Flamme und Holz
Ein Philosoph mit den Stacheln des Seeigels: In Berlin erinnert eine Skulptur
Alexander Polzins an Giordano Bruno / Von Durs Grünbein
Die Wege der Künstler sind unergründlich. Was bringt einen jungen
Berliner Bildhauer Anno Domini 2008 dazu, den Philosophen Giordano Bruno mit
einer Denkmalskulptur zu ehren? Dass es sich nicht nur um Auftragskunst handelt,
wird einem schnell klar, wenn man Alexander Polzin danach befragt. Groß
muss die Anziehungskraft des einsamen Dominikanermönches auf ihn gewesen
sein. Gut möglich, dass sie ihn an die kosmische Einsamkeit des Menschen in
der Unendlichkeit der Welträume erinnert hat, ein bestimmter Nerv wird da
berührt worden sein, sonst hätte er sich nicht auf den Weg nach Nola
gemacht, einem kleinen Städtchen in Sichtweite des Vesuvs. Es ist Brunos
Geburtsort, und dort im Rathaus steht nun das Holzoriginal seiner Plastik zur
Erinnerung an den verlorenen Sohn der Stadt, auf Betreiben des Bildhauers, mit
dem Segen der Gemeinde, aufgestellt. Zur Genealogie des Projekts gehört
noch ein weiterer Standort, die Central European University in Budapest, die mit
den Stiftungsgeldern des Aktienmilliardärs George Soros gegründete
Bildungseinrichtung. Von ungarischer Seite ist man zum ersten Mal an den
Künstler herangetreten, mit der Bitte um eine freistehende Skulptur als
Blickfang an prominenter Stelle. Er habe nicht lange überlegen müssen,
sagt Polzin, spontan sei ihm Giordano Bruno in den Sinn gekommen -
überwältigend treffsicher und doch ungewöhnlich genug: der Ketzer
als Vorbildfigur eines jungen, unabhängigen Europa. Und weil wir bei den
unergründlichen Wegen sind: Ins Ohr gesetzt hatte den Floh ihm der
Dramatiker Heiner Müller, zu dessen späten Arbeitsvorhaben auch ein
Giordano-Bruno-Stück gehörte, leider nicht mehr ausgeführt.
Die Phantasie des Stückeschreibers war stark angeregt von der
berüchtigten Renaissancegestalt: ein Mann, der sich im London der
Shakespearezeit herumgetrieben hatte, vergeblich sich um einen Lehrauftrag in
Oxford bemühend. Man kommt schnell ins Träumen, stellt man sich den
Philosophen in seiner härenen Kutte vor auf dem Weg zum Globe-Theatre,
"an Kneipen Bordellen Mördergruben vorbei", wie es bei
Müller heißt. Wir wissen, er ist auch in Wittenberg gewesen, hat im
Zentrum der Reformation ein Loblied auf Luther gesungen, in Prag hat er Kaiser
Rudolf II., dem Förderer der Künste und der Wissenschaften, seine
Thesen gegen die euklidische Geometrie vorgetragen. Er war in Toulouse, Avignon
und Paris, Zürich und Genf, nur aus Budapest haben wir kein Zeugnis, von
Berlin, damals ein Nest am Rande der Reichsstraßen, zu schweigen. Dieser
Wandermönch hat das Europa der Glaubenskämpfe durchquert wie kein
Zweiter, immer auf der Hut vor jedem lokalen Christentum, denn es war
lebensgefährlich damals, ein Christ zu sein. Tausende Kilometer ist er
unterwegs gewesen, die meisten davon zu Fuß, bis sie ihn schließlich
in Venedig in einen Käfig sperren, und dann beginnt sein achtjähriger
Kampf mit den Mächten der Inquisition, der nicht zu gewinnen war, den er
wohl auch nicht hat gewinnen wollen. Bei diesem glühenden
Frühaufklärer läuft alles auf den Satz hinaus, den er den
Kardinälen entgegenhält: "Mit größerer Furcht
verkündigt ihr das Urteil gegen mich, als ich es entgegennehme." Im
Jubeljahr Anno Domini 1600 wird er in Rom öffentlich verbrannt, wie zur
Begrüßung des neuen Jahrhunderts, ein Opfer der mächtig
wütenden Gegenreformation.
Die Kapuze über dem Haupt
War es die Legende vom Häretiker und geistigen Helden, die den Bildhauer
anzog? Oder die Vita des Poeten und genialen Naturphilosophen? Ich werde mich
hüten, ihn festzunageln, mir genügt die Chronik seines europaweiten
Skulpturenprojekts. Sein Gedenken gilt dem sehr einsamen Geistesriesen, hinter
dem nie eine Institution gestanden hat, keine Alma Mater, keine Akademie der
Wissenschaften. Es gibt in Rom ein eindrucksvolles Bruno-Monument, kein Tourist
geht ganz achtlos daran vorbei. Auf dem Campo di Fiori, der
Hinrichtungsstätte, wo wie in alter Zeit auch heute noch der Blumenmarkt
stattfindet, steht er, die Kapuze überm gesenkten Haupt, und schaut die
Unbeteiligten zu seinen Füßen durchdringend an. Es ist ein stummer
Protest gegen die allgemeine Gleichgültigkeit, aber auch eine Mahnwache
gegen den Schlaf der Vernunft, den Trott der stumpfsinnigen Realismen und
eindimensionalen Weltbilder.
Nola, Budapest und Berlin sind nun die Stationen von Alexander Polzins
Wiedergutmachungswerk, und dieses Werk ist von ganz anderer Art als das
römische Denkmal von 1889 mit seinen plastischen Reliefszenen im
anschaulichen Stil der Historienbilder. In Berlin liegt die Sache ein wenig
anders. Es hat mancher Fürsprache in Hinterzimmern bedurft, ehe es zu dem
erstaunlichen Anlass hat kommen können. So ganz wird den exotischen Moment
nur begreifen, wer sich mit dem Werk Polzins etwas vertraut gemacht hat, mit
seiner höchst eigensinnigen Form von Memorialkunst, auch mit der sanften
Beharrlichkeit dieses Künstlers, seiner Gabe, hin und wieder durch
Wände zu gehen.
Denn darum geht es, wenn nicht alles täuscht, hier: gerade da ein Zeichen
zu setzen, wo alle Zeichen im Vorübergehen neutralisiert werden und
verpuffen. Ein Zeichen wofür, könnte man fragen - und
unterlässt es besser, wohlwissend, wie schnell all die möglichen
Antworten untergehen würden in dem allgemeinen Füßescharren und
flüchtigen Stimmengemurmel, das an öffentlichen Plätzen
vorherrscht. Der Ort, soviel ist sicher, könnte beziehungsloser nicht sein.
Giordano Bruno in Berlin? Eine Skulptur, für unbestimmte Zeit untergestellt
in einem der glasüberdachten Zugänge zur U-Bahnstation am Potsdamer
Platz? Nein, es gibt keine einfache Erklärung für diese Aktion. Was es
gibt, ist die fürchterlich konkrete Symbolik einer kopfunter
hängenden, sechs Meter großen Menschenfigur, herausgeschnitten aus
einem einzigen Fichtenstamm und dann in Bronze gegossen. Diese ist, in
gedrängter Form und gedrängten Worten: ein ikonographisches
Alarmsignal. Expressive Formel, die für den Ikarussturz, den
Luzifersündenfall oder die Folterqual eines Menschen vor der heiligen
Inquisition stehen mag. Eine Schraubbewegung wird andeutet, hinein ins
Wurzelwerk oder heraus, wer könnte das so genau sagen, und ohne Zweifel
geht es um das Inbild des nackten, geschundenen Menschen mit überstreckten
Füßen, Armen und Händen. Spekulieren ließe sich über
die Bedeutung der sechs Finger an einer der Hände, über die weiblichen
Schwellformen des Rumpfes, wenn sich nicht jedes Wühlen in Symbolen, heute
im vielstimmigen Schweigen der Künste nach ihrer Moderne, verbieten
würde. Die sechsfingrige Gestalt bringt den Magier und Abweichler, den
Theoretiker des Übernatürlichen ins Spiel, der Brustansatz verweist
auf die arkane, feminine Seite seiner Naturphilosophie - wenn man dem
folgen will. Halten wir uns an das Holz, das dem Entwurf zugrunde liegt, ein
Kohlenstoffmaterial, und an das Erz, in das es sich mit all seiner Maserung
verwandelt hat, eine Kupfer-Zinn-Legierung. Damit haben wir, was wir brauchen:
eine Rhetorik des Feuers, die diesem Mann gerecht wird, eine Ahnung von der
Sprache der Alchemie und der Metamorphosen, die ihn als Pantheisten
beflügelte. Bruno war gewiss der furchtloseste und aufrichtigste aller
neuzeitlichen Kosmologen. In seinen Dialogen wird mit aller Deutlichkeit das
Versteckspiel um die neuen Lehren von Kopernikus und Kepler beendet. Hier
argumentierte einer, der im Universum ein einziges Kontinuum sah und keine Angst
mehr hatte vor dem Gedanken an die Unendlichkeit und die Unbeständigkeit
des Weltalls.
Viel Pathos hat sich um die Figur des Giordano Bruno abgelagert. Nicht ganz
unverdient ist er zur Leitfigur eines wissenschaftsfrommen Atheismus geworden.
Die gängige Bruno-Verehrung hat dabei etwas ebenso Unbarmherziges wie seine
frühere Verdammung. Man möchte ihn in Schutz nehmen vor seinen
falschen Freunden und ewig gestrigen Feinden. Am Ende reklamieren ihn noch die
Sturköpfe unter den Evolutionisten, Propagandisten des
"Gotteswahns" wie der britische Zoologe Dawkins, als einen der ihren.
Nein, das täte einem denn doch leid. Denn die geistige Welt dieses Mannes
war weit kabbalistischer, rätselhafter als ein moderner Reduktionist von
heute es sich träumen ließe. Dieser Philosoph ist auf dem Pegasus
durch die Welt geflogen, sein Denken war so vielgestaltig und in sich so uneins,
wie ein Seeigel mit Stacheln bespickt ist.
Die Welt ist Chaos
Ich glaube, dass jede Vereinnahmung Brunos für irgendeinen selbstgewissen
Szientismus unzulässig ist. Ziffer 109 in Friedrich Nietzsches Buch von der
"Fröhlichen Wissenschaft" spricht das Bedenken aus. Der
bekennende Bruno-Leser, brüderlich angestachelt vom historischen Rachedurst
eines so Schlimm-Gehetzten und Zwangs-Einsiedlers, erklärt sich mit den
Konsequenzen eines solchen Denkens solidarisch, wenn er ausruft:
"Hüten wir uns, zu denken, dass die Welt ein lebendiges Wesen sei.
Wohin sollte sie sich ausdehnen? (. . .) Hüten wir uns, etwas so
Formvolles, wie die zyklischen Bewegungen unserer Nachbar-Sterne überhaupt
und überall vorauszusetzen; schon ein Blick in die Milchstrasse lässt
Zweifel aufkommen, ob es dort nicht viel rohere und widersprechendere Bewegungen
giebt. . . Der Gesammtcharakter der Welt ist dagegen in alle Ewigkeit Chaos. . .
Hüten wir uns, zu sagen, dass es Gesetze in der Natur gebe." Das ist
die raue Außenwelt, wie ein Bruno sie beim Durchbrechen des
Himmelsgewölbes als Erster gewittert hat. Das ist eine Prosa, die sich an
seine brutale, buchstäblich exorbitante Kosmologie anlehnt. Dieser Giordano
Bruno, kein artistischer Übergriff wird daran etwas ändern, war ein
kompromissloser Astro-Anarchist, ein ins Mittelalter verschlagener
Vorsokratiker, ein Dionysiker in der Mönchskutte. Kein Wunder, wenn die
Menschen in einer Zeit der Glaubenskrisen in ihm ein geistiges Monstrum sahen,
den "Fürsten der Ketzer". Auch wenn er die Kirche ins Mark traf
mit seiner Infragestellung der Schöpfungslehre, seinen Ausfällen gegen
Jesus Christus und die Dreifaltigkeit - wir heute können damit leben,
uns empört die Grausamkeit des Justizmordes. Die Akten sind in den
Archiven, sein Prozess aber ist nicht zu Ende. Während Galilei vor kurzem
rehabilitiert wurde, ist der Fall Bruno im Vatikan weiterhin kirchenpolitisch
tabu. Es scheint die Meinung vorzuherrschen, hier habe einer sein Schicksal
verdient, und nicht unverschuldet sei er zuletzt aufs Rad gekommen. Sie haben
ihm die Arme aus den Gelenken gerissen, bevor sie ihn nackt an den Pfahl banden:
einen Mann von mittlerer Statur, mit kastanienblondem Bart, wie eine
Personenbeschreibung ihn überliefert. Dass er außerdem ein sublimer
Orphiker war, der Komödien und Sonette schrieb und sich an der Musik seiner
Worte berauschte, haben die Künstler früh gespürt, und darum
fühlen sie sich ihm verbunden. Schopenhauer, der in ihm den Buddhisten
erkannte, nannte ihn eine tropische Pflanze in Europa.
Ich sprach von der Gleichgültigkeit vor dem Außerordentlichen, vom
Alleinsein der Opfer. Ein Bild, das sich mit Brunos Tod verbindet, ist das der
unmittelbaren Nachbarschaft von Heldentum und gewöhnlicher Ignoranz. Es
war, als sei etwas von der Kälte des Außenraumes in das Verhalten der
Menschenmenge eingedrungen, die kühl ihren Geschäften nachging,
während der eine in den Flammen verschmorte. Kein anderer als ein
großstädtisch neutraler, ein sozial so kalter Aufstellungsort wie ein
U-Bahn-Eingang könnte besser von solchem mitleidlosen Nebeneinander zeugen.
Durs Grünbein, 1962 in Dresden geboren, ist Lyriker und Essayist.
Giordano Bruno ist der sehr einsame Geistesriese, hinter dem nie eine
Institution gestanden hat. Der Bildhauer Alexander Polzin hat ihm eine Skulptur
gewidmet - in Nola, in Budapest und eben in Berlin am Potsdamer Platz.
"Dieser Ort", sagt Grünbein, " soviel ist sicher,
könnte beziehungsloser nicht sein. Giordano Bruno in Berlin?" Aber
gerade in dieser Beziehungslosigkeit entfaltet Polzins Kunstwerk seinen
triftigen Reiz. Foto: Peter Meissner/action press