kohl-Stiftung mit immerhin 300 000 Euro bedacht wurde, zeigt, dass auf Batliner Verlass ist.

Batliner hat die Anschuldigung, sich bereichert zu haben, stets empört zurückgewiesen.

Großes Pfadfinderehrenwort.

Der Ehrenmann Batliner

berichtete vor Gericht, eine

alte Dame habe ihm die

zehn Millionen geschenkt.

Hoch oben: das Fürstenschloss in der liechtensteinischen Hauptstadt Vaduz. Foto: Reuters

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Liechtenstein führt Einheitssatz ein

Von Gerd Zitzelsberger

Vaduz - Die Steueroase Liechtenstein hat am Dienstag einen neuen Schritt unternommen, um sich aus ihrem Paria-Status zu lösen: Obwohl der Wahlkampf für das neue Parlament in seiner heißen Phase ist, verabschiedete die Koalitionsregierung des Fürstentums am Dienstag eine grundlegende Reform der Unternehmenssteuern. Kernpunkt der Reform, die am heutigen Mittwoch der Öffentlichkeit vorgestellt wird, ist dem Vernehmen nach ein Einheitssatz von 12,5 Prozent auf Unternehmensgewinne. Derzeit gibt es im Fürstentum eine wenig durchschaubare progressive Besteuerung der Firmen; deutsche Unternehmer, die im Fürstentum tätig sind, erzählen, dass in der Praxis die Steuerzahlung ausgehandelt werde.

Bankgeheimnis aufgeweicht

Mit der Reform orientiert sich Liechtenstein an Irland, das mit dem niedrigen einheitlichen Steuersatz erhebliche Ansiedlungserfolge erzielen konnte. Diverse neue EU-Mitglieder haben dieses Konzept mittlerweile nachgeahmt. In Vaduz heißt es, die neuen Regelungen verzichteten darauf, Firmen ausländischer Herkunft besser zu stellen als inländische Unternehmen. Auch mit einer Reihe weiterer Änderungen werde das Liechtensteiner Körperschaftssteuerrecht jetzt "europakompatibel".

Das Fürstentum erhofft sich damit den Abschluss von Doppelbesteuerungsabkommen mit Deutschland und anderen EU-Staaten. Als Gegenleistung hat das Fürstentum mehrfach angeboten, das bislang strikte Bankgeheimnis erheblich aufzuweichen und künftig bei Verdacht auf Steuerhinterziehung Auskünfte zu erteilen. Gegenüber den USA verzichtet Vaduz bereits ab 2010 darauf, als Geldversteck zu fungieren.

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Einmal Deutschland und zurück

Auslandsbanken haben ihr Geschäft hierzulande stark ausgedehnt. Die Krise könnte das ändern

Von Martin Hesse

Frankfurt - Der Rekordverlust der Royal Bank of Scotland (RBS) hat Bankaktionäre weltweit schockiert. Doch die Probleme der schottischen Bank und anderer teilverstaatlichter Institute hat nicht nur Folgen für die Anteilseigner. Mittelfristig könnten auch Firmen- und Privatkunden spüren, wie sich die Bankenlandschaft verändert. Auslandsbanken wie die RBS haben in den vergangenen Jahren ihr Geschäft in Deutschland stark ausgedehnt. Jetzt gibt es Anzeichen, dass sie sich ein Stück weit zurückziehen. Der Trend könnte sich verschärfen.

Wenn Unternehmen in den vergangenen Jahren große Kredite aufnehmen wollten, war die RBS sehr häufig vorne mit dabei. Die Schotten finanzierten führend die Übernahme von Continental durch Schaeffler, sie sind einer der größten Geldgeber für die Firmengruppe des verstorbenen Unternehmers Adolf Merckle. Auch als Kreditgeber für den Schifffahrtkonzern Hapag Lloyd sowie für Karstadt spielte RBS eine wichtige Rolle. Zuletzt aber geriet die Bank meist dadurch in die Schlagzeilen, dass sie in Kreditverhandlungen einen harten Kurs fuhr. In Finanzkreisen hieß es, die Zentrale in Edinburgh sowie der Großaktionär in London seien darauf bedacht, dass RBS seine Risiken im Kreditgeschäft stark reduziere - auch in Deutschland.

Die Bank selbst hat erklärt, Deutschland bleibe einer ihrer Kernmärkte, gerade im Firmenkundengeschäft wolle sie engagiert bleiben. Ob es aber den gleichen Umfang haben wird, bezweifeln Beobachter. Das Konsumentenkreditgeschäft, dass allerdings keinen Schwerpunkt bildete, hat die RBS bereits abgestoßen. Auch andere Banken, die von der Krise besonders stark getroffen wurden, haben sich zum Teil aus Deutschland zurückgezogen. Ganz verschwunden ist die insolvente Investmentbank Lehman Brothers, die allerdings unter dem neuen Eigentümer Nomura weiter eine Rolle spielen dürfte. Die belgische Finanzgruppe Fortis, die zum Teil verstaatlicht wurde, hat ebenfalls ihr Privatkundengeschäft drastisch zusammengestrichen. Erst 2006 war Fortis in den hart umkämpften Markt für Konsumentenkredite eingetreten. Die amerikanische Citigroup verkaufte - ebenfalls unter dem Druck der Krise - ihr hochprofitables Ratenkreditgeschäft.

Wie weit sich die Ausländer insgesamt aus Deutschland zurückziehen, ist aber noch nicht zu erkennen. Was Citi, RBS und andere abgaben, kauften wiederum Auslandsbanken auf: Die spanische Santander baute so ihre Position in Deutschland aus, Crédit Mutuel aus Frankreich stieg mit der Übernahme der Citibank Deutschland neu in den hiesigen Markt ein. "Bisher hat sich an der Marktposition der Auslandsbanken als Gruppe nach unserer Wahrnehmung nicht viel geändert. Aber natürlich kann die Finanzkrise mittelfristig Auswirkungen haben", sagt Jens Tolckmitt, Geschäftsführer des Verbandes der Auslandsbanken. Zahlen der Bundesbank scheinen ihn zu bestätigen. Zumindest bis Oktober haben die Zweigstellen ausländischer Banken vergangenes Jahr ihre Kreditvergabe an Unternehmen und Verbraucher noch einmal um mehr als fünf Milliarden Euro ausgedehnt. Bis Ende 2007 war auch die Zahl deutscher Tochtergesellschaften und Filialen ausländischer Banken auf den Rekordwert von 205 gestiegen.

Doch selbst Vertreter der Auslandsbanken erwarten, dass sich das ändert. "Es ist weltweit ein Trend bei den Banken zu beobachten, sich stärker auf den Heimatmarkt zu konzentrieren", sagt Tolckmitt. In Deutschland wie in anderen Ländern gebe es in der Politik die Erwartung, dass sich Banken, die staatliche Hilfe in Anspruch nehmen, verstärkt um Kunden im eigenen Land kümmern. Das könne auch dazu führen, dass Auslandsbanken ihr Geschäft reduzieren. "Mit vielen Schließungen rechne ich aber nicht."

Die Royal Bank of Scotland - im Bild eine Filiale in London - hat in Deutschland attraktive Unternehmenskredite angeboten. Foto: Reuters

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Etwas mehr im Geldbeutel

Reallöhne der Tarifbeschäftigten legten 2008 leicht zu

Von Thomas Öchsner

Berlin - Die höheren Lebenshaltungskosten haben im vergangenen Jahr die Einkommenszuwächse der Arbeitnehmer weitgehend aufgefressen. Das Einkommen der Beschäftigten, für die ein Tarifvertrag gilt, stieg 2008 im Durchschnitt um 2,9 Prozent. Da aber die Inflation um 2,6 Prozent zulegte, blieb ein kleines Reallohnplus von 0,3 Prozent übrig. Das ergibt sich aus der Tarifbilanz, die das gewerkschaftsnahe Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung am Dienstag in Berlin vorstellte.

Deutlich schlechter sieht es für die Arbeitnehmer aus, die keinen Tarifverträgen unterliegen: Ihr Bruttoeinkommen verbesserte sich 2008 im Durchschnitt um 2,3 Prozent. Nach Abzug der erhöhten Lebenshaltungskosten kam damit für sie ein Minus von 0,3 Prozent heraus. Das ist der fünfte Rückgang in Folge.

Im neuen Jahr dürften sich die Finanzkrise und die Rezession negativ auf die Tarifergebnisse auswirken. "Die Rahmenbedingungen sind aus Arbeitnehmersicht ungünstig", sagte Reinhard Bispinck, Leiter des WSI-Tarifarchivs. Aus konjunkturpolitischen Gründen seien aber kräftige Reallohnsteigerungen notwendig. Es sei widersinnig, einerseits Konjunkturpakete zu schnüren und sich andererseits bei Löhnen und Gehältern zurückzuhalten. Im laufenden Jahr werden die Tarifverträge im öffentlichen Dienst (Länder), bei der Deutschen Bahn und der Deutschen Telekom neu verhandelt. Tarifgespräche gibt es außerdem in der Textil- und Bekleidungsindustrie, im Bauhauptgewerbe, in der Stahlindustrie sowie im Einzel- und Großhandel.

2008 schlossen DGB-Gewerkschaften in Deutschland Lohn- und Gehaltstarifverträge für etwa 11,1 Millionen Mitarbeiter ab, darunter etwa 9,6 Millionen in den alten und 1,5 Millionen in den neuen Bundesländern. Bei mehr als zwei Dritteln der Beschäftigten wurden die Tarif e mit Verzögerung angehoben. Als Ausgleich vereinbarten die Gewerkschaften meist pauschale Einmalzahlungen. Diese betrugen durchschnittlich 116 Euro. Besonders kräftig stiegen die Entgelte bei Arbeitnehmern, die in Gebietskörperschaften oder bei Sozialversicherungen arbeiten. Dort betrug das Plus 4,4 Prozent. Im Handel und in einigen anderen Branchen blieben die Tarifsteigerungen dagegen hinter der Preissteigerungsrate zurück (Grafik).

Das Tarifniveau gleicht sich zwischen Ost- und Westdeutschland immer mehr an. Ende 2008 erreichten die tariflichen Grundvergütungen in den neuen Bundesländern im Durchschnitt bereits 96,8 Prozent des Westniveaus. 2007 lag dieser Wert noch bei 95,2 Prozent. In vielen Unternehmen Ostdeutschlands werden allerdings überhaupt keine Tariflöhne bezahlt, weil die Arbeitgeber keiner Tarifgemeinschaft angehören.

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Anleger im Hamsterrad

Von Markus Zydra

"Ich habe mein Geld verdient, indem ich zu früh verkauft habe." Man muss es zweimal lesen, dieses Bonmot des 1965 verstorbenen Börsenspekulanten Bernard Baruch, um dann zu erkennen, wieviel Weisheit in so wenigen Worten stecken kann.

Aktien sollten verkauft werden, wenn die Masse zum Kauf brüllt. Dieses Anlagekonzept klingt simpel, doch die letzten zehn Jahre mit Asienkrise, Internetblase und aktuell der Finanzkrise belegen eindrücklich, wie anfällig die Psyche des Menschen dafür ist, der Masse genau dann zu folgen, wenn die Börsen in einen Kaufrausch abdrehen. Wie geht man rational mit dieser immer wiederkehrenden Irrationalität um?

Die Behavioral Finance, die Lehre also vom Verhalten der Anleger, stellt fest, dass der Mensch wie ein Hamster ist, immer unterwegs im Laufrad. Nur wenige brechen aus. Als 1998 die Anleiheblase platzte, war Merrill Lynch der größte Bondhändler der Welt. Wegen der Krise reduzierte die Bank ihre Investition im Rentenhandel, um das Risiko zu minimieren. "Doch die Märkte erholten sich alsbald, und Merrill Lynch hatte seine Spitzenposition für immer verloren", erzählte Nick Studer, Experte der Beratungsgruppe Oliver Wyman, den Zuhörern der Behavioral Finance-Konferenz an der WHU Otto Beisheim School of Management in Vallendar.

Alles richtig gemacht - und doch verloren. Die Episode zeigt, wie schwer es für Akteure vor der Finanzkrise gewesen sein muss, rechtzeitig aus dem vermaledeiten Verbriefungsmarkt auszusteigen. Man konnte ahnen, dass eine große Krise kommen würde, aber niemand konnte sicher sein. Zudem ist es mental für jeden einzelnen Investor einfacher zu verkraften, mit der Masse unrecht zu haben. So verteilt sich die nachfolgende Schelte auf alle, selbst kann man sich als kleines Rädchen im riesigen Finanzsystem darstellen. Das sind gewichtige rationale Gründe, einem irrationalen Herdentrieb zu folgen. Investmentprofis sind zudem sehr selbstbewusst. Jeder hofft, rechtzeitig zu verkaufen, bevor die Blase platzt. Das gelingt aber nur wenigen. Deshalb werden Leute wie Baruch noch heute zitiert.

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Der Bachelor am Bett

Die Hochschule München gehört zu den ersten in Deutschland, die ein Studium und die Ausbildung zum Krankenpfleger kombinieren

Von Martin Thurau

Dass sie einmal zu einer Avantgarde gehören würden, dringt Sonja Nuener und Florian Rath erst langsam ins Bewusstsein. Nun gut, vielleicht ist die Wortwahl ein wenig überzogen, Tatsache aber ist, dass die beiden in Bayern zu den ersten gehören werden, mit denen sich in Zukunft womöglich ein ganzer Berufsstand wird neu definieren müssen. Pfleger wollen Nuener und Rath werden, und dafür machen sie eine herkömmliche Ausbildung und - das ist das Besondere an einem neuen Modell an der Hochschule München - gleichzeitig ein Studium. Wenn sie in gut vier Jahren fertig sind, haben sie nicht nur ein staatliches Examen als Krankenpfleger in der Tasche und damit die Berufszulassung, sondern auch einen entsprechenden Bachelor-Abschluss. Und dass Pfleger wie in anderen Ländern auch einen akademischen Background brauchen, diese Professionalisierung und Aufwertung wird seit langem dringend gefordert - aber mitunter auch deutlich abgelehnt.

Wege aus der Sackgasse

Immerhin werden die Aufgaben in der Pflege zunehmend komplexer und anspruchsvoller, argumentiert Michael Ewers, der den neuen dualen Studiengang koordiniert und an der Hochschule Gesundheitswissenschaften lehrt. Dafür sorgten der Umbau des Gesundheitswesens und die demographische Entwicklung. Für diese Neuerungen brauche es Kräfte, die für das "Kerngeschäft der Pflege", die Arbeit mit den Patienten, besser gerüstet sind, sagt Ewers. Die Absolventen sollen nicht nur erlerntes Wissen anwenden, sondern es auch kritisch hinterfragen und "wissenschaftsgeleitet" arbeiten können. Sie müssen fähig sein, die Versorgung eigenständig zu gestalten und zu steuern. Und sie müssen vor allem angesichts des Booms in der häuslichen Pflege die Patienten und Angehörigen beraten und anleiten können. Mit all dem seien die klassisch ausgebildeten Pfleger oft überfordert, sagt auch Constanze Giehse von der Katholischen Stiftungsfachhochschule (KSFH) München, die im Herbst ein ähnliches Angebot starten will.

Bislang enden Krankenpflegeberufe zudem in der Sackgasse, Aufstiegsmöglichkeiten gibt es kaum. Der Studienabschluss eröffnet neue Wege: Die Absolventen werden ein Master-Studium anschließen können in Pflegemanagement beispielsweise oder Spezialfeldern der Pflege wie Palliativmedizin, Onkologie oder Psychiatrie. "Wir wollen die Durchlässigkeit erhöhen" und damit den Beruf attraktiver machen, sagt Ewers.

Sonja Nuener und Florian Rath haben bereits ihre ersten Erfahrungen mit Studium und Ausbildung machen können. Ein paar Theorieblöcke an der Pasinger Dependence der Hochschule, in der die Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften untergebracht ist, haben sie schon absolviert, auch an der Pflegeschule in Haar, die zum Klinikum München-Ost gehört, waren sie schon, und ebenso im Praxiseinsatz auf Station. Seit Oktober sind sie dabei, länger gibt es das Kombi-Studium auch noch nicht. Ursprünglich hatten sich beide lediglich an der Krankenpflegeschule beworben. Von dem Angebot, gleichzeitig auch zu studieren, erzählen sie, hätten sie erst dort erfahren. Die zuständigen Ministerien hatten den Studiengang kurzfristig freigegeben, da war es zeitlich nicht mehr drin, ausreichend Werbung dafür zu machen.

So unterschiedlich die Lebensläufe auch sein mögen, beiden ist es wichtig, eine Arbeit "nah am Patienten" zu machen. Für sie habe es früh festgestanden, sagt die 18-jährige Sonja Nuener, dass sie einen karitativen Beruf wollte. Und nach Schulzeit und Abitur wolle sie jetzt ihr eigenes Geld in der Pflege verdienen. Florian Rath, 30, hat ursprünglich Medizin studiert, ist aber abgesprungen und hat unter anderem schon fünf Jahre im Krankenhaus in der Nothilfe gearbeitet, bevor er sich jetzt entschied, doch noch die Pflegerausbildung draufzusatteln.

Auch wenn sie ein Studium zunächst nicht eingeplant hatten, sehen sie dessen Möglichkeiten jetzt als Bereicherung. Sicher, sagt Rath, mitunter müssten sie anderen noch erklären, wofür man das denn brauche. Für ihn selbst keine Frage, er schätzt, dass er rund 80 Prozent des theoretisch Gelernten auch in der Praxis brauchen könne. Und gemessen an einer Ausbildung und einem Studium danach sparten sie zwei Jahre, sagt Nuener.

Der Preis dafür ist eine reichlich kompakte Ausbildung: Studium, Schule, Station - alles im ständigen Wechsel. Keine Semesterferien, nur sechs Wochen Urlaub im Jahr. Und auf Jahre hinaus steht schon jetzt fest, wie sie in welcher Kalenderwoche verplant sind. Drei Jahre laufen Studium - fünf Wochen im Semester - und Ausbildung parallel, dann machen die Schüler ihren staatlichen Abschluss als Kranken- oder Kinderkrankenpfleger, um danach noch einmal drei Semester inklusive Bachelorarbeit vollzeit zu studieren. 56 Studenten hat die Hochschule aufgenommen, sieben von ihnen kommen aus Haar, der Rest von den Berufsfachschulen am Städtischen Klinikum München und am Klinikum Augsburg. Zulassungsvoraussetzung zum Studium sind Abitur oder Fachabitur und ein Platz an einer der Pflegeschulen. Der wiederum ist nicht leicht zu bekommen, in Haar beispielsweise kamen zuletzt rund 500 Bewerber auf 30 Plätze.

Das duale Studium an der KSFH in der Preysingstraße, für das es 25 Plätze geben wird, soll weitgehend die gleiche Struktur haben. Den Fokus allerdings will die kirchliche Hochschule anders setzen, sagt Constanze Giehse, Dekanin des Fachbereichs Pflege. Sie beziehe die "spirituellen Dimensionen" des Pflegens mit ein und stelle das "christliche Menschenbild" als Basis in den Vordergrund. Auch die Pflegeschulen, etwa am Dritten Orden, mit denen die KSFH kooperiert, sind konfessionell gebunden. Und stärker noch als beim Studium in Pasing liegt ein Schwerpunkt auf Gerontologie und Palliativpflege. Die Studenten können ihr staatliches Examen auch als Altenpfleger ablegen.

Was die Akademisierung der Pflege angeht, sei Deutschland hintendran, sagt Ewers. In den USA ist sie weit fortgeschritten, hierzulande läuft die Debatte erst seit wenigen Jahren. Bislang bieten nur eine Handvoll Hochschulen ein entsprechendes Studium an. Die Hochschule München sei die einzige in Bayern, weitere aber wollen wie die KSFH folgen.

"Magd der Medizin"

Der Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen befürwortet nicht nur deutlich die Akademisierung der Pflegeberufe, sondern regt auch an, ob dies nicht wie in Halle Aufgabe der Medizinischen Fakultäten an den Universitäten sei. Die indes winken zumeist ab, weil sie sich lieber auf ihr Kerngeschäft, die Ärzteausbildung, konzentrieren wollen. Und der Deutsche Ärztetag hat im vergangenen Jahr zumindest der Forderung nach mehr Eigenständigkeit der Pflege eine klare Abfuhr erteilt. Ob es überhaupt Pfleger mit Hochschulabschluss geben müsse, darüber gebe es noch "keine abschließende Meinungsbildung", heißt es jetzt bei der Bundesärztekammer.

Warum die Debatte hierzulande so deutlich nachhängt, begründet Ewers mit einem "arztzentrierten Gesundheitssystem", aber auch mit spezifisch deutschen Traditionen. Im schlimmsten Fall gelte die Pflege manchmal noch heute als "Magd der Medizin" und als "Mädeljob". Das sei das "alte Denken", das eher auf "Subordination" als auf Zusammenarbeit setzt. Constanze Giehse spricht von mitunter steilen Hierarchien in Kliniken. "Das ist ein System, an dem sich die Pflege abarbeitet."

Ewers hält insgesamt einen kulturellen Wandel für nötig, für den es einen "langen Atem" brauche. Wer die "Zumutung" des arbeitsaufwendigen Kombi-Studiums überstehe, sei dafür "gewappnet", sagt er. "Wir setzen unseren Studenten bewusst Flausen in den Kopf". Ewers spricht nicht von Avantgarde, er sagt, seine künftigen Absolventen hätten die Aufgabe von "Erneuerern".

Die Arbeit "nah am Patienten", das Kerngeschäft der Pflege, lernen und studieren Sonja Nuener und Florian Rath. Fotos: dpa, ales

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Schlaflos in München

Als Kiefer Sutherland den Raum betritt, gefriert das Wasser. Draußen fällt Regen auf den Lenbachplatz, im ersten Stock des Lokals Lutter & Wegener blickt der als Superagent Jack Bauer in der US-Serie "24" bekannte Sutherland kurz durch die Panoramascheiben - von da an schneit es. Dabei wirkt der blonde 42-Jährige an diesem Dienstagvormittag unter den etwa 50 Journalisten gar nicht wie der eiskalte Anti-Terror-Profi Bauer, eher wie ein verkaterter Schauspieler.

Der Bezahlsender Premiere wirbt für die siebte "24"-Staffel, die diesmal zeitgleich in den USA läuft. Wieder hat Bauer 24 Stunden Zeit, um die Welt zu retten. Ein Agent, schneller als James Bond, robuster als der Terminator und ohne den Hauch von Müdigkeit. Auch nicht in München.

Sutherland und seine beiden Schauspielerkollegen Carlos Bernard und Annie Wersching haben die zwei vergangenen Nächte in München offensichtlich auch zum Kneipen-Sightseeing genutzt. Das merkt man an Sutherlands Stimme. Davon abgesehen steht er aber wie immer unter Strom. Als nach ein paar Minuten für Sekunden keine Fragen aus dem Publikum kommen, will er schon aufspringen und gehen. Als Carlos Bernard über seine Rolle des Tony Almeida referiert, raunt Sutherland dreimal ein abwesendes "blablabla" in sein Mikrofon und beginnt zu pfeifen. Aber es geht auch ernst.

Bernard lüftet sein Jackett und zeigt stolz den Obama-Schriftzug auf seinem T-Shirt. Ob die erste "24"-Staffel von 2002, in der schon ein Schwarzer US-Präsident wurde, seiner Zeit voraus war und Einfluss auf die Wahl hatte, lautet eine Frage. Sutherland doziert mit vernichtend eisigem Bauer-Blick. "Wir machen nur TV, Obama ist das reale Leben." Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. Ob er damit recht hat, wird man zur nächsten amerikanischen Wahl sehen. In der gerade angelaufenen siebten "24"-Staffel residiert im Weißen Haus erstmals eine Frau. Philipp Crone

Schauspieler Kiefer Sutherland stellt die siebte "24"-Staffel vor. Foto: AP

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Ein Mann, ein Versprechen

Washington zelebriert den Beginn einer neuen Zeit: Millionen sind vor das Kapitol gezogen, um ihren ersten schwarzen Präsidenten und sich selbst zu feiern. Es sind Huldigungen voller Hoffnung, Heiterkeit und Pathos. Und Barack Obama schwört die Nation auf einen mutigen Aufbruch in schweren Zeiten ein

Von Reymer Klüver und Christian Wernicke

Washington - Einen Blizzard in der Nacht hat es nicht gegeben. Aber bitterkalt ist es, genauso wie damals, als vor fast einem halben Jahrhundert die Nation das letzte Mal einem so jugendlich wirkenden Mann auf den Marmorstufen des Kapitols so erwartungsfroh entgegenfieberte. Viel, viel mehr Menschen sind es als damals bei John F. Kennedy, als Schnee die Straßen blockierte.

Eine unglaubliche Kulisse ist es. Schon am frühen Morgen, sechs Stunden vor dem Amtseid kurz vor Mittag, sind die Metrozüge in die Stadt gedrängt voll. Trotzdem sind die Menschen ausgelassener Stimmung. Einer brüllt: "Ich will den Messias sehen." Ein anderer hat eine Trompete dabei und spielt "America the beautiful". In Capitol South, der Metrostation am Kapitol, singen ein paar auf der Rolltreppe "Oh when the Saints go marching in" - und alle stimmen ein.

Hunderttausende, ja Millionen stehen inzwischen auf dem braunen Rasen der Mall, drängen sich auf der schmalen Parkschneise, die sich von hier aus drei Kilometer weit gen Westen erstreckt. Sie jubeln, brüllen, lachen, klatschen, soweit man das hier oben am Kapitol hören und sehen kann. Blitzlichter flackern überall auf, obwohl es taghell ist. Ein Meer an Menschen. Ein Meer an Sympathie und Hoffnung. Und nur die schwarzen Silhouetten der Scharfschützen auf den gewaltigen weißen Museumsgebäuden entlang der Mall erinnern daran, wie stets präsent die Furcht ist, dass dieses Freudenfest der Nation ein jähes Ende finden könnte.

Als President-Elect, wie sie es nennen, als der gewählte Präsident der Vereinigten Staaten, so schreibt es das Protokoll vor, betritt Barack Obama, 47 Jahre alt, dieses eierschalenweiß lackierte Holzpodium unterhalb des mächtigen, marmorweißen Kuppelkolosses des Kapitols. Rosetten haben sie über die Brüstung gehängt, in den Farben der Nation Blau-Weiß-Rot. Einen beige-braunen Plastikklappstuhl haben sie für ihn bereitgestellt, erste Reihe ganz rechts, hinter sich sind seine Frau und die beiden Mädchen, Malia und Sasha, platziert. Als Präsidentenfamilie werden sie die Szenerie verlassen.

Es ist ein hoch feierlicher Akt mit reichlich Pomp. Oben auf der steinernen Balustrade des Kapitols sind 14 Trompeter und zwei Trommler der Army, den Kopf in blaue Pelzmützen gehüllt, um ihn mit einer schmetternden Fanfare zu begrüßen. Amerika feiert sich und den neuen Mann im Weißen Haus, der sich nun anschickt, dem Land zu erklären, warum es nicht nur auf ihn, den 44. Präsidenten der USA, ankommt, den ersten schwarzen Vormann der Nation. Sondern dass sie alle, dass alle Amerikaner in der Verantwortung stehen - und dass er sie in die Verantwortung nehmen will.

Klar, dass alle seine Worte nun gewogen werden, gemessen an den Ansprachen seiner Vorgänger. 55 Reden waren es. Und viele gab es da, die als zu leicht befunden wurden, über die zu Recht der wohltätige Mantel des Vergessens gebreitet wurde. William Henry Harrison, der neunte Präsident, etwa sprach fast zwei Stunden lang, bei Regen und kaltem Wind - vier Wochen später war er tot, Lungenentzündung. Und was hat noch gleich William Jefferson Clinton gesagt, der letzte demokratische Präsident? Dem Gedächtnis ist es wohl nicht ganz zu Unrecht entschwunden.

Aber ein paar der Reden haben doch die Zeiten überdauert. Lincolns zweite Inaugurationsrede, kurz vor Ende des Bürgerkriegs, war ganz knapp. Exakt 703 Wörter hat sie umfasst. Sie sind im Lincoln Memorial am Ende der Mall, genau gegenüber vom Kapitol, in den Stein gemeißelt. Die Worte etwa, dass nun die Zeit gekommen sei, "die Wunden der Nation zu binden". Und Obama hat sich diese Worte dort vor zehn Tagen selbst noch einmal angeschaut. Das war natürlich alles andere als ein Zufall.

Oder Franklin Roosevelts erste Ansprache an die hoffende, darbende Nation. Noch heute können Amerikas Schulkinder den Kernsatz der Rede zitieren, dass "die einzige Sache, die wir zu fürchten haben, die Furchtsamkeit selbst ist".

Und John F. Kennedys Rede, die, wie Obamas Ansprache nun, sich durch ihre Kürze und Prägnanz auszeichnete. Keine 14 Minuten sprach der jugendlich wirkende Senator - der Senator aus Massachusetts. Kennedy prägte den bis heute berühmten Satz: "Und so meine Landsleute, fragen Sie nicht, was Ihr Land für Sie tun kann - fragen Sie, was Sie für Ihr Land tun können."

Welch enormer Druck muss auf Obama gelastet haben. Gezeigt hat er es jedenfalls nicht. "Obama ist der rhetorisch Begabteste seit JFK", gab etwa Kennedys legendärer Redenschreiber, der alte, fast blinde Ted Sorensen, vorab zu Protokoll, "und ich denke mal, wir werden die wortgewaltigste Rede seit Kennedys Ansprache vor 48 Jahren hören." Und es sind nicht nur die Worte, es sind die Umstände, die auf den Schultern des großen - Obama misst 1,87 Meter - aber doch irgendwie schmächtig wirkenden Mannes ruhen. Er hatte sie selbst benannt, am Wochenende, als er seinen Vizepräsidenten per Sonderzug in dessen Heimatstadt Wilmington in Delaware abholte: "Eine Wirtschaft, die ins Stocken geraten ist. Zwei Kriege, einer, der verantwortlich zu Ende gebracht werden muss, einer, der klug geführt werden muss. Ein Planet, der wegen unserer untragbaren Abhängigkeit vom Öl immer wärmer wird."

Und nun hat er das alles in eine Rede zusammengeschmiedet. Und die Kreise schließen sich. Hier, am Fuße des Kapitols, holt den 44. Präsidenten das Erbe der ersten Präsidenten ein, jenes Kapitel von Amerikas Geschichte, über das der schwarze Mann im Wahlkampf so merkwürdig selten reden wollte: die Sünde der Sklaverei, die jahrhundertelange Schande der Rassentrennung. Jetzt aber, da die schneeweißen Marmorquader den dunklen Teint Obamas noch einen Hauch mehr hervorheben mögen, sprechen die Steine.

Denn dieses Fundament von Amerikas Demokratie legten einst rechtlose Leibeigene. Ungefähr 400 der insgesamt 600 Männer, die vor mehr als 200 Jahren hier Fels beschlugen, Trägerbalken sägten oder das sumpfige Erdreich am Potomac trockenlegten, waren Sklaven. Ziemlich genau dort, wo an diesem kalten Dienstag im Januar 2009 Tausende geladener Ehrengäste auf den beigebraunen Klappstühlen der säkularen Krönungsmesse beiwohnen, standen damals lumpige Zelte als Behausung für die Afro-Amerikaner. Und nur eine Straße weiter, wo nun der klassizistische Tempel des U.S. Supreme Court in den Himmel ragt, florierte Washingtons Sklavenmarkt.

Das Gespenst der Sklaverei wird Barack Obama, den angeblich "post-rassischen Präsidenten", überall in der Hauptstadt auflauern. In seinem neuen Heim an der Pennsylvania Avenue zumal, das ebenfalls auf einem Fundament sklavischer Plackerei steht: Ungefähr 120 Sklaven, so hat der Journalist Jesse Holland recherchiert, halfen seit 1792, den Keller des damals noch "President's House" genannten, blütenweißen Herrenhauses auszuheben. Einige der Leibeigenen hatte der Architekt James Hoben selbst als Privateigentum beigesteuert - gegen Leihgebühr, versteht sich. Acht von Obamas Amtsvorgängern fanden nichts weiter dabei, in ihrer Dienerschaft Leibeigene zu beschäftigen. Eine Sklavin im Besitz von Thomas Jefferson, dem intellektuellen Heros der amerikanischen Revolution, brachte im Untergeschoss des präsidentiellen Amtssitzes 1806 das zweite Kind zur Welt, das je in diesem Gemäuer geboren wurde. Die Annalen vermerken, das Baby sei zwei Jahre später gestorben.

Nur leider, solcherlei Details verschweigt das Museum für amerikanische Geschichte. Der graue Betonklotz an der Mall, nach langer Renovierung erst vor einigen Wochen neu eröffnet, ist für viele US-Bürger dieser Tage eine Fluchtburg: Hier finden sie Schutz vor der Kälte und dem Eiswind, hier suchen sie - nach 20 Minuten Geduld in der Warteschlange vor der Sicherheitskontrolle - ein warmes Örtchen samt Wasserspülung statt eines der 7000 grünen Plastikhäuschen draußen am Straßenrand. Und manche kommen sogar, um sich geschichtlich zu erbauen.

Zum Beispiel die Pearsons. Die schwarze Familie lebt im rauen, heruntergekommenen Südosten der Hauptstadt. Ja, so räumen sie ein, es sei "schon ein paar Monate her", dass sie sich das letzte Mal aufgerafft hätten zu einem Ausflug ins offizielle Washington, ins herrschaftliche Zentrum ihrer Kapitale. Obama hat den Pearsons Beine gemacht. Nun stehen Vater und Sohn, John und John Jr., im Foyer des Museums und albern herum mit diesem hochgewachsenen Kauz in der altmodischen Verkleidung mit dunklem Baumwollanzug und hohem Zylinder. "Weißt du, wer ich bin?" "Ja, Sie sind dieser Lincoln", erwidert der zehnjährige John Jr. und grinst: "You set us free!" Der wiederauferstandene 16. Präsident der Vereinigten Staaten strahlt ob dieses Lobes für die Befreiung und hält dem Bengel seine rechte Hand entgegen: "High Five!"

Abraham Lincoln ist der älteste unter den drei Amts-Ahnen, auf deren Schultern Barack Obama stehen will. Lincoln, der Republikaner, hielt die Union im Bürgerkrieg zusammen, und per Proklamation erklärte der Hüne zum 1. Januar 1863 alle Sklaven in den rebellischen Südstaaten für befreit. Obamas Wahlkampagne zelebrierte vom ersten Tag an die Nähe zu Lincoln; als bis dato letzte Etappe dieser Inszenierung fuhr der Ex-Senator aus Chicago am Wochenende in einem altertümlich drapierten Eisenbahnwaggon die Gleise ab, auf denen schon der erste und bislang einzige US-Präsident aus dem Staate Illinois in die Hauptstadt gerollt war. Die TV-Bilder von Obamas stählernem Triumph-Zug sollten seinen Anspruch auf Lincolns Erbe untermauern, sie ließen ihn mehr denn je als Präsidenten aller Amerikaner erscheinen. Nicht rechts oder links, vorwärts! Ein Schuft, der Obama da noch einen Linken schelten will.

Die Kette der Lincoln-Symbole reißt bis Dienstag nicht ab. Auch beim heiligsten Akt, dem Eid auf die profane Verfassung, ist der Altvater der Republik gegenwärtig: Auf exakt jene braune Bibel in Michelle Obamas Händen, auf die am Dienstagmittag ihr Ehemann Barack seine Linke legt, hatte 1861 auch schon Ol' Abe geschworen, "die Verfassung der Vereinigten Staaten zu bewahren, zu schützen und zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe".

Lincoln - genauer sein marmornes Memorial am Westende der Mall - ist auch das Bindeglied zu Martin Luther King. Hier hatte der Prediger 1963 jene gewaltige Rede vom Traum von der Gleichheit und Versöhnung der Rassen gehalten, deren Versprechen nun Obama mit seiner Kür zum US-König auf Zeit einlöst. Der 44. Präsident spürt die Last dieses Auftrags, und selbst seine Töchter Malia, 10, und Sasha, 7, erinnern ihn an diese Mission. Vorige Woche, als die Obama-Familie das Memorial besichtigte und auf der Rückwand Lincolns sehr knappe, von Trauer um die Kriegstoten durchdrungene Rede zu seiner Wiederwahl entdeckte, da wollte Sasha wissen, ob ihr Daddy nun ein ähnliches Traktat abliefern müsse. "Na ja, das ist eigentlich nur eine Kurzfassung - aber ja, das werde ich tun." Da ging Malia, die ältere Schwester, dazwischen: "Erster afro-amerikanischer Präsident - hoffentlich wird das gut!" Wie einst Lincoln verspricht nun Obama, eine gespaltene Nation zu heilen.

Der zweite Kreis, den der neue Präsident an diesem Dienstag mit einem seiner Vorgänger schließt, ist der Bund mit FDR. Denn wie Franklin Delano Roosevelt drückt Obama aufs Tempo. Und wie Roosevelt in den dreißiger Jahren will er seine wichtigsten Reformprojekte binnen hundert Tagen auf den Weg bringen - ehe die Bedenkenträger im Kongress wieder Oberwasser bekommen. Noch ehe Obama überhaupt im Amt war, überredete er die Skeptiker in den Reihen seiner eigenen Partei, 350 Milliarden Dollar herauszurücken, die zweite Stützungsrate für die notleidenden Finanzinstitutionen des Landes. Und dass er innerhalb der ersten vier Wochen im Amt sein Konjunkturprogramm von inzwischen mehr als 800 Milliarden Dollar durch beide Kammern des Parlaments bringt - daran besteht auch kein Zweifel mehr. Mehr als eine Billion Dollar auf einmal, so viel konnte noch kein Präsident vor ihm ausgeben.

Geradezu ostentativ hat Obama die Geschichte seiner Vorgänger studiert. Das ist den Amerikanern nicht entgangen. Obama begreift die Krise, die gewaltige Wirtschaftskrise, in die das Land geschlittert ist, als Chance. So wie einst Franklin Roosevelt die Gelegenheit beim Schopf ergriff. Und so wie Roosevelt es als seine erste Pflicht ansah, den zweifelnden, den verzweifelnden Amerikanern die Grundtugend ihres Landes zurückzugeben, die Zuversicht, das Vertrauen auf eine bessere Zukunft, so verbreitet Obama unverdrossen und ansteckend Optimismus. "Ich habe so einen Glauben an das amerikanische Volk", sagte er ein paar Tage vor der Inauguration in einem abendlichen Fernsehinterview. "Wenn du es ihnen einfach erklärst - das ist die Herausforderung, deswegen sind wir da reingeschlittert, das ist der neue Kurs, den wir einschlagen müssen -, dann glaube ich fest daran, dass das amerikanische Volk diese Herausforderungen meistern wird."

Hatte FDR im März 1933 nicht genauso gesagt, dass er die Krise "mit einer Offenheit und einer Entschiedenheit", angehen wolle, "wie es die gegenwärtige Lage unseres Volkes veranlasst"? Dass er die "Wahrheit und nichts als die Wahrheit" sagen wolle? Obama folgt dem Drehbuch des großen Alten: "Deshalb wird es sowohl in der Inaugurationsrede wie auch in den Monaten danach mein Job sein, so ehrlich und wahrheitsgemäß zu erklären, wie die Umstände sind", kündigte Obama vor ein paar Tagen an - und vergaß wie FDR die positive Wende nicht: "Dann werden wir gemeinsam diese Probleme lösen." Wieder schließt sich ein Kreis.

Und dann ist da natürlich noch Kennedy. Bis zum Klischee verkommen ist die Verbindung zum verehrten, jungen, unvollendeten Präsidenten - der schwarze Kennedy. Von Obama wurde das zweifelsohne nach Kräften befördert. Tatsächlich haben die Amerikaner seit Kennedy keinem jüngeren Präsidenten die Führung der Nation anvertraut als nun Obama. Und keiner hat mehr Begeisterung hervorgerufen. Keine Familie mit zwei so jungen Kindern residierte seither im Weißen Haus. Und beflügelt der Chicagoer Chic der neuen First Lady nicht schon die Modespalten der Zeitungen und die einschlägigen Magazine so, wie es einst die moderne Eleganz Jackie Kennedys tat? Die große Show mit Bruce Springsteen und Tom Hanks am Sonntag am Lincoln Memorial macht es unübersehbar, wie sehr Obama - so wie Kennedy - die Nähe von Hollywood und den großen Entertainern Amerikas sucht, immer im Wissen, dass die Botschaft auch Botschafter braucht.

Es ist eben die Botschaft, die Obama an Kennedy interessiert. Wie Kennedy ruft er seine Landsleute auf, nicht nur zu warten, dass ihnen der Staat in der Not hilft, sondern darüber nachzusinnen, welchen Beitrag sie selbst zum Gedeih der Nation leisten könnten. So wie Kennedy in seiner Inaugurationsrede davon sprach, dass "in der langen Weltgeschichte nur wenige Generationen" vor vergleichbaren Herausforderungen standen, so hat Obama in den letzten Wochen immer wieder die Verantwortung der gegenwärtigen Generation für das Wohl und Wehe Amerikas beschworen - und direkt von Kennedy geborgt: "Im Laufe unserer Geschichte stand nur eine Handvoll Generationen so ernsten Herausforderungen gegenüber, wie wir es jetzt tun", sagte er am Sonntag. Und dann fügte er in einer Wendung wie einst Kennedy hinzu: "Lasst uns alle unseren Teil dazu tun, dieses Land wiederaufzubauen." Am Montag rief er dann die Nation zu einem nationalen Dienst-Tag auf und half selbst im Sasha-Bruce-Youthwork, einem Heim für entwurzelte junge Schwarze, ein paar Wände türkisblau zu tünchen. "Wenn wir nur darauf warten, dass etwas getan wird, geschieht nie was", sagte er vielleicht mehr für die Kameras als für die schwarzen Kids. "Wir müssen alle selbst Verantwortung übernehmen - und das nicht nur heute."

Wie Kennedy eine ganze Bewegung junger Leute lostrat, die sich im Peace Corps etwa in aller Welt engagierten, so vernetzen Obamas Leute nun im Internet Aktivisten: USAService.org heißt die Website, die ähnlich wie die Netzseite Obamas im Wahlkampf Zehntausende, vielleicht Hunderttausende zusammenfinden lässt, die sich für die Gemeinschaft engagieren wollen. Im Nebeneffekt erhält sich Obama so die 13 Millionen E-Mail-Adressen, die im Wahlkampf zusammengekommen sind und die dieser neuen Organisation übertragen werden. Auch so schließt sich, wenn man so will, ins digitale Zeitalter übertragen, ein Kreis zu Kennedy.

Ehe das alles Früchte trägt, wenn denn den Worten Obamas die Taten vieler folgen, wird es dauern. An diesem Dienstag aber lässt Obama keine Zeit verstreichen. Kaum ist er zur vollen Mittagsstunde vereidigt, setzt sich dem Protokoll zufolge eine Handvoll schwarzer Vans des Secret Service vom Kapitol aus auf direktem Weg in Richtung Weißes Haus in Bewegung - die Pennsylvania Avenue entlang, die am Nachmittag die Route ist für die große Parade. In den Vans mit den getönten Scheiben sitzen die ersten von 20 engen Mitarbeitern Obamas, die sofort die Büros und Telefone im Weißen Haus in Beschlag nehmen sollen. Nach einem Mittagessen im Kapitol sollen weitere Mitarbeiter folgen.

Der neue Präsident selbst, so ist es vorgesehen, begleitet derweil seinen Vorgänger George W. Bush durch die Korridore des Kapitols bis vor die Stufen an dessen Ostseite. Dort wartet ein Hubschrauber der Marines mit laufenden Motoren. Formationen aller Waffengattungen defilieren noch an den beiden Männern und ihren Stellvertretern, dem alten und dem neuen Vizepräsidenten, vorbei, angeführt von der US Army Band. Zum Schluss, so steht es im Drehbuch, kommt eine Abteilung Pfeifer, sie spielen den Yankee Doodle, eine alte patriotische Weise aus der Zeit der Gründerväter. Dann steigt der Hubschrauber in einer großen Linkskurve auf und fliegt, über die Köpfe der Massen auf der Mall hinweg, George W. Bush aus der Stadt hinaus. Das Ende einer Ära. Der Beginn einer neuen Zeit.

Er will nicht nach links und nicht nach rechts, er will vorwärts

Drei Kreise sind es, die sich nun schließen

"Wenn wir nur darauf warten, dass etwas getan wird, geschieht nie was"

"Ich will den Messias sehen": Bei eisiger Kälte hat sich eine unüberschaubare Menschenmasse auf dem braunen Rasen der Washingtoner Mall versammelt, um Barack Obamas Amtseinführung mitzuerleben. Foto: Reuters

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Blick in die Presse

Altes Leid, neuer Heiler

Europas Kommentatoren sehen in US-Präsident Barack Obama keinen Messias. Sie erwarten konkrete Politik:

ADEVARUL (Rumänien):

"Die Angst hat die Märkte blockiert und von Obama wird erwartet, dass er diese Furcht vertreibt. Dies wird ihm nicht über Nacht gelingen. Aber sein inspirierender und ehrlicher Diskurs, das Beispiel, das er gesetzt hat, indem er als Außenseiter alle Hindernisse überwunden und gesiegt hat - dies wird vielen Menschen Vertrauen geben. Um eine Nation zu retten, bedarf es keiner Wunder. Korrektes Verhalten und richtige Entscheidungen werden das Signal sein, dass die Dinge sich zum Richtigen wenden."

MAGYAR HIRLAP (Ungarn):

"Auch die prächtige Amtseinführung wird in Washington nicht vergessen lassen, dass Obama der erste amerikanische Präsident der post-amerikanischen Weltordnung sein wird. Denn die 1990 vorausgesagte Welt mit nur einem Machtpol ist nicht entstanden. Zwar ist die Geschichte nicht an ihrem Ende angekommen, sondern sie scheint eher zu ihrem im 18. und 19. Jahrhundert abgebrochenen Lauf zurückzukehren. Abermals ist die Weltpolitik kein moralischer Kampf zwischen Gut und Böse, sondern das Terrain pragmatischer Interessensgegensätze. Die Debatten kann man auch nicht als liberaler Messias auslöschen, sondern sie müssen an großen runden Tischen geführt werden."

LE MONDE (Frankreich):

"Barack Obama ist ein überzeugter Patriot. Er wird vor allem ein amerikanischer Präsident sein, der die wirtschaftlichen und strategischen Interessen seines Landes verteidigt. Und nicht eine Art internationaler Aktivist, der die zahlreichen Krankheiten des beginnenden 21. Jahrhunderts kurieren will. Und doch macht er einen Unterschied. Seine Geschichte - seine komplexe Herkunft, die Jahre, die er in Indonesien verbracht hat - hat seine Sicht der Welt geprägt: Er weiß, dass die Welt die USA nicht immer so sieht, wie diese sich selbst sehen."

BERLINER ZEITUNG:

"Die USA stecken in einer gigantischen Wirtschaftskrise, sie führen zwei Kriege und leiden an ihrem schlechten Image in der Welt. Wonach diese Nation sich sehnt, ist jemand, der die Wunden heilt. Barack Obama will dieser Heiler sein. Das ist ein großes Wagnis. Doch am Tag seiner Vereidigung hat der neue Präsident bereits eines seiner Versprechen wahrgemacht: Er hat zumindest für heute die Nation geeint oder, wie manche es in den USA sagen, geheilt."

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Wettlauf der Friedensbringer

Warum Merkel und Steinmeier auch im Wahljahr 2009 im Nahen Osten vermitteln müssen

Von Daniel Brössler

Zu den Mysterien des Heiligen Landes zählt seine Anziehungskraft auf Politiker. Unermüdlich pilgern sie aus aller Welt an die Stätte eines Konfliktes, der den Vermittlern doch nur viel Mühe bei bescheidenem Lohn zu versprechen scheint. Zweimal ist Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier während des Gaza-Krieges in die Region gereist, einmal - im Kreise wichtiger Politiker aus der Europäischen Union - auch Kanzlerin Angela Merkel. Nun, da erst einmal die Waffen schweigen, ist Steinmeier an die Kollegen in der EU herangetreten mit einem Stichwortkatalog für eine fünfstufige konzertierte Initiative der Europäer für dauerhafte Ruhe in und um Gaza.

Europäische, vor allem auch deutsche Politiker geraten rasch wahlweise in den Verdacht des Größenwahns oder des blinden Aktionismus, wenn sie für einen Frieden eintreten, dessen Konturen bisher nicht erkennbar sind. In der Tat schweigen die Waffen ja nicht deshalb, weil Steinmeier oder Merkel so sehr darum gebeten haben, sondern vor allem aus dem Grund, dass Israel den rechten Zeitpunkt für gekommen hielt - also nach dem Erreichen wesentlicher militärischer Ziele und vor dem Einzug des neuen US-Präsidenten Barack Obama ins Weiße Haus.

Warum also nicht warten, bis Obama und seine Außenministerin Hillary Clinton sich eingearbeitet und des Nahen Ostens angenommen haben? Darauf gibt es mindestens zwei Antworten. Die erste: weil keine Zeit zu verlieren ist. Die zweite: weil die Zeiten sich geändert haben. Knapp ist die Zeit, weil auf die Ruhe von Gaza kein Verlass ist und die Gewalt wieder ausbrechen könnte, bevor Obama und Clinton sich dem Nahen Osten zuwenden. Doch auch dann - und in dieser Hinsicht haben sich die Zeiten eben geändert - würden die USA als einsame Vermittler keinen Erfolg haben. In der Ära George W. Bush hat das Gewicht abgenommen, das die USA in die diplomatische Waagschale werfen können. Über Nacht werden auch Obama und Clinton den Schaden nicht beheben - zumal eine klare Nahost-Linie bisher fehlt.

Es stimmt, dass die EU militärisch in der Region kein Faktor ist. Es trifft auch zu, dass sie bislang mit fast allen Stimmen spricht, die es zum Nahost-Konflikt geben kann. Und dennoch fällt ihr automatisch ein Teil der Verantwortung zu, weil es an anderen Akteuren fehlt, die in Israel wie der arabischen Welt neben den USA akzeptiert werden. Beim Kampf gegen den Waffenschmuggel in den Gaza-Streifen etwa wird sich Israel nicht allein auf die Zusagen aus Washington verlassen können. Dies schon deshalb, weil das auf die Wahrung seiner Souveränität bedachte Ägypten Rat und Tat für seine Grenzschützer eher von Europäern annehmen wird als von den Amerikanern.

Einen großen Teil dieser europäischen Verantwortung wird Deutschland schultern müssen. Denn so redlich es sich mühen mag, bedarf Tschechien als EU-Ratspräsident im schwierigen Geschäft der Nahost-Diplomatie der Unterstützung. Diese muss ohne Überheblichkeit angeboten werden, was Steinmeier auch dank eines guten Drahtes zu Tschechiens Außenminister Karel Schwarzenberg offenbar gelingt. Dem vor Selbstbewusstsein berstenden Frankreich des Nicolas Sarkozy fiele dies deutlich schwerer. Eine aktive Rolle Deutschlands in der Gaza-Krise ist keine Anmaßung, sondern folgt einer auch für andere EU-Partner nachvollziehbaren Logik.

Bleibt der Verdacht, dass Kanzlerin und Kandidat sich im Wahljahr 2009 einen Wettlauf um gute Bilder als Friedensbringer liefern. Als unerwünschter Nebeneffekt des Wahlkampfes ist das hinzunehmen, solange die Reibungsverluste und Eifersüchteleien zwischen Kanzleramt und Auswärtigem Amt nicht überhandnehmen. Nicht jede Initiative mag dieser Tage frei von Aktionismus sein. Schlimmer aber wäre es, würde die deutsche Diplomatie bis zum 27. September den Schalter schließen.

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Kleiner Erfolg, großes Problem

Warum die Grünen nun dem Konjunkturpaket zustimmen wollen, das sie jüngst noch gegeißelt haben

Von Nico Fried

Versetzen wir uns noch einmal zurück zum Wahlabend in Hessen. Die gewaltigen Stimmenzuwächse von FDP und Grünen sowie die lausigen Ergebnisse von CDU und SPD wurden - neben hessischen Spezifika namens Koch und Ypsilanti - auch dem Verdruss vieler Wähler an der großen Koalition in Berlin zugeschrieben. Diese große Koalition müht sich derzeit, die Wirtschaftskrise zu bekämpfen, und zwar in einer Weise, an der FDP und Grüne bislang wenig - oder besser gesagt: nichts - Positives fanden. Beide Sachverhalte nun zusammengenommen, konnte man das Wahlergebnis auch als Kritik an der Konjunkturpolitik der Bundesregierung interpretieren - und etliche Grüne und Liberale formulierten das auch so.

Insofern ist es erstaunlich, dass sich wiederum FDP und Grüne plötzlich darin überbieten, über die Landesregierungen, an denen sie beteiligt sind, der großen Koalition ihre Hilfe anzudienen. Die Liberalen forderten am Montag immerhin noch ein bisschen mehr Steuererleichterungen, die Grünen wollten am Dienstag nur noch ein Detail der Abwrackprämie geändert wissen. Beide Parteien aber ließen deutlich erkennen, dass sie im Bundesrat nicht scheitern lassen wollen, was ihre Vertreter im Bundestag jüngst noch als Sammelsurium, Flickschusterei, Veräppelung, Schrott, Frechheit oder Voodoo-Ökonomie bezeichnet haben.

Den Grünen ist es damit gelungen, der FDP eins auszuwischen. Die Liberalen sind die Rolle des alleinigen Mehrheitsbeschaffers wieder los, die ihnen, das sei zugegeben, auch viele Medien voreilig zusprachen.Das ist ein hübscher kleiner Erfolg der Grünen, der allerdings ein hässliches großes Problem kompensieren muss: Wie erklärt man, dass jetzt nahezu bedingungslos zu verteidigen ist, was vergangene Woche noch fast bedingungslos zu verdammen war? Wiegt ein taktischer Sieg über die FDP mehr als politische Grundsätze? Gerade die grüne Klientel soll da ja sehr empfindlich sein.

Die Bundesregierung aber ist nun in einer Lage, von der sie wohl kaum zu träumen wagte. Sie kann sich aussuchen, wessen Hilfe sie annimmt. Die SPD wird den Grünen entgegenkommen wollen, die Union eher der FDP. Womöglich gelingt es Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier auch, beide Parteien einzubinden - nationale Kraftanstrengung, Bündnis der Vernunft und so.

Man muss nicht gleich so weit gehen, in ihrer unvermuteten Hilfsbereitschaft ein Eingeständnis der Opposition zu sehen, dass die Regierung ihren Job in der Wirtschaftskrise gar nicht so schlecht macht. Eher ist es wohl die Einsicht bei FDP und Grünen, dass alles Mäkeln nicht hilft, wenn die große Koalition mit Moneten um sich wirft. Es braucht Mut, sich der Verteilung von 50 Milliarden Euro zu widersetzen. Jenseits aller parteitaktischen Überlegungen aber gibt es auch einen guten Grund, warum gerade die Bundesländer sich dem Konjunkturpaket nicht verweigern sollten: Sie profitieren am meisten davon.

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Unterricht mit Grips

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung hat Berlin 308 Millionen Euro für bessere Bildung versprochen. Das ist schön. In vielen Schulen der Stadt platzt nicht nur der Putz von den Wänden, die Pädagogen klagen auch über immer mehr Kinder aus Migrantenfamilien, die zu schlecht Deutsch können, zu wenig leisten, kriminell werden. Wenn Schulleiter nun vor dem "bildungspolitischen Aus" warnen, liegt das aber nicht nur am fehlenden Geld. Es ist auch eine Folge pädagogischen Versagens.

Es ist unübersehbar, dass in deutschen Metropolen der Anteil der Migrantenkinder wächst. In der Berliner City kommen heute 60 Prozent der Schüler aus zugewanderten Familien, in manchen Klassen sind es 90 Prozent. Ob es den Lehrern passt oder nicht - sie müssen diese Kinder heranbilden, es sind und bleiben Bürger dieses Landes. Wer nicht will, dass da ein Verliererheer heranwächst, muss das Jammern einstellen und mehr Grips in zeitgemäßen Unterricht stecken.

Es reicht nicht mehr, sich wie in den 60ern vor eine Klasse zu stellen und zu erwarten, dass alle gleich schnell lernen. Es ist auch zu bequem, das Lehrtempo so lange zu drosseln, bis den Schulen die Bildungsbürgerkinder davonlaufen. Differenzierung muss so selbstverständlich werden wie in anderen Ländern. Pädagogen müssen ein doppeltes Programm anbieten: für Leistungsstarke und -schwache. Auch die Gewalt an Schulen kann man eindämmen, durch Konfliktlotsen und engagierte Intervention. Erfolgsschulen in Brennpunkten wie Kreuzberg machen das vor. Vor allem aber müssen echte Ganztagsschulen her, in denen Kinder nachmittags weiterlernen, und zwar mit Lehrern. Das Modell "Mutti macht Hausaufgaben" ist ausgelaufen. lion

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Tödliche Zufälle

Natürlich könnte alles Zufall sein, ein tragisches Zusammentreffen, aber dafür spricht nicht viel. In Moskau wird im Schatten des Kreml vor Dutzenden Zeugen der Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow erschossen, der die Interessen einer tschetschenischen Familie gegen einen russischen Offizier vertreten hat. Wenige Monate zuvor wurde vor dem Regierungssitz Wladimir Putins ein tschetschenischer Feldkommandeur erschossen. Und in Wien stirbt ein Flüchtling, ebenfalls Tschetschene, nachdem der Verfassungsschutz die Drohungen gegen ihn ignoriert hat. Zweieinhalb Jahre nach dem Mord an Anna Politkowskaja ist Tschetschenien noch immer ein Thema, das Leben kosten kann.

Dabei ist es stiller geworden um die Kaukasus-Republik. Vor vier Jahren noch war Grosny eine Trümmerwüste, ein Hiroshima, aber nun ist es aus Ruinen auferstanden mit Cafés und Boutiquen und einem Putin-Boulevard. Doch der Krieg wirft lange Schatten, bis nach Moskau und Europa. Tschetscheniens irrlichternder Präsident Ramsan Kadyrow hat seine Macht rücksichtslos gefestigt, nun bastelt er brutal am Image, präsentiert Tschetschenien als Perle des Kaukasus, in die selbst einstige Kritiker zurückströmen. Flüchtlinge passen schlecht in dieses Bild. Klagen wegen Misshandlungen und Mord, die sich nicht mehr mit dem militärischen Ausnahmezustand rechtfertigen lassen, noch schlechter.

Russland hat sich um die Täter dieses Krieges so wenig gekümmert wie um die Opfer. Am liebsten würde es diese furchtbare Zeit vergessen. Solange vor den Toren des Kreml die Leichen von Anwälten und Journalisten abgeladen werden, die dieses Schweigen gebrochen haben, wird das nicht gelingen. zri

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Im Starrsinn gefangen

Und wieder sind die Gespräche über eine Machtteilung in Simbabwe geplatzt. Präsident Robert Mugabe kämpft verbissen um seine Herrschaft. Die wichtigsten Ministerien will er der Opposition von Morgan Tsvangirai, dem designierten Premier, nicht zugestehen. Das passt zu Mugabes absurden Durchhalteparolen und seinem perversen Satz: "Simbabwe ist mein". Weil aber die Armee und die Sicherheitskräfte noch immer hinter dem alten Mann stehen, der das Land in den Ruin getrieben hat, gelingt es der Opposition in Harare nicht, Mugabe unter Druck zu setzen.

Allein die afrikanischen Nachbarstaaten, allen voran der Wirtschaftsmotor Südafrika, können auf Mugabe noch stärker einwirken, schließlich ist Simbabwe ein Binnenland und ohne die Transitrouten und Versorgungswege an die Küste nicht fähig, zu überleben. Nur die Nachbarn können Tsvangirais Verhandlungsgewicht erhöhen, indem sie Mugabe klarmachen, dass sie weitere Alleingänge und Tricksereien nicht mehr dulden. Womöglich ist der Starrsinn des alten Mannes aber schon so groß, dass er die Signale von außen nicht mehr zur Kenntnis nimmt. Die mächtigen Generäle und Parteifunktionäre um Mugabe werden die Warnungen aber hören. Und sie werden sich gut überlegen, wie lange sie Mugabe noch als Präsidenten halten können, wenn sie von ihren Nachbarn scharf geächtet werden. Dann muss Mugabe irgendwann fallen.

Noch versuchen die Afrikaner, das Abkommen vom September durchzusetzen, in dem Mugabe Präsident bleibt und Tsvangirai Premier wird. Mit einem Staatschef, der droht und unfähig ist, Kompromisse zu schließen, hat diese Lösung aber kaum noch eine Chance. perr

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Im Dienst Amerikas

Von Stefan Kornelius

Das Geheimnis des Menschenfischers ist an diesem Tag gut zu erahnen, wo sich Millionen zu seinen Ehren versammelt haben. Da ist sie zu greifen, jene Spannung, von der Barack Obama so trefflich lebt, da sind all die Gegensätze, die sich bekanntlich anziehen. Der Präsident als Projektionsfläche: der Schwarze in der multikulturellen Nation Amerika; der Mann aus einfachen Verhältnissen, der es bis an die Spitze des Landes geschafft hat; Obama, der im Wohnheim für junge Obdachlose die Wände malert und Obama, der das Weiße Haus bezieht; und schließlich der scheinbar so demutsvolle Obama, der nun ein machtvolles Amt ausfüllt, das eigentlich keine Zweifel zulässt.

Obamas Aufstieg ist eine moderne Märchengeschichte, gespickt mit Zutaten aus dem Cybernet und der globalisierten Welt. In ihr gibt es Kenia und Honolulu, Krieg und Hoffnung, Depression und Aufstieg. Es ist eine anrührende Geschichte, in der die Naivität der beiden Obama-Kinder als Beleg dafür dient, dass wir alle staunend vor diesem Phänomen stehen dürfen: "Erster schwarzer Präsident, hoffentlich geht das gut", sagte die Tochter kürzlich in aller Öffentlichkeit. Wie schön, dass da einer von Zweifeln geplagt ist und dennoch den Mut aufbringt, diese Herkules-Aufgabe zu schultern.

Am meisten Spannung aber hat Obama mit seiner inneren Einstellung geschaffen. All seine Pathos-geladenen Worte zeugen von einer Demut, die nicht selbstverständlich ist für einen amerikanischen Präsidenten. Da scheint einer zuzuhören, nicht nur zu befehlen. Da scheint einer um den besten Weg zu ringen, nicht alles bereits zu wissen.

Diese Einstellung erklärt, warum Obama zum Menschenfischer wurde, warum er ein Unterstützerheer von Millionen von Freiwilligen im Wahlkampf mobilisierte und sogar in Deutschland 200 000 Menschen auf die Straße trieb. Mach Dich klein, damit andere sich groß fühlen können - das ist Obamas Führungsprinzip, das ihm zu seiner besonderen Größe verhilft.

Keine andere Vokabel umschreibt diesen Stil besser als responsibility, was sich nicht nur mit "Verantwortung" oder "Zuständigkeit" übersetzen lässt, sondern auch mit "Pflicht". Responsibility, der Schlüsselbegriff in Obamas Denk-Universum, steht für eine dienende Haltung, eine klassische Tugend, die so gar nicht von Arroganz oder Machtwahn zeugt. Responsibility ist Obamas Kurzfassung für den berühmten Kennedy-Satz, ebenfalls bei einer Amtseinführung vorgetragen: Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann, frage, was Du für Dein Land tun kannst. Mit diesem Aufruf zur Verantwortlichkeit gibt Obama die Last des Amtes zurück an die Wähler, er verteilt die Aufgaben auf viele Schultern, und er gibt der amerikanischen Politik eine neue Richtung vor.

Denn war es nicht der Irak-Krieg, der so hochgradig verantwortungslos war? Waren es nicht provozierende, unverantwortliche Formulierungen, wie die von der "Achse des Bösen", das "mit uns oder gegen uns", die Formel vom "alten und neuen Europa", die den Vereinigten Staaten am Ende die Gefolgschaft kosteten? Und wie steht es um die Pflicht zur Mäßigung, zur Selbstbescheidung, wo doch alle Welt bereits wusste, dass es sich bei diesem Staat um den mächtigsten seit Rom handelte?

Responsibility steht für eine dienende Haltung. Und so stellt sich da einer in den Dienst seines Volkes, obwohl er doch an der Spitze dieser Menschen steht und von ihnen bewundert und getragen wird. Obamas Machtdemonstration war an diesem 20. Januar auf der Mall in Washington zu sehen, wo sich Millionen stellvertretend in die Pflicht nehmen ließen. Wer so viel Begeisterung und freiwillige Gefolgschaft generiert, der macht es den Gegnern Amerikas schwer. Das Feindbild USA, von vielen lustvoll geschürt und von Terroristen brutal ausgebeutet, wird von heute an nicht mehr so leicht funktionieren.

Amerikas Schwäche war nämlich nicht nur George W. Bush und seiner Kamarilla geschuldet, sondern einer Geisteshaltung, die sich im ganzen Land breit gemacht hatte: einem imperialen Größenwahn, einem Machtrausch, der nicht mal Platz für Freunde ließ. Das Land hatte dadurch erst seine Anziehungskraft verloren. Obamas größte Leistung besteht bisher darin, dass er mit dem Tag der Amtseinführung diesen Magnetismus wieder aktiviert hat. Plötzlich schauen Menschen in aller Welt wohlwollend auf Amerika, auf diese positive und dynamische Gesellschaft, die so viel Freiheit erlaubt. Die Millionen bei der Amtseinführung auf der Mall haben das Feindbild Amerika geschliffen und damit das Land weniger angreifbar gemacht.

Die Eidesformel - das Amt ehrenvoll zu führen und die Verfassung des Landes zu bewahren, zu schützen und zu verteidigen - beschreibt, wofür Barack Obama nun die Zuständigkeit trägt. Bisher hat der neue Präsident dieses Versprechen mit großen Vokabeln gefüllt: Vertrauen, Hoffnung, Wandel und eben responsibility. Ein verantwortungsbewusstes Amerika - das kann Barack Obama vom ersten Tag an garantieren. Seinem Land und der Welt hätte er damit schon einen wichtigen Dienst erwiesen.

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Florian Havemann Sohn eines DDR-Dissidenten und Kandidat der Linkspartei

Mit einem selbstbewussten Satz hat Florian Havemann, Sohn des 1982 noch zu Lebzeiten der DDR verstorbenen SED-Kritikers Robert Havemann, seine Absicht bekundet, bei der Bundestagswahl im Herbst auf der Landesliste der Linkspartei in Brandenburg zu kandidieren: "In Staat und Politik stehen große Veränderungen bevor, auf die ich als unabhängiger Kopf und Intellektueller vielleicht Einfluss nehmen kann." Das klingt nicht, als hätte hier einer Lust auf Parteidisziplin. Es klingt eher nach: Ich will da rein.

Die Linkspartei, vormals PDS, hat Havemann 1999 als juristischen Laien für das Amt eines Verfassungsrichters in Brandenburg nominiert, das er derzeit noch innehat. Seine zehnjährige Amtszeit endet jedoch 2009. Für den Bundestag hat er schon einmal auf einer PDS-Landesliste kandidiert, im Jahr 2002 in Sachsen, allerdings vergeblich.

Florian Havemann, geboren 1952 in Ost-Berlin, entstammt einer untergegangenen Welt: der kulturellen und intellektuellen Aristokratie der frühen DDR. Daran, dass es diese seltsame Schicht in der Welt des deutschen Sozialismus gegeben hat, lässt er in dem Ende 2007 erschienenen 1100-Seiten-Buch "Havemann" keinen Zweifel. Es enthält unter den "Ich-Ich-Ich"-Kaskaden, mit denen es die Form der Autobiographie wie einen Expander dehnt, einen der faszinierendsten deutschen Familienromane des zwanzigsten Jahrhunderts.

Das Buch verfolgt die Lebensgeschichte des Großvaters und Vaters vom Ersten Weltkrieg und Expressionismus, über Nationalsozialismus und die Aufbaujahre der DDR bis hinein in die ästhetische und politische Opposition zur Zeit des Prager Frühlings; diese Bewegung war ein lange Zeit kaum wahrgenommenes östliches Gegenstück zu den 68ern im Westen und zu den Vorboten der Punk-Welle. Der junge Florian Havemann, befreundet mit dem Schriftsteller Thomas Brasch, wurde nach seinem Protest gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR für einige Monate inhaftiert. 1971 floh er in den Westen. Wolf Biermann, der mit Robert Havemann befreundet war, widmete dessen Sohn das wenig freundliche Abschiedslied "Enfant perdu". Florian Havemann publizierte 1978 im Spiegel eine Attacke auf seinen Vater, die diesen schon damals der politischen Sphäre entführte und zum Helden eines monströsen Familienromans machte.

Die Genealogie des Kultur-Adels der DDR war keine des Blutes, sondern der Gesinnung. In seinen Affären waren privater und politischer Verrat oft nicht zu unterscheiden. In Havemanns Buch "Havemann" aus dem Jahre 2007 avanciert Wolf Biermann zum Gegenspieler des Ich-Erzählers, der dem Sänger eine Affäre mit Margot Honecker nachsagt. Nicht nur Familienmitglieder gingen juristisch gegen "Havemann" vor. Der Suhrkamp Verlag musste Ende 2007 die Auslieferung stoppen. Seit Herbst 2008 liegt eine zweite Auflage vor, in der etwa sieben Prozent des Textes geschwärzt sind. Der Rest ist mehr als genug, um sich ein Bild von dem potentiellen Bundestagskandidaten Florian Havemann zu machen. Er konfrontiert Teile der Linkspartei mit ihrer Herkunft. Lothar Müller

Foto: AP

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Zehn Liter reiner Alkohol pro Kopf

Die Deutschen trinken zu viel - Suchtexperten fordern Werbeverbot

Berlin - Trotz eines leichten Rückgangs trinken die Deutschen jährlich immer noch knapp zehn Liter reinen Alkohol pro Kopf - und liegen damit weltweit auf Platz sechs. "Das Konsumniveau ist weiterhin inakzeptabel hoch", sagte Rainer Gaßmann, Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (Hamm), am Dienstag bei der Vorstellung des aktuellen Jahrbuches Sucht in Berlin. Schätzungsweise 9,5 Millionen Menschen waren danach 2007 hierzulande von legalen Suchtmitteln - von Alkohol über Tabak bis hin zum Glücksspiel - abhängig.

Während der Konsum der umstrittenen Alkopops nach den Preiserhöhungen unter Jugendlichen von 64 Prozent (2003) auf 45 Prozent (2007) sank, stieg der Anteil der jungen "Rauschtrinker" dramatisch: Gut ein Viertel der 12- bis 17-Jährigen greift laut Jahrbuch mindestens einmal im Monat zu fünf oder mehr alkoholischen Getränken. Nach wie vor sei die Werbung für alkoholische Getränke zu allgegenwärtig, kritisierten die Suchtexperten. "Es gibt ja kein Fußballspiel oder keinen Krimi, der ohne Werbepartner präsentiert wird", sagte Reiner Hanewinkel vom Kieler Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung. 104 Millionen Euro ließ die Branche sich ihre Werbung 2007 kosten, 77 Millionen waren es im Jahr zuvor.

Obwohl immer noch ein Drittel der Männer und knapp ein Viertel der Frauen in Deutschland zur Zigarette greifen, ging der Pro-Kopf-Konsum 2007 auf 1111 Stück zurück (2006: 1335). Immer noch unterschätzt sei die Tablettensucht, sagte der Gesundheitsökonom Gerd Glaeske (Uni Bremen). Etwa 1,5 Millionen Menschen sind abhängig von Medikamenten mit Suchtpotential; vor allem Ältere und Frauen greifen laut Jahrbuch zu den Pillen, die legal vom Arzt oder Apotheker zu beziehen sind. Das Spektrum reicht von Schlaf- und Beruhigungsmitteln bis zu Schmerztabletten und Hustensäften. "Hier sind vor allem die Ärzte in ihrer Verantwortung gefordert: 12 bis 15 Prozent von ihnen verordnen über 50 Prozent der fragwürdigen Mittel", mahnte Glaeske. Kritisch sieht er auch die sogenannten Psychostimulanzien. Glaeske warnte davor, die anregenden Mittel als "Alltagsdoping" leichtfertig zu konsumieren und übers Internet von dubiosen Quellen zu bestellen. dpa

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Mann hat Frau angeblich lebendig begraben

Köln- In Köln hat am Dienstag ein Prozess gegen einen Mann begonnen, der seine Freundin lebendig begraben haben soll. Die Staatsanwaltschaft warf dem 40-Jährigen heimtückischen Mord aus niedrigen Beweggründen vor. Er soll Angst gehabt haben, dass sich seine 24-jährige Freundin jüngeren Männern zuwenden könnte. Der Angeklagte betrat am Dienstag lächelnd den Saal des Landgerichts, brach aber später in Tränen aus. Nach Darstellung der Anklage lockte der Mann seine Freundin am 18. Mai vergangenen Jahres auf das Gelände einer Kölner Klinik. Er gab vor, dort 300 000 Euro vergraben zu haben und forderte die Frau auf, mit ihm zusammen das Geld wieder auszugraben. Als die Grube ausgehoben war, schlug der 40-Jährige der Frau mit einem Totschläger auf den Kopf und drosselte sie bis zur Bewusstlosigkeit. Dann zog er sie in die Grube und schüttete den Körper mit Erde zu, so die Staatsanwaltschaft. Die Anklage geht von einem heimtückischen Mord aus niedrigen Beweggründen aus. Motiv des 40-Jährigen soll seine Angst gewesen sein, die Frau könnte ihn wegen eines anderen Mannes verlassen. dpa, AP

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Baumängel führten zu Kirchen-Einsturz

São Paulo - Nach dem Einsturz eines Kirchendaches in São Paulo laufen die Ermittlungen zur Unglücksursache. Die umstrittene Pfingstgemeinde "Wiedergeburt in Christus" räumte nach Angaben der Zeitung Folha de São Paulo ein, dass im Herbst 2008 die Abdeckung des Dachs von einer Firma erneuert wurde. Unklar ist, ob diese unangemeldeten 70-tägigen Arbeiten der Auslöser des Dacheinsturzes von Sonntag sind, bei dem neun Frauen ums Leben kamen und mehr als 100 Menschen verletzt wurden.

Der Zivilschutz vermutet, die Holzstützträger des Daches waren durch die installierten Ventilatoren, Scheinwerfer und TV-Kameras einer zu hohen Last ausgesetzt. Die Kirche ist Weltsitz der Pfingstgemeinde, die etwa 1500 Tempel vor allem in Brasilien, aber auch in Argentinien und den USA unterhält. Die brasilianischen Behörden ermitteln gegen die Kirchengründer, den Ex-Manager Estevam Hernandes und seine Frau Sonia, wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. dpa

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Von Bamberg nach Bollywood

In Deutschland ist das Fotomodell Claudia Ciesla weitgehend unbekannt - in Indien verehrt man sie als Star

Von Claudia Fromme

Das Priya Kino in der Rashbehari Avenue in Kalkutta, im Auftrag ihrer Majestät lässt sich James Bond in "Quantum of Solace" gerade durch die Luft jagen. Die Zuschauer reißt es von den Sitzen, wie das so ist im Kino in Indien. An die tausend sind da. Plötzlich geht das Licht an. Unruhe, Pfiffe. Der Kinobesitzer springt auf die Bühne und sagt, dass er nicht warten kann, bis der Film zu Ende ist - ein besonderer Gast sei eingetroffen. Dann zieht er eine sehr blonde Frau auf die Bühne. Applaus brandet auf, Menschen liegen sich in den Armen. "Claudia! Claudia!" Bond kann warten, jetzt wollen alle von Claudia wissen, was sie von indischen Männern hält. Und wie sie Kalkutta findet. In der Reihenfolge.

So ist das, wenn Claudia Ciesla, Fotomodell aus Bamberg, Indien einen Besuch abstattet.

Im Restaurant "Swarg" in der Bamberger Frauenstraße läuft indische Musik, der Duft von Chicken Jhalfrezi liegt in der Luft. Ein Reporter vom Hörfunk rückt gerade sein Mikrophon vor Claudia Ciesla zurecht, als sich zwei Männer an den Nebentisch setzen. Cieslas Manager Gregor Kaden eilt herbei und fragt, ob sie sich umsetzen könnten. Da wäre ein Radiointerview mit - er spricht ein wenig lauter - "Claudia Ciesla, dem Bollywoodstar aus Bamberg", und ihre Stimmen könnten stören. Einer der Männer schüttelt ungläubig den Kopf und grinst. "Bollywood? Aha". Er möchte seine Oma grüßen, ruft er in Richtung Mikrophon.

So ist das, wenn Claudia Ciesla, Fotomodell aus Bamberg, Bamberg einen Besuch abstattet.

Von Bamberg bis Kalkutta sind es etwa 7240 Kilometer, da kann man viel behaupten. Claudia Ciesla, 21, lacht, sie kennt das. "Es ist ja nicht ganz gewöhnlich, was ich mache", sagt sie mit polnischem Akzent; sie ist vor vier Jahren von Loslau nach Bamberg gezogen. Also hat sie ordnerweise Artikel mitgebracht. Die Times of India titelt "Claudia brings sexy back!" Die Hindustan Times feiert das "European supermodel", der Telegraph aus Kalkutta berichtet von ihrem Besuch in einer Kinderklinik, "Healing hand" steht unter einem Bild, auf dem Claudia Ciesla einem Kind die Wange streichelt. "Man muss den Menschen hier klarmachen, was die Claudia für ein super Typ ist", sagt Gregor Kaden, 61, und tätschelt ihren Arm. Er hat Videos dabei, neun Stunden Claudia. Eindrücke von Drehs, von Männern, die sich nach der Premiere ihres neuen Films "10:10" prügeln, um ihr nahe zu sein. 40 Polizisten mussten dazwischen gehen. Claudia Ciesla sagt: "Ich muss sagen, das ist schon verrückt."

Bollywood dreht sich schneller als Hollywood, und so hat sie ein Jahr nach ihrem ersten Flug nach Indien schon in drei Filmen mitgespielt. Ein bisschen hat dabei sicher auch geholfen, dass sie in der Vergangenheit in sehr luftiger Kluft für Bild posiert hat und ihre Maße nie unerwähnt bleiben: 98-64-96. Claudia Ciesla machte Furore, nicht zuletzt als sich - publizistisch begleitet von Bild - ein Doktor von der Echtheit ihrer Brüste überzeugte und sie beim Alpen Grand Prix 2007 das Lied "Mir ziagt koaner's Dirndlgwandl aus" vortrug. Im Internet brummte es, irgendwann bis Indien, wo Filmproduzent Vivek Singhania auf sie aufmerksam wurde und ihr eine Nebenrolle in seinem Film "Karma" antrug. Claudia Ciesla spielt darin eine ermordete deutsche Touristin, die als Geist zurückkehrt. Bei den Filmfestspielen in Cannes lief "Karma" außer Konkurrenz, im Frühjahr kommt er ins Kino.

Zwar dauert ihr Auftritt in "Karma" gerade mal zehn Minuten, doch fortan interessierte sich vor allem Tollywood, wie die Filmindustrie in Tollygunge bei Kalkutta genannt wird, für die Darstellerin, die so ganz anders ist als die anderen Schauspielerinnen. So blond, so curvy. "Die Inder stehen nicht so auf Hungerhaken", sagt Claudia Ciesla, lacht und stippt Nan-Brot in ihr Linsengericht. Sie ist sie die einzige Deutsche in der Branche.

In ihrem zweiten Film "Ki Jona Pardes" spielt sie eine Frau, die von ihrem Ehemann sitzengelassen wird, in der Mafiaklamotte "10:10" eine deutsche Journalistin. Drei weitere Verträge sind bereits unterschrieben, die Koffer für den nächsten Dreh in Indien längst gepackt. Zeit für Schauspielunterricht bleibt da eher nicht. "Übung kommt beim Drehen", sagt Claudia Ciesla und zuckt mit den Schultern.

Vier Leibwächter beschützen sie

In den Klatschspalten indischer Zeitungen ist sie integraler Bestandteil, die Schiffer von Tollywood. Brautpaare bieten viel Geld, damit sie als Ehrengast ihrer Hochzeit beiwohnt. Inzwischen hängen acht Saris in ihrem Schrank, prachtvolle Designerstücke, kiloschwer. Auswandern wolle sie nicht - trotz der freundlichen Menschen dort. Sie sei nun doch sowieso schon mehrere Monate im Jahr dort, und außerdem sei es etwas anstrengend, derart belagert zu werden. "Ohne Leibwächter gehe ich nie aus dem Haus", sagt sie. Die Chancen, unerkannt zu bleiben, sind gering. Allein in Kalkutta hängen für "10:10" Tausende Plakate, auf denen Claudia Ciesla schulterfrei geheimnisvoll lächelt.

Der Kellner im "Swargat" fragt, ob alles recht sei, und Claudia Ciesla sagt etwas Nettes auf Hindi. In den Filmen spricht sie Englisch - noch. "Für Hauptrollen muss man Hindi lernen", sagt sie. Darum lerne sie nun diese Sprache. "Ich stehe doch noch ganz am Anfang", sagt sie.

In Indien sei alles ein wenig anders, "die großen Namen der Branche sind fast Heilige". Als der westbengalische Star Soumitrada Chatterjee zum ersten Drehtag von "10:10" erschien, fielen die übrigen Darsteller zu Boden und berührten seine die Füße. Der Bamberger Export tat es ihnen nach, und Soumitrada hat sie dann gesegnet. So ist das in Indien. Den Megastar der Branche, Shah Rukh Khan, hat sie noch nie getroffen, was die indischen Medien aber nicht davon abhielt, ihnen ein Verhältnis anzudichten. Das sei eben Indien, alles ein wenig theatralischer, es gehe immer um die ganz großen Gefühle.

Nun aber klingelte vor einer Weile das Telefon vom anderen Kontinent. Uwe Boll, Regisseur umstrittener Güte mit einer beachtlichen Sammlung goldener Himbeeren, möchte sie für eine Nebenrolle verpflichten. An der Seite von Buzz Aldrin, dem zweiten Mann auf dem Mond, soll sie in "Silent Night in Algona" ein polnisches, jüdisches Mädchen spielen, das dem Holocaust entkommen und in die USA geflohen ist. Gedreht wird in der konkurrierenden Traumfabrik, in Hollywood. In Indien habe sie das noch keinem erzählt, sagt Claudia Ciesla. Sie müsse das ihren Freunden schonend beibringen.

"So blond, so curvy": Wenn die 21-jährige Claudia Ciesla aus Bamberg durch Kalkutta geht, begleiten sie gleich vier Leibwächter. Das blonde Fotomodell ist in Indien so etwas wie ein Star, seit sie in ihrem ersten Film "Karma" (links) mitgespielt hat. Inzwischen hat Claudia Ciesla drei Filme auf dem Subkontinent gedreht, Verträge für drei weitere sind abgeschlossen - und nun bekundet also auch Hollywood Interesse. Fotos: kadenpress/oh

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"Enormer Freiheitswillen"

Deutsche Frau will in einem Schweizer Wald wohnen bleiben

Bern - Die Freude ist ausgesprochen einseitig: Zwölf Jahre war Gabriele Schulze aus dem brandenburgischen Städtchen Belzig wie vom Erdboden verschluckt. Sie war geschieden und arbeitslos, als sie 1997 ohne einen Ton zu sagen die Familie - zwei damals bereits volljährige Kinder, die Mutter und eine Schwester - verlassen hatte.

Schweizer Polizisten haben die 52jährige Frau nun in einem Wald bei Bern ausgemacht, und ihre Schwester würde sie gerne in ihre Arme schließen. Doch daraus wird vorerst nichts. Die Waldfrau von Bern würde am liebsten Waldfrau bleiben, auch wenn ihr Unterschlupf aus ein paar Backsteinen, Brettern und Planen praktisch keinen Schutz vor der Kälte bietet.

Sie wolle keinen Kontakt zu ihrer Familie, und nach Deutschland zurückkehren wolle sie schon gar nicht, erzählt Rudolf Burger. Burger ist Gemeindepräsident (Bürgermeister) des Berner Vororts Bollingen, und zusammen mit drei Begleitern hat er die Frau in ihrem abgelegenen Versteck besucht, nachdem die Polizei die als vermisst Gemeldete ausfindig gemacht hatte. Wo Gabriele Schulze zwölf Jahre lang war, wie sie am Ende in die Schweiz gekommen ist und wovon sie lebt, hat auch er nicht so richtig erfahren. "Ich wurde nicht ganz schlau. Teilweise redet sie sehr klar." Gleichzeitig sei sie wohl aber auch geistig verwirrt, erzählt Burger. So habe sie gesagt, sie müsse eine Mission erfüllen und sei kurz davor, diese zu beenden. Worin die Mission bestehe, sei nicht herauszubekommen gewesen. Trotz der harten Lebensumstände mache sie den Eindruck, in guter körperlicher Verfassung zu sein.

Die Behörden spielten zuerst mit dem Gedanken, die Frau in eine psychiatrische Klinik einzuweisen. Doch sie habe, so Burger, "einen enormen Freiheitswillen", und das können Schweizer verstehen. Jetzt ist offen, wie das weitere Leben von Gabriele Schulze aussehen wird. Ihr Versteck verraten Polizei und Bürgermeister auf Wunsch der Waldfrau nicht. Aber sie muss es bald aufgeben, verlangt die Stadt Bern, der der Wald gehört. Bei aller Freiheit muss schließlich auch Ordnung herrschen in der Schweiz.

Gerd Zitzelsberger

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Billy Graham betet nicht

Erstmals seit 40 Jahren fehlt der Pastor beim Amtseid

Washington - Seit Lyndon B. Johnsons Amtseinführung 1965 hat Billy Graham noch für jeden neuen Präsidenten gebetet - außer 2001, als bei George W. Bush Grahams Sohn Franklin einspringen musste, weil Vater Billy krank war. Doch mit Obama wird es anders. Erstmals seit mehr als 40 Jahren nehmen die Grahams nicht an der Amtseinführung teil. Graham personifiziert das Image vom gläubigen Amerika. Gegen seine Anwesenheit bei der inauguration am Dienstag sprach jedoch seine schlechte Gesundheit. Sein 90-jähriger Vater sei schon "glücklich", wenn er morgens aus dem Bett komme, sagte Franklin Graham der Zeitschrift Christianity Today. Franklin selbst kam nicht in Frage.

Franklin Graham hat den Islam attackiert als "böse" Religion. In Christianity Today betonte er, dass Jesus die Herzen aller Menschen "reinige", die sich bekehrten. Jesus sei auch für Muslime gestorben. Mit dieser Theologie kann Barack Obama wenig anfangen. Er verstehe sich als wiedergeborener Christ, sagte er der Chicago Sun Times. 1988 habe er bei einem Gottesdienst zu Christus gefunden. Andere Religionen führten aber auch zu der "höheren Macht". Am besten sei Glauben, wenn er "mit einer großen Zugabe von Zweifel kommt", denn es sei enormer Schaden angerichtet worden im Namen von Religion und Gewissheit. Besonders wichtig sei ihm Jesu Auftrag, den "Hungrigen Essen zu bringen", den "Geringsten Priorität zu geben und nicht den Mächtigen". Nach Meinung vieler Amerikaner steht Obamas Version des Glaubens für das Heute, Billy Grahams für das Amerika von gestern.

Mit seiner Wahl der Pastoren für die Amtseinführung hatte Obama trotzdem für Unruhe gesorgt. Für den Segen bei der Feier am Dienstag wählte er Rick Warren, Pastor einer evangelikalen Großkirche in Kalifornien, die aktiv ist im Kampf gegen Aids in Afrika, aber auch gegen die Homoehe eintritt. Die Einladung sei "eine Ohrfeige" für Obamas schwule und lesbische Wähler, protestierte ein Antidiskriminierungs-Verband.

Obamas Berater, der protestantische Theologe Shaun Casey, beschwichtigte: Obama fühle sich dem Pluralismus verpflichtet. Man müsse die Teilnehmer an der Feier "in ihrer Gesamtheit" sehen. Für den Segen am Ende der Amtseinführung wurde der 87-jährige Methodist Joseph Lowery ausgewählt, in den 60er Jahren ein Mitstreiter von Bürgerrechtsführer Martin Luther King. Beim nationalen Gottesdienst am Mittwoch predigt Sharon Watkins, die Präsidentin der liberalen Christian Church. Noch nie zuvor hat eine Frau bei diesem Gottesdienst die Predigt gehalten. Nach den Protesten gegen Warren gab es Trost für die Kritiker. Der schwule Bischof Eugene Robinson sprach am Sonntag bei einer Veranstaltung am Lincoln-Denkmal. In Washington wird gerätselt, welcher Gemeinde die Obamas beitreten werden. In einem Interview sagte Obama, für einen Präsidenten sei es "schwierig", eine zu finden. epd

Repräsentiert das "alte Amerika"- Prediger Billy Graham. Foto: AP

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Wurzel im Mau-Mau-Aufstand

Barack Obama hat keinerlei familiäre Bindungen an die britischen Inseln - das könnte das Verhältnis trüben

Von Wolfgang Koydl

London - Sie mögen einst zwar im Streit auseinandergegangen sein und zwei bittere Kriege gegeneinander geführt haben. Aber seit dem Frieden von Gent 1815 war das Verhältnis zwischen den USA und dem ehemaligen britischen Mutterland von Sympathie, Wohlwollen und Freundschaft geprägt. Briten und Amerikaner erkannten trotz aller Meinungsunterschiede, dass sie sich in Krisen aufeinander verlassen konnten.

Darüber hinaus bestimmte special relationship auch das persönliche Verhältnis amerikanischer Präsidenten zu ihren Kollegen in der Londoner Downing Street. Angefangen bei George Washington stammten die Vorfahren amerikanischer Präsidenten - abgesehen von Ausnahmen wie dem deutschstämmigen Dwight Eisenhower - von den britischen Inseln. Historisch enge Bande wurden häufig durch persönliche Erinnerungen ergänzt: Bei manchen, wie bei George Bush senior, war es die Waffenbrüderschaft im Zweiten Weltkrieg, bei anderen, wie bei Bill Clinton, die Erfahrung als Student in Oxford. Sogar die katholisch-irischen Kennedys bewahrten sich eine positive Einstellung zum einstigen Unterdrückerstaat. Familienpatriarch Joseph Kennedy vertrat sein Land als Botschafter in London.

Perle des Empire

Der neue amerikanische Präsident Barack Obama freilich schreibt auch in diesem Punkt ein neues Kapitel in der Geschichte beider Nationen. Denn er ist der erste Bewohner des Weißen Hauses, dessen Familienhintergrund nicht transatlantisch geprägt ist, sondern afrikanisch. Als sein Vater im Jahre 1936 in dem Dorf Kanyadhiang am Victoria-See geboren wurde, war er Untertan seiner britannischen Majestät im fernen London.

Kenia war eine Perle des britischen Empire. Klima und Geographie machten das ostafrikanische Land anziehend für Farmer aus England. Es ist mithin weniger die Geschichte schwarzer Diskriminierung in den Vereinigten Staaten, die sich durch Obamas persönliche Historie zieht, sondern die nicht weniger bittere Kolonialgeschichte Afrikas. Diese Geschichte aber wurde im Wesentlichen von Großbritannien einseitig und auf äußerst autoritäre Weise geschrieben. Dessen Polizeiorgane verhafteten den Großvater des heutigen Präsidenten, Hussein Onyango Obama, 1949 wegen seiner Kontakte zur kenianischen Unabhängigkeitsbewegung der Mau Mau, die später einen Aufstand begannen. Er wurde zwei Jahre lang als politischer Häftling festgehalten und im Gefängnis gefoltert.

Obama ist sich dieser Geschichte bewusst; schließlich hat er darüber in seinem Buch "Dreams from My Father" geschrieben. Selbst wenn er sich politisch in seinen Beziehungen zu Britannien nicht davon beeinflussen lassen wird, so wird ihm die Kolonialgeschichte doch unbewusst präsent sein.

Schwierige Geschichte: Obama und der britische Premier Brown. Foto: dpa

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Hoffnung auf ein offenes Ohr

Berlin erwartet von der neuen US-Regierung, dass Amerika die Politik der Alleingänge beendet

Von Paul-Anton Krüger

München - Große Hoffnungen und Erwartungen setzen sowohl die Bundesregierung als auch die Opposition in die neue US-Regierung von Barack Obama. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete die Amtseinführung im ARD-Morgenmagazin als "wirklich große Stunde für Amerika", in der sie eine Vielzahl von Chancen sehe. "Ich hoffe, dass unsere Zusammenarbeit davon geprägt ist, dass man einander zuhört" sagte die Kanzlerin. Entscheidungen müssten mit dem Wissen getroffen werden, dass ein Land nicht allein die Probleme der Welt lösen könne. Dies könne nur gemeinsam gelingen. "Und in diesem Geist werde ich ihm auch begegnen", versprach Merkel.

Ein erstes Treffen mit dem neuen US-Präsidenten in Deutschland wird es vermutlich am 3. April im Zuge des Nato-Gipfels in Baden-Baden geben. Merkel kündigte an, sie werde Obama auch nach Berlin einladen; einen Termin für einen Antrittsbesuch gibt es laut Regierungssprecher Ulrich Wilhelm noch nicht. Berater Merkels stimmen sich aber bereits mit Mitarbeitern Obamas in zentralen Fragen ab, insbesondere mit Blick auf den Nato-Gipfel, bei dem es gleich um mehrere heikle Themen gehen wird: die Erweiterung der Allianz, das neue strategische Konzept und das weitere Vorgehen in Afghanistan.

Obama hat der Kanzlerin dem Vernehmen nach signalisiert, er sei bereit, die Begrenzungen des Bundeswehr-Einsatzes dort zu akzeptieren. Deutsche Truppen nehmen bislang nicht an Kämpfen im Süden und Westen des Landes teil, wo die Taliban erbitterten Widerstand gegen die von der Nato geführte Isaf-Truppe leisten. Obama hatte angekündigt, die US-Truppen in Afghanistan um 30 000 Soldaten aufzustocken. Daraufhin wurden Forderungen laut, die europäischen Alliierten müssten im Sinne einer Lastenteilung ihr Engagement ebenso verstärken. Merkel fand aber offenbar Gehör bei ihrem Werben für einen "vernetzten Sicherheitsbegriff", der zivilem Wiederaufbau hohen Stellenwert einräumt.

Obama sucht zudem im Verhältnis zu Russland den Rat der Kanzlerin. Er hat bereits angedeutet, dass er auslaufende Rüstungskontrollverträge erneuern will und den von Moskau kritisierten Plänen für die Stationierung eines Raketenschilds in Polen und Tschechien kritisch gegenübersteht. Erste Positionierungen der Regierung Obama zur Sicherheitspolitik und zum transatlantischen Verhältnis erwarten Diplomaten auf der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang Februar. In der neuen Regierung werde ihr als erstem wichtigen Auftritt in Europa hoher Symbolwert beigemessen.

Strengere Finanzregeln

Wie Merkel forderte auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) von Obama eine enge Zusammenarbeit bei der Bewältigung der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise und der "gemeinsamen Arbeit an einer transparenten und verlässlichen Architektur des Weltfinanzsystems". Die Vorgängerregierung unter George W. Bush hatte sich lange gegen die von Deutschland geforderte Regulierung der Finanzmärkte gestemmt, Obama aber hält strengere Regeln für nötig. Steinmeier nannte als weitere Themen einer "neuen transatlantischen Agenda" den Kampf gegen den Klimawandel, mehr Energiesicherheit, die Abrüstungspolitik und die Bewältigung der Konflikte im Nahen Osten, Afghanistan und des Atomstreits mit Iran. Kontakte zum Team um Obama pflegte das Auswärtige Amt schon in Wahlkampfzeiten, Steinmeier empfing den damaligen Präsidentschaftskandidaten freundschaftlich im Auswärtigen Amt, während der Besuch im Kanzleramt kühler verlief.

FDP-Chef Guido Westerwelle betonte, er erhoffe von der neuen US-Regierung einen "neuen Respekt vor den Menschenrechten" und die Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo auf Kuba. Zudem solle man Obama in der Abrüstungspolitik beim Wort nehmen, wenn er sage, er strebe eine Welt ohne Atomwaffen an. Grünen-Chefin Claudia Roth sagte, sie erwarte, dass Obama "Schluss macht mit "dem menschenrechtswidrigen Krieg gegen den Terror", dessen Exzesse dem Ansehen der USA so geschadet hätten. Linksfraktionschef Gregor Gysi sprach von einem "Jahrhundertereignis". Die Menschheit wünsche sich, dass die USA dem Völkerrecht wieder Geltung verschafften und Krieg nicht länger als Mittel der Politik ansähen. Wie die anderen Bundespolitiker räumte er ein, man dürfe die Erwartungen nicht übertreiben.

Bekanntes Terrain: Barack Obama als Präsidentschaftskandidat im Juli 2008 in Berlin. Foto: dpa

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Der Duft des Vertrauens

Auf T-Shirts und Ansteckern, Skateboards, Tellern und Münzen, Kugelschreibern, Tassen, Halsketten und Uhren ist Barack Obamas Gesicht in Washingtoner Souvenirshops zu sehen. "Am besten verkauft sich der Wackelkopf-Obama", verrät der Geschäftsführer eines Andenkenladens. Die Aufgeregtheit um Obama sei viel größer als bei früheren Präsidenten. "Die Leute lieben ihn einfach." Im Internet gibt es ein zu Ehren des neuen Amtsinhabers kreiertes Parfüm "Potus1600", "ein Duft, dem sie vertrauen können", wie der Hersteller verspricht, "rein, mit einer erfrischenden Mischung von Zitronen, Blattgrün und Meeresbrise". Es gibt Hundenäpfe mit der Aufschrift "Poodles for Obama" oder "Rottweilers for Obama". In Nagelstudios kann man sich Obama-Bilder auf die Fingernägel kleben lassen. Der Puppen-Designer Jason Feinberg hat den Demokraten als Actionfigur gestaltet. Den vielleicht teuersten Fan-Artikel bietet www.abccarpet.com an: Einen Obama-Designer-Drehstuhl für 2500 Dollar.

Mitregieren im Internet

Die offizielle Internetseite der US-Präsidenten www.WhiteHouse.gov kommt unter das Kommando von jungen und experimentierfreudigen Technik-Spezialisten aus Obamas Team. Die Webpräsenz soll alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen, versprechen die Macher. Die Bürger sind aufgefordert, politische Vorschläge einzureichen und die Vorschläge anderer zu bewerten. Die Denkanstöße sollen bis an die Spitze der Regierung gelangen, verspricht Obamas Direktor für Neue Medien, Macon Philips. Außerdem will die Regierung Protokolle der Treffen mit Lobbyisten veröffentlichen, um Transparenz zu schaffen. "Ihr Platz am Verhandlungstisch", heißt die Anwendung.

Obdachlose müssen weichen

Auf Anordnung der Behörden mussten vor den Feiern zum Regierungswechsel hunderte Obdachlose ihre Notquartiere in den Straßen von Washington räumen. "Uns wurde gesagt, dass wir erst am Donnerstag wiederkommen dürfen", berichtet der 37-jährige Frank Mearns, dessen provisorische Schlafstatt mitten in jener Sicherheitszone liegt, die während der Obama-Feiern für den Verkehr gesperrt ist. In der Innenstadt leben 1200 Menschen auf der Straße. Die Kosten für Obamas Amtseinführung werden auf mehr als 75 Millionen Dollar geschätzt - eine Zahl, die David Pirtle zornig macht. "Das zeigt doch unsere Prioritäten: Wir schmeißen eine Millionenparty und wollen gleichzeitig die Armen und Obdachlosen unter den Teppich kehren", sagt der Sozialarbeiter. Die Stadtverwaltung richtete für Obdachlose 2800 Notbetten ein - samt Zugang zu Fernsehern, um die Vereidigung live verfolgen zu können.

"Das Biest"

Nach seiner Vereidigung wird Barack Obama in einer Spezial-Limousine unterwegs sein. US-Medien zufolge trägt sie wegen ihrer Panzerung und der technischen Finessen den Spitznamen "Das Biest". Obamas Gefährt im James-Bond-Stil hat eine knapp 13 Zentimeter dicke Panzerung. Glas und Räder sind schusssicher. Der Innenraum ist den Angaben zufolge komplett versiegelt, um chemische Anschläge abzuwehren. "Man kann sagen, dass die Sicherheit des Wagens ihn zum technisch ausgereiftesten geschützten Fahrzeug der Welt machen", sagt Nicholas Trotta, Vize-Direktor der Geheimdienst-Abteilung für Schutzvorkehrungen.

Im Rollstuhl zur Feier

Auch ihr hohes Alter von 105 Jahren konnte eine Obama-Anhängerin nicht davon abhalten, bei der Vereidigung des ersten schwarzen US-Präsidenten dabeizusein. Ella Mae Johnson reiste im Rollstuhl für die historische Amtseinführung aus Cleveland (Ohio) nach Washington. Klirrende Kälte und die Massen von Menschen konnten sie nicht davon abhalten, so nah wie möglich dabei zu sein. Über Obama sagte die schwarze Amerikanerin: "Meine Hoffnung für ihn ist meine Hoffnung für das Land." SZ

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Trauer am Tatort: Am Tag nach dem Doppelmord an dem Moskauer Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasija Baburowa brachten viele Moskauer Blumen in die Pretschistenka-Straße, so auch die Menschenrechts-Aktivistin Ludmilla Alexejewa. Nach Angaben der Ermittlungsbehörden gab es zunächst keine heiße Spur von dem Mörder. Die Polizei wertete die Aufnahmen von Überwachungskameras vom Tatort aus. Foto: AP

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"Herzzerreißende Szenen"

Lage im Gaza-Streifen entsetzt UN-Generalsekretär Ban

München - Als erster ranghoher internationaler Politiker hat am Dienstag UN-Generalsekretär Ban Ki Moon den Gaza-Streifen besucht. Ban zeigte sich über die Kriegszerstörungen schockiert. Er sprach von "herzzerreißenden Szenen", die ihn mit Trauer erfüllten. Er verurteilte sowohl die exzessive Gewaltanwendung durch Israel als auch die palästinensischen Extremisten. Während des Ban-Besuchs forderten Vertreter der Hamas vor den Toren des teilweise zerstörten UN-Quartiers in Gaza-Stadt eine internationale Anerkennung ihrer Regierung. Die UN - wie auch die anderen Mitglieder des Nahost-Quartetts USA, EU und Russland - lehnen aber alle Verhandlungen mit der radikal-islamischen Gruppe ab, weil sie Israel nicht anerkennen will.

Die Sachschäden im Gaza-Streifen nach der 22-tägigen Militäraktion werden nach palästinensischen Angaben auf 1,9 Milliarden US-Dollar geschätzt. Saudi-Arabien hat bereits Hilfe in Höhe von einer Milliarde Dollar zugesagt. Mehr als 1300 Palästinenser starben bei der Offensive. Nach israelischen Informationen wurden auch zehn Soldaten - davon vier durch eigenes Feuer - getötet, und drei Zivilisten in Israel durch palästinensischen Raketen-Beschuss. Inzwischen haben Soldaten berichtet, dass sie sich über den geringen militärischen Widerstand der Hamas gewundert hätten. "Es gab ein paar Scharfschützen und ein paar Mörsergranaten, aber Nahkampf - nichts dergleichen", sagte ein Infanterist der Agentur AP. Den Grund dafür sah er in der großen Feuerkraft der Armee.

Für die Öffnung der Gaza-Grenzen hat Außenministerin Tzipi Livni nun eine Freilassung des im Juni 2006 entführten Soldaten Gilad Schalit zur Bedingung gemacht. Unterdessen setzte die Armee ihren Abzug aus dem Küstenstreifen fort. Regierungschef Ehud Olmert sagte, der Wiederaufbau Gazas dürfe nicht der Hamas überlassen werden, weil dies der Organisation Legitimität geben würde.

Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy will in enger Absprache mit Ägypten in wenigen Wochen in Paris eine internationale Nahost-Konferenz ausrichten, wie der Figaro berichtete. Im Mittelpunkt soll die Schaffung eines Palästinenserstaates stehen. csc

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Auftragsmord mit Ansage

Tschetschene hatte in Wien vergeblich um Schutz gebeten

München - Der vor einer Woche in Wien auf der Straße ermordete tschetschenische Flüchtling Umar Israilov hatte schon Monate zuvor vergeblich um Schutz bei den österreichischen Behörden nachgesucht. Israilov, der als Asylbewerber anerkannt war, hatte am 10. Juni 2008 in Wien dem Verfassungsschutz von "zwei Killern" berichtet, die auf ihn angesetzt seien. Dies berichtete das Wiener Magazin Falter in seiner Dienstag-Ausgabe unter Berufung auf die Ermittlungsakten. Weil das 27-jährige Mordopfer keinen Polizeischutz erhielt, sehen sich die Behörden nun öffentlicher Kritik ausgesetzt.

Anlass zur Beunruhigung hätten auch andere Hinweise geben können, die den Verfassungsschutz erreichten. So wurde dort ebenfalls am 10. Juni 2008 ein weiterer Mann gehört, der in den Akten als Artur K. geführt wird. Er sagte aus, er arbeite für den tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow. Die Abteilung, für die er tätig sei, habe den Auftrag, in ganz Europa tschetschenische Flüchtlinge zu suchen, um sie zur Rückkehr in die Heimat zu bewegen. Es gehe um etwa 5000 Personen. Etwa 500 von ihnen aber wolle man nicht wieder in Tschetschenien haben, sie sollten getötet werden.

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung behauptete Artur K. bei der Vernehmung in Wien auch, in gleichem Auftrag bereits in Deutschland und in Polen unterwegs gewesen zu sein. In diesen beiden Fällen habe er die jeweiligen Personen zur "freiwilligen" Rückkehr nach Tschetschenien überreden können. Sie hätten heute gute Jobs im Dienste Kadyrows. Die Rückkehr-Aktionen sollen offensichtlich dazu dienen, das Image des Moskau-treuen tschetschenischen Präsidenten aufzubessern.

Nicht alle Gesuchten aber wollen zurück nach Grosny. Das galt auch für Umar Israilov. Dieser hatte 2006 eine Klage gegen Kadyrow vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof eingereicht, die bislang aber noch nicht behandelt wurde, weil die Unterlagen unvollständig gewesen sein sollen. In der Klage in Straßburg erhob Israilov gegen Kadyrow persönlich schwere Foltervorwürfe. Israilov sagte aus, auch Artur K. habe ihn aufgefordert, diese Klage zurückzuziehen. Er habe ihn zudem persönlich bedroht. Der mysteriöse K. wiederum sagte dem Verfassungsschutz, er habe zwar den Auftrag, Israilov zu töten, wolle dies aber nicht tun, weshalb er selbst Schutz benötige.

Wie die Wiener Behörden diese Geschichte einschätzten, ist bislang nicht bekannt. In jedem Fall wurde Artur K. nur wenige Tage nach seiner Einvernahme durch den Verfassungsschutz aus Wien mit einem Flugzeug nach Russland abgeschoben. Die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch haben eine rasche Aufklärung des Verbrechens gefordert. Der Vater des Getöteten wirft der Polizei in Wien schwere Versäumnisse vor. Die Ehefrau Israilovs und ihre drei Kinder haben nun Polizeischutz. Christiane Schlötzer

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Stillstand in Simbabwe

Harare - Die Gespräche über eine Machtteilung in Simbabwe sind erneut gescheitert. Nach zwölfstündigen Verhandlungen sagte Oppositionsführer Morgan Tsvangirai am Dienstag: "Dies war wahrscheinlich der schwärzeste Tag in unserem Leben." Laut einem Vertrag von September soll Tsvangirai Premier werden, während Robert Mugabe Präsident bleibt. Strittig ist, wie viel Macht der Premier bekommen soll. Außerdem verwehrt Mugabe der Opposition das Finanz- und das Innenministerium, dem die Polizei untersteht. Mugabes Partei stellt den Verteidigungsminister, der die Armee kontrolliert. Der Despot benutzt die Sicherheitskräfte, um seine politischen Gegner zu unterdrücken. Trotz des erneuten Fehlschlags sollen die Gespräche über eine Machtteilung nächste Woche auf einem Gipfel der südafrikanischen Staaten weitergehen. (Seite 4) SZ

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Kritischer Kontakt: Ein Geflügelhändler im ostchinesischen Hefei. Reuters

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Anschlag auf den Rechtsstaat in Russland

Europarat übt nach Doppelmord an Menschenrechtsanwalt und Journalistin in Moskau scharfe Kritik

Von Sonja Zekri

Moskau - Anfangs sind es nur ein paar Sträuße: Nelken, Rosen, Tulpen. Aber der Haufen wird schnell größer. Nach einer Viertelstunde ist es ein kleiner Berg. Jedes Mal, wenn jemand am Tatort Blumen niederlegt, färbt sich der Schnee unter seinen Fußabdrücken rot. Ein Priester mit lila Samtmütze singt und schwenkt ein Weihrauchfass. Kerzen flackern vor den Fotografien des Anwalts Stanislaw Markelow, 34, und der Journalistin Anastasija Baburowa, 25. Am Montag gegen halb drei wurden sie an dieser Stelle ermordet. Nun sammeln sich Menschenrechtler und Journalisten vor dem Haus in der Pretschistenka-Straße 1, einer feinen Gegend Moskaus, gegenüber der Erlöser-Kathedrale, einen Steinwurf vom Kreml entfernt.

Maria Kaluschskaja ist 18 und hat rote Nelken mitgebracht. Sie hat selbst mal einer Antifa-Gruppe angehört. "Stanislaw Markelow hat viele Menschen gestört. Er hat jenen Angst gemacht, die andere einschüchtern wollen", sagt sie. Maria Kaluschskaja hat Markelow am Montag zum ersten Mal gesehen, aber er war ihr lange vorher ein Begriff. Markelow war nicht nur der Anwalt der ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja. Zu seinen Klienten gehörte der Journalist Michail Beketow, der vor Monaten ins Koma geprügelt wurde, nachdem er den Bau einer Schnellstraße durch einen Moskauer Stadtwald kritisiert hatte sowie ein Antifaschist, der wegen Ruhestörung angeklagt war.

Zu Markelows Klienten zählte auch die Familie von Elsa Kungajewa, die im zweiten Tschetschenienkrieg von dem russischen Panzerkommandeur Jurij Budanow vergewaltigt und ermordet wurde. Budanow hatte anfangs auf Unzurechnungsfähigkeit plädiert, war aber im Sommer 2003 zu zehn Jahren verurteilt worden - und vor wenigen Tagen begnadigt worden, nachdem der Kreml ein erstes Gnadengesuch 2004 abgelehnt hatte. Der Fall galt als Test für Russlands Umgang mit Kriegsverbrechen in Tschetschenien, denn Budanow war der ranghöchste Offizier, der je verurteilt worden war. Nationalisten kritisierten, das Verfahren beschmutze die Ehre der Armee, Menschenrechtler empörte die Freilassung. Am Montag hatte Markelow auf einer Pressekonferenz angekündigt, dass er gegen die Begnadigung gerichtlich vorgehen werde. Auf dem Rückweg vom "Unabhängigen Pressezentrum" schoss ihm ein Mann mit einer Kapuze vor dem Gesicht aus einer Pistole mit Schalldämpfer in den Kopf. Dann schoss er auf Markelows Begleiterin, die ihn festhalten wollte. Anastasija Baburina starb im Krankenhaus. Sie hatte mit dem Fall Budanow nichts zu tun. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Doppelmords. Moskaus Innenstadt wird fast vollständig mit Kameras überwacht, man hofft auf Videos.

"Gemeine Provokation"

Ob der Täter gefunden wird? "Nie", sagt Maria in der trauernden Menge am Tatort. Da drängt sich Gasan Mirsojew durch die Fernsehteams, der Vorsitzende der Anwaltsvereinigung. Er sagt, seine Gilde verliere die Besten: "Früher wurden Anwälte erschossen, die geschäftliche Interessen vertreten haben, aber Markelow hat sich für Verbrechensopfer eingesetzt, so wie es Anwaltspflicht ist." Er wolle einen Brief an Präsident Dmitrij Medwedjew schreiben, der selbst Jurist ist und den "Rechtsnihilismus" geißelte. Dies bedeute "nicht nur den Kampf gegen die Korruption, sondern auch den Schutz der Bürger vor Gewalt. So wie es in der Verfassung steht. Aber davon ist nichts zu spüren", sagt Mirsojew.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier verurteilte die Tat. In Straßburg äußerte Terry Davis, der Generalsekretär des Europarates, Zweifel an der "Lage des Rechtsstaates" in Russland. Die Partei "Gerechte Sache" erklärte, jemand wolle Russland offenbar destabilisieren und "auf seinem Weg zu Freiheit und Demokratie behindern", und Michail Markelow, der Bruder des Ermordeten, bat darum, den Fall nicht politisch auszunutzen: "Ich möchte nicht, dass sich Menschen im Namen meines Bruders zu Demonstrationen zusammenfinden und sich solchen Versammlungen irgendwelche Organisationen anschließen." Budanow selbst erklärte, der Mord sei eine "gemeine Provokation", er habe damit nichts zu tun: "Oder glauben Sie, ich hätte nach ein paar Tagen in Freiheit schon wieder Lust auf Gefängnis?"

Der Mord an Markelow war eine demonstrative Tat, so demonstrativ wie die Ermordung Anna Politkowskajas am Tag vor dem Deutschlandbesuch des damaligen Präsidenten Wladimir Putin. So demonstrativ wie der Tod des Feldkommandeurs Sulim Jamadajew. Der Befehlshaber des tschetschenischen Bataillons "Wostok" hatte sich mit dem tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow überworfen und wurde im September in seinem Auto praktisch vor Putins Regierungssitz im Weißen Haus erschossen. Der Täter ist flüchtig.

Trauer am Tatort: Am Tag nach dem Doppelmord an dem Moskauer Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasija Baburowa brachten viele Moskauer Blumen in die Pretschistenka-Straße, so auch die Menschenrechts-Aktivistin Ludmilla Alexejewa. Nach Angaben der Ermittlungsbehörden gab es zunächst keine heiße Spur von dem Mörder. Die Polizei wertete die Aufnahmen von Überwachungskameras vom Tatort aus. Foto: AP

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Gemeinsam gegen Hutus

Kinshasa - Ruanda hat 1500 Soldaten in das Nachbarland Kongo entsandt, um die dortige Regierung im Kampf gegen Hutu-Rebellen zu unterstützen. Kongos Regierung teilte mit, die gemeinsame Militäraktion im Osten des Landes werde etwa drei Wochen dauern. Die Hutus waren nach dem Völkermord in Ruanda, dem 1994 eine halbe Million Tutsi zum Opfer fielen, nach Kongo geflüchtet. AP

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Ex-Guerilla gewinnt Wahlen in El Salvador

Rechte Regierungspartei muss erstmals seit dem Bürgerkriegsende 1992 die Mehrheit im Parlament abgeben

Von Sebastian Schoepp

München - In El Salvador hat die Nationale Befreiungsbewegung Farabundo Martí (FMLN) bei der Parlamentswahl einen historischen Sieg errungen. Zum ersten Mal gewann die linksgerichtete Partei eine Abstimmung auf nationaler Ebene. Die FMLN erhielt nach vorläufigen Ergebnissen etwa 42 Prozent der Stimmen, die nationalkonservative Regierungspartei Arena kam nur auf 38 Prozent. Sie stellt demnach 32 Sitze im Parlament die FMLN 35. Dem FMLN-Kandidaten Mauricio Funes werden beste Aussichten eingeräumt, im März die Präsidentschaftswahl zu gewinnen. Damit hat der lateinamerikanische Linksruck auch das winzige Land an der mittelamerikanischen Pazifikküste erreicht, das seit Ende des Bürgerkriegs vor 17 Jahren eine konservative Hochburg und der engste Verbündete der Vereinigten Staaten in der Region gewesen war.

Die früheren Fronten des Bürgerkriegs markieren bis heute die politischen Trennlinien in El Salvador. Die FMLN ist benannt nach dem 1932 ermordeten Bauernführer Agustín Farabundo Martí, dessen Vita der des Revolutionärs Augusto Sandino im Nachbarland Nicaragua ähnelt. Nach Sandino sind wiederum die linksgerichteten Sandinisten benannt, die 1979 Revolution in Nicaragua machten. Die USA befürchteten, in El Salvador könnte Ähnliches passieren, Präsident Ronald Reagan unterstützte das rechtsgerichtete Militärregime mit Waffen und Beratern.

Massaker an Jesuiten

1980 wurde der später seliggesprochene, regimekritische Bischof Oscar Romero von Todesschwadronen ermordet. Ein Untersuchungsbericht der UN bezichtigte den Major Roberto D'Aubisson als Drahtzieher. Er war wie viele lateinamerikanische Diktatoren an der berüchtigten US-Militärakademie School of the Americas in Panama ausgebildet worden und war Gründer der Republikanischen Nationalistischen Allianz (Arena), die bis heute Regierungspartei in El Salvador ist. Die spanische Justiz ermittelt noch immer gegen 14 Offiziere wegen des Massakers an sechs Jesuiten im Jahr 1989. Die Arena-Partei hat sich einer Aufarbeitung des Bürgerkriegs, in dem mehr als 70 000 Menschen starben, zäh widersetzt. Mit Antonio Saca stellt sie den Präsidenten. Saca hat sich stets zu George W. Bush bekannt, als Zeichen der Treue schickte er ein kleines Truppenkontingent in den Irak. El Salvador war das erste Land der Region, das ein Freihandelsabkommen mit den USA schloss, der Dollar ist Landeswährung.

Das Land ist im regionalen Kontext ein kleiner Tigerstaat mit hoher Dynamik, allerdings auch extremer sozialer Ungleichheit. Salvadoreños stehen im Ruf, hervorragende Geschäftsleute zu sein. Das zeigt sich etwa am Beispiel der Fluglinie Taca, die viele Gesellschaften der Nachbarländer übernahm und heute einer der wichtigsten Anbieter Lateinamerikas mit schnellen Verbindungen und exzellentem Service ist.

El Salvador ist trotz der guten Wirtschaftsdaten ein Hort der Gewalt geblieben, die zum Teil bürgerkriegssähnliche Ausmaße hat. Nach Ende des Krieges 1992 waren Zehntausende Männer arbeitslos, sie hatten nur Gewalt kennengelernt. Salvadoreños emigrierten massenhaft in die USA. Ihre Söhne wurden in den Großstädten wie Los Angeles Kern der sogenannten Mara-Banden. Die USA deportierten gefasste Anführer zurück in die alte Heimat, wo sie die Gangs neu gründeten. Sie sind straff organisiert, extrem brutal, schießwütig und terrorisieren ganze Landesteile. El Salvador hat eine der höchsten Kriminalitätsraten Lateinamerikas. Das Auswärtige Amt in Berlin mahnt bei Reisen zu großer Vorsicht.

Im März stehen Präsidentenwahlen an. Amtsinhaber Saca kann nicht mehr antreten, sein politischer Ziehsohn Rodrigo Avila hatte als Polizeichef eine Senkung der Gewaltrate versprochen, war jedoch gescheitert. In Umfragen liegt er derzeit neun Prozent hinter dem FMLN-Kandidaten, dem preisgekrönten Fernsehjournalisten Mauricio Funes. Sicher sein kann sich Funes seiner Sache allerdings nicht, die Stimmung kann schnell kippen. So verlor die FMLN bei der Kommunalwahl, die gleichzeitig zur Parlamentswahl stattfand, das Bürgermeisteramt in der Hauptstadt San Salvador.

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Tödliche Vogelgrippe

Peking - In China ist der dritte Todesfall durch Vogelgrippe in diesem Jahr bekannt geworden. Ein 16-jähriger Junge in der Provinz Hunan starb am Dienstag an der Virus-Erkrankung, wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua meldete. In China starben seit dem ersten Fall im Jahr 2003 damit 23 Menschen an der Vogelgrippe des Typs H5N1, die beim Kontakt mit krankem Geflügel übertragen werden kann. AFP

Kritischer Kontakt: Ein Geflügelhändler im ostchinesischen Hefei. Reuters

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Chaos in Guantanamo

Washington - Im US-Gefangenenlager Guantanamo ist am Montag ein Militärgericht zu seiner möglicherweise letzten Sitzung zusammengetreten. Bei einer Anhörung mit fünf mutmaßlichen Hintermännern der Anschläge vom 11. September 2001 kam es zu chaotischen Szenen, als Angeklagte wiederholt dazwischenriefen. Der neue US-Präsident Barack Obama will das Lager schließen. dpa

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CDU-Querelen in Potsdam

Potsdam - Acht Monate vor der Landtagswahl in Brandenburg ist der Fraktionsvorsitzende der CDU, Thomas Lunacek, am Dienstag zurückgetreten. Er begründete den Schritt mit der fehlenden Unterstützung der Partei. Hintergrund des Rücktritts waren nicht zuletzt Querelen um die Kandidatenliste zur Landtagswahl. Der Vorstand hatte Lunacek nur für einen nahezu aussichtslosen Platz 24 vorgeschlagen. Daraufhin lehnte es der 44-Jährige ab, überhaupt auf der Liste zu sein. Lunacek stand seit Oktober 2004 an der Spitze der Fraktion. dpa

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Starke Nachfrage bei Autohändlern

Umfrage: 1,2 Millionen Menschen überlegen, ihren Wagen zu verschrotten

Von Franziska Brüning

München - Seit einer Woche klingeln bei deutschen Auto- und Schrotthändlern unablässig die Telefone. Die Abwrackprämie der Bundesregierung lockt viele Interessenten, die bislang noch gezögert haben, sich von ihrem alten Auto zu

trennen. Nach einer Studie des Autoindustrie nahen Nürnberger Meinungsforschungsunternehmens "Puls" spielen 1,2 Millionen Autobesitzer mit dem Gedanken, auf das Prämienangebot einzugehen. Seit dem 14. Januar 2009 bekommt jeder Fahrzeughalter 2500 Euro, der sein mehr als neun Jahre altes Auto verschrotten lässt und dafür einen umweltfreundlichen Neu- oder Jahreswagen mit mindestens der Euro-Abgasnorm 4 kauft. Die Verschrottung selbst ist meistens kostenlos. Doch die Sache hat einen Haken.

"Wir hätten uns gewünscht, dass auch gebrauchte Autos gekauft werden dürfen, denn viele Leute können sich auch trotz der Prämie kein neues Auto leisten. Die suchen sich dann günstigere Wagen, die oft im Ausland produziert werden", sagt ADAC-Sprecher Andreas Hölzel. Ursprünglich sollte die Prämie nämlich nicht nur der Umwelt, sondern vor allem der Konjunktur dienen. Nun freuen sich die Händler, die preiswerte ausländische Automarken verkaufen, während Anbieter von teureren deutschen Autos das Nachsehen haben.

Peter Müller, Geschäftsführer der Häusler Automobil GmbH, die mit Autos von Chevrolet, Honda und Opel handelt, begrüßt die Maßnahme aus dem Konjunkturpaket der Bundesregierung: "Die Kaufzurückhaltung ging doch auf die Unsicherheit zurück, die zum Beispiel die CO2-Steuer ausgelöst hatte. Jetzt gibt es eine klare Ansage, und der Kunde kauft wieder." Der Verkauf eines alten Opel beispielsweise würde tatsächlich keine 2500 Euro mehr einbringen. Die Abwrackprämie bietet bei günstigen Automodellen zudem den Vorteil, dass der Preis für einen Neuwagen auf unter 10 000 Euro fallen kann. Beides trifft bei den teuren Automarken selten zu. Karl Bauer, Geschäftsführer eines Münchner Autohauses, hat schon festgestellt, dass zwar viele Kunden nach der Abwrackprämie fragen, dann aber doch noch kein Auto kaufen möchten: "Es stellt sich die Frage, ob die Leute, die so ein altes Auto fahren, überhaupt ein Auto aus dem Preisspektrum kaufen wollen, das wir anbieten."

Nach der Umfrage stehen seit dem 14. Januar Autos von Dacia, Renault und Fiat hoch im Kurs. Bei den deutschen Herstellern zieht Volkswagen die meisten Interessierten an. Laut Puls gibt es aber auch einen Mitnahmeeffekt: 9,3 Prozent der Autobesitzer hatten ohnehin vor, ihren Wagen bald zu verkaufen.

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Strafrabatt für Angeklagte

Zypries will den üblichen "Deal" transparenter machen

Von Daniela Kuhr

Berlin - Manchmal gleicht das Geschehen vor Gericht einem Basar. So auch in dem Fall, der sich vor einiger Zeit in München zugetragen hat: Der Angeklagte müsse sich eines klar machen, sagte der Richter damals. Wenn er gestehe, komme er mit einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren davon. Andernfalls müsse er mit bis zu sechs Jahren Haft rechnen.

Ein anderes Beispiel, zufällig ebenfalls aus München: Die Richterin stellte die Angeklagten vor die Wahl. Wenn sie die Vorwürfe einräumten, könne man die Sache als bloße Ordnungswidrigkeit ansehen und mit einem Bußgeld abtun. Sollten sie aber auf ihrer Unschuld bestehen, werde das Gericht prüfen, ob nicht vielleicht doch eine Straftat vorliege - die am Ende mit einer hohen Geld- oder gar Haftstrafe geahndet werden müsse.

Dass Richter solche Drohkulissen aufbauen, soll nach dem Willen von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) in Zukunft nicht mehr vorkommen. An diesem Mittwoch legt sie dem Bundeskabinett einen Gesetzentwurf vor, der erstmals den sogenannten Deal im Strafprozess regelt. Bei einem Deal verständigen sich Richter und Staatsanwalt mit dem Angeklagten und seinem Verteidiger auf eine Vorgehensweise. Meist vereinbaren sie, dass der Angeklagte gesteht und dafür mit einem Strafrabatt belohnt wird, weil er allen eine aufwendige Beweisaufnahme erspart. Diese Absprachen sind höchst umstritten - aber gang und gäbe.

Kritiker wie die Generalbundesanwältin Monika Harms betonen, am Ende eines Prozesses müsse der Sachverhalt aufgeklärt sein, ein gesicherter Schuldspruch stehen und eine angemessene Strafe gefunden werden. All das komme zu kurz, wenn die Beteiligten sich von Anfang an auf ein Ergebnis einigten.

Doch sowohl Bundesgerichtshof (BGH) als auch Bundesverfassungsgericht halten Deals für zulässig, sofern das Gericht dennoch den Sachverhalt und den konkreten Vorwurf klärt. Die Beteiligten können also nicht etwa vereinbaren, dass der Angeklagte als Belohnung für sein Geständnis statt wegen Mordes nur wegen Totschlags verurteilt wird. Zudem muss die Absprache transparent gemacht und protokolliert werden. Im März 2005 appellierte der BGH an den Gesetzgeber, den Deal endlich gesetzlich zu regeln. Dem kommt Zypries nun nach.

Der Entwurf orientiert sich stark an der Rechtsprechung aus Karlsruhe. So darf es keine Absprachen über den Schuldspruch, sondern nur über die konkrete Bestrafung geben. Wenn der Angeklagte zustimmt, darf das Gericht ihm aufzeigen, welche Strafe ihn mindestens und welche ihn höchstens erwartet. Ein formelhaftes Geständnis genügt nicht, das Gericht muss die Aussagen auf ihre Richtigkeit überprüfen. Alles ist zu protokollieren und kann zum Teil auch per Revision angefochten werden.

In der Öffentlichkeit herrsche oft der Eindruck vor, dass sich Angeklagte mit einem Deal freikaufen könnten, sagt Christoph Frank, Vorsitzender des Deutschen Richterbunds. "Gerade deshalb ist es sehr wichtig, dass die Absprachen transparent werden, damit jeder nachvollziehen kann, wie es zu einer Gerichtsentscheidung gekommen ist." Denn eines stehe fest: Vor allem bei umfangreichen Verfahren, wie zum Beispiel Wirtschaftsstrafprozessen, seien Deals in der Praxis nicht mehr wegzudenken.

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Havemann will kandidieren

Berlin - Florian Havemann, Sohn des verstorbenen DDR-Regimekritikers Robert Havemann, will für die Linkspartei in den Bundestag. Der 57-Jährige sagte der Berliner Zeitung, er sei an einer Kandidatur bei der Wahl im September interessiert. Als Voraussetzung nannte er, dass die Linke sich um ihn als Kandidaten bemühe. Havemann hatte schon, wenn auch vergeblich, 2002 in Sachsen für die PDS zum Bundestag kandidiert. Er ist seit 1999 Verfassungsrichter im Land Brandenburg. 1971 war er aus der DDR geflohen. Zuvor war Havemann wegen Protesten gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings inhaftiert. (Seite 4) AP

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Vorsichtig optimistisch

Bundesregierung erwartet rasche Erholung der Wirtschaft

Berlin - Die Bundesregierung rechnet bereits für dieses Frühjahr mit einem Ende des Konjunkturabschwungs in Deutschland. Das geht aus dem Jahreswirtschaftsbericht hervor, den das Kabinett am Mittwoch verabschieden will und der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Danach dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwischen April und Juni gegenüber dem Vorquartal erstmals seit einem Jahr wieder steigen. Auch für das zweite Halbjahr erwartet die Regierung ein Plus.

Im Vergleich der Gesamtjahre 2009 und 2008 ergibt sich nach der Schätzung des Kanzleramts und der zuständigen Fachressorts dennoch ein Rückgang der Wirtschaftsleistung um rund zweieinviertel Prozent. Grund dafür ist, dass sich die Ausgangsbasis durch die anhaltende Rezession derzeit dramatisch nach unten verschiebt. Preisbereinigt wird das BIP demnach erst Ende 2009 wieder das Niveau von Anfang 2007 erreichen.

Der vorsichtige Optimismus der Regierung speist sich aus der Vielzahl der Konjunkturpakete weltweit, die sich gegenseitig verstärken könnten. "Von der kräftigeren weltwirtschaftlichen Aktivität würde Deutschland aufgrund der Güterstruktur seiner Exporte besonders profitieren", heißt es in dem fast 160 Seiten umfassenden Bericht. Auch könnte sich die Situation der Banken schneller als erwartet entschärfen. Hier liegt allerdings nach Ansicht der Bundesregierung auch das größte Risiko: "Käme es zu erneuten starken Wertberichtigungen im Finanzsektor aufgrund rückläufiger Vermögenswerte, würde die Eigenkapitalbasis der Banken und damit tendenziell die Bereitschaft zur Kreditvergabe sinken." Ein weiteres Risiko sei das immense amerikanische Leistungsbilanzdefizit, das "eine drastische Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar" nach sich ziehen könnte.Claus Hulverscheidt

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Ingenieur vor Freilassung

Sanaa - Die Entführer des im Jemen entführten Deutschen wollten den Ingenieur angeblich noch am Dienstagabend freilassen. Das berichtete ein Regierungsbeamter in der Hauptstadt Sanaa unter Berufung auf Vermittler, die seit Montag mit den Entführern verhandeln. Bewaffnete Angehörige des Lakmusch-Stammes hatten den Ingenieur und zwei seiner jemenitischen Kollegen am Sonntag in der Provinz Schabwa verschleppt und in ein Versteck in den Bergen gebracht. Sie forderten die Freilassung eines Verwandten, der wegen Mordes im Polizeigefängnis sitzt. Dieser war nach dem Mord nach Saudi-Arabien geflohen und erst vor einem Monat in den Jemen zurückgekehrt, wo er verhaftet wurde. dpa

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Asse wird überprüft

Hannover - Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) hat mit der Überprüfung der in einer einsturzgefährdeten Kammer des Atommülllagers Asse eingelagerten etwa 6000 Behälter begonnen, deren Inhalt zum Teil nicht bekannt sein soll. Außerdem soll ein Störfallplan ausgearbeitet werden, der Vorkehrungen bei einer Verschlechterung der Situation im Bergwerk vorsieht. Die Asse-Kritiker fordern Korrekturen an der Neufassung des Atomgesetzes, das am Mittwoch in den Bundestag eingebracht werden soll. Sie verlangen, die Ansprüche für die Asse müssten so hoch sein wie bei der Neuerrichtung eines Atomendlagers. dpa

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Bund will Berliner Schulen helfen

Integrationsbeauftragte verspricht 300 Millionen Euro für bessere Bildung

Von Constanze von Bullion

Berlin - Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), hat den Berliner Schulen 308 Millionen Euro für bessere Bildung zugesagt. "Das ist eine einmalige Chance, die es zu nutzen gilt", sagte sie am Dienstag in Berlin. Die Mittel, die aus den Investitionshilfen des Bundes kommen sollen, sind zur Förderung von Schulen mit hohem Migrantenanteil gedacht. Auch in den Ausbau von Ganztagsschulen, psychologisches Personal und die Fortbildung von Lehrern müsse mehr Geld und Zeit gesteckt werden. "Wir können nicht länger zusehen, dass die Zahl der Hoffungslosen immer größer wird", sagte Böhmer.

Die Integrationsbeauftragte reagierte damit auf einen Brief von Schulleitern aus Berlin-Mitte, der für heftige Diskussionen in Berlin gesorgt hatte. Böhmer hatte sie daraufhin ins Kanzleramt eingeladen. Die Rektoren der Berliner Stadtteile Wedding, Moabit und Tiergarten hatten vor einem drohenden "bildungspolitischen Aus" gewarnt. In den Vierteln rund um den Regierungssitz seien die Schulen nicht nur verwahrlost, sie müssten auch mit einer steigenden Zahl von Kindern aus Migrantenfamilien zurechtkommen, in einigen Schulen liege deren Anteil schon bei 90 Prozent. Die Leistungen vieler dieser Schüler seien unzureichend, immer mehr würden kriminell. Gleichzeitig schickten bildungsbürgerliche Familien ihre Kinder immer öfter auf Privatschulen.

Im Gespräch mit sieben Schulleitern wollte die Integrationsbeauftragte am Dienstag vor allem klären, inwieweit die Maßnahmen, die im Sommer 2007 in einem nationalen Integrationsplan beschlossen worden sind, tatsächlich in bedürftigen Schulen angekommen sind. Damals verpflichteten sich die Kultusminister, aber auch die Ministerpräsidenten der Länder, Mittel für Bildung in Vierteln mit hohem Migrantenanteil bereitzustellen. Oft käme davon nichts in den Schulen an, sagte ein Rektor, auch weil die Verteilung manchmal so lange dauere, dass das Geld nicht mehr abgerufen werden könne.

Neben mehr Personal sei aber auch eine offenere Debatte über die Folgen der Einwanderungsgesellschaft nötig, sagte der Schulleiter. "Die Gesamtsituation wird zu wenig diskutiert." Viele der Lehrer, die heute in den Schulen unterrichteten, seien zu einem Zeitpunkt sozialisiert, als die Schülerschaft noch eine ganz andere gewesen sei. (Seite 4)

Die Berliner Rütli-Schule wurde 2006 bundesweit bekannt, als die Lehrer bekannten, der Gewalt nicht mehr Herr werden zu können. Foto: Getty Images

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Westerwelle wundert sich

Liberale verärgert über Grüne in Hamburg und Bremen

Berlin - Die FDP-Führung reagierte betont gelassen auf die Ankündigung aus Hamburg und Bremen, das Konjunkturpaket im Bundesrat durchzuwinken. Überrascht zeigten sich führende Liberale allenfalls davon, wie schnell diese Entscheidung zustande gekommen war. Die Hamburg-Bremen-Variante sei den Liberalen immer bewusst gewesen, sagte der nordrhein-westfälische Vize-Ministerpräsident und stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Andreas Pinkwart. Präsidiumsmitglied Birgit Homburger erklärte, es sei klar gewesen, "dass die Regierung mit Macht versucht, ihr Paket durchzusetzen". Die Kritik der FDP richtete sich sofort gegen die Grünen, die jetzt die Verantwortung dafür trügen, dass es nicht zu der notwendigen früheren Entlastung von Firmen und Familien komme. Parteichef Guido Westerwelle gab sich "sehr verwundert", dass die Grünen zwar einerseits im Bundestag "sehr fundamental" gegen das Konjunkturpaket angingen, es dann aber im Bundesrat passieren lassen wollten.

Die FDP werde in den anstehenden parlamentarischen Beratungen daran festhalten, mehr steuerliche Entlastung für die Bürger und größere Disziplin bei den Staatsschulden durchzusetzen, sagte Westerwelle. Dabei erwarte er Entgegenkommen von den Regierungsparteien. Union und SPD sollten aus dem Wahlergebnis von Hessen die Lehre ziehen, dass die Bürger "die Nase voll davon haben, dass sich Arbeit nicht mehr lohnt". Wer den "Warnschuss" von Hessen nicht verstanden habe, werde bei den nächsten Wahlen weitere Niederlagen erleben.

Pinkwart sagte auf die Frage, ob die FDP sich von Kanzlerin Angela Merkel ausgetrickst sehe, dieses Gefühl könnten allenfalls die Wähler haben. Dass Merkel jetzt die kleinen Länder zu sich herübergezogen habe, "zeugt nicht unbedingt von Einsichtsfähigkeit". Einige Führungsmitglieder zeigten sich geradezu erleichtert über diese Wende. "Jetzt müssen wir nicht beweisen, dass wir etwas durchsetzen können", sagte ein Präsidiumsmitglied. Ein anderes sah es so: "Wenn es Verbesserungen an dem Paket gibt, ist das unser Verdienst. Gibt es keine, sind die Grünen schuld." Nach Ansicht des FDP-Finanzexperten Hermann-Otto Solms zeigt der Vorgang, dass die Grünen "für ihre Beteiligung an Landesregierungen bereit sind, alle Inhalte aufzugeben". Generalsekretär Dirk Niebel lästerte: "Hamburg und Bremen waren ab 200 Millionen immer käuflich." Peter Blechschmidt

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Grüne bremsen die erstarkten Liberalen aus

Die Bundesländer Hamburg und Bremen verständigen sich darauf, dem Konjunkturpaket doch zuzustimmen

Hamburg/Berlin - Der Weg für das Konjunkturpaket der schwarz-roten Bundesregierung ist fast frei. Am Dienstag meldeten die beiden einzigen Länder mit grüner Regierungsbeteiligung, die Stadtstaaten Hamburg und Bremen, im Bundesrat dem Maßnahmenbündel zuzustimmen. Allerdings stellt der schwarz-grüne Hamburger Senat die Bedingung, dass bei der geplanten Abwrackprämie für Altautos nachgebessert wird. Die Bürgermeister beider Stadtstaaten, der Hamburger Ole von Beust (CDU) und der Bremer Jens Böhrnsen (SPD), hatten vor der Entscheidung ihrer Senate mehrmals miteinander telefoniert. Auch unter den Grünen beider Hansestädte gab es Beratungen. Den Entscheidungen Hamburgs und Bremens gingen nach Angaben aus SPD-Kreisen zudem Kontakte von Bundespolitikern der SPD und der Grünen voraus.

"Wir haben uns früh festgelegt, um Nachbesserungen durch die FDP zu verhindern", sagte Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen. Durch das sich in Hessen anbahnende Bündnis zwischen CDU und FDP droht die große Koalition in der Länderkammer ihre knappe Mehrheit zu verlieren. Union und SPD kämen nur noch auf 30 der 69 Stimmen. Bremen und Hamburg verfügen über jeweils drei Stimmen - verließen sie im Abstimmungsverhalten den neutralen Block, gäbe es im Bundesrat wieder eine Mehrheit von 36 Stimmen für das Konjunkturpaket.

In Hamburg verständigten sich Bürgermeister Beust und die grüne Umweltsenatorin Anja Hajduk auf die Bedingung, dass die Prämie für die Verschrottung von Altautos zu einem geringeren Kohlendioxidausstoß führen müsse. "Die Abwrackprämie muss ökologisch sinnvoll sein", sagte Hajduk dazu. Bei den Grünen sorgt die Zustimmung der beiden Stadtstaaten parteiintern allerdings für Unruhe. Die Bundespartei lehnt das Konjunkturpaket ab, der Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Fritz Kuhn, hatte es sogar als "Murks" bezeichnet.

Allerdings agieren die Grünen aus Bremen und Hamburg durchaus in Absprache mit der Bundespartei. Im Parteirat wurde am Montag mit den grünen Senatoren Anja Hajduk und Reinhard Loske aus den beiden Stadtstaaten verabredet, "eng beieinander zu bleiben". Die Grünen können der Zustimmung aus dem Norden nämlich die schöne Seite abgewinnen, dass Guido Westerwelle und seine FDP das letzte Wort über das Konjunkturpaket nun wieder verlieren. "Die Grünen sind nicht bereit, der FDP einen Stellenwert auf Bundesebene einzuräumen, der ihr zahlenmäßig nicht zukommmt", ließ Kuhn nun wissen. Und Vize-Fraktionschef Jürgen Trittin freute sich: "In Tagesfrist wurde die heiße Luft aus Guido Westerwelle abgelassen, die ihn seit Sonntag gefüllt hat." Die neue Lage stärke "die Fähigkeit zu den Grundrechenarten. 50 Prozent von 69 ist halt nicht 29, sondern man muss dann schon 35 haben." Die sechs Stimmen aus den beiden Ländern mit grüner Regierungsbeteiligung seien im Bundesrat ebenso viel wert wie die 29 Stimmen aus den schwarz-gelben Bundesländern. "Die von der FDP geforderten Steuersenkungen könnten nicht "im Interesse eines sehr armen Landes wie Bremen" liegen, betonte er. Die Zustimmung zum Konjunkturpaket verhindere Schlimmeres.

"Wir haben das so beschlossen, und ich stehe dazu", sagte Bremens Finanzsenatorin Karoline Linnert. Bremen bekäme aus dem Konjunkturpaket 88 Millionen Euro vom Bund, die das Land selbst mit 29 Millionen Euro aufstocken müsste. Dafür müsste Bremen neue Schulden aufnehmen. "Das können wir uns zwar eigentlich nicht leisten", sagte Linnert, "aber wir können es uns erst recht nicht leisten, auf das Geld vom Bund zu verzichten, mit dem wir viele wichtige, nachhaltige Dinge machen können."

Leichte Verstimmungen

Linnert sorgte sich wie Böhrnsen um eine Einflussnahme der erstarkten FDP auf die Anschubhilfen für die Konjunktur. Könnte FDP-Chef Westerwelle beim Treffen mit Kanzlerin Merkel am Mittwoch Bedingungen stellen, "kämen da sicher weitere Steuergeschenke für die nicht gerade Ärmsten der Armen heraus, die Bremen mitbezahlen müsste", so Linnert. Die erste grüne Finanzministerin der Republik stimmte deshalb bedingungslos zu. Linnert: "Die Bundesregierung muss sich ihre Politik nicht von der FDP aufzwingen lassen. Sie kann auch andere Mehrheiten finden." Leichte Verstimmungen gab es allerdings zwischen Hamburg und Bremen: Dass die GAL an der Alster Bedingungen an ihr Ja stellte, lässt die Bremer "alt aussehen", sagte Linnert: "Als Grüne darf man offenbar nicht bedingungslos zustimmen. Aber damit müssen wir nun leben."

Sie sehe die Forderungen der FDP nach weiteren Steuersenkungen mit großer Sorge, sagte auch die Hamburger Senatorin Hajduk. Auch ihr Senat wolle dem Konjunkturpaket zustimmen, um zusätzliche Belastungen für den Etat zu vermeiden. Ihre Partei habe durch die bevorstehende Verschiebung der Machtverhältnisse im Bundesrat an Optionen gewonnen. "Nach der Hessenwahl können Grüne in Hamburg und Bremen Entscheidungen stärker beeinflussen", sagte GAL-Fraktionschef Jens Kerstan. "Die FDP kann alleine keine Entscheidung im Bundesrat durchsetzen. Wenn die grün mitregierten Stadtstaaten mit der großen Koalition stimmen, werden die Stimmen der FDP-mitregierten Länder nicht mehr gebraucht", fügte der Grünen-Politiker hinzu. rtw/dbr/jsc

Die Abwrackprämie alter Autos - hier ein Schrottplatz bei Hamburg - wird nun wohl doch den Bundesrat passieren können. Die Stadtstaaten Hamburg und Bremen, in denen die Grünen an den Regierungen beteiligt sind, kündigten an, dem Konjunkturpaket der Bundesregierung zustimmen zu wollen. Foto: AP

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Vodoo-Ökonomie und Trinkverbot

Der Sinneswandel der Grünen

Berlin - Die Grünen in den Landesregierungen von Bremen und Hamburg haben jetzt ihre Bereitschaft signalisiert, dem Konjunkturpaket der Bundesregierung zuzustimmen. Noch am Mittwoch voriger Woche hatte der Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Fritz Kuhn, im Parlament zu diesem Paket gesagt:

"Die Konjunkturwirkung Ihrer Maßnahmen ist fragwürdig (. . .) Es ist nicht gesichert, dass die Steuererleichterungen konjunkturell irgendetwas auslösen."

"Was Sie im Bereich der Krankenversicherung machen, ist der reine Hohn. Derzeit erhöhen sich die Krankenversicherungsbeiträge mancher Krankenkassen um über zwei Prozentpunkte, und am 1. Juli sagen Sie den Leuten: Jetzt sinken sie wieder um 0,6 Prozentpunkte. Das nenne ich Vodoo-Ökonomie. Sie müssen sich schon ungeheuer einen hinter die Binde gießen, damit Sie glauben, dass die Leute so blöd sind, deswegen dem Konsum zu verfallen."

"Gemessen an den 50 Milliarden Euro finden wir den Investitionsanteil des Bundes mit 14 Milliarden Euro zu gering . . . Sie handeln (bei der Neuverschuldung, d. Red.) wie Alkoholabhängige, die weitertrinken wollen und sagen: Jetzt trinken wir noch fünf Jahre kräftig weiter, und dann unterwerfen wir uns einem Trinkverbot . . . Sie haben ein Sammelsurium aus Einzelinteressen der Koalitionsparteien vorgelegt, in das Sie jetzt Sinn hineinzuinterpretieren versuchen." SZ

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Heute bei

Hauptgesicht mit Beilage

Doppelt gemoppelt: Wenn Hollywoods Schauspieler denken, sie seien einmalig, beweisen unsere Bilder von Zwillingen, die keine sind, das Gegenteil.

www.sueddeutsche.de/doppel

Bis an die Grenzen

Hundeschlittenrennen, Mountainbikefahren, Eisklettern - beim arktischen Zehnkampf im Norden Kanadas geht es zur Sache. Bei minus 30 Grad. www.sueddeutsche.de/yukon

Foto: oh

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"Notleidende Banken" ist Unwort des Jahres

Frankfurt/Main - Der Ausdruck "notleidende Banken" ist zum Unwort des Jahres 2008 gewählt worden. Der Begriff stelle das Verhältnis von Ursachen und Folgen der Weltwirtschaftskrise völlig auf den Kopf, begründete der Frankfurter Sprachwissenschaftler Horst Dieter Schlosser die Entscheidung der Jury: "Während die Volkswirtschaften in ärgste Bedrängnis geraten und die Steuerzahler Milliardenkredite mittragen müssen, werden die Banken mit ihrer Finanzpolitik, durch die die Krise verursacht wurde, zu Opfern stilisiert." Auf Platz zwei landete "Rentnerdemokratie", auf Platz drei kam "Karlsruhe-Touristen". Die Jury hatte das Unwort aus 2117 Einsendungen ausgewählt. AP

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Schandfleck oder Mahnmal?

Im belgischen Charleroi diskutiert man, was mit dem Haus des Kinderschänders Marc Dutroux geschehen soll

Von Cornelia Bolesch

Charleroi - Selbst unter strahlend blauem Winterhimmel sind einige Ecken dieser labyrinthischen Stadt so hässlich, dass einem der Atem stockt. In der Route de Philippeville ganz in der Nähe des Bahnhofs stehen die Häuser mit ihren meist schäbigen Backstein-Fassaden nur wenige Meter von den Gleisen entfernt. Fast über die Dächer hinweg schraubt sich auf Stelzen die Autobahn empor. In diesem chaotischen Niemandsland haben vor dreizehn Jahren Julie und Melissa, An und Eefje, Sabine und Laetitia ihr unbeschreibliches Martyrium erlebt.

Das Haus ihrer Qualen trägt die Nummer 128. Die Ziffern sind nicht mehr zu sehen. Alle Konturen des Gebäudes, in das der Psychopath Marc Dutroux seine Opfer verschleppte, sind hinter einem bunten Plakat verschwunden. Anstelle der verwahrlosten Vorderfront ist jetzt ein Kind zu sehen, das einen Drachen steigen lässt. Als Dutroux zu lebenslanger Haft verurteilt und das Haus nicht mehr als Beweismittel benötigt wurde, schirmte sich Charleroi mit dem farbenfrohen Bild gegen die dunkle Vergangenheit ab.

"Es ging auch darum, die Nachbarn zu schützen", erklärt der Gemeindedezernent Eric Massin. "Wildfremde Leute haben bei ihnen geklingelt, Touristen, Reporter. Einige fragten, ob sie einen Schlüssel haben könnten, um in das Haus zu kommen." Das Opfer Sabine Dardenne hat in einem Buch beschrieben, wie es darin aussah: "Ein quadratischer Raum, kaum möbliert. Am Boden Ziegel, Zementsäcke, Werkzeug. Mein erster Eindruck sagte mir, dass ich nicht in einem normalen Haus war, in dem normale Menschen leben."

Im Keller verhungert

Da hatte sie das Schlimmste noch gar nicht gesehen: das Versteck im Keller. Ein teuflisch konstruiertes Loch von 99 Zentimeter Breite, zwei Meter und 34 Zentimeter Länge, ohne Fenster, verborgen hinter einer 200 Kilo schweren Tür. Hier unten verhungerten die achtjährigen Mädchen Julie und Melissa auf einer verschmuddelten Schaumgummi-Matratze. Die siebzehn und neunzehn Jahre alten Teenager An und Eefje hatte Dutroux im ersten Stock mit einer Kette festgebunden. Die Leichen der vier Mädchen wurden später auf verschiedenen Grundstücken in der Region entdeckt. Die zwölfjährige Sabine und die vierzehnjährige Laetitia gab das Haus lebend frei.

"Es ist schwer, sich immer wieder daran zu erinnern." Eric Massin ist in Charleroi für Stadtentwicklung zuständig. Wer ihn sprechen will, muss mit der Metro nach Gilly fahren, in eine der 15 Randgemeinden, die 1976 zum Großraum Charleroi vereinigt wurden. Die einstige Stahlhochburg wuchs damit mit einem Schlag auf 200 000 Einwohner und wurde zur größten Stadt in der Wallonie. Doch sie zerfällt weiter in ihre Einzelteile. Sie kämpft mit hoher Arbeitslosigkeit und dem Erbe einer verfilzten sozialistischen Verwaltung. Ihr berühmtestes Stadtviertel ist ausgerechnet Marcinelle. Dort hat sich der arbeitslose Elektriker Dutroux aus Brüssel vor vielen Jahren ein billiges Haus gekauft.

Zwei Jahrzehnte später treibt Eric Massin den Plan der Stadt, dieses Haus vom Erdboden zu tilgen und Dutroux dafür zu enteignen, weiter voran. Am Ort des Schreckens soll ein "Garten der Erinnerung" entstehen, mit Pflanzen und einer Skulptur. "Ich wollte auch mit den Familien der Opfer sprechen. Ich habe sie eingeladen. Aber niemand ist gekommen. Keiner hat reagiert." Die Familien geben dem Staat die Schuld an dem, was ihren Kindern angetan wurde. Der Vater von Julie sagte im Fernsehen, das Haus solle als ewiges Mahnmal stehen bleiben.

Eric Massin dagegen will "die Dinge verändern, ohne zu vergessen". Er glaubt, die meisten Leute in Charleroi hätten kein großes Interesse mehr am Fall Dutroux. Im "Maison de la Presse", dem Journalistentreff gegenüber dem Justizpalast, geben ihm die Zeitungen auf den ersten Blick Recht. Längst haben andere Greuel die Schlagzeilen erobert. Ein belgischer Arzt berichtet von den verheerenden Zuständen im Gazastreifen. Erst auf Seite 15 der Lokalzeitung wird klein gemeldet, dass Marc Dutroux ins Gefängnis von Nivelles verlegt worden sei, 25 Kilometer von Charleroi entfernt.

Das Auf und Ab des Interesses - Franco Meggetto hat es mitgemacht. Der Sprecher der Polizei sitzt im Maison de la Presse, trinkt deutschen Wein und erinnert sich, wie er nach der Aufdeckung der Taten vor dem Dutroux-Haus campierte, um ja nichts zu verpassen. Da war er noch freier Journalist. Bei der Polizei half Meggetto mit, den großen Gerichtstross nach Marcinelle zu organisieren. Sämtliche Prozessbeteiligte waren 2004 aufgebrochen, um in der Route de Philippeville mit eigenen Augen zu sehen, was die Hölle auf Erden bedeutet. Es war der letzte große symbolische Akt rund um das Horror-Haus. Kurz danach hat die Stadt das bunte Plakat aufgestellt.

Franco Meggetto sagt: "Für die Jüngeren ist der Fall Dutroux so fern wie die Mondlandung." Er ist dafür, das Haus endlich abzureißen. Leute wie er blieben sowieso auf ewig mit den Ereignissen verknüpft. Meggetto hat zwei Kinder. Die habe er damals, als alles über Dutroux herauskam, kaum mehr auf die Straße gelassen. Einer ganzen Generation von belgischen Kindern sei es ähnlich ergangen. Der Polizeisprecher schüttelt den Kopf. Irgendwann müsse man sich von dem Schrecken lösen. "Eine Gesellschaft muss sich fortbewegen."

Die Funktion des Schrecklichen

Auch in Marcinelle sieht man Versuche, sich fortzubewegen. Einige Fassaden sind wie zum Trotz frisch bemalt und mit Blumen geschmückt. Auf die lange Betonwand vor den Gleisen haben Schulkinder Friedensbotschaften gezeichnet. "Das kommt nicht aus dem Viertel. Das wurde hierher importiert." Fast verächtlich schaut Francoise Barré auf diese Malaktion. Die junge Reporterin arbeitet heute für das Lokalradio Vivacité. Sie hat das Kellerverlies mit eigenen Augen gesehen. Seither lebt sie im Widerspruch zur vorherrschenden Meinung in Charleroi. "Das Haus soll stehen bleiben. In seiner ganzen Schrecklichkeit. Es hat eine pädagogische Funktion zu erfüllen".

Es sind Fragen, die keinen der Anwohner besonders beschäftigen. Eine rumänische Familie wohnt seit einigen Monaten neben dem Haus. Doch, sie kenne den Namen Dutroux , radebrecht die Mutter von fünf Kindern. Sie wohne aber gerne hier, es sei billig. Eine junge blasse Frau verlässt das Haus nebenan. Sie führt ein kleines Mädchen an der Hand. Nein, sagt sie, sie habe im Prinzip nichts gegen ein Park der Erinnerung. "Aber die Leute werden ihren Müll hineinwerfen."

Nicht nur in Charleroi ringt man um das richtige Erinnern. Dutroux hat in der Region mehrere billige Häuser besessen, seine Frau und seine drei Kinder lebten in Sars-La-Bussiere. Auf dem Grundstück wurden die Leichen von Julie und Melissa ausgegraben. Auch dort sollen jetzt die Mauern eingerissen werden. Es soll ein Raum entstehen, wo der Schrecken etwas weichen kann.

Route de Philippeville, Nummer 128: Hier hat der Psychopath Marc Dutroux sechs Mädchen gefangen gehalten - nur zwei überlebten ihr Martyrium. Seit der Verurteilung des Täters ist die Fassade des Hauses hinter einem Plakat verschwunden: Es zeigt ein Mädchen, das einen Drachen steigen lässt. Foto: laif

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Unglücksmaschine hatte technische Probleme

New York - Schon vor der dramatischen Notwasserung eines Airbus der Fluggesellschaft US Airways auf dem Hudson hat es Probleme mit den Triebwerken der Maschine gegeben. Die Verkehrssicherheitsbehörde NTSB erklärte am Montag, zwei Tage vor dem Unglück sei ein Kompressor, der Luft in das Triebwerk saugt, ausgefallen. Weitere Fehlfunktionen gab es laut NTSB nicht. Die Ermittlungen werden sich nach Einschätzung von NTSB-Mitarbeiter Robert Benzon etwa ein Jahr hinziehen. Die Untersuchungen deuten bislang darauf hin, dass ein Zusammenstoß mit Vögeln die Ursache für die Notwasserung vom Donnerstag war, die alle 155 Menschen an Bord überlebten. AP

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Spanische Kampfjets abgestürzt - drei Tote

Albacete - Beim Absturz von zwei spanischen Kampfflugzeugen vom Typ Mirage F1 sind drei Piloten der Luftwaffe ums Leben gekommen. Wie das Madrider Verteidigungsministerium am Dienstag mitteilte, ereignete sich das Unglück bei Übungsflügen über einem unbewohnten Gebiet in der Provinz Albacete im Südosten Spaniens. Die Ursache war zunächst nicht bekannt. Die Zeitung El País berichtete im Internet, die beiden Maschinen seien möglicherweise in der Luft zusammengestoßen. Dafür gab es aber keine Bestätigung. Eines der Flugzeuge hatte zwei Piloten an Bord gehabt, das andere einen. Die Mirage F1 wird seit 1973 vom französischen Flugzeughersteller Dassault gebaut. dpa

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DIE FRAGE

Wie überlebt man auf dem offenen Meer?

Zwei birmanische Fischer wurden nördlich von Australien aus dem Meer gefischt. Sie saßen in einer Kühlbox und behaupten, sich 25 Tage lang von Fischabfällen und Regenwasser ernährt zu haben.

Ulrike Windhövel von der Seenotrettung Havariekommando: "Muss man sein Boot verlassen, sollte man möglichst viel anziehen und den Kopf bedecken - der Körper kühlt schnell aus, auch in wärmeren Gewässern. Im Wasser sollte man sich wenig bewegen, um Kraft zu sparen. Niemals Salzwasser trinken, besser Regenwasser. Entscheidend ist die Temperatur: Bei uns kann man nur Minuten durchhalten, anderswo vielleicht zwei Tage - länger ist die absolute Ausnahme. Generell sollte man versuchen, am Boot zu bleiben: Es ist leichter zu finden, als ein einzelner Mensch auf offener See."

Gerettet: Fischer aus Birma AFP

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LEUTE

Cristiano Ronaldo, 23, Weltfußballer, kann sich die Wartezeit auf seinen Ferrari mit einem neuen Flitzer verkürzen - wenn auch nur in Miniaturausgabe. Wie News oft the World berichtet, stellten ihm seine ManU-Teamkameraden ein ferrarirotes Tretauto auf den Parkplatz vor dem Trainingsgelände. "Er fand es wahnsinnig komisch und sagte, er werde sofort damit spielen, sobald er zu Hause sei", hieß es weiter. Seit er seinen echten Ferrari zu Schrott gefahren hatte, habe er nicht mehr aufgehört zu schwärmen, wie schön das Auto doch gewesen sei.

Mette-Marit, 35, norwegische Prinzessin, muss möglicherweise vor Gericht in einem Erbstreit zwischen ihrer Mutter Marit Tjessem und zwei Stiefsöhnen aussagen. Wie die Osloer Zeitung Aftenposten am Dienstag berichtete, will Tjessem mit der Klage gegen die Söhne ihres 2008 gestorbenen zweiten Ehemannes Rolf Berntsen durchsetzen, dass sie eine Ferienhütte aus dem Nachlass komplett übernehmen kann. Die Mutter der Ehefrau von Norwegens Kronprinz Haakon streitet mit den beiden Söhnen sowohl um ihren rechtmäßigen Anteil an dem Holzhaus wie um dessen Wertfestsetzung.

Samuel L. Jackson, 60, Schauspieler, hält nichts von Preisverleihungen. "Das erste Mal war es noch der Wahnsinn", sagte er dem SZ-Magazin. "Ich saß mit meinen Jungs in der dicken Limousine, wir haben Freunde angerufen: ,Hey yo, stell dir mal vor, ich bin grad auf dem Weg zur Soundso-Party, wuuuuh!'" Zwei Jahre später habe sich das erledigt. "Du sitzt im Auto, bist noch zwei Blocks vom roten Teppich entfernt, auf der Straße nur Stau, du brauchst eine Stunde für diese lächerlichen zwei Blocks und denkst, Mann, kann ich bitte zu Fuß gehen? Oder noch besser: heim?" Foto: AP

Rudi Assauer, 64, Pils-Macho und Fußball-Urgestein, muss sich künftig selber das Bier aus dem Kühlschrank holen. Laut Bild-Zeitung haben sich Assauer und die Schauspielerin Simone Thomalla ("Tatort") nach acht Jahren getrennt. Die 43-Jährige, die der Liebe wegen nach Gelsenkirchen gezogen war, will angeblich wieder nach Berlin zurückkehren.

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Ende einer Entführung

Der griechische Reeder Periklis Panagopoulos kommt frei, nachdem seine Familie 30 Millionen Euro Lösegeld gezahlt hat

Von Kai Strittmatter

Istanbul - Der am Montag vor einer Woche entführte griechische Reeder Periklis Panagopoulos ist wieder frei. Wie die griechische Polizei mitteilte, fand eine Streife nach einem Anruf der Entführer den Reeder kurz nach ein Uhr morgens auf einem Parkplatz an der Autobahn von Athen nach Korinth, wo er auf der Bank eines Parkplatzes saß. Zuvor habe die Familie 30 Millionen Euro Lösegeld bezahlt, das höchste in der griechischen Geschichte. Dem 74-Jährigen geht es nach Angaben der Familie "zufriedenstellend". Er sei nicht misshandelt worden, hieß es im staatlichen Rundfunk, auch hätten die Entführer dafür gesorgt, dass er seine Medikamente einnehme.

Panagopoulos leidet unter Diabetes, die Familie hatte sich vergangene Woche große Sorgen um seinen Gesundheitszustand gemacht. Die Entführer wussten aber offensichtlich von der Krankheit und hatten sich die nötigen Medikamente besorgt. Sie sind auf der Flucht.

Noch am Wochenende hatte sich Katerina Panagopoulos, die Frau des Entführten, in einem emotionalen Appell an die Entführer gewandt, nachdem für mehr als 24 Stunden der Kontakt abgebrochen war. Sie hatte ihre Bereitschaft betont, das geforderte Lösegeld zu bezahlen und sich selbst im Austausch als Geisel angeboten. In der Nacht zum Dienstag dann waren Katerina Panagopoulos und der Fahrer der Familie in ein abgelegenes Gebiet nahe der Kleinstadt Theben gefahren, um das Geld abzuliefern. Auf Wunsch der Familie war die Polizei der Übergabe ferngeblieben. Der Fahrer hatte auch die Entführung miterlebt: Drei bewaffnete Männer hatten ihm und Periklis Panagopoulos im Wohnort der Familie aufgelauert und beide verschleppt. Den Fahrer setzten sie wenig später aus und fesselten ihn an einen Baum.

Periklis Panagopoulos ist einer der reichsten Männer Griechenlands. Er gilt als öffentlichkeitsscheu und war immer ohne Leibwächter unterwegs. Sein Vermögen hatte er mit dem Aufbau mehrerer Schifffahrtslinien und vor allem dem Fährverkehr zwischen Italien und Griechenland gemacht. 1971 gründete er die Royal Cruise Line, 1993 die "Attica Group", die er im Oktober 2007 für 286 Millionen Euro verkaufte.

Die Entführung hat in Griechenland die Debatte über die öffentliche Sicherheit angeheizt. Nach den wochenlangen Ausschreitungen linksautonomer Jugendlicher und einem Anschlag einer linksradikalen Terrororganisation auf eine Polizeiwache in Athen kritisieren viele Griechen die Regierung für die vermeintlich wachsende Gesetzlosigkeit im Land. In Umfragen liegt die regierende Nea Dimokratia mittlerweile hinter den oppositionellen Sozialisten.

Periklis Panagopoulos war schon das dritte prominente Entführungsopfer im vergangenen halben Jahr. Von seinen Entführern fehlt bislang jede Spur. Die griechische Polizei verwies am Montag auf die hohe Aufklärungsrate in ähnlichen Fällen und versprach, man werde die Täter bald fassen.

Gerettet: Perikles Panagopoulos ist nach einer Woche in der Hand von Kidnappern wieder frei. Foto: AFP

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Toleranz: null Punkte

Ein Homosexueller will Russland beim Eurovision Song Contest vertreten - die Begeisterung in seinem Land hält sich in Grenzen

Von Frank Nienhuysen

Moskau - Selbstzweifel sind nicht hilfreich für jemanden, der den Eurovision Song Contest gewinnen will. Aber Boris Moisejew kann sich seiner Sache kaum sicher sein, nachdem russische Behörden in der Vergangenheit sogar schon einige seiner Konzerte abgesagt haben. "Vielleicht wird ja mein Lied goutiert, ich selber jedoch nicht", sagte er der Zeitung Moskowskij Komsomolez. Moisejew, einer der beliebtesten Schlagersänger Russlands, will sein Land im Mai beim Grand Prix in Moskau vertreten, und sollte ihm dies gelingen, wären Russland wenigstens ein paar Toleranzpunkte sicher.

Der kräftige Mann mit dem wasserstoffblonden Kurzhaar hat sich als einer von wenigen russischen Künstlern zu seiner Homosexualität bekannt, während sich bisher das Verständnis des gastgebenden Moskauer Bürgermeisters Jurij Luschkow für Schwule in engen Grenzen hält. Luschkow hat in den vergangenen Jahren stets hartnäckig die geplante Gay-Parade in der russischen Hauptstadt verbieten lassen, weil sie keine andere Bezeichnung verdiene als "Satanshow". Diesmal fallen die Termine im Mai zusammen, und so versucht sich Luschkow in seiner Intoleranz diesmal großzügig zu zeigen. "Schwule Fans werden in Moskau eine gute Zeit haben, solange sie keine Gay-Parade abhalten."

Ein Leser der Moskowskij Komsomolez fragte nach der Ankündigung Moisejews, beim Grand Prix anzutreten, bereits: "Sind die verrückt - ein Homosexueller soll Russland repräsentieren? Es gibt schon genug Schande bei uns." Der 54 Jahre alte Moisejew kennt die Ressentiments seit seiner Kindheit, als Nachbarjungen ihn mit Stöcken schlugen, "weil ich anders war als sie. Ich war schön, ich konnte gut singen, und ich konnte gut tanzen." In Litauen war er Ballettmeister, bekannt aber wurde er, als er sich Russlands berühmtester Popsängerin Alla Pugatschowa anschloss. Später begann er seine Solokarriere als Sänger softer Popschlager und als Choreograph, hatte seine eigene Fernsehshow und trat auch mal gern in bunten Frauenkleidern auf. Das ist selbstbewusst in einem Land, das erst vor zehn Jahren die Homosexualität von der Liste der Krankheiten gestrichen hat.

Die einen liebten Moisejew stets, die anderen kannten kein Pardon. "Wer meine Konzerte abgesagt hat? Das waren doch Bürokraten, aber ihr Boss Wladimir Putin hat ihnen inzwischen geschrieben, dass Moisejew ein ausgezeichneter Künstler Russlands ist", sagte Moisejew. Und so hofft er nun, ausgestattet auch mit dem Segen der Politführung, dass er genug Breitenwirkung erzielt, um sich im Februar zunächst gegen die nationale Konkurrenz durchzusetzen. "Bambina" heißt sein Titel, und er hat auch schon erzählt, wovon das Lied handelt. "Von einem kleinen Mädchen, das ich bitte, doch mal nach Moskau zu kommen, in unser Land. Damit ich ihm zeigen kann, wie cool es hier ist."

Der schwule Sänger Boris Moisejew will der Welt zeigen, "wie cool Russland ist". Manche Russen finden das eher uncool. Foto: akg-images/ RIA Nowosti

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Barack Obama - 44. Präsident der USA

Monatelang haben nicht nur die Amerikaner diesen Tag herbeigesehnt, und sie haben ihren neuen Präsidenten schon lange vor dessen Einzug ins Weiße Haus mit den höchsten Erwartungen konfrontiert. Am Dienstag in Washington musste Barack Obama darauf die ersten Antworten finden: Millionen Menschen auf allen Kontinenten versammelten sich, um seine Antrittsrede zu hören; und sie werden den Demokraten aus Detroit an den Worten messen, die er für seinen großen Auftritt vor dem Westflügel des Kapitols gefunden hat.

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Der Umzug der Macht

Wie die Bediensteten in kürzester Zeit das Weiße Haus für den neuen Präsidenten einrichteten und eine ganze Stadt den Wandel feiert

Von Stefan Kornelius

George Bush, so sagen jene, die mit ihm telefoniert haben, mache einen entspannten, fast schon erleichterten Eindruck. Und er versuche es auch wieder mit Witzen. Er sei der einzige, so erzählte er unlängst, der in der Zeit der Immobilienkrise in Houston ein Haus gekauft habe. Somit sei er allein verantwortlich für das Wohlergehen der Stadt. Wie das Haus aussehe und wie viele Zimmer er habe, wisse er nicht - der von Laura ausgehandelte Preis habe ihm die Sprache verschlagen. Laura Bush war es auch, die am Ende die wichtigsten Umzugskisten selbst packte - schließlich muss sie selbst wieder auspacken. Das Leben mit Bediensteten hat für den Ex-Präsidenten und seine Familie ein abruptes Ende, es sei denn, sie leisten sich privat Hilfe.

Die Anzüge und Krawatten des ehemaligen Präsidenten werden ihren Weg nach Texas finden, wie schon Hunderte von Kisten, die im Weißen Haus seit Wochen gepackt und versiegelt wurden. Die offiziellen Papiere der 43. Präsidentschaft gehören nun dem Nationalarchiv, das den für Historiker so wertvollen Schatz in einer Lagerhalle in Lewisville, Texas, hütet, ehe er in der Präsidentenbibliothek untergebracht wird.

George Bush hat sich entschieden, seinen Nachlass der Southern Methodist University in Houston zu vermachen, die gar nicht weit von seinem Wohnquartier auf einem Campus im neogotischen Stil residiert. Dort soll nun auch die Bush-Library entstehen, was natürlich die üblichen Zetereien in der eher liberalen Fakultät ausgelöst hat. Auch die Nachbarn sind nicht sehr glücklich - Bush könnte Terroristen anziehen.

Anders als sein vormaliger Chef entschied sich Ex-Vizepräsident Dick Cheney, beim Umzug selbst Hand anzulegen. Cheney zog nach McLean, einem Washingtoner Villenvorort in Virginia, nahe des CIA-Hauptquartiers und der saudischen Botschaft gelegen. Beim Kistenschleppen muss dem willensstarken Cheney aber ein Malheur passiert sein. Sein Arzt attestierte einen eingeklemmten Muskel und empfahl, die nächsten Tage im Rollstuhl zu verbringen. Dem aufrechten Streiter wird dieser Rat besonders missfallen haben. Cheney hatte sich für seinen Logenplatz bei der Amtseinführung vor dem Kapitol einen anderen Auftritt vorgestellt.

Während die Bushs also auszogen, bereiteten die Bediensteten des Weißen Hauses, die Usher, auch schon den Einzug Obamas in das historischste Wohnquartier der Nation vor. Dafür blieben ihnen exakt sechs Stunden Zeit. Die Erzählungen der Usher über diese Augenblicke sind legendär. Unter Tränen wird Abschied genommen - immerhin liegen acht Jahre Wohngemeinschaft hinter dem Commander in Chief und seiner Dienerschar. Dann fährt ein Umzugswagen vor, und binnen kurzer Zeit müssen die 93 Bediensteten das Hab und Gut des neuen Hausherren hineingetragen und verstaut haben.

Wer Präsident wird, muss seine Möbel nicht mitbringen, es sei denn, er hängt an einem besonderen Fernsehsessel oder einem Canapé der Großtante. Ansonsten lebt der erste Bürger Amerikas und seine Familie in hotelähnlicher Atmosphäre. Die Betten werden neu bezogen, vielleicht werden einige Möbel verrückt, andere aus der Lagerhalle des Weißen Hauses in Virginia geholt. Am Ende müssen lediglich die Schränke mit den Klamotten der first family gefüllt werden. Als die Obamas am späten Nachmittag das Haus betraten, sollen auf den Kommoden bereits die Silberrahmen mit den Fotos ihrer Lieben gestanden haben. Die eigentlichen Möbel der Familie aber blieben im Haus in Chicago. Irgendwann wird Michelle Obama ihre Dekorationslust austoben und etwa 200 000 Dollar für neue Vorhänge, neue Wandfarben und Teppiche ausgeben dürfen. Im Kern aber bleibt das Haus, wie es Jackie Kennedy einst dekorierte. Ihr sind die klassischen Möbel und wichtige Teile des präsidentiellen Geschirrs zu verdanken.

Vor dem neuen Präsidenten traf die politische Vorhut im Weißen Haus ein und nahm die Kommandozentrale der USA in Besitz. Rahm Emanuel, der Stabschef, verriet am Vorabend auf einer Party der Kolumnistin Maureen Dowd in Georgetown, dass er gleich nach der Einschwörungszeremonie mit einer Reihe anderer Mitarbeiter in schwarzen Minibussen zum East Wing, dem Bürotrakt neben dem Weißen Haus, gefahren werde - "weil ich telefonieren muss".

Steve Clemons, einer der Lieblingsblogger der neuen Demokraten, fragte neugierig nach dem Gesprächspartner und bekam eine lakonische Antwort: "Mit meiner Mutter." Das neue Weiße Haus soll so verschwiegen sein wie die alte Mannschaft unter Bush. Emanuel konnte bei seiner Gastgeberin auch den Hauch einer legendären Ära atmen. Die Kolumnistin Dowd bewohnt eines der Häuser, in dem John F. Kennedy vor der Präsidentschaft sein Unwesen trieb.

In guter Kennedyscher Tradition hat Barack Obama auch eine Lyrikerin auserkoren, die das Einschwörungs-Zeremoniell vor dem Kapitol mit ihrem Werk schmückte. Elizabeth Alexander, 46, eine schwarze Dichterin aus einem Demokraten-Haushalt (der Vater war Heeres-Staatssekretär unter Jimmy Carter), las ein eigens verfasstes Werk, wie vor ihr schon Amerikas lyrisches Gewissen Robert Frost und drei andere Poeten. Frost war von Kennedy gebeten worden und rezitierte, so die berühmte Anekdote, ein Gedicht aus dem Kopf, weil er die für den Anlass geschriebenen Zeilen wegen der blendenden Sonne nicht vom Blatt ablesen konnten.

Nach Frost wurden noch drei mal mehr oder weniger bekannte Dichter aus der amerikanischen Poeten-Szene gebeten, zu den Amtseinführungen von Jimmy Carter und von Bill Clinton. Über die Reimkunst ist wenig Vorteilhaftes hängen geblieben. Republikanische Präsidenten hatten bisher auf den Lobgesang der Dichter verzichtet. Neben dem Amtseinführungs-Poeten unterhalten die USA den Posten eines Nationaldichters, der - anders als sein britisches Pendant - nicht zum Geburtstag des Königs zur Feder greifen muss.

Obama kennt seine Hausdichterin schon seit Jahren, als beide an der selben Universität in Chicago lehrten. Heute unterrichtet Alexander an der Yale-Universität, und ihre Gedichte kreisen immer wieder um das Thema Gleichheit, Hautfarbe und Rassenprobleme. Es war anzunehmen, das Obama auch ihren Vortrag nicht dem Zufall überließ. Anders als bei der Amtseinführung Clintons sollten die Millionen auf der Mall nicht verzweifelt mit den Augen rollen ob der fürchterlichen Reimkunst eines Dichters.

Mit den Augen gerollt hat mit großer Wahrscheinlichkeit Barack Obama am Vorabend des großen Tages, als ihm die Nachricht vom Fernsehauftritt seines Stellvertreters und dessen Frau berichtet wurde. Vizepräsident Joseph Biden und Gattin Jill plauderten bei Oprah Winfrey in der Talkshow, als Frau Biden plötzlich indiskret wurde und verkündete, ihr Mann habe sich aussuchen können, ob er Vizepräsident oder Außenminister habe werden wollen.

Joe Biden entglitten die Gesichtszüge, das Publikum grölte, aber da war der Schaden schon angerichtet. Jill Biden, die der Vizepräsident Jilly ruft, ließ das Blut endgültig in den Adern gefrieren, als sie die Entscheidung für das Vize-Amt auch noch wortreich begründete: So könne die Familie besser beieinander bleiben und sich auf Veranstaltungen treffen. Das Außenamt sei hingegen mühsam, man müsse viel reisen. Hillary Clinton wird sich über die Nachricht gefreut haben. Und die neue Regierung weiß nun, dass sie nicht nur auf einen geschwätzigen Vizepräsidenten aufpassen muss.

Künftig sollen diese Nachrichten hinter den Mauern des Weißen Hauses verborgen bleiben. In der Residenz, vor der nach Bushs erster Amtseinführung die Menschen noch demonstrierten, wurden die Kuscheltiere für die Obama-Kinder auf den Betten drapiert und der Hauskoch machte sich mit den Lieblingsspeisen der First Family vertraut.

Barack Obama wird am Ende des langen Tags sein Büro inspiziert haben, das George Bush wenige Stunden zuvor makellos hinterlassen hatte. Einzig in der Schreibtischschublade steckte ein Brief vom alten an den neuen Präsidenten, so wie es die Tradition will. In dem Brief sei vom "fabelhaften neuen Kapitel" die Rede, das Obama nun aufschlagen werde, sagte eine Sprecherin. Der Rest bleibt zwischen den beiden Männern.

Ankunft und Abschied: die Ehepaare Obama und Bush. Foto: Reuters

Einer von Millionen Obama-Fans am eiskalten Dienstag in Washington. AP

Am Morgen in der Mall: Schon früh haben sich die Menschen in Washington eingefunden, um die Vereidigung Obamas zu erleben. Foto: AP

Schutz für den Scheidenden: Bewaffnete Polizisten bewachen den Hubschrauber von George W. Bush. AFP

Vor dem "Gotteshaus der Präsidenten": Die Washingtoner St. John's Episcopal Church, die Barack und Michelle Obama am Morgen besuchten, steht in der Nähe des Weißen Hauses. Reverend Luis Leon (rechts) begrüßte das Paar vor der Kirche. Mit Transparenten und Fahnen hießen Amerikaner den neuen Präsidenten in der Nähe des Kapitols willkommen. Foto: AP

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Aktuelles Lexikon

Lincoln-Bibel

Ein bisschen abgegriffen und fleckig ist der weinrote Samt, in den sie gebunden ist: die Bibel, auf die Barack Obama seine Hand legte, um seine Amtszeit nicht nur der Verfassung, sondern zugleich der höchsten Instanz zu verpflichten. Den Eid auf die Bibel zu leisten ist für US-Präsidenten nicht obligatorisch, aber üblich. Am 4. März 1861 schwor Abraham Lincoln an gleicher Stelle auf dieselben 1280 Seiten im Goldrand, die Obama jetzt aus der Bibliothek des Kongresses geliehen hat. Es ist das vielleicht bedeutendste in einer Reihe geschichtlicher Zitate, die seiner Amtszeit schon jetzt historisches Schwergewicht verleihen sollen. Dass Abraham Lincoln genau jene Bibel zu seinem Schwur heranzog, ist ein historischer Zufall. Die Familienbibel befand sich wie dessen übrige Besitztümer noch auf dem Weg von Springfield nach Washington. Gerichtsdiener William Thomas Carroll half Lincoln mit einem Exemplar aus. Diese Bibel ist eigentlich keine Besonderheit, denn sie entstammt einer Auflage, die 1853 hunderttausendfach von der Oxford University Press gedruckt wurde. Auf etwa 40 Euro schätzen Experten heute den Wert einer solchen Bibel. Die Lincoln-Bibel jedoch ist einzigartig und unbezahlbar, noch mehr, da nun zwei Präsidenten sie veredelt haben. Zu Lincolns 200. Geburtstag und wohl auch, um Obamas Aura durchs Land zu tragen, wird die Bibel jetzt in fünf US-Städten ausgestellt. kari

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Heute in der SZ

Über Leben und Tod

Der Bundestag berät darüber, wie verbindlich Patientenverfügungen sein sollen. Drei Gesetzentwürfe liegen vor. 7

Von Bamberg nach Bollywood

In Deutschland ist das Fotomodell Claudia Ciesla weitgehend unbekannt - in Indien verehrt man sie als Star. 9

Die Zeitenwende

Noch ein Gedenkjahr: 1979 prägt die Welt bis heute. Von Claus Leggewie 11

Eine gemachte Heldin

Wie die Medien die ehemalige Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen auf Fallhöhe brachten. Von Hans Leyendecker 15

Begleiter im Geiste

Wenn Kinder mit einem imaginären Gefährten leben, ist das kein Anlass zur Sorge. Von Hubertus Breuer 16

Metro streicht 15 000 Arbeitsplätze

Eckard Cordes baut den Handelskonzern um und will keine schlechten Ergebnisse mehr dulden. 17

Hoffnung, auf Sand gebaut

Selbst Lleyton Hewitt ist müde geworden: Die Tennis-Nation Australien steckt in ihrer schlimmsten Krise. 27

TV- und Radioprogramm 32

Rätsel 9

München · Bayern 30, 31

Familienanzeigen 30

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Ban Ki Moon schockiert über Zerstörung in Gaza

Gaza - UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat sich schockiert über die Kriegszerstörungen im Gazastreifen gezeigt. "Es sind herzzerreißende Szenen", die ihn mit tiefer Trauer erfüllten, sagte Ban am Dienstag über seinen Besuch in dem Palästinensergebiet. Zugleich verurteilte er die exzessive Gewaltanwendung durch Israel und palästinensische Extremisten. (Seite 8)Reuters

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Fiat steigt bei Chrysler ein

Volkswagen und BMW beantragen Kurzarbeit

München - Der italienische Autokonzern Fiat und der amerikanische Autohersteller Chrysler versuchen, mit einem Bündnis in der Autokrise ihre Überlebenschancen zu verbessern. Fiat beteiligt sich mit 35 Prozent an Chrysler. Die Italiener wollen die Amerikaner beim Bau von Kleinwagen unterstützen und umgekehrt ihre Fahrzeuge auch in Nordamerika anbieten. Beide Konzerne sind aufeinander angewiesen: Fiat braucht einen Partner, hat Konzernchef Sergio Marchionne gesagt. Nur sechs Konzerne weltweit würden die gegenwärtige Krise überleben. Chrysler hätte ohne einen Milliarden-Kredit der amerikanischen Regierung in die Insolvenz gehen müssen. Die deutschen Autokonzerne Volkswagen und BMW beantragten unterdessen angesichts der dramatischen Absatzkrise erstmals Kurzarbeit. Bei VW sind zwei Drittel der 92 000 Beschäftigten in Deutschland betroffen, bei BMW jeder dritte Mitarbeiter. (Seiten 17 und 20) mik

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Mehrheit der Länder will Konjunkturpaket billigen

Berlin - Die nach der Hessenwahl gestärkte FDP kann voraussichtlich doch keine Veränderungen am Konjunkturpaket durchsetzen. Am Dienstag meldeten die beiden einzigen Länder mit grüner Regierungsbeteiligung, die Stadtstaaten Hamburg und Bremen, im Bundesrat dem Maßnahmenbündel zustimmen zu wollen. Damit wäre der Weg für das Paket auch ohne die FDP frei. Allerdings fordert der schwarz-grüne Hamburger Senat Nachbesserungen bei der Abwrackprämie. (Seiten 4 und 6) SZ

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Das Streiflicht

(SZ) Man stelle sich vor, Herr Obelix, der dickste und stärkste aller Gallier, nähme eines Tages seinen Hinkelstein und verließe sein gallisches Dorf. Wie es im alten Liede heißt: "Ging allein / In die weite Welt hinein." Ginge fort, gekränkt, beleidigt, weil ihn wieder einmal irgend so eine blöde gallische Schöne verschmäht hat. Ginge weiter und weiter bis in die ferne Stadt Rom, ausgerechnet nach Rom! Wo die blöden Römer wohnen. Weil ihm irgendjemand gesagt hat, dass es im fernen Italien die schöneren Frauen und das bessere Essen gibt. Da säße er dann also mit seinem Hinkelstein an der Piazza Navona, verschlänge Riesenportionen köstliches Zitroneneis, schaute den betörenden Römerinnen nach und würde doch nicht froh dabei - weil ihn das Heimweh grässlich quälen würde. Und seine heißen Tränen brächten das Zitroneneis zum Schmelzen. Genug!

Vom großen, ja kolossalen Schauspielkünstler Gérard Depardieu, der unvergesslich den Obelix gespielt hat, gab es in den vergangenen Tagen verwirrende Nachrichten. Zuerst las man erstaunt, er denke ernsthaft darüber nach, von Frankreich nach Italien zu ziehen. Kurz danach las man gerührt, er denke hieran keineswegs, er bleibe in Frankreich: "Ich bleibe hier. Ich bin ein Mann, der niemals verlässt." Depardieu, der berühmte Verehrer und Jäger der Weiber, ist also ein Bleiber. Ja Mann, was stimmt denn nun? Die erste Meldung oder die zweite? Vermutlich stimmen beide. Dann hätte Depardieu einem wahrhaft unendlichen Epos einen neuen Gesang hinzugefügt. Er hätte ein ergreifendes Beispiel gegeben für die unheilbare Zerrissenheit des Menschen, insbesondere des männlichen Menschen, der lebenslang hilflos zwischen zwei Krankheitszuständen herumirrt: zwischen dem Fernweh und dem Heimweh. Der Mensch reist zum Nordpol und in die Südsee - doch dann ist sein stärkstes Gefühl in der Fremde womöglich die Sehnsucht nach deutschem Brot und Bohnenkaffee. Der Mensch isst seit Jahren nur noch asiatisch-vegetarisch, doch eines Tages geht er an der Wurstbude vorbei, und dann passiert es. Er verspürt in derselben Sekunde Hunger und Heimweh. Und schon beim ersten Bissen muss der Heimkehrer weinen. Die Träne quillt, die Bratwurst hat ihn wieder! Oder, wie es im alten Liede heißt: "Da besinnt / Sich das Kind / Kehrt nach Haus geschwind." So sind wir alle immerzu beides: Wanderer und Bleiber.

Man müsste jetzt auch von der Bibel reden, vom verlorenen Sohn und von Podolskis Heimkehr nach Köln. Aber bleiben wir bei Depardieu. In einem seiner besten Filme ("Chanson d'Amour") steht er am Ende gottverlassen allein vor der Tür, alt und fett. Alles aus. Doch plötzlich kommt die Frau, die er aussichtslos liebt, und umarmt ihn. Kuss und Schluss. Die Schöne, das kann kein Zufall sein, trägt den Namen Cécile de France.

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In Kenia, Herkunftsland von Barack Obamas Vater, feiern die Menschen den neuen US-Präsidenten. Reuters

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Amtseinführung des neuen US-Präsidenten

Millionen bejubeln Obama

"Wir müssen den Staub abschütteln und damit anfangen, Amerika zu erneuern"

Von Jörg Häntzschel

In der ganzen Welt haben Millionen Menschen am Dienstag den Amtsantritt von Barack Obama bejubelt, der als erster schwarzer Präsident der Vereinigten Staaten gegen 12 Uhr mittags Ortszeit vereidigt werden sollte. Vor dem Kapitol in Washington und auf dem Weg zum Weißen Haus drängten sich trotz kalten Winterwetters und strenger Sicherheitsmaßnahmen schon am frühen Morgen Hunderttausende euphorische Menschen auf der National Mall, um Obama und den zukünftigen Vizepräsidenten Joe Biden zu sehen.

Amerika stehe vor ernsthaften Herausforderungen, sagte Obama nach der Vereidigung laut dem vorab verbreiteten Manuskript seiner Rede. Doch er verspreche seinen Landsleuten: "Wir werden sie meistern." Die USA blieben das wohlhabendste und mächtigste Land der Erde. "Mit dem heutigen Tag müssen wir uns aufrichten, den Staub abschütteln und damit anfangen, Amerika zu erneuern." Mit Hoffnung und Tugend sollten die Amerikaner der kalten Gegenwart entgegentreten und allen Stürmen standhalten, die noch vor ihnen liegen würden.

Die gemischte Herkunft der Amerikaner sei eine Stärke, keine Schwäche, sagte Obama weiter. "Wir sind eine Nation von Christen, Muslimen, Juden, Hindus und Atheisten. Jede Sprache und Kultur hat uns beeinflusst." An die islamische Welt gerichtet, sagte Obama: "Wir wollen einen Neuanfang, auf der Grundlage gemeinsamer Interessen und wechselseitigen Respekts." Über die Pläne eines Abzugs aus dem Irak sagte der neue Präsident: "Wir werden den Irak verantwortungsvoll den Irakern überlassen." Weiter kündigte Obama an, sich intensiv um einen Frieden in Afghanistan zu bemühen.

Die Ansprache des neuen Präsidenten, der sich bei der Wahl im November mit dem Versprechen auf einen weitreichenden politischen und weltanschaulichen Kurswechsel gegen seinen republikanischen Konkurrenten John McCain durchgesetzt hatte, war mit besonderer Spannung erwartet worden.

Bei den Feierlichkeiten wurde mit zwei Millionen Zuschauern gerechnet, der größten Menschenmenge, die in der US-Hauptstadt jemals zusammengekommen ist. Überall in den USA, aber auch weltweit, versammelten sich Menschen vor Großleinwänden und bei privaten Partys, um die Amtseinführung des 44. Präsidenten mitzuerleben.

Am Morgen trafen sich Obama und seine Frau Michelle mit George W. Bush und Noch-First-Lady Laura im Weißen Haus zu einem Frühstück. Mit der Vereidigung von Barack Hussein Obama - er bestand auf der vollen Nennung seines zweiten Vornamens - geht die achtjährige Präsidentschaft Bushs zu Ende, der laut offiziellem Programm nach der Vereidigungszeremonie in einem Hubschrauber Washington verlassen wollte. Bush scheidet als einer der sowohl in den Vereinigten Staaten als auch weltweit unpopulärsten Präsidenten der amerikanischen Geschichte aus dem Amt.

Bevor erst Biden, dann Obama selbst den Amtseid ablegen wollten, standen eine Fürbitte des konservativen Pastors Rick Warren, ein Auftritt der Sängerin Aretha Franklin und ein Kammermusik-Stück auf dem Programm, bei dem unter anderem der Cellist Yo-Yo-Ma und der Violinist Itzhak Perlman spielen sollten. Es sollten die Verabschiedung des scheidenden Präsidenten, ein Essen und schließlich die feierliche Parade zum Weißen Haus folgen.

Von den düsteren wirtschaftlichen Aussichten war unter den Besuchern in Washington nichts zu spüren. Sie waren gekommen, um die Ankunft des 47-jährigen Präsidenten und das Ende der Bush-Jahre zu feiern, in denen Millionen Amerikanern ihr eigenes Land fremd geworden war. Für viele Schwarze stellt Obamas Amtseinführung einen späten und ungeahnten Triumph der Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre dar. "Heute ist der wichtigste Tag meines Lebens", sagten viele Menschen im Publikum.

Die Feiern standen unter dem Motto "Eine neue Geburt der Freiheit", einem Zitat aus der Gettysburg-Rede von Abraham Lincoln, dessen Geburtstag sich am 12. Februar zum 200. Mal jähren wird. Lincoln erinnerte in dieser während des Bürgerkriegs gehaltenen Rede seine Landsleute daran, dass sie nicht nur für die Einigkeit des Landes kämpften, sondern für eine "neue Geburt der Freiheit", die gleiche Rechte für alle Menschen bringen werde. Die Senatorin Dianne Feinstein, die für die Auswahl dieses Mottos mitverantwortlich war, erklärte, Lincolns Worte seien besonders passend, um die Amtseinführung des ersten afro-amerikanischen US-Präsidenten zu feiern.

Die Vereidigung war der Höhepunkt eines Marathons von Feiern, Gottesdiensten und Parties, zu der neben Hunderttausenden von Bürgern ein großer Teil des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Establishments Amerikas in die Hauptstadt gekommen war. Das Programm begann am Sonntag mit einem öffentlichen Konzert am Lincoln Memorial.

Mehr zum Thema

Der Umzug der Macht: Wie das Weiße Haus auf die Obamas vorbereitet wird. Seite 2

Ein Mann, ein Versprechen: Washington zelebriert den Beginn einer neuen Zeit. Seite 3

Im Dienst Amerikas: Leitartikel von Stefan Kornelius. Seite 4

Hoffnung auf ein offenes Ohr: Berlin erwartet weniger Alleingänge. Seite 5

Obamas Chancen: Der neue Präsident kann die Wirtschaft verändern. Seite 17

Michelle und Barack Obama verlassen Blair House, das Gästehaus der amerikanischen Regierung. Zusammen mit dem künftigen Vizepräsidentenpaar Jill und Joe Biden besuchten sie einen Gottesdienst in der St.-Johns-Kirche. Anschließend trafen sich die beiden Paare bei den Bushs im Weißen Haus zum traditionellen Kaffeetrinken. Erst dann begann die Vereidigungszeremonie am Kapitol. Foto: AFP

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Das Wetter

München - Von den Alpen bis zur Oder und Neiße Niederschläge als Schnee oder Regen. Im Nordwesten freundlicher. In Küstennähe etwas Regen und in der Eifel vereinzelte Schneeflocken. Minus eins bis plus sechs Grad. (Seite 31)

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Die Welt hofft auf einen Neuanfang

Merkel und Brown erwarten von Obama Hilfe gegen die Wirtschaftskrise, Iran fordert ein Ende der "Feindschaft"

München - Der neue US-Präsident Barack Obama hat zur Amtseinführung am Dienstagabend Glückwünsche aus aller Welt erhalten. Zugleich äußerten viele Staats- und Regierungschefs die Hoffnung, dass es künftig wieder eine bessere Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika geben werde. Bundeskanzlerin Angela Merkel wünschte Obama viel Erfolg im Kampf gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise. "Die Vereinigten Staaten sind der Schlüssel auch für die Besserung der wirtschaftlichen Lage weltweit." Wenn es in den USA nicht aufwärts gehe, werde es auch für andere Regionen "sehr, sehr schwierig", sagte sie im Kanzleramt in Berlin. Weitere wichtige außenpolitische Aufgaben der neuen Regierung seien ein Nachfolgeabkommen für das Klimaschutzprotokoll von Kyoto, die Nahost-Politik und die Nato-Strategie in Afghanistan.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy erklärte, er wolle mit Obama "die Welt ändern". Er könne es kaum erwarten, dass der neue US-Präsident "an die Arbeit" gehe. Großbritanniens Premierminister Gordon Brown bot Obama eine intensive Kooperation an: "Großbritannien steht bei den zahlreichen internationalen Herausforderungen, die vor uns liegen, für eine enge Zusammenarbeit mit der US-Regierung bereit", zitierte ein Sprecher aus einem Brief Browns an Obama. Als Themen nannte Brown den Kampf gegen die Wirtschaftskrise, den Umweltschutz, den Nahost-Friedensprozess und Afghanistan. Großbritannien ist traditionell der engste Verbündete der Vereinigten Staaten. Stephen Harper, Regierungschef in Kanada, einem Nachbarland der USA, forderte, Obama solle sich für die Stabilisierung der Wirtschaft einsetzen.

Aus Russland lag zunächst keine offizielle Reaktion der Staats- und Regierungsspitze vor. Präsident Dmitrij Medwedjew sagte laut der Nachrichtenagentur Interfax aber bei einem Treffen mit Sergej Kisljak, dem russischen Botschafter in Washington: "Natürlich hoffen wir, dass sich mit dem Antritt der neuen US-Regierung die Beziehungen zwischen unseren Ländern adäquat entwickeln, vor allem, weil sich in der letzten Zeit eine Menge Probleme angehäuft haben." Man hoffe, zur Regierung von Obama in Amerika "eine stabile, aktive Beziehung aufzubauen". Er rechne damit, "dass wir darüber beim ersten Besuch des neuen Präsidenten reden werden".

Die iranische Führung wünscht sich einen Neuanfang in den Beziehungen zu den USA. Außenminister Manutschehr Mottaki erklärte, die USA hätten in den vergangenen Jahren keine vernünftige Annäherung an Iran gesucht. Wenn Obama die Vergangenheit hinter sich lasse und Feindschaft sowie Hegemoniestreben beende, werde es "keine Feindschaft geben". Vergangene Woche hatte bereits Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad gesagt, eine Annäherung, die auf Respekt und Freundschaft basiere, "würden wir sehr begrüßen".

Israels Präsident Schimon Peres würdigte Obamas Amtseinführung als großen Tag für die ganze Welt. Damit werde einer der größten Fehler der Geschichte, nämlich die Sklaverei, korrigiert, sagte Peres in Jerusalem. Peres versicherte, Israel werde für Obama ein guter Partner sein. Alle hofften, dass Obama mit gutem Willen und Dialog eine friedliche Lösung für alle betroffenen Parteien im Nahen Osten bringen könne.

Papst Benedikt XVI. wünschte Obama Erfolg und Gottes Segen zum Aufbau einer gerechten und freien Gesellschaft. In einem Telegramm äußerte er die Hoffnung, Obama möge zu gegenseitigem Verständnis, zu Zusammenarbeit und Frieden unter den Nationen beitragen.SZ

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Aktuelles in Zahlen

Basketball

NBA

Philadelphia - Dallas 93:95 (Williams 25, Iguodala 18/12 Reb., Miller 12/7 Ass., Ivey 11, Young 11 - Nowitzki 24, Kidd 22/12 Reb./6 Ass., Terry 20, Howard 10/8 Reb.), New York - Chicago 102:98, Atlanta - Toronto 87:84, Charlotte - San Antonio 84:86, Houston - Denver 115:113, LA Clippers - Minnesota 86:94, New Orleans - Indiana 103:100, Golden State - Washington 119:98, Memphis - Detroit 79:87, Boston - Phoenix 104:87, Portland - Milwaukee 102:85, LA Lakers - Cleveland 105:88.

Eishockey

NHL

New York Islanders - Washington 1:2 n.V., Tampa - Dallas 4:2, Boston - St. Louis 4:5 n.P., Toronto - Carolina 0:2, Florida - Buffalo 2:3 n.P., Chicago - Minnesota 1:4, Nashville - New Jersey 1:3.

Eiskunstlaufen

Europameisterschaften in Helsinki

Eistanz, nach dem Pflichttanz (Finnstep): 1. Chochlowa/Nowitzki (Russland) 37,43 Punkte, 2. Faiella/Scali (Italien) 36,03, 3. S. Kerr/J. Kerr (Großbritannien) 34,89, 4. N. Bourzat/F. Bourzat (Frankreich) 34,38, 5. Domnina/Schabalin (Russland) 33,53, 6. Carron/Jost (Frankreich) 33,21, 7. Cappellini/Lanotte (Italien) 32,58, 8. Hoffmann/Sawonin (Ungarn) 31,13, 9. Sadoroschnjuk/Werbillo (Ukraine) 30,34, 10. A. Zaretski/R. Zaretski (Israel) 30,16, 14. C. Hermann/D. Hermann (Dortmund) 28,40.

Fußball

England, 22. Spieltag

FC Liverpool - FC Everton 1:1
1 Manchester United 21 34:10 47
2 FC Liverpool 22 36:14 47
3 FC Chelsea 22 42:13 45
4 Aston Villa 22 37:24 44
5 FC Arsenal 22 37:24 41
6 FC Everton 22 30:26 36
7 Wigan Athletic 22 25:23 31
8 West Ham United 22 29:31 29

Handball

Männer, WM in Kroatien, 3. Spieltag

Gruppe A in Osijek

Rumänien - Argentinien 30:26 (15:13)

Ungarn - Slowakei 24:24 (12:6)

Frankreich - Australien 42:11 (20:3)

1. Frankreich * 3 2 0 0 106:58 6

2. Slowakei 3 2 1 0 98:61 5

3. Ungarn 3 2 1 0 95:68 5

4. Rumänien 3 1 0 2 78:87 2

5. Argentinien 3 0 0 3 77:90 0

6. Australien 3 0 0 3 40:130 0

Mittwoch: Australien - Rumänien, Ungarn - Argentinien, Slowakei - Frankreich.

Gruppe B in Split

Südkorea - Kuwait 34:19 (15:9)

Schweden - Spanien 34:30 (19:13)

Kroatien - Kuba 41:20 (20:9)

1. Kroatien * 3 3 0 0 108:67 6

2. Schweden * 3 3 0 0 106:69 6

3. Spanien 3 2 0 1 122:71 4

4. Südkorea 3 1 0 2 85:77 2

5. Kuwait 3 0 0 3 57:121 0

6. Kuba 3 0 0 3 54:127 0

Mittwoch: Kuba - Südkorea, Schweden - Kuwait, Spanien - Kroatien.

* Bereits für die Zwischenrunde qualifiziert.

Gruppe C in Varazdin

Deutschland - Algerien 32:20 (16:10)

Deutschland: Bitter (Hamburg), Lichtlein (Lemgo) - Hens (Hamburg) 2, Roggisch (RN Löwen) 1, Klein (Kiel) 3, Müller (Großwallstadt) 2, Strobel 1, Preiß (beide Lemgo) 1, Tiedtke (Großwallstadt) 4, Glandorf (Nordhorn) 5, Jansen (Hamburg) 6/4, Kraus 2, Kaufmann (beide Lemgo) 2, Schröder (Hamburg) 3.

Algerien: Rabir, Kerbouche - O. Chehbour 2, Benkahla, Boudrali 1, Labane, Bouakaz, Boultif 3, Layadi 2, R. Chehbour 3, Berriah 8, Toum 1.

Schiedsrichter: Krstic/Ljubic (Slowenien). - Zuschauer: 1500. - Strafminuten: 12 / 6.

Polen - Mazedonien 29:30 (15:16)

Russland - Tunesien 36:31 (16:11)

1. Deutschland 3 2 1 0 84:70 5

2. Polen 3 2 0 1 92:74 4

3. Mazedonien 3 2 0 1 86:73 4

4. Russland 3 1 1 1 84:81 3

5. Tunesien 3 1 0 2 80:86 2

6. Algerien 3 0 0 3 61:103 0

Mittwoch: Algerien - Russland, Mazedonien - Deutschland (17.30 Uhr), Polen - Tunesien.

Gruppe D in Porec

Brasilien - Serbien 32:30 (14:14)

Norwegen - Ägypten 30:20 (14:10)

Dänemark - Saudi-Arabien 32:13 (17:4)

1. Norwegen 3 3 0 0 108:64 6

2. Dänemark 3 3 0 0 109:76 6

3. Serbien 3 1 0 2 96:91 2

4. Ägypten 3 1 0 2 68:78 2

5. Brasilien 3 1 0 2 80:109 2

6. Saudi-Arabien 3 0 0 3 54:97 0

Mittwoch: Saudi-Arabien - Brasilien, Norwegen - Serbien, Ägypten - Dänemark.

Radsport

Tour Down Under in Australien

1. Etappe über 140 km von Norwood nach Mawson Lakes: 1. Greipel (Rostock/Columbia) 3:45:27 Stunden, 2. Cooke (Unisa), 3. O'Grady (Saxo Bank), 4. McEwen (alle Australien/Katjuscha), 5. Guanieri (Italien/Liquigas), 6. Davis (Australien/Quick Step), 7. Stroetinga (Niederlande/Milram), 8. Gudsell (Neuseeland/Francaise des Jeux), 9. Barla (Milram), 10. Grendene (beide Italien/Lampre), 120. Armstrong (USA/Astana) alle gleiche Zeit.

Gesamtwertung: 1. Greipel 3:45:16 Stunden, 2. Cooke 0:05 Minuten zurück, 3. Kaisen (Belgien/Lotto) gleiche Zeit, 4. O'Grady 0:07, 5. Lafuente (Spanien/Euskaltel) gleiche Zeit, 6. Walker (Australien/Fuji) 0:10, 7. McEwen 0:11, 8. Guanieri, 9. Davis, 10. Stroetinga, 120. Armstrong alle gleiche Zeit.

Snowboard

Weltmeisterschaft in Gangwon/Südkorea

Männer, Parallel-Riesenslalom: 1. Anderson (Kanada); 2. Dufour (Frankreich); 3. Morison (Kanada); 4. Karl; 5. Grabner; 6. Prommegger (alle Österreich); 7. S. Schoch (Schweiz); 8. Lambert (Kanada); 28. Hafner (Berchtesgaden); 31. Bussler (Aschheim).

Frauen, Parallel-Riesenslalom: 1. Kreiner; 2. Günther (beide Österreich); 3. Kummer (Schweiz); 4. Takeuchi (Japan); 5. Tudigeschewa (Russland); 6. Sauerbreij (Niederlande); 7. Riegler (Österreich); 8. Desmares (Frankreich); 10. Kober (Miesbach); 17. Jörg (Sonthofen); 31. Karstens (Bischofswiesen).

Tennis

97. Australian Open in Melbourne

(12,02 Mio. Euro), Männer

1. Runde: Haas (Sarasota) - Schwank 6:3, 6:3, 6:4; Berrer (Stuttgart) - Ball (Australien) 6:2, 6:4, 6:3; Beck (Stuttgart) - Ebelthite (Australien) 7:5, 6:1, 6:0; Sela (Israel) - Schüttler (Korbach/30) 1:6, 6:2, 6:4, 6:4; Canas (Argentinien) - Kindlmann (Erfurt) 3:6, 7:5, 5:7, 6:0, 7:5; Nadal (Spanien/1) - C. Rochus (Belgien) 6:0, 6:2, 6:2; Murray (Großbritannien/4) - Pavel (Rumänien) 6:2, 3:1 Aufgabe; Tsonga (Frankreich/5) - Monaco (Argentinien) 6:4, 6:4, 6:0; Simon (Frankreich/6) - Andujar (Spanien) 6:4, 6:1, 6:1; Blake (USA/9) - Dancevic (Kanada) 6:4, 6:3, 7:5; Monfils (Frankreich/12) - Vassallo (Argentinien) 6:1, 6:3, 7:5; Gonzalez (Chile/13) - Hewitt (Australien) 5:7, 6:2, 6:2, 3:6, 6:3; Verdasco (Spanien/14) - Mannarino (Frankreich) 6:0, 6:2, 6:2; Almagro (Spanien/17) - Massu (Chile) 6:4, 6:4, 3:6, 5:7, 6:3; Andrejew (Russland/18) - Polansky (Kanada) 5:7, 3:6, 6:4, 6:3, 6:4; Stepanek (Tschechien/22) - Lapentti (Ecuador) 3:6, 6:3, 6:4, 6:4; Gasquet (Frankreich/24) - Junqueira (Argentinien) 6:7 (5), 7:6 (3), 6:3, 6:4; Karlovic (Kroatien/25) - Gimeno-Traver (Spanien) 6:3, 6:4, 6:4; Cipolla (Italien) - Tursunow (Russland/29) 4:6, 6:2, 7:6 (7), 7:5; Melzer (Österreich/31) - Nishikori (Japan) 7:5, 6:2, 6:1.

Frauen

1. Runde: Lisicki (Berlin) - Wozniak (Kanada/30) 6:4, 6:3; Malek (Bad Saulgau) - Morita (Japan) 7:6 (4), 6:2; Dementjewa (Russland/4) - Barrois (Stuttgart) 7:6 (4), 2:6, 6:1; V. Williams (USA/6) - Kerber (Kiel) 6:3, 6:3; Baltacha (Großbritannien) - Grönefeld (Nordhorn) 6:1, 6:4; S. Williams (USA/2) - Meng (China) 6:3, 6:2; Kusnezowa (Russland/8) - Rodionowa (Russland) 6:2, 3:6, 6:3; K. Bondarenko (Ukraine) - Radwanska (Polen/9) 7:6 (7), 4:6, 6:1; Pennetta (Italien/12) - Santangelo (Italien) 6:2, 5:7, 6:2; Asarenka (Weißrussland/13) - Kvitova (Tschechien) 6:2, 6:1; Schnyder (Schweiz/14) - Mladenovic (Frankreich) 2:6, 6:4, 6:2; Cibulkova (Slowakei/18) - Scheepers (Südafrika) 6:0, 6:0; Mauresmo (Frankreich/20) - Goworzowa (Weißrussland) 6:4, 6:3; Garrigues (Spanien/21) - Holland (Australien) 6:1, 7:5; Jie (China/22) - Pin (Frankreich) 6:3, 6:3; Shuai (China) - Schiavone (Italien/28) 7:6 (4), 6:1; A. Bondarenko (Ukraine/31) - Rogowska (Australien) 5:7, 6:3, 6:2; Martinez-Sanchez (Spanien) - Tanasugarn (Thailand/32) 7:5, 6:3.

Sportwetten

Fußballtoto, 4. Wettbewerb

Tendenz Tipp

1 Juventus Turin - AC Florenz 5 3 2 1

2 SSC Neapel - AS Rom 4 3 3 0

3 FC Bologna - AC Mailand 2 3 5 2

4 AC Siena - Atalanta Bergamo 3 4 3 1

5 Lazio Rom - Cagliari Calcio 5 3 2 1

6 CFC Genua - Catania Calcio 5 3 2 1

7 Reggina Calcio - Cievo Verona 3 4 3 0

8 US Lecce - FC Turin 4 3 3 0

9 US Palermo - Udinese Calcio 4 3 3 2

10 Cardiff City - Arsenal London 1 3 6 2

11 Sunderland - Blackburn Rovers 4 3 3 1

12 FC Liverpool - FC Everton 4 3 3 1

13 Manchester Utd. - Tottenham 5 3 2 1

Sport im Fernsehen

Mittwoch, 21. Januar

9.30 - 14.00 Uhr, Eurosport: Tennis, Australian Open in Melbourne, 3. Tag.

14.00 - 16.00 Uhr, Eurosport: Eiskunstlaufen, Europameisterschaften in Helsinki, Kurzprogramm der Männer.

16.00 - 17.00 Uhr, Eurosport: Motorsport, Rallye Monte Carlo.

17.30 - 21.05 Uhr, Eurosport: Eiskunstlaufen, Europameisterschaften in Helsinki, Kür der Paare.

17.30 - 19.00 Uhr, RTL: Handball, Weltmeisterschaft in Kroatien, Gruppe C, Mazedonien - Deutschland.

19.15 - 22.15 Uhr, DSF: Handball, Weltmeisterschaft in Kroatien, Gruppe C, Polen - Tunesien sowie Gruppe B, Spanien - Kroatien.

20.15 - 22.30 Uhr, NDR 3: Fußball, Testspiel, Hannover 96 - AC Mailand.

Donnerstag, 22. Januar

1.00 - 9.30 Uhr, Eurosport: Tennis, Australian Open in Melbourne, 4. Tag.

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Voll in der Szene

Luke Steelerstahl und die neueste Anbiederung ans Wahlvolk

Im Sport geht es um Siege, um Titel - und um Wählerstimmen. Clevere Politiker stellen sich schon lange nicht mehr bei strömendem Regen in die Fußgängerzone, um das Volk zu überzeugen. Sie halten auch keine langen Bierzelt-Reden mehr. Sie marschieren schnurstracks in ein Fußballstadion, denn dort sitzen sie unterm Dach, wenn es regnet, und erreichen bedeutend mehr Menschen. Es hat etwas Bodenständiges, wenn der Minister mit dem Fan seiner Lieblingsmannschaft zujubeln. So trägt Kurt Beck den Kaiserslautern-Schal, Peer Steinbrück den von Alemannia Aachen und Angela Merkel den von Energie Cottbus. Von Theo Waigel, dem alten Löwen, und Edmund Stoiber, dem Aufsichtsratsmitglied des FC Bayern, zu schweigen.

Besonders eifrig brachte sich der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder unters Volk. Das Bildarchiv spuckt unter anderem aus: Schröder mit Kaiserslautern-Schal (Januar 2001), Schröder mit Cottbus-Schal (April 2001), Schröder mit Dortmund-Schal (Dezember 2002) und Schröder mit Schalke-Trikot (März 2005) - und das alles, obwohl Schröder als Hannover-Fan gilt. Andere Bundesligisten durften sich damit trösten, dass gerade keine Kamera da war, als Schröder ein Fan-Utensil ihres Vereins trug, und Schröder musste nur aufpassen, dass er nicht aus Versehen mit dem Dortmund-Shirt auf Schalke auftauchte.

Nun verlangt das Tempo des 21. Jahrhunderts, dass alles immer noch mehr, noch schneller, noch intensiver wird - auch das öffentliche Bekenntnis zum Klub. Die Schalphase ist vorbei. Der echte Fan gibt gleich seinen Namen her. SPD-Politiker Thorsten Schäfer-Gümbel hat das im hessischen Wahlkampf vorgemacht. Als TSG rang er um die Stimmen - und erinnerte mit diesem Kürzel an den angriffslustigen, modernen und erfolgreichen Bundesliga-Aufsteiger TSG Hoffenheim. So erklärte sich auch, warum sich TSG bei der Hochzeit mit seiner Frau Annette entschied, seinen Nachnamen vor ihren zu setzen. TGS steht in der Sportwelt für die unmoderne Turngesellschaft, zudem für die TGS Eschborn. In Eschborn wohnt Roland Koch.

Doch ist TSG nichts gegen Luke Ravenstahl, den Bürgermeister der amerikanischen Stadt Pittsburgh. Der griff eine Idee von Radiohörern auf, die ihm bei der nächsten Wahl mindestens zehn Prozent der Stimmen sichert. Ravenstahl passte seinen Nachnamen dem Football-Team Pittsburgh Steelers an und ließ ihn provisorisch in Steelerstahl ändern. Er wollte den Steelers im Halbfinale um den Einzug ins Super-Bowl-Finale moralische Unterstützung mit auf den Weg zu geben.

Die Idee wird in deutsche Wahlkampf-Zentralen einziehen. Im Superwahljahr 2009 stehen 13 weitere Urnengänge an, und damit genügend Möglichkeiten, um den Namen des Spitzenmanns in den Namen des größten örtlichen Klubs einzusetzen. Meist kommt da ja nur einer in Frage. Entscheidungsprobleme hätte wohl nur Gerhard Schröder gehabt. Aber der kümmert sich jetzt weniger um deutsche Politik als um russisches Gas, und damit lässt sich zurzeit das Image kaum verbessern. Johannes Aumüller

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Eistanzpaar Hermann bei der EM

Pflicht gelungen

Helsinki (sid) - Das EM-Debüt der deutschen Eistanz-Meister Carolina und Daniel Hermann ist gelungen. Das Geschwisterpaar aus Dortmund belegt bei den Europameisterschaften in Helsinki nach dem Pflichttanz den 14. Platz und hat damit den ersten Schritt zur WM-Qualifikation gemeistert. Die Westfalen müssen EM-Rang 15 belegen, um bei den Welttitelkämpfen in Los Angeles startberechtigt zu sein. "Das war nicht unsere Bestleistung, aber wir sind sehr zufrieden, schließlich ist es unsere erste EM", sagte Carolina Hermann nach dem Auftakt. Die von Bundestrainer Martin Skotnicky betreuten Eistänzer kamen mit dem neuen Pflichttanz Finnstep gut zurecht, der slowakische Coach hatte diesen Tanz in den neunziger Jahren kreiert. Skotnicky lobte: "Ein guter Einstand."

In Abwesenheit der Weltmeister Isabelle Delobel und Olivier Schoenfelder (Frankreich) tanzen Jana Chochlowa und Sergej Nowitzki ihrem ersten EM-Titel entgegen. Das russische Paar sammelte 37,43 Punkte und hielten damit die Italiener Federica Faiella und Massimo Scali (36,03) vor dem Originaltanz am Donnerstag auf Abstand. Der mitfavorisierte Maxim Schabalin kam an der Seite von Partnerin Oksana Domnina zu Fall, die russischen Titelverteidiger wurden Fünfte - für sie scheint die Goldmedaille schon außer Reichweite zu sein.

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Lieber abwarten und später Gas geben

Finanzkrise hin, Regeländerungen her: Der Formel-1-Rennstall BMW-Sauber hält am hohen Saisonziel fest

Valencia - Zum Siegen verdammt, das klingt so martialisch. Und so gar nicht nach der analytischen, unaufgeregten Herangehensweise, von der im Medienbuch des Formel-1-Rennstalls BMW-Sauber zur neuen Saison die Rede ist. Also sagt BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen über das vielleicht wichtigste Jahr seines Formel-1-Rennstalls lieber: "Wir haben den Anspruch, uns im Verhältnis zur Konkurrenz zu steigern." Konkreter wird das, wenn man im Vier-Jahres-Plan des Münchner Konzerns blättert, in dem für 2009 die Mit-Fahrt um den Titel als Pflicht markiert ist. Bis dato Jahr für Jahr alle Planziele abgehakt zu haben, sorgt für den Druck. Theissen weiß, dass dem WM-Dritten BMW-Sauber nur die Flucht nach vorn hilft: "Warum sollen wir nicht auch das letzte und schwierigste Ziel erreichen?" Die Antwort muss er nach dem Roll-Out des neuen Dienstwagens von Nick Heidfeld und Robert Kubica in dieser Woche auf der spanischen Rennstrecke Ricardo Tormo suchen. Die Wahrheit liegt auf dem Asphalt.

Die Start-Ziellinie des kleinen Autodroms vor der Stadtgrenze von Valencia liegt noch im Schatten, als der F1.09 enthüllt wird. Die Gesichter sind grimmig, aber das hat nur mit den Temperaturen zu tun. Robert Kubica sagt über den ersten Eindruck nach der Installationsrunde nur: "Es war kalt. " Ganz legt sich die Anspannung in der Mimik auch später in der wärmenden Sonne nicht, es liegt am Druck und der Ungewissheit. Nach den dramatischen Regeländerungen gilt das nicht nur sportlich und technisch. Etwa zur gleichen Zeit, als der F1.09 seine Premiere erlebt, gibt BMW bekannt, 26 000 Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken, auch in den Formel-1-Motorenwerken Landshut und Dingolfing. Schlichter und effizienter als das Rennteam sich präsentiert, geht es kaum. Das einfache weiße Zelt an der Piste, der Wegfall aller Show-Elemente ist nur ein kleines Zeichen, aber zumindest eins, dass die Signale verstanden worden sind.

Auffällig am neuen F1.09 ist seine weiße Farbe - kurz vor der Präsentation zog sich die Schweizer Bank Credit Suisse als Sponsor zurück. Über dem Motor und an den Frontflügeln bleiben deshalb Werbeflächen frei. Trotz des Verlustes von geschätzt 15 Millionen Euro spricht Theissen davon, dass der Saisonetat "absolut" gesichert ist. Intern hatte man schon seit letztem Frühjahr mit dem Ausstieg des Geldhauses gerechnet, dem früher ein Teil des Teams gehörte. Theissen rechnet vor, dass die Saison 2009 nochmal günstiger wird als die vorige, dazu habe man in der Aufbauphase der letzten drei Jahre die Budgets schon um ein Drittel reduziert. Der Manager sieht sich damit gerüstet für die anvisierte Etatregulierung in der Formel 1. Die BMW-Spitze hatte nach dem Honda-Ausstieg im Dezember ihr Engagement eigens bekräftigt.

Die neue Rennwagen-Generation präsentiert sich komplett anders. Vorne breit, dann eine hohe Nase, am Heck ein Flügelkasten, unter der Hülle steckt Kers, das System zur Rückgewinnung von Bremsenergie. Die Aerodynamik bestimmt über die Ästhetik. Kein Team kann heute wissen, ob es den richtigen Weg eingeschlagen hat. Angesichts des Testverbots ab April bleibt wenig Gelegenheit zu einer Korrektur. Auch das Design wird deshalb zur Druck-Sache. Dass der erste Auftritt des neuen BMW keine große Überraschung ist, liegt daran, dass das deutsch-schweizerische Team als einziger Rennstall schon im Winter ein Übergangsauto eingesetzt hat. Mit diesem Erfahrungsschatz sucht man schon zum Saisonbeginn (29. März) einen Vorsprung. Und mit Kers natürlich, das BMW so vehement vorantreibt wie kein anderes Team - auch, um im Konzern die Ausgaben für die Formel 1 zu rechtfertigen. Erstaunlich daher, dass sich Theissen den Einsatz des Speichersystems, das auf Knopfdruck Zusatzschub beim Überholen liefert, beim ersten Rennen vorbehält: "Noch ist es nicht einsatzbereit." Lieber abwarten und später strategisch einsetzen: "Wann immer es kommt, wird es ein Vorteil sein." Doch so viel Zweifel wie 2009 war nie.

Einen Leistungsabfall wie im zweiten Rennhalbjahr 2008, als man die WM-Führung wieder abgeben musste, kann sich angesichts der neuen Erwartungshaltung keiner leisten. Robert Kubica, im Vorjahr enttäuschter WM-Vierter, wünscht sich: "Dass wir zu Saisonbeginn so stark wie letztes Jahr sind, und dieses Niveau bis zum Finale halten können." Kollege Nick Heidfeld hofft nach WM-Platz sechs auf eine Verschiebung der Kraftverhältnisse. Nicht nur generell, sondern vor allem persönlich. Der 31 Jahre alte Gladbacher sieht in der durch die Slick-Reifen bedingten radikalen Änderung des Fahrstils seine Chance, allein wegen seiner Erfahrung. Das eigene Ziel nach 152 Starts ohne einen Grand-Prix-Erfolg passt in die generelle Erfolgsrechnung: "Ziel ist es, die WM zu gewinnen, nicht nur ein Rennen." Elmar Brümmer

Enthüllung: Die Rennfahrer Nick Heidfeld (links) und Robert Kubica geben den Blick auf das neue Formel-1-Auto von BMW-Sauber frei. Foto: dpa

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Nach Vorwürfen von Stefanie Herms

DLV wehrt sich

Darmstadt (dpa) - Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hat sich gegen Vorwürfe gewehrt, er habe sich in den vergangenen Jahren nicht mehr um den am 10. Januar gestorbenen 800-Meter-Läufer René Herms gekümmert. "Sowohl Bundestrainer Henning von Papen als auch DLV-Teammanager Siegfried Schonert hielten regelmäßigen Kontakt zu René, auch nach seinem Ausscheiden aus dem B-Kader 2008/2009", sagte DLV-Präsident Clemens Prokop in einer Presseerklärung vom Dienstag.

Herms' Witwe hatte mangelnde Unterstützung durch den Verband beklagt. "So lange René gut gerannt ist, da war er der tolle Sportler. Als er aber in Schwierigkeiten steckte, mit Problemen zu kämpfen hatte und Hilfe gebraucht hätte, da wurde ihm der Rücken gekehrt", sagte Stefanie Herms in einem Zeitungsinterview. Der mehrmalige deutsche Meister habe in den vergangenen zwei Jahren - ohne WM- (2007) und Olympia-Nominierung (2008) - praktisch "fast alles verloren, was ihm ein problemloses Training ermöglicht hätte".

Prokop verwies darauf, dass die Förderung des DLV begrenzt sei auf Training und trainingsbegleitende Maßnahmen. "Eine individuelle wirtschaftliche Unterstützung findet durch den DLV grundsätzlich nicht statt und ist bei circa 500 Kaderathleten nicht möglich." Der Verband kündigte an, bei den deutschen Hallenmeisterschaften in Leipzig am 21./22. Februar Herms zu gedenken: "In Erinnerung an den Ausnahmeathleten René Herms werden wir zum einen Bilder aus seiner Karriere zeigen, zum anderen wollen wir die Spendenaktion des Dresdner SC 1898 unterstützen, um so Frau Herms finanziell zu helfen", sagte Prokop.

Der Läufer starb aus bisher ungeklärter Ursache. Mit dem Obduktionsergebnis ist gegen Ende dieser Woche zu rechnen. Der Leichnam, der am 10. Januar gefunden wurde, war am vergangenen Freitag obduziert worden. Herms wurde nur 26 Jahre alt. "Er bekommt eine würdige Bestattung am 26. Januar in Pirna. Das ist er uns wert, selbst wenn wir Kredite aufnehmen müssen", hatte Stefanie Herms angekündigt.

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Schneefall in Kitzbühel und Cortina

Abfahrtstraining fällt aus

Kitzbühel/Cortina (dpa) - Das erste Training der alpinen Ski-Rennfahrer für die traditionsreiche Hahnenkamm-Abfahrt am kommenden Samstag in Kitzbühel ist am Dienstag wegen Schneefalls abgesagt worden. Auch der erste Trainingslauf der Frauen für die beiden Weltcup-Abfahrten an diesem Freitag und Samstag in Cortina d'Ampezzo fiel wegen heftigen Schneefalls in dem italienischen Wintersportort aus.

Bei den Rennen auf der Piste Olimpia delle Tofana muss der Deutsche Skiverband (DSV) ohne Gina Stechert auskommen. Die 21-Jährige vom SC Oberstdorf verzichtet wegen eines grippalen Infektes auf einen Start. Maria Riesch geht dagegen mit großen Hoffnungen in die Speed-Rennen in Italien, die am Donnerstag mit einem Super-G eröffnet werden sollen. "Ich habe gute Erinnerungen an Cortina. Im letzten Jahr konnte ich den Super-G gewinnen", sagte Riesch. Sie wolle in allen Rennen Top-Platzierungen erzielen. In der Weltcup-Gesamtwertung liegt die Partenkirchenerin mit 765 Punkten hinter der Amerikanerin Lindsey Vonn (776) auf dem zweiten Platz.

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Kurz gemeldet

Philipp Lahm, Fußball-Nationalspieler des FC Bayern München, und sein französischer Teamkollege Franck Ribéry wurden auf der Internetseite des Weltverbandes Fifa in die "Elf 2008" gewählt.

Zlatan Ibrahimovic ist Italiens Fußballer 2008. Der schwedische Nationalstürmer von Inter Mailand gewann die Wahl der Profi-Vereinigung, Alessandro Del Piero (Juventus Turin) wurde als bester italienischer Spieler geehrt, Cesare Prandelli (AC Florenz) als bester Trainer.

Espanyol Barcelona, spanischer Fußball-Erstligist, hat sein Trainer José Manuel Esnal nach nicht einmal zwei Monaten im Amt entlassen. Nachfolger bei den abstiegsgefährdeten Katalanen soll der Argentinier Mauricio Pochettino werden, ein ehemaliger Espanyol-Profi.

Der Transfer von Zé Roberto II von Schalke zum brasilianischen Klub Flamengo Rio de Janeiro ist perfekt, der Mittelfeldspieler kehrt auf Leihbasis für ein Jahr zu seinem früherem Klub zurück.

Werder Bremen, Fußball-Bundesligist, muss eine Geldstrafe von 3000 Euro zahlen. Das Sportgericht des DFB ahndete, dass Bremer Fans in zwei Spielen Rauchbomben gezündet hatten.

Der MSV Duisburg, Fußball-Zweitligist, und Abwehrspieler Fernando Avalos aus Argentinien haben sich auf eine sofortige Vertragsauflösung geeignet.

Die SG Flensburg-Handewitt, Handball-Bundesligist, muss sechs Monate auf Rückraumspieler Alen Muratovic, 29, verzichten. Der Montenegriner hatte sich in einem Testspiel die rechte Schulter ausgekugelt und dabei eine schwere Gelenkverletzung erlitten.

Fabian Hambüchen, Reck-Weltmeister, wird beim American Cup am 21. Februar in Chicago in die Saison starten. Der 21-Jährige hat eine Fingeroperation auskuriert und trainiert wieder.

Box-Weltmeister Vitali Klitschko verteidigt seinen Schwergewichtstitel gegen Juan Carlos Gomez (Kuba) am 21. März in der Stuttgarter Schleyerhalle.

Ohne Michael Neumayer starten die deutschen Skispringer am Wochenende bei der Olympia-Generalprobe in Vancouver. Der Berchtesgadener hatte sich nach der Vierschanzentournee einen Infekt zugezogen.

Der Bund Deutscher Radfahrer hat ein Sparprogramm angekündigt, da seine Einnahmen aus Sponsoring und Veranstaltungs-Gebühren um eine halbe Millionen Euro gesunken seien. In allen Bereichen müssten die Ausgaben drastisch reduziert werden, teilte der BDR mit.

Die Straubing Tigers haben ihren kanadischen Stürmer Eric Chouinard, 28, vom Spiel- und Trainingsbetrieb suspendiert. Gründe für die Entscheidung nannte der Klub aus der Deutschen Eishockey Liga nicht.

Für Erben Wennemars, den fünfmaligen Eisschnelllauf-Weltmeister aus den Niederlanden, ist die Saison beendet. Wennemars war am Samstag bei der Sprint-WM in Moskau schwer gestürzt und hatte dabei mehrere Muskelfaserrisse im Oberschenkel, Becken- und Bauchbereich erlitten.

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Snowboard-WM in Südkorea

Nächste Enttäuschung

Gangwon/München (dpa) - Die deutschen Snowboarder um die Olympia-Zweite Amelie Kober haben bei den Weltmeisterschaften in Südkorea die nächste Enttäuschung erlebt. Als beste Deutsche erreichte Kober beim Sieg der Österreicherin Marion Kreiner im Parallel-Riesenslalom den zehnten Platz. In der K.o.-Runde brachte sie ein Verschneider um das Weiterkommen. Die WM-Zweite aus Miesbach kam dadurch in den Kurs der Konkurrentin und fuhr dieser sogar über den hinteren Teil des Boards. Anke Karstens (Bischofswiesen) wurde als Zweitschnellste der Vorausscheidung disqualifiziert, weil sie eine Torstange überfahren hatte. Nur um eine Hundertstelsekunde verpasste Junioren-Weltmeisterin Selina Jörg (Sonthofen) das Finale der besten 16. Patrick Bussler (Aschheim) stürzte bei dem vom Kanadier Jasey Jay Anderson gewonnenen Männer-Wettbewerb und belegte den 31. Rang. Maximilian Hafner (Bischofswiesen) beendete den Wettkampf auf dem 28. Platz. "Mit so einem Ergebnis hatten wir nicht gerechnet. Kein Edelmetall in den olympischen Disziplinen - das ist ein harter Schlag, der erst einmal verdaut werden muss", sagte Sportdirektor Timm Stade.

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Siegkorb gegen 76ers mit Abpfiff

Dallas feiert Nowitzki

Philadelphia (sid) - Als Dirk Nowitzki in der Schlusssekunde aus mehr als sechs Metern warf, hielten 14 500 Zuschauer den Atem an: In hohem Bogen flog der Ball durch die Luft und landete im Korb - die Dallas Mavericks feierten danach, lähmendes Entsetzen herrschte dagegen bei den Philadelphia 76ers. Mit seinem spektakulären Buzzer Beater führte der deutsche Basketball-Nationalspieler die Mavericks in der nordamerikanischen Profiliga NBA bei den zuvor in sieben Spielen unbesiegten 76ers zum 95:93-Sieg. "Ich bin eben ein Shooter. Ich denke immer daran, dass der nächste Wurf trifft", sagte Nowitzki.

Der Franke hatte 4,3 Sekunden vor dem Spielende den Ball erhalten, mit dem Rücken zum Korb zur Körpertäuschung angesetzt und über Gegenspieler Reggie Evans hinweg getroffen. "Er macht so etwas immer wieder, jedes Jahr. Er ist ein All-Star-Spieler und genießt diese Momente", sagte Mitspieler Jason Kidd, der mit 22 Punkten und zwölf Rebounds überzeugte. Philadelphias Trainer Tony DiLeo wies die Kritik zurück, wonach er einen zu kleinen Bewacher gegen Nowitzki aufgestellt habe. "Reggie hat ein gutes Gefühl für die Situationen gegen Nowitzki. Er hatte ihn in den Minuten vorher gut bewacht, in dieser Phase gelang uns die Aufholjagd", sagte DiLeo. Zuvor hatten die Mavericks innerhalb von zwei Minuten einen 93:81-Vorsprung verspielt.

Dallas schob sich mit 24:17 Siegen nun auf Rang acht der Western Conference vor, der zur Teilnahme an den Playoffs berechtigt. Nowitzki steuerte nach seinen 39 Punkten gegen Utah Jazz 48 Stunden zuvor diesmal insgesamt 24 Punkte zum Sieg bei und war damit erneut bester Werfer seines Teams.

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Hoffnung, auf Sand gebaut

Selbst Lleyton Hewitt hat resigniert: Die Tennis-Nation Australien steckt in ihrer tiefsten Krise

Melbourne - Lleyton Hewitt ist auch nicht mehr so wild, wie er einmal war. Es gab Zeiten, in denen tanzte der Australier so feurig durch den Flinders Park, dass die Organisatoren der Australian Open Komödianten losschickten, die den Baseball-Kappen-Träger imitierten und die Zuschauer ständig mit spitzen Come-on!-Schreien und geballten Fäusten ansprangen. Inzwischen ist Hewitt 27 Jahre alt. Eine Hüftverletzung hat ihn in der Weltrangliste tief stürzen und ruhiger werden lassen. Die Baseball-Kappe trägt er immer noch. Aber sonst: Die Hand formte sich selten zur Faust, und kaum ein "Come on!" war zu hören, als Hewitt an diesem Dienstag in der Rod Laver Arena fünf Sätze lang dem Chilenen Fernando Gonzalez gegenüberstand. 7:5, 2:6, 2:6, 6:3, 3:6. Aus und raus. Aber Hewitt versicherte: "Das war nicht die enttäuschendste Niederlage meiner Karriere. Wirklich nicht."

Die einheimischen Reporter hörten es ungern. Der Superlativ hätte gut zu den Geschichten gepasst, die in den vergangenen Wochen überall zu lesen waren. Den Geschichten über die Krise des australischen Tennis. Zum ersten Mal, seit Profis auftreten, ist bei den Australian Open kein Einheimischer gesetzt. Nicht einer aus dem Land schaffte es durch die Qualifikation ins Hauptfeld. Besonders bitter war dort die Niederlage von Marija Mirkovic. Die 18-Jährige unterlag in der entscheidenden Partie der Japanerin Kimiko Date Krumm. Die ist 38 und gerade erst wieder auf die Tennistour zurückgekehrt - nach einer elfjährigen Karrierepause . "Eine Schande", urteilte der Adelaide Advertiser über das Abschneiden der Australier schon vor dem Turnierstart. Der etwas seriösere Australian versuchte, die Gründe für die Misere zu ergründen - und tat Kurioses auf.

Den ehemaligen Profi Felix Mantilla zum Beispiel, der inzwischen in Barcelona eine Tennis-Schule betreibt und vor kurzem einige australische Talente zu Besuch hatte. Die, so ist dem Spanier aufgefallen, suchen die Entscheidung auffallend oft mit einem Schlag. Weil überall auf der Welt die Bälle schwerer und die Plätze langsamer werden, damit die Zuschauer mehr Ballwechsel zu sehen bekommen, sei das dumm. Die aktuell herausragenden Akteure Roger Federer, Novak Djokovic und Rafael Nadal seien in der Defensive mindestens so geübt wie in der Offensive - weil sie als Jugendliche auch auf Sand spielten. Der langsame Untergrund schule Taktik und Strategie.

Die Attraktion Tomic

Nun gibt es in Australien viel Sand. Um darauf Tennis zu spielen, ist es aber meist zu heiß. Die Plätze, die vor einigen Jahren probehalber in Melbourne mit Ziegelstaub ausgewalzt wurden, bekamen schnell Risse. Mit neu entwickelten Bewässerungs-Systemen soll das künftig nicht mehr passieren. Der australische Tennisverband hat ein Programm gestartet, das den Bau von 28 Sandplätzen auf dem Kontinent vorsieht, auf denen die nächsten Grand-Slam-Sieger reifen sollen. Die Geschichte ist ein gutes Beispiel dafür, wie schwer sich bisweilen auch traditionsreiche Tennisnationen mit der Nachwuchsarbeit tun, in denen Geld keine Rolle spielt. Aus Großbritannien, wo jedes Jahr aus den gigantischen Wimbledon-Überschüssen eine Millionen-Summe in die Junioren-Förderung gepumpt wird, ist in Melbourne lediglich ein Mann am Start: Andy Murray. Auch in den USA tut sich auffällig wenig.

In Australien gaben lange die Australier den Ton an. 1969 führten Rod Laver und Ken Rosewall die Setzliste der Australian Open an, auf der hinter zehn von 16 Namen das Länderkürzel "AUS" stand. In den Siebzigern brachte die Nation Größen wie John Newcombe und Tony Roche hervor, in den Achtzigern sorgte Pat Cash für Aufsehen. Der einstige Wimbledon-Triumphator fürchtet nun um das Tennis in seiner Heimat: "Bevor es besser wird, wird es erst noch viel schlechter werden." Patrick Rafter ist im Jahr 2001 zurückgetreten. Mark Philippoussis konnte die Erwartungen wegen vieler Verletzungen nicht erfüllen. Im Moment sorgt der einstige Gewalt-Aufschläger wieder einmal mit einer Trennung von einer Modell-Freundin für Schlagzeilen. Lleyton Hewitt wurde im Dezember zum zweiten Mal Vater. Unwahrscheinlich, dass er noch einmal alles daran setzt, unter die besten zehn der Weltrangliste zu kommen.

Die größte australische Hoffnung auf einen Platz in den Top 10 heißt Bernard Tomic und wurde in Stuttgart geboren. Mit vier Jahren zog sein Vater, ein Kroate, mit ihm an die Gold Coast. Mit sieben Jahren bekam Tomic junior den ersten Schläger gekauft, bei einem Garagen-Flohmarkt, für 50 Cent. Inzwischen misst Tomic gut 1,85 Meter und wird auf Weltranglistenplatz 768 geführt. Am Montagabend sorgte er für die erste große Überraschung des Turniers: Er besiegte Potito Starace, der vor gar nicht allzu langer Zeit 738 Positionen besser gelistet wurde. "Er ist gut", lobte der Italiener hinterher und fragte: "Wie alt ist er? 18? 19?" Tomic ist exakt 16 Jahre und 90 Tage alt. So jung hat noch kein Australier bei den Australian Open ein Match gewonnen. Tomics Begegnung in Runde zwei mit dem Luxemburger Gilles Muller ist an diesem Mittwoch die Hauptattraktion zur besten Sendezeit in der größten Arena. So schnell kann es gehen.

Das Drama um Dokic

Unmittelbar vorher ist eine Immigrantin an der Reihe, die in den vergangenen Jahren einiges durchgemacht hat: Familientragödien, Depressionen, Gewichtsprobleme. Sechs Jahre lang hatte Jelena Dokic bei Grand-Slam-Turnieren kein Match gewonnen. In der ersten Runde glückte ihr das dieses Mal wieder, in drei zittrigen Sätzen gegen die Österreicherin Tamira Paszek. 2003 hat Dokic sich von ihrem aufbrausenden, bestimmenden Vater losgesagt. Seitdem hat der kein Wort mehr mit ihr gewechselt. Ihre ganze Familie wandte sich von ihr ab. "Der Sieg ist für mich wie ein Wunder", sagt sie. Mit Tennisproblemen braucht ihr niemand zu kommen. "Nach der Hölle, die ich erlebt habe, sind die für mich ein Witz." René Hofmann

Kein Australier war in Melbourne gesetzt - auch Lleyton Hewitt nicht mehr, Verlierer gegen Fernando Gonzalez in fünf Sätzen Foto: pixathlon

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Die großen Jungs ärgern

Haas kehrt mit einem Sieg und bescheidenen Zielen zurück

Melbourne - Hinterher konnte Tommy Haas gar nicht sagen, was sich zwischen 18.18 Uhr und 20.18 Uhr auf dem Show Court Nummer zwei der Australian Open abgespielt hatte. "Ich muss mir das erst nochmal anschauen und mit meinem Trainer besprechen", gab er an: "Als es losging, war ich sehr nervös." Als es zu Ende war, gab es dafür keinen Grund mehr. Auf der Anzeigentafel stand "Thomas Haas (Deutschland) - Eduardo Schwank 6:3, 6:3, 6:4". Und, was noch wichtiger war: Der Ellbogen hatte gehalten. Seit seiner Zweitrundenniederlage bei den US Open Ende August 2008 hatte Haas wegen einer Entzündung kein Match bestritten.

Mit Verletzungen kennt er sich aus. Einige Male hat er sich schon an der Schulter operieren lassen müssen. Doch dieses Mal setzten die Ärzte auf eine konservative Therapie. "Das war das erste Mal, dass ich viereinhalb Monate lang kein Tennis spielen konnte, ohne dass ich eine OP hatte", sagt Haas. Erleichtert hat ihm das die Rückkehr nicht. "Natürlich hat man Erfahrungen, an die man sich in solchen Momenten wie heute zu erinnern versucht", sagte er nach dem Erfolg gegen Schwank, "aber wie viel man auch trainiert - ein Spiel, in dem es um etwas geht, ist doch immer etwas anderes."

Noch eine OP - das Ende

Am Donnerstag geht es für ihn in Runde zwei gegen den Italiener Flavio Cipolla um den Einzug in Runde drei. Der Qualifikant wird in der Weltrangliste auf Rang 138 geführt. Haas ist die Nummer 79. Aber darauf gibt er wenig. "Das habe ich zehn Jahre lang vielleicht viel zu viel getan", sagt er. Was jetzt seine Ziele sind? "Gesund bleiben, endlich wieder einmal regelmäßig Turniere spielen - und die großen Jungs etwas ärgern." Die Davis-Cup-Erstrundenpartie im März in Garmisch-Partenkirchen gegen Österreich steht derzeit nicht in seinem Reiseplan. Falls Teamchef Patrik Kühnen ihn bittet, ließe Haas sich aber wohl umstimmen. Ohne Not will er seinem Körper nicht allzu viel zumuten. "Noch eine OP, und die Karriere wäre wohl vorbei", sagt Haas.

Im April wird er 31. Der Abschied rückt offenbar näher, auch wenn er allzu viele Gedanken daran vermeidet. Ähnlich sieht es wohl bei Rainer Schüttler aus. Den 32-Jährigen hinderte das Ganglion, das sich vor kurzem in seinem linken Handgelenk gebildet hat, nicht daran, in Melbourne in der ersten Runde gegen Dudi Sela aus Israel anzutreten. Ob es ihn daran hinderte, die Partie zu gewinnen, ist schwer zu sagen. Statt wie üblich nach dem Match eine Pressekonferenz zu geben, ging Schüttler lieber zum Japaner essen. Seit er 2003 in Melbourne das Finale erreichte, ist er bei dem Turnier nicht mehr über die zweite Runde hinausgekommen. Dieses Mal endete der Versuch mit der Ziffernfolge 6:1, 2:6, 4:6, 4:6. Dazu noch zwei andere interessante Zahlen: Schüttler ist derzeit die Nummer 31 der Weltrangliste, Dudi belegt Position 106. Es war eine Enttäuschung, die ähnlich blamable Dimensionen hatte wie die von Anna-Lena Groenefeld.

Groenefeld nicht im Spiel

Auch ihre Bezwingerin hatte sich durch die Qualifikation gekämpft: Elena Baltacha. Die Britin gewann 6:1, 6:4. "Ich habe nicht ins Spiel gefunden und den Ball nicht gefühlt", sagte Groenefeld: "Außerdem bin ich noch nicht wieder bei hundert Prozent." Das war ihr anzusehen. Zeitweise zeigte das Thermometer am Dienstag mehr als 40 Grad. So heiß war es in Melbourne seit einem Jahr nicht mehr gewesen. Um mit der Hitze klarzukommen, wurde den Frauen erlaubt, zwischen dem zweiten und dem dritten Satz zehn Minuten Pause einzulegen. Erst am Nachmittag purzelten die Grade wieder. Dafür kam Wind auf.

Kristina Barrois boten sich bei den schwierigen Bedingungen einige Möglichkeiten gegen die favorisierte Russin Jelena Dementjewa. Im ersten Durchgang führte Barrois 5:2 und hatte einen Satzball. Trotzdem verlor sie die Partie 6:7 (4), 6:2, 1:6. 30 ] 6 ]Angelique Kerber hätte wohl auch bei 18 Grad und Windstille gegen Venus Williams keine Chance gehabt. Die Amerikanerin gewann 6:3 und 6:3 und gab hinterher auf die Frage, was bislang in Melbourne die größte Herausforderung für sie gewesen sei, an: "Alleine Auto zu fahren./ 6 ]" Auf der richtigen Spur sind bislang Sabine Lisicki und Tatjana Malek. Lisicki blieb gegen die Kanadierin Aleksandra Wozniak souverän (6:4, 6:3), Malek gegen die Japanerin Ayumi Morita (7:6, 6:2). Bei den Männern sind neben Haas, Philipp Kohlschreiber und Florian Mayer noch die beiden Qualifikanten Andreas Beck und Michael Berrer im Rennen. Beck trifft in Runde zwei auf den Österreicher Jürgen Melzer, Berrer bekommt es mit dem Tschechen Radek Stepanek zu tun. hof/ 30 ]

Der Ellbogen hält: die wichtigste Erkenntnis für Tommy Haas beim Sieg über Eduardo Schwank, seinem ersten Match seit August 2008 Foto: dpa

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Zivi, Adler, Zocker

Die neue deutsche Handball-Nationalmannschaft im Überblick: Torsten Jansen ist mit 32 der Senior - aber die Kollegen wissen, wie man mit älteren Menschen umgeht

Varazdin - Viel war in diesen Tagen in Kroatien die Rede davon, dass Heiner Brand eine neue deutsche Handball-Nationalmannschaft zusammengestellt hat. Er mazedonischer Journalist wollte sogar wissen, ob Brand bewusst die Siegchancen geopfert habe, um das Team zu verjüngen. Nach drei Spielen (5:1 Punkte) zeigt das Team allmählich sein Gesicht. Zeit, mal zu genauer zu schauen, wer da nun mitspielt, wer davon neu ist, und wie die Auswahl auf den einzelnen Positionen zu bewerten ist.

Linksaußen

Erst spielte auf dieser Position jahrelang Stefan Kretzschmar, der für die Öffentlichkeit das Gesicht des deutschen Handballs wurde, seit 2004 spielt auf dieser Position Torsten Jansen, der 2007 ganz heimlich und von weiten Teilen der Öffentlichkeit unbemerkt der beste deutsche Spieler beim WM-Gewinn wurde. Das liegt nicht nur an seinen Leistungen in der Offensive, sondern auch an seinem enormen Können in der Abwehr. Er deckt auf einer der beiden Halbpositionen, also an der Schnittstelle zwischen Mittelblock und Außen. Das macht er so gut, dass die rechten Rückraumspieler des Gegners meist wenig Spaß am Spiel haben. Zweiter Mann auf Linksaußen ist Dominik Klein, der einzige deutsche Stammspieler beim THW Kiel. Jansen ist 32 Jahre alt und damit der älteste Spieler im Team. Klein ist 25 und mit Jansen befreundet, obwohl die beiden Konkurrenten sind. Mit Blick auf Jansens an Methusalem gemahnendes Alter sagt Klein: "Ich bin Torstens Zivi." Er war tatsächlich Zivildienstleistender und weiß, wie man mit alten Menschen umgeht. Jansen lässt der Spott kalt, er lädt die anderen zu DVD-Abenden an. Derzeit zeigt er die US-Serie "Prison Break".

Linker Rückraum

Auf der sogenannten Königsposition des Handballs spielt der Mann mit der - sagen wir - auffälligsten Frisur. Diesmal war die Stammfriseurin von Pascal Hens im Urlaub, aber die Haare sind trotzdem wieder sehr aussagekräftig geworden. Rechts und links des blondgefärbten Irokesenschnitts erstrecken sich einige Muster, die aussehen wie eine äußerst komplexe Struktur, vielleicht die Angriffslinien des deutschen Spiels oder der Schaltplan der Kühlung eines Atomkraftwerks. Jedenfalls verbreitet Hens gute Laune, nicht nur wegen seiner Frisur, sondern weil der 28-Jährige mittlerweile zu einem Schlüsselspieler gereift ist. In dieser Mannschaft ist er schlicht nicht zu ersetzen. Die Alternative im linken Rückraum heißt Lars Kaufmann, der zum einen auch eine interessante Frisur trägt (sieht aus, als habe er beständig Gegenwind), und der zum anderen über einen gewaltigen Wurf verfügt, der allerdings leider viel zu selten den Weg ins Tor findet. Manchmal faltet sich Kaufmann im Sprung zu einem Paket zusammen, dann fliegt er eine Weile, entfaltet sich und schleudert den Ball mit der Wucht eines Katapults in Richtung Tor. Wenn er trifft, sieht das wirklich prima aus.

Rückraum Mitte

Von dieser Position aus wird das Spiel gelenkt, die Mittelmänner sind oft erfahrene Profis. Bei den Deutschen spielen die Lemgoer Michael Kraus, 25, und Martin Strobel, 22, in der Mitte. Kraus verfügt immerhin über einige Erfahrung, er war schon beim WM-Sieg 2007 dabei und spielte brillant, als sich damals der ehemalige Kapitän Markus Baur verletzte. Eine Woche vor Beginn dieser WM zog sich Kraus einen Muskelfaserriss zu, erst allmählich findet er nun seinen Rhythmus. Bundestrainer Heiner Brand hat ihn zum Kapitän gemacht, ein Vertrauensbeweis. Kraus spielt extrem dynamisch, wenn er eine Lücke in der Abwehr sieht, stürzt er sich hinein wie ein Adler auf die Beute. Diese Dynamik zwingt die Gegner, offensiver zu decken, so dass Lücken für die Mitspieler entstehen. Strobel spielt ruhiger, er ist eher ein Ballverteiler, was daran liegt, dass er seiner mangelnden Erfahrung wegen auf dem höchsten Niveau noch auf Sicherheit spielt. "Er darf Fehler machen", sagt Brand, und Strobel macht erstaunlich wenige. Um weit zu kommen in diesem Turnier, braucht das Team jedoch unbedingt einen Kraus, der fit und in Form ist.

Kreis

Früher spielte Christian Schwarzer am Kreis, was für die Fotografen eine Freude war. Von jedem Spiel der Deutschen gab es ein Dutzend spektakulärer Fotos, auf denen der bärtige Schwarzer quer in der Luft lag, den Mund zum Kampfschrei geöffnet. Fotos dieser Art, sagen die Fotografen, gibt es jetzt nicht mehr. Das liegt daran, dass die beiden Kreisläufer Sebastian Preiß und Jens Tiedtke weniger spektakulär spielen. Tiedtke ist besser darin, gewagte Anspiele zu fangen und zu verwerten, dafür ist Preiß der bessere Abwehrspieler. Deshalb erhält Preiß meist den Vorzug. Früher war diese Position mit einem Weltklassemann besetzt, jetzt mit zwei sehr engagierten, international aber eher durchschnittlichen Spielern. Der dritte nominelle Kreisläufer ist der Mann, der nie im Angriff spielt: Oliver Roggisch konzentriert sich ausschließlich auf die Defensive. Wenn das deutsche Team umschaltet von Abwehr auf Angriff, setzt sich Roggisch auf die Bank und Pascal Hens rückt ins Team. Roggisch ist der Fels in der Abwehr, auch er ist nicht zu ersetzen. Ganz selten, wenn es so schnell nach vorne geht, dass zum Wechsel kaum Zeit bleibt und Roggisch spürt, dass nun ein guter Moment gekommen ist, rennt er mit nach vorne. Auf diese Weise erzielte er bei dieser WM bei einem Versuch bereits ein Tor, was die bewundernswerte Quote von 100 Prozent ergibt.

Rechter Rückraum

Eine gute Weile teilten sich Holger Glandorf und Christian Zeitz den rechten Rückraum, das war eine gute Kombination. Glandorf, der sich immer wieder auf die Abwehr stürzte, auch bei der WM 2007, mit gerade verheiltem Jochbeinbruch, und Zeitz, der auf den Jahrmärkten der alten Zeit als Kanonenmann ausgestellt worden wäre. Doch der Kanonenmann feuerte die Kugel mit zunehmend breiterer Streuung, und sein Verhältnis zu Brand war stets ein wenig schwierig. Nun ist Michael Müller, 24, der zweite Mann. Erst seit eineinhalb Jahren spielt er in der Bundesliga. Manchmal ist das zu sehen bei dieser WM, wenn er aus unmöglichen Positionen wirft, obwohl das Team alle Zeit hätte, den Angriff auszuspielen, manchmal jedoch agiert Müller so abgezockt, als wäre er seit Jahren dabei. Fast scheint es, als habe er mit diesen Schwankungen den sonst so soliden Glandorf angesteckt. Der hat nun Phasen, in denen er alles trifft und solche, in denen es wirkt, als habe alle Kraft seinen linken Wurfarm verlassen.

Rechtsaußen

Auf dieser Position spielte seit ungefähr 1492 immer und stets Florian Kehrmann. Brand nahm oft nicht mal einen zweiten Mann für die Position mit zu den Turnieren, weil sowieso Kehrmann spielte, immer, überall, dauernd. Nun ist Kehrmann nicht dabei, die offizielle Sprachregelung sagt, es sei erstmal eine Pause und nicht das Ende seiner Nationalmannschaftkarriere. Christian Sprenger und Stefan Schröder sollten sich den Job teilen, doch Sprenger riss im ersten Spiel das Innenband im Knie, er ist bereits wieder in Deutschland. Nun muss Schröder immer, überall und dauernd spielen. Er macht das recht gut, was vielleicht daran liegt, dass er der beste Pokerspieler des Teams ist. Brand überlegt sich nach der Vorrunde, ob er einen zweiten Rechtsaußen nachnominieren wird. Erster Kandidat wäre: Kehrmann.

Tor

Nur Handball-Historiker können sich daran erinnern, dass die Deutschen mal ein Torwart-Problem hatten. Derzeit führen Johannes Bitter und Carsten Lichtlein die Tradition fort. Spielt der eine, hält der andere stets Wasser und Handtuch für ihn bereit. Christian Zaschke

Schon ewig linksaußen: Torsten Jansen Foto: dpa

Sei neuem rechtsaußen: Stefan Schröder Foto: Getty

Seit neuestem zentral: Martin Strobel Foto: Getty

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DZ Bank leidet unter Finanzkrise

Frankfurt - Die Genossenschaftsbanken müssen ihrem Spitzeninstitut mindestens eine Milliarde Euro zuschießen. Die DZ Bank machte 2008 einen Verlust nach Steuern von einer Milliarde Euro. Sie will in den nächsten Monaten außerdem die Fusion mit der WGZ Bank, der kleineren Zentralbank der Gruppe, finanzieren. Der Milliardenverlust verteilt sich auf Ausfälle bei isländischen Banken (449 Millionen Euro), bei der US-Bank Lehman (360 Millionen Euro) und beim französischen Kreditversicherer Natixis (269 Millionen Euro). Außerdem schreibt die DZ Bank ihren Wertpapierbestand um 2,7 Milliarden Euro ab.

Vorstandsvorsitzender Wolfgang Kirsch hofft, dass der überwiegende Teil der Abschreibungen nur vorübergehend ist. Er will die "beispiellosen systemischen Verwerfungen" möglichst aus eigener Kraft in der genossenschaftlichen Gruppe bewältigen, prüft aber auch "andere flankierende Maßnahmen". Innerhalb der Bankengruppe schlägt sich die Bausparkasse Schwäbisch Hall gut, während die R + V Versicherung Abschreibungsbedarf hat. Die DZ Bank hält für mehr als 1000 Volks- und Raiffeisenbanken Kapital vor, legt es an und tritt am Kapitalmarkt als Emittent auf. he

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Sparprogramm beflügelt

In Reaktion auf das angekündigte Sparprogramm setzte sich die Metro-Aktie mit einem Kursgewinn von 5,6 Prozent an die Dax-Spitze. Der Handelskonzern hatte mitgeteilt, über ein Kostensparprogramm bis 2012 das Ergebnis um 1,5 Milliarden Euro steigern zu wollen. Die Hälfte entfalle dabei auf Einsparungen, die andere Hälfte soll durch "Produktivitätsverbesserungen und andere ergebnissteigernde Maßnahmen" erreicht werden. Weltweit werden 15.000 Stellen abgebaut. Ein Händler meinte, das Sparprogramm werde positiv aufgenommen.

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Dylan-Songs bleiben geschützt

Luxemburg - Alte Bob-Dylan-Songs sind weiter europaweit urheberrechtlich geschützt. Der frühere Schutz in Großbritannien gilt auch in Deutschland und anderen EU-Staaten, urteilte am Dienstag der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Darauf könnten sich auch Firmen aus Nicht-EU-Ländern berufen (Az.: C-240/07). Die deutsche Falcon Neue Medien GmbH verkauft CDs mit alten Titeln der amerikanischen Folk- und Rocklegende Bob Dylan, 67. Einige Titel waren früher auf Platten des Musikriesen Sony Music mit Hauptsitz in New York erschienen. Falcon meinte, der Urheberschutz für vor 1966 veröffentlichte Titel sei in Deutschland abgelaufen.

Dagegen klagte Sony: Der in Großbritannien bestehende Urheberschutz gelte nach europäischem Recht auch in Deutschland; die Schutzfrist von 50 Jahren sei noch nicht abgelaufen. Mit seinem Urteil folgte der EuGH den Argumenten von Sony. Nach der "Schutzdauerrichtlinie" aus dem Jahr 2006 gelte die Schutzfrist von 50 Jahren für alle Titel, die am 1. Juli 1995 in auch nur einem einzigen EU-Staat nach nationalem Recht urheberrechtlich geschützt waren. AFP

Junger Bob. AP

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Devisen und Rohstoffe: Euro fällt unter 1,30 Dollar

Die Schwäche des Pfund Sterling hat am Dienstag auch den Euro unter Druck gesetzt. "Die britische Wirtschaft steckt tief in der Krise und die Investoren haben keine Lust zu warten, dass sie sich erholt", meinte ein Händler. Analysten vermuteten, dass die infolge der Amtseinführung Barack Obamas ausgelöste Aufbruchstimmung in Amerika den Dollar zusätzlich stützen könnte. Der Euro notierte gegen 16 Uhr bei 1,2902 (Montag: 1,3105) Dollar. Das Pfund stürzte zur US-Währung auf ein Siebeneinhalb-Jahres-Tief von 1,3912 Dollar.

An den Metallbörsen sanken die Preise für Kupfer und Aluminium um drei Prozent. Händler verwiesen auf den starken Dollar. Viele Anleger hatten sich über Rohstoffe gegen die Dollar-Schwäche abgesichert. Nun würden solche Geschäfte aufgelöst. Die Feinunze Gold kostete 853,25(833) Dollar. SZ/Reuters/dpa

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Deutsche Börse: Märkte warten auf Impulse

Der deutsche Aktienmarkt hat sich am Dienstag nach einem zuletzt schwankungsanfälligen Handelsverlauf wenig verändert. Der Leitindex Dax verlor am Nachmittag 0,6 Prozent auf 4290 Punkte. Der MDax fiel um 0,7 Prozent auf 4963 Punkte. Der TecDax stieg hingegen um 0,2 Prozent auf 467 Punkte. Der Markt warte auf klare Impulse von Seiten der USA, sagte ein Händler.

Die Titel von SAP fielen um 2,1 Prozent auf 26,04 Euro und entfernten sich damit deutlich von ihrem Tageshoch, das bei 26,90 Euro gelegen hatte. Laut dem Wirtschaftsmagazin Capital wird der Softwarekonzern auf der Bilanz-Pressekonferenz am 28. Januar keine konkrete Umsatzprognose für 2009 wagen. Auch die Aktien der Autobauer waren ein Gesprächsthema auf dem Parkett: Aufgrund der angekündigten Kurzarbeit verloren die Papiere von BMW 0,3 Prozent auf 19,03 Euro. Der Autobauer will seine Produktion weiter drosseln. Nach dem Einbruch auf dem Lastwagen-Markt fährt auch der Nutzfahrzeug- und Maschinenbaukonzern MAN seine Produktion zurück und plant Kurzarbeit. Die Aktie fiel um 3,8 Prozent auf 32,17 Euro. Die Titel von Daimler stiegen hingegen leicht um 0,1 Prozent auf 23,31 Euro. Der Autokonzern ist nach wie vor an einem Verkauf seiner Restbeteiligung an Chrysler interessiert. Für Aufsehen im Bankensektor sorgten Gerüchte über eine mögliche Kapitalerhöhung bei der Deutschen Bank, die sich dazu nicht äußern wollte. Die Aktien standen zuletzt bei 16,97 Euro und damit 5,2 Prozent im Minus.

Am Rentenmarkt verlor der Bund-Future 0,3 Prozent und notierte bei 124,76 (Vortag: 125,00).

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Immobilienfonds bleiben geschlossen

Morgan Stanley friert die Gelder der Anleger für weitere neun Monate ein. Andere Anbieter dürften nachziehen

Von Grit Beecken und Hannah Wilhelm

München - Offene Immobilienfonds von Morgan Stanley bleiben bis auf Weiteres geschlossen. "Wir werden die Frist um weitere neun Monate auf insgesamt ein Jahr verlängern", sagte Walter Klug von Morgan Stanley Real Estate Investment der SZ. Die Kapitalmärkte seien zu turbulent, um eine Öffnung der Fonds zu riskieren. Wenn zu viele Anleger die Chance ergreifen und ihre Gelder abziehen würden, wären die Fonds erneut in Zahlungsschwierigkeiten.

Bereits in der vergangenen Woche hatte mit der Credit Suisse der erste Anbieter eines eingefrorenen offenen Immobilienfonds seine Zukunftspläne dargelegt. Auch dort wird die Rücknahme von Fondsanteilen für bis zu weitere neun Monate ausgesetzt. Das Vorgehen der beiden Häuser könnte Signalwirkung für die Branche haben. "Die Mehrheit wird sich dieser Vorgehensweise anschließen", vermutet Rüdiger Sälzle, Geschäftsführer des Finanzdienstleisters Fondsconsult. "In den nächsten Tagen müssen sich alle Anbieter zum weiteren Vorgehen äußern." Bei den meisten beträgt die vorläufige Sperrfrist drei Monate, nur die UBS hatte ihre beiden Fonds gleich für sechs Monate eingefroren.

Riskantes Vorpreschen

Axa Immoselect wird am Mittwoch bekannt geben, ob die eingefrorenen Fonds wieder geöffnet werden. Vorab wollte sich die Sprecherin dazu nicht äußern. Auch die Gesellschaft Kanam entscheidet erst in der kommenden Woche über das weitere Vorgehen. Dabei wird die Höhe der erwarteten Mittelabzüge entscheidend sein. Diese lassen die Gesellschaften derzeit kalkulieren.

Nachdem zahlreiche Anleger im September und Oktober 2008 ihr Geld aus offenen Immobilienfonds abgezogen hatten, mussten einige Anbieter ihre Fonds schließen. Mit anderen Worten: Die Anleger konnten ihre Anteile nicht mehr verkaufen. Derzeit stecken geschätzte 33 Milliarden Euro fest. Insgesamt wurden zwölf Fonds geschlossen. Experten wünschen sich nun ein gemeinsames Vorgehen der Branche: "Es ist überhaupt nicht sinnvoll, wenn nur ein Anbieter vorprescht, seine Fonds öffnet und nach massiven Mittelabflüssen wieder schließen muss", sagt Fondsspezialist Sälzle. Zumal der jetzt gewählte Zeitraum nicht ausgeschöpft werden muss. "Die Fonds können auch früher wieder öffnen, wenn sich die Märkte beruhigen", sagt Sälzle.

Offene Immobilienfonds sind Investmentfonds, die es Anlegern ermöglichen, sich mit verhältnismäßig kleinen Beträgen an Immobilien zu beteiligen. Da die Fonds in Immobilien wie Bürogebäude, Einkaufszentren und Hotels investieren, fühlen sich Anleger oft sicherer als bei Aktienfonds. Immobilien gelten in Deutschland immer noch als Betongold, also als beständiger Wert.

Das Problem: Für einen Fonds ist es nicht so einfach, sich kurzfristig von Immobilien zu trennen. Gerade aktuell ist dies schwierig, da in der Krise kaum jemand Immobilien kaufen will. Wenn zu viele Anleger Fondsanteile verkaufen, muss der Manager Notverkäufe tätigen, deren Erlöse unter Umständen nicht ausreichen, um die Anleger auszubezahlen. Eben dies drohte im Oktober 2008: Die Barschaften, die die Fonds für solche Fälle zurücklegen, reichten nicht mehr aus, um die Anleger auszuzahlen. Verkauft wird derweil trotz der Schließung: An der Hamburger Fondsbörse (www.fondsboerse.de) werden auch die eingefrorenen Fonds weiter gehandelt, aber mit deutlichen Preisabschlägen. So erhalten Anleger derzeit für einen Anteil des Morgan-Stanley-Fonds gut 51 Euro. Im November, kurz vor der Schließung, waren es fast 55 Euro. Vor allem im Dezember nutzen viele Anleger diese Möglichkeit: Allein mit dem eingefrorenen Morgan-Stanley-Fonds wurden an der Fondsbörse neun Millionen Euro umgesetzt.

Eingeschneite Berghütte bei Seefeld im Wettersteingebirge: Wer in offene Immobilienfonds eingestiegen ist, könnte sich ähnlich fühlen wie ein Bergbewohner. Man möchte gern raus, doch die Tür geht vor lauter Schnee nicht mehr auf. Foto: Mauritius

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Marktdaten 20.1.09Vortag Änd.
MDax(16 Uhr)4965,134999,88 - 0,70 %
TecDax(16 Uhr)467,46467,88 - 0,09 %
Euro Stoxx 50(16 Uhr)2226,772252,39 - 1,14 %
Dow Jones(16 Uhr)8161,438281,22 - 1,45 %
Euro Interbanken(16 Uhr)1,29111,3105 -0,0194 $
Gold je Feinunze * 853,25833,00 + 20,25 $
Brent-Öl je Barrel(16 Uhr)44,6744,50 + 0,17 $
10j. Bundesanl.(16 Uhr)3,032,99 + 0,04**
10j. US-Staatsanl.(16 Uhr)2,482,34 + 0,14**
* Londoner Nachmittagsfixing ** Prozentpunkte
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Bis zu 50 000 Euro Ersparnis sind drin

Verbraucherschützer wollten wissen: Lohnt sich der neue Wohn-Riester? Die Antwort: Ja, die Baufinanzierung wird viel billiger

Von Marco Völklein

München - Wer eine Immobilie kauft, der sorgt damit auch fürs Alter vor. Diese Überlegung steht hinter dem Wohn-Riester, den der Staat im vergangenen November eingeführt hat. Einige Banken und Baufinanzierer haben erste Wohn-Riester-Darlehen im Angebot. Die Stiftung Warentest und das Magazin Öko-Test haben diese Angebote nun untersucht - und kommen zu einem einstimmigen Ergebnis: Wer sich ohnehin eine Immobilie zulegen möchte, baut mit dem Wohn-Riester meist besser als mit einer klassischen Baufinanzierung.

Wie funktioniert Wohn-Riester?

Die Idee geht so: Anstatt regelmäßig Geld auf ein Spar-, Fonds- oder Versicherungskonto einzuzahlen, steckt es der Bauherr in eine Immobilie. Damit lebt er dann im Rentenalter mietfrei. Deshalb ermöglicht es der Staat, dass beim Wohn-Riester die staatlichen Zulagen zur Tilgung eines Kredits verwendet werden. Wie beim normalen Riester-Sparen gelten bestimmte Voraussetzungen: Mindestens vier Prozent des Vorjahres-Bruttoeinkommens müssen jährlich selbst eingezahlt werden, um die vollen Zulagen zu erhalten. Die betragen 154 Euro Grundzulage sowie 185 Euro pro Kind (für jedes von 2008 an geborene Kind sind es sogar 300 Euro). Außerdem gibt es unter Umständen steuerliche Vorteile.

Was gilt beim Wohn-Riester zudem?

Gefördert werden nur Darlehen, die der Eigentümer für den Bau oder Kauf einer selbstgenutzten Immobilie in Deutschland aufnimmt (dazu zählen auch Anteile an einer Genossenschaft). Die Immobilie muss nach 2007 angeschafft worden sein. Die Immobilie muss Hauptwohnsitz sein. Und das Darlehen muss spätestens bis zum 68. Lebensjahr getilgt sein.

Was ist mit der Steuer?

Da bei der Riester-Rente die nachgelagerte Besteuerung gilt, werden die Zulagen und die Tilgungsbeträge des Eigenheimbesitzers auf einem fiktiven Wohnförderkonto vermerkt und mit zwei Prozent im Jahr verzinst. Von Rentenbeginn an ist das Konto zu versteuern. Dabei kann der Riester-Eigenheimer wählen: Entweder er zahlt regelmäßig Steuern bis zu seinem 85. Lebensjahr. Oder aber er zahlt die Steuerlast auf einmal ab und erhält einen Abschlag von 30 Prozent.

Lohnt sich der Wohn-Riester?

Viele denken, wegen der nachgelagerten Besteuerung würde sich der Wohn-Riester nicht lohnen. Doch sowohl die Fälle, die die Stiftung Warentest durchgerechnet hat, wie auch die von Öko-Test bewerteten Beispiele zeigen: Dem ist nicht so. Je nach Einkommen, Alter, Finanzierung und Kinderzahl fällt die staatliche Förderung zwar unterschiedlich hoch aus. "Mit Riester ist der Hauseigentümer aber stets im Plus", so die Stiftung Warentest. Da die Zulagen zur Tilgung verwendet werden, sinkt die Zinsbelastung. Die Stiftung Warentest rechnet vor: Ein Ehepaar (70 000 Euro Jahresbrutto) mit einem Kind (2008 geboren) nimmt einen Kredit über 200 000 Euro auf und geht in 30 Jahren in Rente. Gegenüber einem herkömmlichen Immobilienkredit spart dasPaar mit dem Wohn-Riester exakt 51 497 Euro. Die Steuerbelastung im Alter ist dabei schon berücksichtigt. Bei anderen Musterfällen liegt die Ersparnis zwischen 12 000 und 45 000 Euro.

Gibt es schon viele Anbieter?

Nein. Bislang offerieren nur wenige Baufinanzierer ein Wohn-Riester-Darlehen. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen rät daher, lieber noch etwas abzuwarten - sofern dies möglich ist. Im Laufe des Jahres 2009 werden vermutlich weitere Anbieter hinzukommen.

Verlangen die Anbieter

einen Aufschlag?

Das ist ein positives Zwischenergebnis der Tests: Gegenüber den klassischen Immobilienkrediten verlangen die meisten Anbieter für ihre Wohn-Riester-Darlehen keine Zinsaufschläge. Einige Anbieter wie BHW/Postbank, DSL-Bank und Wüstenrot-Bank kassieren aber zwölf Euro Kontoführungsgebühr pro Jahr.

Wo lauern Fallen?

Auch mit dem Wohn-Riester ist der Immobilienkauf eine Herausforderung. "Wer auf Riester bauen will, sollte erst einmal prüfen, ob er die Belastung einer Eigenheimfinanzierung auch ohne Förderung tragen kann", rät daher Öko-Test. Außerdem wichtig: Vor allem Besserverdiener profitieren bei Riester generell nicht nur von den Zulagen, sondern auch noch von Steuervorteilen. Diese sollte ein Wohn-Riester-Eigenheimer als Sondertilgung einzahlen können und damit die Zinslast weiter drücken. Das Problem ist aber: Solche Sondertilgungen sind nicht bei allen Baugeldgebern kostenfrei möglich. Auf diese Feinheiten sollten Interessenten daher genau achten.

Kann es auch Probleme bei dem

fiktiven Steuerkonto geben?

Vielleicht. Das Bundesfinanzministerium arbeitet derzeit noch an genauen Verwaltungsanweisungen, wie das Förderkonto zu führen ist. "Bis dahin stochern viele Anbieter noch im Nebel", so Öko-Test. Noch ein Grund mehr für denjenigen, der es sich leisten kann, zu warten.

Gibt es auch noch andere Angebote? Wohn-Riestern kann man nicht nur über ein Darlehen; Bausparkassen bieten Verträge an, mit denen man die staatlichen Zulagen ebenfalls nutzen kann. Und wer bereits seit Jahren einen Riester-Vertrag bedient, der kann das Geld daraus entnehmen und als Eigenkapital beim Hauskauf einsetzen. Bis Ende 2009 ist aber Bedingung hierfür, dass auf dem Riester-Konto mindestens 10 000 Euro liegen.

Wer hilft weiter?

Ein Immobilienkauf ist eine Lebensentscheidung - entsprechend gut informiert sollten Interessenten an die Entscheidung - und insbesondere an die Finanzierung - herantreten. Die Hefte von Finanztest und Öko-Test mit den Wohn-Riester-Vergleichen sind derzeit am Kiosk erhältlich. Viele Verbraucherzentralen bieten auch (meist kostenpflichtige) Immobilienberatungen an; die in Bremen ist auf dem Gebiet besonders engagiert.

Nach Ex-Arbeitsminister Walter Riester ist die Rente benannt. Der Wohn-Riester ist eine neue Variante. F.: ddp

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Die New Yorker Wall Street hat wenige Stunden vor der Amtseinführung Barack Obamas mit deutlichen Verlusten eröffnet. Die Händler erwarten vom neuen US-Präsidenten, dass er die Wirtschaft durch ein umfangreiches Hilfspaket wieder in Schwung bringt. Allerdings überwogen am Dienstag zunächst Befürchtungen, dass es in der Berichtssaison zahlreiche böse Überraschungen geben wird. Der Dow Jones notierte nach einer halben Handelsstunde mit 2,2 Prozent im Minus bei 8102 Punkten. Der S&P 500 fiel um drei Prozent auf 825 Zähler und der Nasdaq Composite gab drei Prozent auf 1482 Punkte nach.

In Europa verlor der Euro Stoxx 50 1,2 Prozent auf 2225 Punkte. Der FTSE 100 in London gab 0,4 Prozent auf 4086 Zähler nach. Erneut standen hier die Finanzwerte mit drastischen Verlusten auf der Verliererseite. Befürchtungen, die beiden britischen Banken Lloyds und Barclays könnten weitere Staatshilfen benötigen, ließen deren Aktien um 25 beziehungsweise rund 13 Prozent nach unten sacken. Dagegen verteuerte sich die Aktie von Alstom um 3,4 Prozent auf 35,41 Euro. Der Bahntechnikkonzern und Anlagenbauer hat im dritten Quartal seine Umsätze trotz der Wirtschaftskrise steigern können.

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Hohe Verluste für Hedgefonds der Deutschen Bank

Institut macht 2008 mit US-Produkten gut 40 Prozent Minus und schneidet damit deutlich schlechter ab als die Konkurrenz

Von Marco Zanchi und Markus Zydra

Frankfurt - Erst vergangene Woche meldete die Deutsche Bank einen hohen Milliardenverlust für das vierte Quartal 2008. Nun verbucht das größte deutsche Kreditinstitut nach Informationen der Süddeutschen Zeitung auch bei zwei seiner Hedgefonds massive Verluste. So hat der Fonds Deutsche Bank CQ Capital im Jahr 2008 genau 47,2 Prozent eingebüßt; allein im November betrug der Verlust 37,4 Prozent. Der ebenfalls in den USA betriebene Fonds Deutsche Bank Distressed Opportunities hat im letzten Jahr ein Minus von 42,4 Prozent gemacht, zeigen Dokumente, die das Institut nicht kommentieren wollte. Diese Ergebnisse liegen weit unter dem Marktdurchschnitt. Der globale Hedgefonds-Index HFRX meldete für 2008 mit 23,3 Prozent den bislang höchsten Verlust seiner Geschichte.

Die Deutsche Bank betreibt in den USA eigene Hedgefonds, die rund acht Milliarden Dollar für die vermögende Kundschaft verwalten. Die Mindestanlagesumme in diese Fonds beträgt 250 000 Dollar. Das von der Deutschen Bank verwaltete Gesamtvermögen hat sich 2008 um sechs Prozent auf 650 Milliarden Dollar verringert, sagte der Chef der Vermögensverwaltungssparte, Kevin Parker am Dienstag in Abu Dhabi.

In der vergangenen Woche hatte die Deutsche Bank für 2008 erstmals in der Nachkriegsgeschichte einen Jahresverlust ausgewiesen, der sich auf 3,9 Milliarden Euro beläuft. Allein im vierten Quartal betrug das Minus 4,8 Milliarden Euro. Als wesentliche Ursache hierfür gilt der Eigenhandel mit verbrieften Immobilienkrediten. Am Markt gibt es für die Papiere keine Preise mehr, was sie im Prinzip wertlos macht. Auch der Deutsche-Bank-Hedgefonds CQ Capital war im Verbriefungsmarkt fauler Kredite aktiv.

Traditionell dienen Hedgefonds dazu, das Kapital der Investoren unter allen Umständen vor Verlusten zu schützen und bei geringem Risiko eine stetige einstellige Rendite zu erzielen. Dieser Urgedanke des Hedgefonds wurde in den letzten Jahren pervertiert. Viele Hedgefonds, auch bankeninterne Produkte, erhöhten die Renditeziele drastisch, was die Risiken steigerte.

Durch hohe Kreditaufnahme und schlechtes Risikomanagement brechen nun aber viele Fonds zusammen, darunter auch in Fachkreisen renommierte Adressen. "Das Hedgefondsvermögen ist von 2000 Milliarden Dollar auf 1000 Milliarden Dollar geschrumpft", schätzt Ulf Becker, Partner des bankenunabhängigen Spezialanbieters Lupus Alpha. In der Folge ist der Markt für Wandelanleihen zusammengebrochen. Das sind Papiere, die in Aktien getauscht werden können. "Hier waren zu 80 Prozent Hedgefonds investiert, die ihre Papiere auf den Markt geworfen haben", so Becker.

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Europa driftet auseinander

Bewährungsprobe für die Währungsunion: Die Volkswirtschaften entwickeln sich gegensätzlich. Süd-Länder müssen deutlich höhere Zinsen zahlen als der Norden

Von Cerstin Gammelin, Alexander Hagelüken und Markus Zydra

Brüssel/München - Spät tritt Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) an diesem Dienstag nach den Beratungen mit seinen europäischen Kollegen vor die Presse. Blass und müde sieht er aus, als er die dramatisch schlechte Prognose von EU-Wirtschaftskommissar Joaquin Almunia bestätigt: Ja, Deutschlands Wirtschaftsleistung werde dieses Jahr um 2,25 Prozent sinken. Damit gehöre die Bundesrepublik zu den Schlusslichtern in Europa, aber das sei im Moment gar nicht das große Problem. Es sind die Staaten in Südeuropa, "die uns gewisse Sorgen machen", und es ist Irland, "das uns sehr große Sorgen macht". Die Volkswirtschaften in den Euroländern entwickeln sich völlig auseinander - zehn Jahre nach ihrem Start steht die Währungsunion und damit die gemeinsame Währung vor einer großen Bewährungsprobe.

Denn angesichts all der milliardenschweren staatlichen Rettungspakete für Banken und Konjunktur, mit denen die Regierungen in ganz Europa die Auswirkungen der Krise mildern wollen, steigt auch die Neuverschuldung in nie gekannte Höhen. Jetzt müsse dringend "an einem Fahrplan zum Schuldenabbau" gearbeitet werden, fordert Steinbrück zwar - aber selbst dieser Satz hört sich beinahe mutlos an. Tatsächlich spüren die Eurostaaten die Eskalation der Finanzkrise seit der Lehman-Pleite Mitte September ganz unterschiedlich. Irland, Griechenland, Spanien oder Italien müssen deutlich höhere Zinsen zahlen als Deutschland, um ihre Staatsanleihen an Käufer loszuwerden (siehe Grafik).

"Damit signalisieren die Finanzmärkte, dass sie einen Staatsbankrott Italiens für wahrscheinlicher halten, auch wenn eine Pleite nur eine theoretische Möglichkeit ist", sagt Gernot Griebling, Anleihen-Experte der Landesbank LBBW. Weil den Südstaaten weniger zugetraut wird, dass sie ihre Schulden auch wirklich begleichen, müssen sie mehr zahlen. Der Trend, dass die Süd-Staaten Risikozuschläge auf Staatsanleihen entrichten, habe sich in den vergangenen Monaten verschärft, so Steinbrück. "Ich glaube nicht, dass er gestoppt ist". Die Zinsdifferenzen führen zu schweren politischen Spannungen. Bereits im Dezember brachte der Sprecher der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, im Auftrag von einigen EU-Staaten die Aufnahme von Euro-Anleihen ins Gespräch. Einige Regierungen im Süden forderten auch direkte Hilfe. Um ihre Kreditkosten zu senken, wollten beispielsweise die Italiener gemeinsam mit Deutschland Anleihen auflegen - und so von der höheren Kreditwürdigkeit der Bundesrepublik profitieren.

Finanzminister Steinbrück erteilte sowohl Juncker als auch dem Vorstoß des italienischen Finanzministers Giulio Tremonti eine klare Absage. Deutschland würde damit seine Kreditwürdigkeit um "einhundert Basispunkte verschlechtern", was angesichts der geplanten Bruttokreditaufnahme von 320 Milliarden Euro ungefähr drei Milliarden Euro entspreche. Steinbrück: "Das kann und will ich keinem deutschen Steuerzahler zumuten". Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sekundiert: "Das wäre ein Bruch der Verträge zur Währungsunion, weil Staaten nicht aus ihren selbst verursachten Schwierigkeiten geholt werden sollen." Steinbrück führt die Schere bei den Zinssätzen auf die "divergente Entwicklung der Volkswirtschaften zurück". Ein interner Bericht der Europäischen Kommission, der Ende Januar veröffentlicht werden soll, spricht Klartext: Die wirtschaftliche Leistung einzelner Euro-Länder geht immer weiter auseinander. Dem Bericht der Kommission zufolge sind vor allem verschleppte Reformen auf dem Arbeitsmarkt und in den Unternehmen daran schuld, dass die Wettbewerbsfähigkeit teilweise dramatisch gesunken ist.

Während die Bundesrepublik durch drastische Reformen und Zurückhaltung bei den Löhnen global wettbewerbsfähiger geworden ist, fällt es Spanien oder Griechenland immer schwerer, sich international zu behaupten. Ein Grund: "In den vergangenen Jahren sind die Löhne stärker gestiegen, als es die Produktivität rechtfertigen würde", sagt Friedrich Heinemann vom ZEW. Die Süd-Staaten produzieren zu teuer und können ihre Waren deshalb schlechter exportieren. Selbst bei großen Flächenstaaten wie Italien und Frankreich kommt ein weiteres Problem dazu, so die EU-Kommission: Zu geringe Investitionen in Forschung und Entwicklung und zu wenig moderne Industriestrukturen.

Beides zusammen - zu hohe Löhne und zu schlechte Produkte - führt dazu, dass die Problemstaaten weit mehr importieren als exportieren. Das reißt ein Loch in die Leistungsbilanz und reduziert die Kreditwürdigkeit der betroffenen Länder. Früher hätten sich Italien oder andere damit beholfen, ihre nationale Währung abzuwerten - mit dem Nachteil, dass sie dadurch Inflation importieren. Kein Wunder, dass auch jetzt die Forderung ertönt, den Euro durch massive Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank abzuwerten. Doch daran kann die Bundesrepublik kein Interesse haben, weil daraus andere Probleme folgen. Die EU-Kommission und Wissenschaftler raten den betroffenen Süd-Staaten vielmehr, selber für eine höhere Wettbewerbsfähigkeit zu sorgen - durch Lohnzurückhaltung und Reformen. Aber diese Botschaft kommt bei vielen Regierungen nicht gut an.

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Hoffnung auf Aufschwung

Berlin - Börsenexperten rechnen Mitte des Jahres mit einem leichten Anziehen der Konjunktur in Deutschland. Grund für den zunehmenden Optimismus sind das zweite Konjunkturpaket der Bundesregierung und die jüngsten Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank. Das Konjunkturbarometer des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) verbesserte sich im Januar überraschend deutlich um 14,2 auf minus 31 Punkte. Der Anstieg des ZEW-Barometers ändert aber nichts daran, dass Ökonomen 2009 die schärfste Rezession seit Bestehen der Bundesrepublik erwarten. Wirtschaftsminister Michael Glos bekräftigte die Prognose der Bundesregierung, dass die Wirtschaftsleistung dieses Jahr um 2,0 bis 2,5 Prozent schrumpfen wird. Reuters

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Notkredit für Lettland

Brüssel - Zur Abwendung eines Staatsbankrotts gewährt die EU Lettland einen Notkredit in Höhe von 3,1 Milliarden Euro. Die EU-Finanzminister stimmten einem entsprechenden Vorschlag der EU-Kommission zu. Das Geld ist Teil eines internationalen Hilfspakets im Umfang von 7,5 Milliarden Euro, das in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds, der Weltbank, osteuropäischer und skandinavischer Staaten geschnürt wurde. Die ehemalige Sowjetrepublik Lettland wurde von der Wirtschaftskrise besonders hart getroffen, im vergangenen Jahr brach das Bruttoinlandsprodukt nach einer vorläufigen Schätzung der EU-Kommission um 2,3 Prozent ein. Lettland ist nach Ungarn das zweite EU-Land, dem die Gemeinschaft mit einem Notkredit hilft. AP

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Billiger essen in Frankreich

Brüssel - Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) zeigt sich im Dauerstreit um ermäßigte Mehrwertsteuersätze in Europa erstmals kompromissbereit. Niedrigere Sätze könnten "in ausgewählten Branchen" eingeführt werden, sagte er am Rande des Ministertreffens in Brüssel. Freuen dürfen sich vor allem Verbraucher in Frankreich, die gerne im Restaurant essen. Die Regierung in Paris fordert seit Jahren als nationale Ausnahme einen verminderten Satz für Hotels und Gaststätten. Deutschland hatte dies stets blockiert und erstmals auf dem EU-Gipfel im vergangenen Dezember Zustimmung signalisiert. Für Restaurants in Deutschland soll es keine Ausnahmen geben. "Das kostet Milliarden Euro", sagte Steinbrück. Der endgültige Beschluss soll im März gefasst werden. gam

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Beim Urlaub wird gespart

Stuttgart - Die Deutschen dürften einer Studie zufolge im laufenden Jahr weniger Geld für Auslandsreisen ausgeben. Die Experten der Dresdner Bank rechnen mit einem Rückgang der Ausgaben um ein Prozent auf 60,5 Milliarden Euro. Durch die Wirtschaftskrise stünden größere Anschaffungen und Urlaubsreisen "ganz oben auf der Streichliste", heißt es in der Untersuchung. Demnach dürften die als Reiseweltmeister bekannten Deutschen ihren Urlaub 2009 kurzfristiger planen und später buchen. Verzichtet würde vor allem auf Zweit- und Drittreisen, während der Haupturlaub "eher nicht zur Disposition" stehe. Im vergangenen Jahr stiegen die Ausgaben für Auslandsreisen noch um 1,5 Prozent auf 61,5 Milliarden Euro. Reuters

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Nachhaltig ist nur der Absturz

Spaniens gewaltiges Wirtschaftswachstum war buchstäblich auf Sand gebaut. Die EU prognostiziert fast 19 Prozent Arbeitslosigkeit

Von Javier Caceres

Madrid - Es gab eine Zeit, sie liegt nicht allzu lange zurück, da war die Welt für den spanischen Immobilienunternehmer Luis Portillo, 46, noch sehr in Ordnung, und jedwedes Problem war rasch gelöst. Sogar Probleme pädagogischer Natur. Über den Bildungsweg seiner Tochter an einem Privatinstitut in Sevilla hatte es leidige Diskussionen mit dem Schulleiter gegeben, deren sich Portillo auf seine Weise zu entledigen wusste: Er erwarb die Aktien der Bildungsanstalt, ersetzte den Direktor und ein paar weitere Quälgeister aus dem Kollegium, und fortan war Ruhe. Einem Hoteldirektor soll er einmal ebenfalls mit dem Kauf des Hauses gedroht haben.

Doch die Zeiten, da Portillo von Wirtschaftsmedien als Spaniens "König Midas" gefeiert wurde, der alles in Gold verwandelte, was er berührte, sind vorbei. Sein Name schmückte die Forbes-Liste der Reichsten der Welt, er konnte sich den Kampf um Beteiligungen an Spaniens Großbanken leisten. Seit Spaniens Boom vorüber ist, kämpft die Immobiliengruppe Colonial, einst Portillos wichtigstes Unternehmen, verzweifelt gegen die drohende Insolvenz an. Der Immobilienmarkt ist nahezu paralysiert.

Monokultur gepflegt

Spaniens Wirtschaft wird in ihren Grundfesten erschüttert. Das Land durchlebt nach Jahren eines kometenhaften Aufstiegs einen ebenso rasanten Abschwung, der durch die Weltwirtschaftskrise noch einmal potenziert wird. Die hausgemachten Probleme sind groß genug. Trotz aller Versuche, die Wirtschaftsleistung in verschiedene Branchen zu diversifizieren, hat sich das Land nie aus der Zwangsjacke der Monokultur Immobilien befreien können: Bis zu 18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sind direkt von der Bauindustrie abhängig; zählt man Zulieferer hinzu, liegt der Anteil an der Wirtschaftsleistung bei 30 Prozent. Mehr als die Hälfte aller Unternehmen, die im vergangenen Jahr Insolvenzanträge stellten, sind mit der Baubranche verbandelt. Das eigene Heim war für den Spanier stets der höchste materielle Wert, dazu kam der Hunger der Touristen nach Hotels und Chalets an der sonnigen Küste.

Mittlerweile räumt auch die sozialistische Regierung von Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero ein, dass die größten Pessimisten wohl recht behalten werden. Die Wirtschaft werde 2009 um 1,6 Prozent schrumpfen, die Industrieproduktion weiter fallen, das Staatsdefizit auf nahezu sechs Prozent hochschnellen, die Arbeitslosenquote wird ebenfalls rasant wachsen. "Sozialistischer Neorealismus", spöttelte die sonst sehr regierungsnahe Zeitung El País. Noch vor wenigen Wochen hatte die Regierung mit weit besseren Zahlen hantiert. Der Etat für 2009 wurde auf der Grundlage eines voraussichtlichen Wachstums von 1,0 Prozent berechnet. Die Europäische Kommission sieht noch schlimmere Zeiten heraufziehen. Sie prognostiziert einen Einbruch der Wirtschaft um 2,0 Prozent und eine Arbeitslosenquote von 18,7 Prozent im Jahr 2010.

Mehr als 80 Maßnahmen zur Konjunkturbelebung hat Spaniens Regierung aufgelegt, insbesondere in öffentliche Bauten soll investiert werden. Doch es kann dauern, bis die Effekte dieser Programme spürbar werden. Und sie haben ihren Preis. Am Montag dimmte die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) die bislang exzellente Kreditwürdigkeit Spaniens herunter. Die langfristigen Staatsschulden werden nur noch mit der Note "AA+" beurteilt, nicht mehr mit "AAA". "Der Abschwung in Spanien könnte länger als in anderen Ländern der Eurozone dauern", begründete S&P-Analyst Trevor Cullinan den Schritt. Die Konjunkturaussichten seien deprimierend, das Staatsdefizit steige. Für Land und Leute ist das ein Drama. Spanien ist stark kreditabhängig, das Außenhandelsdefizit liegt bei zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts, und die Mehrzahl der Spanier hat sich als Häuslebauer verschuldet - zu variablen Zinssätzen, auf Jahrzehnte hinaus.

Wie sehr die Wirtschaft stottert, bekommen vor allem Immobilienunternehmer vom Schlage Portillos zu spüren. Der in den Jahren des Booms von Banken, Promotern und Medien genährte Irrglaube, wonach die Preise von Immobilien niemals fallen, sondern stets steigen, ist mittlerweile sattsam dementiert. Nach Angaben des Nationalen Statistik-Instituts sind die Preise für Wohnungen im vergangenen Jahr erstmals seit dreizehn Jahren gesunken, um durchschnittlich 3,2 Prozent. Branchenkenner wissen freilich: Zurzeit wird fast nur noch dann Wohnraum veräußert, wenn die Verkäufer Abschläge von bis zu 30 Prozent hinnehmen. Was nicht heißt, dass das Wohnen in Spanien billig geworden wäre. Einen funktionierenden Mietmarkt gibt es so gut wie gar nicht.

Schon Ende 2009, so meint die Regierung, werde Spanien erste Anzeichen für einen signifikanten Aufschwung erleben. Zurzeit jedoch fehlt vielen Spaniern der Glaube. Ein so exorbitant dynamischer Wachstumsmotor wie die Bauindustrie, die in Zeiten billigen Geldes bis zu 800 000 Wohnungen im Jahr erstellte, ist nicht von heute auf morgen zu ersetzen. Nachhaltig war wenig, was in den letzten Jahren entstand. Die Krise wird es bestimmt sein. Spanien stellt sich auf harte Zeiten ein. Und dürfte ein Wachstum wie jenes, das Señor Portillo einst reich machte, so bald nicht wiedersehen.

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Flugzeugverleiher ILFC vor Verkauf

Vier Finanzinvestoren prüfen den Erwerb der AIG-Tochter

Frankfurt - Der Flugzeugleasing-Spezialist International Lease Finance Corporation (ILFC) wird womöglich schon bald an ein Konsortium von Finanzinvestoren verkauft. Nach Medienberichten prüfen mit Carlyle, Kohlberg Kravis Roberts & Co (KKR), TPG und Greenbriar Equity vier Private-Equity-Firmen ein gemeinsames Angebot für ILFC. Auch das derzeitige Management des Leasingunternehmens will sich offenbar an der Transaktion beteiligen. Weder ILFC noch die möglichen Investoren wollten sich zu dem Vorgang äußern.

ILFC ist bislang eine Tochtergesellschaft des Versicherungskonzerns American International Group (AIG). Dieser muss aber zahlreiche Sparten verkaufen, um Staatskredite in Höhe von 130 Milliarden US-Dollar zurückzahlen zu können, mit denen die US-Regierung im vergangenen Jahr einen Zusammenbruch des Konzerns verhindert hatte. ILFC-Chef Steven Udvar-Hazy bezifferte jüngst den Wert seines Unternehmens auf etwa zehn Milliarden Dollar.

Gemeinsam mit der GE-Tochter General Electric Commercial Aviation Services (GECAS) ist ILFC Weltmarktführer im Flugzeugleasing. Das Portfolio umfasst mehr als 1000 Maschinen im Wert von etwa 50 Milliarden Dollar. Operativ stand ILFC zuletzt weiterhin gut da. In den ersten neun Monaten des Jahres 2008 machte das Unternehmen einen Gewinn von 588 Millionen Dollar bei einem Umsatz von 3,8 Milliarden. ILFC ist jedoch darauf angewiesen, Anleihen zu verkaufen oder Kredite abzuschließen, um weitere Flugzeuge finanzieren zu können. Die Finanzkrise und die Unsicherheit über die künftigen Eigner haben dies zuletzt gravierend erschwert.jfl

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LOGITECH

Massiver Gewinneinbruch

Romanel - Der Computerzubehörkonzern Logitech hat im dritten Quartal 2008/2009 einen massiven Gewinneinbruch erlitten. Der Nettogewinn verringerte sich im Vorjahresvergleich um 70 Prozent auf 40,5 Millionen Dollar, wie der weltweit größte Computermausproduzent in der Schweiz mitteilte. Der Umsatz sank um 16 Prozent auf 627,5 Millionen Dollar. Die Zahlen fielen schlechter aus, als Analysten nach der Gewinnwarnung vom 6. Januar erwartet hatten. AP

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AIR FRANCE-KLM

Verluste im Quartal

Paris - Die französisch-niederländische Fluggesellschaft Air France-KLM ist wegen des Wirtschaftsabschwungs im dritten Quartal nach eigener Einschätzung in die Verluste gerutscht. Das operative Ergebnis für die drei Monate bis Ende Dezember sei wahrscheinlich negativ, teilte das Unternehmen mit. Dennoch werde im Geschäftsjahr 2008/2009 voraussichtlich ein operativer Gewinn erzielt. Im dritten Quartal ging der Umsatz im Passagiergeschäft nur leicht, in der Frachtsparte jedoch stark zurück. dpa-AFX

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EUROCOPTER

Rekordumsatz

Paris - Der Umsatz des Hubschrauber-Herstellers Eurocopter ist 2008 um 7,5 Prozent auf einen Rekordwert von 4,5 Milliarden Euro gestiegen. "Wir wollten ein bisschen mehr Wachstum, aber wir sind auch nicht ganz unberührt von der Finanzkrise", so der Chef der EADS-Tochter, Lutz Bertling, in Paris. Die Zahl der Bestellungen sei von 802 Hubschraubern im Jahr 2007 auf 715 gesunken. 2008 seien Bestellungen im Wert von 4,9 Milliarden Euro eingegangen. dpa

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KNAUS TABBERT

Landeskredite

München - Die Länder Bayern und Hessen bürgen für neue Kredite des Caravan-Herstellers Knaus Tabbert. Der Freistaat sichere 80 Prozent eines Darlehens über 28 Millionen Euro ab, wie das bayerische Kabinett entschied. Knaus Tabbert war im Oktober wegen einer Absatzkrise zahlungsunfähig geworden. Zu Jahresbeginn hat der niederländische Firmensanierer HTP Investments das Unternehmen mit Werken in Bayern, Hessen und Ungarn übernommen. Reuters

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Der letzte Kampf bei Conti

Schaeffler drängt Aufsichtsratschef Hubertus von Grünberg massiv zum Rücktritt, um endlich die Kontrolle zu übernehmen

Von Martin Hesse und Uwe Ritzer

Frankfurt/Herzogenaurach - Der Machtkampf zwischen Continental und Schaeffler geht in seine wohl letzte Runde. Monatelang hatten sich der Dax-Konzern aus Hannover und das Familienunternehmen bearbeitet. Mal hinter den Kulissen, mal offen, meist aber nach außen den Schein des guten Willens wahrend. Jetzt aber nimmt Schaeffler, seit Anfang Januar neuer Großaktionär bei Conti, keine Rücksichten mehr: Die Franken fordern den Rücktritt des Continental-Aufsichtsratschefs Hubertus von Grünberg, 66.

"Das Vertrauen zu Herrn von Grünberg ist zerstört, weil er gemeinsame Lösungen sabotiert und eigene Interessen verfolgt", sagte ein Schaeffler-Sprecher. Wenn dieser nicht schnell abtrete oder aber der Aufsichtsrat ihn abberufe, werde Schaeffler sämtliche zehn Sitze der Arbeitgeberseite in dem Kontrollgremium übernehmen, kündigte das Herzogenauracher Familienunternehmen an.

Arbeitnehmer, Kunden, Aktionäre und Banken - sie alle verfolgen seit Monaten staunend die Schlammschlacht der beiden Autozulieferer. Im August hatten sich Conti und Schaeffler darauf geeinigt, dass das Familienunternehmen maximal 49,9 Prozent übernimmt. Vorausgegangen war dem eine verzweifelte Verteidigungsstrategie Continentals, begleitet von fast einem Dutzend Banken. Eine Investorenvereinbarung sollte dann wenigstens sicherstellen, dass die Interessen beider Seiten gewahrt bleiben. Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder sollte die Abmachung überwachen.

Doch bald häuften sich die Probleme auf beiden Seiten: Die Autokrise beeinträchtigte das Geschäft der Zulieferer, die Finanzkrise verschärfte die Probleme, die beide Konzerne mit ihrer enormen Schuldenlast haben. Bald stellte sich heraus, dass Schaeffler sich mit dem Zukauf übernommen hatte, zumal dem Konzern weit mehr Conti-Aktien angedient wurden, als sie eigentlich haben wollte. Die überschüssigen 40 Prozent der Conti-Anteile konnte Schaeffler bei Banken parken - doch bezahlen musste der Familienkonzern 90 Prozent.

Umso dringlicher wird es für Schaeffler, rasch die volle Kontrolle über Conti zu bekommen, um mehr Möglichkeiten zu haben, von den hohen Schulden herunterzukommen. Auf der anderen Seite sah sich Conti durch die Investorenvereinbarung zunehmend in ihren Möglichkeiten eingeengt. Man wollte den neuen Großaktionär auf Distanz halten. Aufsichtsratschef Hubertus von Grünberg - der langjährige Vorstandschef hatte die Übernahme durch Schaeffler zunächst unterstützt - stellte sich schließlich offen gegen Schaeffler. "Es muss zum Showdown kommen, damit klar ist, wer hier das Sagen hat", sagt ein Vertreter der sechs finanzierenden Banken.

Diesen Showdown leitet Schaeffler jetzt ein. Die Franken stellen dem Conti-Aufsichtsrat nun ein Ultimatum. Dieser solle möglichst schnell Platz für vier Vertreter von Schaeffler machen. Geschehe dies nicht freiwillig durch Rücktritte inklusive dem von Grünberg, will man offenkundig eine außerordentliche Hauptversammlung erzwingen. Da Schaeffler de facto 90 Prozent der Anteile kontrolliert, ist klar, dass die Familie dadurch notfalls im Handstreich die Arbeitgeberbank besetzen könnte. Um eine außerordentliche Hauptversammlung einzuberufen, sind fünf Prozent der Stimmrechte nötig. Der Hedgefonds Exchange Investors hatte am Montag ebenfalls den Rücktritt des Aufsichtsrates gefordert. Exchange-Chef Frank Scheunert argumentiert, Aufsichtsrat und Vorstand verhinderten, dass alle Synergien des Zusammenschlusses genutzt würden.

Die IG Metall warnt

Der Gewerkschafter Werner Bischoff, der stellvertretender Aufsichtsratschef bei Continental, hatte Schaeffler zuvor zur Einhaltung der Investorenvereinbarung aufgerufen. Die Vereinbarung sei eine "ideale Grundlage für die Zukunftsgestaltung." Ein Schaeffler-Sprecher widersprach der Darstellung, dass Schaeffler laut Investorenvereinbarung lediglich vier Aufsichtsratsmandate übernehmen dürfe. Tatsächlich schreibt die Vereinbarung nach SZ-Informationen lediglich fest, dass maximal vier Aufsichtsräte Angestellte, Gesellschafter oder Angehörige von Organen des Familienunternehmens sein dürfen. Allerdings stünde es Schaeffler frei, weitere sechs Vertraute in das Kontrollgremium zu senden, die dem Unternehmen nahestehen, ihm aber nicht unmittelbar angehören. Darauf zielt die Drohung offenkundig ab.

Bei den Schaeffler-Banken hofft man nun auf eine schnelle Entscheidung: "Aber wichtig wäre es, dass die Schlüsselfiguren im Conti-Management an Bord bleiben." In Herzogenaurach kennt man offenbar die Wünsche der Banken, gegen deren Willen bei Schaeffler kaum noch etwas gehen dürfte. Ein Sprecher sagte, die Kritik richte sich nicht gegen Conti-Vorstandschef Karl-Thomas Neumann:. "Er ist nach wie vor unser Mann."

Vor dem Abgang? Für den Aufsichtsratsvorsitzenden der Continental AG, Hubertus von Grünberg, wird es langsam eng. Der fränkische Familienkonzern Schaeffler, Großaktionär bei Conti, drängt auf seine Ablösung und hat den Ton am Dienstag deutlich verschärft. Foto: ddp

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Glos drängt auf eine Netz-AG

Wirtschaftsminister fordert Konzerne zur Zusammenarbeit auf, RWE und EnBW winken ab

Von Michael Bauchmüller

Berlin - Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) erhöht den Druck auf die deutschen Energiekonzerne, ihre Stromnetze zusammenzulegen. "Ich glaube nicht, dass wir auf mittlere oder längere Sicht um einen gemeinsamen Betrieb der Netze herumkommen", sagte Glos bei der Handelsblatt-Energietagung in Berlin: "Ich appelliere an die großen Netzbetreiber, sich hier konstruktiv zu zeigen." Gespräche zwischen den Betreibern der vier großen Übertragungsnetze gibt es seit Monaten. Bislang konnten sich Eon, RWE, Vattenfall Europe und EnBW aber nicht auf ein gemeinsames Dach einigen. Stattdessen hatten Eon, Vattenfall und EnBW kürzlich eine engere Kooperation bekannt gegeben, um ihre Netze effizienter zu bewirtschaften. Parallel wollen Eon und Vattenfall ihre Stromnetze verkaufen, Vattenfall führt bereits ernsthafte Gespräche. Auch Versuche des Wirtschaftsministeriums, zwischen den vier Konzernen zu vermitteln, schlugen offenbar fehl. Die Aufgabe hatte Infineon-Aufsichtsratschef Max Dietrich Kley übernommen, Ende Januar soll er einen Bericht vorlegen.

Der Essener RWE-Konzern allerdings will von einer "Netz AG" nach wie vor nichts wissen. "Wir sind der Meinung, dass alle Ziele, die die Bundesregierung erreichen will, auch ohne eine solche Netz AG zu erreichen sind", sagte RWE-Chef Jürgen Großmann am Rande der Konferenz. Im Übrigen gelte in Deutschland das Prinzip des Eigentums. In der Vergangenheit hatte RWE mehrfach angeboten, das deutsche Netz zwar aus einer Hand zu steuern - nämlich durch die RWE-Netzwarte bei Köln. Sein Eigentum am RWE-Netz aber wollte das Unternehmen behalten. Stattdessen stärkten die Essener, die sich derzeit um die Übernahme des niederländischen Essent-Konzerns bemühen, die Kooperation mit dem holländischen Netzbetreiber Tennet. Auch der EnBW-Konzern möchte sein Netz gerne behalten. "Wir haben keinen Zwang und also auch keinen Drang, das Netz zu verkaufen", sagte ein EnBW-Sprecher.

Als Reaktion auf den Gasstreit zwischen Russland und Ukraine forderte Glos eine stärkere europäische Zusammenarbeit, etwa bei der Speicherung von Gas. Allerdings müsse jedes Land auch ein "Mindestmaß eigener Vorsorge" treffen. In der jüngsten Krise waren einige osteuropäische Staaten mit Gas aus deutschen Speichern versorgt worden. Auch müsse Deutschland den Atomausstieg rückgängig machen, um weniger abhängig von ausländischem Gas zu sein.

Ein Strommast in Iserlohn: Das Bundeswirtschaftsministerium favorisiert eine einheitliche Netzgesellschaft, bisher allerdings vergeblich. Foto: ddp

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Mehr Wettbewerb bei Brillengläsern

Bonn - Für mehr Wettbewerb beim Brillenkauf will das Bundeskartellamt sorgen. Ein Verwaltungsverfahren befasse sich mit den unverbindlichen Preisempfehlungen, welche die Hersteller von Brillenglas den Optikern an die Hand geben, so die Bonner Wettbewerbsbehörde. Diese Preisempfehlung beinhalte bereits die Handwerksleistung, welche der Betrieb zum Einpassen der Gläser in die Fassung erbringe. Nach dem Willen des Bundeskartellamtes soll es von April an Wettbewerb geben, indem jeder Optiker selbst kalkuliert. Dem Zentralverband der Augenoptiker sei eine Übergangsfrist eingeräumt worden. Parallel ist beim Kartellamt ein Bußgeldverfahren anhängig, bei dem es ebenfalls um Brillengläser geht. Dieses Verfahren behandelt dem Amt zufolge mögliche Preisabsprachen der Brillenglashersteller untereinander. dpa

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IBM droht EU-Kartellverfahren

London - Dem Computerkonzern IBM droht ein neues Kartellverfahren der Europäischen Kommission. Der Großrechner-Hersteller T3 Technologies wollte noch am Dienstag Beschwerde gegen IBM einlegen, so die Financial Times. IBM habe den Verkauf seines Betriebssystems an den Erwerb der Großrechner gekoppelt und so den Verkauf von Konkurrenzprodukten verhindert und seine Marktposition missbraucht, laute der Vorwurf. IBM habe Patentlizenzen und anderes geistiges Eigentum zurückgehalten und damit den Käufern von Großrechnern in Europa Schaden zugefügt. 2007 hatte die Wettbewerbsaufsicht das IBM-Großrechnergeschäft unter die Lupe genommen, nachdem das Startup-Unternehmen Platform Solutions eine ähnliche Beschwerde eingereicht hatte. Die Untersuchung endete ergebnislos, im Juli 2008 übernahm IBM den Rivalen. dpa

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Metaller bangen um die 2,1 Prozent

Die geplante Tariferhöhung wird wohl in vielen Betrieben verschoben

Von Thomas Öchsner

Berlin - Hunderttausende von Mitarbeitern in der Metall- und Elektroindustrie müssen auf die nächste Gehaltserhöhung womöglich länger warten. Wegen der inzwischen dramatisch verschlechterten wirtschaftlichen Situation infolge der weltweiten Wirtschaftskrise werde es notwendig sein, in vielen Betrieben die zweite Stufe der vereinbarten Lohnerhöhung zu verschieben, kündigte Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser am Dienstag in Berlin an.

Dem Tarifabschluss der Branche zufolge sollen die Gehälter der Arbeitnehmer von Mai an um weitere 2,1 Prozent erhöht werden. Betriebe, die im Vergleich zu 2008 wirtschaftlich absacken, können diesen Tarifsprung jedoch um bis zu sieben Monate verschieben. Dem muss die Gewerkschaft zustimmen, sofern das Unternehmen die schwierige Lage nachweisen kann. Ein Sprecher der IG Metall schloss einen solchen Schritt nicht aus, wollte aber zunächst die weitere Entwicklung abwarten.

Kannegiesser kündigte zugleich an, mit der Gewerkschaft über andere Elemente in den gemeinsamen Verträgen reden zu wollen. Details wollte er nicht nennen. Er ließ aber durchblicken, dass es ihm offenbar darum geht, die eine oder andere Leistung vorübergehend auszusetzen, um für die Betriebe die Kosten zu verringern. "Die Unternehmen müssen sich voll darauf konzentrieren, möglichst lebend und einigermaßen unversehrt aus der Krise zu kommen, die unsere gesamte Industrie in voller Breite und mit nur wenigen Ausnahmen erfasst hat", sagte der Gesamtmetall-Präsident.

Wie dramatisch die Situation in der Metall- und Elektroindustrie inzwischen ist, zeigt die rasche Zunahme der Kurzarbeit. Nach Angaben von Kannegiesser zeigten im Dezember 2008 mehr als 2600 Unternehmen der Branche Kurzarbeit an. Das entspricht etwa einem Zehntel der Betriebe, und jeden Tag werden es mehr. "Da sind Zwerge dabei und Riesen", sagte der Lobbyist. In fast allen Unternehmen werden inzwischen die Guthaben auf den Arbeitszeitkonten abgebaut. Trotzdem glaubt Kannegiesser nicht, dass die Branche in diesem Jahr "ganz ohne den Abbau von Arbeitsplätzen auskommen kann".

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Wall Street: Die Hoffnung heißt Obama

Die New Yorker Wall Street hat wenige Stunden vor der Amtseinführung Barack Obamas mit deutlichen Verlusten eröffnet. Die Händler erwarten vom neuen US-Präsidenten, dass er die Wirtschaft durch ein umfangreiches Hilfspaket wieder in Schwung bringt. Allerdings überwogen am Dienstag zunächst Befürchtungen, dass es in der Berichtssaison zahlreiche böse Überraschungen geben wird. Der Dow Jones notierte nach einer halben Handelsstunde mit 2,2 Prozent im Minus bei 8102 Punkten. Der S&P 500 fiel um drei Prozent auf 825 Zähler und der Nasdaq Composite gab drei Prozent auf 1482 Punkte nach.

In Europa verlor der Euro Stoxx 50 1,2 Prozent auf 2225 Punkte. Der FTSE 100 in London gab 0,4 Prozent auf 4086 Zähler nach. Erneut standen hier die Finanzwerte mit drastischen Verlusten auf der Verliererseite. Befürchtungen, die beiden britischen Banken Lloyds und Barclays könnten weitere Staatshilfen benötigen, ließen deren Aktien um 25 beziehungsweise rund 13 Prozent nach unten sacken. Dagegen verteuerte sich die Aktie von Alstom um 3,4 Prozent auf 35,41 Euro. Der Bahntechnikkonzern und Anlagenbauer hat im dritten Quartal seine Umsätze trotz der Wirtschaftskrise steigern können.

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Kommentare

Obamas Chancen

Der neue Präsident kann Amerikas Wirtschaft verändern

Von Nikolaus Piper

Der neue amerikanische Präsident hat seinen ersten Tag im Weißen Haus noch nicht hinter sich, doch ein paar Grundzüge seiner Wirtschaftspolitik sind schon klar: Barack Obama ist pragmatisch und offen für Rat, er entscheidet schnell, inszeniert die Entscheidungen meisterhaft und blickt über Parteigrenzen hinaus. Einen frühen Lohn dafür hat er bereits bekommen: Der Senat billigte die zweite Tranche des Rettungspakets für die Banken, ein Votum, das alles andere als selbstverständlich war.

Kein Präsident seit Franklin D. Roosevelt musste sein Amt unter annähernd schweren Bedingungen antreten wie Obama. Keiner hatte aber auch die Chancen, die Lage so nachhaltig zu verbessern wie er. Nach allem, was zuletzt aus dem Obama-Team an die Öffentlichkeit gedrungen ist, sieht er selbst dies genau so. Alle wissen, dass es so nicht mehr weitergeht - das ist die Chance der Krise. Deshalb kann der Präsident jetzt nicht nur die Rezession bekämpfen, sondern auch mehrere der grundsätzlichen Probleme Amerikas gleichzeitig angehen: die Energieverschwendung, das Scheitern der öffentlichen Schulen, den Verfall der Infrastruktur und die Krise der Staatsfinanzen.

Für die kommenden Wochen ist mit einer Reihe dramatischer Entscheidungen zu rechnen. Zunächst dürfte Obama von den Banken, die Abermilliarden Dollar an Staatshilfe bekommen haben, Transparenz verlangen: Was haben sie mit dem Geld gemacht, sind einige schon wieder in der Lage, in größerem Maßstab Kredite auszugeben und wenn ja, warum haben sie es noch nicht gemacht? Der Präsident wird eine Initiative starten, um den Finanzsektor neu zu regulieren. Das ist zwar eigentlich eine Aufgabe von morgen; keine Bank der Welt geht derzeit übermäßige Risiken ein, die meisten riskieren überhaupt nichts. Aber die Aussicht auf bessere Regulierung ist heute wichtig, um morgen Vertrauen zu schaffen. Ein Modell für diese neue Regulierung hat der frühere Notenbankchef und Obama-Berater Paul Volcker kürzlich vorgelegt. Im Frühjahr wird Obama wohl ein Gesetz zur Förderung von erneuerbaren Energien auflegen und Grundzüge einer Gesundheitsreform verkünden.

Wohl wahr: Einige teure Wahlversprechen wird Obama nicht einlösen können, aber er kann Wichtigeres erreichen. Dank des 900-Milliarden-Konjunkturprogramms gibt es gute Chancen, dass die Rezession noch 2009 zu Ende geht, wenigstens im technischen Sinne. Das bedeutet aber nicht, dass damit sofort gute Zeiten mit hohem Wachstum und steigender Beschäftigung zurückkehren. Die Vereinigten Staaten haben über ihre Verhältnisse gelebt - das ist eine der Ursachen der Finanzkrise. Jetzt muss das Land zu einem gesunden Verhältnis von Sparen und Konsumieren zurückkehren: Die volkswirtschaftliche Sparquote sollte von derzeit etwa einem auf normale sechs bis sieben Prozent steigen.

Aus diesem Grund wird die amerikanische Wirtschaft auf absehbare Zeit langsamer wachsen als gewohnt. Das hat weitreichende Konsequenzen, unter anderem für den Staatshaushalt. Und genau hier entscheidet sich, wie die wirtschaftspolitische Bilanz Obamas aussehen wird: Seit vielen Jahren steht fest, dass den USA mittelfristig eine fundamentale Krise der Staatsfinanzen droht, unabhängig von den Defiziten, die jetzt aufgebaut werden. Wegen des steigenden Durchschnittsalters der Bevölkerung werden die Ausgaben für die Sozialversicherung und die Krankenversicherung der Rentner den Haushalt sprengen. Wenn nichts passiert, wird das Staatsdefizit in zwei Generationen auf 80 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Bisher hat sich niemand an das Problem gewagt; die Republikaner sperrten sich gegen höhere Sozialbeiträge, die Demokraten gegen geringere Leistungen. Dabei liegt die Lösung in beidem.

Obama mit seinem überparteilichen Ansatz ("Es gibt weder demokratische noch republikanische Probleme") könnte diese Lösung durchsetzen. Er würde dann in die Geschichte eingehen als ein Präsident, der nicht nur die Welt vor einer neuen großen Depression bewahrt, sondern die wirtschaftliche Zukunft Amerikas gesichert hat.

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Staat profitiert von Reform

Senkung des Kassenbeitrags entlastet Länder und Kommunen

Berlin - Von der geplanten Senkung des Krankenkassenbeitrags wird neben der Wirtschaft und den Arbeitnehmern auch der Staat in erheblichem Umfang profitieren. Das geht aus dem entsprechenden Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums hervor, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Danach wird die Beitragsreduzierung vor allem für die Länder und Kommunen zu einem Geschäft: Für sie steht unter dem Strich ein Plus von rund 170 Millionen Euro.

Nach den Plänen der großen Koalition wird der Kassensatz zum 1. Juli von 15,5 auf 14,9 Prozent des Bruttolohns sinken. Ziel ist es, die Belastung der Wirtschaft durch die Rezession zu mildern, die Bürger zu höheren Konsumausgaben zu animieren und damit die Konjunktur anzukurbeln. Die Mindereinnahmen für den Gesundheitsfonds in Höhe von 3,2 Milliarden Euro 2009 und 6,3 Milliarden Euro in den Folgejahren sollen durch einen Steuerzuschuss aus dem Bundeshaushalt ausgeglichen werden.

Diesen 6,3 Milliarden Euro stehen allerdings jährliche Entlastungen der Öffentlichen Hand in Höhe von 1,1 Milliarden Euro gegenüber, wie aus dem Referentenentwurf des Gesundheitsministeriums hervorgeht. Grund ist unter anderem, dass Bund, Länder und Gemeinden selbst Arbeitgeber sind und daher künftig 160 Millionen Euro weniger an Krankenkassenbeiträgen überweisen müssen. Da der Bund zudem Langzeitarbeitslosen die Krankenversicherungskosten abnimmt, ergeben sich weitere Einsparungen in Höhe von 370 Millionen Euro.

Der dritte Effekt schließlich ist ein steuerlicher: Weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer geringere Krankenversicherungszahlungen als erwartet beim Finanzamt geltend machen können, fallen die Steuermindereinnahmen des Staats 2009 um 450 Millionen Euro geringer aus als erwartet.

Zu den Profiteuren der Reform gehört schließlich die gesetzliche Rentenversicherung, deren Ausgaben um 580 Millionen Euro im Jahr sinken. Das dürfte erneut die Arbeitgeber auf den Plan rufen, die angesichts der gut gefüllten Rentenkassen seit Monaten eine Beitragssenkung fordern.Claus Hulverscheidt

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Schaeffler greift bei Conti durch

München - Der Streit zwischen den beiden Autozulieferern Schaeffler und Continental eskaliert. Der Schaeffler-Konzern, seit Anfang Januar Conti-Großaktionär, ging am Dienstag mit ungewöhnlich deutlichen Vorwürfen an die Öffentlichkeit. Dem amtierenden Conti-Aufsichtsratsvorsitzenden Hubertus von Grünberg warf ein Sprecher des fränkischen Familienkonzerns am Dienstag Sabotage vor und verlangte seinen sofortigen Rückzug. Schaeffler drohte, sämtliche zehn Aufsichtsräte der Anteilseignerseite auszuwechseln.

"Da der Aufsichtsratsvorsitzende gemeinsame Lösungen systematisch sabotiert und eigene Interessen verfolgt, ist das Vertrauen zerstört", hieß es in einer Stellungnahme. Solange der Aufsichtsrat Grünberg gewähren lasse und dieser nicht zurücktrete, behalte sich Schaeffler das Recht vor, alle zehn Sitze der Anteilseigner im Aufsichtsrat neu zu besetzen. Die Investorenvereinbarung zwischen Schaeffler und Conti werde dadurch nicht gebrochen, bekräftigte Schaeffler. Der Vereinbarung zufolge kann Schaeffler selbst aber nur vier Vertreter direkt in das Aufsichtsratsgremium entsenden. Hintergrund des Zerwürfnisses ist unter anderem die von Conti-Finanzvorstand Alan Hippe vor wenigen Tagen ins Spiel gebrachte Kapitalerhöhung von einer Milliarde Euro bei Conti. Conti-Aktien waren daraufhin auf unter 20 Euro abgestürzt. Die IG Metall kritisierte das Vorgehen der Schaeffler-Gruppe am Dienstag scharf. (Seite 21) SZ

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Und sie spinnen nicht

Weil das Risiko klein ist, hat Fiats US-Wagnis Erfolgschancen

Von Ulrike Sauer

Die Turiner spinnen. So reagierten viele auf die Nachricht vom Einstieg Fiats beim todkranken US-Konzern Chrysler. Wer sich nach dem Daimler-Debakel in Detroit heute auf den am ärgsten bedrohten amerikanischen Autohersteller einlässt, muss von allen guten Geistern verlassen sein. Doch die geplante Allianz mit den Amis ist aus italienischer Sicht keinesfalls ein Akt der Verzweiflung.

Schon vor elf Monaten hatte Fiat-Chef Sergio Marchionne erste Gespräche mit dem Chrysler-Lenker Robert Nardelli geführt. Das Wichtigste an der nun präsentierten Übereinkunft: Die Italiener treten in Detroit nicht als große Zampanos an. Sie bieten Chrysler ihre Technologie an und halten das Risiko extrem klein. Kein einziger Euro soll aus Turin in Nardellis leere Kassen fließen. Die Gefahr eines Fehltritts ist damit gebannt.

Doch auch als "Meilenstein" für die Autoindustrie, wie Fiat und Chrysler ihre Kooperationsabsicht verkaufen, kann man den Schritt nicht bewerten. Fiat wollte mit aller Macht auf den amerikanischen Markt zurück. Das könnte nach 25-jähriger Abwesenheit nun klappen. Der Zeitpunkt ist günstig. Die einst wegen ihrer qualitativen Schwächen ausgelachten Turiner haben im Zuge der Kulturrevolution von Fiat-Retter Marchionne attraktive Modelle auf den Markt gebracht. Nun macht der Zugang zu den Produktionsanlagen und zum Vertriebsnetz von Chrysler den Verkauf italienischer Autos in Amerika wegen gesunkener Kosten für Fiat interessant. Man könnte sich sogar vorstellen, dass der Kult-Winzling Fiat 500 eine Chance erhält. Anders als eine echte Allianz etwa mit Peugeot löst der Gratiseinstieg bei Chrysler die kurzfristigen Probleme Fiats jedoch nicht.

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Am Ende der Geduld

Metro-Chef Cordes hat lange analysiert, jetzt handelt er

Von Stefan Weber

Mehr als drei Milliarden Euro hatte der Haniel-Konzern im Sommer 2007 eingesetzt, um beim größten deutschen Handelsunternehmen Metro das Sagen zu haben. Der Großaktionär war unzufrieden mit der Rendite, die der Branchenprimus ablieferte. Er vermutete im Metro-Konzern sehr viel größeres Potential. Aus heutiger Sicht war die Investition von Haniel kein kluger Schachzug. Der Aktienkurs der Metro hat sich seitdem mehr als halbiert. Und angesichts härter werdender Zeiten im Einzelhandel droht die Ertragskraft weiter zu schwinden. Zudem erfordert die beabsichtigte Trennung vom Kaufhof viel Geduld, denn im gegenwärtigen Umfeld sind finanzkräftige Interessenten rar.

Nun versucht Vorstandschef Eckhard Cordes, den Konzern mit einem tiefgreifenden Umbau auf Rendite zu trimmen. Er hat sich seit seinem Amtsantritt im November 2007 viel Zeit gelassen, die Situation des Konzerns zu analysieren. Mancher hätte sich gewünscht, dass Cordes schon früher ein Signal setzt, wie er Metro voranbringen will. Für Außenstehende erkennbar war seine Handschrift bisher lediglich bei der Restrukturierung der SB-Warenhaustochter Real. Deren Sanierung geht er sehr viel energischer und konsequenter an als sein Vorgänger. Und es zeigen sich erste Erfolge. Real ist auf dem Weg der Besserung.

Das reicht aber nicht, um die Anforderungen von Haniel zu erfüllen. Deshalb muss sich Cordes an die sehr viel größere Aufgabe machen, den gesamten Konzern zu straffen. Bei renditeschwachen Aktivitäten kann er sich nicht mehr viel Geduld erlauben. Muss er auch nicht. Denn nach dem Umbau sind die Töchter so stark verselbständigt, dass sie sich leicht aus dem Konzerngebilde lösen lassen.

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Reaktionen auf die Autokrise

Fiat steigt bei Chrysler ein

Italiener planen Bezahlung mit Technologie. Konzerne wie BMW und VW beschließen Kurzarbeit

Von Michael Kuntz

München - Die Krise in der Autoindustrie wird schärfer. Mit dem Einstieg von Fiat bei Chrysler verbünden sich zwei kleinere Hersteller, die nach Ansicht von Experten einzeln kaum überleben könnten. Andere helfen sich allein: Volkswagen kündigt fünf Tage Kurzarbeit für Ende Februar an. Der BMW-Konzern beantragt ebenfalls erstmals Kurzarbeit. Auch der Lkw-Hersteller MAN arbeitet kurz.

Der italienische Autokonzern Fiat übernimmt 35 Prozent am angeschlagenen amerikanischen Hersteller Chrysler. Fiat bezahlt seinen Anteil nicht mit Bargeld und geht keine rechtlichen Verpflichtungen ein. Die Italiener gewähren den Amerikanern vielmehr Zugang zu ihrer Technologie für Kleinwagen. Im Gegenzug will Fiat seine Autos in Amerika anbieten. Die zwei Händlernetze sollen zusammenarbeiten. Faktisch bekommt Fiat damit den Anteil an Chrysler vom Finanzinvestor Cerberus geschenkt.

Beide Unternehmen unterzeichneten eine Erklärung über die Bildung einer globalen strategischen Allianz, teilte Chrysler an seinem Hauptsitz in Auburn Hills im US-Bundesstaat Michigan mit. Damit wollen die beiden im weltweiten Maßstab mittelgroßen Unternehmen gegen Konzerne wie Toyota, Volkswagen und General Motors auf längere Sicht bestehen können. Fiat-Vize-Chef Sergio Marchionne sprach vom ersten Schritt: "Die Vereinbarung ist gut, viele Dinge sind im Entstehen, und wir können einsteigen."

Den gegenwärtigen Zusammenbruch der Auto-Nachfrage in allen wichtigen Märkten weltweit werden nur sechs Konzerne überleben, hatte Marchionne vor Weihnachten erklärt. Er stehe vor dem schwierigsten Jahr seines Berufslebens. Fiat brauche einen Partner. Der ist mit Chrysler nun gefunden.

Bei der vorläufigen Vereinbarung handele es sich zunächst um eine Absichtserklärung ohne rechtliche Bindung. Fiat verpflichte sich nicht zur künftigen Finanzierung des derzeit von Staatshilfen abhängigen Konzerns. Wegen des Kredites aus Washington in Milliardenhöhe muss auch die amerikanische Regierung dem strategischen Bündnis zustimmen. Angeblich erwarten beide Partner von der Zusammenarbeit Einsparungen bis zu vier Milliarden Dollar. Dies entspräche der Höhe nach dem Betrag, der Chrysler von der amerikanischen Regierung in Aussicht gestellt worden ist.

Keine Entlassungen

Chrysler gehörte bisher zu gut 80 Prozent der amerikanischen Finanzgesellschaft Cerberus. Mit knapp 20 Prozent ist seit der Rückabwicklung des Weltkonzerns Daimler-Chrysler noch die Daimler AG dabei. Die will ihren Anteil loswerden, kann sich mit Cerberus aber nicht auf einen Kaufpreis einigen. Daimler sieht den Einstieg von Fiat bei Chrysler positiv. Daimler begrüße jede Initiative, die geeignet sei, die Lage bei dem amerikanischen Hersteller zu stabilisieren und Arbeitsplätze zu sichern, erklärte eine Sprecherin. Daimler selbst hat bereits vor einigen Tagen Kurzarbeit für 39 000 Beschäftigte beantragt.

Volkswagen wird Ende Februar zwei Drittel seiner Belegschaft in Deutschland eine Woche lang kurzarbeiten lassen. VW beschäftigt im Inland 92 000 Mitarbeiter. Diese Kurzarbeitsphase soll vom 23. bis 27. Februar dauern, teilen Unternehmen und Betriebsrat in einer gemeinsamen Erklärung mit. Davon ausgenommen seien der Bereich Forschung und Entwicklung sowie Teile der Fertigung von Komponenten. So laufe wegen der starken Nachfrage nach kleinen, sparsamen und dennoch leistungsstarken Benzinmotoren die Fertigung in Chemnitz uneingeschränkt weiter.

VW-Personalleiter Jochen Schumm stellt fest: "Mit dieser vorübergehenden Einschränkung der Produktion setzen wir konsequent unseren Kurs fort, die Fertigungskapazität maßvoll der Nachfrage anzupassen."

Bei BMW sollen die von der Kurzarbeit betroffenen 26 000 Mitarbeiter in den Werken Dingolfing, Regensburg, Landshut und Berlin mindestens 93 Prozent ihres durchschnittlichen Nettoeinkommens behalten. Betriebsbedingte Kündigungen sind bei BMW bis zum Jahr 2014 ausgeschlossen, sieht eine Betriebsvereinbarung vor. Der bayerische IG-Metall-Chef Werner Neugebauer erinnert an die großen Gewinne von BMW in der Vergangenheit. Es sei "nur logisch und gerecht", wenn das Unternehmen jetzt seinen Mitarbeitern, die diese Gewinne erwirtschaftet hätten, entgegenkomme.

Weitere Unternehmen in der Autoindustrie verringern ihre Produktion. Opel will über Kurzarbeit demnächst entscheiden. Die spanische VW-Tochter Seat darf 5300 ihrer 11 000 Mitarbeiter für bis zu vier Wochen unbezahlt in den Urlaub schicken. Dies hat die Regierung der nordostspanischen Region Katalonien jetzt genehmigt. Der Lkw-Hersteller MAN hat für 9400 Mitarbeiter an den Standorten München, Nürnberg und Salzgitter durchschnittlich 42 Schließtage im ersten Halbjahr vereinbart. Kurzgearbeitet wird auch bei den Autozulieferern Bosch, Continental, Schaeffler und Grammer. (Kommentare, Seite 20)

Gemeinsam die Autokrise überleben - Fiat läßt sich einen Anteil an Chrysler schenken und will nach 25 Jahren wieder italienische Autos in den USA verkaufen. Umgekehrt baut Chrysler Kleinwagen mit Know-how von Fiat. Foto: dpa

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INHALT

PERSONALIEN

Mitten im Wolfswinter

Investor Maths Sundqvist bringt Schwedens Banker ins Schwitzen. Seite 18

POLITIK UND MARKT

Europa driftet auseinander

Die Volkswirtschaften der EU entwickeln sich gegensätzlich. Seite 19

UNTERNEHMEN

Glos drängt auf Netz-AG

Wirtschaftsminister fordert Energiekonzerne zur Zusammenarbeit auf. Seite 21

GELD

Immofonds geschlossen

Morgan Stanley friert Anlegergelder für weitere neun Monate ein. Seite 22

Kursteil Seiten 23 und 24

Fondsseiten Seiten 24 und 25

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Metro streicht 15 000 Arbeitsplätze

Eckard Cordes baut den Handelskonzern um und will keine schlechten Ergebnisse mehr dulden

Von Stefan Weber

Düsseldorf - Knapp 15 Monate nach seinem Antritt als Chef des Metro-Konzerns baut Eckard Cordes den größten deutschen Handelskonzern um. "Das Unternehmen wird in wesentlichen Teilen vom Kopf auf die Füße gestellt", kündigte er am Dienstag an. In diesem Zusammenhang hat das Management ein Bündel von Maßnahmen beschlossen, zu dem auch ein umfangreicher Arbeitsplatzabbau gehört. In den nächsten vier Jahren wird Metro etwa 15 000 seiner weltweit 285 000 Stellen streichen.

Auch in Deutschland, wo der Konzern mit den Ketten Media Markt und Saturn sowie Real, Kaufhof und den Cash & Carry-Abholmärkten für Großverbraucher 127 000 Mitarbeiter beschäftigt, werden Arbeitsplätze wegfallen. Der Umfang sei aber noch nicht abzusehen, sagte Cordes. Er hoffe, den Großteil des Personalabbaus ohne Kündigungen zu erreichen. Bereits im vergangenen Jahr hatte der Metro-Konzern bei den Großverbraucher-Märkten in Deutschland sowie bei der SB-Warenhauskette Real Sparprogramme gestartet, die zu einem Abbau von 4000 Stellen führen.

Cordes zufolge ist das nun beschlossene Paket nicht eine spontane Reaktion auf die sich abzeichnenden schwierigeren Zeiten im Handel. Vielmehr habe der Vorstand bereits im Frühjahr 2008 erste Überlegungen für einen weitreichenden Konzernumbau angestellt. Denn die Organisation der Metro stamme noch aus einer Zeit, als das Unternehmen zehn Prozent seines Umsatzes im Ausland erwirtschaftete. Inzwischen betrage diese Quote mehr als 50 Prozent. "Die Struktur hat mit dem Wachstum des Konzerns in den vergangenen zehn Jahren nicht Schritt gehalten", sagte Cordes, der auch Vorstandschef des Metro-Großaktionärs Haniel ist. Er hatte im November 2007 den langjährigen Konzernlenker Hans-Joachim Körber abgelöst, weil Haniel mit der Wertentwicklung des Handelsunternehmens unzufrieden war.

Von dem nun beschlossenen Sparprogramm, das unternehmensintern die Bezeichnung "Shape 2012" trägt, erhofft sich das Management eine Verbesserung des Ergebnisses um 1,5 Milliarden Euro ab dem Jahr 2012. Dabei sollen Einsparungen nur etwa die Hälfte dieser Summe ausmachen. Im gleichen Umfang will das Unternehmen von Produktivitätssteigerungen oder anderen Maßnahmen profitieren - etwa, in dem die Sortimente anders zusammengestellt werden. Wie das funktionieren kann, macht die Tochter Real derzeit vor: Dort rücken immer mehr Eigenmarken ins Verkaufsregal, die dem SB-Warenhausunternehmen eine höhere Rendite bescheren als Markenartikel.

Die einzelnen Handelsketten der Metro erhalten künftig mehr Verantwortung für ihr Geschäft, weil sie den Einkauf und die Logistik selber abwickeln. Bisher erledigt dies die Konzernmutter für sie. Ein dezentraler Einkauf, so meint Cordes, erhöhe die Chance, die von den Kunden tatsächlich gewünschten Produkte ins Regal zu stellen. Auf Einkaufsvorteile, also Rabatte, wie sie die Industrie großen Abnehmern gewährt, will die Metro aber auch dann pochen, wenn die Warenbestellung nicht mehr gebündelt erfolgt.

Konzerntöchter, die die Renditeanforderungen nicht erreichen, sollen in Zukunft "ohne jede Ausnahme" restrukturiert oder verkauft werden. "Wir müssen die Schwachstellen konsequenter angehen", betonte Cordes. Ab diesem Jahr wird der Handelskonzern sein Immobilienvermögen mit einem Buchwert von etwa acht Milliarden Euro als Profitcenter, also als eigenständigen Bereich, führen und separat in der Bilanz ausweisen. Hintergrund ist, dass Metro damit liebäugelt, sich in ein paar Jahren - ein besseres Kapitalmarktumfeld vorausgesetzt - über einen Börsengang von einem Teil des Immobilienvermögens zu trennen.

An der Börse erntete Metro für seine Umbaupläne viel Beifall. Die Aktie war am Dienstag mit einem Plus von zeitweise acht Prozent der größte Gewinner unter den Dax-Werten. (Kommentare)

Metro-Großmarkt in Düsseldorf: Wer die Renditeziele nicht schafft, wird saniert oder verkauft. Foto: Bloomberg

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Der Preis für Rohöl der Opec ist am Dienstag nach der Wiederaufnahme der Gaslieferungen von Russland an die Ukraine gefallen. Nach Berechnungen des Opec-Sekretariats vom Dienstag kostete ein Barrel (159 Liter) aus den Fördergebieten des Kartells am Montag 40,53 Dollar. Das waren 1,64 Dollar weniger als am Freitag.

Kurse des Tages

Die Konjunkturkrise bereitet dem Softwarekonzern SAP Kopfzerbrechen. Co-Vorstandschef Léo Apotheker, der die SAP-Führung im Mai allein übernimmt, hat das Ziel, die operative Umsatzrendite auf 35 Prozent zu steigern, auf die fernere Zukunft verschoben. Die SAP-Aktie drehte ins Minus und verlor bis zum Nachmittag 4,5 Prozent auf 25,40 Euro.

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