Bespitzelte Parteifreunde
Spanischer Konservativer ließ Konkurrenten überwachen
Madrid - Vor kurzem noch hatten manche Politiker der konservativen Volkspartei PP in Spanien bloß eine seltsame Ahnung. Augenpaare schienen sie zu verfolgen, und hin und wieder fiel auf, dass Unbekannte vor der Türe standen.
Doch eine richtige Erklärung dafür gab es nicht.
Seit einigen Tagen sind sie nun zumindest das Gefühl los, Opfer einer Paranoia zu sein. Denn die Zeitung El País legte offen, dass es in der spanischen Rechten eine bizarre Spionageaffäre gibt - ausgerechnet im spanischen Superwahljahr 2009, dessen Ergebnisse als wegweisend für die Zukunft des Oppositionsführers Mariano Rajoy gelten.
Im Mittelpunkt der Affäre steht der Innen- und Justizminister der Regionalregierung von Madrid, Francisco Granados. Er verpflichtete Mitte 2007 eine Gruppe von früheren Polizeibeamten und Agenten der Guardia Civil. Granados beteuert, sie seien als Sicherheitsberater angestellt und mit so unspektakulären Aufgaben wie der Überwachung von öffentlichen Gebäuden betreut gewesen.
Doch seine Männer haben im Gespräch mit El País ihr Aufgabengebiet etwas anders umrissen. So will Marcos Peña, der Chef der obskuren Sondereinheit, auf mutmaßliche Korruptionsfälle in sozialistisch regierten Gemeinden der Region Madrid angesetzt worden sein. Auch die Mafia-Strukturen im Madrider Nachtleben sollen sie durchleuchtet haben. Die Sonderberichte sollen ausschließlich Granados zur Verfügung gestellt worden sein. Mittlerweile will sich Peña an seine Einlassungen nicht mehr erinnern. Längst wird nämlich daran gezweifelt, dass es nur bei diesen Einsätzen blieb.
Denn die Zeitung veröffentlichte auch minutiöse Beschattungsprotokolle von konservativen Politikern, deren Verhältnis zu Granados und seiner Chefin Esperanza Aguirre mindestens als problematisch gilt. Esperanza Aguirre, Regierungspräsidentin von Madrid und Aushängeschild des Hardliner-Flügels der spanischen Rechten, gilt als Intimfeindin des Oppositionsführers Rajoy und des ebenfalls ambitionierten Madrider Bürgermeisters Alberto Ruiz Gallardón. Beide gelten als aufgeklärte Konservative.
Wie sich die Teile dieses Spionagepuzzles ineinander fügen, ist noch nicht ganz klar. Deutlich ist freilich, dass vor allem innerparteiliche Gegner von Esperanza Aguirre bespitzelt wurden, darunter mehrere hochrangige konservative Regionalpolitiker wie Alfredo Prada, ein ehmaliger Innenminister der Madrider Regionalregierung.
Einer der Überwachten, Ignacio González, wurde sogar bei Auslandsreisen bespitzelt. Er gilt als Gegenspieler von Granados in der Regionalregierung; als er nach Kolumbien reiste, wurde offenbar versucht, Material für Korruptionsvorwürfe zu sammeln. Die Agenten waren über das Programm von González bestens informiert, sie konnten auch aus allernächster Nähe Fotos mit versteckter Kamera aufnehmen, so dass ein Gedanke naheliegt: Sie wurden aus höchsten Kreisen der Regionalregierung gefüttert.
Die Regionalregierung versuchte derweil die Flucht nach vorn. "Warum glaubt ihr El País?", fuhr Esperanza Aguirre Journalisten an. Seither schweigt sie. Mittlerweile hat ihre Regierung Anzeige gegen unbekannt gestellt. Francisco Granados wiederum erklärte, der Spionageplot sei Teil einer "Zermürbungskampagne" gegen die Regierung Aguirres. Madrids Bürgermeister Gallardón erklärte: "Es ist nicht logisch, dass ein Minister ein solches Team aufstellt." Die Justiz müsse rasch klären, "wer gespitzelt, wer das angeordnet und wer das bezahlt hat." Auf dem Spiel steht für ihn unter anderem das Renommee Madrids; die Stadt bewirbt sich gerade um die Olympischen Sommerspiele 2016. Der konservative Parteichef Rajoy wiederum hat eine parteiinterne Pruefung verordnet - und wird intern längst gedrängt, den Spionagethriller stilecht zu beenden: Er soll Köpfe rollen lassen.
Francisco Granados engagierte Agenten für eine Spezialtruppe. Reuters
Pearl Harbor und die Rolle Roosevelts
Japanischer Journalist untermauert die These, dass die US-Regierung 1941 vom bevorstehenden Angriff wusste
Tokio - Japans Überfall auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 spielte Franklin Roosevelt jenen Kriegsgrund in die Hand, auf den der Präsident gewartet hatte. Deshalb ist immer wieder gefragt worden: Wie viel wusste Washington von den japanischen Plänen? Hat Roosevelt Pearl Harbor bewusst in Kauf genommen, um die Öffentlichkeit umzustimmen? Ein Dokumentarfilm der BBC unterstellte ihm dies schon 1989. Jetzt rollt der Tokioter Journalist Eiichiro Tokumoto das Thema wieder auf.
Nach der Attacke ohne Kriegserklärung, bei der 2402 Amerikaner ums Leben kamen, 1240 verletzt wurden und die USA 188 Flugzeuge und mehrere Schlachtschiffe verloren, sagte Roosevelt, der Tag gehe als Infamie in die Geschichte ein. Warum aber war Pearl Harbor so schlecht verteidigt, warum standen die US-Kampfflugzeuge offen auf den Rollfeldern? Warum ließ Washington, das mit einem Krieg gegen Japan rechnen musste, sich so übertölpeln? Seit 1941 haben zehn Kommissionen diese Fragen untersucht. Nach Pearl Harbor fiel es Roosevelt leicht, Kongress und Wähler von der Notwendigkeit des Kriegseintritts zu überzeugen.
Die Schuld am Debakel von Pearl Harbor schob man dem Kommandanten der Marine, Admiral Husband Kimmel, und dem Armee-General Walter Short zu. Beide mussten "wegen Pflichtverletzung" zurücktreten. Allerdings munkelten schon damals viele Offiziere, die beiden hätten als Sündenböcke für politische Versäumnisse herhalten müssen. 1999 entlastete der US-Kongress die Offiziere, denn sie hätten "kompetent und professionell" gehandelt.
Die Amerikaner hatten mehrere japanische Verschlüsselungscodes geknackt, sie lasen alle Instruktionen, die Tokio seinen Diplomaten übermittelte. Die Briten hatten den Marine-Code entschlüsselt, sie müssen von der geplanten Attacke gewusst haben, die Japans Admiral Isoroku Yamamoto seit Herbst 1940 plante und üben ließ. Washington hatte 1940 ein Handelsembargo gegen Japan verhängt, im Sommer 1941 wurde dieses um ein Öl-Embargo verschärft. Damit rechtfertigt Japans radikale Rechte Pearl Harbor bis heute: als Akt präventiver Notwehr.
In seinem Artikel in der Zeitschrift Gensai konzentriert Tokumoto sich auf die früheste Pearl-Harbor-Warnung, die die USA erhielten. Er glaubt zeigen zu können, dass sie im US-Außenministerium noch während des Krieges verfälscht oder unterdrückt wurde, wie andere Dokumente auch, um hochrangige Politiker zu entlasten. Am 27. Januar 1941 besuchte der peruanische Gesandte, Rivera Schreiber, den US-Botschafter Joseph Grew. Peru war einst ein wichtiges Auswanderungsland für Japaner, die Beziehungen zu Tokio eng. Nach Angaben der Witwe Rivera Schreibers hatte dessen Diener sich mit einem kleinen Informanten betrunken, dabei soll dieser erzählt haben, Japan plane, Pearl Harbor anzugreifen. Nachdem auch ein japanischer Professor und Pazifist Rivera von diesen Plänen berichteten, warnte dieser Grew, der sofort ein Telegramm nach Washington schicken wollte. Dieses Telegramm ist in den Archiven nicht zu finden.
Der dritte Sekretär der Botschaft, Frank Schuler, war ein junger ambitionierter Diplomat, der fließend Japanisch sprach. Er kehrte Anfang 1941 aus Tokio in die Fernost-Abteilung des State Department zurück. Irritiert über die Sorglosigkeit, mit der Washington Japan behandelte, verfasste Schuler im September 1941 zusammen mit fünf Kollegen ein Memo, in dem er vor einem Überraschungsangriff warnte.
Das Ministerium verlangte, die sechs sollten das Memo zurücknehmen und sich entschuldigen. Schuler weigerte sich. Dafür wurde er, obwohl im Außenministerium akuter Mangel an japanisch sprechenden Diplomaten herrschte, im November 1941 nach Antigua versetzt und nach 1944 aus dem Dienst entlassen. Bis zu seinem Tod 1996 kämpfte er mit seiner Frau Olive, die ebenfalls in der Fernost-Abteilung des US-Außenministeriums arbeitete, um seine Rehabilitierung.
Olive Schuler hatte eine Freundin, Helen Shaffer. Diese erzählte den Schulers nach ihrer Pensionierung, sie habe nach der Attacke auf Pearl Harbor, eingeschlossen in ein Büro, unter strenger Geheimhaltung Protokolle und Telegramme neu tippen müssen. Dabei seien alle belastenden Hinweise gelöscht worden. Frank Schuler sei kaltgestellt worden, weil er gewarnt hatte und zu viel wusste.
Tokumoto fand Indizien, die Schulers These stützen. US-Botschafter Grew war ein pedantischer Tagebuchschreiber. In seinem Buch "Zehn Jahre in Japan" heißt es nur, in Tokio habe es damals "Gerüchte" von einem Angriff auf Pearl Harbor gegeben. Mehr nicht. Im Tagebuch jedoch hatte Grew den Besuch des peruanischen Gesandten Rivera Schreiber verzeichnet und auch, dass sie das Telegram zusammen aufgesetzt hätten. Grew war stolz auf seine Nähe zu Kaiser Hirohito. Nach Pearl Harbor wurde er, wie alle westlichen Diplomaten, in Japan interniert. In jener Zeit soll er einen Report entworfen haben, der Roosevelts Japan-Politik kritisierte. US-Außenminister Cordell Hull soll dieser Text so sehr missfallen haben, dass er anordnete, Grew solle ihn vernichten.
Das amerikanische Kriegsschiff West Virginia sank nach schweren Bombentreffern. Im Dezember 1941 kamen bei dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor 2402 Amerikaner ums Leben,1240 wurden verletzt. Die USA verloren mehrere Schlachtschiffe und 188 Flugzeuge. Foto: Reuters
Pelz vom glücklichen Fuchs
Das Berliner Label "Friendly Fur" bietet ökologisch korrekte Fell-Produkte an - Naturschützer sind skeptisch
Einen Fuchs könne man immer mal brauchen, sagt Nikolas Gleber. "Wenn man zum Beispiel verschwitzt aus dem Fitnessstudio kommt und sich auf dem Weg zu seinem Porsche nicht verkühlen will," erklärt der Berliner Designer, "dann ist ein Fuchskragen schon sehr angenehm." Mit der von ihm entworfenen "Après-Ski Fox Champagne Bag", einer Flaschen-Tragetasche aus Fuchspelz, könne man stilvoll im Schnee feiern. Zu Glebers Pelz-Kollektion gehören auch Fuchs-Handtaschen, Fuchs-Mützen, Fuchs-Schlafmasken und Fuchs-Nackenkissen.
Auf grellgrünen Etiketten an den Pelz-Produkten prangt das Markenzeichen seiner Kollektion: ein stilisierter Rotfuchs, dazu der Slogan "Friendly Fur - Happy Nature." Das Logo soll wirken wie ein Öko-Gütesiegel. "Die Pelze, die wir verwenden, stammen ausschließlich aus der fallen- und bleifreien Jagd in deutschen Revieren", verspricht Nikolas Gleber. Seinen Angaben zufolge werden für "Friendly Fur"-Produkte ausschließlich Felle verwendet, die ansonsten in der Tierkörperbeseitigung landen oder im Wald verrotten würden. Einheimische Füchse müssten ohnehin zu Hunderttausenden getötet werden, argumentiert er. Der Erwerb der Pelze sei also sogar ein aktiver Beitrag zum Naturschutz. Glebers These: Ökologie kann extrem glamourös sein.
Das Konzept scheint perfekt in die Zeit zu passen, denn das Tragen von Pelz ist in diesem Winter plötzlich wieder Trend. Lange Jahre waren Pelze mit einem Pfui-Faktor behaftet, aber in letzter Zeit werden Pelze in Modezeitschriften wieder so selbstverständlich gezeigt wie Jeans. Modehäuser wie Armani, Versace oder Fendi schicken ungeniert Models in Pelzen über den Laufsteg. Auch Karl Lagerfeld verwendet gerne Pelze für seine Kollektionen und findet Anti-Pelz-Aktionen von Tierschützern "kindisch": "Solange wir Fleisch essen, können wir uns nicht über Pelze beschweren." Nikolas Gleber sieht das ähnlich, er ist der Meinung, dass man Leder und Pelze von Tieren, die nicht vom Aussterben bedroht sind, in Maßen nutzen kann.
Der Friendly-Fur-Gründer legt Wert auf die Feststellung, dass er kein Modedesigner sei, sondern Künstler, denn er mache keine Wegwerfprodukte: "Mode ist extrem vergänglich, ein Pelz dagegen nicht." Als Sohn eines Försters habe er von Anfang an einen respektvollen Umgang mit der Natur gelernt, sagt er. Sein Großvater war Schmetterlingsforscher und besaß eine der größten Schmetterlingssammlungen Europas. Einige besonders prachtvolle Exemplare, blau schimmernde Riesenfalter, hängen in Nikolas Glebers Atelier in Berlin-Friedrichshain an der Wand, gleich neben dem Kleiderständer mit den Fuchs-Klamotten.
Manche Tierschützer reagieren erwartungsgemäß eher unfreundlich auf "Friendly Fur". Tanja Wiemann von der Organisation Peta Deutschland ist "generell gegen Pelze", denn man sehe einem Fuchskragen schließlich nicht an, ob er aus der Zucht stammt oder aus der Jagd. Leute, die Pelz tragen und Pelz vermarkten, sind seit Jahren im Visier der Tierschützer. Die Geschwister Mary-Kate und Ashley Olsen wurden für die Modekollektion "Row" von Peta-Aktivisten als "Pelz-Schlampen" beschimpft. Die amerikanische Peta-Präsidentin Ingrid Newkirk warf Anna Wintour, Chefredakteurin der amerikanischen Vogue, im Hotel Four Seasons mal einen toten Waschbären auf den Teller. Genutzt hat es wenig - der Legende nach bedeckte Wintour, die in der Vogue gerne opulente Pelz-Modestrecken drucken lässt, das tote Tier mit einer Serviette und bestellte ungerührt einen Espresso.
Bislang hat Nikolas Gleber "nur drei Drohanrufe von Tierschützern" bekommen, wie er sagt, und er klingt fast ein wenig enttäuscht. Er ist ein guter Selbstvermarkter, und jede PR ist ihm willkommen. Der Argumentation der Tierschützer, das Tragen von Pelzen fördere das sinnlose Töten von Tieren, mag er nicht folgen. "Die Jäger bekommen kein Kopfgeld", versichert er. Nach seinen Angaben werden keine Füchse eigens für seine Firma erlegt. 650 000 Füchse werden nach Angaben der Jagdverbände jedes Jahr in Deutschland getötet. Die meisten Kadaver landen im Müll oder werden im Wald verscharrt - "eine sinnlose Vergeudung", findet Gleber. Aus Sicht der Jagdverbände ist die Fuchsjagd notwendig, um ausufernde Bestände und die Ausbreitung von Seuchen zu verhindern. Die Tierrechtsorganisation Peta sieht das anders: "Eine Überpopulation von Beutegreifern wie Füchsen ist nicht möglich, weil sie auf Beutetiere angewiesen sind. Die Natur regelt das selbst", heißt es dort.
Magnus Herrmann, Referent für Artenschutz beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu), sieht die Sache differenziert. "Die Benutzung von Pelzen bleibt eine individuelle Gewissensentscheidung," sagt er, "und der Rotfuchs ist in seinem Bestand schließlich nicht bedroht." Ist das Tragen von freilaufenden Bio-Füchsen aus Deutschland also ökologisch korrekt - oder Etikettenschwindel auf Kosten der Tiere? "Ohne Bedenken kann man sich einen Pelz nicht um den Hals hängen", meint Herrmann, denn die Gefahr dabei sei, dass man damit "Tür und Tor öffnen könnte für Bejagung auch von bedrohten Arten".
Bleibt die Frage, wer sich mit einem toten Fuchs um den Hals überhaupt auf die Straße traut. Nikolas Gleber ist da optimistisch und zählt auf ein urbanes Publikum, das seine Naturprodukte auf einigermaßen exaltierte Weise in Bars, Theatern und auf Vernissagen vorführt. Es muss ja nicht gleich eine Pelzmütze oder ein kompletter Fuchs mit Glasaugen und Krallen sein, zur Kollektion gehören auch kleine Accessoires wie die Pelz-Überzieher für Brillenbügel. Der "ursprüngliche und respektvolle Umgang mit der Natur" in Form solcher Luxuswaren hat natürlich seinen Preis. Glebers "Objekte" kosten 500 bis 1500 Euro. Bei der Begründung ist der Designer gewieft wie ein Fuchs: "Das ist wie mit Walderdbeeren oder Wildlachs - wenn es wild ist, ist es teuer."
Ob es dem Rotfuchs (oben) gefällt oder nicht: Sein prächtiges Fell ist in diesem Winter wieder schwer en vogue, es verbrämt Kapuzen und wärmt Hände. Auch die amerikanischen Schauspiel-Zwillinge Ashley (li.) und Mary-Kate Olsen tragen mit Begeisterung Pelz - Tierschützer sind entsetzt. Fotos: dpa
Die perfekte Kulisse
Südafrikas Filmindustrie rüstet auf: Bei Kapstadt entstehen moderne Studios für 35 Millionen Euro
Wenn es Sommer ist in Kapstadt, erscheint die Stadt mitunter surreal. Nahezu jeder Platz ist dann atemberaubend schön, ob der blau schimmernde Tafelberg, die Altstadt mit ihren knallbunt gestrichenen Häusern, der blendend weiße Sandstrand, das tiefblaue Meer oder auch der Hafen mit seinen Fischer- und Ausflugsbooten. Im gleißenden Sonnenlicht wirkt alles so perfekt, als hätte ein Bühnenbildner die südafrikanische Metropole samt ihrer spektakulären Natur in Szene gesetzt.
Bei solch einer Kulisse ist es kein Wunder, dass man an manchen Tagen vor lauter Filmteams kaum noch durchkommt. Dann sind ganze Straßenzüge gesperrt, Strandabschnitte oder auch die Zufahrt zum Tafelberg. Pro Jahr werden in der Kapregion zwischen 500 und 700 internationale Werbespots gedreht und mehr als 30 Fernseh- oder Kinofilme, darunter Hollywood-Produktionen wie "Blood Diamond" mit Leonardo DiCaprio, "Lord of War" mit Nicolas Cage oder "10 000 BC" von Roland Emmerich.
Doch obwohl es mehrere Hundert Unternehmen in Südafrika gibt, die darauf spezialisiert sind, internationale Filmteams zu unterstützen, leidet das Land noch immer unter einem Imageproblem. Das sagt zumindest Kathy English-Brower, die das Branchenbuch "The Filmmakers Guide to South Africa" herausgibt. "Viele denken, wir sind Dritte Welt", sagt sie, mit staubigen Straßen, leerstehenden Autowerkstätten und kaputten Cola-Automaten. Regisseure fragten schon mal nach, ob der Flughafen der Stadt eine asphaltierte Landebahn habe, Produzenten reisten mitunter mit Koffern voller Konservendosen an, weil sie sich vor dem Essen fürchteten.
Diese Ängste sind natürlich unbegründet. Dennoch gab einen Bereich, in dem das Land bislang nicht mit internationalen Standards mithalten konnte. In der Kapregion, wo die meisten Produktionen entstehen, gibt es keine modernen Filmstudios. Als zum Beispiel Nicolas Cage für "Lord of War" eine Liebesszene drehen musste, fand dies in einer ehemaligen Kunstdünger-Fabrik statt, so dass Anwesende danach vor allem über den beißenden Geruch in den Hallen berichteten. Spätestens im Februar 2010 sollen solche Provisorien nicht mehr notwendig sein. Vor kurzem haben 25 Kilometer östlich von Kapstadt die Bauarbeiten für einen hochmodernen Studiokomplex begonnen. Umgerechnet knapp 35 Millionen Euro werden die neuen Filmstudios kosten. Das ist die bislang größte Investition in die südafrikanische Filmwirtschaft, die rund 20000 Menschen beschäftigt. Der Chef der "Cape Town Film Studios", Nico Dekker, möchte dann das gleiche bieten können, was es auch in Hollywood oder Bollywood gibt. Jahrelang wurde über dieses Projekt gestritten, vor allem um die Finanzierung, aber auch die südafrikanische Regierung ist jetzt daran beteiligt, sie zahlt rund ein Zehntel des Geldes, das dieses 200 Hektar große Areal kosten wird.
Viele Produktionen werden übrigens nicht allein wegen der grandiosen Kulisse in der Kapregion gedreht. Zum Beispiel in dem Los-Angeles-Drama "Ask the Dust" mit Colin Farrell und Salma Hayek. Es wurde 2004 komplett in Kapstadt verfilmt. Für den Produzenten Tom Cruise spielten damals andere Gründe auch eine wichtige Rolle: Am Kap kann man aufgrund des schwachen Rands sehr kostengünstig drehen und bekommt trotzdem hochqualifizierte südafrikanische Mitarbeiter. Deren Gehälter liegen weit unter dem internationalen Durchschnitt. So wirbt dann auch die südafrikanische Filmwirtschaft damit, dass sie mit der richtigen Dekoration fast jeden Ort der Welt "erschaffen" könne, ob Peru, Mittelmeer oder friesisches Dorf.
Sollten die neuen Studios im kommenden Jahr eröffnet werden, dann gibt es wohl überhaupt keine Einschränkung mehr. "Die Weltstars werden hier weinen und lieben und Krieg spielen", sagt Studio-Chef Dekker - und zwar nicht nur wie bisher im Sommer, sondern auch im Winter.
Mehr als 30 Kino- und Fernsehfilme werden schon jetzt jedes Jahr in der Kapregion gedreht - darunter auch "Blood Diamond" mit Leonardi DiCaprio. Foto: AP
Mann soll 300 Körper in Säure aufgelöst haben
Mexiko-Stadt - Die mexikanische Bundespolizei und Einheiten der in den Drogenkrieg eingebundenen Streitkräfte haben in Nordmexiko einen Mann festgenommen, der mindestens 300 Körper von Ermordeten in Säure aufgelöst haben soll. Der 45-jährige Santiago Meza López ließ die Toten nach eigenen Angaben im Auftrag des Drogenbosses Teodoro García Simental verschwinden. Die Behörden begannen am Wochenende mit der Suche nach den Überresten der Opfer in der Stadt Tijuana. Simental ist eines der meistgesuchten Mitglieder des Drogenkartells von Sinaloa. dpa
40 Menschen ertrinken bei Fährunglück
Hanoi - Etwa 40 Menschen sind am Sonntag in Vietnam beim Untergang einer überladenen Fähre ertrunken. Das Boot war auf dem Fluss Gianh in der Provinz Quang Binh in Zentralvietnam unterwegs, berichtete der Radiosender Stimme Vietnams. An Bord sollen mehr als 70 Menschen gewesen sein, fünf Mal so viele, wie das Boot transportieren durfte. Nach unbestätigten Berichten wurden 36 Menschen gerettet. Viele der Opfer seien Frauen, die auf dem Weg zu einem Markt waren, um letzte Einkäufe für die Neujahrsfeier "Tet" am Montag zu machen, berichtete der Sender. dpa
Lawine tötet drei Wanderer in Schottland
London - Drei Bergsteiger sind am Samstag in einer Lawine in den schottischen Highlands ums Leben gekommen. Die Schneemassen hatten eine Gruppe von neun Menschen am Berg Buachaille Etive Mor in der Nähe des Ski- und Wanderorts Glencoe mitgerissen, teilte die Polizei mit. Ein weiterer Bergsteiger wurde verletzt, die übrigen fünf Menschen blieben unversehrt. Ein Schneesturm erschwerte die Rettungsaktion, an der zwei Militärhubschrauber beteiligt waren. Am Tag des Unglücks hatte das Lawinenrisiko auf einer Skala von 1 bis 5 bei Stufe 3 gelegen. dpa
STILKRITIK
Das Lottofieber
Nehmen wir bloß mal den Zumwinkel, Ex-Post-Boss: unzählige Millionen auf dem Konto, und trotzdem nichts wie ab nach Liechtenstein. Oder der Madoff, Finanzjongleur: 50 Milliarden hat er fallen lassen, aber selbst natürlich alle Schäfchen im Trockenen, wir sagen nur Immobilien von der Upper East Side bis Paris und eine schamlos lange Yacht mit Namen Bull. Schon klar, oder? "Bulle"! Wie das Hoch an der Börse! Ist das nicht ekelhaft? Überhaupt diese Hedgefonds-Hallodris, die uns das alles erst eingebrockt haben. Schwammen ja geradezu im Geld wie Dagobert Duck in seinem Dukatensee, und wir müssen das jetzt ausbaden. Konnten den Hals eben nicht voll genug kriegen, die Herren Manager. Hier noch 'nen Bonus, dort 'ne Maximalrendite, das Geld zum Jonglieren war zwar nur noch virtuell, dafür parkten zwei reale Porsches und ein Rolls in der Hausauffahrt. Apropos Haus: "Hoffentlich ist deine Villa sicher", hat damals einer auf das Richard-Fuld-Plakat geschrieben, das sie an der Wall Street aufgestellt hatten, anlässlich der Lehman-Pleite. Der Mann hat im Jahr 40 Millionen Dollar verdient, geht's noch?! Die Gier, sagen wir immer. Die Gier ist nichts Gutes. - Momentchen, hier kommen gerade die Lottozahlen rein. Spielen ja sonst eher selten, aber 25 Millionen, da macht man schon mal mit. Geht uns finanziell auch gar nicht schlecht, im Gegenteil. Betrachten uns als zufrieden. Aber Häuschen im Grünen, neuer Wagen, kleiner Designerfummel, kuscheliges 5-Sterne-Resort auf den Bahamas. . . Wär' doch auch mal was, nicht wahr? 2, 12, 14, 16, 36, 46. Zusatzzahl 33. Superzahl 0. Wieder nichts. So ein Mist, so ein blöder! Tanja Rest
Foto: dpa
Hass gedeiht in den Ruinen
Zerstörte Leben, zerstörte Häuser, zerstörte Hoffnungen: Israels Armee hinterlässt im Gaza-Streifen blutige und tiefe Spuren. Die Bewohner kämpfen noch mit Trauer und Wut, doch oben auf den Trümmern stehen schon die Hamas-Führer und verkünden den Sieg
Gaza-Stadt - Womit beginnen? Mit Iman Abu Amira, die im Schifa-Krankenhaus vor Schmerzen aufschreit, als der Arzt ihr die Verbände von den Wunden löst? Mit Salah al-Samouni, der in den Trümmern seines Hauses steht, Vater, Mutter und Tochter verloren hat und nun vom Irrsinn getrieben ein Fernseh-Interview nach dem anderen gibt? Oder doch mit dem bekannten Psychiater? Iyad Saradj analysiert seit 30 Jahren die Befindlichkeiten anderer Menschen, und stellt nun fest, dass es Dinge gibt, die selbst sein Leben und Denken auf den Kopf stellen können. Und dann gibt es ja auch noch den Hamas-Minister, der trotz all der Zerstörungen von einem militärischen und politischen "Sieg" spricht. Oder der Vater, der seinen Sohn als Hamas-Kämpfer verloren hat, und nun umringt von seinen überlebenden Söhnen sagt: "Ich bin stolz. Er starb für die Sache des palästinensischen Volkes."
Der Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas hat eine gute Woche gehalten - nach 22 Tagen Krieg im Gaza-Streifen, mehr als 1300 toten Palästinensern und etwa 5000 Verletzten, 13 toten Israelis. Zur Bilanz gehören noch 20 000 zerstörte oder beschädigte Häuser, ungezählte entwurzelte Oliven- und Zitronenbäume, tote Ziegen, Esel und Hühner, zerschlagene Wasserpumpen, viele Quadratkilometer von Panzerketten zerwühlter Felder für Tomaten, Gurken und Getreide. Also "Sachschäden" in Höhe von weit über zwei Milliarden Dollar. Sachschäden an Dingen, die für die Menschen im Gaza-Streifen das Ergebnis lebenslanger Arbeit waren, die Grundlage einer Zukunft. Aber die Geschäfte sind nun wieder offen, die Kinder gehen wieder zur Schule, die Ersten der während des Kriegs abgetauchten Hamas-Politiker tauchen wieder auf und geben ihre Interviews.
Rückkehr also zu einer Art Normalität an einem Ort, an dem es seit Jahren kaum noch Normalität gibt. Und an dem es nach diesem Krieg auf viele weitere Jahre keine wirkliche Normalität mehr geben kann. Die Frage ist also nicht mehr nur, was dieser Krieg angerichtet hat in Gaza und bei den Menschen. Die Frage ist, was er in Zukunft anrichten wird - in den Köpfen. In Gaza leben 800 000 Menschen, die jünger als 18 Jahre sind. Für sie ist nun die Detonation von zusammengerechnet weit mehr als einer Million Kilogramm Sprengstoff aus israelischen Bomben und Raketen, Artillerie-, Panzer und Schiffsgranaten sowie den Rohren von Mörsern und Panzerfäusten die prägende Erfahrung ihres Lebens. Das sagt viel über die Zukunft in Gaza.
Nehmen wir Iman, die Achtjährige im Schifa-Krankenhaus. Sie liegt auf einer abgestoßenen Liege. Bis zum Bauch ist sie nackt. Der Arzt beugt sich über sie, zieht die durchnässten und verklebten Binden von den Wunden. Beide Beine und Füße sind verbrannt, es sind Verbrennungen des 3. und 4. Grades. Iman schreit vor Schmerz, ihre Mutter hält ihren Kopf. Sie kann ihr nicht helfen. Iman wird zwei Monate im Krankenhaus liegen. In mehreren Operationen wird Haut transplantiert werden müssen. Die Narben werden ein Leben lang bleiben. Iman kann froh sein, wenn sie jemals wieder richtig laufen kann. Sicher ist das nicht.
Doktor Alaidin Ali hat dunkle Ringe unter den Augen, er hat die Klinik seit vier Wochen nicht verlassen. Er schaut kurz in die Krankenakte: "Zehn Prozent des Körperoberfläche sind verbrannt. Das ist ein leichterer Fall." Dann blättert er die Akte um: das nächste Kind, der nächste Verbandswechsel, Schmerzen, Schreie, ein weiteres ruiniertes Leben. Was nicht in der Akte steht, weil es sich von selbst erklärt: Iman war keine Hamas-Kämpferin. Sie geht in die dritte Klasse.
Und dann Salah al-Samouni. Der 30-jährige Lastwagenfahrer steht im Stadtteil Zeitun zwischen den Trümmern, einen Verband um den Kopf. Es riecht nach Verwesung. Tote Hühner, Tauben, Eselskadaver liegen zwischen den Schutthaufen, die einmal Häuser waren mit Wohn-, Schlaf und Kinderzimmern. Nun steht hier ein Trauerzelt für Kondolenzbesucher, aus dem Lautsprecher kommen klagende Koranverse. Ein Plakat hängt am Zelt mit 29 Namen. Sie lauten alle Samouni. Die Großfamilie hat traurige Berühmtheit erlangt: In ihren Häusern in einer einzigen Straße starben 29 Menschen. Beim Einschlag einer israelischen Rakete in eines der mit Alten, Frauen und Kindern vollen Häuser wurden 22 Menschen gleichzeitig zerrissen. Sie gehörten alle zur Familie. Die anderen sieben starben in Nebenhäusern. Die Samounis waren von den israelischen Soldaten aufgefordert worden, sich in dem einen Haus zu versammeln. Zu ihrem Schutz. Weshalb in dieses Haus dennoch eine Rakete einschlug? Salah al-Samouni weiß es nicht. Er sagt: "In unserer Straße waren keine Hamas-Kämpfer." In dem Haus aber waren seine Mutter, sein Vater, seine zweieinhalbjährige Tochter. Dazu ein Onkel, Cousins und Cousinen.
Ein TV-Team hat die Kamera auf dem Schutt des Samouni-Hauses aufgestellt. Bevor das Interview anfängt, vereinbart Salah al-Samouni bereits das nächste. Er gibt Interviews wie am Fließband. Um nicht nachdenken zu müssen. Er sagt: "Als ich vor Jahren zur Schule ging, kam der heutige Verteidigungsminister Israels nach Zeitun zu Besuch. Damals brachte Ehud Barak uns Kindern Süßigkeiten. Heute schickt er den Kindern Raketen. Ich will diesem Mann eine Botschaft senden."
Salah al-Samouni hält die ganze Zeit über ein Foto in der Hand. Es ist eine Bildmontage, wie sie im Nahen Osten oft an Wohnzimmerspiegeln hängt neben den Hochzeitsbildern. Es zeigt seine Tochter Asa. Ihr Kopf ragt aus einem aufgebrochenen Hühnerei. Daneben ist ein sonnengelbes Küken zu sehen. Salah al-Samouni hat seine Tochter sterben sehen. "Die Eingeweide hingen heraus, sie rief nach der Mutter. Dann war sie tot." Er schaut auf das Foto: "Das da war also ein Hamas-Kämpfer."
Doktor Iyad Saradj trägt runde Brillengläser, einen Pulli und ein ausgebeultes Jacket. Er könnte auch in Berlin oder Brüssel lehren. Der palästinensische Psychiater und Friedensaktivist ist einer, der immer auf Vernunft und Verstand gesetzt hat in dem oft von Irrationalität befeuerten Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis. Er hat bei seinen Reisen rund um die Welt Versöhnung gepredigt, zu seinen Freunden zählen der frühere US-Präsident Jimmy Carter und der südafrikanische Bischof Desmond Tutu. Saradj hat den Hamas-Führern immer wieder gesagt, dass sie besser keine Raketen mehr schießen sollten nach Israel. Dennoch sagt der Doktor nun: "Wenn ich einer Rakete hätte habhaft werden können in diesen drei Wochen Krieg - ich hätte sie abgefeuert nach Israel."
Doktor Saradj wird keine Raketen schießen. Der Analytiker des Seelenlebens anderer wundert sich nur darüber, was mit ihm selbst geschehen ist in diesen drei Wochen der Gewalt. Ja, er setzt weiter "auf den gewaltlosen Widerstand". "Aber Frieden mit dem Rassistenstaat Israel? Jetzt nicht mehr, niemals! Wenn Palästinenser-Präsident Abbas nach diesem Krieg einen Friedensvertrag mit Israel unterschreibt, ist er ein Verräter." Der Psychiater, der einen britischen Pass hat, hätte den Gaza-Streifen verlassen können zu Kriegsbeginn. Er hat es bewusst nicht getan. Er sagt: "Es war Tag und Nacht wie Blitz und Donner direkt über dem eigenen Kopf. Ich hatte furchtbare Angst." Dass dieser Krieg der Hamas neuen Zulauf verschaffen wird, hält er für ausgemacht. "Sie werden die nächsten Wahlen wieder gewinnen, im Gaza-Streifen und im Westjordanland. Der Einzige, der hier verloren hat, ist Palästinenserpräsident Abbas."
Der Psychiater hat viele Aufsätze geschrieben darüber, wie Terror entsteht. Er hat den Mechanismus erklärt, wie aus Gewalt, Unfreiheit, Armut, Chancenlosigkeit und Ungerechtigkeit ungezügelte Gewaltbereitschaft erwächst unter den Palästinensern. Er hat vielbeachtete Vorträge gehalten. Auch in Tel Aviv. Für ihn ist klar, dass die nächste Generation in Gaza nach diesem Krieg keine Generation des Friedens sein wird, sondern eine neuer Gewalt. "In Israel hätten sie das eigentlich wissen können. Sie haben dort so viele kluge Psychologen."
Der Doktor ist keiner, der leichtfertig daherredet. Er weiß, was der Holocaust war, was den Juden in Deutschland widerfahren ist. Zornig und verzweifelt, wie er ist, meint er, Israel habe die traumatische Erfahrung der Juden im Holocaust in Gewalt umgesetzt gegen die Palästinenser. Saradj nennt den Einsatz der israelischen Kriegsmaschine gegen die Hamas mit ihren Raketen, Panzerfäusten und Gewehren unverhältnismäßig, für militärisch ungerechtfertigt. Er sagt: "Israels Verhalten ist ein psycho-pathologisches Phänomen."
Und die Hamas-Kämpfer? Die israelische Armee spricht von mehreren hundert getöteten Militanten. Die Hamas selbst nur von 48 sowie etwa 55 toten Kämpfern anderer Gruppen. Zu glauben ist keiner Seite im Krieg. Aber ob es nun Hunderte tote Militante sind oder doch nur etwas mehr als 100 - die Kampfkraft der auf 10 000 Mann geschätzten Hamas wird das kaum schwächen. Und den Kampfeswillen schon gar nicht.
Ohne jeden Zweifel haben die Hamas-Männer in diesem Krieg Raketen abgeschossen zwischen den Häusern mit den Zivilisten und mitten aus den Olivenhainen, sich auf den Dächern von Wohnhäusern verschanzt, zwischen den Frauen und Kindern gekämpft und diese als menschliche Schutzschilde missbraucht. Auf der anderen Seite aber hat die israelische Armee auf die menschlichen Schutzschilde erkennbar wenig Rücksicht genommen im Kampf gegen die Hamas. Und deshalb stellt sich die Frage, wem die Menschen in Gaza die Schuld geben werden an der Katastrophe.
Die Familie von Khalil Misbah al-Attar hat sich im Schlafzimmer versammelt, ein Doppelbett-großes Loch klafft in der Wand. Es gibt den Blick frei auf das nächste Haus. Es gehörte einem der Söhne von Khalil al-Attar. Das dreistöckige Haus ist in sich zusammengestürzt, die Decke hängt schräg über zusammengesackten Betonpfeilern. Zerschlagene Möbel ragen aus dem Schutt, so wie in den anderen Nachbarhäusern - ganze Straßenzüge im Dorf Al-Attatra liegen in Trümmern. Die Familie reicht Fotos herum: Ein muskulöser Mann mit dichtem Bart liegt in Pose in den Wellen: Wael war Rettungsschwimmer am Strand von Gaza. Auf dem nächsten Bild ist der älteste Sohn von Khalil al-Attar im Kampfanzug zu sehen: das Gewehr vor der Brust, zwei Handgranaten an den Schulterriemen. Wael al-Attar war Mitglied der Kassam-Brigaden. Ein Hamas-Kämpfer. Er ist am ersten Kriegstag umgekommen. Der Vater schaut auf das Bild, seine Gesichtszüge verschwimmen: "Es war den Tod wert. Er ist als Märtyrer für die palästinensische Sache gestorben." Der alte Mann weiß, dass es jederzeit wieder Krieg geben kann. Er sagt: "Ich sehe mein Haus. Ich bin entsetzt." Khalil al-Attar hat noch weitere Söhne und eine Reihe von Enkeln. Sollte einer von ihnen nun auch für die Hamas kämpfen wollen, wird ihr Vater und Großvater keinen Einspruch erheben.
Bassem Naim hat in Deutschland Medizin studiert. Er mag Deutschland, erinnert sich, wo in Erlangen und Münster seine Kliniken waren, wo der Kaufhof, wo Karstadt. Naim ist ein überzeugter Hamas-Mann. Sonst säße er kaum als Gesundheitsminister in der Islamisten-Regierung von Gaza. Der Chirurg Naim sagt das, was alle nun wieder auftauchenden Hamas-Vertreter sagen: "Mit Gewehren und Panzerfäusten hat die Hamas der israelischen Armee mit ihren Jets und Panzern drei Wochen standgehalten. Das war ein militärischer Sieg für die Hamas." Von den mehr als 1300 toten Palästinensern und den mehr als 5000 Verletzten sprich der Minister nur, wenn es um die Unverhältnismäßigkeit der israelischen Militärmittel geht: "Das war kein Krieg gegen die Hamas. Das war ein Krieg gegen Frauen und Kinder, gegen das palästinensische Volk."
Geht es darum, Verantwortung zu tragen dafür, dass die Hamas zwischen Zivilisten kämpfte, spricht er vom "Recht auf Widerstand gegen eine Besatzungsmacht". Oder davon, dass Israels Panzer Kliniken in Gaza mit Phosporgranaten beschossen hätten. "Selbst wenn die Kämpfer sich zwischen zehn Häusern verschanzen, ist es für eine Armee nicht akzeptabel, gleich alle zehn Häuser dem Erdboden gleich zu machen."
Diese Version der Ereignisse ist es, die in den Köpfen der Mehrheit in Gaza ihren Platz finden wird. Jene Menschen, die anders denken, haben keine Stimme. Und schon gar keinen Minister, der ihnen öffentlich die seine leiht. In einem aber stimmt dieser Hamas-Minister doch nachdenklich. Er sagt: "Das war auch ein politischer Sieg für uns." Israel sei "an den Fernsehschirmen weltweit und live als Macht mit einem hässlichen Gesicht entlarvt worden". Der Minister versteigt sich dann sogar zu dem Vergleich: "Die Opfer der Nazis sind 60 Jahre später selbst die Kriegsverbrecher." In den USA sitze jetzt ein neuer Mann im Weißen Haus. Der wisse, dass es so nicht weitergehen könne in Palästina: "Nach diesem Krieg werden sie mit der Hamas reden müssen."
Mit jener Hamas also, die 2006 freie Wahlen gewonnen hat bei den Palästinensern, die dann 2007 die Macht mit Gewalt übernahm in Gaza, die Israel immer wieder mit Raketen beschossen hat. Und die in den USA und Europa als Terror-Organisation verzeichnet ist und kein Verhandlungspartner sein soll. Die Rechnung des Ministers ist ebenso zynisch, wie sie am Ende richtig sein könnte. Die Hamas hätte sich den politischen Durchbruch von Israel mit 1300 Menschenleben quittieren lassen. Und Israel hätte das Gegenteil dessen erreicht, was es beabsichtigt hatte mit seinem Krieg, nämlich die Hamas von der Macht zu vertreiben, mit einer brutalen Strafaktion gegen eineinhalb Millionen Menschen im Gaza-Streifen.
Aber bis es zu solchen politischen Gesprächen kommen könnte, ist es noch lange hin, wenn es überhaupt so weit kommt. Erst einmal sitzt Djuan Murad auf dem Schulhof der UN-Jungenschule. In den Klassenzimmern haben sie ausgebombte Flüchtlinge untergebracht, ihre Familie gehört dazu. Die 19-Jährige hat sich chic gemacht, wie aus Protest. Sie trägt eine gehäkelte Schiebermütze, das Rosa passt zum Umhang mit den Bommeln. Die eigene Schullaufbahn hat Djuan längst abgebrochen. Der Vater ist seit Jahren krank, die UN-Hilfe hat ihrer Familie schon vor diesem Krieg nicht gereicht für Bildung. Djuan sagt nicht viel. Sie sagt nur: "Wir werden diesen Krieg niemals verzeihen." Und dann fragt sie: "Was für eine Zukunft? Was für ein Frieden? Die Zukunft ist schwarz. Alles ist kaputt. Es gibt keine Bildung, keine Jobs. Wir in Gaza haben keine Zukunft."
Auf dem Zettel stehen die Namen von 29 Toten, und alle heißen Samouni
Was bleibt vom Sohn, ist ein Heldenbild mit Handgranate
"Die Zukunft ist schwarz. Alles ist kaputt"
"Er ist als Märtyrer gestorben": Von seinem zerschossenen Schlafzimmer aus kann Khalil al-Attar auf das völlig zerstörte Haus seines Sohnes Wael schauen. Er war ein Hamas-Kämpfer und wurde am ersten Kriegstag getötet. Foto: Katharina Eglau
Willkommen auf Alcatraz
Die Bürger fühlen sich überrollt, die Flüchtlinge in der Falle - Italiens Regierung hat mit ihrer Politik die Ferieninsel Lampedusa ins Chaos gestürzt. Nun droht der Aufruhr
Rom - Der Absturz in der Gunst der Insulaner ist schmerzhaft für Angela Maraventano. Früher galt die 44 Jahre alte Schönheit noch als "La Pasionaria" von Lampedusa, als leidenschaftliche Frontfrau. Unermüdlich attackierte die Senatorin die linke Regierung in Rom, weil diese wegsehe, während das kleine Eiland im Kanal von Sizilien von Elendsflüchtlingen aus Afrika überschwemmt werde. Doch seit Mai stellt Maraventanos eigene Partei, die Lega Nord, den Innenminister einer Rechtsregierung in Rom. Die Zahl der Flüchtlinge hat seitdem noch zugenommen. Daher steht La Pasionaria an diesem Sonntag auf dem Rathausplatz von Lampedusa plötzlich als Buh-Frau da. Die Menschen pfeifen. Sie wollen die Rednerbühne stürmen. Sie brüllen: "Du Bastard, du hast uns verraten!"
Aufruhr liegt in der Seeluft von Lampedusa. Die 6000 Bürger haben das Gefühl, das Flüchtlingsproblem werde allein auf dem felsigen Rücken ihrer Insel ausgetragen. Seit Tagen ist das für 850 Menschen errichtete Auffangzentrum überfüllt. Zeitweise bis zu 1800 Flüchtlinge sind dort zusammengedrängt, in der Mehrzahl Nordafrikaner, die eine lebensgefährliche Fahrt über das Wintermeer überstanden haben. Nun fühlen sie sich in der Falle auf Lampedusa. Die Regierung in Rom lässt sie nicht aufs Festland. Am Samstag eskalierte die Situation. Die Flüchtlinge kletterten über die Metallzäune und durchbrachen das Eingangstor. Dann marschierten sie aufs Zentrum des Inseldorfes zu. "Libertà! Libertà!", skandierten sie. "Freiheit!"
Auf dem Rathausplatz demonstrierten gerade die Bürger. Sie protestierten dagegen, dass die Regierung Berlusconi nun auch noch ein zweites Zentrum auf ihrer Insel errichten will, ein Abschiebelager, von dem aus die Flüchtlinge direkt zurück in ihre Heimatstaaten gebracht werden sollen. Lampedusa werde wie Alcatraz, die Gefängnisinsel vor San Francisco, schimpften die Einwohner. Damit werde der Tourismus endgültig ruiniert.
So bildete sich am Samstag eine ungewöhnliche Allianz: Als die Flüchtlinge auf der Piazza einliefen, klatschten ihnen die Bürger zu. Die Menschen aus Nordafrika und aus Lampedusa stießen auf die Freiheit an und schmausten in einem Zelt auf der Piazza. Einige Bürger luden die Flüchtlinge nach Hause ein, eine Dusche zu nehmen. Die Stimmung war gut. Denn beide Seiten forderten dasselbe: Die Flüchtlinge sollten aufs Festland gebracht werden, um sich von dort aus in Italien und Europa verstreuen zu können - eben so, wie das bislang geschah.
Dann kippte die Situation. Etliche Nordafrikaner deckten sich in den Läden mit Bier und Schnaps ein. "Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht so betrunkene Leute gesehen", wunderte sich ein Polizeibeamter. Auf einmal gingen Gerüchte um: Flüchtlinge hätten Ferienhäuser aufgebrochen, um zu stehlen und sich zu verstecken, sie liefen mit Messern herum oder drohten, sich mit Glasscherben die Adern aufzuschneiden. Schließlich gelang es einigen Bürgern, die meisten Flüchtlinge zu überreden, in das Auffanglager zurückzukehren. Etliche Dutzend von ihnen machten sich dagegen auf der 20 Quadratkilometer großen Insel davon. So fuhr der Bürgermeister Lampedusas, Dino De Rubeis, ein zwei Meter großer Hüne, am Abend mit einigen anderen Männern im Auto herum, um die Flüchtlinge aufzugreifen. Italienische Zeitungen schrieben am Sonntag von einer "Menschenjagd", die eine Schande für Italien sei. De Rubeis wehrte sich: "Wo war denn eigentlich die Polizei, die auf der Insel eingesetzt ist?"
Damit begann am Sonntag die politische Abrechnung. Die Senatorin Maraventano warf dem Bürgermeister De Rubeis vor, dieser habe die Flüchtlinge selbst aufgestachelt, um die Regierung Berlusconi unter Druck zu setzen. "Auf der Insel droht nun eine Explosion." Die Bürger Lampedusas dagegen halten Maraventano vor, sie mache sich zum Büttel ihres Parteifreundes von der Lega Nord, des Innenministers Roberto Maroni. Der Minister wiederum will den Bürgermeister strafrechtlich verfolgen lassen und sagt: "Ich gebe nicht nach. Die Flüchtlinge bleiben auf der Insel, bis sie abgeschoben werden." Dabei scheint es ihn nicht zu stören, dass die Zustände im Auffanglager von der Opposition als "menschenunwürdig" kritisiert werden.
Eine Lösung war am Sonntag nicht zu erkennen. Auf Lampedusa ging die Angst um, dass alles in Gewalt umschlägt. Auch die Regierung in Rom ist in der Bredouille. Schließlich hatte Premier Silvio Berlusconi die Wahl im Frühjahr auch mit dem Versprechen gewonnen, das Flüchtlingsproblem rasch zu beheben. Stattdessen trafen laut dem Innenministerium im vergangenen Jahr fast 32 000 Bootsflüchtlinge auf Lampedusa ein - 75 Prozent mehr als im Vorjahr.
Berlusconi meinte am Wochenende dennoch: "Auf Lampedusa ist alles in Ordnung." Die Flüchtlinge könnten ja nicht weg, sie seien doch vom Meer umgeben. Außerdem sei doch nichts dabei, wenn sie ins Dorf gingen, um ein Bier zu trinken. Dem Premier ist jedoch klar, dass er handeln muss, wenn der Unmut nicht von Lampedusa auf ganz Italien überschwappen soll. Daher soll Innenminister Maroni am Dienstag nach Tunesien fahren, um die Rücknahme von Flüchtlingen auszuhandeln. Die meisten der Menschen, die derzeit im Lager von Lampedusa ausharren, sind Tunesier. Was passiert, wenn sie abgeschoben werden sollen, mag man sich auf der Insel gar nicht ausmalen. Am Samstag schrieen viele Flüchtlinge bereits: "Tunis, Tunis, du kannst uns mal."
"Freiheit!": Hunderte Flüchtlinge brachen aus dem Auffanglager aus und protestierten. Erst klatschten ihnen die Bürger zu. Dann kippte die Situation. Foto: AFP
"Das richtige Instrument"
Arbeitsmarkt-Experte optimistisch
SZ: Herr Professor Möller, ist Kurzarbeit ein probates Mittel in der Krise?
Möller: Unbedingt! Sie ist das richtige, angemessene Instrument und man kann sich nur wünschen, dass die Unternehmen es auch einsetzen. Denn so halten sie ihre Stammbelegschaft, in die sie viel investiert haben, die viel betriebsspezifische Kenntnisse besitzt und die sie nach der Krise brauchen werden. Ideal wäre es, Kurzarbeit mit Weiterbildung zu kombinieren.
SZ: Wie stark wird die Kurzarbeit zunehmen?
Möller: Kurzarbeit hat ja einen administrativen Vorlauf. Die Betriebe müssen sie bei der Bundesagentur für Arbeit beantragen. Dadurch haben wir einen Frühindikator für die Entwicklung. Dass es einen weiteren Anstieg geben wird, zeigen die Dezember-Zahlen. Da gingen Anträge auf Kurzarbeit für etwa 400 000 Beschäftigte ein. Bei einem Viertel handelte es sich um Beschäftigte in saisonabhängigen Gewerben wie der Landwirtschaft oder dem Bau, etwa drei Viertel waren konjunkturbedingt. Zum Vergleich: Im Dezember 2007 gab es ohne Landwirtschaft und Bau Anträge für gerade einmal 11 000 Beschäftigte. Daran sieht man die enorme Dimension und die Dynamik, die derzeit im Thema Kurzarbeit steckt.
SZ: Wird dieser Trend anhalten?
Möller: Das hängt vom Verlauf der Konjunktur ab. Diese dürfte zumindest im ersten Halbjahr weiter nach unten gehen. Daher ist anzunehmen, dass die Kurzarbeit steigt oder auf sehr hohem Niveau bleibt.
SZ: Wann wird aus Kurzarbeit Massenarbeitslosigkeit?
Möller: Entscheidend ist, wie stark die politischen Maßnahmen zur Konjunkturbelebung greifen. Wir arbeiten mit zwei Szenarien. Das düstere Szenario wäre, dass die Konjunktur langfristig schwächelt und wir in eine Depression rutschen. Dann wird Kurzarbeit ein stumpfes Schwert und es käme zu Massenentlassungen. Aber von diesem Worst Case sind wir noch weit entfernt. Ich warne daher vor Schwarzmalerei und Pessimismus.
SZ: Und das zweite Szenario?
Möller: Wir halten es für wahrscheinlicher, dass es im Laufe des Jahres 2009 bereits eine Wende zum Besseren geben wird. Dann hätte die Kurzarbeit als Instrument zur Überbrückung eines solchen konjunkturellen Einbruchs ihren Zweck voll und ganz erfüllt.
SZ: Ist Kurzarbeit für alle Branchen gleichermaßen ein probates Instrument?
Möller: Im produzierenden Gewerbe wird sie viel stärker eingesetzt als im Dienstleistungssektor. Aber grundsätzlich ist sie für jede Branche ein adäquates Mittel.
SZ: Wie wirkt sich das auf die Finanzen der BA aus? Müssen vielleicht sogar die Arbeitslosenbeiträge erhöht werden?
Möller: Das ist natürlich auch eine politische Frage. Zwangsläufig ergeben sich höhere Belastungen. Die BA hat aber durch hohe Rücklagen gut vorgesorgt. Für die Finanzierung der Kurzarbeit werden daher auf jeden Fall genügend Mittel bereitgestellt werden können.
Interview: Uwe Ritzer
Joachim Möller, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Foto: ddp
Kurzarbeit statt Entlassungen
Die Wirtschaftskrise verschont so gut wie keine Branche. Immer mehr Unternehmen greifen deshalb zu einem von der Politik deutlich verbesserten Mittel: Kurzarbeit. Damit können die Lohnkosten gesenkt werden, ohne dass Mitarbeiter gehen müssen, die man nach der Krise wieder braucht. Das Kurzarbeitergeld der Bundesagentur für Arbeit deckt bis zu 67 Prozent des entgangenen Lohnes ab.
Aktuelles Lexikon
Pius-Bruderschaft
Am 30. Juni 1988 weihte der konservative Kirchenrebell Marcel Lefebvre vier seiner Priester zu Bischöfen. Weil diese Weihe ohne Mandat des Papstes erfolgte, wurden Lefebvre und seine vier Anhänger exkommuniziert - es war der Höhepunkt eines Konflikts, der sich fast zwei Jahrzehnte hingezogen hatte. Denn Lefebvres im Jahr 1970 gegründete Pius-Bruderschaft wandte sich vehement gegen die Ergebnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 - 1965): Es sei ein fataler Irrtum, alle Religionen auf eine Stufe zu stellen, denn Christus habe nur eine Religion gestiftet, die katholische. Der geheiligte lateinische Ritus müsse erhalten bleiben, sonst drohe den Messebesuchern ein Verlust des Glaubens. Viele Vermittlungsversuche, die auch Joseph Kardinal Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation unternahm, ließen den Konflikt ungelöst. Bald nach seiner Wahl zum Papst bemühte sich Benedikt XVI. um ein besseres Verhältnis zu den Traditionalisten. Schon im August 2005, vier Monate nach Amtsantritt, empfing er Bernard Fellay, der die Bruderschaft seit Lefebvres Tod im Jahr 1991 leitete. Benedikts Anerkennung des lateinischen Ritus im Jahr 2007 kam den Lefebvre-Anhängern weiter entgegen. Die Bruderschaft, deren Zentrale im schweizerischen Menzingen steht, besteht nach eigenen Angaben derzeit aus 480 Priestern auf allen Kontinenten; sie soll 150 000 bis 200 000 Anhänger haben. fex
Weniger arbeiten, um den Job zu behalten
Die Hoffnung, Entlassungen zu vermeiden: Warum die Bundesregierung Kurzarbeit attraktiver gemacht hat
Die Liste der Unternehmen, die Kurzarbeit planen, wird täglich länger. Allein am vergangenen Freitag gab es Meldungen von den Chemieunternehmen BASF und Bayer, dem Stahlkonzern Thyssen-Krupp Steel, den Autofirmen Audi, Ford und Daimler, der Deutschen Bahn und der Klebstoffsparte Tesa von Beiersdorf - die Firmen-Manager prüfen, ob sie die Arbeitszeit verkürzen oder haben dies bereits beschlossen.
Die Wirtschaftskrise hat inzwischen sämtliche Branchen erfasst. Den Unternehmen brechen die Aufträge weg und kaum ein Konjunkturforscher kann derzeit sicher sagen, wie sich die Lage entwickeln wird. Festzustehen scheint bisher nur: Die deutsche Wirtschaft steuert auf den schärfsten Abschwung der Nachkriegsgeschichte zu. Die Bundesregierung erwartet in diesem Jahr einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 2,25 Prozent. Die Gefahr eines massiven Stellenabbaus ist daher groß. Deshalb hat der Koalitionsausschuss am 12. Januar in einem zweiten Konjunkturpaket zahlreiche Beschlüsse gefasst, um die Firmen in der Wirtschaftskrise zu entlasten. Dazu gehört, dass Kurzarbeit für Unternehmen attraktiver wird. Das Ziel ist, über Kurzarbeit Entlassungen zu vermeiden.
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) wird während der Kurzarbeit die Hälfte der Beiträge zur Sozialversicherung übernehmen. Bisher mussten Arbeitgeber die Sozialbeiträge für Arbeitsstunden, die wegen Kurzarbeit entfallen, übernehmen, also auch den Arbeitnehmeranteil.Werden Beschäftigte in der Kurzarbeit weiterqualifiziert, dann übernimmt die BA die Versicherungsbeiträge komplett. Vereinfacht wird das Antragsverfahren beim Kurzarbeitergeld. Künftig reicht der Nachweis, dass die Arbeitszeitverkürzung zu einem monatlichen Lohnausfall von zehn Prozent führt. Es muss also nicht mehr wie bisher nachgewiesen werden, dass mindestens ein Drittel der Beschäftigten von dieser Lohnkürzung betroffen ist. Die Änderungen müssen noch endgültig beschlossen werden. Das gesamte Gesetzgebungsverfahren soll aber bis Mitte Februar beendet sein.
Bei der Kurzarbeit handelt es sich um eine Arbeitszeitverkürzung. Sie kann so weit gehen, dass gar nichts mehr produziert wird, weil die Aufträge komplett weggebrochen sind. Kurzarbeit bedeutet aber nicht, dass Unternehmen "einfach so" ihren Mitarbeitern die Arbeitsstunden streichen können. Vielmehr muss Kurzarbeit bei der BA angemeldet werden. Dabei müssen die Firmen nachweisen, dass der Arbeitsausfall vorübergehend und unvermeidbar ist. Im Dezember 2008 waren nach Angaben der BA etwa 295 000 Beschäftigte als sogenannte konjunkturelle Kurzarbeiter gemeldet. Das ist die Kurzarbeit in wirtschaftlichen Notzeiten. Zum Vergleich: Im Dezember 2007 lag die Zahl der konjunkturellen Kurzarbeiter gerade mal bei etwas mehr als 9100. Neben der konjunkturellen gibt es auch die Saison-Kurzarbeit. Sie soll während der kalten Jahreszeit, wenn etwa in der Bauwirtschaft wegen Schnee und Eis die Außenarbeiten ruhen - die Winterarbeitslosigkeit vermeiden. Im Dezember vorigen Jahres gab es laut BA knapp 104 000 Saison-Kurzarbeiter, im Jahr davor waren es fast 88 000.
Ja. Der Arbeitgeber bezahlt nur für die tatsächlich geleistete Arbeit. Wenn also die Arbeitszeit um die Hälfte verringert wird, dann bekommen die Beschäftigten auch nur die Hälfte des Lohns von ihrem Arbeitgeber. Für die andere Hälfte ist die Bundesagentur für Arbeit "zuständig". Allerdings gleicht sie diesen Verdienstausfall nur teilweise aus: durch das Kurzarbeitergeld. Die Höhe entspricht dem Arbeitslosengeld. Damit erhalten Arbeitnehmer 60 Prozent des ausgefallenen Nettolohns als Kurzarbeitergeld oder 67 Prozent, wenn ein Kind in ihrem Haushalt lebt.
Kurzarbeitergeld wird nach dem Sozialgesetzbuch für sechs Monate gezahlt. Durch Rechtsverordnung kann der Bundesarbeitsminister die Dauer der Kurzarbeit bis zu 24 Monate verlängern, beispielsweise um den Arbeitsmarkt zu entlasten. Im Oktober 2008 wurde die Bezugsdauer auf zwölf Monate erhöht. Im ersten Konjunkturpaket hatte die Bundesregierung eine weitere Verlängerung des Kurzarbeitergeldes auf 18 Monate beschlossen.
Das Kurzarbeitergeld ist steuerfrei. Die Arbeitnehmer bleiben außerdem in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung. Die Deutsche Rentenversicherung weist aber darauf hin, dass die Beiträge zur Rentenversicherung sich am verringerten Verdienst des Beschäftigten orientieren. Damit sinken also nicht nur Versicherungsbeiträge, sondern auch die spätere Rentenhöhe.
Leere Montagehallen - hier bei Opel in Eisenach - werden bald häufiger zu sehen sein. Immer mehr Unternehmen beantragen Kurzarbeit. Foto: ddp
Ein Geschenk für alle
Die neuen Regelungen bringen der Autoindustrie fast nur Vorteile - und auch die Politik kann sich damit über die Zeit des Wahlkampfes retten
Die neue Form von Kurzarbeit besitzt für die Autoindustrie einen Nachteil, aber sonst nur Vorteile. Der Nachteil besteht darin, dass jetzt jeden Tag Schlagzeilen produziert werden, die bei vielen Menschen den Eindruck erwecken, der Untergang von Volkswagen, BMW, Daimler, Audi und Opel sowieso stehe unmittelbar bevor. Das muss aber nicht so sein. Zwar hat die Finanzkrise die Autoindustrie auch hierzulande schwer erwischt, mit zweistelligen Rückgängen bei den Verkäufen im Dezember.
Doch anders als die Wirtschaftsforscher überbieten sich die Manager der Autohersteller nicht in pessimistischen Prognosen. Audi-Chef Rupert Stadler sagt: "Ich werde nicht fürs Jammern bezahlt." Viele neue, attraktive Autos und nicht nur die Abwrackprämie sollen die Menschen wieder in die Schauräume der Händler locken. Spätestens im Herbst soll alles wieder besser werden. Der neue BMW-Personalvorstand Harald Krüger glaubt, im April sei die Kurzarbeit schon wieder vorbei. An ihrem derzeit schlechten Image in der Öffentlichkeit tragen die Konzerne eine Mitschuld. Denn täglich teilen sie scheibchenweise neue Ausfallschichten mit und erzeugen damit selbst den Eindruck einer gewissen Hilflosigkeit - obwohl hinter den Kulissen eifrig nach Lösungen gesucht wird.
Zum Beispiel bei einem Gespräch der Personalvorstände deutscher Großkonzerne mit Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) in Berlin. Die Herren halten sich zum Inhalt zwar bedeckt, aber nach Informationen der Süddeutschen Zeitung lief die Sache so: Der Minister schwor die Manager aus der Industrie darauf ein, von der jetzt im Rahmen des Konjunkturpaketes geänderten Kurzarbeit nun auch Gebrauch zu machen.
Das tun sie fast alle. Sie tun es bereitwillig, denn es passt gut in ihre Strategie, einerseits keine Autos zu bauen, die derzeit nicht verkauft werden können, andererseits aber auch kein Personal zu entlassen, das nach der Krise wieder gebraucht wird. Denn nach Auskunft von Experten aus der Autoindustrie hat die kontinuierliche Steigerung der Produktivität längst dazu geführt, dass es praktisch keine überflüssigen Leute an den Fließbändern mehr gibt. Die Nachfragespitze der vergangenen Jahre wurde über Leiharbeiter bewältigt. Sie mussten nun gehen, die Stammbelegschaft behält ihre Arbeitsplätze und wird auch bei der Kurzarbeit relativ gut behandelt.
BMW zum Beispiel erhöht das Kurzarbeitergeld der Bundesagentur für Arbeit bei Tarifbeschäfttigten auf 93 Prozent ihres letzten Nettoeinkommens. Anders als früher gibt es Kurzarbeitergeld aus dem Topf der Solidargemeinschaft aller Beitragszahler nicht mehr erst, wenn die Arbeitszeitkonten leergeräumt sind. Bei einem Spielraum zwischen plus 300 und minus 300 Arbeitsstunden und bisher gerade einmal etwas verlängerten Weihnachtsferien hätte das bei BMW noch eine Weile gedauert.
Die Politiker helfen der Autoindustrie mit der Neuregelung der Kurzarbeit nicht ganz uneigennützig. Das wird an einem, nicht unwesentlichen Detail deutlich: Künftig kann die Kurzarbeit auf 18, ja sogar bis zu 24 Monate ausgedehnt werden. Bisher war sie auf sechs Monate beschränkt - sie wäre also in vielen Fällen kurz vor der Bundestagswahl Ende September ausgelaufen, mitten im Wahlkampf. Dazu kommt es nicht mehr. Kurzarbeit kann es nun bis weit in das nächste Jahr geben. "Das ist klar ein Wahlgeschenk", sagt ein Automanager, der damit nicht zitiert werden will.
Die neue Regelung der Kurzarbeit bringt also Vorteile vielfältiger Art. Doch ein Problem kaschiert sie nur: Niemand kann heute sagen, ob die neuen Automodelle tatsächlich dafür sorgen, dass die Absatzkrise im Herbst vorüber ist.
Komfortable Kurzarbeit - BMW garantiert 93 Prozent vom Lohn. Foto: dpa
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Blick in die Presse
Symbolträchtige Erfolge
Zu den ersten Amtshandlungen des neuen US-Präsidenten Barack Obama schreibt die in Zürich erscheinende NZZ am Sonntag:
"Wo er die alleinige Kompetenz besitzt, hat Obama schnell symbolträchtige Erfolge gesucht. Das ist clever. Die ersten, gezielten politischen Schläge können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es vor allem ein politisches Thema gibt, wo das Tempo zählt und wo der neue US-Präsident wirklich reüssieren muss: die Krisenbekämpfung. (...) Erste Kolumnisten, die Obama freundlich gesinnt sind, mahnen bereits, der neue Präsident müsse bei der Konjunkturankurbelung viel kühner vorgehen."
Wir machen es uns zu einfach
Die konservative Wiener Zeitung Die Presse kritisiert die Weigerung einiger europäischer Länder, Guantanamo-Gefangene aufzunehmen:
"Und jetzt? Die Häftlinge von Guantanamo sind wie die ausgebrannten Stäbe eines Atomkraftwerks. Sie sind von unserer stolzen westlichen Gesellschaft ausgenutzt, ausgesondert und abgestempelt worden. Bei vielen von ihnen ist bis heute nicht einmal sicher, ob sie je Schuld auf sich geladen haben. Gegen sie fehlen Beweise, dass sie mit terroristischen Organisationen kooperiert haben. Einige wurden vielleicht nur denunziert. Doch in einem Anti-Terror-Kampf, in dem es keine ordentliche Rechtsprechung gab, wurde aus dem Vorurteil schon ein Urteil. Europa war zwar auch schnell dabei, die USA mit Resolutionen zur Schließung von Guantanamo zu drängen. Nun, da Obama diese Menschen tatsächlich auf freien Fuß setzt oder ihnen endlich ein faires Gerichtsverfahren ermöglicht, will aber dasselbe Europa nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Machen wir es uns nicht manchmal zu einfach?"
Banker zur Rechenschaft ziehen
Mit den Konsequenzen aus der Bankenkrise und einer Untersuchung des Fehlverhaltens der Verantwortlichen beschäftigt sich die britische Sonntagszeitung The Observer:
"Die Banker müssen nun zur Rechenschaft gezogen werden. Sie müssen ihr Handeln und ihre Gehälter rechtfertigen. Sie und die Regulierer, die Bürokraten und Politiker, die für die zerstörerischste Anlagen-Blase, an die man sich erinnern kann, verantwortlich sind, müssen in einer öffentlichen Untersuchung aussagen. Um Vertrauen zurückzugewinnen, ist ein klarer Entwurf für regulatorische Reformen dringend nötig. Und für diese Reform muss klar sein, was falsch gelaufen ist und wer verantwortlich war. Somit ist es nicht nur ein reinigender Prozess, wenn die Banker Rechenschaft ablegen müssen. Es ist ein notwendiger Schritt zur Erholung."
Ein Traum - schier unerreichbar
Die Grünen beschwören sich selbst, doch zurück zur Macht führt derzeit kein direkter Weg
Wenn man in Hessen gerade das beste Ergebnis aller Zeiten erzielt hat, fühlt es sich naturgemäß gut an, grün zu sein. Das SPD-Desaster vom 18. Januar hat den Grünen Wellness-Wahlen beschert. Davon zehren sie, weshalb sie ihren Europa-Parteitag in Dortmund in ungetrübter Harmonie inszenieren konnten. Wellness wirkt entspannend. In schwierigen Zeiten mag das angenehm sein. Es kann aber auch einlullen. Im Superwahljahr wäre das gefährlich. Parteichefin Claudia Roth hat die Parole ausgegeben, die Grünen müssten zur dritten Kraft in Deutschland werden. Spätestens hier stößt grünes Wohlgefühl auf missliche Realität.
Diese Realität wird zunächst geprägt von der schweren Wirtschaftskrise, die für alle Parteien Risiken birgt - also auch für die Grünen. Entstanden im Protest gegen die Umweltvergessenheit einer Wohlstandsgesellschaft, haben sie es nun mit einem Wahlvolk zu tun, das im Laufe des Jahres immer stärker getrieben sein wird von der kollektiven Angst vor dem Abstieg. Ökologische Umkehr preisen die Grünen nun auch an als Schlüssel zur Lösung der Probleme in der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Wollen sie vor ihrer Kernklientel bestehen, bleibt ihnen dazu auch gar keine Alternative.
Die eigentliche Herausforderung der Partei aber wird darin bestehen, Wähler außerhalb dieser Klientel zu gewinnen. Das erfordert einen Spagat, der auch in Dortmund deutlich geworden ist. Groß ist die Sehnsucht der Grünen nach klarer Profilierung gerade in schwieriger Zeit. Groß aber auch der Wunsch, niemanden durch zu radikale Positionen zu verprellen. Das mit Verve vorgetragene Nein zum unpopulären Konjunkturpaket im Bundestag vereint beides: deutliche Abgrenzung von der großen Koalition und die dringend nötige Selbstdarstellung in der Disziplin seriöse Wirtschaftspolitik.
So weit die Theorie. In der Praxis nehmen es die Grünen in Kauf, mit gespaltener Zunge zu sprechen. Das voraussichtliche Ja zum Konjunkturpaket im Bundesrat mit den Stimmen der grün mitregierten Stadtstaaten Hamburg und Bremen fordert das ganze dialektische Geschick der Grünen. Man verhindere, heißt es nun trotzig in einem Beschluss des Dortmunder Parteitages, dass Murks noch weiter vermurkst werde. So vereitele man die von der FDP betriebenen Steuersenkungen.
Zu dieser Doppelzüngigkeit bietet sich den Grünen letztlich keine vernünftige Alternative. Zunächst einmal, weil sich die verarmten Bremer ihr Ja zum Konjunkturpaket ohnehin nicht hätten verbieten lassen. Zum anderen aber, weil von Guido Westerwelle und seinem nach der Hessen-Wahl unbescheiden vorgetragenen Machtanspruch die größte Bedrohung für die Grünen ausgeht. Bisher gibt es allen Wünschen von Parteichefin Roth zum Trotz nämlich keine Anzeichen dafür, dass aus dem Wettkampf der drei Kleinen im Fünf-Parteien-System ausgerechnet die Grünen als Champion hervorgehen könnten. Weil das so ist, relativieren sich die jüngsten Erfolge der Grünen. Sie weisen, geschieht nichts Unwahrscheinliches, zumindest keinen direkten Weg zurück zur Macht. Zu weit hat sich wegen der Schwäche der SPD eine Wiederaufführung von Rot-Grün zum unerreichbaren Traum entfernt.
Andere Optionen bleiben zwar, aus grüner Sicht aber haben sie sämtlich eher das Zeug zum Albtraum. In jeder denkbaren Konstellation bliebe ihnen voraussichtlich nur die Rolle des Junior-Junior-Partners nach der FDP - in der schlimmsten aller Varianten als Mehrheitsbeschaffer Angela Merkels, wenn es für Schwarz-Gelb nicht reicht. Die Partei muss daher das Kunststück vollbringen, ihre Wählerschaft zu mobilisieren angesichts von Perspektiven für eine Regierungsbeteiligung, die wahlweise unscharf oder unerfreulich sind. In Entscheidungsjahr 2009 starten die Grünen aus keiner aussichtslosen Position. Die Zeiten für Wellness aber sind vorbei.
Der Sündenfall des Papstes
Benedikt XVI. lässt einen Holocaust-Leugner wieder Bischof werden - ein beschämendes Signal
Vor genau 50 Jahren ging ein Ruck durch die katholische Kirche: Johannes XXIII. kündigte ein Konzil an. Es sollte als Zweites Vatikanisches Konzil Geschichte machen. Papst und Kirche öffneten ihre Tore zur modernen Welt. Sie bekannten sich zur Religionsfreiheit und zum Gespräch mit anderen Glaubensgemeinschaften und Religionen. Die Priester wandten sich bei der Messe dem Volk zu und redeten, statt auf Lateinisch, in dessen Sprachen. Sehr viele Katholiken fühlen sich heute in ihrer Kirche heimisch, weil diese vom offenen Geist und weiten Herzen des Konzils geprägt ist.
Nun fährt wieder ein Ruck durch die Kirche, doch es ist ein Ruck zurück. Benedikt XVI., einst reformfreudiger Konzils-Theologe, geht weit auf die Anhänger des verstorbenen Kirchenspalters Marcel Lefebvre zu. Er tut dies, obwohl die Lefebvristen den Geist des Konzils verneinen und die Kirchengeschichte um hundert Jahre zurückspulen wollen. Benedikt hebt dennoch die Ex-Kommunikation von vier erztraditionalistischen Bischöfen auf und sichert ihnen "väterliche Barmherzigkeit" zu. Einer der heimkehrenden Hirten verharmlost seit Jahren den Holocaust und leugnet die Gaskammern, zuletzt bei einem Besuch in Bayern vor wenigen Wochen. Gegen ihn ermittelt inzwischen die Justiz. Aber das schert den Heiligen Stuhl nicht.
Die Aussöhnung des Papstes mit einem widerwärtigen Antisemiten ist bestürzend. Benedikt beruft sich darauf, die Tiraden des Bischofs hätten nichts mit dessen Kirchenausschluss vor mehr als 20 Jahren zu tun. Dabei verkennt der Papst, dass das Oberhaupt von mehr als einer Milliarde Katholiken nicht im luftleeren Raum der Dogmen und des Kirchenrechts operiert. Mit der Rehabilitierung des Bischofs sabotiert Benedikt XVI. vielmehr den christlich-jüdischen Dialog und bestätigt diejenigen, die sein Pontifikat zum Teil hart kritisieren.
Doch auch ohne den Holocaust-Leugner wäre die Versöhnung mit den Lefebvristen ein falscher Schritt. Gewiss muss dem Papst an der Einheit der Kirche gelegen sein. Doch was Benedikt XVI. am rechten Rand zurückgewinnt, könnte er in der Mitte verlieren. Viele Katholiken sehen es als Aufgabe ihrer Kirche, sich mit Andersgläubigen für eine menschenwürdige Welt einzusetzen. Sie wünschen, dass ihr Pontifex Brücken baut, etwa zu den reformierten Kirchen und zum Judentum. Doch hierbei lässt Benedikt oft den Großmut vermissen, mit dem er nun Reaktionäre umarmt.
Die Päpste seit Johannes XXIII. haben viel getan, ihrer Kirche Härte und Hochmut auszutreiben und sie mit der Moderne zu versöhnen. Johannes Paul II., einem konservativen Mann, war besonders an der Versöhnung mit dem Judentum und am Gespräch der Religionen gelegen. Seine Friedensgebete in Assisi belegen dies ebenso wie sein Auftritt an der Klagemauer in Jerusalem. Nun wirkt es, als wollte Benedikt XVI. diesen Kurs korrigieren. Sein Zugehen auf die Erztraditionalisten ist ein Sündenfall.
Münteferings kalkulierte Provokation
Franz Müntefering, der Mann mit den Heuschrecken, hat selbst oft erlebt, wie ein einziges Wort eine Diskussion zuspitzen kann; wie ein einziger Begriff die Aufmerksamkeit für Argumente weckt, die vorher kaum jemand hören wollte. Gerade der SPD-Vorsitzende Müntefering, der aus der Mixtur von kurzem Satz und eigenwilliger Grammatik eine politische Waffe gemacht hat, ist ein Mann mit hoher Sensibilität für Sprache und ihre Wirkung. Deshalb weiß Müntefering auch sehr genau, was er sagt, wenn er der Linkspartei eine "nationale soziale Politik" vorwirft.
Natürlich meint Müntefering nicht nationalsozialistische Politik. Aber er weiß, dass sich beide Begriffe in den Gedanken vieler Zuhörer oder Leser verknüpfen. Müntefering hat den Begriff der "nationalen sozialen Politik" an diesem Wochenende nicht zum ersten Mal benutzt, er will ihn offensichtlich ganz bewusst im allgemeinen Diskurs platzieren. Und dieser Begriff passt ja auch zur gängigen Deutung Münteferings, wonach ganz linke und ganz rechte Parteien zu einfache Antworten auf schwierige Fragen gemeinsam haben, weshalb sich auch die Spektren ihrer Sympathisanten in Teilen überschneiden.
Müntefering möchte provozieren. Der SPD-Vorsitzende macht das geschickter als Oskar Lafontaine seinerzeit mit seinem Wort von den "Fremdarbeitern", weil er keinen Begriff verwendet, dessen historische Belastung sich eindeutig nachweisen lässt. Das Spiel mit der Assoziation aber ist ähnlich wie bei seinem Vorgänger als SPD-Chef. Und es ist falsch. Beides zusammen sollte für Müntefering Grund genug sein, für die notwendige Diskussion mit der Linkspartei ein neues Wort zu schöpfen. nif
Washingtoner Realsozialismus
Wenn zwei das Gleiche tun, ist das noch lange nicht dasselbe. Jahrelang haben europäische Regierungen aller Couleur versucht, mit schärferen Regeln den Wildwuchs immer neuer Fonds und Finanzierungstricks an den Weltmärkten zu beschneiden. All die Vorschläge mit Absendern aus Paris oder Berlin, aus Brüssel oder Tokyo landeten am Ende stets in Washingtoner Müllcontainern. Denn die Regierung von George W. Bush witterte, wo das Wörtchen "Regulierung" draufstand, sogleich Sozialismus. Und wo das US-Finanzministerium blockierte, da durfte sich auch der in Washington ansässige Internationale Währungsfonds nicht bewegen.
Nun schreiben andere - und sie formulieren fast dieselben Gedanken. Und weil ein Anderer inzwischen im Weißen Haus regiert, besteht eine reelle Chance, dass dem geduldigen Papier nun endlich sehr eilige, unduldsame Reformen folgen. Hedgefonds und Hypothekenhändlern will der neue Präsident Barack Obama mehr auf die Finger schauen, und Großbanken könnte demnächst sogar schier Undenkbares drohen: das strikte Verbot, sich auf übermäßig riskante Eigengeschäfte überhaupt noch einzulassen.
Das nämlich war der wahre und empörende Realsozialismus an der Wall Street. Große Häuser wie Goldman Sachs, Merrill Lynch oder auch Deutsche Bank erspekulierten sich in fetten Jahren eine goldene Nase, um sich dann in Pleitezeiten - und im Namen der Systemrettung - die Verluste vom Steuerzahler bezahlen zu lassen. Dieses höchst einseitige Geschäft will Obama so nicht mehr dulden. Der Wall Street drohen endlich strengere Spielregeln - und dasselbe dürfte auf London und Frankfurt, auf Tokio und Hongkong zukommen. cwe
Gefährliches Leben auf Pump
Es ist eine unvorstellbar hohe Zahl mit zwölf Nullen: Auf mehr als eine Billion Euro wird in diesem Jahr erstmals die Verschuldung des Bundes steigen. Und auch die Neuverschuldung könnte mit insgesamt gut 50 Milliarden Euro den höchsten Wert seit Bestehen der Bundesrepublik erreichen. Das ist dramatisch. Trotzdem steht Deutschland besser da als andere EU-Staaten. Die sozialdemokratischen Finanzminister haben in den vergangenen Jahren noch vergleichsweise ordentlich gewirtschaftet. Doch das ist für die Zukunft zu wenig. In den nächsten Jahren wird es darauf ankommen, den Schuldenberg nicht höher werden zu lassen und langsam abzutragen.
Außergewöhnliche Krisen verlangen außergewöhnliche Antworten. Es gibt deshalb im Moment keine Alternative zum Anhäufen von Schulden. Der Staat muss Geld ausgeben, um die Konjunktur anzukurbeln und das marode Finanzsystem vor einem Kollaps zu bewahren. Die Ausnahme darf aber nicht zur Normalität werden. Schuldenrekorde sind nur in Notsituationen zu rechtfertigen. Sonst gefährdet Deutschland seine Kreditwürdigkeit, die im Vergleich zu anderen Industrienationen noch herausragend ist.
Es ist deshalb gut, wenn Bundesfinanzminister Peer Steinbrück seine Kollegen bereits wieder zur Sparsamkeit ermahnt. Auch die Pläne der Bundesregierung, eine im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse einzuziehen, sind richtig. Die große Koalition sollte allerdings darüber nachdenken, ob eine strenge Defizitregel in der Verfassung wirklich erst von 2015 an gelten soll oder ob das nicht früher geht.Schon jetzt sind Zinsen und Tilgung der zweitgrößte Posten im Haushalt. Das Leben auf Pump nimmt künftigen Generationen die Luft zum Atmen. tö
Tristesse der Städte
Von Joachim Käppner
Als die meisten Deutschen den raschen Wiederaufbau aus den Ruinenlandschaften der alliierten Flächenbombardements wie eine Art Wunder betrachteten, wollte einer an diesen neuen Städten schier verzweifeln: "Es ragt ein Wesensmerkmal auf nahezu allen Ebenen hervor: Lieblosigkeit. Sie ist in den Städten in unzähligen Szenen tagaus, tagein zu beobachten, sie ist schon selbstverständlich geworden." Die beißende Kritik, die der Psychologe Alexander Mitscherlich 1965 veröffentlichte, galt nicht nur der Gestalt der neuen Kommunen - ihren seelenlosen Wohnblocks, der Vorfahrt für Straßen und Autos, der Missachtung der Tradition, der Harmonie, der Geborgenheit; für alles das hatte die alte Stadt gestanden. Nein, Mitscherlich meinte auch die Stadt als politische Einheit, eine geringgeschätzte Größe, ohne Sinn für ihre historische und kulturelle Bedeutung ausgeliefert den Mächten der Wirtschaft, des Bundes, der Staatsbürokratie.
Sicher, das war in den theorieschweren sechziger Jahren; aber vieles von dem, was Mitscherlich beklagte, ist noch immer aktuell. Wenn der Deutsche Städtetag am Dienstag den Gemeindefinanzbericht vorlegt, wird die Botschaft trist genug sein; sie handelt vom jähen Ende der fetten Jahre, von sinkenden Steuereinnahmen, wachsenden Sozialleistungen, der immer größer werdenden kommunalen Unterschicht bankrotter Städte, die faktisch handlungsunfähig werden. Und das ist erst der Anfang. Die Finanzkrise trifft die Städte wegen der vielen Steuervorauszahlungen mit Verzögerung - dann aber mit voller Wucht.
Dabei gibt, paradoxerweise, gerade die Finanzkrise jenen in den Kommunen nachträglich recht, die noch vor wenigen Jahren ein einsames Rückzugsgefecht gegen den Neoliberalismus gefochten haben. Damals wurde das freie Spiel der Marktkräfte von der herrschenden Meinung als Lösung aller Dinge bejubelt und der Anspruch der Städte auf Mitgestaltung als Querulantentum von Provinzpolitikern abgetan, die von Gemeinsinn und Leitbildern faselten. Das Versilbern und Verleasen von kommunalen Betrieben und Besitztümern galt als fortschrittlich. Kommunen, die noch sozialen Wohnungsbau betreiben, die örtliche Wirtschaft und nicht den Bürger besteuern, die ordentlich wirtschaftende Sparkassen bewahren oder Energiepreise mitgestalten wollten, wurden als Staatsgläubige gescholten, Überbleibsel aus lange verschütteten Epochen vor der Shareholder-Value-Zeit. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat all dies als das enthüllt, was es war: als kurzlebige Ideologie.
Wenn die Zeiten nun härter werden, dürfen die Städte nicht erwarten, verhätschelt zu werden. Sie werden ihren Teil zu tragen haben und aufpassen müssen, nicht zu oft nach der helfenden Hand des Bundes zu rufen. Sie werden noch mehr sparen müssen. Nicht jedes neue Rathaus aus Chrom und Glas ist wirklich nötig, nicht jedes Museum über Weg und Wandel der örtlichen Weinpanscherei oder über das Schweinstreiberwesen im Spätmittelalter eine dringend erforderliche Aufwertung des Standorts, nicht jede Stadtverwaltung unterbesetzt.
Das alles ändert nichts daran, dass die Städte in der Finanzkrise wieder gänzlich unverdient den Kürzeren ziehen könnten. Wenn die Länder schon jetzt anfangen, Mittel aus dem Konjunkturpaket zum Stopfen von Etatlöchern abzuzweigen und sich dabei - allen Absprachen entgegen - fast die Hälfte der Fördersumme vorstellen, zeigen sie sich wieder als das, was sie viel zu oft schon waren. Laut Verfassung Anwalt ihrer Kommunen, gleichen sie in Wahrheit einem müden Pflichtverteidiger, der gerne mal während des Verfahrens einschlummert, beim Abrechnen des Honorars aber vor Energie bebt. Nein, das Geld gehört dahin, wo es gebraucht wird: zur Sanierung von Straßen und Schulen, zum Ausbau von Kitas und Krankenhäusern. Wenn einer in großem Stil investieren könnte, ja dringend müsste, sind es die Gemeinden, denen derzeit schon viele Milliarden Euro für solche Aufgaben fehlen.
Es ist wahr, seit Amtsantritt der großen Koalition hat sich für die Städte vieles verbessert. Vor allem die Rettung und sogar der Ausbau der Gewerbesteuer, die Rot-Grün so gern abgeschafft hätte, erwies sich schnell als Erfolgsgeschichte. Während die neue Steuerpolitik städtefreundlich war, ist eine ebenso wichtige Reform unterblieben. Die Städte brauchen mehr verbriefte Rechte.
Einstmals, bis ins 19. Jahrhundert hinein, waren Städte Bollwerke sonst unbekannter Freiheiten und erhoben den Anspruch, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Das Grundgesetz wollte starke Gemeinden, als es ihnen das Recht auf kommunale Selbstverwaltung zugestand. Derzeit haben sie nicht einmal das Recht auf eine verbindliche Anhörung, wenn der Bundestag soziale Wohltaten berät, die dann die Städte bezahlen dürfen.
Letztlich sollte die Verfassung vernünftige und direkte Regelungen zwischen Bund und Gemeinden zulassen und um ein altes und sehr vernünftiges Prinzip, heute grässlicherweise "Konnexität" genannt, ergänzen: Wer bestellt - mehr Kitas, mehr Sozialleistungen -, soll auch bezahlen. Nur so lässt sich, um noch einmal mit Mitscherlich zu sprechen, "die bedrohte städtische Freiheit in die Zukunft retten".
Michael Kocab Tschechischer Rock-Star und Menschenrechts-Minister
Roma mag er, schon von der Musik her. Und deshalb freut sich Michael Kocab nach eigenen Worten darauf, dass er künftig viele Roma treffen und sich intensiv mit der problematischen Lage dieser Volksgruppe in Tschechien befassen wird. Der 54-Jährige hat nämlich gerade sein neues Amt als Minister für Menschenrechte und Minderheiten angetreten; die Grünen haben ihn für diesen Posten benannt. Zwar ist Kocab auf der politischen Bühne kein Neuling mehr, doch kennt man ihn vor allem als einen der großen Rock-Stars des Landes.
Solche Grenzüberschreitungen haben in Prag schon eine kleine Tradition. Zur Zeit der kommunistischen Diktatur gelangte die Untergrund-Band The Plastic People of the Universe zu Ruhm. Ihre Verfolgung durch das Regime war einer der Anlässe für die Gründung der Dissidenten-Bewegung Charta 77. Auch Michael Kocab und das von ihm um 1975 ins Leben gerufene Jazzrock-Ensemble Prazsky vyber ("Prager Auswahl") wurden jahrelang behindert. Ihr legendäres Album "Straka v hrsti" ("Die Elster in der Hand") wurde mit kopierten Kassetten im musikalischen Selbstverlag vertrieben. Später füllte die Band ganze Sporthallen, und Michael Kocab hatte im Sommer 1989 die Kühnheit, auf einem live im Fernsehen übertragenen Musikfestival zu sagen: "Jede Nation hat die Regierung, die sie verdient." Als bald danach die November-Revolution das sozialistische Regime hinwegfegte, gehörte Kocab an der Seite Vaclav Havels zu den bekanntesten Protagonisten der Wende.
Kocab wurde Abgeordneter im föderalen tschechoslowakischen Parlament und war als Ausschuss-Vorsitzender mit den Verhandlungen über den Abzug der sowjetischen Truppen befasst. Den Ausstieg aus der Politik feierte er 1991 mit einem Konzert, an dem auch sein Freund Frank Zappa teilnahm. Unentgeltlich diente er danach dem neuen Staatspräsidenten Havel als Berater. Dieser empfing auf der Prager Burg nicht nur Frank Zappa, sondern auch die Rolling Stones.
In jüngerer Zeit reizte den Musiker und Komponisten offenbar die Rückkehr in die Politik. Schon vorigen Herbst kandidierte er - erfolglos - in Prag auf der Liste der Grünen für einen Sitz im Senat. Ins Kabinett ist er nun gemeinsam mit drei neuen Ministern der konservativen Bürgerdemokraten (ODS) und der Christdemokraten eingezogen, die mit den Grünen eine Dreier-Koalition bilden.
Ministerpräsident Mirek Topolanek hatte sich trotz der Belastungen durch die EU-Präsidentschaft im internen Kampf mit eigenen Parteifreunden der ODS und mit dem christdemokratischen Parteichef Jiri Cunek erstaunlich robust gezeigt und durchgesetzt. Er drängte den unter Korruptionsverdacht stehenden Cunek aus der Regierung hinaus und tauschte auch zwei erfolglose ODS-Minister aus.
Die Grünen zogen ihre glücklose Ministerin Dzamila Stehlikova ebenfalls zurück, deren Amt übernimmt nun Michael Kocab. Seine Popularität kann ebenso wie die des ebenfalls von den Grünen benannten Außenministers Karel Schwarzenberg der Partei helfen, ihr derzeitiges Tief zu überwinden. Vielleicht ist das ja auch der tiefere Grund für seine Berufung. Klaus Brill
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Bund stellt kaum noch Hauptschüler ein
Hauptschüler haben kaum noch Chancen, einen Arbeitsplatz bei der Bundesregierung zu finden. Das ergibt sich aus einer Übersicht des Innenministeriums, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Danach waren in Kanzleramt, Ministerien und Bundesbehörden zum 1. Dezember vorigen Jahres insgesamt 64 900 Arbeitnehmer mit Hauptschulabschluss beschäftigt. Das entsprach, gemessen an der gesamten Belegschaft, einer Quote von 27,3 Prozent. Der Anteil der ehemaligen Realschüler lag bei 39,9, der der Abiturienten bei 28,9 Prozent. Für die übrigen Mitarbeiter fehlten Eintragungen.
Seit Ende 2005, dem Beginn dieser Wahlperiode, fanden jedoch nur noch 2285 Hauptschüler einen Job in der Bundesverwaltung. Das waren 8,4 Prozent aller Neueinstellungen. Realschüler und Gymnasiasten erreichten dagegen Werte von 42,3 und 46,5 Prozent. Zwar ist auch der Anteil der Hauptschüler an der Zahl aller Schulabgänger rückläufig, aber bei weitem nicht in diesem Ausmaß.
Der FDP-Abgeordnete Volker Wissing, der die Aufstellung angefordert hatte, warf
der Regierung vor, einfache Tätigkeiten aus Kostengründen immer
stärker auszulagern. "Früher sind sich der Abteilungsleiter und
der Mann an der Pforte als Kollegen begegnet. Heute sitzt am Einlass ein
Betriebsfremder", sagte er. Das sei nicht gut für den
gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das Innenministerium erklärte, die
Einstellung von Personal richte sich nach dem Bedarf.
Professoren werden Rapper
Man kennt das sonst nur zwischen Gangster-Rappern: Einer bringt einen Song heraus, einem anderen gefällt nicht, was er da hört, weswegen er seinerseits eine musikalische Schmährede aufsetzt. Irgendwann beleidigen sie gegenseitig ihre Mütter und dann weinen beide. "Battle" nennt man das neudeutsch, oder "Beef", wenn man tiefer im Szene-Jargon verwurzelt ist. Was bislang in den Problemvierteln der Großstädte angesiedelt war, hat nun die Hochschulen erreicht. Beim sprechgesungenen Duell zweier Professoren fällt das Wort "Depp", und man rappt von gebrochenen Genicken. Was ist geschehen?
Professor Klaus Peter Berger, Rechtswissenschaftler der Universität Köln, beschritt ungewöhnliche und durchaus ernst gemeinte Wege bei dem Versuch, seinen Studenten das als trocken geltende Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), genauer Paragraf 823, zu vermitteln. Im "823-Rap", der seit voriger Woche als Video im Internet zu sehen ist, erklärt Berger Inhalt und Voraussetzungen der Norm. "Rapucation" nennt er das - eine Kombination aus Rap und Education. Kreatives Lernen also, assoziativ, mit Emotionen und Musik. Die Studenten seien begeistert.
"Eigentum, Gesundheit, ein absolutes Recht / Wer das verletzt, dem geht es wirklich schlecht", weiß MC Berger beispielsweise von dem Paragrafen zu berichten, der den Schadenersatz für all die Situationen des Lebens regelt, in denen kein Vertrag vorliegt - Körperverletzung, Sachbeschädigung und Verkehrsunfälle zum Beispiel. Klaus Berger präzisiert: "Die Vorschrift betrifft noch weitaus mehr / Auch Sport, Reise, Jagd und Straßenverkehr."
Beim Leipziger Jura-Professor Tim Drygala stießen diese Zeilen allerdings
auf wenig Gegenliebe: "Ganz schlecht", "Form over function",
urteilte er und holte zum gereimten Gegenschlag aus: "Lieber Kollege, Ihr
Rap ist zu banal / er verfehlt die Probleme doch fatal." Und weiter:
"Und das weiß nun wirklich jeder Depp / Die Kausalität
müsste zweimal in den Rap." Schließlich müsse man
festhalten: "Und noch viel mehr Probleme brechen das Genick / Leicht ist
823 nur auf den ersten Blick." In Köln reagiert man gelassen auf den
Verbalangriff, unter Hip-Hoppern "Diss" genannt. Man werde
"keinen Return rausbringen" heißt es in der Pressestelle.
Professor Berger wolle wirklich Pädagogik machen - "nicht den
Rap-Clown".
Abkehr vom Sonderweg
Behinderte Schüler werden in Deutschland ausgegrenzt - eine neue UN-Konvention könnte das ändern
Nach der vierten Klasse endete für Jannes die Integration. Die Behörden schickten den Jungen mit Down-Syndrom auf die Sonderschule. Jeden Morgen fährt der Zwölfjährige nun eine halbe Stunde im Bus nach Euskirchen in Nordrhein-Westfalen, seine Freunde muss er zurücklassen in seiner Heimatstadt Brühl. Keine der weiterführenden Schulen bietet dort integrativen Unterricht, deshalb blieb seiner Mutter keine andere Wahl. Valerie Schulz wollte nie, dass ihr Sohn isoliert, in einem Schonraum für behinderte Kinder unterrichtet wird. "Er muss doch lernen, sich trotz seiner Behinderung im wahren Leben durchzusetzen", sagt sie. In Sonderschulen würden die Kinder in Watte gepackt. Neulich hätten die neuen Lehrer ihres Sohnes gesagt, sie wollten ihm jetzt beibringen, sich selbständig anzuziehen. Die Mutter war überrascht: Jannes zieht sich zu Hause seit Jahren alleine an. Dass der Junge die vorauseilende Hilfe seiner Betreuerin trotzdem recht bequem fand, hat der Schule eingeleuchtet.
So wie Jannes ergeht es vielen behinderten Kindern in Deutschland. In der Grundschule dürfen sie immer öfter gemeinsam mit Gesunden lernen, aber nach dem hoffnungsvollen Start landen sie am Ende doch auf der Förderschule, wie die Sonderschule neuerdings genannt wird. Bundesweit besucht fast jeder zwanzigste Schüler eine Sonderschule. Hier sitzen die körperlich und geistig Behinderten, aber auch die Armen, die Vernachlässigten, die Aggressiven und die Migranten. In manchen Bundesländern gibt es zehn verschiedene Arten von Förderschulen. Während manche Förderschüler froh sind, in kleinen Klassen mit Fachkräften und spezieller Technik lernen zu können, fühlen sich andere von der Gesellschaft ausgeschlossen.
Nahezu 80 Prozent der Sonderschüler schaffen den Hauptschulabschluss nicht. Und das liegt nicht an unfähigen Lehrern, wie Studien zeigen. Oft fehlen den Schülern einfach die Anregungen für bessere Leistungen, weil in den Klassen der Sonderschulen Vorbilder fehlen. Eine Schulform übrigens, die es in vielen anderen Ländern gar nicht gibt. Im EU-Durchschnitt lernen mehr als 70 Prozent der Kinder mit Behinderung an einer ganz normalen Schule. In Deutschland sind es dagegen gerade mal 15 Prozent. Der große Rest wird an eine Sonderschule verwiesen - auch gegen den Willen der Eltern. Doch das könnte für die Behörden jetzt schwieriger werden.
Zum Jahreswechsel hat der Bundestag eine Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert. Dieses Übereinkommen verlangt in Artikel 24 ein "inklusives Bildungssystem" (inclusive education system). Behindertenorganisationen und viele Experten legen dies so aus, dass Eltern sich auf die UN-Konvention berufen können, um gegen die Zuweisung ihres Kindes auf eine Sonderschule zu klagen. Außerdem wird es in Genf erstmalig einen Rechtsausschuss geben, der die Umsetzung der Konvention überwacht. Jeder kann dieses Gremium anrufen. Es kann zwar kein Urteil sprechen, aber Missstände öffentlich anprangern.
Betroffene, Fachpolitiker und Behindertenverbände hoffen nun auf eine Wende in der Schulpolitik. Sie wünschen sich, dass jene behinderte Kinder, die einen Platz in einer Regelschule haben wollen, auch Anspruch darauf haben. Erste zaghafte Zeichen für ein Umdenken in der Politik gibt es bereits. Die Konferenz der zuständigen Kultusminister der Länder hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die die neue Rechtslage umsetzen soll. Erstmals dürfen dabei auch die Behindertenorganisationen mitreden. Diese neue Offenheit beschreibt Sibylle Hausmanns als "geradezu revolutionär". Sie ist Projektleiterin im Verein "Gemeinsam leben - gemeinsam lernen", in dem sich Eltern organisiert haben.
Die Kultusminister wollen sich allerdings drei Jahre Zeit geben, um die Inhalte der UN-Konvention umzusetzen. Und noch ist ungewiss, wie ernst es ihnen damit wirklich ist. Momentan streiten sich Politiker darüber, wie das englische Wort "inclusion" überhaupt zu verstehen ist. Während die Grünen in Niedersachsen bereits die Abschaffung der Förderschulen fordern und die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung großen Handlungsbedarf anmahnt, winken vor allem konservative Landesregierungen ab: Das differenzierte Förderangebot in Baden-Württemberg werde "auch in Zukunft der Garant dafür sein", dass für jedes Kind ein entsprechendes Schulangebot bereit stehe, lässt Kultusminister Helmut Rau (CDU) wissen. Im Klartext: Abgesehen von ein paar Nachbesserungen, kann alles so bleiben, wie es ist.
In Deutschland hängt es vor allem vom Wohnort ab, ob ein behindertes Kind zusammen mit Gesunden lernen darf. Während in Schleswig-Holstein mittlerweile schon fast jeder zweite Schüler mit "sonderpädagogischen Förderbedarf" in einer normalen Schule lernt, ist es in Bayern nicht einmal jedes fünfte Kind. Zwar sehen die meisten Schulgesetze der Länder vor, dass der gemeinsame Unterricht Vorrang haben sollte - aber garantieren will niemand dafür. Einen Platz erhält ein behindertes Kind nur, wenn die nötigen Voraussetzungen erfüllt sind: Klassen mit freien Kapazitäten, zusätzliche Räume, Integrationshelfer. Immerhin verschickte Bayerns Ministerium vor kurzem erstmals ein Informationspaket an Grund- und Hauptschulen, wie sie Integrationshelfer beantragen können.
Bei der Suche nach einer Schule für ihr Kind fühlen sich Eltern wie Valerie Schulz oft allein gelassen. Sie klagen über Bürokratie und viel Unkenntnis. Allein in Hessen wurde in diesem Schuljahr 213 Kindern ein Platz an einer normalen Schule verwehrt. Für die Eltern kommt das einem Urteil gleich, das ihren Kindern jegliche Perspektive auf gesellschaftliche Teilhabe raubt. Denn gehen sie einmal in die Förderschule, bleibt ihnen der Weg zurück meist versperrt.
Natürlich finden sich mittlerweile auch etliche beherzte Schulleiter, die schwierige Schüler nicht loswerden, sondern besser integrieren wollen: zum Beispiel Wilfried Eberts aus Bad Harzburg in Niedersachsen. Er hat gewagt, wovor viele Kollegen zurückschrecken. Als vor zweieinhalb Jahren vier Eltern in seinem Büro standen und ihn anflehten, er möge ihre geistig behinderten Kinder am Werner-von-Siemens-Gymnasium aufnehmen, fasste er sich ein Herz. Er ging mit dem Vorschlag in die Schulkonferenz, führte kontroverse Diskussionen, redete gegen Ängste an und holte eine Berliner Professorin an die Schule, die die Lehrer auf ihre neue Aufgabe vorbereitete. Heute gehen die vier Jugendlichen in die siebte Klasse und alle Sorgen und Widerstände sind verschwunden.
"Am meisten profitiert haben die nichtbehinderten Schüler", sagt Eberts. Er erzählt die Geschichte einer zurückhaltenden Schülerin, die regelrecht aufblühte, als sie der kleinen Amelie, die das Down-Syndrom hat, beim Lesenlernen helfen durfte. In keiner Klasse seien Solidarität, Mitgefühl und Hilfsbereitschaft so ausgeprägt, wie in der 7a. 20 Stunden in der Woche kommen in Bad Harzburg Integrationshelfer in die Klasse, manchmal ziehen sie sich mit ihren vier Schülern auch in einen Nebenraum zurück. Aber Sport, Musik, Religion und Biologie werden immer gemeinsam unterrichtet. Das Gymnasium würde heute gerne mehr behinderte Kinder aufnehmen, Anfragen gäbe es genug, sagt Eberts, aber die Platznot in seiner Schule spreche derzeit dagegen.
In der Schülerschule in Schenefeld bei Hamburg werden behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam auf das Leben vorbereitet. Das Konzept, nach dem jeder in seinem Tempo lernen kann, ist anspruchsvoll. Noch gehen in Deutschland viele behinderte Kinder auf Sonderschulen. Foto: David Ausserhofer
"Integration muss Vorrang haben"
Schulministerin Ute Erdsiek-Rave über notwendige Reformen
Die Schulpolitik in Deutschland muss sich künftig an einer neuen UN-Konvention messen lassen. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD) leitete bei der Weltbildungskonferenz in Genf die deutsche Delegation.
SZ: Frau Erdsiek-Rave, die UN-Konvention verlangt ein "inklusives Bildungssystem". Was bedeutet das für die Sonderschüler?
Erdsiek-Rave: Die Ratifizierung der UN-Konvention hat im Kern das Recht auf Bildung anerkannt. Das schließt Kinder mit Behinderung ein, aber auch Kinder aus sozial randständigen Milieus oder aus ethnischen Minderheiten. In Deutschland besuchen diese Kinder viel zu oft Förderschulen, in denen sich Probleme konzentrieren und ein Lernen manchmal kaum mehr möglich ist. Das muss sich ändern.
SZ: Was ist der erste notwendige Schritt, damit die Kinder zu ihrem Recht kommen?
Erdsiek-Rave: Wir brauchen einen Wechsel in der pädagogischen Blickrichtung: Nicht das Kind muss sich an die bestehenden Schulen anpassen, es muss umgekehrt sein: Die Schule muss sich den Potentialen jeden einzelnen Kindes anpassen und Fördermöglichkeiten suchen.
SZ: Wie wollen Sie dieses Umdenken in den Schulen bewirken?
Erdsiek-Rave: Dafür brauchen wir zunächst klare Aussagen in den Schulgesetzen der Bundesländer. Die Integration in allgemeinen Schulen muss künftig Vorrang haben. Der gemeinsame Unterricht muss das Ziel sein. Für die Mehrheit der Staaten ist diese Inklusion längst Kern aller Reformen, egal ob dies Schwellenländer oder Länder wie Kanada oder Schottland sind. Deutschland hinkt da noch weit hinterher.
SZ: Die Grünen fordern in mehreren Bundesländern, die Sonderschulen abzuschaffen.
Erdsiek-Rave: Die Förderschulen mit einem Federstrich abzuschaffen, verändert in der pädagogischen Praxis erst einmal nichts. Stattdessen müssen wir den Lehrern, Eltern und Schülern Wege zeigen, wie sie mit sozialen und kulturellen Unterschieden konstruktiv umgehen. Sie müssen Vielfalt als Bereicherung empfinden. Schleswig-Holstein hat deshalb neue Förderzentren entwickelt.
SZ: Ist das wieder nur ein neuer Name für die Sonderschulen?
Erdsiek-Rave: Nein, Förderzentren sind nicht mehr gleichbedeutend mit einer gesonderten Schulform. Manchmal gibt es dort gar keine Schüler mehr. Förderzentren sind Kompetenzzentren, die Sonderpädagogen und andere Experten auch präventiv an Kindergärten und Schulen schicken, um die Lehrer und Erzieher bei der Integration benachteiligter Schüler zu unterstützen. Auf diese Weise werden in Schleswig-Holstein inzwischen bereits fast die Hälfte der Förderschüler integrativ unterrichtet.
Interview: Birgit Taffertshofer
Leitete bei der Weltbildungskonferenz die deutsche Delegation: Die SPD-Politikerin Ute Erdsiek-Rave. Foto: Caro
Eine einfache Lösung
Bürokratieschonend, kostengünstig, umweltfreundlich und gerecht: Die Kraftfahrzeugsteuer sollte sich allein am Treibstoffverbrauch orientieren
Zur geplanten Reform der Kfz-Steuer schreiben Leser:
Jetzt haben unsere Politiker die Lösung: Man bevorzugt bei der Novellierung der Kfz-Steuer die spritfressenden Autos und kompensiert die CO2-Belastung entsprechend dem Vorschlag aus dem Umweltbundesamt durch den Verzicht von etwas Fleischgenuss - beides natürlich subventioniert. Fehlende Visionen kann man keinem vorwerfen, aber dass unsere regierenden Politiker nicht in der Lage sind, real existierende Probleme etwa auf dem Automarkt USA zu erkennen und diese als Vorlage für Lösungsansätze zu begreifen, grenzt an vorsätzlichen Missbrauch unserer Steuergelder. Statt Innovationen und Alternativen zu fördern, werden wohl anschließend weitere Hilfspakete für die notleidende Automobilindustrie geschnürt werden müssen. Denn bei wieder steigenden Benzinpreisen wird die Verwunderung sehr groß sein, dass der Markt entgegen allen Annahmen doch nur nach sparsamen Fahrzeugen verlangt.
Jürgen Mrosko
München
Es ist einfach unbegreiflich, wie man wider besseren Wissens Politik betreiben kann. Unglaublich, wie selbst gesteckte Ziele einfach so widerrufen werden. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, der bisher nicht den Eindruck vermittelte, dass er aus tiefer Überzeugung sein Amt ausführt, ist derzeit das ärmste Schwein in der Regierung. Jetzt tut er mir sogar wirklich leid. In der Konjunkturkrise auch noch über (nachhaltige) Umweltpolitik reden wollen - wo kämen wir den da hin! Und das wird von einer Partei mit angetrieben, die früher zumindest den Anschein erweckte, einigermaßen grüne Umweltpolitik zu unterstützen. Die gesamte Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer umzulegen, ist überhaupt kein Problem. Wie viele Bürger wohnen denn wirklich in sogenannten Randgebieten, die zum Tanktourismus einladen? Und in wie vielen Ländern ist denn das Benzin wirklich billiger, damit sich der Tanktourismus lohnt? Das betrifft nur wenige.
Michael Hauck
Nürnberg
Die ganze Diskussion um die Festsetzung der neuen Kfz-Steuer ließe sich beenden, wenn eine auf dem absoluten Jahreskraftstoffverbrauch basierende Steuer erhoben wird. Dies ist möglich, durch Umlage der Steuer auf den Kraftstoffpreis. Verbraucht ein Autofahrer 2000 Liter Kraftstoff im Jahr, ist dies unabhängig davon, ob der Verbrauch durch ein Auto mit wenig CO2- Ausstoß, aber hoher jährlicher Laufleistung oder durch ein Auto mit hohem CO2-Ausstoß, aber niedriger Laufleistung entsteht. Dies wäre gerecht, da die Steuer nach dem Verursacherprinzip und dem tatsächlichen Verbrauch erhoben wird. Es würde der Umwelt und dem Klima nützen, weil jede Fahrt direkt mit einer CO2-Abgabe belastet würde und es würde zudem Kosten sparen, da die Erhebung der Steuer und die Vereinnahmung über die entsprechenden Verwaltungseinrichtungen in den Bundesländern ersatzlos entfallen könnte.
Karl Laufer
München
Das Einzige, was die Umwelt im Zusammenhang mit CO2 belastet, ist der Betrieb eines Fahrzeugs - und nicht seine technischen Kenndaten. Es wird der Eindruck vermittelt, die Anschaffung eines Neufahrzeugs mit moderner Technik vermindere die Belastung des Klimas, während eine alte Kiste die Umwelt belaste. Diese Sichtweise dient nur dem Verkauf von Fahrzeugen und dem Ziel des nie aufhörenden Wachstums, das aber in einer Sackgasse enden muss. Verzicht ist die langfristige Lösung, um der Natur Raubbau zu ersparen. Ein Auto, das nicht fährt, stößt kein CO2 aus. Ein Wagen, der sehr häufig benutzt wird, setzt viel Kohlendioxid frei. Die Lösung liegt darin, die Steuer über den Treibstoff zu erheben. Obwohl diese Art der Steuererhebung kostengünstiger, weil einfacher und absolut gerecht ist, wird sie wohl kaum machbar sein, da es schwierig ist dieses zentral erhobene Geld den Ländern zuzuweisen. Auch spielt wohl der Neidfaktor und ein Desinteresse der Automobilbranche an solch einer Lösung eine Rolle.
Burckhard Schirmer
Petershausen
Nicht der Ausstoß an CO2 oder der Treibstoffverbrauch pro Kilometer ist entscheidend, sondern allein der effektive Verbrauch. Dazu könnte man noch alle anderen CO22- Erzeuger wie Rasenmäher, Motorsägen und sonstige benzin- und dieselgetriebene Geräte erfassen.
Manfred Tode
Kiel
Ist der Klimawandel vergessen? Anstatt mit Ernst nach Lösungen zu suchen, missbrauchen Politiker ihr Amt in Sachen Kfz-Steuer zum Ausleben ihrer Profilneurose. Der letzte Beweis ist die Überlegung, Fahrzeuge mit großvolumigen Motoren steuerlich zu entlasten. Da hat die Lobby aber saubere Arbeit hingelegt!
Die Steuer an der CO2- Emission aufzuhängen, ist der erste grundlegende Fehler, da die Messunsicherheit und Fehlertoleranz bei diesem Gas, das auch noch aus dem ganzen Abgasgemisch irgendwie separiert werden muss, zu hoch sind. Meine Wasserrechnung wird doch auch nicht an Hand eines Bestandteils meines Abwassers errechnet. Dagegen ist der Volumenstrom einer Flüssigkeit, in diesem Fall der Kraftstoff, sowohl gerätetechnisch als auch verfahrenstechnisch absolut exakt. Und weil der Verbrauch im Motor in einem festen Verhältnis zu CO2-Emission steht, sollte man Fahrzeugen mit Normverbrauch unter drei Litern die Steuer erlassen. Anstatt solche einfache Lösungen zu prüfen, wird eine Automobilindustrie vom Staat unterstützt, die sich noch vor zwei Jahren mit Rekordgewinnen so gebrüstet hat, dass sie die Entwicklung zukunftsfähiger Fahrzeuge schlichtweg vergessen hat. Wo ist denn das viele Geld geblieben?
Und wer hat denn in Berlin diese idiotische Abwrackvergütung aus Steuergeldern zu verantworten, die Arbeitsplätze bei Daihatsu oder Kia sichert? Und warum lassen sich die Politiker die Idee des Elektroautos aufschwatzen, das infolge der mehrfachen Energieumwandlung von Kohle in Strom ökologischer und ökonomischer Blödsinn ist?
Winfried Vogt
Aalen
Eine Weißwurst darf niemals in der Mikrowelle zubereitet werden (Streiflicht, 20. Januar). Da platzt sie unweigerlich und versaut nicht nur den Kleinofen, sondern auch noch den Geschmack. Die Weißwurst ist so ziemlich das Sensibelste, was München zu bieten hat. Leider wird jeden Tag tausendfach ihre zarte Seele misshandelt. Zu heiß und zu lange gebadet, hat noch niemandem gut getan. Zu kalt serviert auch nicht.
Dr. Werner Siegert
Stockdorf
Es herrscht Krieg auf der Skipiste, da hat Titus Arnu Recht ("Bissig, präzise, brutal", 20. Januar). Die Werbung bedient sich wahrlich brutaler Sprache und es muss nicht wundern, wenn sich so manches Möchtegern-Ski-As auf der Piste dann auch so benimmt, nämlich brutal! Allerdings kamen mir ähnliche Gedanken, als ich im Sportteil der SZ das Foto einer Skirennläuferin sah. Kommen da nicht auch brutale und aggressive Assoziationen auf? Da hilft dann technische Aufrüstung mit Sturzhelm, Rückenprotektor, Schienbeinschutz auch nicht mehr - im Gegenteil: Sie fördert vielmehr Leichtsinn und Brutalität bei weniger routinierten Skifahrern auf bevölkerten Pisten. Ist das Sport? Gleiches gilt übrigens auch für andere "sportliche Betätigungen" wie dem Motorradfahren. Müssen denn wirklich "Vorbilder" gezeigt werden, die in fast waagrechter Lage mit den Knien scheinbar über den Asphalt schrammen?
Heidi Zeltner
Steinebach
Das bayerische Rauchverbot war weder streng noch konsequent ("Neue Rauchzeichen", 20. Januar). Konsequent wäre einzig und allein eine Richtlinienkompetenzentscheidung durch die Bundeskanzlerin, eine Chefsache Nichtraucherschutz, welche alle Bürger beim Schutz vor Berauchung gleichgestellt hätte. Es gibt keinen unteren Schwellenwert für die Gefährlichkeit von Tabakabgasen, darauf sollte man alle die Bürger hinweisen, welche weiterhin an ihren Arbeitsstätten beraucht werden. Es geht doch gar nicht darum, jemandem das Rauchen zu verbieten, sondern Menschen vor Belästigung, Krankheit und Tod zu bewahren. Es ist ein Trauerspiel, dass die CSU und andere Politiker nicht die Courage haben, eine bundeseinheitliche Lösung, und damit Einheit und Gleichheit beim Arbeitsschutz zu fordern.
Clas Hillebrand
Meerbusch
Das Management des Chipherstellers hat Jahre lang konzeptlos viel zu teuer produziert und sich mit den Fördermittel von der Europäischen Gemeinschaft und dem Land Sachsen dem Wettbewerb auf dem Weltmarkt fern gehalten ("Qimonda braucht noch mehr Geld", 23. Januar). Im internationalen Wettbewerb für Chiphersteller sind aber die Preise aufgrund der weltweiten Überproduktion derart unter Druck geraten, dass die Qimonda- Produkte seit Jahren zu teuer waren und es keine Nachfrage mehr nach den Chips aus Sachsen gab. Da helfen in Zukunft auch keine weiteren Steuergelder. Die Dummen dieser Managementfehler sind mal wieder die 4600 Qimonda-Mitarbeiter, die die Fehler der Politik und des Managements ausbaden müssen. Über Auffanggesellschaften und Umschulungsmaßnahmen landen sie in wenigen Monaten in der Arbeitslosigkeit und werden zu Hartz-IV-Empfängern.
Albert Alten
Wernigerode
"Weib, macht mir die Palmen nicht verhasst, worunter ich so gerne wandle." Diese Äußerung des Tempelherrn gegenüber Daja in Lessings "Nathan der Weise" schießt mir häufig durch den Kopf, wenn ich eine Kritik von Rainer Brembeck über ein Konzert von Mariss Jansons lese, zuletzt "Zartheit und Gemetzel" (19. Januar). Bereits mehrmals vermisste Herr Brembeck bei Jansons eine Metaebene. Wie aber kommt er zu der Annahme, dass Jansons das Frühlingsopfer als das Opfer einer totalitäre Macht interpretiert - etwa aus der Tatsache heraus, dass Jansons in der Sowjetunion aufgewachsen ist? Man hat den Eindruck, dass der frenetische Beifall für Mariss Jansons Herrn Brembeck suspekt ist, und er das Urteil der - in seinen Augen - unwissenden Zuhörer mit seinen musikwissenschaftlichen Kenntnissen auf den richtigen ( seinen) Pfad der Interpretation bringen wolle.
Eleonore Schecker
München
Ob ein Auto viel verbraucht und wenig fährt oder wenig verbraucht und viel fährt, ist für das Klima letztlich egal. Entscheidend ist der gesamte Kohlendioxid-Ausstoß übers Jahr gesehen. Foto: ddp
Das Sensibelste, was München zu bieten hat: Weißwürste. Foto: AP
DIE BESTEN BLOGS ZU Obamas erster Woche
Seit seinem Amtsantritt als 44. Präsident der USA am 20. Januar hat Barack Obama bereits tiefgreifende Kursänderungen in der amerikanischen Politik vorgenommen. Die eingeleiteten Reformen und die Grundlinien, die Obama in seiner Antrittsrede deutlich gemacht hat, kommentieren Autoren zahlreicher Blogs.
Für seine Exekutiv-Order, das Gefängnis Guantanamo auf Kuba zu schließen, hat Barack Obama weltweit Zustimmung geerntet. Aber nicht nur: Brandt Goldstein, Gastprofessor an der New York Law School, kritisiert in seinem Blog der Huffington Post (www.huffingtonpost.com/brandt-goldstein), dass Obama in der Art und Weise, wie er das Lager schließen will, einen Fehler begehe: "Obama müsste jetzt gemeinsam mit dem Kongress ein Gesetz erarbeiten, das verbietet, Guantanamo jemals wieder als Gefängnis zu benutzen. Das Problem der Exekutivorder ist, dass sie geändert werden kann - ganz leicht. ... Die Geschichte ist uns da eine Warnung. Guantanamo war schon früher ein Gefängnis, in den frühen 1990er-Jahren. Der erste Präsident Bush benutzte es, um 300 unschuldige haitianische Aktivisten dort einzusperren, die nach einem Militärputsch ihre Heimat verlassen mussten. ... Es ist höchste Zeit Lager wie Guantanamo abzuschaffen. Eine Exekutivorder reicht dazu nicht aus."
Dick Morrisfragt sich vor allem, wie die Ära Obama die USA selbst verändern wird. Er prognostiziert einen harten Schnitt, einen echten Paradigmenwechsel. Auf thehill.com/dick-morris titelt er: "Die Obama-Präsidentschaft: Hier kommt der Sozialismus". Morris sieht folgende Entwicklung: "Vereinfacht gesagt, wir beginnen die Regierungszeit als unternehmerzentriertes, marktdominiertes Laissez-faire-Amerika. Schon bald werden wir wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien oder Schweden sein - eine Sozialdemokratie, in der die Regierung die Wirtschaft dominiert, auf dem privaten Sektor die Prioritäten vorgibt und eine große Bandbreite von Dienstleistungen für viel mehr Menschen zu weit höheren Steuersätzen anbieten wird."
An seinem zweiten Tag im Amt legte Barack Obama großen Wert auf Gespräche mit den führenden Politikern im nahen Osten. Auf Realclearpolitics kommentiert Tom Bevan (realclearpolitics.blogs.time.com/2009/01/21/obama-dials-up-middle-east): "Offenbar geht Präsident Obama unvoreingenommen an den Nahost-Konflikt heran, und es ist klar, dass er Amerikas Engagement im Friedensprozess Priorität einräumen will. Was aber nicht klar ist, ist die Frage, ob er wohlmeinenden Gesprächen konkrete Handlungen folgen lassen und dabei helfen kann, eine Lösung für ein unlösbar scheinendes Problem zu finden."
Auch deutsche Blogger äußern sich über die neue Obama-Administration. Klaus Eck sieht auf seiner Seite PR-Blogger (klauseck.typepad.com/prblogger) eine neue Transparenz, die das Web 2.0 auf die Politik übertrage: "Barack Obama macht deutlich, was man von einer Regierungspolitik 2.0 erwarten kann und sollte. Sie nimmt die Bürger ernst und gibt ihnen Möglichkeiten der direkten Artikulation - online wie offline. Außerdem verpflichtet sich die neugewählte Regierung der Vereinigten Staaten auf mehr Transparenz und Partizipation. Sie nutzt dazu nicht nur die Medien auf brillante Art und Weise, sondern schafft selbst durch ihre Politik 2.0 die Voraussetzungen dafür, indem die US-Regierung selbst als Medium agiert und ihre Ansicht via Blogs, Twitter, Flickr- und Video-Kanäle der Welt unmittelbar mitteilt."
Zusammengestellt von Katja Riedel
UNTERWEGS
Mit dem Guten in der Welt ist es so eine Sache. Dass es am Ende wie ein Naturgesetz alles Böse besiegt, wie Mutter immer behauptet hat, half zwar beim Einschlafen. Aber heute glauben das nicht mal mehr aufgeweckte Vierjährige. Die fragen höchstens nach, warum es dann überhaupt noch Polizisten gibt.
Nein, nein, ein Leben voller Höhen und Tiefen hat uns gelehrt, dass an der These vom Menschen als des Menschen Wolf womöglich doch mehr dran ist, als man gerne zugibt. Also wurde zum Beispiel die Straßenverkehrsordnung erfunden. Auf dass jeder in Frieden dahinfahren soll, dass keiner ihn schneidet, anhupt oder ihm sonst wie Schaden zufügt. Nicht mal den Mittelfinger soll man ihm zeigen und wenn er noch so blöd herumkutschiert. Und wenn doch, dann spricht der Jurist von Ordnungswidrigkeit und für den Lenker wird's teuer. Ganz besonders vom 1. Februar an. Schon bisher hat das "Bußgeld im Punktebereich", wie der ADAC zusammengerechnet hat, mehr als 250 Millionen Euro jedes Jahr in die öffentlichen Kassen gespült. Bald werden es noch viel mehr sein. Allein, dass permanentes Linksfahren jetzt mit 80 statt bisher 40 Euro geahndet wird, könnte die Geldsorgen der öffentlichen Hand vermutlich für immer lösen. So voll, wie die Überholspuren sind. Wenn man den Zaster halt nur eintreiben würde. Und so weiter: Schnellfahren wird bis zu 680 Euro kosten, Drängeln 400. Von Fahrverboten, die in unserer mobilen Gesellschaft praktisch dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte entsprechen, gar nicht zu reden.
Deutschland 2009, das Land, in dem die Hecken blitzen. Schon heute gehört ja in jeden guten deutschen Haushalt unbedingt ein Bußgeldkatalog. Weil immer doller kontrolliert wird, an jeder Ecke steht inzwischen einer - blitzt, misst, fotografiert. Und die Sache wirkt. Kaum sieht man noch einen lustvoll dahinrasen wie einst, und wenn doch, dann sitzt er meist in einem kleinen Auto. Als wolle der Fahrer den anderen zurufen: "Seht her, ich hab zwar ein kleines Auto, aber ich kann damit auch so ein riesengroßes Bußgeld kassieren, wie ihr." Die mit den großen Autos, die meist schon viele Punkte in Flensburg haben, schütteln dann verwundert den Kopf wie Eltern, deren Sprösslinge gerade mit großem Juchhe in eine ganz tiefe, ganz schmutzige Pfütze gehüpft sind.
Ob das alles gerecht ist? Klar ist Rasen gefährlich. Aber wer kassiert
eigentlich den Stinkstiefel ab, der mit seiner Karre, die kaum länger ist
als ein Fahrrad, gleich drei Parkplätze vorm Haus auf einmal blockiert?
Eben.
Mit Rüttelstreifen gegen das Einschlafen
Gefräste Streifen am Rand von Autobahnen können die Zahl übermüdungsbedingter Verkehrsunfälle deutlich reduzieren - das zeigt ein Pilotprojekt der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt). In dem dreijährigen Feldversuch an der A 24 in Brandenburg sank die Zahl der Unfälle, in deren Verlauf ein Fahrzeug nach rechts von der Fahrbahn abkam, um 43 Prozent; die Zahl der Unfälle mit Getöteten und Schwerverletzten sank um 15 Prozent.
Die Rüttelsteifen sind 13 Millimeter tief rechts der Fahrbahnrandmarkierung in den Asphalt eingefräst. Werden sie überfahren, spürt und hört der Autofahrer, dass er von der Spur abkommt - das gilt auch für Brummi-Fahrer, die wegen Übermüdung am Steuer als besonders gefährdet gelten. So ist innerhalb der Testreihe allein bei den Lkw-Unfällen ein Rückgang um 40 Prozent zu verzeichnen.
Ebenfalls positiv ist die Kosten-Nutzen-Bilanz. Der 35 Kilometer lange
Teststreifen kostete zirka 170 000 Euro; durch die geringere Zahl verletzter
Personen auf diesem Autobahnabschnitt reduzierte sich der volkswirtschaftliche
Schaden aber um 690 000 Euro pro Jahr.
Mit Volldampf vor Anker
Wegen weltweit sinkender Frachtaufträge müssen immer mehr Containerschiffe stillgelegt werden / Auch die Charterraten gehen dramatisch zurück
Die weltweite Wirtschaftskrise schlägt nun auch in der Handelsschifffahrt Wellen. Immer mehr Seeschiffe werden stillgelegt, der Verkehr in den Seehäfen lässt spürbar nach. So kletterte zum Beispiel in Hamburg die Zahl der arbeitslos im Hafen liegenden Schiffe - Auflieger genannt - seit Oktober rasant: Mehr als 20 Containerfrachter sind es derzeit nach Angaben des zuständigen Oberhafenamtes, davon 15 "für längere Zeit". Überwiegend handelt es sich bei diesen Frachtern um sogenannte Feederschiffe, die in den Großhäfen Container von den Überseeschiffen übernehmen und dann durch den Nord-Ostsee-Kanal nach Osteuropa oder Skandinavien bringen. "In Folge der Krise hat das Ladungsvolumen zum Jahresende rapide abgenommen", klagt Jann Petersen von der Schiffsmaklerei United Canal Agency. Das trifft auch die gebührenpflichtigen Kanäle. So sank im Nord-Ostsee-Kanal die Zahl der Passagen im Januar auf 40 bis 60 Schiffe pro Tag; noch im Herbst waren es täglich mehr als 100 Schiffe. Ähnlich ist die Situation im Suez- und Panamakanal.
Dem Einbruch bei den Warenströmen folgt konsequenterweise der Verfall der Fracht- und Charterraten. Wurden vor einem Jahr für ein Containerschiff mit 1600 Containerstellplätzen (TEU) noch 15 000 Dollar Tagescharter bezahlt, so sind es heute gerade mal 6000 Dollar. Verschärft wird die Situation zusätzlich durch die vielen Neubauten, die bereits vor zwei und drei Jahren bestellt worden waren. Nach einer aktuellen Übersicht des britischen Branchendienstes AXS
Alphaliner haben allein die 20 größten Containerlinien noch 645 neue Schiffe im Zulauf. Die beiden Branchenführer Maersk Line und Mediterranean Shipping Company (MSC) haben zusammen 123 Schiffe mit einer Gesamtkapazität von mehr als einer Million TEU geordert. Weltweit sind derzeit 6058 Containerschiffe unterwegs, die zusammen Platz für mehr als 13 Millionen TEU haben. Und mehr als 200 Containerschiffe liegen inzwischen weltweit auf.
Die für die Seeschifffahrt dramatische Entwicklung war vor kurzem Anlass für den in Hamburg ansässigen Germanischen Lloyd (GL), in seiner Funktion als Schiffs-TÜV einen Leitfaden für Reeder herauszugeben. Der GL gibt darin Tipps für die richtige Wartung der aufliegenden Schiffe; so soll verhindert werden, dass die Technik an Bord während der oft wochen- und monatelangen Wartezeit Schaden nimmt. Und die sinkenden Frachtraten führen noch zu einem weiteren Problem: Mittlerweile fahren sogar nagelneue Containerschiffe nach dem Stapellauf direkt von der Werft in die Arbeitslosigkeit. Statt dringend notwendiger Chartererlöse fallen dann neben den Finanzierungs- und Betriebskosten täglich Liegeplatzgebühren von rund 140 Euro an.
Diese Situation weckt bei vielen älteren Seeleuten Erinnerungen an das Jahr
1975. Damals starteten Großtanker wie die Wilhelmine Essberger von der
Werft HDW zur Jungfernfahrt. Diese führte das Schiff aber nicht zu den
arabischen Ölterminals, sondern auf direktem Kurs in die beschauliche
Geltinger Bucht am Eingang zur Flensburger Förde. "Unsere Lotsen haben
die Tanker dorthin gebracht; dann lagen die Schiffe dort jahrelang untätig
vor Anker", erinnert sich der ehemalige Lotse Klaus Firnhaber von der
Brüderschaft NOK II aus Kiel. Die Geltinger Bucht steht jedoch im Jahr 2009
für Containerschiffe nicht mehr als Ankerplatz zur Verfügung -
die Bucht ist heute Gebiet der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, was die
Verankerung großer Schiffe verbietet.
Warten auf Arbeit: Weil Aufträge fehlen, liegen viele Containerschiffe oft für Wochen fest. Allein im Hamburger Hafen sind es mehr als 20 Schiffe. Foto: fbe
Der Diskussions-Bahnhof
Nach 20 Jahren Planung, Verzögerungen und Protesten soll die unterirische Station "Stuttgart 21" jetzt gebaut werden
Das, was in der Realität viele Jahre brauchen wird, dauert hier nicht einmal fünf Minuten. Gräben tun sich auf, Schienen wandern, Bäume verschwinden - und plötzlich ist alles untertunnelt. Das geht schön geräuschlos auf Computeranimationen und Modellen im Turm des Stuttgarter Bahnhofes, wo auf vier Ebenen gezeigt wird, wie das alles einmal aussehen soll: Stuttgart 21, der unterirdische Bahnhof und die Schnellbahnstrecke nach Ulm. Und es sieht gut aus auf den Modellen, die Stadt verwandelt sich in wenigen Minuten, es macht ein paar Mal "pft, pft", die Ebenen des Modells verschieben sich durch Pressluft. Ansonsten macht die Verwandlung keinen Lärm und keinen Dreck und es ist auch niemand da, der gegen das Milliardenprojekt Einspruch erheben würde. Es ist nämlich gar niemand da im Turm des Stuttgarter Bahnhofes an diesem Nachmittag, der sich anschauen will, wie dramatisch die Stadt sich in den nächsten Jahren verändern wird. Die Stadt wird danach nicht mehr dieselbe seien. Das ist der Plan.
Die Stuttgarter strömen wahrscheinlich auch deshalb nicht in die Ausstellung im Bahnhofsturm, weil in der Stadt eine gewisse Stuttgart-21-Müdigkeit herrscht. Es wird schließlich schon so lange darüber geredet und diskutiert, zwei Jahrzehnte, dass kaum noch jemand glaubte, dass es tatsächlich einmal passieren wird. Das wird es aber, in diesen Tagen wollen die Bundesregierung, die Bahn, das Land Baden-Württemberg und die betroffenen Städte die Verträge über das Projekt unterschreiben, das mindestens 5,1 Milliarden Euro kosten soll. Vor 20 Jahren, als die ersten Pläne gemacht wurden, dachten manche noch, es werde die ganze Sache vielleicht umsonst geben. Es war eine revolutionäre Idee und eine recht einfache dazu: Die Bahnhöfe in besten Innenstadtlagen werden unter die Erde verlegt, die überirdischen Gleise werden entsorgt und die frei werdenen Flächen an Investoren verkauft, was wiederum den unterirdischen Bahnhofsbau finanziert. Und alle sind glücklich. Viele Städte zeigten sich interessiert, es gab Überlegungen zu München 21, Frankfurt 21 und eben die Pläne in Stuttgart, die als einzige übrig blieben, weil es den anderen zu teuer war. Zwei Jahrzehnte debattierte man in Stuttgart und rechnete und machte Probebohrungen. Mehrere hundert Millionen Euro wurden bereits ausgegeben, die dann schließlich auch zu einem Argument für den Bahnhof wurden, da sie sonst verloren seien.
Im Jahr 2010 soll es nun wirklich losgehen. Es wird eine logistische Großtat werden. Der Stuttgarter Bahnhof soll bei laufendem Betrieb unter die Erde gelegt werden, 33 Kilometer Tunnel müssen allein im Stadtgebiet gegraben werden. Der neue Bahnhof liegt quer zur derzeitigen Fahrtrichtung. Aus dem Sackbahnhof wird eine Durchgangsstation mit nur noch acht anstatt 16 Gleisen. Die Züge werden von etwa 2018 an nicht mehr durch das Neckartal in Richtung Ulm fahren, sondern über den Stuttgarter Flughafen und ab Wendlingen über eine neue Hochgeschwindigkeitsstrecke, die entlang der Autobahn A 8 verlaufen wird. Die Fahrtzeit von Stuttgart nach Ulm wird sich im ICE von 54 Minuten auf 28 fast halbieren. Dazu müssen 28 Brücken und 24 Tunnel gebaut werden. Letztere mit 60 Kilometer Länge. Bisher mussten die ICE-Züge mit 80 km/h die Schwäbische Alb hinaufschleichen - untragbar für ein Land wie Baden-Württemberg, fand nicht nur Ministerpräsident Günther Oettinger, der das Projekt Stuttgart 21 nach langen Stillstand wieder vorantrieb.
In Stuttgart selbst herrscht seitdem die Sorge, dass die gutbürgerliche Ruhe in der Stadt erheblich gestört werden könnte, dass der Mercedes beim Einkaufsbummel stark verschmutzen könnte. Insgesamt 2400 Lastwagenfahrten soll es zu Spitzenzeiten auf der Baustelle geben, die Bahn will sie aber zu einem großen Teil innerhalb der Baustelle abwickeln. Schutt und Baumaterial sollen mit Zügen gebracht und abgeholt werden. Auch die Zugreisenden werden die Umbauten sehr bald nach Baubeginn spüren. Denn die Gleise des bisherigen Hauptbahnhofs werden 2011 um etwa 120 Meter nach hinten verlegt; zwischen der alten Bahnhofshalle und den Gleisen wird die Grube für die neue Strecke ausgehoben, die Bahngäste werden von Brücken aus in die Tiefe schauen können.
Die Gegner des Bahnhofes, von denen es nicht wenige gibt, halten das ganze Projekt für größenwahnsinnig und sind empört, dass für Stuttgart 21 der bisherige Bahnhof teilweise abgerissen wird. Damit werde ein Baudenkmal zerstört, protestierten auch renommierte Architekten. Die Frage aber ist, ob diese Architekten den bisherigen Stuttgarter Bahnhof auch tatsächlich einmal selbst gesehen haben; auch vielen Reisenden war bisher nicht bewusst, dass es sich um eine einzigartige Schönheit handelt. Innen ist er matschbraun angestrichen, alles ist schon in die Jahre gekommen, der Boden teilweise aus Teer und recht brüchig. Über den Gleisen hängen seltsame Glaskonstruktionen, die wohl vor Kälte schützen sollten, was aber nie gelingt - Stuttgart ist wohl Deutschlands kältester Großstadtbahnhof. Von dem bisherigen Bahnhof, dem von 1914 an errichteten Bonatzbau, werden nur die Seitenflügel abgerissen, die bisher keine öffentliche Nutzung haben. In Stuttgart selbst wird ihnen kaum einer nachweinen. Die große Schalterhalle wird auch künftig ein Eingang der unterirdischen Station sein. Und zumindest nicht hässlicher als bisher. Dort wo heutzutage die Züge hinausfahren, sollen Restaurants entstehen.
Der Entwurf für den ersten unterirdischen Bahnhof Deutschlands stammt vom Büro Ingenhoven, Overdiek und Partner. 1997 gewannen die Düsseldorfer den Wettbewerb - und warten seitdem darauf, dass es losgeht. Sie haben einen Bahnhof entworfen, der unter der Erde liegt und dennoch Licht von oben bekommt. Die Ebene, in der künftig die Züge halten, hat der Statiker Frei Otto mit futuristischen Hängekonstruktionen gestaltet, die in oberirdische Lichtaugen übergehen. Man sieht raus und kann reinschauen. So war der Plan. Sicher ist aber auch der nicht. Die Stadt Stuttgart setzte vor einigen Monaten eine Arbeitsgruppe ein, um nochmals über den Siegerentwurf nachzudenken. Und Bahnchef Hartmut Mehdorn sagte in Stuttgart vor einigen Monaten, er könne auch nicht sagen, wie Stuttgart 21 endgültig aussehen würde. Der Verdacht liegt nahe, dass es sich in Wahrheit nicht um einen Durchgangsbahnhof, sondern um einen Diskussionsbahnhof handelt. Es ist wenig übriggeblieben von dem Schwung der Idee, von der Begeisterung erster Entwürfe. Dabei ist es für Stuttgart eine große Sache.
Stuttgart liegt in einem Kessel und könnte ohne Stuttgart 21 nicht mehr wachsen. In der Innenstadt wurde nach dem Krieg nochmal mehr an alter Bausubstanz zerstört, als durch die Bomben kaputtging. Straßen waren damals wichtiger als Orte, an denen man sich gerne aufhält. Durch die Verlegung der Gleise unter die Erde wird eine Freifläche von 100 Hektar entstehen, eine neue Innenstadt. Auf der Fläche sollen Büros und Läden entstehen für etwa 22 000 Menschen und Wohnungen für 12 000 - das alles mit Blick auf den Stadtpark, der noch einmal um 20 Hektar größer wird. Es soll ein lebendiger Stadtteil werden ohne riesige Straßen, die die übrige Innenstadt Stuttgarts zerschneiden. Vor einigen Wochen gab es den ersten Spatenstich, für die Bibliothek 21 des koreanischen Architekten Eun Young Yi.
Bevor die Bauarbeiten an Stuttgart 21 aber richtig beginnen, wollen Stadt und
Bahn nochmal laut für das Projekt und um die Gunst der Bürger werben.
Dafür soll in der Innenstadt ein Pavillon aufgestellt werden, der nicht so
versteckt ist wie die Ausstellung im Bahnhofsturm. Und prompt gibt es wieder
Streit um den Standort.
Schöne neue Welt: Bis zum Jahr 2018 soll das Mammutprojekt Stuttgart 21 fertig sein (oben). Dann werden die Züge mitten in Stuttgart unter der Erde halten; darüber sollen Wohnungen für 12 000 Menschen entstehen, dazu Büros und Geschäfte (links). Gläserne Kuppeln und Durchbrüche in der Betondecke des neuen Bahnhofes sollen für angenehmes Tageslicht sorgen (unten). Abbildungen: DB Projektbau
INHALT
Der gezähmte Saurier
Mit Hybrid-Antrieb verbraucht der Mercedes ML 450 nur noch 7,7 Liter. Joachim Becker schildert die technischen Details des SUVs. Seite 36
Playmobil für Große
Der neue Citroën C3 Picasso - eine pfiffige Mischung aus Kombi, Van und Kinderwagen. Oskar Weber urteilt: "Praktisch wie eine Plastiktüte". Seite 36
Ein Leben für ein Brett
Jake Burton ist für Snowboarder Kult - er ist einer der Erfinder der schnellen Bretter. Thomas Becker sprach mit dem Lord of the Board. Seite 37
Gegen den weißen Tod
Wer einen Verschütteten aus einer Lawine retten will, braucht die richtige Ausrüstung. Birgit Lutz-Temsch rät, was unbedingt ins Gepäck muss. Seite 37
Abschied vom Pixelwahn
Die Hersteller digitaler Kameras protzen nicht mehr mit Bildpunkten, sondern setzen auf neue Fähigkeiten. Helmut Martin-Jung berichtet. Seite 38
KURZ GEFAHREN
Erfrischend normal
Der neue Honda Jazz 1.4 bietet viel Platz und einen sparsamen Motor
Honda Jazz: 1.4: 73 kW (100 PS); max. Drehmoment: 127 Nm bei 4800/min; 0-100 km/h: 11,4 s; Vmax: 182 km/h; Testverbrauch: 7,0 l Super; (lt. Werk: 5,4 l; CO2: 128 g/km); Euro 4; Grundpreis: 15 950 Euro.
Es ist erfreulich, wieder einmal auf einen Kleinwagen zu treffen, der einfach normal ist - ohne Lifestyle-Getöse und hochtrabenden Designer-Ehrgeiz. Der Honda Jazz ist so einer. Die großen Glasflächen machen den Viertürer übersichtlich, im Innenraum gibt's trotz 3,90 Meter Außenlänge viel Platz für Kopf und Beine - auch hinten - und das Armaturenbrett ist schlicht und klar.
Echte Nehmerqualitäten hat der Kofferraum. Wenige mühelose Handgriffe schaffen eine glatte Fläche, samt einem Unterfach direkt hinter der Klappe sind es maximal beachtliche 1396 Liter Volumen. Allerdings ist die Aufhängung der Abdeckung billiger Fummelkram, als hätte man alte Büroklammern neu gebogen, um die Befestigungskordeln dort einhängen zu können. Das geht netter. Wie auch das Fahrwerk. Es ist deutlich zu hart, der Jazz hüpft über Bodenwellen wie ein Springbock auf der Flucht.
Unter der kurzen Haube arbeitet ein 1,4-Liter-Benziner, der deutlich Drehzahl braucht, um die 100 PS zu mobilisieren. Deshalb geht die angezeigte Schaltempfehlung auch allzu oft ins Leere. Auf der Suche nach Vortrieb wartet man mit dem Gangwechsel lieber noch etwas. Außerdem wünscht man sich sowieso einen sechsten Gang zur Entspannung von Motor und Fahrer. Trotzdem pendelt sich der Jazz 1.4 bei sieben Liter Praxisverbrauch ein - gut so, zumal auch noch weniger möglich ist.
Positiv ist der Preis von 15 950 Euro: Dafür gibt es viel Platz, einen
sparsamen Motor und vor allem ESP serienmäßig - für
Kleinwagen heute immer noch keine Selbstverständlichkeit. Ein klarer
Bonuspunkt für den Jazz.
Playmobil für Fortgeschrittene
Mit dem C3 Picasso bringt Citroën eine pfiffige Mischung aus Kombi, Van und Kinderwagen
Kind und Kegel - noch vor wenigen Jahren war der Abschied von der familienpolitischen Abstinenz gleichbedeutend mit dem Absturz ins automobile Spießertum. Wer abgebrüht genug war, fand sich gleich in einem Kombi wieder. Wer aber zunächst nicht hören wollte, musste bald darauf fühlen, wie ungeeignet jede andere Autospezies für den Transport der kleinen Kameraden und ihrer umfangreichen Ausrüstung ist.
Vergeben, vergessen. Heutzutage ist die Welt ganz gewiss nicht runder, aber bunter ist sie schon. Nach den Minivans und den Hochdachkombis mit dem Lieferwägelchencharme zündet das Diversifizierungsprogramm für Platz-ist-in-der-kleinsten-Hütte-Architektur jetzt eine weitere Stufe.
Das kann man grundsätzlich nur begrüßen. Denn die fahrenden Kisten mit den frechen Formen zeigen dem trägen Van und dem trübe aus der Wäsche guckenden Hochdachkombi gleichermaßen, dass Praxistauglichkeit nicht Langeweile heißen muss. Die Rede ist von Autos wie dem Citroën C3 Picasso. Von Autos, die uns Ältere ein bisschen neidisch auf die Jungen machen. Von Autos also, die praktisch, nützlich, wirtschaftlich sind - und trotzdem jung und frisch.
So ein Auto will der Citroën C3 Picasso sein. Der famose Franzose mit dem hochtrabenden Künstlernamen ist einer der ersten Protagonisten dieser Evolution: verspielt im Stil, aber konsequent in der Funktion. Soll heißen: Die Fuhre mit dem frechen Stupsnasengesicht, den runden Kanten und den hübschen Karosserieapplikationen bietet sehr viel Platz bei sehr kompakten Außenmaßen und das zu vergleichsweise moderaten Preisen. Betonung auf vergleichsweise, doch dazu später noch ein kleines Rechenexempel. Zunächst einmal: Der in der Slowakei produzierte C3 Picasso ist ein echtes Raumwunder, das auf einer Grundfläche von 4,08 Meter mal 1,77 Meter fünf bequeme Plätze, eine klapp- und verschiebbare Rückbank und einen riesigen Gepäckraum (500 bis 1500 Liter Ladevolumen) unterbringt.
Die Atmosphäre an Bord ist großzügig, der subjektive Platzeindruck für ein Kompaktauto erstaunlich. Die Kopffreiheit schafft Luft nach oben - der Picasso ist mit 1,63 Meter relativ hoch gewachsen -, die weit herumgezogene Panoramawindschutzscheibe weitet den Horizont. Trick der Konstruktion: Zwischen Türrahmen und A-Säulen bleibt links und rechts Platz für zusätzliche Fensterflächen, die den Blick nach seitlich vorn erheblich weiten. Gut für die Aussicht, gut für die Sicherheit.
Die Passagiere fühlen sich wohl im C3 Picasso, der Fahrer hat leichtes Spiel. Bequeme Sitzposition, einfache Bedienung, ausreichend zielsichere elektrische Servolenkung. Das Lenkrad steht allerdings gewöhnungsbedürftig schräg. Und die mittig auf dem Armaturenträger platzierten Instrumente sind immer noch nicht der Weisheit letzter Schluss - fällige Kontrollblicke führen die Augen des Fahrers weg vom Verkehrsgeschehen.
Federung und Dämpfung sind angenehm, Fahrwerk und Bremsen vertrauenserweckend, die Leistung ist ausreichend. Citroën hat seinem Playmobil die neuen Benziner aus der Kooperation mit BMW unter die Haube gepackt: einen 1,4-Liter und einen 1,6-Liter, dazu einen 1,6-Liter-Diesel. Alle drei Triebwerke - ein 90-PS-Selbstzünder folgt 2010 - sorgen für propere Fahrleistungen und moderate Normverbrauchswerte (zwischen 4,9 und 7,0 l/100 km). Moderne Spritspartechnik sucht man allerdings vergeblich im neuen Citroën. Start-Stopp-Automatik, Hybridtechnik? Fehlanzeige.
Zurück zu den Preisen und damit zum versprochenen Rechenexempel. Die Liste beginnt bei vergleichsweise moderaten 14 900 Euro für den 95-PS-Benziner in der Ausstattung Advance. Dieser Basis-Picasso bietet fast alles, was man von einem modernen Auto erwarten darf: Antischleuderschutz ESP, elektrische Fensterheber, Zentralverriegelung mit Fernbedienung. Kopfairbags sind nur in den teureren Ausstattungspaketen enthalten, Klimaanlage und CD-Radio kosten 1390 Euro Aufpreis. Und am anderen Ende der Preisliste wartet der Top-Diesel HDi 110 FAP Exclusive für stramme 21 700 Euro. Für diese Summe hätte die junge Familie vor 35 Jahren beim Citroën-Händler acht (!) Exemplare des Kultautos 2 CV 6 bekommen.
Der C3 Picasso geht in diesen Tagen auch auf dem deutschen Markt an den Start.
Praktisch wie eine Plastiktüte. Optimistisch wie der jugendliche Blick in
die Zukunft. Bunt wie der sprichwörtliche Hund.
Knuffig und frisch: Autos wie der Citroën C3 Picasso machen uns Ältere immer ein bisschen neidisch auf die Jungen. Das kleine Raumwunder bringt auf minimaler Grundfläche fünf Plätze und bis zu 1500 Liter Gepäck unter.
Die Zähmung des Sauriers
Mit Hybrid-Antrieb verbraucht der Mercedes ML 450 nur noch 7,7 Liter / Marktstart im Herbst
Ein Ökoauto stellt man sich irgendwie anders vor. Nicht mit der Stirnfläche einer Schrankwand und gut 2,4 Tonnen Gewicht. Entsprechend massiv ist der Grundsatzstreit, der um Geländewagen mit Elektroantrieb tobt: "Der Vollhybrid, der von Teilen der Autoindustrie gerne als erster Schritt zum Elektroauto gesehen wird, ist eine Fehlentwicklung", mahnt Brigitte Behrens. Fünf-Meter-Schiffe wie der Mercedes ML 450 BlueHybrid könnten nicht länger den technologischen Fortschritt anführen, meint die Hauptgeschäftsführerin von Greenpeace Deutschland. Umweltschützer fordern schon länger einen Paradigmenwechsel hin zu kleineren, leichteren und bescheidener motorisierten Fahrzeugen. Doch ob Kunden freiwillig in die Niederungen eines Kleinwagens absteigen, ist ungewiss. Also vergessen wir vorübergehend die XXL-Abmessungen und konzentrieren uns auf den ökologischen Fußabdruck.
Auf Spurensuche am Ufer des Lake
Michigan: Mercedes hat heimlich einen Prototypen des ML 450 BlueHybrid zur Autoshow nach Detroit mitgebracht. Mitten in Motown parkt ein Hoffnungsträger der Marke vor der Messehalle - und die Fachjournalisten aus aller Welt hasten ahnungslos daran vorbei.
Selten zuvor ist fürs Spritsparen mehr Aufwand getrieben worden: Der Two-Mode-Hybrid schleppt unter dem Kofferraumboden einen großen Batteriepack mit sich herum, der auch rein elektrisches Fahren ermöglicht. Zwei E-Motoren im Getriebetunnel entwickeln 45 kW (61 PS) und erlauben das emissions- und geräuschfreie Gleiten beispielsweise im stockenden Feierabendverkehr. Doch die Nickelmetallhydrid-Akkus sind schnell ausgelaugt, ein Gefährt dieser Masse kommt elektrisch nicht besonders weit. Beim Ampelhüpfen während der ersten Ausfahrt lässt sich auf dem Zentralmonitor verfolgen, wie oft die Batterie wieder geladen werden muss. Der Normverbrauch des stattlichen Offroaders kann sich allerdings sehen lassen: Mit 7,7 Liter auf 100 Kilometer genehmigt sich der Hüne kaum mehr als viele Kompaktwagen. Mehr als 250 Kilo Mehrgewicht für Batterie, Leistungselektronik und E-Maschinen fordern allerdings ihren Tribut. Beim Beschleunigen wartet der Hybrid-Fahrer vergebens auf den Katapulteffekt, der ihn bei einem reinen Elektrofahrzeug wie dem Tesla Roadster in den Sitz drückt. Der doppelt so schwere BlueHybrid wirkt mit einer Systemleistung von 250 kW (340 PS) und 480 Nm Drehmoment keineswegs übermotorisiert. Unter der Haube steckt kein Achtzylinder, sondern der V6 mit 205 kW (279 PS) aus dem ML 350. Die Kraftstoffersparnis gegenüber diesem Otto-Normal-Motor ist mit 3,5 Liter beträchtlich. Zumal die Bremsenergie im Hybrid unmerklich zurückgewonnen wird und die E-Maschinen völlig ruckfrei mit dem Verbrenner zusammenarbeiten: Ohne einen Blick auf den Info-Bildschirm, der die jeweiligen Energieströme anzeigt, würde man die Übergänge zwischen Benzin- und Elektromodus gar nicht spüren.
Um das hohe Niveau der Lexus-Hybride zu übertreffen, haben Mercedes, BMW und General Motors beim Two Mode an nichts gespart. Die Elektromotoren können als CVT-Getriebe jeweils den effizientesten Betriebspunkt ansteuern, alternativ sorgen feste Gangstufen beim Anfahren im Anhängerbetrieb für die nötige Zugkraft. Auch auf der Autobahn garantiert der direkte Durchtrieb zwischen Motor und Rädern eine optimale Leistungsausbeute. Allerdings ist der Technik-Overkill nicht ganz billig: Der ML 450 BlueHybrid wird zwischen dem ML 350 und ML 500 positioniert, was einen Einstiegspreis von mindestens 62 000 Euro bedeutet. Trotzdem wird Daimler mit dem E-Pionier kaum Profit machen, Experten gehen von Systemkosten für den aufwendigen Assistenzantrieb von rund 10 000 Euro aus. Für Skaleneffekte bei Elektromotoren und Batterien werden die Stückzahlen zunächst zu gering sein: "Es ist extrem frustrierend, dass wir pro Jahr nur 10 000 Stück des Two-Mode-Hybrids verkaufen", sagt James E. Queen, oberster Produktentwickler bei General Motors: "Es war ein großer Fehler von uns, nicht so früh wie Toyota auf die Hybrid-Karte gesetzt zu haben."
Toyota hat mit dem Prius vorgemacht, wie man ein grünes Image einfahren kann, obwohl die Produktpalette insgesamt nicht sonderlich sparsam ist. Für einzelne ökologische Feigenblätter ist aber keine Zeit mehr: Bis 2012 müssen nach Willen des EU-Parlaments 60 Prozent der Neuwagen in Europa 120 g/km CO2 ausstoßen, bis 2015 sollen es 100 Prozent sein. Die Obergrenzen je Hersteller orientieren sich auch am Durchschnittsgewicht der jeweiligen Flotte, sodass Audi, BMW und Daimler einen CO2-Zielwert von 135 g/km bis 138 g/km erreichen müssen. "Wir wollen und können unser Emissionsziel von 136 g/km bereits 2012 schaffen", erklärt Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber. Bis dann werden auch kleinere Motoren elektrifiziert: "Unser neuer Vierzylinder-Benziner mit Direkteinspritzung sowie der neu entwickelte Vierzylinder-Diesel sind schon für die Aufnahme des Hybridmoduls ausgelegt", so Mercedes-Forschungschef Herbert Kohler.
Die Vierzylinder-Hybride für alle Baureihen unterhalb des ML bis zur
Mercedes C-Klasse werden nicht mit dem aufwendigen Two-Mode-System, sondern mit
nur einem Elektromotor ausgerüstet. Als erster Parallel-Hybrid ist der
Mercedes S 400 BlueHybrid mit 15 kW elektrischer Leistung bereits im Sommer
erhältlich. Bis 2012 werden solche elektrischen Assistenzantriebe auch mit
45 und 65 kW Leistung verfügbar sein. Dann kann Daimler den Kunden auch
selbst hergestellte Lithium-Ionen-Akkus anbieten. Vor wenigen Wochen haben sich
die Stuttgarter bei Lit-Tec eingekauft - der einzigen deutschen Firma, die
im weltweiten Wettrennen um die Batterie der Zukunft noch mithält.
Hybrid
Die Kombination eines Verbrennungs- und Elektromotors wird Hybrid - "aus zwei Quellen" - genannt. Beim Bremsen fungiert der E-Motor als Generator und speist eine Hochvoltbatterie; zum Beschleunigen kann diese Energie wieder abgerufen werden. Serielle Hybride wie der Toyota Prius treiben die Vorderräder rein elektrisch an. Bei Parallel-Hybriden fließt die Kraft vom Verbrennungsmotor direkt an die Hinterräder; der E-Motor auf der Kurbelwelle wirkt dabei als Assistenzantrieb.
Die Kraft der drei Herzen: Unter der Haube des Mercedes ML 450 Hybrid steckt ein V6-Benziner vom ML 350. Zu seinen 279 PS kommen noch 61 PS dazu, die von zwei Elektromotoren im Getriebetunnel stammen. Der Hybrid-Mercedes ist allerdings 250 Kilogramm schwerer als sein Normal-Pendant.
MARKEN UND MODELLE
Mindestens 33 900 Euro kostet der neue Ford FocusRS mit 224 kW (305 PS) starkem 2,5-Liter-Fünfzylinder, der den Fronttriebler in 5,9 Sekunden von null auf 100 km/h und maximal aus Tempo 263 beschleunigt. Zur Serienausstattung gehören Recaro-Schalensitze und eine um 40 Millimeter verbreiterte Spur.
Zwei weiß lackierte Sondereditionen bringt VW auf den Markt. Der Eos White Night, der im Sommer startet, hat außer der weißen Karosserie Dach, Kühlergrill und Spiegelkappen in Schwarz. Der Kontrast setzt sich bei den schwarzen Ledersitzen mit hellen Ziernähten fort. Als Antrieb des Cabrios, dessen Preis noch nicht festgelegt ist, dient ein 184 kW (250 PS) starker 3,2-Liter-V6. Rund 50 000 Euro kostet der Scirocco Collectors Edition (Foto), der in Kürze beim Händler steht und mit einem 147 kW (200 PS) starken 2,0-Liter-TSI motorisiert ist. Zur Ausstattung des auf 100 Exemplare limitierten Sondermodells gehören weißer Lack, weiße Ledersitze, 19-Zoll-Alufelgen, Radio-Navi und Xenon-Scheinwerfer.
Alle Varianten des Renault Modus haben nun serienmäßig ESP. Zudem erhielt der Jahrgang 2009 neu sortierte Ausstattungslinien. Die Motorenpalette umfasst drei Benziner und zwei Diesel, die Preise beginnen mit 12 400 Euro.
An Front und Heck modifiziert und in der Länge auf 4,80 Meter gewachsen, bringt Kia jetzt den überarbeiteten Magentis. Die drei zur Auswahl stehenden Motoren erhielten mehr Leistung. Der 2,0-Liter-Benziner (Preis: 22 450 Euro) hat nun 121 kW (164 PS) und soll im Durchschnitt 7,5 Liter verbrauchen. Der V6-Benziner (27 295 Euro) schöpft aus 2,7 Liter Hubraum 142 kW (193 PS), für die 110 kW (150 PS) starke und 24 185 Euro teure 2,0-Liter-Diesel-Version werden 6,0 Liter im Schnitt angegeben.
Schön und stark
Die neue Ducati 1198S kommt serienmäßig mit einer Traktionskontrolle
Ducati 1198S: 125 kW (170 PS); max. Drehmoment: 131 Nm bei 8000/min; Vmax: 280 km/h; Leergewicht: 185 kg; Tankinhalt: 15,5 l; Euro 3; G-Kat; Grundpreis: 21 990 Euro (ohne Nebenkosten).
Mehr Hubraum, mehr Leistung, weniger Gewicht - an dieser Formel orientieren sich bislang die meisten Sportmotorräder. Ducati ist dieses Basis-Credo nicht genug; schließlich bauen die Bologneser Motorräder, in die sich Zweiradfans allein der Optik wegen verlieben können. Und beim Design macht den Italienern so schnell keiner etwas vor.
Die technischen Neuerungen der 1198S verbergen sich vor allem hinter der roten Schale in Form des neuen 90-Grad-Desmo-Twin. Der flüssigkeitsgekühlte Vau legt mit 170 PS und 131 Newtonmeter Drehmoment die Messlatte nicht nur für Zweizylinder schwindelerregend hoch. Zum modifizierten Innenleben mit handtellergroßen Schmiedekolben kommt ein neues Kurbelgehäuse, das durch ein neuartiges Vakuum-Druckgussverfahren allein drei Kilo gegenüber der Vorgängerin einspart. Insgesamt zeigt die Waage 185 Kilo.
Eingebettet ist die Kraftquelle in den typischen Ducati-Gitterrohrrahmen. Ein
hochwertiges Öhlins-Fahrwerkspaket mit einstellbarem Lenkungsdämpfer
und Marchesini-Schmiederäder sorgen dafür, dass das Bike
leichtfüßig ist: Umlegen, Einlenken, Wechselschräglagen gehen
fast spielerisch von der Hand. Darüber hinaus lockt die Neue mit der ersten
serienmäßigen Traktionskontrolle für Sportmotorräder. Weil
nicht jeder die Arbeit der Traktionskontrolle am Kurvenausgang spürt,
signalisieren Leuchtdioden im Cockpit deren Einsatz. Oder man lässt sich
die DTC-Aktivität wie die Motordaten dank USB-Port auf dem Laptop anzeigen
- bei 21 990 Euro für die edle Rote sollte dieses wohl kaum noch ins
Gewicht fallen.
Daten & Preise
VTi 95: 1,4 Liter, 70 kW (95 PS), max. Drehmoment: 136 Nm, 0-100 km/h: 13,9 s, Vmax: 178 km/h, Verbrauch (lt. Werk): 6,8 l, CO2: 157 g/km. Preis: 14 900 Euro. VTi 120: 1,6 Liter, 88 kW (120 PS), max. Drehmoment: 160 Nm, 0-100 km/h: 11,7 s, Vmax: 188 km/h, Verbrauch (lt. Werk): 6,9 l, CO2: 159 g/km, Preis: 18 000 Euro. HDi 110 FAP: 1,6 Liter, 80 kW (109 PS), max. Drehmoment: 245 Nm, 0-100 km/h: 12,4 s, Vmax: 183 km/h, Verbrauch (lt. Werk): 4,9 l, CO2: 130 g/km, Preis: 20 000 Euro.
VERANSTALTUNGEN
Der alpine Weltcup-Nachtslalom gehört mittlerweile zu den Klassikern im Skisport-Kalender - auch wegen der Partys rundherum: Am 27. Januar messen sich die Herren beim Nightrace in Schladming; der erste Durchgang beginnt um 18 Uhr, um 20.45 Uhr der zweite.
Lautes Hundegeheul liegt am 31. Januar und 1. Februar über dem österreichischen Angerberg. Rund 50 Gespanne werden zum zweiten Internationalen Schlittenhunderennen in Tirol erwartet.
Der Air&Style ist wieder zurück in Innsbruck: Nach den Jahren im Münchner Olympiastadion trifft sich die Snowboard-Elite am 31. Januar im Bergisel-Stadion. Das ist zwar schon ausverkauft - aber wer kein Ticket mehr bekommen hat, kann die Snowboarder am 30. Januar bei der Warm-up-Session im Tivoli-Stadion erleben.
GESEHEN & GELESEN
Darauf haben viele Skifahrer gewartet: Die Winterversion der "Bergtouren für Langschläfer" ist da. Endlich muss man nach einer anstrengenden Woche nicht mehr um sechs Uhr am Samstagmorgen aufbrechen, sondern kann sich gemütlich nochmal umdrehen. Denn Michael Pröttel hat nach Touren gesucht, die man auch mittags noch in Angriff nehmen kann - und 25 gefunden. Wobei das mit dem späten Aufstehen bei Skitouren so eine Sache ist: Schließlich fährt man nicht auf präparierten Pisten und will möglichst guten und lawinensicheren Schnee erwischen. Außerdem sollte man im Winter spätestens um 16 Uhr nicht mehr in Kammlagen unterwegs sein, weil Wildtiere diese Plätze dann zur Nahrungssuche brauchen - darauf weist Pröttel ausdrücklich hin.
Die meisten der Strecken sind auch für Anfänger gut zu meistern;
allein schon, weil die maximale Gehzeit unter drei Stunden bleibt und nicht mehr
als 1000 Höhenmeter aufgestiegen werden müssen. Und es hält einen
ja niemand davon ab, diese Touren auch schon um acht Uhr morgens zu beginnen.
Michael Pröttel: Skitouren für Langschläfer in den Bayerischen und Nordtiroler Alpen; J. Berg-Verlag; 96 Seiten; 80 Abbildungen; 14,95 Euro.
Wenn die Zeit läuft
Wer einen Verschütteten lebend aus einer Lawine retten will, braucht vor allem Training - und die richtige Ausrüstung
Die Lawine reißt Werner König mit. Einen Kilometer weit wirft und schleudert sie ihn ins Tal. Als die Schneemassen zum Stillstand kommen, ist über ihm ein Luftloch. Nur deshalb lebt der 29-Jährige noch, als man ihn nach anderthalb Stunden findet, schwer verletzt. Werner König war der schillernde Inhaber einer Münchner Filmhandelsfirma, sein Leben kam im vergangenen Jahr in dem beeindruckenden Film "Lawine" in die Kinos.
König hat Glück gehabt, 1993, in seiner ersten Lawine. Denn das Zeitfenster für eine Rettung ist kurz: Laut Statistik sind nach 18 Minuten zwar noch 91 Prozent der Verschütteten am Leben. Nach einer halben Stunde aber ist jeder Zweite tot. Wer sieht, wie jemand im Schnee untergeht, muss vor allem schnell sein, und er muss wissen, was zu tun ist. Wer zu lange braucht oder sowieso auf die Bergrettung warten muss, wird nur noch einen Toten ausgraben können.
In den Wintern 2005/06 und 2006/07 hat der Deutsche Alpenverein (DAV) unter seinen Mitgliedern 135 Bergnotfälle gezählt, sagt Sprecher Thomas Bucher. In nur 22 Prozent der Notrufe war eine Lawine die Ursache. Doch von den 16 verzeichneten Bergtoten starben 70 Prozent in Lawinen. Der Alpenverein untersucht seit Jahren, mit welcher Ausrüstung und welchem Wissen Skitourengeher in die Berge aufbrechen, um in der Prävention adäquat ansetzen zu können. "Wir haben Tourengeher auf bekannten Routen nach ihrer Sicherheitsausrüstung gefragt - und festgestellt, dass bei weitem nicht alle die Mindestausrüstung dabei haben", sagt Bucher. Dazu zählt: Ein Lawinenverschüttetensuchgerät (LVS), eine Sonde für die Feinsuche und eine Schaufel. Ratsam ist außerdem ein Handy und ein Erste-Hilfe-Set. Wichtig ist, dass das komplette Set mitgenommen wird. Fehlt zum Beispiel nur die Sonde, liegt die Auffindezeit laut Statistik bei 26 Minuten - und damit acht über der Überlebenszeit von 18 Minuten. Ist nur das LVS-Gerät im Gepäck, dauert es statistisch betrachtet sogar 59 Minuten, bis der Verschüttete ausgegraben ist - und der hat dann nur noch geringe Überlebenschancen.
Ziel der Sicherheitsforscher ist aber, dass es so weit erst gar nicht kommt. Um sich im unverspurten Gelände sicher bewegen zu können, braucht es einige Erfahrung. Dazu gehört das Lesen des Lawinenlageberichts, der täglich im Internet veröffentlicht wird. Darin wird eine allgemeine Warnstufe angegeben, kombiniert mit besonderen Gefahrenstellen, die sich je nach Schneefall, Wind, Temperatur und Sonneneinstrahlung im Gelände entwickeln können. An diesem wurde in den vergangenen Jahren einiges optimiert, sagt Stefan Winter, DAV-Sicherheitsexperte. "Wir haben festgestellt, dass viele Tourengeher den Bericht zwar lesen, aber im Gelände nicht richtig anwenden, weil sie sich die Einzelheiten nicht merken - und gerade darin läge der große Nutzen." Deshalb wurde der Lawinenbericht unter anderem um Grafiken und Piktogramme erweitert.
Zusätzlich gibt es einige strategische Instrumente, die schon bei der Tourenplanung helfen sollen: So hat der DAV mit dem Lawinenexperten Martin Engler die Snowcard entwickelt. Basierend auf den Angaben des aktuellen Lawinenberichts, der Hangneigung und Exposition, die man der Landkarte entnehmen kann, zeigt die Snowcard, welche Hänge man besser umgehen sollte. "Wer im unverspurten Gelände unterwegs ist, muss auf jeden Fall gut Karten lesen können", sagt Engler. Außerdem solle man die Suche trainieren, zum Beispiel an einer der Suchstationen wie am Brauneck oder am Nebelhorn. Engler warnt außerdem davor, sich in Sicherheitsfragen auf andere zu verlassen: "Spuren im Schnee hinterherzufahren, ist einer größten Fehler von Tourengehern im Gelände. Es kann sein, dass die alle Glück hatten oder sich die Bedingungen verändert haben. Und ich dann Pech habe."
Werner König sagte nach seinem ersten Lawinenerlebnis, es müsse toll
sein, so zu sterben. Am 12. November 2000 war es so weit.
Strategisch planen: Mit der Snowcard (oben) kann man schon vor der Tour die Gefährlichkeit mancher Hänge berechnen. LVS-Geräte (rechts) senden und empfangen Suchsignale - aber um schnell zu sein, muss ihr Umgang geübt werden. Und ein Erste-Hilfe-Set gehört im Sommer und Winter in jeden Rucksack.
"Kein Shop wollte die Dinger kaufen"
Jake Burton, Mit-Erfinder des Snowboards, über Snurfer, grüne Bretter und Barack Obama
n Jake Burton tropft. Mit Handtuch auf dem nassen Haar steht er im Appartement des modernen Laaxer Hotels RocksResort, ist gerade von der Piste gekommen, wo er Gast seiner eigenen Veranstaltung war: den Burton European Open, dem Treff der weltbesten Snowboarder. Die Talabfahrt nahm der 54-Jährige mit dem bekanntesten Gesicht der Szene: Shaun White. "Very inspiring", sagt er. Jetzt fehlen noch die Socken - aber egal, die Zeit mit dem Lord of the Board ist knapp, da muss es auch barfuß gehen.
SZ: Jake, wie viele Tage haben Sie in dieser Saison schon auf dem Board verbracht?
Jake Burton: 58. Ich zähle immer von Juni an. Das sind die letzten Schneetage bei uns am Mount Washington. Seit dem Jahreswechsel bin ich erst sechs Tage gefahren - in Neuseeland.
SZ: Erinnern Sie sich an Ihren letzten Tag auf Skiern?
Burton: Oh ja. Als ich 1977 die Firma gründete, habe ich bald darauf damit aufgehört. Erst als meine drei Söhne Skifahren lernten, musste ich wieder auf zwei Bretter. Mein Jüngster wollte unbedingt zwischen meinen Beinen fahren, 1992 war das. Ich wollte wissen, wie der Stand beim Ski-Equipment ist, probierte das Neueste vom Neuen aus - es war furchtbar. Ich fühle mich einfach so viel wohler auf dem Snowboard.
SZ: Kein Wunder, Sie befassen sich ja schon eine Weile mit dem Thema.
Burton: Klar. Als ich anfing, gab es den Snurfer. Der war zehn Zentimeter breit, knapp einen Meter lang, hatte keine Bindung, nur dieses Seil da vorne, wie Zügel. Ich wusste gleich: Die Bretter müssen breiter und länger sein und irgendeine Art von Bindung haben. Bevor ich die Firma gründete, habe ich bestimmt hundert Prototypen gebaut, mit 15 oder 20 unterschiedlichen Konstruktionen, mit Fiberglas wie bei Surfbrettern, laminiertem Holz wie beim Skateboard. Ich begann im Dezember 1977 und dachte, noch im selben Winter Snowboards verkaufen zu können - und habe es gerade so für die nächste Saison geschafft.
SZ: Ihre Boards haben erstmal nicht gerade eingeschlagen . . .
Burton: Nein, kein Shop wollte die Dinger kaufen. Mit zwei Verwandten und einem Freund wollte ich 50 Boards am Tag bauen, doch am Ende des ersten Jahres hatten wir gerade mal 300 Bretter verkauft. Wir waren kräftig im Minus; im Sommer musste ich kellnern und Tennisstunden auf Long Island geben, um Geld zu verdienen.
SZ: Warum war es so hart?
Burton: Der Snurfer kostete zehn Dollar, unser Brett fast 90 Dollar. Im zweiten Jahr habe ich mit einem Helfer allein gearbeitet. Ich erinnere mich noch, wie wir unser 700. Board gebaut haben und dachten: Wow! Dabei wollten wir mal 50 am Tag machen. Aber dann haben wir es geschafft, unsere Produktion in jedem Jahr zu verdoppeln - und das 15 Jahre lang. Jedes Jahr doppelt so viel.
SZ: Nach all den Jahren des Verbesserns: Wie nahe an der Perfektion sind die Bretter heute?
Burton: Nicht sehr nahe. Snowboarden ist sehr dreidimensional. Wie Wellenreiten. Reden Sie mal mit Kelly Slater: Eine minimale Veränderung am Brett ändert alles.
SZ: Was muss besser werden?
Burton: Es gibt noch so viele Möglichkeiten. Nicolas Müller zum Beispiel arbeitet für uns an einem grünen Snowboard, am ökologischen Aspekt. Ein Board besteht aus so vielen nicht recyclebaren Materialien: Metall, Fiberglas, Holz, Stahl - das kann anders werden. Wir produzieren derzeit in Österreich, Polen und China - letzterer nicht gerade ein Musterschüler in Sachen Umweltschutz. Auch bei Kleidung und Verpackung forscht unser Green Mountain Project an Verbesserungen. Was die Ökologie angeht, haben wir noch einen langen Weg vor uns.
SZ: Der Snowboardsport lebt auch von spektakulären Events, aber die Sponsoren sind schon seit einiger Zeit ziemlich zurückhaltend geworden. Das Air&Style-Spektakel hatte nach dem Rückzug von Nokia ganz schöne Schwierigkeiten, einen neuen Geldgeber zu finden. Wie wirkt sich die derzeitige Wirtschaftskrise auf Ihr Unternehmen aus?
Burton: Wir sind zum Glück kein börsennotiertes Unternehmen; uns sagt nicht die Wall Street, was wir zu tun oder zu lassen haben. Darüber bin ich schon sehr froh. Generell trifft diese Krise in unserer Branche eher einige kleinere Anbieter; Burton bleibt in den Shops weiterhin präsent.
SZ: 2004 nahmen Sie eine Auszeit, um mit Ihrer Familie zehn Monate lang alle Kontinente zum Snowboarden zu bereisen, immer dem Winter hinterher. Wie war das?
Burton: Wir wollten einerseits unseren Kindern die Welt mit ihren verschiedenen Kulturen zeigen. Und ich wollte nicht mehr so geschäftsmäßig reisen: eine Woche Japan für eine Messe, Neuseeland für zehn Tage. Kaum fühlt man sich irgendwo wohl, muss man weiter. Das macht einen bitter: Mist, jetzt muss ich schon wieder nach Japan. Ich wollte mal länger bleiben, Afrika und Asien anschauen. Ich war vorher noch nie in Australien - und dann einen ganzen Monat lang. Ich war beim Rugby, Snowboarden, hab mich von der Surf-Kultur vereinnahmen lassen. Für die Kids war es phantastisch. Amerikanische Kinder sind so isoliert. Als ich mal ein paar unserer Snowboardfahrer aus Kalifornien zu unserem Europa-Hauptsitz in Innsbruck mitbrachte, stiegen sie aus dem Flieger und sagten: "Hey, die sprechen gar kein Amerikanisch hier!" Der Satz hätte auch von Bush stammen können.
SZ: Haben Sie seinen Abgang gefeiert?
Burton: Oh ja! Wir waren zu Barack Obamas Vereidigung eingeladen. Ich weiß noch, dass wir 2004 auf unserer Weltreise allen anderen immer zuerst klarmachen mussten: Wir sind gegen George Bush! Wir waren gerade im Irak einmarschiert - eine schwierige Zeit, als Amerikaner durch die Welt zu reisen. Als Kerry damals gegen Bush verlor, konnte meine Frau Donna gar nicht mehr aufstehen. Es war furchtbar.
SZ: Ist Obama eigentlich auch ein Snowboarder?
Burton: Nein, aber er ist ein guter Bo-dy-Surfer. Haben Sie die Bilder gesehen? Der ist in richtig große Wellen rein! Auf Hawaii!
SZ: Jake, Sie müssen Obama aufs Snowboard stellen . . .
Burton: Stimmt, das sollten wir tun.
SZ: Sie haben drei Söhne. Wie groß ist deren Interesse am Snowboarden und an der Firma?
Burton: George, Taylor und Timmy sind gute Boarder, gehen lieber ins Gelände statt in die Pipes, sind keine Wettkampf-Typen. Der Mittlere arbeitet in einem Snowboard-Shop und kommt schon mal mit Brettern anderer Firmen heim, der Gauner. Sie alle haben schon mal ein Snowboard gebaut - in der Schule. Aber ich wünsche mir, dass sie offen für vieles sind. Snowboarden hat sicher eine große Zukunft, aber ich möchte meine Jungs nicht bedrängen. Sie sollen viele Möglichkeiten haben. Klar, es ist ein Familienunternehmen, meine Frau Donna leitet die Women's Leadership Initiative. Aber: Was passiert, wenn mein Sohn ein Mädchen aus Wilson, Texas kennenlernt?
Interview: Thomas Becker
Jake Burton
Jake Burton, 54, heißt mit Nachnamen eigentlich Carpenter, was treffenderweise übersetzt Zimmerer heißt. Er stammt aus New York, wuchs auf Long Island auf, schloss ein Wirtschaftsstudium ab und gründete in einer Scheune in Londonderry, Vermont, seine Firma - die heute der weltweit größte Snowboard- und Boardequipment-Hersteller ist. Für das einstige Zwei-Mann-Unternehmen arbeiten mehr als 500 Angestellte in Innsbruck, Australien, Japan und im Stammhaus in den USA.
An der Leine: Mit den Snowboards unserer Tage hatten die ersten Bretter nicht viel zu tun - in den siebziger Jahren fuhr man noch mit Zügel (oben), wie ein Foto aus dem Privatfundus von Jake Burton (links) zeigt.
24 STUNDEN MIT . . .
. . . dem Wurfzelt 2 seconds
Es war vor ein paar Jahren in einem Olivenhain am Gardasee, stockdunkle Julinacht, gerade hatte sich mal wieder eine Glasfaserstange im kniehohen Gras verabschiedet. So ein Zelt ist was Herrliches, wenn man erst mal drinliegt; bis dahin ist es die Pest. Jedenfalls Riesengewurschtel, unterbrochen von der Ankunft zweier weiterer Wildcamper. Leise Hallos durch die Finsternis, sie zogen ihr Zeltbündel aus dem Kofferraum, wir wühlten im Gras, wir brauchten diese verdammte Stange, und dann machte es Popp! Als wir uns umdrehten, stand dort ein Zelt. Am nächsten Morgen haben wir es uns angesehen - es war mittelgroß, halbrund und grasgrün. Es war Magie.
Ein sich selbstaufbauendes Zelt, das ist so großartig und so unwahrscheinlich wie sich selbstwechselnde Autoreifen, sich selbstschreibende Texte oder sich selbstaufhängende Wäsche. Trotzdem existiert es. Der Hersteller Quechua behauptet in der Gebrauchsanleitung, es dauere nur zwei Sekunden, dieses Wunderding aufzubauen, aber das stimmt gar nicht. Es dauert maximal eine. Man reißt das gefaltete Material aus der Verpackung, wirft es in die Luft, und es segelt als Zelt zu Boden. Daher auch der Name: Wurfzelt.
Seitdem wir es damals zum ersten Mal gesehen haben, hat das Wurfzelt die
Campingplätze im Sturm erobert, was nicht weiter verwundert: Die explosive
Selbstentfaltung bringt nämlich kaum Nachteile mit sich. Die Doppelmembran
hält selbst mehrtägigem Regen stand, Lüftungsfenster sind
vorhanden und stabil ist das Modell ebenfalls. Sogar der Preis geht in Ordnung,
die geräumige Zwei-Mann-Version kostet je nach Hersteller und
Ausführung zwischen 30 Euro und 80 Euro. Einziger Wermutstropfen: Das
Wurfzelt springt zwar regelrecht aus seiner Hülle hinaus, will aber nur
sehr ungern wieder in diese zurück. Und wenn man die Sache dann doch noch
irgendwie hingebogen hat, hält man eine Art Frisbee-Scheibe von einem Meter
Durchmesser in Händen. Die passt zwar prima in den Kofferraum, aber wer
beim Wandern nicht in der Vegetation hängenbleiben will, sollte besser ein
herkömmliches Modell auf den Rucksack schnallen. Davon abgesehen jedoch:
ein wirklich großer Wurf.
Kurz werfen statt lang wurschteln: das Zelt ohne Aufbauzicken.
MITTEL & WEGE
Nicht nur Autofahrer können sich Winterreifen gönnen - von Schwalbe gibt es jetzt einen Winterreifen für Fahrräder namens Marathon Winter, der für sicheren Halt auf glatten Wegen und Straßen sorgen soll. Die grobstolligen Reifen haben wahlweise auch Spikes; die Preise beginnen mit 49,90 Euro.
Auf eisglatten Bürgersteigen und verschneiten Wanderwegen haben es Fußgänger oftmals schwer. Yaktrax hat sich dafür eine Lösung überlegt: Schneeketten für die Schuhe. Die elastische Konstruktion aus Gummi und Stahlfedern sieht nicht so extrem aus wie ein Steigeisen und ist mit weniger als 80 Gramm pro Fuß auch um einiges leichter. Yaktrax werden einfach über die Schuhe geschnallt. Die stadttaugliche Walker-Version kostet 24,99 Euro.
Wer wissen will, welcher Haken und Karabiner, welches Seil am besten ist, kann auf ein Internetangebot des Internationalen Alpenvereins (UIAA) zurückgreifen. Unter http://safety.theuiaa.org/front/index_public.php gibt man das anvisierte Produkt in eine Suchmaske ein und erfährt dann umgehend, ob es bereits vom UIAA getestet wurde und ein Prüfsiegel bekommen hat.
TECHNIK & TRENDS
Früher hieß es "Ich bin zwei Öltanks", obwohl doch nur die bauchige Form der Kunststoffbehälter viel Platz auf kleinem Raum schuf. Sanyos neue, Xacti getaufte Camcorder-Reihe aber bietet tatsächlich zwei Geräte in einem an: Videokameras, die in hoher Auflösung aufzeichnen und gleichzeitig - also während gefilmt wird - Fotos mit bis zu zehn Megapixel Auflösung schießen können. Bisher war die Fotofunktion von Camcordern in der Regel mangels Auflösung der Sensoren kaum brauchbar, das will
Sanyo jetzt ändern. Die Geräte sollen spätestens Ende März auf den Markt kommen; das teuerste wird mit 699 Euro in der Preisliste geführt. Die Kunden haben dann die Wahl zwischen Kameras mit Full-HD, die Videos mit 1920 mal 1080 Punkte aufzeichnen, und Geräten, die sogar ins Wasser fallen dürfen. Gespeichert wird auf SD-Karten.
Doppelter Ärger für den Festplattenhersteller Seagate. Erst musste die Firma einräumen, dass die auf den Platten eingesetzte Steuersoftware fehlerhaft ist, dann machte ein Update dieser Software alles noch schlimmer. Betroffen sein sollen vor allem Platten der Barracuda-Reihe mit einer Kapazität von 500 Gigabyte und 7200 Umdrehungen pro Minute. Unter Umständen kann das Betriebssystem sie nicht mehr ansprechen. Seagate will eine Liste betroffener Laufwerke veröffentlichen. Bis dahin rät der Hersteller Kunden, ihre Computer so wenig wie möglich aus- und einzuschalten, da der Fehler nur dann auftritt.
Obama bleibt auf Sendung
Der US-Präsident darf weiterhin E-Mails und SMS versenden - muss allerdings das Handy wechseln
Im Januar 2001, ein paar Tage vor seiner ersten Inauguration als 43. US-Präsident, schickte George W. Bush eine E-Mail an seine Freunde: "Ich möchte nicht, dass meine private Korrespondenz ausgespäht wird. Um das zu verhindern, habe ich nur die Möglichkeit, überhaupt nicht im Cyberspace zu kommunizieren." Worauf Bush noch zähneknirschend verzichtet hat - E-Mails während seiner Präsidentschaft zu schreiben -, ist für den neuen Mann im Weißen Haus undenkbar. Barack Obama hat bereits während seines Wahlkampfs sein Multimedia-Handy, einen Blackberry, ausgiebig genutzt, um per E-Mail oder SMS mit Wählern, Beratern, Freunden und der Familie Botschaften auszutauschen.
Doch seine Berater drängten Obama zu einer elektronischen Entziehungskur im Amt. Denn nach US-Recht muss sämtliche Korrespondenz des Präsidenten dokumentiert und archiviert werden, also auch die SMS. Zudem bestanden große Sicherheitsbedenken: Ist Obamas Blackberry eingeschaltet, könnte über die eingebaute Positionsbestimmung GPS preisgegeben werden, wo sich der Präsident gerade aufhält. Darüber hinaus wäre es möglich, die E-Mails abzufangen; Hacker könnten die Server des Blackberry-Herstellers RIM (Research in Motion) knacken, über die die gesamte E-Mail-Kommunikation läuft. Ein weiterer Minuspunkt für die Sicherheitsbehörden: RIM ist kein US-amerikanisches, sondern ein kanadisches Unternehmen.
Doch nun haben das Weiße Haus und der Geheimdienst NSA eine Lösung für Barack Obama gefunden. Er bekommt ein Gerät namens Sectera Edge. Das Gerät, ein sogenanntes Smartphone, hat der Rüstungskonzern General Dynamics entwickelt. Die NSA hat es für den militärischen Gebrauch freigegeben und hält es damit für sicher. Das Gerät, das 3350 Dollar (rund 2500 Euro) kostet, basiert auf dem Palm Treo 750, verfügt über ein 2,8 Zoll großes Display, 64 000 Farben und allerlei Erweiterungen: Wasserfest und äußerst robust geht es über Wlan, GSM oder CDMA ins Netz. Der Akku soll eine Stand-by-Zeit von lediglich 35 Stunden haben und für ein dreistündiges Gespräch reichen. Die Software-Ausstattung stammt von Microsoft. Das Betriebssystem ist Windows Mobile, das dafür allerdings speziell angepasst oder, wie die Experten sagen, gehärtet wird. Die wichtigste Sicherheitsfunktion: Per Knopfdruck kann der Besitzer von offener auf verschlüsselte Kommunikation wechseln - Gespräche und Dokumente, die der höchsten Geheimhaltungsstufe unterliegen, sollen so nicht mehr in unbefugte Hände geraten können.
Nicht nur US-Rüstungskonzerne, auch deutsche Unternehmen bringen
Geräte auf den Markt, die die mündliche Kommunikation
verschlüsseln können. So hat das Berliner Unternehmen Rohde und
Schwarz SIT ein Krypto-Gerät entwickelt, das sich über den
Kurzstreckenfunk Bluetooth mit Handys verbinden lässt. Somit ist man nicht
an eine bestimmte Marke gebunden. Mit dieser Lösung hätte Barack Obama
vielleicht sogar seinen geliebten Blackberry behalten können.
Auf Knopfdruck Krypto: Präsident Obama erhält ein verschlüsseltes Handy. Foto: S. Tufankjian/Polaris/laif
Tausend Bilder pro Sekunde
Die Hersteller digitaler Kameras lassen ab vom Pixelwahn und setzen auf zusätzliche Fähigkeiten
Vorurteile können langlebig sein, vor allem dann, wenn sie aus Ziffern bestehen und den Verkauf von Produkten fördern. Auch auf vielen neuen Digitalkameras für den Hausgebrauch prangen noch immer Aufkleber, die angeben, wie viele Millionen Bildpunkte der elektronische Sensor einer Kamera hat. Dabei ist der Megapixelwahn in etwa genauso sinnvoll wie einen Kleinwagen mit 300 PS anzubieten. Aber die Zeiten scheinen sich zu ändern. Auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas setzte sich die 2008 begonnene Abkehr vom Pixelwahn nun fort - mit durchaus erstaunlichen Ergebnissen.
Konnten manche Kameras schon zu Zeiten des herkömmlichen Films das Datum in die Aufnahmen einblenden, geht die jetzige Technik einen ganzen Schritt weiter. Sony beispielsweise bietet im GPS-CS3KA ein kleines Zusatzgerät an, das man auf Reisen mitnehmen und seine Bilder über GPS-Satelliten mit exakten Breiten- und Längengraden versehen kann. Damit können sie später automatisiert an Dienste wie Google Earth weitergegeben werden. Das etwa zigarettenschachtelgroße batteriebetriebene Gerät für das sogenannte Geotagging soll für rund 140 Euro zu haben sein.
Kameras mit einem Chip für Drahtlos-Netzwerke (Wlan) gibt es zwar schon länger, Sonys Cybershot G 3 allerdings ist die erste mit einem Internet-Browser, der beliebige Adressen ansteuern kann. Über diese Software lassen sich wie von einem Computer aus Bilder auf Fotoportale oder das eigene Blog übertragen.
Casio hatte bereits vergangenes Jahr die Konkurrenz aufhorchen lassen und eine Kamera gezeigt, die nicht bloß Bilder schießt und Filmchen aufzeichnen kann, sondern auch beeindruckende Videos in Superzeitlupe. Die F1 lieferte extreme Zeitlupen mit bis zu 1200 Bildern pro Sekunde, kostete aber stolze 800 Euro. Nun kommen in der FC100 und der FS10 zwei Geräte für weniger als die Hälfte dieses Preises auf den Markt, die sich davor kaum zu verstecken brauchen. Bei Extrem-Zeitlupen-Filmen etwa von platzenden Luftballons ist allerdings die Auflösung beschränkt. Filme mit 1000 Bildern pro Sekunde schaffen die Kameras nur noch mit 224 mal 56 Bildpunkten. Für YouTube reicht das allerdings. Die Geräte sollen im Frühjahr auf den Markt gebracht werden.
Mit Kompaktkameras war es bisher nicht so einfach, in Innenräumen die gesamte Geburtstagsgesellschaft aufs Bild zu kriegen; aber auch weiter entfernte Motive konnte man nicht besonders nah heranzoomen. Auch das wandelt sich nun. Olympus beispielsweise bietet mit der SP-590 UZ eine Kamera an, die vom Weitwinkel-Bereich bis zum extremen Teleobjektiv alles abdeckt. Ins herkömmliche Kleinbildformat umgerechnet, reicht die verfügbare Brennweite von 26 bis 676 Millimeter. Samsungs WB 500 beginnt sogar schon bei 24 Millimeter, endet dafür aber bei nur 240 Millimeter. Das könnte letztlich aber die sinnvollere Alternative sein, denn ein so extremes Teleobjektiv wie das der Olympus kann man eigentlich nur am Stativ verwenden. Ansonsten kommt es zu Verwackelungen, mit denen erfahrungsgemäß auch die besten Korrekturmechanismen der Kameras nicht mehr fertig werden. Die Samsung-Kamera kann zudem auch Videos in hoher Auflösung aufzeichnen.
In Polaroids PoGo-Kamera feiert schließlich auch noch das gute alte Sofortbild fröhliche Urständ. Mit Kristallen beschichtetes Papier wird dabei von einem Druckermodul ausgegeben, das direkt in die Kamera eingebaut ist. Den Drucker alleine gab es schon seit Mitte 2008, nun kommt er also auch noch mit integrierter Kamera. Die Bildqualität erinnert Testberichten zufolge an Polaroid-Bilder der siebziger und achtziger Jahre - nichts für Qualitätsfreaks, mehr ein Partyspaß.
Für alle, die es ernster meinen mit der Fotografie, kommt aber fast nur
eine Spiegelreflex-Kamera in Frage. Die Mittelklasse-Modelle bieten nicht nur
Mischungen aus Automatikprogrammen und manuellen Einstellmöglichkeiten und
ein reichhaltiges Sortiment an Wechselobjektiven und anderem Zubehör. Sie
versuchen auch wie beispielsweise Nikons D 90 mit der Möglichkeit von
HD-Video-Aufnahmen zusätzliche Kaufanreize zu bieten. Das ist durchaus
ernstzunehmen. Amateurfilmer schätzen die guten Möglichkeiten,
aufzunehmende Szenen vorab zu beurteilen. Da es für die
Spiegelreflexkameras zudem auch ein großes Sortiment an Wechselobjektiven
gibt, werden sie zumindest für den ambitionierteren Amateur zu einer
interessanten Alternative.
Scharfer Blick: Ob Zoom- objektive von Weitwinkel bis Extrem-Tele oder Superzeitlupen-Funktion - Kamerahersteller versuchen sich mit teils spektakulären Zusatzfunktionen von der Konkurrenz abzusetzen.
MOBILES LEBEN
Redaktion:
Jörg Reichle (verantwortlich)
Tobias Opitz (stellvertr.)
Marion Zellner
TECHNIK-LEXIKON
Megapixel
Um anzugeben, wie viele Bildpunkte digitale Kameras aufnehmen können, hat
sich der Begriff Megapixel eingebürgert. Mega steht für eine Million,
Pixel ist ein Kunstwort - zusammengesetzt aus den englischen Begriffen
"Picture" und "Element". Die ersten Digitalkameras für
den Massenmarkt konnten Bilder nur stark gerastert aufzeichnen, sie schafften
etwa 0,3 Megapixel. Neue Generationen von Kameras nahmen mehr Pixel auf und
machten damit bessere Bilder. Bald wurde in Millionen gezählt und die
Megapixelzahl zum Marketing-Argument Nummer eins. Weil aber die Geräte
immer kleiner und schlanker wurden, mussten auch die Sensoren, Siliziumbausteine
mit lichtempfindlichen Elementen, immer kleiner werden. Sensoren, wie sie in
heutigen Kompaktkameras verbaut werden, haben eine Fläche von nur noch 15
bis knapp 60 Quadratmillimeter. Die vielen Millionen empfindlicher Sensoren
sitzen also dicht nebeneinander, sodass ein Lichtpunkt mehr als ein Pixel
belichtet. Außerdem liefern sie ein schwaches Signal, das verstärkt
werden muss. Das wiederum führt zum sogenannten Rauschen, das
herausgefiltert werden muss. Dadurch geht den Bildern Detailschärfe
verloren. Die Hersteller aber haben Jahr für Jahr die Pixeldichte nach oben
geschraubt, weshalb Kritiker vom Megapixelwahn sprechen. Von etwa sechs
Megapixel an, so Experten, liefern Kameras mit kleinen Sensoren schlechtere
Bilder. Für digitale Spiegelreflexkameras gilt das aber nicht. Ihre
Sensoren sind weitaus größer und deshalb nicht empfindlich für
Bildrauschen.
24 STUNDEN MIT . . .
. . . dem Akkuschrauber Black & Decker AS36 LN
Seit wann sind eigentlich Kekse so schwer? Ach so, es ist tatsächlich ein
Akkuschrauber, der da in einer Blechdose steckt. Black & Deckers AS36 LN ist aber auch eher süß, mehr ein Schoßhündchen unter den Werkzeugen als ein Gerät für den rauen Handwerkeralltag. Muss man einem Dachdecker sagen, welches Drehmoment er einstellen soll für welche Schrauben? Nein. Braucht er eine Anzeige dafür, ob die Maschine auf Links- oder Rechtslauf gestellt ist? Nein. Oder ist für einen Profi eine ausziehbare magnetische Schraubenhalterung nicht nahe an der Beleidigung? Ziemlich.
Aber für den Profi ist das knuffige kleine Ding, das rund 40 Euro kostet, auch nicht gemacht. Sondern dafür, die Zeit zu verkürzen, die es braucht, um Bjursta aufzubauen, Grevbäck, Grimle oder wie die Schränke bei Ikea sonst noch heißen mögen. Für Menschen, die wenig wissen vom Drehmoment, sich aber ärgern, wenn Schrauben abreißen oder sich auf halber Strecke nicht mehr weiterdrehen mögen. Zudem hat der kleine Schrauber auch keinen Nickel-Cadmium-Akku, sondern wie Handys und MP3-Player einen Lithium-Ionen-Akku. Der verzeiht es, wenn das Gerät halb aufgeladen ein paar Monate im Keller herumliegt und dann an die Steckdose kommt. Bis zu 18 Monate behält das Schrauberchen wenigstens einen Teil seiner Ladung, behauptet Black&Decker.
Dafür gibt es eine Ladestation, an der praktischerweise auch die Bits
angebracht sind - die Aufsätze also, die man für die
verschiedenen Schrauben braucht. Zehn Stück davon sind in unterschiedlichen
Größen in der Keksdose mit drin, dazu noch ein Bohrer mit einer
Senkkopffräse. Mit diesem Werkzeug lassen sich Bohrlöcher konisch
anfräsen, sodass Schrauben mit Senkkopf darin verschwinden und nicht mehr
aus der verschraubten Fläche herausragen. So schnell geht dem Kleinen der
Saft nicht aus, dafür dauert aber das Laden mit bis zu neun Stunden sehr
lang - am besten also erst anstecken und dann zum Möbelkaufen
fahren.
Klein, aber mit einem Schraubenhalter: Black & Deckers Akkuschrauber lässt sich einhändig bedienen.
Fotos als Kurzfilm
Bei Harry Potter gibt es schon lange Fotos, die Bewegung zeigen. Der US-Anbieter
Snapily will das nun für alle möglich machen. Zum Einsatz kommt eine
Technik, die kleine Linsen auf das Trägermaterial druckt. Je nachdem, aus
welchem Winkel man sie betrachtet, zeigen sie ein anderes Bild. Die gedruckten
Videos können aber nur fünf oder sechs Bilder hintereinander
darstellen; abgespielt wird das Ganze durch Drehen des Fotos. Benutzer
können ein Video an den Dienstleister schicken; der sucht sich die
Einzelbilder heraus, die sich am besten für das Druckvideo eignen.
Infos: www.snapily.com
Späte Einsichten eines Präsidentenberaters
McGeorge Bundy kam vor seinem Tod zum Schluss, eine Menge Fehler begangen zu haben
Als John F. Kennedy 1961 der 35. Präsident der Vereinigten Staaten wurde, brachte er eine Generation junger Pragmatiker ins Weiße Haus, die als die "New Frontiersmen" bekannt wurden. Zu den namhaftesten gehörten Verteidigungsminister Robert S. McNamara und McGeorge Bundy als sein Nationaler Sicherheitsberater. Während McNamara zu einem der umstrittensten Politiker der Neuzeit wurde, erhielt Bundy weniger Aufmerksamkeit. In "Lessons in Disaster", Gordon Goldsteins höchst ungewöhnlichem Buch, stellt Bundy sich nun als die interessanteste Figur in der Vietnam-Tragödie heraus - weniger wegen seiner unglücklichen Rolle im Kriegsverlauf als für seine gequälten Versuche, 39 Jahre später sich selbst zu verstehen. Bundy war die Quintessenz eines Republikaners aus dem Establishment der Ostküste, das Mitglied einer Familie, deren Wurzeln in Boston bis 1639 zurückgehen. 1953 wurde Bundy Dekan der Fakultät in Harvard - eine erstaunliche Verantwortung für einen gerade mal 34-Jährigen.
Als er seine Regierungsmannschaft zusammenstellte, störte sich Kennedy nicht an Bundys republikanischen Wurzeln - sein Stil, der kühle und analytische Verstand und die Empfehlungsschreiben aus Harvard waren wichtiger. Und so hielt Bundy Einzug in die Geschichte - ein Mann, dem nichts unmöglich erschien. Fünf Jahre lang war er an den kritischsten Entscheidungen der Eskalation des Vietnamkrieges beteiligt. Er war einer der Hauptarchitekten und -verteidiger des Feldzuges - er war aber auch ein Getriebener. Er wusste, dass seine Leistungen im Weißen Haus hinter den eigenen anspruchsvollen Standards zurückgeblieben waren. Immerhin kehrte er der Regierung des Kennedy-Nachfolgers Lyndon B. Johnson schon 1966 den Rücken - nach einem Streit über das Vorgehen im Krieg, wenn auch nicht über den Krieg an sich.
Nachdem er 30 Jahre lang weitestgehend stumm blieb - abgesehen davon, dass er gelegentlich die beiden Präsidenten verteidigte, denen er gedient hatte - fing Bundy 1995 an, über Vietnam zu schreiben. Als Mitarbeiter entschied er sich für Gordon Goldstein, einen Politik-Studenten mit dem Spezialgebiet "Internationale Beziehungen". Gemeinsam durchforsteten sie die Archive, und Goldstein führte eine Reihe von Interviews.
Zu dieser Zeit fing Bundy an, gequälte Notizen an sich selbst zu schreiben - eine Art privater Dialog mit dem Mann, der er 30 Jahre zuvor war. Bundy notierte Sätze wie: "Die Tauben hatten recht"/"Ein Krieg, den wir niemals hätten führen sollen"/"Ich leistete einen Beitrag zu einem gewaltigen Fehlschlag. Ich machte Fehler bei Wahrnehmung, Empfehlung und Ausführung" "Welche sind meine größten Irrtümer?" Für diejenigen, die nur den selbstbewussten, arroganten Brahmanen aus Harvard kennen, sind diese Bemühungen, die eigenen Fehler zu verstehen, erstaunlich und berührend.
Noch während der Recherchen für das Buch starb Bundy, fünf Tage nach der letzten Sitzung mit Goldstein. Bundys Witwe Mary, die Goldstein zu seinem Projekt überhaupt erst ermutigt hatte, zog ihr Einverständnis für die Veröffentlichung zurück. Goldstein produzierte daraufhin ein anderes Buch, ohne die Beteiligung der Familie Bundy. Als Grundlage dienten ihm nun seine Interviews und Bundys Anmerkungen an sich selbst, die sich mittlerweile in der öffentlichen Sammlung der John F. Kennedy Library in Boston befinden. Goldstein schreibt dadurch aus einer ungewöhnlichen Perspektive - er taucht nicht gänzlich in Bundys Kopf ein, ist aber auch kein äußerer Betrachter.
Das Ergebnis ist ein fesselndes Porträt eines einst gelassenen und selbstbewussten Mannes, der Jahrzehnte später versucht, sich selbst zu verstehen. Was für den heutigen Leser am wichtigsten ist, sind nicht die Details, wie die USA in einen Krieg stolperten; diese Geschichte wurde in Hunderten anderer Bücher erzählt. Goldsteins Leistung ist eine andere: Er gewährt Einblicke, wie Bundy, ein Mann von überragender Fähigkeit und Reputation, zwei Präsidenten so schlecht beraten konnte. Die Unvollkommenheit von Bundys Selbstbefragung erhöht ihre Eindringlichkeit, Authentizität und Schärfe.
Goldstein hat sein Buch chronologisch abgefasst, jedem Kapitel gibt er den Titel einer "Lehre", die Bundy aus seiner Karriere gezogen hat. Das ist eine stille Hommage an eine von Bundys offensichtlichsten Eigenschaften - sein verschrobener, ironischer Sinn für Humor. Aus der Invasion an der Schweinebucht von 1961 gewinnt Bundy beispielsweise die Erkenntnis: "Traue der Bürokratie niemals zu, es richtig zu machen" - eine belanglose Einsicht, verglichen mit den menschlichen und politischen Kosten, aber charakteristisch für Bundys Fixierung auf den Fortgang der Ereignisse, statt die Ursachen zu untersuchen. Im selben Ton sind Johnsons wichtige Entscheidungen, die Vietnam unwiderruflich zu einem amerikanischen Krieg machten, so zusammengefasst: "Setze niemals militärische Mittel zur Erlangung ungewisser Ziele ein".
Selbst wenn er nach Wahrheit sucht, bleibt Bundy sich treu. Es ist frappierend, wie wenig Interesse er an Vietnam selbst hat und wie wenig Teilnahme er angesichts des gewaltigen Blutzolls des Krieges zeigt. Einmal rät er Johnson gleichgültig, Bodentruppen zu schicken, obwohl die Erfolgsaussichten "zwischen 25 und 75 Prozent liegen". Es sei besser für Amerika, zu verlieren, nachdem man Truppen entsandt habe, als erst gar keine zu senden.
Eine der wichtigsten Erkenntnisse Bundys findet sich in Goldsteins letztem Kapitel "Intervention ist eine Wahlmöglichkeit des Präsidenten, keine Unvermeidlichkeit". Mehr als 40 Jahre wurde darüber diskutiert, ob Kennedy, wenn er noch gelebt hätte, denselben Kurs in Vietnam verfolgt hätte wie Johnson. Nachdem er beide Präsidenten aus der Nähe kannte, kommt Bundy zu einem klaren Schluss: Ein wiedergewählter Kennedy "hätte sich in Vietnam nicht beweisen müssen". Bundy selbst sah nie Chancen in Verhandlungen mit den Vietkong oder den Nord-Vietnamesen. Dies, gepaart mit unerschütterlichen Glauben an die militärische Macht, waren seine größten Fehler. Sie trugen zu seinem tragischen Scheitern bei. Heute, da die Nation einen neuen Präsidenten bekommen hat, der die Kampftruppen aus dem Irak abziehen und Erfolge in Afghanistan vorweisen will, sind die Lehren aus Vietnam immer noch gültig. McGeorge Bundys Geschichte ist eine außergewöhnliche Mahnung für alle Amerikaner. RICHARD HOLBROOKE
GORDON M. GOLDSTEIN: Lessons in Disaster. McGeorge Bundy and the Path to War in Vietnam. Times Books, New York. 320 Seiten, 25 Dollar (etwa 20 Euro).
(Der Rezensent war Mitglied der "Vietnam Task Force" unter Präsident Johnson und ist jetzt Sonderberater von Präsident Barack Obama. Übersetzung: Jakob Biazza)
Besprechung im Garten des Weißen Hauses: Präsident John F. Kennedy und McGeorge Bundy (Mitte rechts) im Juni 1962. Foto: John-F.-Kennedy-Library
Foltern für die Freiheit
Abu Ghraib und Guantanamo sind keine Ausnahmefälle
Was dieses Buch enthüllt, ist eine Schmach für die USA, ein wahrhaft erschreckender Befund. Denn Egmont R. Koch weist anhand akribischer Quellenarbeit nach, dass es sich bei den Folterungen in Abu Ghraib und Guantanamo nicht um bedauerliche Einzelfälle und Entgleisungen handelt. Denn diese Fälle stellen nur einen Bruchteil der Menschenrechtsverletzungen dar, die sich die USA in ihrem "Krieg gegen den Terror" geleistet haben, sodass der 83-jährige ehemalige Präsident Jimmy Carter meinte: "Unser Land hat erstmals in meinem Leben die Prinzipien der Menschenrechte aufgegeben."
Sollte jemand die PR-Sprüche der mittlerweile abgetretenen Regierung von George W. Bush je geglaubt haben ("Diese Regierung foltert nicht!"), so wird er nun gründlichst eines Besseren belehrt. Koch führt den Nachweis, dass "kreative Verhörtechniken" - Bushs Terminus für physisches und psychisches Foltern - nach dem 11. September 2001 systematisch und in großem Stil in Gefängnissen und Lagern gegen (vermeintliche) Terroristen angewandt wurden: Scheinertränken, totale Isolation, Schlafentzug, Hängefolter, Drogeneinsatz - alles mit Wissen und Billigung der US-Regierung. Dienlich war dabei ein Folterhandbuch der CIA mit dem Codenamen "Kubark", das Diktaturen und Geheimdienste in aller Welt benützen.
Kochs Recherchen ergaben, dass allein 2002 die CIA Hunderte Verdächtige in Lager und Gefängnisse rund um den Globus verschleppt hat; in Länder, die zur "Kooperation" bereit waren und "deren Geheimpolizei sich mit Folter bestens auskennt", schreibt er, etwa Saudi-Arabien und Pakistan. Etliche Inhaftierte in den "geheimen CIA-Gulags" wurden zu "Geistergefangenen" ohne offizielle Registriernummern gemacht, "um spätere Nachforschungen des Roten Kreuzes unmöglich zu machen". Sollten diese ghost detainees "bei Folterungen ums Leben kommen, ließen sich Leichen und Spuren leicht beseitigen".
Koch geht auch den historischen Wurzeln der offiziell stets bestrittenen Folterpraxis nach und landet beim Nationalsozialismus. Die Amerikaner engagierten nach dem Krieg einige von Hitlers Experten, etwa den Chemiker Friedrich Hoffmann oder Walter Schreiber, der für Menschenversuche in KZs verantwortlich war. Sie halfen den USA zur Zeit des Kalten Kriegs, einen politisch-militärisch-wissenschaftlichen Komplex der Folterforschung aufzubauen. Regierung, CIA, Armee, Krankenhäuser und Hochschulen arbeiteten am "Manhattan-Projekt der Verhaltensmanipulation" (Koch) zusammen, um herauszubekommen, wie Menschen zu willenlosen Werkzeugen gemacht werden können. So wurde an Patienten, ohne sie aufzuklären, mit Psychodrogen herumexperimentiert, zum Teil mit tödlichem Ausgang. Ferner ließ die CIA mittels Gehirnoperationen erforschen, ob sich damit "das Gedächtnis auslöschen lässt, damit sich Gefangene nicht an ihre Folter erinnern".
Was zunächst als Forschung zur Abwehr kommunistischer Foltermethoden legitimiert wurde, wandten CIA und Pentagon bald selbst aktiv an: im Spionagekrieg mit der Sowjetunion, im Koreakrieg oder in Vietnam, wo die CIA 1967 im Rahmen der Operation "Phoenix" Verhör- und Foltertechniken einsetzte, denen laut Koch "Tausende (möglicherweise mehr als zwanzigtausend) Vietnamesen zum Opfer fielen" - meist Zivilisten, die man der Konspiration mit den Kommunisten verdächtigte. Der ehemalige "Phoenix"-Officer Barton Osborne berichtete später: "Ich wüsste von keinem Häftling, der während der Durchführung all dieser Operationen ein Verhör überlebt hätte. Sie starben alle." Dass die Leichen spurlos zu entsorgen waren, ergab sich für die CIA-Leute aus den Verhaltensempfehlungen des Kubark-Folterhandbuchs. Disposal of the bodies nannte man das.
Dieses Buch ist schockierend, die realistisch-brutalen Schilderungen von Gefolterten sind kaum zu ertragen, aber nötig, um Empörung über das Unrecht zu erzeugen, das Bushs Regierung zu verantworten hat. Koch glaubt, dass es dem abgewählten US-Präsidenten, seinem Vize und dem Verteidigungsminister "wohl auch um Rache" ging und sie deshalb im Krieg gegen den Terror auf die harte Tour setzten, "auch um den Preis, amerikanisches Gesetz zu brechen und das weltweite Ansehen des Landes zu ramponieren". Nun will Barack Obama die USA als moralisch-politische Führungsmacht rehabilitieren. Ob das gelingen kann? NIKOLAUS GERMAN
EGMONT R. KOCH: Die CIA-Lüge. Folter im Namen der Demokratie. Aufbau-Verlag, Berlin 2008. 224 S., 19,95 Euro.
Vision einer Weltgesellschaft
Die Globalisierung darf nicht nur eine ökonomische sein
Politisches Denken ist im 21. Jahrhundert nur noch im Zusammenhang der Weltgesellschaft erkenntnisbringend, politisches Handeln nur noch im Zusammenhang der Weltgesellschaft wirklich wirksam und problemlösend." Mit dieser apodiktischen Kernaussage leitet Christoph Zöpel sein Opus Magnum ein - zugleich Synthese und Vision des 65-Jährigen, der hier Erfahrungen seiner Vita activa verarbeitet: als SPD-Parlamentarier in Land und Bund, Landesminister in NRW und Staatsminister im Auswärtigen Amt, als Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen und hochrangiger Funktionsträger in seiner Partei und der Sozialistischen Internationale. Und der zahlreiche Anregungen aus Wissenschaft, Politik und UN-Organisationen aufgreift, kritisch verarbeitet und weiterentwickelt, wie auch das umfangreiche Literaturverzeichnis am Ende des voluminösen Bandes ausweist.
Sein Buch weist drei Schwerpunkte auf. Der erste setzt sich mit der Wirkungsmächtigkeit nationaler Traditionen auseinander, die er beklagt; die Bindung des Gesellschaftsbegriffs an den Nationalstaat sei zu lösen und Welt und Menschheit als gesellschaftliche Einheit zu sehen. Der zweite Fokus ist auf die Begründung der Weltgesellschaft gerichtet. Der promovierte Ökonom moniert die Beschränkung der Weltgesellschaft auf die Wirtschaft und verweist auf die durch die weltweite Kommunikation, Entkolonialisierung und die Implosion des Kommunismus geschaffenen neuen Möglichkeiten. Der dritte Schwerpunkt handelt von der Gleichberechtigung aller Menschen und dem Imperativ, die wachsende Zahl der Menschen nicht Not leiden zu lassen - auch um eine Stabilisierung der Weltbevölkerungszahl nach 2050 zu erreichen, die dann neun Milliarden betragen wird.
Angesichts dieser Perspektive muss
gutes oder besseres Leben erreicht werden - für Zöpel das allgemeine Ziel von Entwicklung in jeder Zeit und in jeder Gesellschaft. Politisches Denken und Handeln habe sich an vier globalpolitischen Maximen zu orientieren: der ewigen Aufgabe der Friedenssicherung, dem Recht auf Menschliche Sicherheit, dem Gebot der Nachhaltigkeit und bei allem an
dem institutionellen Erfordernis von Demokratie.
Globale Politikfelder wie Umwelt, wirtschaftliche Entwicklung und soziale Integration, Rohstoffe und Energie, Währung und Finanzen seien, so Zöpel, zu einer "integrierten Weltentwicklungspolitik" fortzuschreiben. So neu ist das meiste nicht. Auch das deutsche Entwicklungsministerium spricht bereits seit Jahren von globaler Strukturpolitik und dem Erfordernis einer gerechten Globalisierung. Die internationale Gemeinschaft verpflichtet sich in der Millenniumserklärung von 2000 zu Zielen wie Frieden, Armutsbekämpfung, nachhaltige Entwicklung, Menschenrechte und Demokratie. Da fällt es schwer,
auf die faktische Kraft einer "integrierten Weltentwicklungspolitik" zu hoffen.
Es wäre schon viel erreicht, wenn die Kluft, die oft zwischen Wort und Tat klafft, von den jeweiligen Akteuren verringert würde.
Die Global Players, G8- und Euro-Gipfel üben "direktoriale Richtlinienkompetenzen" (der Sozialwissenschaftler Hauke Brunkhorst) aus - meist an Parlamenten und Öffentlichkeit vorbei. Hier setzt Zöpel an, hier liegt auch der besondere Wert seiner Überlegungen. Dem nicht demokratisch kontrollierten Handeln will er mit dem politischen System der Weltgesellschaft Grenzen setzen. Die universalen Menschenrechte sollen den Grundrechtsteil einer "Globalverfassung" bilden. Sein Strukturprinzip ist die Gewaltenteilung, primär föderal, aber auch nach Montesquieu. Die Eine Weltdemokratie ist für ihn "keine Utopie, sondern mögliche Realität".
Eine globale Demokratie brauche zugleich Initiativen für globalen Parlamentarismus. Zöpel unterstreicht die Bedeutung globaler Parteiengemeinschaften. Der ehemalige Delegierte bei der Interparlamentarischen Union (IPU) ruft den Bundestagsbeschluss von 2005 in Erinnerung, in dem eine "Parlamentarische Versammlung" der Vereinten Nationen gefordert wurde - mit der IPU als Plattform.
Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Politik in der Weltgesellschaft sind drei Konzepte zu entwickeln: globale Rohstoffpolitik, Weltsozialbudget und harmonisiertes Weltsteuersystem - Konzepte, die bislang nicht mal auf der EU-Ebene greifen. Aber alles ist denkbar. Ebenso wie seine Auffassung, letztlich sei globale Freizügigkeit nötig, oder die Welt solle sich in neun handlungsfähigen Regionen organisieren. Zöpels Visionen katapultieren uns aus der Gegenwart und bieten Projekte und Entwürfe, die für Politik und Demokratie essentiell sind. Sein Buch liefert wichtige Denk- und Handlungsanstöße für Politik und Wissenschaft. UWE HOLTZ
CHRISTOPH ZÖPEL: Politik mit 9 Milliarden Menschen in Einer Weltgesellschaft. Vorwärts Buch, Berlin 2008. 635 Seiten, 29,80 Euro.
Der "rote Hugenberg"
Das Leben des Kommunisten Willi Münzenberg
Sein langjähriger Mitarbeiter Arthur Koestler schrieb, eine Biographie Willi Münzenbergs würde eines der erhellendsten Dokumente über die Welt zwischen den Weltkriegen darstellen. Alain Dugrand und Frédéric Laurent, Mitbegründer der Zeitung Libération, haben das Leben eines der wichtigsten Propagandisten der kommunistischen Bewegung der 20er und 30er Jahre nachgezeichnet. Münzenberg lernte als junger Arbeiter in Zürich Lenin kennen. Er organisierte in seinem Auftrag eine Hilfskampagne für die Hungernden in Russland, und dies war der Beginn einer beispiellosen Attacke auf die Seelen und die Geldbörsen auch bürgerlicher Sympathisanten. Mit der Internationalen Arbeiterhilfe und einem Presseimperium (etwa die Arbeiter Illustrierte Zeitung/AIZ), mit dem Verleih russischer Filme und mit Solidaritätskundgebungen veränderte "der rote Hugenberg" das Bild der Sowjetunion. Er ersetzte Mitleid durch Solidarität und wurde so zum Begründer des Systems der "fellow travelers". Nach dem Reichstagsbrand, am 28. Februar 1933, floh Münzenberg nach Paris. Wieder gründete er Zeitungen und Komitees, verlegte das berühmte "Braunbuch" und setzte sich für eine Volksfront aller Hitlergegner im Exil ein. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt im August 1939 brach er mit der Partei. Am 10. Mai 1940 erschien die letzte Ausgabe seiner Zeitung Die Zukunft, fünf Tage später wurde Münzenberg in der Nähe von Lyon interniert. Im Oktober fanden Jäger seine Leiche unter einem Baum. Die Frage, ob es Selbstmord oder ein Racheakt des sowjetischen Geheimdienstes oder der Gestapo war, entzweit die Historiker bis heute. Die Autoren berufen sich auf die vorhandene Literatur und Archivfunde. Die politische Ideenwelt der Zeit, die Entstehung der III. Internationale, die Politik von KPD und Komintern während der Weimarer Republik, die Gründe für den Spanischen Bürgerkrieg werden ausführlich dargestellt. Trotz einiger Längen und unsauberer Quellenangaben bleibt das Verdienst des Buches, von einem Mann zu erzählen, der sein Leben einer Idee widmete, die nicht primär mit der Vermehrung von Geld zu tun hatte. TANIA SCHLIE
ALAIN DUGRAND / FREDERIC LAURENT: Willi Münzenberg. Artiste en révolution (1899-1940). Fayard, Paris 2008. 634 Seiten mit Abb., 26 Euro.
Der Moment davor und danach
Essen zeigt den Fotografen Paul Graham, der Verlierer und andere Sympathieträger in einen neuen Blickwinkel rückt
"Als ich in Vegas einen Mann fotografiert habe, der an einer Bushaltestelle eine Zigarette rauchte, musste ich auf einmal innehalten, einen Schritt zurücktreten, und mir wurde klar, dass der Moment davor und der Moment danach genauso wertvoll sind wie der Augenblick, in dem er den perfekten Zug an seiner Zigarette nimmt."
Was aus dem Mund Paul Grahams klingt wie ein Statement zur filmischen Darstellung eines Ablaufes, ist in der Tradition der Fotografie ein Aufbruch. Angefangen hatte seine Laufbahn mit der Entdeckung der "Creative Camera", eines ambitionierten Magazins, das Portfolios von Walker Evans, Robert Frank, Lee Friedländer oder Diane Arbus zeigte: elegante, poetische, sozial engagierte und sehr künstlerische Aufnahmen, natürlich in schwarz-weiß. Graham, geboren im englischen Stafford, war 19, als er die Fotografie für sich entdeckte, dennoch schloss er sein Studium der Mikrobiologie ab, bevor er sich 1978 ernsthaft dem Medium zuwandte. Doch eines war klar: no black & white. Ihn schreckte der verklärte Blick, der Hauch des Sentimentalen, die Überhöhung von Geschehen durch das Auslassen seiner Farben. Als er ein Heftchen des amerikanischen Künstlers William Eggleston sah, war er wie elektrisiert. Da knipste einer schräge Raumecken, leuchtende Werbetafeln, Tankstellen im Nichts.
Der Autodidakt Graham begab sich auf Reise, fuhr die A1 Richtung Norden, lichtete wie Eggleston Schilder, Straßen, Kantinen ab, und doch unterschieden sich seine Bilder von den knalligen Farbvignetten Egglestons - nicht nur, weil das Licht in England einfach anders ist als in den USA, sondern weil Grahams Blick viel emotionaler, direkter, auch menschenfreundlicher ist. Stille Aufnahmen wechseln mit Portraits, Banker, Fernfahrer, Kellnerinnen, dann wieder ein Stück Landschaft, Matsch, grauer Himmel, ein Stück Straße, ein Innenraum, irgendwo. Graham fährt die Strecke mit einem alten Mini ab, schläft meist im Auto auf dem Rücksitz; er hat nicht viel Geld, jobbt in einem Buchladen, arbeitet knapp zwei Jahre an dieser ersten großen Serie. 1984 wird sie in der renommierten "Photographer's Gallery" in London ausgestellt, geht auf Reisen, stößt auf Begeisterung, aber auch auf Ablehnung. Zu seltsam ist Grahams Ansatz.
Doch für ihn fühlt es sich richtig an. Das British Arts Council fördert seine Publikationen, und so ist für Graham von Anfang an die Arbeit an einem Projekt gleichbedeutend mit der Arbeit an einem Buch. Es ist eine in sich geschlossene Einheit mit einer eigenen Dynamik, der man sich hingeben muss. Und mit jeder Veröffentlichung geht Graham einen Schritt weiter, nie wird er sich kopieren wollen, er ist ein unruhig Suchender, nach Ausdruck und Form, nach den Grenzen des Mediums Fotografie und ihrer Überwindung.
Für die Serie "Beyond Caring" setzt er sich in die Wartesäle der Arbeitsämter und Sozialeinrichtungen der Thatcher-Ära, fotografiert unbemerkt aus der Knie-Perspektive; er ist selbst arbeitslos zu der Zeit, nimmt den Blickwinkel der gesellschaftlichen Verlierer ein. Wieder bricht er mit allen Regeln der Fotografie: Die Horizonte kippen, die Ausschnitte sind schief, doch die Verzweiflung der Menschen ist echt. "Beyond Caring" wird im MoMA in New York ausgestellt - und bald zu politischen Zwecken eingesetzt, die Abzüge landen bei Gewerkschaftsvertretern, Bürgeramtsstellen und Parlamentsabgeordneten. "Man muss am Ende zu einer vertretbaren moralischen Haltung gelangen," sagt der Künstler dazu, "und entscheiden, ob das, was man mit seinen Bildern beabsichtigt, die Mühe wert ist."
Zur gleichen Zeit entsteht ein anderer Zyklus, Grahams bekannteste Serie: "Troubled Land", 1984 bis 1986. Es sind Bilder für den zweiten Blick, aufgenommen in Nordirland, in dem eine englische Besatzungsmacht gegen die im Untergrund agierende IRA kämpft - ein Kampf, von dem man bei Graham nichts sieht und doch alles. Subtile Zeichen, eingeschrieben in Landschaft, sei es die englische Fahne in einem Baum, die Kritzeleien "P.I.R.A." und "Touts Beware" an einem Gitter, herumliegenden Steine, die als Wurfgeschoss dienten, oder ein Fahnenappell des IRA-Nachwuchses, kaum sichtbar zwischen den Häusern am Fuße eines Hügels, dessen struppiges Gras den Bildvordergrund dominiert.
Jahre später, als Graham die dreitägige Feuerpause im April 1994 dokumentiert, richtet er seine Kamera nur in den Himmel und nimmt die Wolkenformationen auf - wiederum eine neue Herangehensweise, diese Meditation über Hoffnung, Warten und zerfasernde Gedanken.
"Es geht darum, seine Arbeit zu machen", sagt Paul Graham den Studenten in Essen bei einer Vorlesung. Im Folkwang-Museum sind seine 11 wichtigsten Werkgruppen zu sehen, es ist die erste umfangreiche Retrospektive in Deutschland. Ute Eskildsen hat gemeinsam mit dem Künstler diesen Ritt nicht nur durch sein eigenes Werk, sondern auch durch die Möglichkeiten der Fotografie kuratiert. Frech wirken der Zyklus "End of an Age", in dem junge Menschen vor dem Erwachsenwerden abwechselnd im grellen Licht angeblitzt ("Die harte Realität") und im diffusen, farbsatten Clubambiente ("Die Lust am Rausch, am Loslassen") aufgenommen sind und ihre Körperbewegungen und Blickrichtungen auf den Bildern nebeneinander einen Kreis vollführen - oder die komplett überbelichteten Straßenszenen aus "American Night", denen spießige Vororthäuser in Normalbelichtung und düster abgelichtete Afroamerikaner in einem schattigen Brooklyn gegenübergestellt werden (ein Journalist der New York Times schickte das Buch zurück, er meinte es sei "fehlerhaft" gedruckt).
Völlig losgelöst gibt sich Graham in "Shimmer of a
possibility", in dem gar keine Regeln mehr zu gelten scheinen. Die Kamera
vollführt einen Tanz, zoomt ran, zieht sich wieder zurück, schwenkt
unvermittelt zur Seite, kehrt zum ursprünglichen Geschehen zurück,
erzählt so eine kurze Geschichte der Alltäglichkeit, oder zwei oder
drei. Es ist diese Entscheidung "für" etwas, völlig entgegen
der Street-Photography-Tradition des "entscheidenden Augenblicks"
(Henri Cartier-Bresson), die hier etwas Ungeheuerliches schafft: eine
Möglichkeit des Seins in der Beiläufigkeit. "Ich glaube an die
Welt wie sie ist," sagt Paul Graham. Und wie er da in seinem lilafarbenen
Pullover und den wirren Locken vor den Studenten steht, lässt er wiederum
alles offen, weil er sich dagegen wehrt, eine Schlussfolgerung zu ziehen. Die
Dinge bleiben im Fluss, die Schönheit scheint auf in den Momenten zwischen
den Momenten.
"Paul Graham, Fotografien 1981-2006", Folkwang-Museum in Essen, bis 5. April. Info: www.museum-folkwang.de. Katalog (45 Euro) im Steidl Verlag. Eine Neuauflage von "A Shimmer of Possibility" erscheint im März.
"Cathy, London, 1990" aus der Serie "Television Portraits" Paul Graham, 2008
Neu auf DVD
Bigger than life
Werner Herzog, Ali Baba und die "armen Leute von Kombach"
Ein deutsches Märchen des 20. Jahrhunderts, von einem, der auszog vom Boden abzuheben. Ein Traum, für den das Heimatland zu eng war, der den Träumer in die Weite zog, nach Amerika. "Little Dieter Needs to Fly" nannte Werner Herzog 1997 seinen Film, in dem er Dieter Dengler sein Leben erzählen ließ, das vom Bedürfnis zu fliegen bestimmt war. In den Sechzigern hat sich dieser Traum, der im Alliierten-Bombardement geboren ward, verwirklicht, als Dieter Navy-Pilot im Vietnamkrieg wurde. Beim ersten Einsatz über Laos aber wird er abgeschossen, gerät in Gefangenschaft, flieht, irrt tagelang durch den Dschungel, der einzige Amerikaner, der es schafft, aus der Gefangenschaft zu entkommen. Ein eigenartiger Held, ideologisch unbefleckt, die Reinheit seines Traums verteidigend - einer der wenigen, die nicht daran denken, dem Vietcong ein Schuldbekenntnis zu unterzeichnen. Werner Herzog ist mit Dieter Dengler in den Dschungel zurückgegangen, aber er hat gewusst, dies ist großes Erzählkino, a character bigger than life. Mit "Rescue Dawn" hat er das 2007 eingelöst, und so souverän und leichthändig hat schon lang kein Deutscher mehr sich der Mittel bedient, die Hollywood bietet. Bei uns hat es "Rescue Dawn" freilich nicht in die Kinos geschafft.
Christian Bale spielt nun Dieter, der Batman der Christopher-Nolan-Filme, er ist so mystisch versonnen wie der dark knight, wird aber immer wieder von unerklärlicher Fröhlichkeit gepackt, wie Kaspar Hauser in Herzogs "Jeder für sich und Gott gegen alle", der immer wieder - Little Kaspar needs to ride - seinen Satz wiederholte "Ein Reiter will ich werden, wie mein Vater einer war . . ." Was für eine unbekümmerte Neugier auf die Welt - manchmal wirkt es, als sei selbst die Folter für Dieter eine aufregende Erfahrung. Kein Kriegsfilm, erklärt Herzog, but the test and trial of man. Es ist auch, was Tom Cruise mit seinem Stauffenberg so gern geschafft hätte, Essenz des amerikanischen Action-Kinos, ein Mann, der seinen Weg geht, unbeirrt. Unbeirrbarkeit auch bei Herzog, der wegen Problemen mit dem Labor, den Dreh über keine rushes zu sehen bekam, dennoch sicher war, dass alles seine Richtigkeit hatte.
Ein anderer Bayer in Hollywood, Kurt Neumann. Geboren in Nürnberg (wo Kaspar Hauser einst auftauchte), in den Dreißigern im B-Picture-Bereich schwer beschäftigt - zur Tarzan-Serie abkommandiert. Legendär sein Horrorfilm "The Fly", mit dem unglücklichen Wissenschaftler am Ende, dessen Kopf auf einen Fliegenkörper transferiert wurde, der sich von einer Spinne im Netz bedroht sieht und ein verzweifeltes "Help me!" quietscht . . . Im August 1958, eine Woche vor dem US-Start des Films, nahm Neumann sich das Leben. Er war gut in Horror und Fantasy, die Tausendundeinenacht, die er 1952 in "Sohn des Ali Baba" gestaltete, waren ihm eher ein Nebenschauplatz. Der Film ist ein wenig steif, trotz der wüsten Palastintrigen, in die Tony Curtis und Piper Laurie verwickelt werden. Ein Jahr vorher haben die beiden "Die Diebe von Marschan" gemacht, der sehr viel wendiger und lustvoller ist - Regisseur Rudolph Maté wusste als Ex-Kameramann um die Erotik des Blicks, er hatte ein paar Jahre zuvor Gilda photographieren dürfen.
Ein wildes Weltkriegsballett ist "Todeskommando Panthersprung/Cinque per l'inferno" von Gianfranco Parolini. Tarantino wurde von solchen Filmen zu seiner Kriegs-Klamotte angeregt, die er eben in Berlin dreht. Der "Panthersprung" ist ungeniert von Hollywood inspiriert - vor allem von Fred Astaire. Ein Sonderkommando zwischen Zirkusnummer und Stepptanz, und Klaus Kinski, Werner Herzogs liebster Feind, ist besonders elegant und stilvoll als SS-Mann.
Ein Räuber-Movie aus deutscher Provinz, ein Postraub im Jahr 1824, "Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach". Volker Schlöndorffs Rückkehr in die hessische Kindheit - im Moment ihres plötzlichen Erfolgs üben sich die jungen deutschen Filmer in Bescheidenheit. "Kombach" ist in lehrstückhaftem Schwarzweiß gedreht, angeleitet vom einfachsten Hollywood-Genrekino. Eine arme Familie will einen Kleintransport mit Steuergeldern überfallen - sie haben keine Chance, also nutzen sie sie. Immer wieder versuchen sie es, das ist fürchterlich komisch in seiner Armseligkeit, aber auch menschlich groß. Es sind großartige Darsteller dabei, Georg Lehn, Reinhard Hauff und der Schriftsteller Wolfgang Bächler. Er ist der ambulante Händler, der den Bauern die Idee vom Überfall in den Kopf setzt. Und der am Ende davonkommt und aufbricht nach Amerika. FRITZ GÖTTLER
Rescue Dawn, Sony. Der Sohn von Ali Baba / Die Diebe von Marschan, Koch Media. Todeskommando Panthersprung, Koch Media. Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach, Arthaus.
Harmloses Angebot
Anja Hillings "Bulbus" an den Münchner Kammerspielen
Vielleicht kann man Anja Hilling ein schriftstellerisches Modem nennen. Sie nimmt viele Dinge auf, künstlerische und real vorhandene, und kanalisiert diese in ihre Texte hinein, als wäre die Welt eine E-Mail und Theater ein Postfach. Nun ist wohl jeder Schriftsteller Anregungen und Einflüssen von außen unterworfen. Doch so unmittelbar wie bei Hilling funktioniert das dann doch selten. Was durchaus sympathisch ist, weil die 1975 geborene Autorin kein Hehl daraus macht. Außerdem versteht sie es, aus dem Material Texte mit einem eigenen Klang, oder besser gesagt, einem eigenen Sound zu schaffen. Dieser wirkt auf die Theater wie ein Botenstoff: Seit 2005 ist Anja Hilling die Erfolgsautorin ihrer Generation, eine der wenigen, deren Stücke nicht nur als Uraufführungssensationen gehandelt, sondern auch regelmäßig nachgespielt werden. Was daran liegen mag, dass sie bei aller Konstruiertheit der Regie große Freiheiten lassen.
Auch "Bulbus" ist so ein textliches Angebot ans Theater. Das Stück könnte auch ein Filmskript oder ein Hörspiel sein - es wäre nicht der erste vom Rundfunk adaptierte Hilling-Text. Aber "Bulbus" ist direkt am Theater entstanden, im Rahmen der Werkstatt-Tage des Wiener Burgtheaters. Dessen damaliger Dramaturg Andreas Beck nahm sich des Projektes an und formulierte - die Uraufführung war im März 2006 - auch gleich einen Paradigmenwechsel für seinen Berufsstand: Der Dramaturg werde zusehends zum Produzenten und helfe bei der Entwicklung der Stücke mit. Was zu dem erstaunlichen Umstand führt, dass nun ein Theater, die Münchner Kammerspiele, das wohlerzogene Kind eines anderen Hauses dankbar aufnimmt.
Freilich wäre es müßig zu ergründen, wie viel von "Bulbus" einer Burgtheater-Anregung geschuldet ist. Die Münchner Kammerspiele haben eine mehrjährige Erfahrung mit Hilling-Stücken, die mittlerweile in eine große Gelassenheit mündet. Sie vertrauten diese deutsche Erstaufführung der Regisseurin Christiane Pohle an, die ein Händchen hat für die in Hilling-Texten stets zu entdeckenden subtilen Witzeleien, drucken dazu im Programmheft ein Gespräch zwischen Hilling und Andreas Beck ab, in dem erklärt wird, wie es zu dem Stück kam, und bestücken diese gut einstündige Petitesse mit tollen, aber weitgehend zur Untätigkeit verdammten Schauspielern. Das Ergebnis ist ein sprachlich hochwertiges, im Werkraum mit sechs verschmierten Glaskästen szenisch aufbereitetes Hörspiel um ein junges Paar, das sich als Strandgut in einer schrulligen Einöde namens Bulbus findet und sich durch eine verzwirbelte, aber letztlich überschaubare Krimihandlung forscht. Diese ist inspiriert von Krimis Alfred Komareks, die Verzwirbelung aber ist genuin Hilling, ebenso wie ein gewisses Beziehungsaroma nebst ein paar verstiegenen, aber lustigen Pointen. EGBERT THOLL
Man muss schon etwas wissen, um wirklich hören zu können
Der große Pianist Evgeny Kissin über das Geheimnis des Schöpferischen, die wahre Interpretation, die richtige Pädagogik und über betrunkene Präsidenten
Seit seinem sensationellen Debüt als Zwölfjähriger 1984 in Moskau gehört Evgeny Kissin zu den größten lebenden Pianisten. Bevor er sich in der nächsten Saison vorübergehend zurückzieht, brachte er noch Beethovens Klavierkonzerte auf CD heraus, demnächst folgen Prokofjews zweites und drittes Klavierkonzert, beide Brahms-Konzerte und schließlich Mozarts d-Moll KV 466 und B-Dur KV 575. In München spielt er am Mittwoch, 28. Januar (20 Uhr, Philharmonie) Werke von Prokofjew und Chopin. In einem Pariser Hotel redete er über Musik und Politik, während sich im Hintergrund ein Barpianist nach Kräften um Beethoven und Chopin mühte.
SZ: Warum nehmen Sie schon in Ihrem Alter Werke ein zweites Mal auf?
Evgeny Kissin: Weil ich sie jetzt besser spiele. Zum Beispiel das Schumann-Konzert. Beim ersten Mal hatte ich gerade erst begonnen, das Stück zu studieren, und ich wurde zwei Tage vor dem Konzert gebeten, für Salvatore Accardo einzuspringen. Giulini dirigierte die Wiener Philharmoniker. Für mich war es damals die erste Gelegenheit, mit den Wienern zu spielen, und die nutzte ich natürlich. Aber das Konzert war noch nicht fertig, es war noch nicht in mir gereift. Das Stück scheint ja ganz einfach zu sein, aber darin liegt natürlich die größte Schwierigkeit.
SZ: Was macht Einfaches schwierig?
Kissin: Vielleicht schon die Tatsache, dass es einfach zu sein scheint. Das ist in höchstem Maße trügerisch. Letztlich war es dieses Schumann-Konzert, das mir zeigte, wie trügerisch alles Einfache in der Musik ist. Andererseits sollte man niemals mehr veranstalten, als vorhanden ist, es nicht verkomplizieren oder in die falsche Richtung komplexer gestalten, und natürlich keinesfalls in Manierismen verfallen. Das würde die Musik genauso ruinieren wie schiere Unbedarftheit. Es geht bei dieser Art Musik nicht immer so geradeaus, wie es den Anschein hat, und der ausführende Künstler muss die Musik mit großer Vorsicht behandeln - wie ein zerbrechliches Objekt. Dann erst kann er den Reichtum des Werkes entfalten.
SZ: Hat Schumann mehr hineingepackt, als beim ersten Blick zu sehen ist?
Kissin: Ich bin mir nicht einmal sicher, ob Schumann das so genau wusste. Viele Künstler sahen in ihren Werken ganz anderes als die Nachwelt. Tschaikowsky etwa schätzte sein zweites Klavierkonzert viel höher ein als sein erstes. Und Rachmaninow spielt sein drittes Klavierkonzert so schnell, dass man an die Begründung vieler Experten denkt: Er musste so schnell spielen, damit es auf eine Schallplattenseite passt. In seinen Memoiren schreibt Rachmaninow dann tatsächlich, sein 3. Klavierkonzert sei 33 Minuten lang. Aber wenn man es tatsächlich so schnell spielt, kann man kaum etwas entwickeln von den Feinheiten und von den tragischen Momenten in diesem Werk. Man braucht 40 bis 45 Minuten, um dem Stück gerecht zu werden.
SZ: Woher kommt die Diskrepanz?
Kissin: Ich glaube, dass große Künstler unter bestimmten Bedingungen eine Art Medium werden. Natürlich muss man hart arbeiten, um etwas Großes hervorzubringen. Aber nicht jeder, der hart arbeitet, bringt Großes hervor. Also entsteht das Große vielleicht erst jenseits des Künstlerwillens. Rachmaninow übrigens mochte die Darbietungen seiner Werke durch Gieseking und Horowitz, auch die des dritten Klavierkonzertes. Die Ausführung von Horowitz kam seiner eigenen sehr nahe, aber die von Gieseking war sehr viel langsamer. Folglich gab es in den Augen oder Ohren des Komponisten schon einmal mindestens zwei Möglichkeiten, seinem Werk gerecht zu werden.
SZ: Vielleicht hat Rachmaninow sein Stück innerlich immer perfekt gehört?
Kissin: Möglich, aber als ausführender Künstler geht es genau um das, was äußerlich zu hören ist. Die Voraussetzungen sind eine Sache, die Ergebnisse eine andere. Meine Lehrerin sagte mir als Kind oft: Du meinst das Richtige, aber es ist nicht zu hören. Du denkst, man hört es, weil du es hörst, aber es kommt nicht heraus aus deinen Fingern. Und in diesem Punkt muss man dem großen russischen Klavierpädagogen Heinrich Neuhaus widersprechen, denke ich. Er behauptete, der Komponist sei der beste Interpret seines Werkes. Mal abgesehen von denen, die keine großen Bühnentalente sind, halte ich diese Meinung generell für falsch.
SZ: Muss man dem Komponisten die Werke entreißen, um sie angemessen zur Geltung zu bringen?
Kissin: Wir wissen natürlich nicht, was in dem Künstler während seines Komponierens vorging. Das ist wohl erst möglich, wenn die Wissenschaft da entsprechende Hilfsmittel entwickelt. Als Svjatoslav Richter einmal in Japan gebeten wurde, sich während eines Konzerts medizinischer Überwachung zu unterziehen, fragte er die Forscher, was sie denn da hören wollten. Sie sagten: die Musik Ihres Herzens. Und Richter sagte, er wünsche sich aber, dass sie sich Prokofjews Sonate anhörten.
SZ: Wenn der Komponist nicht den Diskurs über sein Werk bestimmen kann, wer darf sich dann anmaßen, die letzten Dinge über Rachmaninow zu sagen?
Kissin: Der Komponist redet durch sein Werk immer mit. Aber ich habe mich zum Beispiel schon sehr gewundert, als ich hörte, Rachmaninows Werke gälten hier als Salonmusik. Persönlicher Geschmack ist eine Sache, aber wenn der Geschmack durch Vorurteile geformt wird, ist das wirklich sehr schade.
SZ: Sind diese Vorurteile nicht in den letzten Jahren schon weniger geworden?
Kissin: Das stimmt. Im Grunde bin ich da guten Mutes: Die jüngere Generation scheint von all diesen Vorurteilen nichts wissen zu wollen. Das gefällt mir. Sie hören weitgehend unvoreingenommen und bilden sich ihr Urteil aufgrund des Gehörten, nicht umgekehrt.
SZ: Vielleicht wollen zu viele Musikliebhaber und Kenner bestimmte Komponisten gegen andere verteidigen.
Kissin: Ich denke, das ist wirklich nicht nötig, schon gar nicht in Deutschland. Ich denke, Deutschland hat der Welt mehr große Komponisten geschenkt als irgendein anderes Land, eigentlich sogar mehr als alle anderen Länder zusammen. Und: Natürlich kann man das Genie von Rachmaninow nicht mit dem Genie von Beethoven vergleichen, aber ein Salonkomponist ist er deshalb noch lange nicht. Solche Vorurteile gibt es übrigens nicht nur in Deutschland. Von einem französischen Kritiker musste ich 1992 lesen, ich hätte aus einem Showpiece von Rachmaninow ein tief empfundenes Stück gemacht. Das hat mich ehrlich schockiert.
SZ: Weil Sie sich missverstanden fühlten oder weil Sie Angst hatten, die Musik missverstanden zu haben?
Kissin: Svjatoslav Richter hat ja gesagt, gute Musik, von einem guten Künstler vorgetragen, wird immer die Herzen der Hörer erreichen. Aber das stimmt nicht. Der Geiger und Musikpädagoge Michail Kazinik hat darüber geforscht und mit Technik-Studenten experimentiert, die er zunächst unvorbereitet und später vorbereitet ins Konzert schickte. Er kam zu dem eindeutigen Ergebnis: Man muss etwas wissen, um hören zu können. Die Studenten hörten die gleichen Werke einmal völlig indifferent und fanden die Musik langweilig, im zweiten Fall aber sehr aufregend. Sie behaupteten nachdrücklich, nicht die gleichen, sondern unterschiedliche Stücke gehört zu haben. Daraufhin beschloss Kazinik, sein ganzes Leben der Vermittlung klassischer Musik zu widmen. Was er bis heute tut.
SZ: In der kommenden Saison werden Sie nur zwei Soloauftritte haben; sind Sie reisemüde?
Kissin: Ich brauche etwas Zeit für mich, für Bücher, Filme, CDs, und für Freunde. Und tatsächlich habe ich auch keine Lust mehr, von den Städten nur Flughafen, Hotel und Bühne zu sehen. Früher, zu sowjetischer und postsowjetischer Zeit, wurden wir oft von den westlichen Veranstaltern eingeladen, ein paar Tage länger zu bleiben. Wir waren ja sehr billig, und so waren die Veranstalter großzügig.
SZ: Inwiefern sind Sie denn noch von der Sowjetunion geprägt?
Kissin: Ich habe das Ende der Sowjetunion als Kind erlebt und mich als Teenager schon in Freiheit entwickeln können. Das Wichtigste war doch, dass die Grenzen geöffnet wurden. Auch wenn in den letzten Jahren alles sehr schwierig geworden ist. Alle Politiker, die zur Macht gekommen sind, klammern sich daran und übernehmen westliche Parolen wie Freiheit und Demokratie, handeln aber nicht danach. Trotzdem verbinden die meisten Menschen Boris Jelzin mit Freiheit. Deshalb sind sie für diese sogenannten Demokraten, aber das ist eine große Katastrophe. Auch wenn die Bürger im Westen ihre Rechte oft ungenügend schätzen und verteidigen, muss ich sagen: Gottseidank gibt es hier eine alte, funktionierende Demokratie. Bei uns hingegen gibt es zu schnell den Ruf nach Führern.
SZ: Ist Putin nicht auch deshalb beliebt, weil er die Oligarchen bekämpft?
Kissin: Es ist wohl etwas komplizierter. Und so viele unterstützen ihn gar nicht. Die meisten sind indifferent. Viele finden Putin wohl besser als Gorbatschow und Jelzin. Letzterer war zu machthungrig, er tat einfach alles, was ihn an der Macht hielt. Und er war natürlich ständig betrunken. Und das angesichts dieser Machtfülle. Das ist unverantwortlich.
SZ: Putin ist da eher das Gegenteil; immer nüchtern?
Kissin: Die Russen sagen: Zunächst hatten wir einen großen, guten und betrunkenen Präsidenten. Mit Putin haben wir einen kleinen, nüchternen, bösen.
Interview: Helmut Mauró
Der Pianist Evgeny Kissin Foto: SZ-Archiv
HEUTE
Der Fotograf Paul Graham rückt Verlierer in einen neuen Blickwinkel Seite 12
Über die neue Mode und den großen Markt der Mädchensexbücher Seite 14
Alexander Wrabetz hat den ORF in die bislang tiefste Krise geführt Seite 15
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Nicht totzukriegen
Marcia Haydée choreographiert "Schwanensee", den Ballettklassiker schlechthin
Der Prolog gehört der eigentlichen Hauptfigur dieses "Schwanensees", dem Zauberer Rothbart. Der Unhold hält bekanntlich in Schwäne verwandelte junge Mädchen gefangen, die er als Köder für unschuldige Männer einsetzt. Wer so einer Schwanenjungfer auf den Leim gegangen ist und sie nicht vor Rothbart zu erretten vermag, muss diese endgültig ihrem traurigen Schicksal überlassen und selbst sein Leben geben. Die Choreographin des Abends, Marcia Haydée, John Crankos einstige Primaballerina und Erbwalterin am Staatstheater Stuttgart, hat nun für das Königliche Ballett von Flandern in der Antwerpener Stadtschauburg das Ballettmärchen schlechthin mit Happy End choreographiert: Schwäne als rebellierende Phalanx, Rothbart tot, das Liebespaar vereint.
Die mal mit glücklichem, mal mit tödlichem Ausgang inszenierte Geschichte um den Prinzen Siegfried und dessen Liebe zum unglücklichen Schwanenmädchen Odette, uraufgeführt 1877, hatte seinen Durchbruch in der Petersburger Version von 1895, wobei Marius Petipa die so genannten bunten Akte I und III, Lew Iwanow hingegen die zauberischen weißen II und IV choreographierte. Diese Fassung gilt nach wie vor als Standard, als Basis für alle folgenden bis heute, wobei vor allem die gut überlieferten weißen Akte weitgehend unangetastet bleiben, egal ob der Choreograph Nurejew oder Cranko heißt.
"Schwanensee" erfreut sich ungebrochener Beliebtheit, es ist der Ballettklassiker schlechthin, beliebter noch als "Dornröschen" oder "Der Nussknacker" - wenn die Leute Ballett denken, dann denken sie "Schwanensee". Es ist wie mit Beatles-Songs oder mit Beethovens Fünfter: Jeder fühlt sich berufen, mitzureden und weiß sofort, um was es geht. Das Stück selbst steht für das Genre.
Interpretationsversuche gab es viele. Tiefenpsychologische Gründler wie Mats Ek haben gefragt, warum sich der Prinz keine richtige Frau, sondern ein Geisterwesen sucht. Diese Frage veranlasste John Neumeier dazu, in der Figur des Prinzen König Ludwig II. zu spiegeln. Der Engländer Matthew Bourne ging noch weiter, ließ in seiner herzzerreißenden Version die Schwäne von Männern tanzen, als glatzköpfiges unerlöstes Federvieh mit gebrochenen Flügeln, das auf seinen schwulen Prinzen wartet.
Derart gleichermaßen tiefschürfende wie naheliegende Assoziationen interessieren den wahren "Schwanensee"-Liebhaber nur am Rande. Das empörende Moment der von Rothbart inszenierten Täuschung, dem Prinzen statt der anrührenden Odette die kaltschnäuzige Odile zuzuführen und ihn dadurch zum vermeintlichen Treuebruch zu verführen; der hintergründige Reiz, der in der Doppelrolle der Odette/Odile, also im Gegensatz des weißen und des schwarzen Schwans liegt, gepaart mit den Bravour-Nummern der Solisten, gipfelnd in den 32 Fouettés, den geschlagenen, möglichst auf der Stelle gedrehten Pirouetten der Odile, die jeder Kenner mitzählen kann - diese Mischung aus unartikulierten archetypischen Phantasien und stupender Technik, aus großen Gefühlen und phantastischen Tableaux, übt eine sich ununterbrochen selbst erneuernde Faszination aus, ohne dass das Stück wesentlich erneuert werden müsste oder könnte.
Bis zum Siegeszug des Tanztheaters in der deutschen Provinz wurde jede Ballettkompanie unausgesprochen daran gemessen, ob sie genügend Mädchen im Corps hatte, einen "Schwanensee" aufzuführen, 14 plus Solistin als Odette/ Odile mussten es mindestens sein. "Schwanensee" lautet nach wie vor das heimliche Todschlagargument zahlungsunwilliger Kulturämter, wenn es darum geht, publikumsfeindlicher Avantgarde Subventionen zu verweigern. "Schwanensee" heißt der Magnet, der auch 2009 volle Häuser und ausverkaufte Stadien wie die Münchner Olympiahalle garantiert, egal ob eine mindere Tänzergarde russischer Provenienz damit durch die Lande tingelt oder chinesische Akrobaten die Virtuosität der danse d'école als Basis für ihren "Schwanensee"-Zirkus nehmen.
Abgesehen von solchen Spektakeln ist eine geglückte "Schwanensee"-Aufführung noch immer der Ausweis einer jeden klassischen Ballett-Truppe, die etwas auf sich hält. Und so überrascht es nicht, dass Marcia Haydée, die berühmte Menschengestalterin des Tanzes, sich mit nunmehr 71 Jahren auf dieses Werk stürzt, um noch einmal eine ihrer wenigen abendfüllenden Choreographien vorzulegen (gerade mal ein halbes Dutzend dürften es sein). Nach "Dornröschen" und "Giselle" vollendet sie mit "Schwanensee" den Dreiklang der bedeutensten Stücke der Ballettliteratur - entsprechend groß war die Erwartung.
Intellektuelle Mätzchen sind Haydées Sache nicht. Es choreographiert die Tänzerin in ihr, die gefeierte, hochdramatische Ballerina, bemüht um größtmögliche Präsenz und Wirkung. Ihr Zauberer Rothbart herrscht in einem undurchdringlichen Dschungel, eine Mischung aus Vogel und Reptil, dabei unwiderstehlich elegant mit seinen schlängelnden Bewegungen, ein lockendes Urgetüm.
Man kennt das von Marcia Haydée. Schon in ihrem "Dornröschen" wertete sie die zentrale Pantomime zum vollwertigen Tanzpart auf, machte aus der bösen Fee Carabosse eine unvergessliche Charakterstudie für ihren einstigen langjährigen Partner Richard Cragun. Ihr Rothbart changiert nicht zwischen den Geschlechtern, sondern zwischen Tier und Mensch, ein vegetabiles Wesen mit animalischem Eros. Dagegen stinkt jeder Prinz naturgemäß ab. Bei Haydée hat er auch noch eine äußerst attraktive Frau Mutter, gegen die seine Bräute in spe erst einmal ankommen müssen. Sie tanzt zum Geburtstag den weit ausschwingenden Eröffnungswalzer mit ihrem Siegfried, keine ältere Dame wie sonst, sondern Sisis Schwester mit ihrem juwelen-bestirnten Wallehaar. Soweit Haydées Verbeugung vor John Neumeier, der einst große Rollen für sie kreierte. John Crankos Witz stand Pate beim Divertissement des ersten Aktes, wo sich die gern in Kreisen oder Diagonalen zu Vierergruppen platzierten Tänzerinnen und Tänzer in weinseligen Taumel tanzen.
Sie feiern ausgelassen die bevorstehende Volljährigkeit ihres Prinzen, eines leutseligen Zeitgenossen mit unergründlich melancholischen Momenten. Man schwelgt in prächtigem Ausstattungsüberfluss, in Samt und Seide, schwer fallend und zart flatternd, pflaumenfarben, ockergelb, grün, der Prinz in kleidsamem Petrol. Er springt zum Entré ein paar Grands jetés en manège, buchstäblich ein Bruder Leichtfuß, und begibt sich gegen Ende des Umtrunks mit der Armbrust arglos zur Schwanenjagd.
Bis dahin kam man aus dem Schauen nicht heraus, berauschte sich am Augenschmaus, an temperamentvollen und flüssigen Ensembleszenen. In den uninspirierten Volkstänzen, mit denen sich im dritten Akt die Bräute vorstellen, kam dann weit weniger Freude auf. Das lag zum einen am nicht immer harmonischen Arrangement von Tschaikowskys Nummern, Brüche, die die astrein intonierenden Brüsseler Philharmoniker und das Flämische Rundfunkorchester unter der entschiedenen Leitung von Benjamin Pope nicht überspielen konnten.
Und was sich im zweiten, weißen Akt bereits angedeutet hatte, bestätigte sich nun: Die Frauen im Corps de ballet können keine geraden Linien halten, sind zu wenig synchron, was unerlässlich ist für die frappierende Wirkung perfekt symmetrisch angelegter Bilder. Was man in Antwerpen forciert bejubelte, bewegte sich letztlich auf einigermaßen solidem Stadttheaterniveau. Beim "Schwanensee" aber erwartet man Tanz in Vollendung. EVA-ELISABETH FISCHER
Der "Schwanensee" ist so beliebt und ausgereizt wie "Beatles"-Lieder oder Beethovens Fünfte. Das kann man mit Spektakel überspielen, oder mit wahrer Meisterschaft - einen Mittelweg gibt es nicht. Foto: Aki Saito
Tanz der Teufel
Soll der Staat seine Bürger vor NS-Dokumenten beschützen?
Bayern im Januar 2009. Am vergangenen Donnerstag verteilte der englische Verleger Peter McGee trotz Verwarnung und zum zweiten Mal ohne Erlaubnis den kompletten Nachdruck einer NS-Zeitung aus dem Jahr 1933 an 40 000 deutsche Zeitschriftenhändler. Am Freitag trat der Freistaat Bayern in Aktion. Der hält bis heute die Nutzungsrechte des Eher-Verlags, in dem in den zwanziger Jahren und während der NS-Zeit Nazizeitungen wie der Völkischer Beobachter, Der Angriff und Das Schwarze Korps, sowie Adolf Hitlers "Mein Kampf" erschienen. Alle im Handel befindlichen Faksimiles des Völkischen Beobachters seien sofort zu beschlagnahmen, hieß es, was zumindest in der Landeshauptstadt am Wochenende noch nicht vollständig gelang.
Nun können Wörter Dämonen zum Leben erwecken, das weiß jeder Horrorfilmfan. In Sam Raimis berühmter "Tanz der Teufel"-Reihe muss Bruce Campbell als Zombiejäger Ash oft gegen Wörter kämpfen, die in bösen alten Büchern wohnen. Vom "Necronomicon ex mortis" heißt es im dritten Teil, dass seine Leser mit den richtigen Beschwörungsformeln Dämonen wachrufen können. Im Film reicht Ash eine Kettensäge, um die "Armee der Finsternis" zu bezwingen. In der Wirklichkeit sind Dämonen nicht so schnell klein zu kriegen. Die Zeitungsverkäuferin am Münchner Hauptbahnhof meinte am Samstag zwar sehr mürrisch, "das Ding" sei bereits komplett eingestellt worden sei. Doch an vielen Kiosken lag es noch aus. "Das ist das, worüber geschrieben wird, nicht?", fragte ein Schwabinger Tabakhändler konspirativ. Genau. "3,90, bitte." Danke.
Auch gegen McGee wird ermittelt. Der Verleger, ließen die Verwaltungsjuristen wissen, habe in seinen Zeitungszeugen Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwendet und gegen das Urheberrechtsgesetz verstoßen. Der Publikation lagen jeweils drei Faksimiles bei, darunter jedes Mal ein NS-Blatt; erst Joseph Goebbels Angriff, nun der Völkische Beobachter, das "Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung Großdeutschlands". In der neuen Ausgabe findet man außerdem noch ein Plakat, mit dem die NSDAP den Reichstagsbrand zum Wahlkampfthema erklärte.
McGee ist da in eine Debatte geraten, die schon seit Jahren tobt, meist um die Wiederveröffentlichung von "Mein Kampf". Der Verleger hat den Konflikt kommen sehen und sich bereits vor Monaten Rechtsbeistand gesucht. Er werde nicht klein beigeben, sagte er der SZ, sich notfalls durch alle Instanzen für sein Projekt klagen. Ähnlich entschlossen klingen seine Gegner. Mit der Frage der Legalität der Nachdrucke wird sich wohl schon bald ein Gericht befassen, wahrscheinlich in München und hoffentlich öffentlich. Bleibt die Frage der Legitimität: Darf die deutsche Gesellschaft zulassen, dass man NS-Publikationen wieder eins zu eins am Kiosk kaufen und lesen kann? Denn darum geht es wirklich.
Der dünne Mantelteil von McGees Zeitungszeugen, in dem Wissenschaftler die beigelegten Faksimiles kritisch aber knapp kommentieren, ist schnell entfernt - darauf haben McGees Kritiker zu Recht hingewiesen. Ein kompletter Nachdruck, der einfach entnommen werden könne, beinhalte aber eine Missbrauchsgefahr, "die nicht akzeptiert werden kann", schrieb Bayerns Finanzministerium, das die Verlagsrechte für den Freistaat verwaltet. "Nicht viel mehr als ein Briefumschlag fürs Nazi-Dokument", empörte sich ein Rezensent in der FAZ, dem die Sache so "hautnah" ging, dass er das bürgerliche (Deutsche Allgemeine Zeitung) und das kommunistische (Der Kämpfer) Dokument in demselben Umschlag glatt zu erwähnen vergaß.
Die Debatte hinter der Debatte über McGees Zeitungszeugen aber handelt von der Frage, ob sich die Deutschen noch vor ihrer Vergangenheit beschützen müssen. Es geht dabei nicht um einen Briten, der mit betriebswirtschaftlichem Kalkül ein deutsches Verbot ignorieren wollte. Es geht um das ganze alte Zeug: Nazi-Presse, Nazi-Bücher, Nazi-Poster, sogenannte "Vorbehaltsfilme" wie "Jud Süß" oder "U-Boote westwärts!" und natürlich das deutsche Necronomicon schlechthin: Hitlers "Mein Kampf". All das ist nicht verboten, aber bis heute auch nicht richtig erlaubt. Ein Buch wie "Mein Kampf" darf man besitzen, neu auflegen darf es aber hierzulande noch bis zum 31. Dezember 2015 keiner. Ein antisemitisches Propagandawerk wie "Jud Süß" darf man sich ansehen, aber nur in geschlossener Gesellschaft und nach einem kritischen Vortrag.
Die Frage nach dem Sinn solcher Vorsichtsmaßnahmen wurde so oft gestellt, dass viele der alten Diskutanten in diesen Tagen nur noch matt abwinken. Doch vielleicht ist das geplante Zeitungszeugen-Verbot ja genau der richtige Anlass, um noch einmal grundsätzlich über böse deutsche Wörter und den richtigen Umgang mit ihnen zu diskutieren. Heute, wo die alten Nazis fast alle tot sind und ihre nationaldemokratischen und rechtsautonomen Wiedergänger allem staatlich subventionierten Antifaschismus zum Trotz in zwei Parlamenten sitzen und in Teilen Mittel- und Ostdeutschlands eine selbstbewusste Mehrheitskultur ausgebildet haben. Da fragt sich schon, ob der alte, wohlmeinende Paternalismus antidemokratische, juden- und fremdenfeindliche Strömungen wirklich aufhält oder am Ende gar befördert.
Der Verweis auf das Internet mag albern wirken, aber wer weiß, über was für Kommunikationsmittel die Damen und Herren der bayerischen Verwaltung verfügen, die offenbar immer noch glauben, sie könnten einer "ungefilterten Verbreitung" alter NS-Propaganda "in nationalsozialistischen Kreisen" vorbeugen. "Mein Kampf" kann sich jeder Interessierte ohne langes Suchen runterladen, dafür gibt sogar einen Link bei der englischen Wikipedia. Filme wie "Jud Süß" sind in Videoportalen abrufbar, meist führt schon einer der ersten Treffer bei Google dorthin.
Dem Freistaat gehe es um den Respekt vor den Opfern des Holocausts, stand in einer Pressemitteilung des bayerischen Finanzministeriums. Für diese seien Neuveröffentlichungen von NS-Hetzblättern "immer wieder ein Affront". Das klingt nobel, ist aber zynisch. Denn demnach hätte der Freistaat nur Respekt vor noch lebenden Opfern des Naziterrors. Was, will man fragen, wenn der letzte Holocaust-Überlebende verstorben ist, also kein Affront mehr droht? Dürfen die Druckmaschinen dann wieder angeworfen werden? Weiter, schreiben die Juristen, werde das Verbot "seit Jahrzehnten im In- und Ausland begrüßt und unterstützt". Wenn das mal noch stimmt. In Israel gibt es Mein Kampf inzwischen sogar auf Hebräisch.
Auch in diesen Tagen hat das Ausland wenn überhaupt, dann gelassen auf die alten NS-Blätter reagiert. "Deutsche kaufen Nazi-Nachrichten-Nachdrucke" stand vergangene Woche etwa in der Taiwan News, gefolgt von einem sehr sachlichen Bericht. Eine angehende deutsche Lehrerin bezeichnete die Nachdrucke darin als sinnvolles Unterrichtsmaterial, mit dem sie ihren Schülern zeigen könne, "wie die Originale wirklich aussahen"; ein Argument, dass der Verleger und sein wissenschaftlicher Beirat bereits bei der Vorstellung der Zeitungszeugen am 7. Januar in Berlin vortrugen.
In einem dringlichen Appell an den Freistaat, sein Verbot zu überdenken, haben die Wissenschaftler ihre Überzeugung noch einmal bekräftigt: "Nur wer Hitlers Hassreden oder Goebbels Hetztiraden nachgelesen, ja möglichst gehört und gesehen hat, kann sich ein einigermaßen authentisches Bild über den Weg in die schlimmste Katastrophe der Geschichte der Neuzeit machen", schrieben Historiker wie Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin, Barbara Distel, langjährige Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau und der weltweit geachtete Geschichtsgelehrte Hans Mommsen. Ein strenger Verschluss führe zum Gegenteil dessen, was der Freistaat anstrebe - zur "Mystifizierung und Überhöhung der NS-Propaganda". Erst das Etikett "böse und gefährlich" mache das Material für die extreme Rechte attraktiv.
Wozu solche Verbote führen, zeigte zuletzt das Beispiel "Thor Steinar". Als die ersten Mützen und T-Hemden der Kleidungsmarke vor sieben Jahren im Versandhandel angeboten wurden, trugen sie ein Logo, das aussah wie eine horizontale Wolfsangel mit einem Pfeil darüber. Wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (die vertikale Wolfsangel mit Querstrebe war das Zeichen des Deutschen Jungvolkes) wurde das Logo verboten - und Thor Steinar zur beliebtesten Marke autonomer Nationalisten und rechtsradikaler Hooligans. Heute hat die Firma ein anderes Logo, dafür aber eine riesige Produktpalette mit mehreren Kollektionen, auch für Frauen und Kinder. Und Läden in sechs deutschen Städten.
Neue Nazis verhindert man genauso wenig mit Verboten von Zeitungen, deren altdeutsche Lettern die meisten jungen Rechtsextremisten ohnehin nicht entziffern können, wie mit dem immer wieder und bequem beschworenen Verbot der NPD. In letzterem Fall stärkt das Gerede nur den Zusammenhalt der Szene und deren Anziehungskraft auf Jugendliche, die Verbotenes schon aus hormonellen Gründen reizt. Wer mit Abgeordneten spricht, die jeden Tag neben Neonazis im Landtag sitzen, hört oft, dass nur das Gegenteil funktioniert: die offene und immer wieder gesuchte Auseinandersetzung.
Das gilt auch für den Völkischen Beobachter, dieses angeblich immer
noch so gefährliche Hetzblatt. "Ein Mann - ein Volk!" steht
da im Faksimile der Zeitungszeugen über einer großen Eloge, die mit
den Worten "Der eine Mann ist Adolf Hitler, das eine Volk ist das
deutsche" beginnt und so auf etwa 100 Zeilen weiter stampft. Da geht es um
die "Ganzheit und seligende Gemeinsamkeit" des Deutschseins und die
"Urvoraussetzungen des Daseins" an sich. Am Ende schreibt der
namenlose Autor, was er von "verantwortungslosen Intellektuellen" und
der "Unmenge einzelgängerischer Geistesbelustigungen" hält:
"Etwas Barbarischeres als die Unkultur der alle deutschen Heiligtümer
zerstörenden Zivilisationsliteratur hat es ohnehin nie gegeben." Wie
sagt Geisterjäger Ash im zweiten "Tanz der Teufel": "Das
Tageslicht hat es verscheucht."
Jugendliche reizt Verbotenes schon aus hormonellen Gründen
"Mein Kampf" darf man besitzen, nur neu auflegen darf es keiner
Abgeordnete, die im Landtag jeden Tag neben Neonazis sitzen
NACHRICHTEN AUS DEM NETZ
Das Anstehen entstammt jener vordigitalen Epoche, in der ein Mangel an Gütern herrschte. Im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit sind Waren auf bloße Informationen zusammengeschrumpft und lassen sich beliebig oft vervielfältigen. Schlangen gibt es im Internet daher nur selten und wenn, dann weil die Serverkapazitäten begrenzt sind, also zu viele Leute an der virtuellen Warenausgabe stehen, um sich ihre Daten abzuholen.
Vor ein paar Tagen zum Beispiel konnte man sich vor den Toren des zuletzt etwas schläfrig wirkenden Softwareriesen Microsoft die Beine in den digitalen Bauch stehen. Microsoft hatte angekündigt, eine kostenlose Testversion des Betriebssystems Windows 7 auf den Markt zu werfen, das Ende des Jahres in die Läden kommen soll. Kleiner Haken: Nur die ersten zweieinhalb Millionen in der Schlange sollten zum Zuge kommen. An einer globalen Warenausgabe ist das eine verschwindend geringe Zahl. Erwartungsgemäß löste diese künstliche Verknappung also einen solchen Ansturm aus, dass die Microsoft-Server zusammenbrachen.
Das liegt auch daran, dass sich im Internet eben nie so recht eine Kultur des Anstehens herausgebildet hat. Aus der ehemaligen DDR wird berichtet, dass man sich irgendwo anstellte, einfach nur weil man eine Schlange sah; vielleicht gab es etwas Brauchbares. Das kann einem im Internet nicht passieren, man sieht die anderen nicht. Das Internet ist eben ein Medium der Vereinzelung. Stellt man sich irgendwo an, kann man umgekehrt auch nicht sehen, ob da nicht schon eine wilde Meute sich um die besten Plätze prügelt.
Hinzu kommt nämlich, dass es auch an den Techniken eines ordentlichen Schlangestehens fehlt, jedenfalls bei Microsoft. Die Leute wurden zwischen digitalen Absperrgittern eingereiht, sondern der Erste und der Letzte bildeten mit all den Anderen ein chaotisches Knäuel, von dem aus ein Dauerbeschuss auf Microsoft ausging. Das ist nicht zuletzt auch das Ergebnis einer spezifischen Mentalität: Das Internet ist ein Medium der ständigen Verfügbarkeit. Alle Inhalte werden zum sofortigen Gebrauch angeboten, auf den ersten Klick öffnet sich die begehrte Seite, der Livestream, der Download. Bei Versagungen neigt man daher dazu, auf Dauerfeuer zu stellen, also bis zu fünfzig oder sechzig Anfragen in der Minute einzugeben, als würde sich dann irgendwo eine digitale Lücke auftun, durch die man schlüpfen kann. Mit dem Ergebnis, dass sich die Anfragen der ohnehin schon Vielen ins Unendliche vervielfältigten. Es wäre anders möglich gewesen. Auf Computerbase.de, wo es das Programm ebenfalls gab, wurde ordentlich angestanden. Jeder bekam einen nummerierten Platz in der Schlange zugewiesen.
Die geradezu sozialistische Utopie des Schlangestehens ist allerdings das peer-to-peer Verfahren, das im legalen Graubereich des privaten Datentauschs gebräuchlich ist. Bei Bittorrent etwa, wo Windows 7 auch bald auftauchte, werden knappe Serverkapazitäten überwunden, indem jeder Empfänger eines Datenpakets auch Sender des Pakets wird. Je mehr Leute also in der Schlange stehen, umso schneller kommt man an das Paket - ein real existierendes Schneeballsystem. Oder aber man gehört zu den Leuten, die sich sowieso immer an den Schlangen des Lebens vorbeimogeln. Wer in den richtigen Blogs unterwegs war, konnte tatsächlich geheimen Hintertüren zum gefragten Download aufgezeigt bekommen, denn auch das Internet hat seine Schleichwege.
Auf dem normalen Weg jedenfalls wurde vorerst nichts mehr verbreitet, bis auf eben jene schlechte Nachricht, dass die Microsoft-Server zusammengebrochen waren. Das wurde von manchen Medien hämisch kommentiert, wobei man allerdings übersah, dass die eigentliche Botschaft der ganzen Geschichte natürlich die unglaublich hohe Nachfrage war.
Bleibt die Frage, wer eine unausgereiften Testversion haben will, die nur ein
paar Monate lang funktioniert? Neben den überzeugten Windowsfans
- auch die gibt es nämlich - dürften das die Windowsgegner
sein. Die wollen Windows 7 zwar benutzen, aber nicht dafür zahlen. Dass die
Version ab August 2009 nicht mehr funktioniert, stört da wenig. Angeblich
lässt sich das nämlich umgehen, indem man einfach das Datum
zurückstellt - am besten zurück in jene Zeit, in der es noch ein
Anstehen gab.
Platz eins
Daniel Kehlmanns Roman "Ruhm"
Daniel Kehlmann ist mit seinem neuen Buch an die Spitze der Bestsellerlisten
gestürmt. Eine Woche nach dem Erscheinen von "Ruhm - ein Roman in
neun Geschichten" ist das Buch sowohl beim Focus als auch beim Spiegel der
Toptitel. Bereits 160 000 Exemplare hat der Rowohlt Verlag in Reinbek bei
Hamburg ausgeliefert, sagte Pressesprecherin Ursula Steffens. Weil damit schon
fast die Startauflage von 200 000 Exemplaren erreicht sei, habe der Verlag 100
000 Bücher nachdrucken lassen. Mit so einem Erfolg habe man nicht rechnen
können, "aber wir haben es natürlich gehofft", sagte
Steffens. Kehlmanns Bestseller "Die Vermessung der Welt" verkaufte
sich bislang 1,4 Millionen Mal.
Alles so senkrecht hier!
Barbara Honigmanns Reisetagebuch aus New York
Es ist ein typischer Fall von Stipendiatenprosa: Barbara Honigmann darf in New York zehn Wochen writer in residence sein. Sie schreibt an zwei Stellen, wie dankbar sie dem "lieben Deutschen Literaturfond" dafür ist und revanchiert sich mit dem Reisetagebuch "Das überirdische Licht."
"Touristische Pflichten habe ich mir nicht auferlegt. Die habe ich schon bei früheren Besuchen erfüllt" schreibt Honigmann stolz. Aber tatsächlich ist es doch eine höhere Form von Tourismus, den sie betreibt: Wenn sie statt Museen die Gottesdienste in den diversen jüdischen Gemeinden abklappert, ans Grab von Hanna Arendt pilgert, zum Yoga und ins Offtheater geht.
Wie fühlt es sich an, nach zwanzig Jahren als weibliches Familienoberhaupt auf einmal wieder "ledig" zu sein? Die Söhne sind erwachsen, der Mann geht in old europe friedlich seinem Beruf nach - und im Rausch des Alleinseins erinnert sich Barbara Honigmann an ihre Studentenzeit, als sie stets eine Zahnbürste mit sich trug, weil sie nie im voraus wusste, wo sie übernachten würde. Automatisch rutscht sie in die Gewohnheiten von damals: Spät aufstehen, flanieren, aus Tüten essen, in Jogginghosen auf Sofas lümmeln, lesen und Tagebuch schreiben.
Ihre Aufzeichnungen sind sehr persönlich. Und das hat sein Gutes, weil sie den Leser ins Vertrauen ziehen, als gehöre er zur Familie. Aber gleichzeitig belästigen sie ihn auch mit alltäglichen Details, die er gar nicht wissen möchte - z.B. wann Barbara Honigmann ihre Emails checkt und ihr Telefon reparieren lässt.
Das Grundproblem an der Stipendiatenexistenz in fremden Städten ist ja folgendes: Sie ist angenehm, aber nicht unbedingt mitteilenswert! Weil die Autoren dort auf die Schnelle keine Erfahrung machen, die ihnen und anderen an die Substanz geht - und dann meinen, ihre flüchtigen Impressionen zu einem Reisebericht zusammenkratzen zu müssen. Aber auch den würde man mit Neugierde lesen, wenn der Deutsche Literaturfond seine Talente nach Islamabad, Kairo, Kalkutta oder Shengzen entsendete - statt zum x-ten Mal nach New York!
Will man von Barbara Honigmann noch einmal gesagt bekommen, dass diese Metropole "senkrecht steht", multiethnisch und multinochwas ist, voll von Künstlern und Möchtegernkünstlern? Als "deeply superficial hat Andy Warhol diese Stadt und sich selbst treffend beschrieben; der hat hier auch irgendwo gewohnt," notiert Honigmann. Und diese Notiz ist symptomatisch für ihren Versuch, in der eigenen Anschauung nachzuvollziehen, was man vom Hörensagen längst wusste und in hunderttausend Filmen gesehen hat.
Honigmann ist eine sympathische Frau, die offen auf die Menschen zugeht. Und es ist keine Zumutung, an ihrer Seite durch Manhattan zu spazieren. Aber man fragt sich doch, was der literarische Ertrag dieses Buches sein soll? Zumal die Reize des Bohemelebens so oft beschworen wurden wie die Schrecken der Holocaustüberlebenden, die Honigmann in ihrer "komfortablen Diaspora" aufsucht. Man versteht nur zu gut, dass Honigmann diesmal keine Lust hat, sich diesen Schrecken narrativ zu stellen. Sie plaudert mit einer Verwandten, die ihre Eltern in Theresienstadt verloren hat ("you know, the concentration camp") und referiert deren Schicksal sozusagen im Kaffee-und-Kuchen-Modus.
Vielleicht deutet diese Lockerheit auf einen Fortschritt in der kollektiven Traumatherapie seit dem Ende des zweiten Weltkriegs. Honigmanns Eltern sind aus dem Exil freiwillig nach Ostberlin zurückgekehrt, um sich am Aufbau des kommunistischen Deutschlands zu beteiligen. Mit diesem Hintergrund wird die Schriftstellerin für die New Yorker Juden zu einem echten Kuriosum.
Dem deutschen Leser ihres Reiseberichts geht das anders, weil sie "gar
nichts Aufregendes" erlebt und das Geschichtenerzählen gezielt
vermeidet: Mitten in der entrückten Doctorow-Lektüre hört sie,
dass der Schriftsteller in demselben Hochhaus wohnt wie sie. Schon hofft man auf
eine spannende Begegnung, ein flirrendes Gespräch auf der Dachterrasse . .
. aber nein, Barbara Honigmann geht gar nicht auf die Suche, sondern imaginiert
nur kurz, wie sie sich im Aufzug gegenüberstehn.
BARBARA HONIGMANN: Das überirdische Licht. Rückkehr nach New York. Carl Hanser Verlag, München 2008. 160 Seiten, 14,90 Euro.
Wer nicht denken will, muss fühlen
Ein enttäuschter Wiener Charmeur: Friedrich Torberg schreibt sich mit Marlene Dietrich von 1946 bis 1979, ohne in ihren Memoiren erwähnt zu werden
Auch wenn Großgermanisten und Kleineditoren, vielfach subventionierte Verleger und Drittmittelbewilliger jetzt aufschreien: es muss nicht alles veröffentlicht werden, was ein Schriftsteller seiner Lebtag geschrieben hat. Andererseits wird das papierne, also das fassbare Material eher weniger; bei der Textproduktion am Computer verschwinden Fehlversuche und Entwürfe hinter tausend Pixeln, und die zu Zehntausenden, aber in der stupid-gleichförmigen Arial verfassten Mails dürften inzwischen auch den eifrigsten Literaturschatzsammler von der Marbacher Höh nicht mehr zu reizen.
Gleichwohl ist es natürlich schön, dass das österreichische Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur diese Prachtausgabe des wenig umfangreichen Briefwechsels zwischen dem Literaten Friedrich Torberg und der Schauspielerin Marlene Dietrich finanziert hat. Die beiden kennen sich aus der Film-Welt, sind aber in der Sprache zuhause, wie Marlene Dietrich zum Ende ihres Lebens immer mehr merkt. Der Autor hat Hollywood oder, wie er es nennt, "Arschlochopolsk", glücklos hinter sich. Mein Englisch, schreibt er einmal an Robert Neumann, "hat gerade noch für den Film gereicht, wo es nicht so sehr drauf ankommt wie etwas gesagt wird, weil ja schon das, was gesagt wird, vollkommen gleichgültig ist."
In dieser Korrespondenz erscheint Torberg, wie sollte es anders sein, als altösterreichischer Charmeur, der die heimatlose und ewigweiblich zwischen allerlei Männern schwankende Schauspielerin berät, tröstet, beschwatzt oder in seiner unnachahmlich gschaftlhuberischen Art vollratscht. Da er nicht zu ihren Liebhabern zählt, empfiehlt er ihr onkelhaft Vernunft in der Liebe ("Wer nicht denken will, muss fühlen") und schreibt ihr einmal sogar eine Fabel, um sie über den Verlust des Geliebten Erich Maria Remarque hinwegzutrösten.
Torberg muss gar nicht den Pygmalion machen, um dem Kunst-Geschöpf Marlene geistiges Leben einzuhauchen. Schließlich ist er der Empfangende, der gierig die Klatschgeschichten aus der in den Nachkriegsjahren rasch ausdünnenden Emigrantenkolonie einsaugt, die sie ihm von ihren Dreharbeiten, von Tourneen und Galas in und aus aller Welt berichten kann. Trotzdem ist es keine schlechte Pointe, dass dieser Star sich eines Abends Heinrich Manns Roman "Professor Unrat" ausleiht, um nach fünfzehn Jahren endlich zu erfahren, worum es im "Blauen Engel" eigentlich ging. Großmutter wird sie auch in diesen Jahren, nicht gern, weil sie damit doch gealtert ist, aber am liebsten kocht sie, die Marlene.
Ein gründlicher Kommentar von Marcel Atze hat das alles mustergültig erschlossen (danke, o du mein Österreich!), wenn der kleine Hinweis auch nicht geschadet hätte, dass Friedrich Torberg seine amerikanische Denunziantentätigkeit als "Source A" bei seiner Rückkehr nach Wien in aller Öffentlichkeit und von der CIA liebevoll betreut fortzusetzen wusste, als er den Boykott gegen Brecht-Aufführungen organisierte. Als Flüchtling hatte Torberg dem FBI 1943 gesteckt, dass die Flüchtlinge Bert Brecht und Hanns Eisler vor 1933 "zusammen einen Marsch mit dem Titel ,Solidaritätslied' verfasst" hatten und sowieso unheilbare Kommunisten seien.
"Vorwärts und nie vergessen,/worin unsere Stärke besteht!", hieß es da zwar, und "Beim Hungern und beim Essen,/vorwärts, nicht vergessen: / die Solidarität!" - aber wenn sich mit solchen weltkriegsentscheidenden Informationen der eigene schwache Stand in Kalifornien verbessern ließ?
Trotz verdächtig linker Neigungen wird die Diva geschont. Als sie nach Deutschland kommt, um zu singen, schimpft man sie eine Vaterlandsverräterin, hat sie doch im Krieg "gegen uns" gekämpft. Torberg, ganz Charmeur und stets verehrungsbereiter Freund, tröstet sie seufzend über den recht feindseligen Empfang durch die Deutschen und Österreicher: "Sie kommt, weil es für Damen ihres Alters nicht mehr ganz so leicht ist, ein Gesprächsthema zu bilden; weil sich Eier- und Tomatenflecke notfalls auch aus Dior-Kreationen entfernen lassen", formuliert der Spiegel im Jahr 1960 mit aller Süffisanz, um dann gleich so ressentimental zu werden wie sonst nur anonyme Leserbriefschreiber, wenn er in Marlenes Auftritt in Berlin vor allem die "Publicity" sieht, mit der sie dann fortfahren könne, "das Land ihrer Väter zu verabscheuen". Sie tat es, und ließ sich nicht in Berlin oder München oder Hamburg nieder, sondern in Paris.
Ihre Memoiren wollte sie selber schreiben, kein Geisterschreiber sollte ihr Deutsch verbessern dürfen, zumal sie von der Anglisierung ihrer geliebten Sprache bei jedem Blick in die Illustrierten aufs Neue zu entsetzen war, aber der strenge Onkel Torberg war ein gern befragter Berater. Dann ist ihr Buch fertig, sie schickt es dem Brieffreund, der sich sogleich drauf stürzt - "und ein bisschen traurig" ist. Zwar habe er sich nicht "über einen Mangel an Freundschaften mit berühmten Zeitgenossen zu beklagen", versichert er ihr, aber dass sie ihm das antut: Böll und Grass kämen vor in ihrem Leben, aber er nicht, er, der liebe, liebste Torberg, kommt nicht vor beziehungsweise wurde "von Dir auch nicht der leisesten Erwähnung für wert befunden". Ach ja.
Seinen frühen Höhepunkt hatte der Briefwechsel bereits 1950 in einem Telegrammdoppel gefunden, als Marlene ihren notgedrungen keuschen Verehrer aufforderte, sich mit Remarque darüber zu beraten, welchen Wein sie einem "Genießer" servieren könne. Welchem? "dream come true cooking for fleming", meldet sie Torberg. Der "Blaue Engel" ging wieder einmal seiner Lieblingsbeschäftigung nach und durfte diesmal für den Endecker des Penicillins kochen, für Alexander Fleming, dessen Medikament sie ihre Gesundheit verdankte. (Falls Sie es wissen müssen: Ja, es kam zu Berührungen, und seine Erst-Züchtung schenkte er ihr auch.) Torberg schreibt in einer Mischung aus konkreter Poesie und lodernder Eifersucht zurück: "best rhine schloss johannisberg or steinberger kabinett best mosel wehlener sonnenuhr or berncastler doctor best years fortynine fortyfive watch auslese or spätlese dont mix with penicillin serve cold stay hot be embraced." WILLI WINKLER
MARLENE DIETRICH, FRIEDRICH TORBERG: "Schreib. Nein, schreib nicht." Briefwechsel 1946-1979. Herausgegeben von Marcel Atze. Synema Verlag, Wien 2008. 272 Seiten, 25 Euro.
Friedrich Torberg um 1970 und Marlene Dietrich 1956 in Paris Fotos: Imagno/Austrian Archive (links) und Paul Popper/SZ
Hier ist das Fleisch nicht Wort geworden
Hintern im Mondlicht: Seit "Feuchtgebiete" sind Mädchensexbücher so erfolgreich, dass es jetzt sogar eine extra Verlagsreihe dafür gibt
Es sind die Frauen, die lesen, das ist bekannt. Allerdings bekommen die Frauen nicht immer das, was sie lesen wollen. Junge Frauen zum Beispiel lesen gerne Romane über Sex aus der Sicht von jungen Frauen, sagt zumindest Jennifer Hirte vom Berliner Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf. Davon gebe es allerdings viel zu wenige, und schon gar keine guten. Schwarzkopf & Schwarzkopf will diese Lücke nun mit einer eigenen Reihe schließen. Sie trägt den etwas hausbackenen Namen Anais und wird bestückt von Frauen zwischen 18 und Mitte 30, die über Sex und Erotik schreiben. Vier Romane sind gerade herausgekommen, zwei von deutschen Autorinnen, zwei Lizenzen. Weitere acht Bücher folgen im Frühjahr.
Die Bücher handeln von jungen Frauen, die Adele, Julia oder Raquel heißen und Sex mit dem Handwerker, einem Transsexuellen, dem besten Kumpel, der Nachbarin, einer Domina oder allen zusammen haben. Es kommen Peitschen, Wachskerzen, Schlagsahne, Wäscheklammern, Seidenschals, Intimpiercings und schwarze Riesendildos vor, und es geht zum Beispiel darum, dass Lippen aussehen "wie pralle, reife Beeren" oder "sein Schwanz im Takt mit ihrer viel zu lange schon vernachlässigten Muschi pochte".
Nicht, dass das uninteressant wäre. Im Roman "Spieler wie wir" von Cornelia Jönsson, in dem sich eine junge Frau namens Pauline in der Sado-Maso-Szene umtut, erfahren wir zum Beispiel, dass Sadomasochisten kaum One-Night-Stands haben. In der kurzen Zeit eines One-Night-Stands könnten sich nämlich nicht die für S/M-Spiele erforderlichen Machtverhältnisse ausbilden. In Rebecca Martins "Frühling und so" begleiten wir eine 18-Jährige, die den besten Freund ihres Ex-Freundes verführt, außerdem den Freund ihrer Freundin, einen griechischen Barbesitzer, und einen kolumbianischen Musiker. Eine Köchin, die nichts anbrennen lässt, ist wiederum die Hauptfigur von Anna Clares Roman "Adele hat den schönsten Mund". Und in der Geschichtensammlung "Lara, Jill & Lea" von Jaci Burton, Shannon Stacey und Ann Wesley Hardin nimmt jemand an einer Benefizveranstaltung teil, "bei der es darum ging, wie viele Stunden man masturbiert".
Verantwortlich für das Programm von Anais ist Jennifer Hirte. Sie hat eine Magisterarbeit über Frauen und Selbstbefriedigung geschrieben und war bei Schwarzkopf & Schwarzkopf für die Lizenzen zuständig, ehe sie die Erotik-Schiene übernahm. Ihr Büro befindet sich in der Berliner Kastanienallee, die wegen des sich hier darbietenden Kreativprekariats auch Castingallee genannt wird. Auch sonst hat Jennifer Hirte einiges zu erzählen. Erotische Literatur sei seit etwa 2005 ein Wachstumsmarkt. In Großbritannien betreibt ein Verlag wie Virgin Books drei Imprints für erotische Romane, darunter eines, das sich speziell an junge Leute richtet. In Amerika, einem Land der Vielleserinnen und -schreiberinnen erotischer Romane, würden die Bücher überhaupt gleich im Supermarkt verkauft. Vor allem Frauen bestreiten dieses Genre, die paar männlichen Autoren, die es gibt, legen sich stets ein weibliches Pseudonym zu.
Inhaltlich dominierten die längste Zeit historische Geschichten im Gothic-Gewand, Werwölfe und Aliens, "vermutlich weil Aliens mehr Schwänze haben und man als Werwolf länger kann", sagt Hirte. Wenn es ein wenig hipper zugehe, handle es sich meistens um Galeristinnen, die sich in einen Künstler verlieben, "und auf den Covern dieser Bücher sind immer Silhouetten von einem Hintern im Mondlicht". Den Hintern im Mondlicht will Anais nun etwas "Jüngeres und Cooleres" entgegensetzen. "Aufregende Storys, komplexe Charaktere und vielfältige Neigungen" verspricht der Verlagsprospekt (auf dessen Cover eine nackte Schulter auf einer Blumenwiese zu sehen ist).
Wie man das Genre erfolgreich sprengt, hat Charlotte Roche mit "Feuchtgebiete" bewiesen, dem bestverkauften Buch des Jahres 2008. Junge Frau plus Sex plus schmutzige Dinge - das gilt auf dem Literaturmarkt seither als eine Art Zauberformel, die man sich nur zunutze machen muss. In welches Verlagsprogramm man blickt, es findet sich immer eine junge Frau, die aus ihrem Sexleben erzählt. Bei Ullstein ist das Buch "Fucking Berlin - Studentin und Teilzeithure" erschienen, Kiepenheuer und Witsch (das ist der Verlag, der "Feuchtgebiete" einst ablehnte) bringt jetzt den Titel "Bitterfotze" heraus. Neues Sexspiel, neues Glück.
Und was macht einen guten erotischen Roman aus? Jennifer Hirte nennt drei Dinge: "eine interessante Protagonistin, einen nachvollziehbaren männlichen Charakter und eine eigene Sprache." Interessante Protagonistin, nun ja, da wäre Lara aus der gleichnamigen Erzählung von Jaci Burton: "Himmel, wie schön sie war. Die Bluse offen, die Brüste bloß . . . und der Rock war weit aus der Bluse gerutscht." Die männlichen Charaktere sind allerdings extrem nachvollziehbar. "Allein beim Gedanken, wie sich sein Schwanz in ihre enge, heiße Höhle bohrte, wurden seine Eier hart und waren kurz vorm Explodieren." Die eigene Sprache, die Hirte einfordert, ist dagegen ein echtes Problem der Reihe. Das beginnt schon damit, wie man das Ding nennt. Spätestens beim fünften "hämmernden Schwanz", der in eine "schmatzende Muschi fährt", wird einem klar, warum das Medium der Pornographie nun mal das Bild ist. Bei Anais ist das Fleisch jedenfalls nicht Wort geworden.
Ganz gut hat das noch Cornelia Jönsson in "Spieler wie wir" hingekriegt. Ob sich da eine Frau bei einer Freundin ausheult, weil ihr Lebensgefährte eine andere Frau "begurkt" hat ("Aber ich will auch eine begurkte Möse haben!") oder die Wohnung vor dem Besuch der Mutter "entsext" werden muss ("Gut, Peitschen und Handschellen müssen weg. Aber was ist beispielsweise mit Kochlöffeln?") - Jönssons Sado-Maso-Welt entbehrt nicht der sprachlichen Komik. Und die Zeit zwischen den ermüdend langen Sexszenen nützt Jönsson, um sich dem Milieu Kreuzberger Akademiker in der Midlife-Crisis zu widmen. Jönsson beschreibt die depressiven Erben der sexuellen Revolution, die nicht wissen, ob sie nun ausgepeitscht werden wollen oder doch lieber zum Yoga.
Ansonsten kann man schwer sagen, was die Anais-Romane erzählen wollen. Anders als in den "Feuchtgebieten", deren urwüchsige Sexualpraktiken in eine Art Zurück-zur-Natur-Diskurs eingebettet waren, steht Sexualität in den Anais-Romanen für nichts. Sie ist kein Spiegel von Machtverhältnissen, dazu sind die Romane zu harmlos. Es geht auch nicht um die Emanzipation weiblichen Begehrens, die Protagonistinnen sind allesamt erotische Alphamädchen, die sich nehmen oder sich nehmen lassen. Sex hat man, weil es sich gerade ergibt. Vielleicht ist das ja die Botschaft des neo-erotischen Romans: Dass weibliche Sexualität gar nichts transportieren muss, sondern für sich selbst stehen kann.
Das geht dann so: Junge Frau trifft einen Busfahrer und hat Sex; junge Köchin schnappt sich einen Bisexuellen in der Restaurantküche und wird fast erwischt; junge Frau hat Sex auf einem Autositz und klemmt dabei fest. Sex ist für jede dieser jungen Frauen eine Art Abenteuer, das es zu bestehen gilt. Am Ende geht sie (sexuell) gestärkt daraus hervor, vielleicht wird eines Tages auch geheiratet. Und mit einem Mal wird einem klar, warum sich dieses Genre an junge Frauen richtet. Die Geschichten erinnern einen an die naive Fröhlichkeit von Pony-Romanen. Nur dass das Mädchen nicht mit seinem Pferd durch Dick und Dünn geht, sondern mit dem Klempner oder Busfahrer durch Peitschensex und Gruppenorgasmen. Schon die Titel klingen wie die Fortsetzung von Wendy- und Conny-Büchern: "Anna und ihre Männer", "Lucy früh am Morgen", "Charlottes heißer Sommer".
"Ich lauere Ida vor der Badezimmertür auf und mein Leben ist ein rosa-silber Barbieglitzer-Pony", heißt es in Rebecca Martins Roman "Frühling und so." Rebecca Martin ist eine 18-jährige Abiturientin aus Berlin-Kreuzberg und hat noch das interessanteste Mädchensexbuch geschrieben. Es geht um junge Leute in Berlin, die von Party zu Party ziehen, ständig miteinander telefonieren und sämtliche Codes des Großstadtlebens kennen. So sicher sich diese Jugendlichen durch die unterschiedlichsten Subkulturen bewegen, so verloren wirken sie auf der anderen Seite. Sex ist etwas, das sich ergibt oder auch nicht, so wie man eine Einladung zu einem Casting bekommt oder sich auf einer Party betrinkt. "Dann tanze ich mit Tobias. Vielleicht flirte ich mit Tobias, so genau weiß ich das nicht. Jedenfalls sagt er irgendwann: ,Das geht nicht, ich habe eine Freundin' . . . und ich antworte irgendetwas Blödes wie: ,Okay dann tanzen wir halt', weil ich einerseits enttäuscht bin, andererseits sowieso nicht existiere."
Anders als es in den meist lüsternen Porträts der jungen Autorin zu
lesen war, stellt Rebecca Martin Sexualität nicht in den Vordergrund.
"Frühling und so" ist das Porträt einer Jugend, die von
ihren Eltern alle Freiheiten bekommen hat und trotzdem nicht aus ihrer Haut
kann. Sex ist nur eine von vielen verschiedenen Möglichkeiten, sich dem
behüteten Leben für einen Moment zu entziehen. Der Schlüsselsatz
lautet: "Wenn ich dagegen Dinge unternehme, die aus dem Alltag
herausfallen, einen Film drehen zum Beispiel, an einem Workshop teilnehmen, eine
Reise machen, mit einem Mann schlafen - ja, mit Männern schlafen
gehört auch dazu -, bilde ich mir ein, glücklich zu sein."
Rebecca Martins Debüt wird ihre weibliche Zielgruppe finden. Und wenn es
nur Mütter sind, die wissen wollen, wie ihre jugendlichen Töchter
ticken.
Wenn es hipper zugeht, handelt es sich meistens um Galeristinnen, die sich in einen Künstler verlieben.
Die eigene Sprache ist ein echtes Problem. Das beginnt schon damit, wie man das Ding nennt.
Die Soziologie war in den sechziger Jahren eines der beliebtesten
Studienfächer und auch der Schulabbrecher Jerry Berndt war fasziniert.
Statt ein Studium zu absolvieren, wurde er Fotograf. In den Kaschemmen des
Rotlichtviertels von Boston entstand der Kern einer Arbeit, die das Fotozentrum
C/O Berlin nun als erste eigene Buchpublikation herausgab (JERRY BERNDT:
"Insight", Steidl Verlag, Göttingen 2008, 248 Seiten, 42 Euro,
die gleichnamige Ausstellung läuft bis 15.2., Info: www.co-berlin.info).
Berndts Blicke in die Nacht sind heftig und schließen die Lücke
zwischen Robert Franks "Americans" und Larry Clarks "Tulsa".
Die Behutsamen
"Mando Diao" haben den Soul entdeckt
Die Rockwelt ist ja grausam. Kaum hat eine Band zwei hübsche Frontjungs und erzeugt bei den Konzerten lagenweise kreischende Mädchen, gilt sie den beleidigten Fanjungs als "Mädchenband" und damit nur noch die Hälfte. Mando Diao haben sich jetzt aber auf ihrem fünften Album als "Mädchenband" wieder emanzipiert: Swing, Hardrock und hie und da auch mexikanische Töne werden von den Style-Schrammlern in Verbeugung vor Tom Jones und Ennio Morricone zusammengeführt. Sind die Mädchen damit weg? jetzt.de sprach mit Björn Dixgård (Sänger, Gitarrist und Songwriter) und Schlagzeuger Samuel Giers.
jetzt.de: "Dance With Somebody" und "The Shining", zwei Songs auf dem neuen Album, sind deutliche Bezüge zu Whitney Houston und Stephen King . . .
Björn: Genauso ist es. Die Platte ist auch von Filmen inspiriert, von Tarantino-Filmen und von Stephen King - viele Texte sind von Stephen King beeinflusst.
jetzt.de: Auch "High Heels"?
Björn: Weiß ich nicht so genau, weil der Song hauptsächlich von Gustaf geschrieben wurde. Aber ich glaube es geht darum, wie man plötzlich von einem Mädchen in High-Heels angetörnt wird.
jetzt.de: Ach was.
Samuel: Bei "High Heels" geht's um Sex. Soviel ist mal klar.
jetzt.de: Von Stöckelschuhen abgesehen: Was muss eine Frau an sich haben, damit sie Euch auffällt?
Samuel: Mir sind die Augen ganz wichtig.
Björn: Das Gesicht ist wichtig. Aber ich hab da kein bestimmtes Muster.
jetzt.de: Seid ihr in festen Beziehungen?
Björn: Ich bin mit meiner Frau seit sechs Jahren zusammen.
Samuel: Und ich mit meiner Freundin seit fünf Jahren.
jetzt.de: Sind da Eure ausufernden Tourneen nicht relativ problematisch?
Samuel: Manchmal. Aber für uns ist's auch nicht gerade leicht. Stockholm ist voller gut aussehender Typen. (lacht) Es ist hart, von jemandem getrennt zu sein, den man liebt. Es geht auch nur, wenn man sich vertraut und über alles reden kann.
Björn: Man muss hie und da auch Verlockungen zugeben. Manchmal.
jetzt.de: Wie oft passiert's, dass die Verlockung zur Verführung wird?
Samuel: Verlockung ist Verlockung und dabei bleibt's. Prinzipiell. Es gibt ja auch noch andere Verlockungen, Drogen zum Beispiel, aber . . .
jetzt.de: . . . Drogen spielen bei Mando Diao eine untergeordnete Rolle?
Björn: Exakt. Keine Drogenprobleme hier. Ich hab mal dies und jenes probiert, war aber nie in Drogengeschichten verwickelt. Ich will von nichts abhängig sein.
Samuel: Drogen und Musik können bisweilen eine ganz gute Kombination sein. Aber aber niemals auf Dauer.
jetzt.de: Womit wir schon mal einen Grund für die Langlebigkeit von Mando Diao hätten. Gustaf verglich das Mando-Diao-Prinzip mal mit jenem, wie es in dem Film "Der Pate" geschildert wird: Es gehe weniger um die persönlichen Fähigkeiten als um die gemeinsamen Wurzeln . . .
Samuel: So ist es. Allerdings machen wir uns darum keine großen Gedanken. Während der vergangenen sechs Jahre haben wir derart oft live gespielt, dass wir jetzt besser sind als vor sechs Jahren. Beim ersten Album hatten wir's ein bisschen drauf und einen Riesenwillen, den Durchbruch zu schaffen. Mittlerweile ist musikalisch etwas mehr Substanz da.
Björn: Auf gewisse Weise haben wir dadurch, dass wir unserem Innersten näher gekommen sind, den Soul entdeckt. Wir klingen auch deshalb souliger, weil wir die Fähigkeit besitzen, genau das auszudrücken, was wir ausdrücken wollen. Bei "Bring Em In" hatten wir das noch nicht drauf.
jetzt.de: Wie seid Ihr damals mit Frust umgegangen? Wie macht ihr's heute?
Samuel: Frust damals bedeutete: Bandprobe. Wir sind nie zufrieden, wollen ständig weiterkommen, größer und größer werden. Und wir sind immer noch auf der Suche nach diesem perfekten Feeling. Es gibt für mich kein besseres Gefühl als auf der Bühne zu stehen. Und bei Mando Diao geht's dann darum, diesen Sekundenbruchteil zu erwischen, in dem du jemanden von der Band ansiehst und plötzlich dieses Wahnsinnsgefühl hast.
Björn: Am ehesten kann man's mit einem entscheidenden Tor im Fußball vergleichen. Wenn du Fußballer siehst, die ein wichtiges Tor geschossen haben, führen sie sich völlig irre auf - sie fühlen sich wie im Himmel.
Samuel: Es ist diese Elektrizität zwischen den Bandmitgliedern, die sich während des Zusammenspiels auf der Bühne ergibt; dieses perfekte Gefühl zwischen Ungewissheit und Losgelöstsein.
jetzt.de: Sind diese Momente selten?
Samuel: Die kommen mindestens einmal pro Konzert vor.
Björn: Wobei es auch davon abhängt, wie oft wir spielen. Zuletzt haben wir 200 Konzerte pro Jahr gespielt. Das ist vielleicht etwas zu oft, um dieses Gefühl, von dem wir gesprochen haben, dauerhaft zu wecken. Vielleicht sind 100 bis 120 Konzerte im Jahr besser. Man muss da sehr vorsichtig sein. Ein gutes Beispiel für Jungs, die's verbockt haben, sind meiner Meinung nach die Beatles. Acht Jahre waren die jeden Tag zusammen und dann haben sie sich getrennt. Das kann nur passieren, wenn du nicht ab und an Pause machst und wertschätzt, was du hast.
jetzt.de: Eure Empfehlung für eine dauerhafte Bandbeziehung?
Samuel: Man muss behutsam mit den Freundschaften umgehen, die in einer Band bestehen. Uns hat die Musik zusammengebracht und dank der Musik streiten wir auch kaum. Sobald wir im Studio sind, ist es einfach nur wunderbar. Aber es gibt noch andere Dinge, die zählen. Jeder hat sein Privatleben. In den Anfangsjahren von Mando Diao verbrachten wir soviel Zeit wie möglich mit der Band und es war großartig. Jetzt sind wir auch mal froh, wenn wir uns eine Zeit nicht sehen.
jetzt.de: Wenn ihr zusammen seid: Wird da nur über Musik gesprochen?
Samuel: Nein! Wir sprechen über alles Mögliche - hauptsächlich über Musik. (lacht)
Björn: Und über Eishockey! Zumindest Samuel und ich, was auch daran liegt, dass wir beide Fans von Leksands IF sind . . .
Samuel: . . . einem der ältesten Clubs in Schweden. 60 Jahre lang in der ersten Liga. Vor 15 Jahren sind sie abgestiegen und dann ging's ständig rauf und wieder runter. Letzte Saison hatten sie mit Ed Belfour einen NHL-Torwart - und selbst das hat nix geholfen. (lacht) Sie haben das entscheidende Spiel verloren.
Björn: Man muss sich das mal vorstellen: Ed Belfour hat nur Klassespiele gemacht, er hat die komplette Saison lang kein einziges schlechtes Spiel abgeliefert - aber als es wirklich um was ging, hat er's versaut.
jetzt.de: Schon daran gedacht, die Mannschaft als Sponsor zu unterstützen?
Samuel: Wir sollten ein paar Konzerte für sie spielen. Da haben wir bereits drüber gesprochen.
jetzt.de: Schön wäre doch auch ein Mando Diao-Schriftzug auf den Trikots - "Give Me Fire" oder so.
Samuel: In Schweden gibt es Firmen, die nicht das ganze Team, sondern bloß einen Spieler sponsern. Bei Ed Belfour zum Beispiel hat der Sponsor den Transfer ermöglicht. Ansonsten müssen wir aber wohl noch ein paar Platten mehr verkaufen, bevor wir über sowas nachdenken. (lacht) Aber es ist ein Traum von uns und wir reden da ziemlich oft drüber.
Interview: uli-karg.jetzt.de
"Give Me Fire" erscheint am 13. Februar bei Universal/Vertigo.
Schlechtes Vorbild "Beatles": Die Musiker von "Mando Diao" wollen Freunde bleiben - und dafür braucht es Pausen.
HAUPTSATZ
"Mit Englisch kommt man da überall durch"
100 Sätze reichen für ein ganzes Leben. Jede Woche stellt unser Autor einen vor.
Ich verreise gerne, fürchte mich aber auch davor. Die Unerschrockenheit fehlt mir, mit der andere Menschen in ein Flugzeug steigen, um Stunden später entspannt ganz woanders auf der Weltkugel anzukommen und dann gleich in das nächste Zweithaarstudio zu gehen, als wäre es nichts. Ich betrete fremde Länder schüchtern und auf Zehenspitzen.
Im Vorfeld einer Reise hole ich mir Tipps bei den Unerschrockenen, die ja alle Länder schon längst vor mir bereist haben. Wenn dabei die Sprache auf die Sprache kommt, schmieren sie mir immer gutgelaunt den obigen Hauptsatz aufs Brot. Sie sprechen ihn mit einer solchen Überzeugung an mich hin - wenn Notare zur Hand wären, würden sie mir sogar notariell beglaubigen lassen, dass ich in Finnland, Marokko, Franz-Josef-Land und auf St.Kitts und Nevis mit Englisch locker durchkäme. Na, dann ist ja gut, denke ich, packe mein Englisch und ein empfehlenswert schlechtes Buch ein, und fliege in die Fremde. Dort angekommen tripple ich zu einem Bambus-Taxi oder möchte ein ortstypisches Reittier mieten. Mein Englisch aber prallt an den fremden Beförderungsexperten ab, wie ein Liter Tee am Felsen. Sie starren meinen Mund an, aus dem diese wunderlichen Laute kommen und reden dann mit einem herrlichen Geräusch, das ich noch nie vernommen habe. Es ist ihre Landessprache. Ich weiß, was meine unerschrockenen Bekannten in dieser Situation machen: Sie verständigen sich "mit Händen und Füßen". Bin ich der Einzige, der dabei immer an die notleidenden Hand- und Fußmaler denken muss, die vor Weihnachten ihre fußgemalten Karten verschicken? Nun teile ich nicht die Begeisterung für Preisverhandlungen mit Händen und Füßen, im Gegenteil, das Gestammel macht mich topmiesepetrig. Ich würde den Einheimischen gerne Respekt erweisen, indem ich Grundzüge ihrer Sprache kann - oder ihnen wenigstens auf Englisch Lobendes darüber sagen. Aber selbst in Schweden gerate ich nur an Tankstellenbesitzer und Barschzüchter, deren Englischlehrerin selig noch vor Antreten ihres Amtes verstorben war. Oder die nur noch nie davon gehört haben, dass man in ihrem Land mit Englisch überall gut durchkommt. Ganz vielleicht liegt es auch an meinem Englisch, dass es nirgendwo funktioniert. Denn ich spreche ein sehr feines, verkünsteltes Englisch. Es klingt fast wie Flötenmusik. max-scharnigg.jetzt.de
Der endgültige Chefredakteur
Weil angeblich kein anderer wollte, leitet Leo Fischer, 27, Deutschlands wichtigstes Satiremagazin "Titanic"
Ein sonniger Januarmorgen, Frankfurt-Bockenheim. Gegenüber einer großen Baustelle findet man das Klingelschild der Titanic-Redaktion, man muss aber danach suchen, wie nach einer Briefkastenfirma. Wer erwartungsvoll den Flur betritt, denkt an die Simpsons-Folge, in der Bart die Redaktion des MAD-Magazines besucht: Als er schon enttäuscht gehen will, weil es doch nicht der verrückte Spielplatz ist, den er sich vorgestellt hat, da öffnet sich eine Tür, Alfred E. Neumann schaut heraus und verlangt ein doppelt-geschnackseltes Riesensandwich, während im Hintergrund die MAD-Zeichner auf Pogostäben hüpfen und mit Saugnäpfen an der Decke gehen. Leo Fischer geht leider nicht mit Saugnäpfen an der Decke. Er telefoniert mit Hans Zippert, einem der Titanic-Herausgeber. Es geht ums Cover der nächsten Ausgabe. "Jetzt drehen die Russen uns auch noch den X ab" ist einer der unfertigen Vorschläge. "Das X wäre noch das Problem", sagt Leo. Er hat Ende vergangenen Jahres Thomas Gsella als Redaktionsleiter ersetzt. Im für einen Chefredakteur zarten Alter von 27 Jahren leitet Leo jetzt ein Magazin mit einer Auflage von immerhin fast 100 000 Exemplaren. Und es ist nicht irgendein Magazin, das ihm da anvertraut wurde, sondern die wichtigste Satirezeitschrift in Deutschland.
"Merkel verstaatlicht sich selbst", lautet der nächste Vorschlag. "Rollt nicht", sagt Leo.
Im Konferenzraum steht ein runder alter Tisch, auf dem fast jedes Magazin der Welt liegt. Leo Fischer hat sein Telefongespräch beendet und setzt sich, er trägt ein schwarzes Hemd von New Yorker für sechs Euro, das erzählt er später selbst stolz in der Konferenz. Man weiß nicht genau, was einen erwartet, wenn man den Chefredakteur der Titanic interviewt. Auf Spiegel Online prognostizierte er in einem Gastbeitrag den Untergang des Internets, man bereite sich daher frühzeitig auf die Offline-Ära vor: "Unsere Web-Präsenz wird schon seit Wochen sukzessive zurückgebaut; am Ende soll nur mehr ein Link zum Focus übrigbleiben." Das seien, sagt Leo, "ganz verlässliche und seriöse Informationen" gewesen und er habe "das auch alles so gemeint." Überhaupt lässt er es nicht gelten, wenn man mutmaßt, etwas könne ironisch gemeint gewesen sein. "Ironie ist, dass man nicht unterscheiden kann, ob es ernstgemeint oder ist oder nicht", sagt Leo Fischer.
Eigentlich hatte er sich auf eine ernstgemeinte akademische Karriere vorbereitet. Magisterarbeit über "Glück und Rede bei Jean Paul", dann hat er an einer Doktorarbeit zum europäischen Schauerroman gearbeitet. Tut er auch immer noch, wenn er dazu kommt. Aber Satire macht man vermutlich nicht einfach nebenbei, jedenfalls nicht solche wie er. 2007 schrieb er über "Die ARD und ihre Girls", ein brillanter Text zum Zuhause-an-die-Wand-Hängen. Leo parodiert mit einer unwahrscheinlichen Genauigkeit den Moderatorinnenportraitwahn der großen Zeitungen, der Anne Will und ihren Kolleginnen Blödsinnigkeiten wie "Fehler zu wiederholen finde ich doof" als charmant-kluge Äußerungen durchgehen ließ. Als er über Katrin Bauerfeind schreibt, scheut er aber auch vor keinem noch so doofen Wortspiel zurück: "Ihr Vater war Veteran im Bauerkrieg, ihre Mutter ißt gern Bauerjoghurt (den großen)."
"Das endgültige Satiremagazin" nennt sich die Titanic in der Unterzeile. In keiner Richtung Tabus zu kennen, auch nicht nach unten, das ist ein Garant für Endgültigkeit. Oder, wie Leo es einmal der FAZ gesagt hat, als er noch Praktikant war: ",Titanic' hat mich schon immer fasziniert. Da stehen Pimmel-Witze neben niveauvoller Satire." - "Man macht sich dort über Journalismus lustig", hat Max Goldt einmal über das Heft geschrieben; "und da ich meine, daß dies genau das ist, was man mit Journalismus machen sollte, hat es mir bei der gewiß oft allzu derben Titanic auch immer gut gefallen."
Also macht sich der Kolumnist der Männerzeitschrift über Frauen lustig, das Feuilleton macht sich über den Kolumnisten der Männerzeitschrift lustig, die Avantgarde-Magazine machen sich über das Feuilleton lustig und die Titanic über alle zusammen, einschließlich der Frauen.
Man hat manchmal das Gefühl, dass die Titanic dabei behilflich ist, ein ganz pubertäres Bedürfnis nach Orientierung zu befriedigen. Man liest zum Beispiel einen Namen, sagen wir den von Maxim Biller, und einem fällt ein: ,Ach, auf den prügeln sie in der Titanic doch immer so ein. Dann ist das wohl einer von den Bösen.'
Leo widerspricht vehement: "Nein, er ist keiner von den Bösen. Einer von den Dummen vielleicht. Und sicherlich sagt Maxim Biller auch kluge Sachen und sei es aus Zufall, das tut jeder Mensch. Es ist nicht die beabsichtigte Wirkung, dass jemand durch die Erwähnung bei Titanic komplett erledigt wird. Er wird in einem konkreten Zusammenhang komplett erledigt." Wenn man Leo Fischer zuhört, klingt alles versöhnlicher als bei der Lektüre einer Titanic-Ausgabe. Man macht so ein Heft nicht nur mit Wut. "Man soll ja Spaß daran haben. Meistens geht das über ein Kopfschütteln: Dass es das auch noch gibt! Dass es immer noch dümmer geht. Es ist eher Verblüffung und seltener Wut. Zumindest bei mir." Es sei schwierig, wütend zu werden, sagt er später sogar.
Es ist verführerisch, einen 27-jährigen Chefredakteur danach zu fragen, wie er die Situation der "Generation Praktikum" beurteile. 2007 hatte Leo außer auf der Titanic-Website nirgendwo sonst geschrieben. Irgendwann bot man ihm aber ein Praktikum in der Frankfurter Redaktion an. "Damit ging ein Traum in Erfüllung", sagt Leo. Und das meint er wohl tatsächlich so. "Ich glaube, kein anderes Presseerzeugnis ist so frei wie Titanic, wir sind nur uns selbst verpflichtet und verantwortlich." Wenn man ihn fragt, warum man gerade ihn, den Unerfahrenen, Jungen, zum neuen Chefredakteur des Heftes auserkoren hat, dann sagt er: "Es wurde überlegt, ob es nicht Zeit für einen Generationenwechsel ist. Aber ausschlaggebend war am Ende, dass kein anderer wollte."
Der Chefredakteursposten der Titanic ist mit keinen finanziellen Vorteilen verbunden, jeder bekommt das gleiche Gehalt. Leo wollte trotzdem, weil es eine Chance ist, die man wohl nur einmal im Leben bekommt.
Die anderen Redakteure, die nicht wollten, loben Fischer über alle Maßen. Er könne alles, das Akademische, das Feingeistige und das Krawallige. Er scheint so eine Art Synthese aus seinen Vorgängern Martin Sonneborn und Thomas Gsella zu sein. Außerdem sei er, heißt es, ein exzellenter Kenner des Heftes: Wenn man einen Text sucht, den ein Autor vor zehn Jahren geschrieben hat, dann fragt man die Redaktionsassistentin, die zwei Stunden danach suchen muss - oder Leo, der weiß es sofort.
Seit der fünften Klasse liest er die Titanic, in der langweiligen Mathestunde ging sie unter dem Tisch herum, er erinnert sich an unbeholfene Versuche, Schulaufsätze wie Max Goldt zu schreiben. "Das Heft hat sich mir mit der Zeit erschlossen und hat nie richtig gefehlt. Es war einfach Teil des Seelenhaushalts."
Ob und wie sich der Humor einer jungen Generation von dem der älteren unterscheidet, darüber weiß Leo aber nicht viel zu sagen. Es gebe eben andere Interessen. "Aber ich glaube Humor ist universal und nicht auf einzelne Generationen zu beziehen." Das mit dem Rückbau der Internet-Präsenz revidiert er dann indirekt doch noch: Man möchte die Titanic-Website sogar ausbauen, vor allem das Archiv.
Weil Montag ist, ist um 13 Uhr Konferenz. Kurz nach 14 Uhr sitzen dann alle Redakteure um den großen runden Tisch herum. Ein anstrengender Konferenzmarathon beginnt, denn Endgültigkeit gibt es nicht umsonst. Die Redakteure regen sich auf über die Spiegel-Berichterstattung zum Tod Merckles und über die Firma Nestlé. Sie lesen herum, in Focus, Frankfurter Rundschau und Junge Welt, sie schweigen.
Einmal steht Leo Fischer auf, blättert im Duden und setzt sich wieder hin, ohne etwas zu sagen. Und natürlich werden Witze gemacht, gute Witze, manchmal im Sekundentakt.
Dann ist es kurz doch so wie in der MAD-Redaktion, die Bart besucht - nur ohne Saugnäpfe und Pogostäbe. Man würde die Witze gerne aufschreiben und seinen eigenen Texte damit schmücken. Aber Fischer bittet bei der Verabschiedung darum, möglichst keine Ideen zu verraten, bevor das Heft erschienen ist.
Und wer wäre man, sich mit dem Chefredakteur des endgültigen Satiremagazins anzulegen?
lars-weisbrod.jetzt.de
"Humor ist universal und nicht auf Generationen zu beziehen."
"Das Heft wurde Teil meines Seelenhaushalts": 2007 begann Leo Fischer als Praktikant beim Satiremagazin "Titanic" - seit kurzem bestimmt er dort über die Titelzeilen. "Ein Traum" sagt er und meint es tatsächlich so.
UND JETZT?
"Sieben Jahre auf jetzt.de - das ist ein Viertel meines Lebens"
Das Internet ist eine Fundgrube guter Texte. jetzt.de stellt an dieser Stelle ab sofort jede Woche einen talentierten Schreiber oder eine herausragende Autorin vor. Diese Woche: jetzt-Userin kikuju.
Im Mai bin ich seit sieben Jahren bei jetzt.de angemeldet. Das ist ungefähr ein Viertel meines Lebens. Wann genau ich mich um die damals noch notwendige Freischaltung zum Texteveröffentlichen beworben habe, weiß ich nicht mehr. Mein erster Text allerdings ist aus dem November 2003. Ich blogge also inzwischen seit gut fünf Jahren.
Diesen Satz würde ich jedoch nie so sagen. Wenn mich jemand fragt, dann sage ich: "Ich schreibe bei jetzt.de". Denn "bloggen" und bei jetzt.de schreiben sind für mich verschiedene Dinge.
Bei jetzt.de kenne ich inzwischen einen Großteil meiner Freundesliste in echt. Ich habe interessante Kaffeetreffen hinter mir, ich bin spontan über's Wochenende zu mir unbekannten Freunden gefahren oder habe auf Partys einen ganzen Haufen "Kosmonauten" auf einen Schlag kennengelernt. In Berlin lebend habe ich da natürlich einen großen Heimvorteil: Viele jetztler wohnen auch hier oder sind immer mal wieder für ein paar Tage in der Stadt. So wurde jetzt.de immer persönlicher über die Jahre. Ich möchte auch von Menschen, die ich nie gesehen habe, wissen, wie es ihnen geht. Das erzählen sie oft per Gästebuch oder in einer Botschaft. Manchmal schreiben sie einen Text darüber. "Erzähl deine Geschichte bei jetzt.de!" heißt der treffende Satz. Würde ich meine Geschichten in einem normalen Blog erzählen, würde das wohl niemand lesen, denn selbst die, die es interessieren könnte, würden mich wohl nicht finden. Irgendwann würde ich meinen Blog dann einstellen. Auch ich selber lese nur wenige Blogs regelmäßig, die "Bloggerszene" ist mir sehr fremd.
Mein "Blog" bei jetzt.de ist ein Kessel Buntes. Alltagsgeschichten, Links, Rezepte, Fotos . . . Wenn mir etwas auffällt oder mich etwas bewegt - Schönes, Trauriges und Lustiges - dann führt mich der Weg oft zum Klick auf "Text schreiben".
Ich führe dabei ein sehr durchschnittliches jetzt.de-Leben: Ich wohne in einer Großstadt und habe eine einigermaßen angenehme Arbeit. Ich schlage mich mit dem üblichen Alltagskram rum, ich verbringe den Freitagabend auf der Couch oder feiere am Samstag zu viel (oder beschwere mich darüber, dass das nicht mehr so gut geht wie früher) und versuche nebenbei irgendwie mein Studium zu beenden. Bei jetzt.de können auch diese kleinen Alltagsschnipsel zur großen Geschichte werden und einfach mal zu schweigen ist genauso okay.
Und jetzt?! Keine Ahnung. Aber fang' einfach mal an: Dein Publikum wartet!
Verantwortlich: Dirk von Gehlen
Illustrationen: Katharina Bitzl; Fotos: Erik Weiss (Mando Diao), Thomas Hintner (Leo)
Nach der Schlacht
Die WAZ hält am Sparkurs fest und verteidigt ihren dpa-Ausstieg
An den nüchternen Zahlen wird sich kaum etwas ändern: 30 Millionen Euro will die WAZ-Mediengruppe bei ihren vier nordrhein-westfälischen Titeln einsparen, 261 der rund 890 Redakteurstellen sollen dabei wegfallen. Doch der Schlachtenlärm ist verklungen, die Zeit der Kooperation und stillen Verhandlungen gekommen. Die Betriebsräte haben nun ein eigenes Umbau-Konzept vorgelegt, dass WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach lobend "als sehr konstruktiv und hilfreich" bewertet. Auch, wenn der Gegenentwurf nicht an Kritik spart. Es müsse "mehr geschehen als ein radikaler Personalabbau per Taschenrechner", heißt es in der Vorlage, die neben Änderungen am geplanten Mantelkonzept für drei Titel auch vorsieht, die geplanten Schließungen von Lokalredaktionen bei zwei konkurrierenden WAZ-Titeln im gleichen Verbreitungsgebiet zu verhindern. So soll erreicht werden, was die Betriebsräte als Motto gewählt haben: "Qualität wird sich behaupten."
Das wiederum sieht die Geschäftsführung genauso, die ihr Konzept als "strategische Entscheidung für eine Autorenzeitung" empfindet. Dazu gehörte auch, den Vertrag mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) nicht zu verlängern - und nebenbei drei Millionen Euro einzusparen. Vorwürfe, die WAZ-Gruppe - immerhin noch dpa-Gesellschafter - verlasse damit die Solidargemeinschaft, konterte Geschäftsführer Christian Nienhaus: "Niemand kann verpflichtet werden, einen schlechten Deal dauerhaft fortzuführen." Journalistisch sollen die WAZ-Titel nicht mehr auf die dpa-Dienste angewiesen sein, und WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz hat noch "keinen einzigen Fall" gehabt, wo man die dpa gebraucht hätte. Auch die Schreiber seien vom Konzept der Autorenzeitung begeistert. Reitz: "Mir sagen Redakteure: ,Danke, dass du mir den Journalismus zurückgegeben hast.'" DIRK GRAALMANN
So ein netter Mörder
In der sechsten "Nachtschicht" des ZDF sind Gut und Böse wieder kaum zu unterscheiden
Geht es um ein neues Gesicht im Tat-ort, ist häufig von Ehre die Rede. Mehmet Kurtulus und Simone Thomalla gaben sich geschmeichelt, in der traditionsreichen Kultserie ermitteln zu dürfen. Mit Lars Beckers loser Krimireihe Nachtschicht verhält es sich schon nach sechs Jahren ähnlich. Deutsche Fernsehprominenz wie Cosma Shiva Hagen, Uwe Ochsenknecht und Jan Josef Liefers köderte der Regisseur bereits mit Leichtigkeit. Dieses Mal geben sich Gegen die Wand-Star Sibel Kekilli, Uwe Kockisch und Fritz Karl in Gastrollen die Ehre - und haben offensichtlich Spaß, für Beckers Reihe um den Hamburger Bereitschaftsdienst zu mimen. Das bedeutet zwar stundenlange Drehs in kaltfeuchten Nächten, aber auch in einer Serie mitzuwirken, die erfrischend abseits des deutschen Mainstreams experimentiert.
Auch Blutige Stadt, der sechste Teil der Reihe (Buch: Lars Becker), ist ein humoriger Neo-Noir-Thriller im Dunkel einer Nachtschicht. Ein anonymer Anrufer verkündet, Todesurteile an Drogendealern zu vollstrecken. Gerade mal zwölf Stunden bleiben den Kommissaren Brenner (Barbara Auer), Erichsen (Armin Rohde) und Hu (Minh-Khai Phan-Thi), um Schlimmeres zu verhindern - was nur leidlich gelingt. Vier Menschen, davon drei Polizisten, schickt Autor Becker im Laufe des Films unter die Erde. Ermittler Teddy (Ken Duken) schied bereits in der Vorfolge aus. Schnell geht es hier zu, cool und trotzdem erstaunlich realistisch. Wieder mal interessiert weniger die Lösung des Falls als das Profil der Beteiligten und ihr Milieu. "Das Genre", sagt Armin Rohde über seinen Regisseur, "ist eigentlich nur ein Vorwand für Becker, um Menschen zu zeigen".
So erfährt man schon in der Hälfte des Films, wer der Anrufer ist. Wenn der mordende Mann unterm Schlapphut mit frei liegendem Gesicht in die Kamera läuft, scheint es, als wolle sich Becker über das Krimi-Genre lustig machen: Da, hier habt ihr euren Täter. Doch Bösewichte gibt es noch ganz andere. Nichts ist bei Becker ganz schwarz oder weiß. Der Polizeichef (Uwe Kockisch) ist mal komisch-bedauernswert, wenn er versucht, die Fahrerflucht seiner nervösen Frau zu vertuschen, und mal abstoßend, wenn er Morde zulässt. Aber nie ist er sympathischer als der Schlapphut-Mörder, der alles versucht, um seine drogenabhängige Tochter aus dem Koma zu erwecken.
Mit dem schwedischen Shootingstar Thure Lindhart - ein Blondschopf mit Zahnlücke, Kinderlächeln und freundlichem Akzent - agiert endlich ein untypischer Bösewicht im deutschen Krimi. Und auch Beckers Polizisten dürfen mal durchtrieben und cool sein. Wenn sich die drei Wächter der Nacht schließlich nach harter Arbeit an der Bar einen Whiskey erpressen, scheint es, als wäre ein norddeutscher Western zu Ende. "Du bist Bulle, Mann", sagt einer Ermittler, "was Besseres gibt's doch gar nicht." ANTJE HARDERS
Nachtschicht: Blutige Stadt, ZDF, 20.15 Uhr
Mimi Hu (Minh-Khai Phan-Thi) und ihre Kollegen jagen diesmal einen Mann, der Dealer hinrichten will. Der Täter hat in Lars Beckers Neo-Noir-Krimi ein gutes Motiv, und lächeln kann er so schön wie die junge Kommissarin. Foto: ZDF
Heikles Schweigen
Die BBC weigert sich, einen Hilfsaufruf für Gaza zu senden
Die Abkürzung BBC steht für British Broadcasting Corporation, aber die mehr als 2000 Demonstranten, die sich am Samstag vor der Zentrale des britischen Rundfunk- und Fernsehsenders in London versammelten, fanden eine andere, wenig schmeichelhafte Deutung für die drei Buchstaben: "Biased, Bigotted, Cowardly" stand auf einem Transparent - voreingenommen, bigott, feige.
Der Zorn der britischen Politik und der Öffentlichkeit hat sich an einer Entscheidung der Anstalt entzündet, einen Spendenaufruf für die Bewohner des Gaza-Streifens nicht auszustrahlen. Das Disasters Emergency Committee (DEC), ein Zusammenschluss von 13 meist hoch angesehenen britischen Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz und Oxfam, bittet darin um Hilfe für die Palästinenser nach dem Ende des mehrwöchigen Bombardements durch israelische Truppen.
Die BBC stellt sich nach den Worten ihres Generaldirektors Mark Thompson auf den Standpunkt, dass eine Ausstrahlung des Aufrufes die Unparteilichkeit des Senders infrage stellen könnte. "Es besteht die Gefahr für die BBC, dass man dies so interpretieren könnte, als ob wir einen politischen Standpunkt in einem laufenden Konflikt einnehmen würden", schrieb Thompson in einem Blog. Außerdem gebe es Bedenken, ob die Hilfe die Bedürftigen wirklich erreiche.
Andere britische Sender teilen diese Vorbehalte nicht: ITV, Channel 4 und Channel 5 wollen den Aufruf am Montag zum ersten Mal senden. Der Satellitenkanal Sky des australischen Medienmoguls Rupert Murdoch hat noch keine Entscheidung getroffen. In der Vergangenheit hat auch die BBC Spendenappelle des DEC ausgestrahlt. Dabei handelte es sich freilich um Hilfsaufrufe nach Naturkatastrophen. "Im Falle von Katastrophen, die von Menschen verursacht werden, ist die Sache sehr, sehr viel komplizierter", erklärte denn auch Caroline Thomson, die leitende Geschäftsführerin der BBC.
Mindestens zwei Regierungsmitglieder haben die Entscheidung des Senders bereits gerügt. Entwicklungshilfeminister Douglas Alexander vertrat die Ansicht, dass "die Öffentlichkeit sehr wohl zwischen der Unterstützung humanitärer Hilfe und einer Parteinahme in einem Konflikt unterscheiden" könne. Ministerin Hazel Blears erklärte, sie hoffe "aufrichtig, dass die BBC vorrangig ihre Entscheidung überdenken" werde. Tony Benn, der große alte Mann der Labour-Partei warf dem Sender gar einen "Verrat" an seinem öffentlichen Auftrag vor.
Die massive Kritik hat mittlerweile auch den Vorsitzenden des BBC Trust, des obersten Aufsichtsorgans der Anstalt, auf den Plan gerufen. In einem Brief an Generaldirektor Thompson äußerte Michael Lyons seine Besorgnis, dass angesichts dieser Vorwürfe die redaktionelle Unabhängigkeit des Senders bedroht sei.
Unterdessen hat sich auch der für seine Freimütigkeit bekannte anglikanische Erzbischof von York, John Sentamu, in die Debatte eingeschaltet. "Hier geht es nicht um einen Aufruf von Hamas um die Lieferung von Waffen sondern um humanitäre Hilfe", erklärte der Geistliche, der einen Ruf als moralische Instanz im Land genießt. "Indem sie die Bitte (um die Ausstrahlung des Aufrufes) ablehnt, hat die BBC bereits Position bezogen und ihre Unparteilichkeit aufgegeben." WOLFGANG KOYDL
Panik auf dem Klüngelberg
"Nicht mehr zu retten": ORF-Chef Alexander Wrabetz hat Österreichs Rundfunkanstalt in ihre tiefste Krise geführt
Hitzing ist eine der nobelsten Gegenden Wiens. Hier stehen Villen mit Erkern und hübschen Türmchen am Dach, hier kann man nachmittags im Café Dommayer Melange aus handbemalten Tassen trinken und danach durch die Parkanlage im Schloss Schönbrunn flanieren. Hitzing hat aber auch einen trostlosen Teil und dort, am Küniglberg, liegt das Zentrum des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ORF: ein verschachtelter Betonbau aus den siebziger Jahren mit schmutzgrauer Fassade und Rissen in der Außenmauer.
Im sechsten Stock, gleich unter dem Dach, sitzt Alexander Wrabetz in einem Büro mit grauen Wänden und einem grauen Tisch. Wrabetz, 48, ist seit zwei Jahren Generaldirektor des ORF. Er sieht ziemlich zerzaust aus. Der Friseurbesuch sei in den vergangenen Wochen einfach nicht drin gewesen, sagt er. In den vergangenen Wochen, da war Wrabetz damit beschäftigt, die Rundfunkanstalt vor der Pleite zu bewahren - und sich selbst vor dem Rauswurf. Der ORF steckt in der Krise und zwar so tief, dass der frühere Generaldirektor Gerd Bacher bereits verlauten ließ, man müsse den Sender neu gründen, anders sei er "nicht mehr zu retten".
Tatsächlich steht der ORF nach den ersten zwei Jahren der Ära Wrabetz nicht gut da: 2008 wurden mehr als 100 Millionen Euro Verlust gemacht, ein Viertel der 3400 Jobs soll gestrichen werden. In seinem jüngsten Prüfbericht kritisiert der Rechnungshof "ineffiziente Organisationsstrukturen" und mangelndes Kostenbewusstsein. Prekär: Wrabetz war vor seiner Bestellung zum ORF-Chef der kaufmännische Direktor der Sendeanstalt, ist also seit zehn Jahren in höchster Position für die wirtschaftliche Situation des Unternehmens verantwortlich. Entsprechend unwirsch fiel die Reaktion im Stiftungsrat aus, dem Aufsichtsgremium des ORF, als Wrabetz im November den zu erwartenden Rekordverlust öffentlich machte.
Er verstehe nicht, "wieso der Herr Generaldirektor da plötzlich so überrascht getan hat, schließlich hat er sich jahrelang mit nichts anderem beschäftigt", sagt ein Ratsmitglied. In den vergangenen zwei Jahren habe man beim ORF "eine der größten Wertvernichtungsaktionen in der Geschichte der zweiten Republik" beobachten können.
In diesen Tagen melden sich viele, die zu wissen glauben, wie man es besser macht: Neben dem früheren Generaldirektor Bacher etwa Monika Lindner, 64, die 2006 als amtierende Generaldirektorin die Wahl gegen Wrabetz verloren hatte. Dessen Programmentwicklung sei "in großem Maße gescheitert" konstatiert sie. Und der Flurfunk vermeldet, dass er, Wrabetz, "es einfach nicht kann". Es ist die Stunde der alten Gegner.
Wrabetz hatte als Finanzverantwortlicher für den ORF jahrelang Geld angelegt - ziemlich erfolgreich. Mit den Erträgen wurden die Verluste kompensiert, die im operativen Geschäft seit langem erwirtschaftet werden. Der ORF finanziert sich zur Hälfte aus Werbung, die Finanzkrise trifft ihn deshalb doppelt hart: Anlage-Gewinne fallen weg, und Unternehmen reduzieren ihre Werbeausgaben.
Jetzt mache sich bemerkbar, dass beim ORF wichtige Reformen versäumt worden seien, meint der frühere RTL-Chefredakteur Hans Mahr, 59, ein Österreicher, der immer wieder als möglicher Nachfolger Wrabetz' gehandelt wird. "Der ORF bräuchte eine grundlegende Strukturreform, damit dort effizient gearbeitet werden kann", sagt Mahr. So leistet man sich in Wien eine eigene Technikabteilung - etwas, das von anderen europäischen Medienhäusern längst ausgegliedert wurde, um Kosten zu sparen.
Auch beim Ankauf von Sportrechten gibt sich der einstige TV-Monopolist ORF großzügig: So liefert ORF 1 den Österreichern nicht nur Skifahren, Skispringen und die Nordische Kombination in die Wohnzimmer, sondern auch die Formel 1, die Spiele der nationalen Fußball-Bundesliga, den UEFA-Cup und die Champions League. Dazu kommen Großereignisse wie die Olympischen Spiele sowie Welt- und Europameisterschaften in diversen Disziplinen. Insgesamt besitzt der ORF etwa so viele Sportrechte wie ARD, ZDF, Sat 1 und RTL zusammen.
Damit soll Schluss sein. "Die Champions League werden wir uns zu den derzeitigen Bedingungen nicht mehr leisten können", sagt Wrabetz und spricht von Auslagerungen, Abfindungsangeboten und davon, dass die Gehälter in diesem Jahr nur wenig erhöht würden. Und er sagt, dass der ORF "im Kern" ja ein gesundes Unternehmen sei. Er sagt das ziemlich souverän und lächelt dabei. Wenn man ihn nur machen lässt, wird alles gut werden, das ist die Botschaft.
Franz Küberl ist Präsident der Caritas in Österreich, ein Mann der Kirche also, und doch will er die Botschaft nicht so recht glauben, nicht die von Wrabetz. Genau wie alle anderen 34 Mitglieder des Stiftungsrats erteilte Küberl, 55, den Sparplänen des ORF-Generaldirektors bei der jüngsten Sitzung des Gremiums eine Absage. Bevor man zustimme, wolle man erstmal ein ordentliches Strategiekonzept sehen, verlautete aus dem Gremium. Und Kirchenmann Küberl spricht davon, dass man der ORF-Geschäftsführung "die Rute ins Fenster gestellt" habe.
Längst kursieren in Hietzing die Namen potentieller Wrabetz-Nachfolger. Neben Mahr wird auch Gerhard Zeiler genannt, der Chef der RTL Group. Auch er ist Österreicher, und er stand von 1994 bis 1998 schon einmal an der Spitze des ORF. Zeiler genießt am Küniglberg bis heute großen Respekt. Ebenfalls gehandelt werden Rudi Klausnitzer, früher Geschäftsführer der Gruner + Jahr-Tochtergesellschaft Verlagsgruppe News, und der ehemalige n-tv-Chef Helmut Brandstätter. Nicht-österreichischen Kandidaten werden indes kaum Chancen eingeräumt. Die Österreicher nennen den ORF nicht umsonst "Intrigantenstadl". Wer dort überleben will, muss die spezifisch österreichischen Ränkespiele von der Pieke auf gelernt haben.
Im nationalen Wehklagen über den Zustand des ORF geht bisweilen freilich unter, dass das Programm der Rundfunkanstalt durchaus Höhepunkte aufzuweisen hat: Das Satireformat Wir sind Kaiser etwa, die bissigen Kommentare der Kabarettisten Dirk Stermann und Christoph Grissemann in Willkommen Österreich oder auch das Konsumentenmagazin Konkret. Wichtiger noch: Die Redakteure verspüren heute deutlich weniger politischen Druck als noch in der Ära Monika Lindners, deren unverblümt gelebte Nähe zu den Konservativen bisweilen Zweifel an der journalistischen Unabhängigkeit des ORF geschürt hatte.
Der "heiße Draht" für Interventionen zwischen den Parteizentralen und der Chefredaktion ist merklich abgekühlt, und auch Werner Mück hat wesentlich weniger zu tun als früher. Mück, 64, erzkonservativ, war unter Monika Lindner zentraler Chefredakteur der ORF-Information, er verantwortete zu dieser Zeit alle Nachrichtensendungen und politischen Magazine. Mit der Ablösung Lindners durch den Sozialdemokraten Wrabetz waren zwar Mücks Tage in dieser mächtigen Position gezählt, nicht aber als Chefredakteur: Mück leitet nun den ORF-Tochtersender TW1, ein Spartenkanal, der mehrere Stunden täglich Bilder aus Wetterkameras überträgt. Man wird nicht gefeuert, sondern versetzt, so lautet ein ungeschriebenes Gesetz am Küniglberg.
Aber nicht alle, die von ihrer alten Aufgabe entbunden werden, bekommen wirklich eine neue. Viele sitzen die Zeit bis zum Ruhestand als "weiße Elefanten" ab. So nennen sie beim ORF Menschen, die zwar ein Büro haben und jeden Monat ihr Gehalt bekommen, dafür aber keine Leistung bringen müssen. Wie viele "weiße Elefanten" in den endlosen Gängen des ORF-Zentrums versteckt sind, ist unklar, aber Stiftungsrat Küberl findet, die Geschäftsführung solle doch "endlich dafür sorgen, dass alle, die beim ORF angestellt sind, auch tatsächlich für den ORF eine Leistung erbringen."
Leistung ist nun vor allem von Alexander Wrabetz verlangt. Bis zum Frühjahr muss der Generaldirektor dem Stiftungsrat ein Konzept vorlegen, wie er den ORF wirtschaftlich sanieren und inhaltlich positionieren will. Es ist "seine letzte Chance", wie der Vorsitzende des Stiftungsrats, Klaus Pekarek, sagt. Sorgen macht sich Wrabetz deshalb trotzdem nicht. Er denkt lieber an die Zeit seiner Wahl zurück, vor zwei Jahren, als er hinter dem Rücken seiner damaligen Chefin Monika Lindner für sich eine Mehrheit im Stiftungsrat organisiert und den Chefsessel übernommen hatte. Aus lauter Begeisterung über die Ablöse der viel geschmähten Lindner hatte ihm die Presse damals den Spitznamen "Super-Alex" verpasst. "Meine Wahl war mit einer unglaublich hohen Erwartungshaltung verbunden", sagt Wrabetz rückblickend. "Jeder hat gedacht, jetzt wird das Fernsehen genau so, wie er es immer schon haben wollte." Zumindest aus diesem Traum sind sie heute schon erwacht, in Österreich. ANGELIKA SLAVIK
Als Alexander Wrabetz vor zwei Jahren Chef des ORF wurde, nannten sie ihn in Österreich "Super-Alex". Die Zeiten sind vorbei. 2008 machte der Sender mehr als 100 Millionen Euro Verlust, ein Viertel der 3400 Jobs soll gestrichen werden. Foto: Reuters
Das Feld der Ehre
Immer wieder Pocher. Oder: Rundfunkräte und Satire
Eines der größeren Missverständnisse im öffentlich-rechtlichen Fernsehsystem ist das von der ARD und ihren Gremien. Die Rundfunkräte wurden gerade erst aufgewertet durch die EU-Wettbewerbskommission. Sie hat die Gremien der gebührenfinanzierten Anstalten ermächtigt, neue digitale und internetfähige Programme von ARD und ZDF künftig zu genehmigen oder zu untersagen.
Nun gibt es viele, die bezweifeln, dass deutsche Rundfunkgremien in der Lage sind, alle ordnungspolitischen, wirtschaftlichen und alle fernsehspezifischen Faktoren und Argumente in ein begründetes, unabhängiges Urteil einfließen zu lassen. Anders ausgedrückt: Rundfunkräte haben - nicht erst seit Günther Jauch sie als "Gremlins" bezeichnete, denen er sich nicht aussetzen wollte - kein ganz gutes Image. Das mag oft ungerecht sein, doch zuletzt bemühte sich der Rundfunkrat des Südwestrundfunks (SWR), Vorurteile zu bestätigen.
Weil Oliver Pocher in der ARD-Latenight-Show Schmidt & Pocher am Donnerstag vergangener Woche den Kinostart des Hollywood-Thrillers Operation Walküre satirisch kommentierte, will ihn die Stuttgarter Gremienmacht aus dem Ersten entfernen lassen. Die veröffentlichten Zitate zweier Mitglieder, so sie denn stimmen, reichen von "pietätlos" über "ehrabschneidend" bis man solle ihn "den Privaten überlassen".
Das passt insofern, weil es wohl nicht mehr lange dauern wird, bis Pocher, 30, von RTL engagiert wird. Seit feststeht, dass Harald Schmidt von Herbst an nicht mehr mit Pocher zusammenarbeiten möchte, verhandelt ARD-Programmdirektor Volker Herres mit dem oft zotigen Komödianten. Herres will Pocher unbedingt weiter beschäftigen, sucht ein neues Format für ihn. Doch ein weiteres großes Missverständnis ist das von der ARD und dem jungen Publikum. Der SZ sagte Herres am Sonntag: "Wer es ernst meint damit, dass wir die jüngeren Zuschauer noch erreichen wollen, der muss auch aushalten können, was ihm selbst nicht zusagt."
Völlig absurd und unverständlich ist es, Pocher jetzt zu kritisieren. Er trat mit Augenklappe in einer Satiresendung auf und sagte: "Mit dem Ersten sieht man besser" - in Anspielung an die ZDF-Kampagne, bei der Prominente ein Auge mit der Hand verdecken und versprechen: "Mit dem Zweiten sieht man besser." Auch Pochers Sätzchen: Valkyrie sei ein Film, "der die Welt verändern wird: Viele werden sich freuen, vor allem mein Opa, dass er das noch einmal erleben darf", taugt nicht für eine moralische Entrüstung. Gerne lächeln deutsche TV-Manager über ein flaches Programm der amerikanischen Networks oder Kabelsender, wenn es um politische Berichterstattung geht. Tatsächlich bietet das Fernsehen der USA eine kompromisslose politische Satire, namentlich durch Jon Stewart oder Stephen Colbert, gegen die Pocher zu einem Stand-up-Comedian in Ausbildung schrumpft. Harald Schmidt kann so eine Stauffenberg-Nummer viel schärfer, wirkungsvoller präsentieren.
Man braucht Pocher - der verpflichtet wurde, um ein junges Publikum für die ARD zu interessieren, was ihm gelang - nicht komisch oder scharfsinnig zu finden. Man kann ihn ziehen lassen. "Mit Programmkritik", sagt Programmchef Herres, "kann ich gut leben." Probleme bereite ihm "der öffentliche Vertreibungsversuch". In diesem Punkt sind die Fälle Jauch und Pocher vergleichbar.
Wie wird nun der SWR-Intendant Peter Boudgoust reagieren, der seit 2009 auch ARD-Vorsitzender ist? Der SWR-Rundfunkrat erregte sich schon einmal über Schmidt & Pocher ("Nazometer"). Vorführen lassen kann sich Boudgoust, der intern bisher angeblich sehr auf Satire hielt, nicht von seinen Räten. CHRISTOPHER KEIL
Verantwortlich: Christopher Keil
Nach Geburtstagsfeier von Auto überrollt
Waldkraiburg - Eine junge Frau ist nach der Feier ihres 24. Geburtstags am Sonntagmorgen bei Waldkraiburg von einem Auto erfasst und getötet worden. Wie die Polizei mitteilte, war die Frau zusammen mit vier Freundinnen auf dem Nachhauseweg von einer Diskothek, als sie auf der Kreisstraße Richtung Waldkraiburg (Landkreis Mühldorf) von dem Wagen erfasst wurde. Sie starb noch am Unfallort. In der Diskothek in Jettenbach hatte sie in ihren Geburtstag hineingefeiert. Kurz nach vier Uhr morgens verließ die Frau gemeinsam mit vier Freundinnen die Diskothek und bestellte ein Taxi. Als dieses nicht kam, machten sich die Frauen zu Fuß auf den Weg. Die 24-Jährige trug dunkle Kleidung, weshalb sie der 30-jährige Autofahrer nicht sah. Die Frau wurde von hinten erfasst und über die Motorhaube geschleudert. dpa
Landespolitik
Lustig ist's, liberal zu sein
Ein Stammtisch irgendwo in Oberbayern. Auf dem Tisch ein Aschenbecher, weil es schon spät ist, weil ohnehin keiner kontrolliert und das Rauchverbot sowieso bald gelockert wird. "Mir ham euch alle gewählt", sagt der Wirt. "Aus Protest." Er sagt es zu Martin Zeil, dem Wirtschaftsminister von der FDP, den sie hier erst gar nicht erkannt haben. Zeil setzt sich dazu, lässt sich einen Schnaps ausgeben und, weil man grad so schön beieinander sitzt, auch gleich einen Zigarillo anzünden. "Freilich san mir guat", sagt er zufrieden und lässt sich ein wenig für die Rettung des bayerischen Lebensgefühls loben.
So fühlt es sich an, das Glück der Liberalen. Ein Vierteljahr hält es jetzt schon an, so lange sitzt die FDP wieder im Landtag. Dort ist sie ganz zweifellos die bestgelaunteste aller fünf Fraktionen. Weil es einfach so schön ist, nach "14 Jahren Finsternis" wieder ins Licht der öffentlichen Wahrnehmung zu treten, wie Fraktionschef Thomas Hacker sagt. Nicht nur das. Sie werden gebraucht, die Liberalen, sonst hätte Horst Seehofer keine Regierung hingekriegt. Und weil sie jetzt dazugehören, die zwei Minister und eine Staatssekretärin von der FDP, dürfen sie sogar Du zum großen Horst sagen. Rote Teppiche werden ihnen gar ausgerollt. Beispielsweise war Fraktionschef Hacker neben der Prominenz aus Hollywood zum Bayerischen Filmpreis geladen.
Manchmal können die 16 Abgeordneten gar nicht fassen, welch schöne
neue Zeit da angebrochen ist. Die Umfragewerte sind gut und stabil, manchmal
bekommt man von einem Wähler ein Schulterklopfen und die lokalen
Radiosender wollen neuerdings sogar wissen, was der örtliche
FDP-Abgeordnete zu einem Thema denkt. 14 Jahre lang hatte das niemanden
interessiert. Von Frohsinn geprägt war auch die Klausur der
FDP-Landtagsfraktion im Kloster Benediktbeuern. Sogar Guido Westerwelle kam, um
sich ein wenig mitzufreuen. Die Kollegen von CSU und SPD dürften ganz
neidisch sein. Als jüngst der Parteichef der CSU zu deren Fraktionsklausur
kam, da schimpfte er hauptsächlich, weil einer zu viel über Filz
geplaudert hatte. Bei der SPD kam der Parteichef erst gar nicht und die
Abgeordneten nutzten die Klausur, um sich in Personalfragen zu streiten. Da
können die Liberalen nur lachen.
Polizist von seiner Ehefrau erschlagen
Augsburg - Bei einem Ehedrama ist ein 46 Jahre alter Augsburger Polizist offenbar von seiner 13 Jahre jüngeren Ehefrau erschlagen worden. Wie die Polizei am Sonntag mitteilte, wurde die Leiche des Mannes am Samstag auf einem Feldweg im Kreis Augsburg gefunden. Dem Mann waren beide Beine abgetrennt worden. Diese fand die Polizei etwa 600 Meter entfernt in einem Plastiksack. Die 33 Jahre alte Ehefrau wurde wenig später festgenommen. Nach Angaben der Polizei herrschten zwischen dem Ehepaar "bereits langanhaltende Spannungen". Am Freitag meldete sich die Frau bei der Polizei und teilte mit, ihr Mann habe das Haus zu Fuß, ohne Angabe von Gründen und ohne bekanntes Ziel verlassen. An der anschließenden Suche nach dem Mann waren zahlreiche Funkstreifenbesatzungen, Diensthundeführer und ein Polizeihubschrauber beteiligt. Als die Leiche gefunden wurde, befragten die Ermittler Personen aus dem Umfeld des Toten. Daraus ergab sich der Tatverdacht gegen die Ehefrau. Der genaue Ablauf und die Hintergründe der Tat stehen laut Polizei derzeit noch nicht fest. ddp
Interview mit Landtags-Fraktionschef Thomas Hacker
"Wir sind eine Partei für das ganze Volk"
Die FDP will sich thematisch breiter aufstellen und die Wähler für liberales Gedankengut begeistern
Neue Wählerschichten will sich die FDP erschließen. Das ist ein Ergebnis der ersten Klausur der neuen FDP-Landtagsfraktion im Kloster Benediktbeuern. Die kleinere Regierungspartei gibt sich selbstbewusst.
SZ: Herr Hacker, wird es Ihnen in der Koalition mit der CSU zu kuschelig?
Hacker: Auch wenn die Diskussionen in der Koalition verbindlich und höflich im Ton sind, die sachlichen Auseinandersetzungen sind kontrovers und heftig.
SZ: Aber Sie haben Ihre Klausur genutzt, um ein wenig aufzumucken.
Hacker: So eine Klausur dient natürlich dazu, eine Kursbestimmung zu machen und eigene Positionen deutlich zu akzentuieren. Das haben wir getan.
SZ: Sie fordern eine radikale Schulreform. Ohne Schulsprengel, mit eigenständigen Schulen, die miteinander konkurrieren.
Hacker: Wir haben ja schon im Koalitionsvertrag die Grundlagen festgelegt, um die Schulstrukturen zu modifizieren und das starre System aufzubrechen. Darüber hinaus haben wir natürlich ein Idealbild liberaler Bildungspolitik.
SZ: Riskieren Sie mit so weitgehenden Forderungen keinen Krach mit dem Kultusministerium?
Hacker: Wir arbeiten offen mit dem Minister zusammen und setzen gemeinsam und konsequent die Vereinbarungen um. Daneben hat ja auch die CSU ihre eigenen Schwerpunkte. Das ist in einer Koalition ganz normal.
SZ: Es gibt noch Gegensätze. Um den Rechtsextremismus zu bekämpfen, wollen Sie mehr V-Leute in die Szene einschleusen. Horst Seehofer will das Gegenteil, um die NPD verbieten zu können.
Hacker: Wir haben da ja unterschiedliche Baustellen. Ein NPD-Verbot hat nur dann Erfolg, wenn die V-Leute abgezogen sind. Andererseits ist die Beobachtung nötig. Unser Ansatz ist nicht so sehr die Repression, sondern die Aufklärung und Prävention bei jungen Menschen. Nur so können wir die Jugend schützen vor rechtsextremistischen Parolen.
SZ: Also kein NPD-Verbot?
Hacker: Nur dann, wenn es Aussicht auf Erfolg hat. Ein Verbot bewirkt ja nicht das Ende der Ideologie. Da wird nur eine Struktur zerstört, die sich dann verlagert.
SZ: Müssen Sie jetzt stärker Akzente setzen, damit Sie nicht nur als kleiner Koalitionspartner wahrgenommen werden?
Hacker: Die FDP hat immer vehement eigene Positionen vertreten. Diese Eigenständigkeit werden wir auch in einer Koalition behalten und unsere Positionen nach draußen tragen. Kleinerer Koalitionspartner zu sein, bedeutet natürlich, dass wir unser Programm nicht zu 100 Prozent durchsetzen können. Aber auch die CSU muss Kompromisse hinnehmen. Unsere aktuellen Umfragewerte machen uns zuversichtlich, dass uns die Wähler als liberalen Motor und als Korrektiv wahrnehmen.
SZ: Trotzdem haben Sie bei der Landtagswahl vor allem vom Protest gegen die allein regierende CSU profitiert. Wie wollen Sie die Wähler binden, die nächstes Mal nicht wegen eines Rauchverbots empört sind?
Hacker: Für uns ist es wichtig, mit einem eigenen Programm eine breite Basis zu bekommen. Leihstimmen gibt es nicht, jeder Wähler entscheidet sich bei jeder Wahl sehr dezidiert für eine Partei. Wir müssen versuchen, dass wir die Wähler für das liberale Gedankengut begeistern und an uns binden.
SZ: Ihre Landesvorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger will die "thematische Verbreiterung" der FDP. Wie muss die aussehen?
Hacker: Die FDP war in der Vergangenheit in der öffentlichen Wahrnehmung fokussiert auf Wirtschaft und Finanzen. Das trifft aber schon seit eineinhalb Jahrzehnten nicht mehr zu. Wir haben uns andere Kompetenzen aufgebaut. Das sieht man ja schon daran, dass wir im Landtag den Vorsitz im Sozialausschuss gewählt haben. Liberalität ist in allen Gesellschaftsbereichen wichtig.
SZ: Das heißt, Sie wollen das Etikett von der Ärzte- und Unternehmerpartei loswerden.
Hacker: Wir wollen zeigen, dass wir viele Kompetenzen haben. Wir sind eine Partei für das ganze Volk.
Interview: Katja Auer
"Wir haben unsere Positionen deutlich akzentuiert", sagt Thomas Hacker. dpa
FDP kämpft gegen Honorar-Reform
Benediktbeuern - Die FDP-Landesvorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger will ihre Partei nicht mehr als Vertretung der Besserverdienenden wahrgenommen wissen. Die FDP müsse mit Themen verbunden werden, "die alle Bürger betreffen", sagte sie bei der Winterklausur der Landtagsfraktion im Kloster Benediktbeuern. Im Wahljahr 2009 werde ihre Partei keine Einzelinteressen vertreten. "Wer immer nur an Zielgruppen denkt, verliert seine Ziele aus den Augen", schreibt Leutheusser-Schnarrenberger in einem Strategiepapier. Den Dreiklang "Bildung, Wirtschaft, Bürgerrechte" werde die FDP als Grundsatz beibehalten. Damit wolle sie auch Nichtwähler erreichen, sagte die frühere Bundesjustizministerin. Die FDP dürfe nicht nur auf die Stimmen von enttäuschten Unionswählern hoffen. Als Ziel für die Bundestagswahl gab Leutheusser-Schnarrenberger erneut zehn bayerische Abgeordnete aus. Bislang stellen die bayerischen Liberalen neun Parlamentarier in Berlin.
Die 16 Landtagsabgeordneten verabschiedeten bei der Klausur eine Reihe von Papieren. Zentrales Thema war die Bildungspolitik. Die FDP erneuerte ihre Forderungen nach einer liberalen Bildungspolitik, die den Schulen weitgehende Unabhängigkeit ermöglichen soll. Beim Thema Gesundheitspolitik übten die Abgeordneten Kritik an der Gesundheitsreform. Die gerade in Kraft getretene Honorar-Reform führe zu "gravierenden Verwerfungen in den Regionen", hieß es. Sie müsse deshalb rückgängig gemacht werden. Stattdessen müsse ein einfaches und transparentes Vergütungssystem für Ärzte eingeführt werden. kaa
Ein Flugzeug für den Klimaschutz
Forschungsjet aus Bayern erkundet die Atmosphäre
Oberpfaffenhofen - Mit eintägiger Verspätung hat das neue deutsche Höhenforschungsflugzeug Halo am Samstagvormittag seinem Standort in Oberpfaffenhofen erreicht. Der umgebaute Business-Jet landete nach einem rund neunstündigen Überführungsflug vom Werk des Herstellers Gulfstream in Savannah im US-Bundesstaat Georgia am Sonderflughafen beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Von Sommer an wird Halo (High Altitude and Long Range Research Aircraft) im Auftrag deutscher und internationaler Einrichtungen zu Forschungsflügen rund um den Globus abheben.
Mit dem Höhenforschungsflugzeug sollen unter anderem Umweltschadstoffe und das Klima erforscht werden. Das etwa 70 Millionen Euro teure Flugzeug wird den Wissenschaftlern auch einen Blick auf die Entwicklung der Vegetation und der Eisverteilung an den Polen ermöglichen. Der Umbau des Geschäfts-Reiseflugzeugs vom Typ Gulfstream G 550 hatte insgesamt fast drei Jahre gedauert.
Der zweistrahlige Jet kann auf eine Höhe von mehr als 15 Kilometern steigen und bis zu 8000 Kilometer zurücklegen. Mit seiner großen Reichweite ermögliche es Forschungsmissionen in bisher nicht direkt erreichbaren Regionen über den Ozeanen oder an den Polen, hieß es. Das Flugzeug kann Lasten von bis zu drei Tonnen transportieren - und damit doppelt so viele wissenschaftliche Instrumente wie sein Vorgänger-Modell Falcon.
Schon jetzt gibt es für das Höhenforschungsflugzeug mehr als 50 Missionsvorschläge von wissenschaftlichen Einrichtungen aus aller Welt. Bei den ersten Flügen soll es etwa um die Oxidation von Schadstoffen in der Troposphäre in einer Höhe von zehn bis 15 Kilometern gehen. Dies soll unter anderem Auswirkungen der Emissionen auf den Ozonhaushalt zeigen. Zudem soll der Einfluss des Luftverkehrs auf die Bildung von Eiswolken untersucht werden.
"Mit dem neuen Atmosphären-Forschungsflugzeug können wir wichtige
Lücken im Verständnis der Atmosphäre, insbesondere über die
Bildung von Wolken und den Abbau von Treibhausgasen, schließen. Damit
schaffen wir die Grundlage für einen wirksameren Klimaschutz und bessere
Wettervorhersagen", sagte Ulrich Schumann, Leiter des DLR-Instituts
für Physik der Atmosphäre und einer der Ideengeber für den
Spezialflieger. Das Spezialjet wurde aus Bundesmitteln sowie mit
Unterstützung Bayerns und mehrerer Forschungseinrichtungen
finanziert.
Das neue Höhenforschungsflugzeug landet auf dem Sonderflugplatz in Oberpfaffenhofen. Foto: dpa
Sexualtäter soll in Sicherungsverwahrung
Regensburg - Knapp zwölf Jahre nach dem Sexualmord an einer Joggerin beim niederbayerischen Kelheim wird über die Sicherungsverwahrung des Täters entschieden. Es handelt sich um einen der ersten Fälle in Deutschland, bei dem über die nachträgliche Sicherungsverwahrung eines nach dem Jugendstrafrecht Verurteilten verhandelt wird. Die gesetzliche Grundlage dafür ist erst im Sommer 2008 geschaffen worden. Der Prozess gegen den heute 31-jährigen Mann werde am 2. und 3. März vor dem Regensburger Landgericht stattfinden, kündigte das Gericht an. Der Bundesrat hatte vor einem halben Jahr dem Gesetz zugestimmt, um eine Haftentlassung des 31-Jährigen zu verhindern. Ursprünglich wollte die Länderkammer erst später über die Vorlage abstimmen. dpa
Auf dünnem Eis
Achtung, nicht nachmachen: Eishockey, wie es an diesem Sonntag noch die Kinder auf dem Nymphenburger Kanal in München spielten, ist inzwischen nur noch an wenigen Stellen in Bayern möglich oder empfehlenswert - die Polizei warnt weiterhin dringend vor dem Betreten der Gewässer. Auf dem ohnehin nicht sehr tiefen, schnurgerade auf das gleichnamige Schloss zuführende Kanal bleibt das Eis jedoch lange tragfähig. "Zwei bis drei Tage sind noch drin", schätzt ein Schlittschuhverleiher, die Eisschicht sei vermutlich noch an die 15 bis 20 Zentimeter dick. Eine Garantie freilich ist das nicht - also Vorsicht! Foto: Stephan Rumpf
An der Bier-Uni gärt es
Wirbel um die Neubesetzung des Weihenstephaner Lehrstuhls für Brau- und Getränketechnologie
Freising - Hinter den Kulissen tobt ein erbitterter Streit um die Zukunft der Brauwissenschaft an der Technischen Universität (TU) Weihenstephan. Während TU-Präsident Wolfgang Herrmann von einer Ausweitung des Faches spricht, befürchten Studenten sowie Brau- und Getränkewirtschaftsverbände den Niedergang der weltweit renommiertesten universitären Brauerausbildung.
Auslöser der Auseinandersetzungen ist die angeblich geplante Berufung des Professors Thomas Becker an den Weihenstephaner Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie. Weil Becker jedoch nicht von der Brauerseite kommt, sondern derzeit den Lehrstuhl für Prozessanalytik und Getreidetechnologie an der Uni Hohenheim innehält, gehen Studenten wie Brau- und Getränkewirtschaftsverbände davon aus, dass die Kunst des Bierbrauens und die damit verbundene Forschung künftig nur mehr eine untergeordnete Rolle in Weihenstephan spielen soll. Damit, so Verbandsvertreter zur Süddeutschen Zeitung, untergrabe die TU den "weltweiten Ruf der Uni als Mekka der Bierbrauer".
Tatsächlich gibt es in ganz Deutschland nur noch zwei Lehrstühle für Brauwirtschaft - einen an der Versuchs- und Lehranstalt Berlin und eben einen in Weihenstephan. Vor allem letzterer ist nicht nur aufgrund seines Renommees und seiner Tradition für die Branche von Bedeutung, sondern liefert vor allem kleineren und mittelständischen Brauereien wichtige Forschungsergebnisse: "Große Konzerne wie InBev oder Heineken sind in der Lage, selbst zu forschen - ihre Ergebnisse dienen jedoch dem Hausgebrauch und gehen nicht in die Öffentlichkeit", sagt beispielsweise der Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Brauerbundes, Lothar Ebbertz. Bayern mit seiner Vielzahl kleinerer Brauereien sei aber "auf Weihenstephan und die dort betriebene Forschung angewiesen, um sich am Markt behaupten zu können".
In mehreren gemeinsamen Schreiben haben die Vorsitzenden und Präsidenten des Deutschen Brauerbunds, der privaten Brauereien Bayerns, des bayerischen Brauerbunds, des Deutschen Brau- und Malzmeisterbundes, des Fachverbands Nahrungsmittelmaschinen und Verpackungsmaschinen sowie des Verbands ehemaliger Weihenstephaner ihre Bedenken beim Dekan des Wissenschaftszentrums, Professor Gerhard Wenzel vorgebracht. Seine Antwort darauf lautete, dass er zwar ein Interesse an der zügigen Besetzung des Lehrstuhls habe, aber nicht aktiv in ein Berufungsverfahren eingreifen könne. Die Verbände sollten sich doch an die Hochschulleitung, also an den TU-Präsidenten Wolfgang Herrmann, wenden. Herrmann hat bis heute nicht geantwortet. Der SZ sagte er, er habe das Schreiben erst kurz vor Weihnachten erhalten. Zu Personalfragen äußere er sich ohnehin nicht: " Berufungen sind allein das Thema der Uni, die ja bekanntlich ihre Unabhängigkeit wahren sollte."
Von einem Bestreben, die Brauwissenschaft zu untergraben, will er nichts wissen. Im Gegenteil. So werde in Weihenstephan ein "Internationales Getränkewissenschaftliches Zentrum" gebaut (die SZ berichtete), in dem unter anderem auch eine neue Versuchs- und Forschungsbrauerei vorgesehen sei: "Allein, dass unser Konzept den Wissenschaftsrat überzeugen konnte, und dass das 25 Millionen-Euro-Projekt ungewöhnlicherweise noch zur Hälfte vom Bund finanziert wird, zeigt doch, welche Rolle wir diesem Thema beimessen", sagt Herrmann. In dem Zentrum sollen künftig vier Kernlehrstühle zusammenarbeiten: Technische Mikrobiologie, Systemverfahrenstechnik, Bioverfahrenstechnik - und eben Brau- und Getränketechnologie.
Bisher verfügt die Brauwissenschaft jedoch über zwei Lehrstühle, Technologie I und Technologie II. Deren Inhaber, Werner Back und Eberhard Geiger, gehen zum Ende des Semesters in Ruhestand. Beide Lehrstühle sollen nun zu einem Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie zusammengefasst werden. Die Stelle wurde bereits am 27. Dezember 2007 ausgeschrieben, eine Entscheidung ist bis heute nicht getroffen. Auf einer internen Ranking-Liste gilt jedoch besagter Professor Thomas Becker als Favorit - obwohl ihm nicht nur von der in das Verfahren involvierten Studentenschaft, sondern auch von Teilen des Lehrkörpers mangelnde Kompetenz und fehlende Konzepte für die Lehre bescheinigt wurden. Einem Protokoll zufolge, das der SZ zugespielt wurde, befürchten die Studenten, dass gegen ihre Interessen eine "Einerliste durchgeprügelt" werde.
Herrmann weist auch dies zurück: "Wir werden eine Lösung finden, mit der alle zufrieden sein können." Die Bedenken zerstreut er mit dieser Aussage allerdings nicht. Die Verbände wollen am 2. Februar die Öffentlichkeit nochmals umfassend informieren - und auch eine Unterschriftenaktion gegen die Berufung Beckers starten.
An der Weihenstephaner Universität in Freising, die zur Technischen Universität München gehört, tobt ein erbitterter Kampf um die Zukunft der Brauwissenschaft. Foto: Stephan Rumpf
Herunter gestochen
Der unerschrockene Hahnenkammsieger Didier Defago wird zum Anführer des Schweizer Abfahrtsteams
Kitzbühel - "Wir betreiben einen Individualsport", erklärt der Schweizer Skirennfahrer Didier Defago, 31, "und jeder macht seinen Job". Sie betreiben einen Risikosport, und Unfälle wie der von Daniel Albrecht wären nur dadurch auszuschließen, "indem wir überhaupt keine Abfahrten mehr starten", sagt Günther Hujara, Renndirektor des Weltverbandes Fis. Natürlich starteten sie vor 43 000 Zuschauern zwei Tage nach Albrechts fatalem Sturz das Hahnenkammrennen von Kitzbühel, das größte denkbare Abfahrtsspektakel, und es gewann Albrechts Teamkollege Defago. Der teilte mit, im Ziel habe er wieder an den Kumpel in der Innsbrucker Neurologie gedacht, am Start eher nicht. Denn wer das tut, tritt besser gar nicht an.
Defago war tatsächlich überhaupt nicht abgelenkt, sondern ganz bei sich, und die Gegnerschaft lobte einhellig seine Entschlossenheit. Hermann Maier, Streif-Sieger 2001, an Platz zehn gelandet: "Unglaublich, der Defago - bei dem ist es dahingegangen wie bei keinem sonst, und den Zielhang fuhr er gewaltig." Klaus Kröll, der Dritte: "Wo ich schaute, einigermaßen über die Traverse zu kommen, ist Defago einfach frech rüber gestochen". Der um 17 Hundertstel Sekunden auf Platz zwei verwiesene Michael Walchhofer, Gewinner von 2006: "Ich war auf Sieg programmiert, aber am Hausberg gab ich nicht das Allerletzte wie Defago. Normal ist er dann schnell, wenn man nichts von ihm erwartet, aber heute hat er das Gegenteil bewiesen."
Der Walliser Defago hatte die Erwartungen selbst geschürt indem er, bislang ausschließlich in Super-Gs auf dem Podest vorstellig geworden, sieben Tage vor seinem Kitzbüheler Triumph die Lauberhornabfahrt gewann. Derlei Wiederholungstäter gab es zuvor schon zehn, und der elfte reiht sich in eine Genealogie des Weltcups ein mit Größen wie Jean-Claude Killy, Karl Schranz, Roland Collombin, Ken Read. "Mit diesem Double ist Defago im Olymp der Abfahrer angekommen", schwärmte der Schweizer Verbandspräsident Urs Lehmann, Weltmeister von 1993. "Es ist nicht nur dieser eine Sieg - er hat den entscheidenden Schritt nach vorne gemacht."
Die Schweizer Mannschaft hat schwere Tage hinter sich nach Albrechts Trainingssturz. Seit Donnerstag liegt er im künstlichen Koma, sein Zustand wurde als "sehr stabil" bezeichnet, dennoch haben die Ärzte "den Beginn der Aufwachphase am Sonntag noch einmal verschoben", so eine Mitteilung der Innsbrucker Uni-Klinik. Der Schweizer Verbandschef Lehmann berichtete: "Wir führten Einzelgespräche mit allen, und zögerten lange, ob wir zum Beispiel Carlo Janka in der Abfahrt starten lassen", weil ihn der Unfall des Kollegen besonders stark mitgenommen hatte. Janka fuhr und kam ordentlich ins Ziel, als 20. Für das Team sei der Sieg des Individualsportlers Defago extra wertvoll gewesen, sagte der Chef von SwissSki, "ganz wichtig für die Zukunft: Man hat einen neuen Leader, und man orientiert sich nach vorne."
Voraus liegt die Weltmeisterschaft in Val d'Isere (3. bis 15. Februar). "Die würde ich gerne sausen lassen, wenn ich derjenige wäre, dem eben das Double Wengen - Kitz gelungen ist", witzelte der Liechtensteiner Seniorenfahrer Marco Büchel, 37. Dass er in Kitzbühel nur an Rang zwölf landete, lag auch daran, dass er sich bei der Materialabstimmung verspekulierte: "Ich wollte ein bisschen Grip auf dem Eis und trotzdem gut gleiten". Ein bisschen Grip war aber zu wenig auf dem Eisplatz von der Seidlalm bis zum Hausberg.
Bei solchen Pistenverhältnissen gebe es keine Überraschungssieger, sagte der Steirer Klaus Kröll, erneut auf dem Podest einen Tag nach seinem Sieg im Super-G trotz seines dreifachen Handwurzelbruches ("meine Hoffnung war, hier einmal unter die ersten Fünf zu kommen"). Das Geläuf war härter, glatter, unruhiger, die Querung von der Hausbergkante zum Zielschuss empfand die Mehrzahl der Konkurrenten als besonders kritisch. Bloß Hermann Maier war wieder mal ganz anderer Meinung: "Es war ein Traum - wunderschön zu fahren." Für den Amerikaner T.J. Lanning mit Startnummer 3 war es nicht ganz so wunderschön, er wurde mit dem Rettungshubschrauber vom Hausberg abgeholt, nachdem er aus der Traverse ins Fangnetz rutschte. Diagnose: Keine nennenswerten Verletzungen. Michael Walchhofer gestand, dass er in der Kompression stark schockiert worden sei, als es ihn in Rücklage drückte. "Ich habe alle Anstrengungen unternommen, um das zu korrigieren - in dieser Position über den folgenden Zielschuss zu gehen, wäre absolut fatal gewesen". Genau der Fehler, den Walchhofer eben noch vermied, hatte Daniel Albrecht schwer zu Fall gebracht.
Die perfekte Fahrt sei an diesem Tag auf der Streif keinem gelungen, mutmaßte der Sieger. Diese perfekte Fahrt werde auf der Streif vermutlich nie irgendjemandem gelingen, pflichtete Stephan Keppler bei, der als einziger deutscher Starter sein Ziel, unter den 20 Besten zu landen, um acht Plätze verpasste. Die bisher wohl beste Hahnenkammabfahrt gelang 2004 Stephan Eberharter, der Qualität dieser Vorführung kam Didier Defago am Samstag im Steilhang und vom Hausberg abwärts ziemlich nahe. Er hoffe, "dass das, was wir als Team in Kitzbühel erreichten (Ambrosi Hoffmanns dritter Rang im Super-G und sein Abfahrtssieg, Anm.) Daniel Albrecht Kraft geben", sagte der Sieger von der Streif. Eine andere Hoffnung ist, dass der Intensivpatient Albrecht sich möglichst bald dessen bewusst werden könne, was am Wochenende in Kitzbühel geschah. Wolfgang Gärner
"Dahingegangen wie bei keinem sonst." - Didier Defago springt unbeeindruckt von dem Unfall seines Teamkollegen Daniel Albrecht zu Tal. Foto: dpa
Ein Tag der Tränen
Biathlet Stephan gewinnt seinen ersten Weltcup, Neuner erleidet ihre bitterste Niederlage
Antholz (SZ/dpa) - Beim letzten Wettkampftag vor der WM in zweieinhalb Wochen bekam die deutsche Biathlonmannschaft nochmal die beiden Extreme ihres Sports zu spüren. Die so genannte Generalprobe, der Weltcup in Antholz, hatte schon in den drei Tagen zuvor Trainingsfortschritte aber auch kleinere Rückschläge für den DSV ergeben, am Sonntag indes inszenierte sich das Biathlon, als wäre die Probe hier der Höhepunkt: Mit einem Absturz, einem Überraschungssieg nach spannendem Finish und reichlich Tränen.
Christoph Stephan, Weltcup-Neuling in diesem Winter, hatte im Massenstart seinen ersten Weltcupsieg errungen - auf durchaus spektakuläre Weise. Stephan, 23, hatte sich in vier Schießeinlagen nur einen Fehler erlaubt, war in einer Sechsergruppe in die Schlussrunde aufgebrochen und schob nach klug eingeteilter Kraft, geschickt gesetzten Attacken und einem aufreibenden Schlussduell gegen den Österreicher Dominik Landertinger seinen rechten Fuß eine Idee schneller über die Ziellinie. Die Zeitnahme maß 0,2 Sekunden Vorsprung, Bundestrainer Frank Ullrich standen Freudentränen in den Augen, Stephan selbst vergaß seine Erschöpfung. Sonst bleibt er nach solchen Kraftakten sekundenlang im Zielraum liegen, diesmal schwang er Ski und Stöcke. "Auf der Zielgeraden macht mir keiner etwas vor", sagte anschließend der tätowierte Biathlet, "ich wusste, dass ich beim Spurt gut dabei bin."
Magdalena Neuner dagegen musste die wohl bitterste Niederlage ihrer noch jungen Laufbahn verarbeiten. Die 21 Jahre alte sechsmalige Weltmeisterin hatte beim letzten Schießen im Gegensatz zu Stephan ihren greifbar nahen 14. Weltcup-Tagessieg verschenkt. "Ich begreif's nicht", war die einzige Reaktion von Neuner, deren sonstige Fröhlichkeit weggeblasen war. Bei Kaiserwetter im Massenstartrennen über 12,5 Kilometer lief Neuner scheinbar einem ungefährdeten Start-Ziel-Sieg entgegen, ehe sie nach drei fehlerfreien Schießeinlagen beim vierten Mal alle fünf Scheiben verfehlte und auf Platz sieben zurückfiel. Anschließend verschwand sie zunächst wortlos im Umkleidezelt. Mit versteinerter Miene ließ sie die Siegerehrung über sich ergehen und stapfte unter Tränen ins Mannschafts-Hotel.
Sogar Bundestrainer Uwe Müssiggang konnte Neuners Missgeschick kaum fassen. "Das ist bitter für sie. Vier der fünf Fehler waren sehr knapp. Wäre die erste Scheibe gefallen, hätte sie auch gewonnen", sagte er. Der Tagessieg fiel so der russischen Weltcup-Spitzenreiterin Ekaterina Iouriewa vor Helena Jonsson (schweden/+28,2) und Mäkäräinen (Finnland/+ 28,2) in den Schoß. Kati Wilhelm unterlag wie am Samstag in der Verfolgung auch beim Massenstart der Finnin im Zielspurt und wurde mit 28,2 Sekunden Rückstand Vierte.
Das Ende einer fulminanten Schlussrunde: Dominik Landertinger (links) gerät ins Straucheln, Christoph Stephan schiebt seinen Fuß vor - und gewinnt. Foto: AP
In der Schneewolke
Viktoria Rebensburg wird Siebte, die anderen deutschen Alpinen erleben eine Woche voller Ärger
Cortina d'Ampezzo - Viktoria Rebensburg fuhr über die Ziellinie, sie streckte den Arm nach vorne, so weit sie konnte, jedes Hundertstel kann ja entscheidend sein in so einem Skirennen. Dann leuchtete die Zeit auf der Tafel auf, 2:49,37 Minuten, und Viktoria Rebensburg riss die Arme hoch und jubelte. 2:49,37 Minuten, das war im Riesenslalom von Cortina am Sonntag zwar 2,24 Sekunden langsamer als die Siegerin Kathrin Zettel aus Österreich (siehe Text oben), aber es bedeutete doch: Platz sieben, die Wiederholung der besten Weltcup-Platzierung ihrer Karriere, die sie schon in Zwiesel im März 2007 erreicht hatte, und zugleich die direkte Qualifikation für die Weltmeisterschaft Anfang Februar in Val d'Isère. "Das ist super" sagte Chef-Trainer Mathias Berthold, aber es schien, als müsse er sich zwingen zu diesem Lob. Berthold war alles andere als zufrieden. Rebensburgs Erfolg nämlich schönte ein Wochenende, das ansonsten, nun, man sagt: durchwachsen war.
Zuerst schneite es fortdauernd in Cortina, Trainings- und Rennläufe mussten abgesagt werden, und als dann am Samstag endlich das erste Rennen stattfand, war nur noch Maria Riesch als DSV-Starterin übrig. Die zweite Abfahrerin im Team, Gina Stechert, lag krank zuhause im Bett, und bei Viktoria Rebensburg entschieden die Trainer nach offensichtlichen Problemen im Training tags zuvor, sie solle sich lieber voll auf den Riesenslalom konzentrieren.
Die einzige Starterin zu sein, das fand Riesch "schon irgendwie komisch", das war nett ausgedrückt. Sie wurde Fünfte, hinter Dominique Gisin/Schweiz, Lindsey Vonn/USA, Anja Pärson/Schweden und Tina Maze/Slowenien. Platz fünf, "das ist okay", fand Riesch, aber es sei eben auch nicht mehr. Am Sonntag, sagte sie, wie Skirennfahrerinnen immer so schön sagen: Da wolle sie wieder voll angreifen.
Am Sonntagmorgen also startete Maria Riesch mit der Nummer 17 in den ersten Durchgang des Riesenslaloms, doch als die Uhr bei etwa 15 Sekunden angekommen war, verschwand sie in einer großen Schneewolke. Sie war über den Innenski zu Boden gefallen, zum vierten Mal in dieser Saison konnte sie ein Weltcup-Rennen nicht beenden. Sie blieb dann ziemlich lange oben, bei Andreas Fürbeck, einem der Disziplintrainer der deutschen Skirennläuferinnen, sie saß auf dem Boden, und aus der Ferne konnte man gut erkennen, dass sie sauer war. "Ärgerlich", sagte sie, als sie schließlich im Zielraum angekommen war, und dann noch mal: "Echt ärgerlich."
Kathrin Hölzl erging es nicht anders. "Das ist nervig", sagte die Riesenslalom-Spezialistin, ihr Blick unterstrich das. Hölzl war nach einem ordentlichen ersten Lauf im zweiten mit ebenfalls ordentlicher Zeit unterwegs, als sie am drittletzten Tor vorbeifuhr, bremsen musste, um noch regelgerecht ins Ziel zu kommen - und Vorletzte wurde. Sie war vor dem Schwung ein wenig abgehoben, "ich habe Luft im Ski bekommen", so formuliert Hölzl das, und dann konnte sie den Schwung nicht mehr zu Ende fahren. Die Tatsache, dass an eben diesem Tor mehrere Läuferinnen - etwa auch die Schwedin Anja Pärson - Probleme hatten, ließ Berthold aber nicht gelten. "Das ist ein einfaches Tor, wenn man mit Hirn fährt", sagte er. Diesen Montag, immerhin, können die Deutschen noch einmal voll angreifen: Da findet in Cortina der Super-G statt.
Cortina ist ein wichtiges Wochenende im Renn-Kalender: Es folgen unmittelbar danach die beiden Höhepunkte der Saison - das Weltcupwochenende von Garmisch-Partenkirchen, und danach die Weltmeisterschaft. Vermutlich wirkte Berthold deshalb so angespannt. Was nun überwiege, die Freude über Rebensburgs Abschneiden oder der Ärger über Rieschs Ausscheiden und Hölzls Fehler? "Gar nichts überwiegt", sagte Berthold, sonst sagte er nicht viel.
Noch am Samstagabend hatte er angekündigt, dass sich in der Abteilung Speed wohl einiges ändern werde. Schließlich ist es insbesondere die Abfahrt, in der das DSV-Team seit langem große Schwächen offenbart. "Wir haben im Speed völlig den Anschluss verloren", Mathias Berthold ist da ganz ehrlich. Er überlegt nun, an der Trainingsgruppierung Wechsel vorzunehmen: Bislang gab es im DSV-Team keine spezielle Speed-Gruppe, im Grunde trainierten immer alle alles.
Und sonst? "Wir machen sonst im Großen und Ganzen so weiter wie bisher", sagt Berthold. Die verbandsintern ausgerufene WM-Norm - zweimal mindestens Fünfzehnte oder einmal mindestens Achte in einem Weltcup-Rennen - haben nun ja immerhin fünf Fahrerinnen erfüllt: Maria Riesch, Kathrin Hölzl, Gina Stechert, Susanne Riesch und eben Viktoria Rebensburg. Mehr werden es allerdings wohl nicht werden, Athletinnen wie Fanny Chmelar oder Barbara Wirth (die beide in Cortina im Riesenslalom starteten, sich aber nicht für den zweiten Durchgang qualifizierten) sind zu jung und entsprechend weit entfernt von den vorderen Platzierungen.
Er will den Jungen Zeit geben und geduldig sein, sagt Mathias Berthold, und das ist ja auch richtig so. Zumal er in Cortina nun wieder gesehen hat: Zeit und Geduld - das können die deutschen Skirennläuferinnen gut gebrauchen. Michael Neudecker
Österreichs Skirennfahrerinnen
Ende einer harten Zeit
Cortina d'Ampezzo - Eine rührende Szene war das: Die Österreicherin Elisabeth Görgl bremste im Zielraum, ihre Arme hingen nach unten, da kamen ihre beiden Teamkolleginnen Kathrin Zettel und Michaela Kirchgasser herangeeilt und umarmten sie, eine Gruppenumarmung in rot-weiß-rot. Elisabeth Görgl war die letzte Fahrerin des zweiten Riesenslalom-Durchgangs gewesen, mit Bestzeit unterwegs - als sie am vorletzten Tor stürzte, mit den Armen ruderte und irgendwie über die Ziellinie rutschte. Sie wurde Dritte, Zettel gewann, Kirchgasser wurde Zweite.
Es wäre Görgls erster Sieg in dieser Saison gewesen, weshalb sie natürlich schon enttäuscht war. "Klar", sagt die 27-Jährige aus der Steiermark unverblümt, "was sonst, wenn ma da so an Scheiß zammfahrt." Andererseits war sie auch erleichtert: Weil es trotzdem zum dritten Platz gereicht hatte - und weil den Österreicherinnen mit diesem Dreifachsieg nun endlich mal ein erfolgreicher Renntag gelungen war. Noch der Samstag "war für uns ein großer Misserfolg", wie Görgl sagt: Keine Österreicherin auf den vorderen Plätzen, Ingrid Rumpfhuber als Beste auf Rang zwölf. Österreich ist eine erfolgsverwöhnte Skination, Rang zwölf ist da geradezu beschämend.
Es mag wohl ein paar deutliche Worte gegeben haben im österreichischen Teamhotel am Samstagabend - wenngleich die bislang eher mäßige Saison ja auch mit begründet liegt in den schweren Verletzungen der Topfahrerinnen Marlies Schild und Nicole Hosp, die beide diese Saison nicht mehr starten werden. Die Trainer hätten ihnen also abschließend sinngemäß Folgendes gesagt: "Dass wir einfach locker Ski fahren sollen" (Michaela Kirchgasser); "dass wir Österreicherinnen eine gute Technik haben und dass wir uns darauf besinnen sollen" (Görgl). Das funktionierte. "Es ist eine harte Zeit für uns", sagte Görgl am Sonntag, nach dem Rennen, dann korrigierte sie sich: "Es war eine harte Zeit."
Im ersten Lauf hatten die Österreicherinnen den Rest des Feldes derart deutlich distanziert, dass etwa die Deutsche Kathrin Hölzl ratlos im Zielraum stand und staunte: "Keine Ahnung, wie die das gemacht haben." Es lag wohl auch ein wenig am Material, das, wie Kathrin Zettel feststellte, "für diese Bedingungen offenbar gut ist". Es war eine weiche Piste in Cortina, mit wenig Eis und viel Kunstschnee.
Bei Elisabeth Görgl war es auf jeden Fall das Material, das half: Sie war mit neuen Skiern und Schuhen in die Saison gestartet, hatte dann gewechselt auf ihre alten Sachen - und war nun, vor Cortina, wieder umgestiegen auf die neuen. "Das war super", sagte Görgl. Sie wird daran nun nichts mehr ändern, ganz bestimmt nicht. min
Ideales Material für die Bedingungen: Österreichs Kathrin Zettel, Riesenslaom-Siegerin von Cortina. Foto: AP
Neureuther scheidet aus
Attacke bis zur Stange
Kitzbühel - "Das ist die schönste Woche des ganzen Winters für einen Slalomfahrer mit den Klassikern Kitzbühel - Schladming - Garmisch-Partenkirchen hintereinander weg", hatte Felix Neureuther noch vor wenigen Tagen geschwärmt. Doch die schönste Woche des ganzen Winters begann schlecht für ihn: Am Sonntag schied er im Kitzbüheler Torlauf aus. Zum fünften Mal in dieser Weltcupsaison kam er damit in seiner Spezialdisziplin nicht in die Wertung, und während der Franzose Julien Lizeroux den ersten Weltcupsieg überschwänglich mit seinem Landsmann Jean-Baptiste Grange (Zweiter mit acht Hundertstelsekunden Rückstand) feierte, resümierte der Partenkirchner: "Dieser Slalom war ein Spiegelbild der ganzen Saison."
Mit einem Rest Zuversicht war er zur Halbzeit noch versehen, als Neunter mit einer Sekunde Abstand zum Podest: So was sei aufzuholen, und war er nicht in Adelboden sogar von Platz 15 noch auf drei vorgestoßen? Wieder mal kam er nicht nach Plan ins Rennen, wollte attackieren, "bin es trotzdem ein bisschen zu vorsichtig angegangen, dazu kamen ein paar kleine Fehler". Die zweiten Durchgänge seien stets seine aggressiveren, darauf baute er: "Da wird nichts mehr hergeschenkt." Zum Vorbild hatte er sich den Österreicher Reinfried Herbst, 30, genommen, für den ebenfalls die beiden ersten Slaloms des Winters Streichresultate waren. Aber der hatte diese Erlebnisse unbeeindruckt weggesteckt und war zum Topfahrer avanciert, beherrschte zuletzt mit seinem Teamkollegen Manfred Pranger die Szene: In Adelboden siegte Herbst vor Pranger und Neureuther (der dort sein bisher einziges Spitzenresultat dieser Saison verbuchen konnte), in Wengen Pranger vor Herbst. "Wenn ich sehe, wie Herbst die Situation handhabt, da kann ich nur draus lernen", hatte Neureuther geschwärmt, "bei ihm und Pranger geht alles wie von selbst."
In Kitzbühel scheinbar auch wieder, da legte Herbst einen ersten Durchgang hin, über den er selbst schwärmte: "Das war es, worauf ich die ganze Zeit gewartet hatte - dass mir mal einer auskommt." Soll heißen: Ein fast perfekter Lauf. "Ich konnte an Stellen attackieren, wo normal daran nicht zu denken ist", das brachte ihm zur Halbzeit eine halbe Sekunde Vorsprung auf Grange ein. Neureuther: "Es wäre auch ohne Fehler schwer gewesen, Herbst nahe zu kommen." Später waren sie sich unfreiwilligerweise doch wieder sehr nahe - im Niemandsland. Denn erst scheiterte der Deutsche beim Versuch seiner Aufholjagd ("gut losgekommen, aber gleich ein leichter Fehler", dann ein schwerer: "Einfädeln ist eine Sache von Zentimetern"), dann schied auch Herbst aus wie zuvor seine Landsmänner Pranger und Mario Matt, Vierter und Fünfter zu Pause. Angesichts dessen konnte sich Neureuther extra ärgern, welche Chance er vergeben hatte, zumal Ivica Kostelic auf Platz sieben zurückfiel. Dafür löste der Kroate als Zweiter der Hahnenkamm-Kombination (hinter Silvan Zurbriggen/Schweiz) Benjamin Raich an der Spitze der Weltcupwertung ab. Da steht der ehemalige Slalom-Weltmeister zum ersten Mal und findet das ganz spannend.
"Gut, dass wir in zwei Tagen in Schladming schon wieder fahren", sagte Felix Neureuther zum Abschied. Keine Zeit zum Grübeln: "Es geht weiter mit Schladming und Garmisch-Partenkirchen." Das kann für Slalomfahrer die schönste Woche des ganzen Winters sein. gä
Tischtennis-Pro-Tour
Boll bitter bestraft
Frederikshavn (sid) - Timo Boll ist bei den Danish Open über einen zweitklassigen Chinesen gestolpert. Der Tischtennis-Europameister verlor im Viertelfinale gegen den Weltranglisten-50. Zhang Jike mit 3:4, wobei er eine 3:1-Führung und fünf Matchbälle vergab. "Das ist bitter bestraft worden", sagte Boll. Der 27-Jährige büßte nach dem verlorenen fünften Satz seinen Rhythmus ein und schied aus dem mit 95 000 Euro dotierten Turnier aus. Bei seinen letzten drei Pro-Tour-Starts hatte Boll jeweils den Siegerscheck kassiert. Bolls Nationalteam-Kollege Dimitrij Ovtcharov bezwang im Halbfinale den Boll-Bezwinger Zhang Jike und traf im Endspiel auf dessen topgesetzten Landsmann Ma Long.
Verführerische Scheichs
Die europäische Golftour zieht prominente US-Spieler an - ein Zeichen, dass Amerikas Dominanz bröckelt
München - Mit einer blitzsauberen Runde von 68 Schlägen beendete Golfer Martin Kaymer am Sonntag das Turnier der europäischen Profi-Tour in Doha/Katar. Vier Birdies, kein Bogey, mit einer derart soliden Vorstellung über vier Tage hätte er auch in Doha um den Sieg mitspielen können. Vergangene Woche war Kaymer mit seinem zweiten Rang von Abu Dhabi auf Rang 19 der Weltrangliste geklettert, im Vergleich dazu wirkte nun der 31. Platz mit 282 Schlägen (71/72/71/68) fast unter Plan. Andererseits befand er sich in guter Gesellschaft auf diesem Rang im vorderen Mittelfeld, schlaggleich zum Beispiel mit dem südafrikanischen Superstar Ernie Els. Und schon nach zwei Runden, gescheitert am Cut, hatten sich ja die beiden vielbeachteten Gäste aus den USA verabschieden müssen, Brandt Snedeker und Boo Weekley. Und sie wurden auf ihren Heimflügen nach Florida respektive Nashville/Tennessee durchaus begleitet von ein wenig Häme aus der europäischen Szene.
Brandt Snedeker, 28, wurde im Jahr 2007 als der Aufsteiger der US-Tour gefeiert und gilt als eines der größten amerikanischen Talente. Sein Landsmann Boo Weekley, 35, hat die Herzen seiner Landsleute erobert als bekennender Jäger, Fischer, Partygänger, der, bevor er vergangenes Jahr eine Karriere als Ryder-Cup-Sieger krönte, auch einige Jahre als Reinigungskraft in einer Chemiefabrik gearbeitet hatte. Die beiden Amerikaner haben sich durch Zahlung einer Gebühr von 2000 Pfund für die aktuelle Saison der European Tour angemeldet, und nicht nur sie, sondern auch der 23-jährige Anthony Kim, den sie in den USA schon als Nachfolger von Tiger Woods feiern. Kim, Weekley und Snedeker auf der europäischen Tour: Das bedeutet nun nicht, dass die Drei nicht mehr in den USA spielen; die heimische PGA-Tour ist weiterhin ihr Revier. Aber die Amerikaner versuchen jetzt, auch an die Preisgeldtöpfe zu kommen, die das neue Race to Dubai der Europa-Tour bietet.
Mit zehn Millionen Dollar, dem höchsten Preisgeld der Golfwelt, ist das in diesem Jahr erstmals im Programm stehende Saisonfinale der European Tour in Dubai dotiert, garniert mit weiteren zehn Millionen an Bonusgeldern. Startberechtigt sind die Top 60 der Saison, vorausgesetzt, sie haben zwölf Turniere der European Tour gespielt. Zu denen zählen die vier Major-Turniere und die drei Turniere der World Golf Championship (WGC), die allesamt in den USA gespielt werden. Von den restlichen fünf müssen zwei auf dem europäischen Festland gespielt werden, das ist wohl die höchste Hürde für die Amerikaner - abgesehen von der deutlich gestiegenen Qualität der Europa-Turniere. So nebenbei, das erfuhren Snedeker und Weekley in Katar, lassen sich die Millionen nicht abräumen.
In den USA wächst die Sorge, die Dominanz der heimischen Tour könne bald verloren gehen. Das Turnier in Doha etwa war deutlich stärker besetzt als die gleichzeitig ausgetragene, 50. Ausgabe der Bob Hope Classic in La Quinta/Kalifornien, es gab deshalb dort mehr Weltranglistenpunkte zu gewinnen. Die Finanz- und Wirtschaftskrise wird demnächst auch die PGA Tour treffen, die ihre Preisgelder im Sog des Booms um Tiger Woods in bizarre Dimensionen aufblasen konnte. Jetzt fehlt der Tour die Strahlkraft von Tiger Woods. Der hat wegen seiner Knieoperation seit Sommer kein Turnier mehr bestritten, und ob er sein Comeback tatsächlich wie angekündigt im April beim US Masters feiern kann, weiß niemand. Ohnehin gilt sein Augenmerk weniger der US-Tour als vielmehr den Majors - und natürlich den Turnieren mit dem höchsten Preisgeld.
In jedem Fall rückt die Golfwelt dank der verführerischen Finanzkraft der Scheichs von Dubai und generell arabischer Investoren zusammen. Er wolle ein "Global Player" werden, so begründete Anthony Kim seinen Schritt Richtung Europa. Es sei schön, sich jetzt jede Woche mit den stärksten Spielern messen zu können, sagt der Schwede Henrik Stenson, Nummer elf der Welt, der auf beiden Touren beheimatet ist und damit bereits ein Global Player ist, wie viele andere Europäer. Am Sonntag scheiterte Stenson knapp im Kampf um den Sieg in Doha, als Zweiter nach 272 Schlägen gleichauf mit dem Südafrikaner Louis Oostenhuizen. Die Siegprämie von 314 000 Euro trug mit drei Schlägen Vorsprung der 26-jährige Spanier Alvaro Quiros davon. Quiros feierte damit im dritten Jahr auf der Tour seinen dritten Sieg, machte sich aber bislang vor allem einen Namen als Weitenjäger, im Golfjargon: Longhitter. 2007 und 2008 gewann er die Wertung der besten Abschläger. Ein weiterer spektakulärer Europäer also, der Ansprüche anmeldet auf die dicken Prämientöpfe.
Der europäische Treck zieht von Doha umgehend weiter zum Turnier der regulären Saison in Dubai, wo Martin Kaymer am kommenden Wochenende anknüpfen will an das vergangene Jahr, als er Rang zwei hinter Tiger Woods und vor Ernie Els belegte. Auf die Amerikaner werden Kaymer und Kollegen Ende Februar wieder treffen, beim ersten WGC-Turnier des Jahres in Arizona. Es geht dort um acht Millionen Dollar. Josef Kelnberger
Großer Pokal, große Prämie: Alvaro Quiros aus Spanien kassiert als Turniersieger in Doha 314 000 Euro. Foto: Reuters
Fecht-Weltcup in Paris
Joppich ist zurück
Paris (sid) - Der dreimalige Fecht-Weltmeister Peter Joppich (Koblenz) hat das traditionsreiche Weltcup-Turnier in Paris gewonnen und sich damit in der internationalen Spitze zurückgemeldet. "Der Sieg war wichtig fürs Selbstvertrauen", sagte Florett-Bundestrainer Ulrich Schreck nach dem ersten Saisonsieg seines Athleten: "Es war deutlich erkennbar, dass er Peking verarbeitet hat." Bei den Olympischen Spielen hatte der 26-Jährige mit Platz fünf eine Medaille knapp verpasst. In Finale von Paris besiegte Joppich den Briten Richard Kruse mit 15:12, im Halbfinale hatte er sich mit 15:11 gegen den Chinesen Ma Jianfei durchgesetzt. Der Olympiasieger Benjamin Kleibrink (Tauberbischofsheim) war nicht am Start.
Europameister-Titel verteidigt
Huck will WM-Chance
Riesa (dpa) - Box-Europameister Marco Huck, 24, hat seinen Titel im Cruisergewicht zum zweiten Mal verteidigt und steht nun vor einem deutsch-deutschen Duell mit dem ehemaligen Weltmeister Firat Arslan. Huck, von Ulli Wegner trainiert, bezwang Samstagnacht vor 4000 Zuschauern in Riesa Geoffrey Battelo aus Belgien durch technischen K.o. in Runde drei. Nun wartet Pflicht-Herausforderer Arslan aus Süßen auf den Bielefelder, der in seinem 25. Kampf den 24. Sieg feierte. "Auf Arslan freuen wir uns. Das ist ein echter Kämpfer", sagte Wegner. In den nächsten zwei oder drei Monaten soll es zu dem Kampf kommen.
Dem zuvor in 18 Kämpfen ungeschlagenen Battelo fügte Huck die erste Niederlage bei. "Ich habe gezeigt, dass ich auch gegen unbequeme Gegner glänzen kann. Mein Ziel bleibt die Weltmeisterschaft", sagte der euphorische Huck, der im Dezember 2007 seine erste WM-Chance gegen den US-Amerikaner Steve Cunningham vergeben hatte. Manager Wilfried Sauerland warnt deshalb vor Übereifer. "Marco lernt von Kampf zu Kampf. Bevor er noch einmal um die WM boxt, soll er seinen Titel als Europameister noch drei- oder viermal verteidigen."
Hertha BSC siegt im Amateurboxen
Absagen und Dänen
Berlin (SZ/sid) - Hertha BSC ist erster Spitzenreiter der Box-Bundesliga. Allerdings war der 14:9-Auftaktsieg der Berliner gegen das "Team Nord" am Samstag in Spandau der bislang einzige Kampf der neuen Saison. Die Meisterschaft wird in diesem Jahr mit nur vier Teams ausgetragenen; außer den beiden Kontrahenten sind noch Titelverteidiger Velberter BC und Neuling Motor Babelsberg dabei. Eigentlich sollte Velbert vergangene Woche in Straubing in die Liga starten, doch der bayerische Vertreter zog seine Kämpfer kurzfristig zurück. "Das war eine Sauerei", wetterte Velberts Vorstandsmitglied Hans-Gerd Rosik: "Wir hatten den Bus und das Hotel schon bezahlt und haben jetzt Unkosten von 3000 Euro." Ein Anwalt ist eingeschaltet.
Um dem Schwund deutscher Teams entgegenzuwirken, wurde vom Deutschen Boxsport-Verband in dem Team Nord eine dänische Staffel zugelassen. "Unsere Statuten erlauben das", sagte Sprecher Alexander Mazur. "Im nächsten Jahr kommt vielleicht eine Mannschaft aus Polen dazu." Zu Hertha reiste Team Nord mit beachtlichem Gefolge, aber ohne Chance: ein Sieg, ein Remis, sechs Niederlagen waren das Resultat.
Hoher Sieg in Detroit
Nowitzki reagiert sich ab
Detroit (dpa) - Dirk Nowitzki hat seinen Frust über die höchste Niederlage der Dallas Mavericks seit 2002 schnell abgebaut. Mit 26 Punkten war der Kapitän in der Nacht zum Samstag bester Werfer beim 112:91-Auswärtssieg über die Detroit Pistons und ließ die 99:133-Pleite zuvor gegen die Milwaukee Bucks vergessen. "Das war eine der bittersten Niederlagen. Ich bin so froh, wie wir hier so gut zurückgekommen sind", sagte der Deutsche. Dallas schob sich mit 25:18-Siegen in der Qualifikation für die Playoffs in der Western Conference der NBA wieder vor Utah Jazz auf Rang sieben. Am Sonntagabend (Ortszeit) mussten die Mavericks bei Titelverteidiger Boston antreten.
Im Blickpunkt
Notarzt in der Chefetage
Insolvenzverwalter Michael Jaffé soll Qimonda retten
Der Anruf, der Michael Jaffé voraussichtlich über Jahre neue Arbeit einbringen wird, dauerte nur ein paar Minuten. Ob er das Amt des vorläufigen Insolvenzverwalters beim Chiphersteller Qimonda übernehme, wollte ein Münchner Richter am Freitagvormittag wissen. Für den Anwalt war die Antwort klar, denn Pleiten dieses Kalibers gibt es in normalen Zeiten nur ein- oder zweimal im Jahr. Da darf man nicht lange fackeln.
Noch am Nachmittag übernahm der 45-Jährige in der Qimonda-Zentrale am Rande Münchens mit sieben Kollegen seiner Kanzlei als vorläufiger Insolvenzverwalter das Ruder. Er habe sich für mehrere Stunden mit Vorstandschef Kin Wah Loh und weiteren Spitzenmanagern zu einer Krisensitzung zurückgezogen, heißt es. Seitdem brüteten die Insolvenzexperten beinahe pausenlos über der Bilanz des zahlungsunfähigen Chipherstellers und über den Perspektiven für die mehr als 12000 Mitarbeiter, verlautete aus dem Unternehmen.
Der Jurist mit dem lichten Haar gilt als Spezialist für knifflige Fälle. Im April 2002 erhielt er den ersten großen Job: Das Medienimperium von Leo Kirch ging damals in die Insolvenz, und Jaffé wurde Insolvenzverwalter; das beschäftigt ihn bis heute. Er ist inzwischen einer der prominentesten Köpfe der Branche. Gut 1400 Firmenpleiten - vom kleinen Handwerksbetrieb bis zum Milliardenkonzern - hat er als Insolvenzverwalter oder Gutachter bislang betreut. Doch Routine, sagt ein Vertrauter, gebe es bei Jaffés Job nicht. Denn die Notärzte der Chefetagen müssen sich innerhalb von Tagen und Wochen in fremde Welten einarbeiten.
Ob ein großer TV-Hersteller, ein Medienunternehmen oder ein Spielwarenkonzern: Unternehmen, an denen sich zuvor Top-Manager die Zähne ausgebissen haben, brauchen rasch neue Strategien. Da zählt oft jede Woche. Insolvenzkanzleien bestehen deshalb aus hochspezialisierten Teams, die über Nacht ganze Abteilungen von Konzernen wie Buchhaltung oder Personal kontrollieren können.
Wie es um die Zukunft von Qimonda steht? Oberstes Ziel sei es, weite Teile des Chipkonzerns zu erhalten, heißt es aus dem Qimonda-Management. Das wolle Jaffé versuchen. Zwar hält sich dieser bislang mit Prognosen zur Überlebensfähigkeit des Konzerns zurück. Doch Jaffé versteht sich nicht als Abwickler, sondern als Sanierer. Ihm geht es darum, den gesunden Kern zu retten.
Erste Aufgabe des Verwalters sei es nun, bei Kunden und Gläubigern schnell wieder Vertrauen aufzubauen. Dann muss Jaffé mit den Banken verhandeln. Der schwierigste Job aber, sagt ein Kollege, sei es wohl, die Mitarbeiter in äußerst schwerer Phase zu neuer Höchstleistung zu motivieren. Markus Balser
Michael Jaffé Foto: dpa
Vivacon mit neuem Chef
Die Kölner Immobilienfirma Vivacon hat ihren neuen Chef im eigenen Aufsichtsrat gefunden. Der Aufsichtsrat habe Eckhard Rodemer mit sofortiger Wirkung zum Vorstandschef bestellt, teilte Vivacon mit. Der 48-Jährige werde unter anderem für Finanzen und die Strategie verantwortlich sein. Rodemer verfüge über mehrjährige Führungserfahrung bei internationalen Banken- und Immobilienkonzernen. Er war seit 2001 Aufsichtsrat von Vivacon und führte bis vor einem Jahr die Berliner IMW Immobilien AG. Der frühere Vorstandschef Michael Jung war zum Jahresende aus dem Vorstand ausgeschieden. Finanzvorstand Michael Ries und Frank Zweigner sollten das Ruder übernehmen. Welche Aufgaben sie nun haben, war zunächst nicht zu erfahren. Reuters
Kirch nimmt neuen Anlauf
Zwei Monate nach der gescheiterten Milliardenklage von Leo Kirch, 82, gegen die Deutsche Bank nimmt der Medienunternehmer einen neuerlichen Anlauf, um seine Schadenersatzforderungen zu beziffern. Für den Verlust seines Aktienpakets am Axel-Springer-Verlag, das durch seine Insolvenz im Jahre 2002 an die Deutsche Bank ging, fordert Kirch nun mindestens 879 Millionen Euro, wie ein Sprecher sagte. Auf diesen Wert kommt den Angaben zufolge das Gutachten eines Münchner Wirtschaftsprüfers, das Kirchs Anwälte beim Landgericht München eingereicht haben.
Ursprünglich hatte die Kanzlei das Springer-Paket etwa hundert Millionen Euro teurer bewertet, dabei jedoch eine Schlappe erlitten. Die genaue Schadenshöhe hatten die Anwälte vom Kurs der Springer-Aktie am Tag der mündlichen Verhandlung abhängig gemacht. Zwischen dem Einreichen der Klage im Mai 2007 und der Verhandlung am 25. November 2008 verlor das Springer-Papier jedoch fast 70 Prozent an Wert. Kirch hätte damit eigentlich keinen Schaden gehabt. Das Landgericht will nun am 10. März über den Fortgang des Verfahrens entscheiden, wie der Kirch-Sprecher mitteilte. AP
Intel-Verwaltungsratschef geht
Der Verwaltungsratschef des weltweit größten Chipherstellers Intel, Craig Barrett, zieht sich im Mai zurück. Der 69-jährige Barrett war Intel-Konzernchef von 1998 bis 2005. Seine Nachfolgerin an der Spitze des Verwaltungsrates werde die ebenfalls 69-jährige Jane Shaw, wie Intel mitteilte. Sie war jahrelang Chefin des Medizintechnik-Spezialisten Aerogen. Barrett betonte in einem Interview mit dem Wall Street Journal, sein Rückzug habe nichts mit den aktuellen Problemen von Intel in der weltweiten Wirtschaftskrise zu tun. Der Abschwung des Computermarktes macht auch dem Chipkonzern zu schaffen. Der Gewinn des Unternehmens war im vergangenen Quartal um 90 Prozent eingebrochen. Intel kündigte deshalb die Schließung mehrerer älterer Fabriken und den Abbau von bis zu 6000 Arbeitsplätzen an. Intel habe schon zehn solcher Krisen überstanden, so Barrett. "Ich denke nicht, dass wir je wettbewerbsfähiger waren. Sie brauchen mich nicht mehr." Er werde sich unter anderem mehr um seine Luxus-Hotelranch in Montana kümmern. dpa
Craig Barrett Foto: Reuters
Alkoholfreies fürs Champagnerglas
Duprès-Kollmeyer ist die einzige Sektkellerei Norddeutschlands. Mit ihrem prickelnden Apfelsaft haben sich schon die Politiker auf dem G-8-Gipfel zugeprostet.
Über Apfelsaft redet Jochen Plinke seit einiger Zeit noch viel lieber als über Champagner. Der 53 Jahre alte Unternehmer ist zwar Inhaber von Duprès-Kollmeyer, einer uralten norddeutschen Sektkellerei, aber mit seiner neuesten Erfindung, dem prickelnden Apfelsaft, glaubt er, in Zukunft mehr Geschäft machen zu können als mit den edlen Schaumweinen. Acht Jahre hat Plinke in sein neues Produkt, es heißt Perlmant, investiert, und nun soll dieser erste, nach Secco-Art mit Kohlensäure verperlte Apfelsaft eine Alternative zu Sekt und Champagner bieten. Seine potentielle Kundschaft vermutet Plinke vor allem auf Banketten, wo es besonders stilvoll zugehen soll, aber Alkohol lieber nicht getrunken wird - schließlich befindet man sich ja auf einem Arbeitstreffen. Plinke kann schon einige prominente Adressen aufzählen: Nach Tests im "Sansibar" auf Sylt oder im Hotel "Vier Jahreszeiten" an der Hamburger Binnenalster hatten auch die Politiker aus aller Welt seinen Apfelsaft in den Gläsern, als sie sich 2007 auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm zuprosteten.
Duprès-Kollmeyer ist die einzige Sektkellerei Norddeutschlands. Im kleinen Städtchen Neustadt am Rübenberge, nordwestlich von Hannover, hat die über 200 Jahre alte Firma noch heute ihren Sitz an der Löwenbrücke. Weinberge sucht man in dieser niedersächsischen Region vergebens. In der näheren Umgebung gibt es ein ausgedehntes Moor, und ein paar Kilometer weiter liegt das Steinhuder Meer. Für Reben aber ist das kein geeigneter Standort. Doch die Ursprünge des Familienunternehmens lagen auch nicht im Weinbau, sondern im Handel. Durch die Marktstraße, wo Plinke heute sein Geschäft, die Probierstube und ein Café betreibt, verlief früher die Bundesstraße 6, jene Straße, die schon im Mittelalter wichtiger Handelsweg zwischen Bremen und Hannover war. Für den Weinhandel aber war vor allem die Wasseranbindung an die Leine von Bedeutung. Über mittelalterliche Ackerwege hätte man die Glasflaschen kaum sicher transportieren können.
Erstmals wird der Name Kollmeyer 1650 in den Chroniken erwähnt, als Weinhandlung, Gasthof und Bierbrauerei. Der Handel an der Löwenbrücke florierte über Generationen, aber erst Fritz Kollmeyer, den die Familie heute nur den "alten Fritz" nennt, entwickelte den Familienbetrieb vom Händler zum Produzenten. Und das kam so: Ende des 19. Jahrhunderts reiste Fritz als Perlenhändler durch die Welt und kehrte schließlich als reicher Mann nach Neustadt zurück. Im Gepäck hatte er neben seinen kostbaren Perlen auch noch die Firma Duprès & Co., die er in Reims, mitten im Zentrum der Champagne, gegründet hatte. Das Standbein in Frankreich sollte für die Familie noch nützlich werden: Schaumwein darf sich nur dann den edlen Namen Champagner geben, wenn er auch wirklich in der Champagne hergestellt wurde. 1888 erwarb Fritz in Neustadt außerdem noch die Nutzungsrechte an den Kellergewölben von Schloss Landestrost, um dort neben dem Handel fortan eine Sektkellerei zu betreiben.
Noch heute wird ein Teil des "Niedersachsensektes" in den Kasematten des landeseigenen Schlosses produziert. Herr über die kühlen Gewölbe ist Kellermeister Dietrich Walloschke. Der 73 Jahre alte Experte überwacht nicht nur die Flaschengärung, sondern er schleust über das Jahr auch eine Menge Besuchergruppen durch sein Reich, erzählt ihnen dann Geschichten und Fakten über das perlende Getränk und lädt sie am Kamin zu einer Probierrunde ein.
Von Walloschke kann man lernen, wie das mit der Flaschengärung funktioniert. Der meiste Sekt - bei Duprès wie in der Branche - wird in riesigen Tanks gegärt, und da reichen in der Regel auch sechs Monate bis zur Vollendung. Bei der traditionellen Flaschengärung aber bleibt der Sekt von Beginn der Gärung bis zum Genuss in ein und derselben Flasche. Mindestens neun Monate und bis zu sechs Jahre stecken die Flaschen kopfüber in den schrägen Holzregalen in Walloschkes Gewölben. Am Ende hat sich die Hefe am Korkenboden abgesetzt, und dann wird degorgiert: Walloschke vereist den Flaschenhals, und beim Öffnen der Flasche reißt der Eispfropf die Resthefe mit sich heraus. Mit Grundwein und einer Likördosage wird der Verlust an Menge ausgeglichen, bevor die Flasche verschlossen wird.
Von Walloschke kann man auch lernen, dass ein Plastikkorken nichts Verwerfliches ist - selbst für Champagner nicht. Der Plastikstöpsel kostet nur wenige Cent anstatt - wie der Korken - einen halben Euro. Vor allem aber: Er schimmelt nicht, er mufft nicht, und er bekommt auch keinen Korkwurm. Oder diese Erkenntnis nimmt man mit aus den Kasematten: Champagner soll genossen und nicht ehrfürchtig aufgehoben werden. Allenfalls zwei bis drei Jahre vertrage er, danach könne er altern und diesen Edelfirn genannten, an Sherry erinnernden Geruch und Geschmack bekommen. Für den Kenner nichts Schlechtes, aber jedermanns Sache ist der Edelfirn nicht.
Duprès-Kollmeyer hat es in der Schaumweinbranche mit Giganten zu tun. Während die Neustädter eine halbe Million Flaschen Sekt, Prosecco und Apfelsekt im Jahr produzieren, schafft zum Beispiel Rotkäppchen 300 000 Flaschen Sekt an einem Tag. "Um da als Mittelständler zu überleben, müssen wir gnadenlos rationalisieren", sagt Plinke. So hat er bereits große Bereiche wie die Tankgärung oder das Abfüllen ausgelagert. Das Abfüllen übrigens ist in dem kleinen Örtchen jedes Mal ein Ereignis: Dann kommt die "Rollende Sektkellerei", und auf dem Schlosshof werden zwei, drei Tage lang aus einem riesigen Tankwagen die Flaschen befüllt.
Von der Wirtschaftskrise hat Plinke im vergangenen Jahr noch nichts gemerkt. Auch für 2009 gibt er sich ganz zuversichtlich und fühlt sich in der Nische einigermaßen stabil: "Unsere Kunden konsumieren bewusst und wollen Qualität", meint er. Sein Sortiment bewegt sich im hochpreisigen Segment des Marktes; eine Flasche Duprès-Sekt kostet sechs bis 15 Euro, während man ein Fläschchen Rotkäppchen auch schon mal für 1,50 Euro erstehen kann.
Vom Weihnachtsgeschäft, wie früher, kann Plinke längst nicht mehr leben. Einst war der Dezember der entscheidende Monat, heute steht er nur noch für etwa zehn Prozent des Jahresumsatzes. Üppige Firmengeschenke sind in Deutschland nicht mehr erlaubt, beziehungsweise nicht mehr gern gesehen. "Heute muss ich mir Nischen suchen, die andere nicht bedienen können oder wollen", sagt Plinke. Wie seinen prickelnden Apfelsaft.
"Die Nachfrage nach moussierenden alkoholfreien Getränken ist riesig und das Angebot winzig", weiß er. Und deshalb soll Perlmant die kleine Firma aus Neustadt auch in die Zukunft führen. 2008 machten die alkoholfreien Getränke bereits ein Viertel der Produktion von 500 000 Flaschen aus. Plinke sieht gute Chancen, dass er in diesem Jahr die Perlmant-Produktion verdoppeln kann. Da wüchse dann das dritte Standbein des Unternehmens.
-DYNASTIEN -AUSSENSEITER -NEWCOMER
Profil
Jochen Plinke, Inhaber
Name: Duprès-Kollmeyer
Sitz: Neustadt am Rübenberge
Gegründet: 1888
Umsatz: etwa zwei Millionen Euro
Beschäftigte: 12 Fotos: oh
Duprès bietet auch Sekt an, der bis zu sechs Jahre lang in der Flasche gegärt hat und in einem niedersächsischen Schlosskeller lagerte.
Einer der Ersten
Burkhard Roozinski nahm vor zwei Jahren die Abfindung bei Volkswagen. Er verkauft nun Blumen und mediterrane Spezialitäten
Kurzarbeit und Autokrise können ihm egal sein. Burkhard Roozinski, 44, hat die Abfindung von Volkswagen genommen und sich selbständig gemacht. Zusammen mit seiner Frau Simone, die er im Mai geheiratet hat, betreibt er einen Laden mit einer ungewöhnlichen Kombination im Angebot: Floristik und mediterrane Spezialitäten. Das Geschäft "La Rosa" liegt in Meinersen im Westen des Landkreises Gifhorn. An dem ländlichen Ort mit 8900 Einwohnern zwischen Wolfsburg und Hannover fährt man auf der Bundesstraße 188 rasch vorbei. Es gibt eine Umgehungsstraße. Wer nicht nach Meinersen will, muss nicht nach Meinersen. Schlagzeilen machte Meinersen nur einmal. Das war 1975, als fünf Feuerwehrleute bei einem Waldbrand von Flammen eingeschlossen wurden und ums Leben kamen. Ein Denkmal erinnert an sie.
Nach dem Abbiegen auf der neugebauten Kreuzung an der B 188 ist der erste Eindruck von Meinersen kein besonderer: Aldi, Opel und Rewe. Längs der Hauptstraße scheint der Preis das zentrale Verkaufsargument zu sein. Der Marken-Discounter Netto ist da, der Drogist Schlecker, der Textil-Diskont Kik und Hadi - der Schnäppchenjäger mit Postamt und mehr: "Der billigste Bäcker backt hier für Sie!"
Neben dem Kommerz-Krach hält sich heile Welt: Die Pizzeria Localino, die Volksbank. Über dem Augenoptiker Monokel befindet sich die Praxis der Sprachtherapeutin Dorle Brüll. Meinersen liegt an den südlichen Ausläufern der Lüneburger Heide, hier weht ein frischer Wind. Man ist in Niedersachsen, der zentralen Region in der Europäischen Union, dem flachen Land der Pferde, Heidschnucken und Schützenvereine. Manches übertrifft alle Vorurteile. Beim dieser Tage beendeten Preisschießen des Schützenvereins Meinersen von 1853 e.V. war tatsächlich der erste Preis ein Schwein, der zweite Preis ein halbes Schwein und der dritte. . .
Im hinteren Teil der Hauptstraße am Beginn der historischen Gebäude in parkähnlicher Umgebung unweit des Ufers der Oker steht das rote Klinkerhaus mit dem Laden "La Rosa". Links die Blumen, rechts Öl vom Fass, Wein aus Italien, Pastete aus Frankreich, alles, was es Leckeres in den Ländern am Mittelmeer eben so gibt. "Ich war damals einer der Ersten, der unterschrieben hat", erinnert sich Burkhard Roozinski in dem kleinen Büro hinter dem Geschäft an seinen Abschied von Volkswagen. "Das war für mich natürlich auch eine Lebensentscheidung", sagt der stabil gebaute Mann in seiner ruhigen, sehr freundlichen, optimistischen Art.
Seinem zweiten Berufsleben als Einzelhändler in Meinersen war ein erstes bei Volkswagen vorausgegangen. Roozinski war 26 Jahre bei VW, und das schüttelt er nicht mal so eben ab: In der Lokalzeitung schaut er als Erstes, was bei VW los ist. Dort hat der in Mering bei Aichach in Bayern geborene und früh nach Wolfsburg umgesiedelte Sohn eines Karussellbauers mit 16 Jahren angefangen, begonnen mit einer Ausbildung als Werkzeugmacher. Er schaffte den Sprung vom Leistungslohn zum Angestellten zehn Jahre später, nach dem Abendstudium.
Roozinski wurde Einkäufer. Die Beschaffung von Motor- und Getriebeteilen bei Gießereien war stressig, denn oft ging es darum, kurzfristige Spitzen beim Bedarf abzufedern über externe Lieferanten - wenn die Kapazitäten der konzerneigenen Werke nicht mehr ausreichten. Es gab lange und schwierige Besprechungen. "Da hat man viel gelernt", lacht Roozinski heute.
Ursprünglich wollte der VW-Einkäufer sein Leben im Weltkonzern nur für ein Jahr unterbrechen, um das im März 2006 eröffnete Ladengeschäft anlaufen zu lassen. Doch dann kam das Abfindungsangebot, das VW damals seinen Mitarbeitern in den westdeutschen Werken machte. "Bei den Aufhebungsverträgen gab es richtig Geld", und weil er so lange dabei war, "da habe ich das volle Programm gekriegt".
Nach fast drei Jahren weiß Roozinski: Sein Laden läuft. Bei den Blumen gibt es eine Sommerpause, denn dann nehmen die Kunden ihre eigenen aus dem Garten. Das brachte Roozinski auf eine weitere Idee. Während Frau und Angestellte Ölfläschchen und andere Präsente im Laden originell verpacken, kann er sich um etwas anderes kümmern. Im Sommer veranstaltet er nun Ausflüge in Schlauchbooten auf der Oker mit Verkostung von Käse und Wein - seine zweite Firma.
Etwas ins Grübeln kommt der Existenzgründer nach 26 Jahren Zugehörigkeit zu Volkswagen, als es um den Fuhrpark seiner neuen Aktivitäten geht. Anders als bei den Werksrentnern sind für mit Abfindung ausgeschiedene VW-Leute die Zeiten der schönen Mitarbeiter-Rabatte vorbei. Da ist für Jungunternehmer selbst der leicht zu beladende Mini-Van Tiguan vorerst unerschwinglich. Bei Familie Roozinski laufen nun ein uralter Golf, ein Citroën Berlingo und, es ist ihm ziemlich peinlich, ein Toyota Landcruiser. Der war gebraucht so günstig, dass kein Weg an ihm vorbei führte. "Da ist nicht so viel Technik dran, aber er läuft." Bei den Boot-Events gab es schon Diskussionen um das Produkt des Erzrivalen von Volkswagen, und Roozinski schaut jetzt nach mehrjährigen Touaregs. "Ich werde sicher eines Tages den Weg zurückgehen und wieder VW fahren."
Kurzarbeit und Autokrise können Roozinski jetzt egal sein. Das stimmt zwar - aber nicht ganz. Denn in Meinersen und Umgebung wohnen viele Menschen, die bei Volkswagen oder seinen Zulieferern arbeiten. Ihr Wohlstand und ihre Konsumfreude hängen von der Lage bei dem nach Toyota und General Motors weltweit drittgrößten Autohersteller ab. So ist Roozinski nun zwar seit bald drei Jahren nicht mehr bei VW, aber irgendwie ein bisschen doch noch.
MutMacher
In jeder Veränderung steckt eine Chance. Eine SZ-Serie
6000 verließen Volkswagen
Volkswagen verbesserte Mitte 2006 die Bedingungen für ein freiwilliges Ausscheiden aus dem Unternehmen deutlich. 6000 VW-Beschäftigte gingen, einer von ihnen ist Burkhard Roozinski. Das Angebot richtete sich an die 85 000 tariflich bezahlten Mitarbeiter in den westdeutschen Werken der Jahrgänge 1952 und jünger. Das waren damals etwa zwei Drittel der Belegschaften in Wolfsburg, Braunschweig, Salzgitter, Kassel, Emden und Hannover.
Bei einer Zugehörigkeit zum Betrieb bis zu fünf Jahren begannen die Abfindungen bei 40 680 Euro. Wer mehr als zwanzig Jahre dabei war, konnte bis zu 195 480 Euro bekommen. Für Schnellentschlossene, die der Offerte innerhalb von drei Monaten zustimmten, gab es 54 000 Euro extra. So betrug die maximale Abfindung dann 249 480 Euro brutto. Nach Steuern errechnete die Personalabteilung von VW einen durchschnittlichen Nettobetrag für Bezieher der Höchstsumme von 139 000 Euro.
Das Ziel, auch die Personalkosten spürbar zu senken, wurde erreicht. Allerdings nicht nur durch die Abfindungsaktion, sondern auch über einen neuen Haustarif, bei dem die Mitarbeiter wieder an fünf anstatt bis dahin vier Tagen arbeiteten, freilich für fast das gleiche Geld. Wegen der Sparmaßnahmen und neuer erfolgreicher Automodelle gelang es, die schwächelnde Marke VW zu sanieren. Dann schwappte nach der Immobilienkrise in den USA die Finanzkrise nach Europa und ließ die Nachfrage nach neuen Autos einbrechen.
Nun musste Europas größter Autohersteller für 61 000 Beschäftigte in seinen deutschen Werken Kurzarbeit beschließen, zunächst für die Tage vom 23. bis 27. Februar. mik
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Thimo Schmitt-Lord verteilt Geld des Chemikonzerns Bayer für wohltätige Zwecke
Burkhard Roozinski war Einkäufer bei Volkswagen in Wolfsburg. Mit seiner Abfindung eröffneten er und seine Frau Simone einen kombinierten Laden für Blumen und Mittelmeer-Produkte in Meinersen, einem Dorf bei Gifhorn. Foto: mik
"Der Staat zahlt zu wenig für Kinder"
Hessische Sozialrichter rufen das Bundesverfassungsgericht an und wollen die staatlichen Leistungen für den Nachwuchs überprüfen lassen
München - Das Bundesverfassungsgericht soll die staatlichen Sozialleistungen an Familien überprüfen. Einen entsprechenden Antrag hat das Hessische Landessozialgericht in Darmstadt soeben nach Karlsruhe überstellt. Damit schert das Gericht in Aufsehen erregender Art und Weise aus der Phalanx der bisherigen Urteile von hohen Sozialgerichten aus, die die neuen gesetzlichen Regelungen stets abgenickt hatten, und fordert eine letztinstanzliche Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts.
In ihrem Vorlagebeschluss mit dem Aktenzeichen L6AS336/07, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, äußern die fünf Sozialrichter ihre Überzeugung, dass das im Rahmen der Hartz-Gesetzgebung abgesenkte Sozialgeld für Familien verfassungswidrig ist. Vorsitzender des betreffenden 6. Senats ist der bekannte Sozialrechtsexperte Jürgen Borchert. An diesem Dienstag befasst sich auch das Bundessozialgericht in Kassel mit dieser Sache. Geprüft werden soll ebenfalls, ob die Begrenzung des Hartz-IV-Satzes für Kinder auf 60 Prozent gegen das Grundgesetz verstößt. Nach der bisherigen Rechtsprechung dieses Gerichts ist eher nicht damit zu rechnen, dass eine Verfassungswidrigkeit festgestellt wird.Dieser Meinung aber sind explizit die Darmstädter Richter.
Mit Hilfe von vier Sachverständigen haben Borchert und seine vier Kollegen das Verfahren und das Ergebnis der Bestimmung der Regelleistungen am Beispiel einer Familie mit einer elfjährigen Tochter überprüft, deren Sozialgeld sich auf 207 Euro monatlich belief. Sie kommen zu dem eindeutigen Ergebnis: Die Leistungen für Familien reichen vorn und hinten nicht. Die Rede ist von "vielfältigen, teils stigmatisierenden Einschränkungen der Eltern". Der Zugang zu sportlichen, kulturellen und anderen Freizeitaktivitäten sei der Tochter wegen fehlender Geldmittel verschlossen gewesen. Dies habe sogar für schulische Veranstaltungen und das Schulessen gegolten. Familienausflüge hätten ausfallen müssen. In der Summe sei die Unterschreitung des Existenzminimums klar verfassungswidrig.
Die Gewährleistung eines soziokulturellen Existenzminimums ist verfassungsrechtlich durch den Schutz der Menschenwürde (Artikel 1 des Grundgesetzes) und das Sozialstaatsprinzip (Artikel 20) garantiert. Dieses soziokulturelle Existenzminimum ist der Dreh- und Angelpunkt zwischen Steuer- und Sozialrecht. Das, was der Staat Bürgern, die sich nicht selbst helfen können, zu leisten hat, darf er bei anderen auch nicht besteuern.
Seit 1990 gilt das auch für Kinder. Allerdings kann hier statt des Freibetrags auch Kindergeld gewährt werden. Wie hoch dieses Existenzminimum und damit auch die Steuerfreibeträge sein müssen, hat das Bundesverfassungsgericht selbst noch nicht entschieden, sondern es hat sich immer an der alten Sozialhilfe orientiert, die seit 2005 im Zuge der Hartz-IV-Reformen durch das Arbeitslosengeld II abgelöst wurde. Schon zu Zeiten der Sozialhilfe wurde in Fachkreisen moniert, dass das Existenzminimum, das bei der alten Sozialhilfe aufgrund einer Verordnungsregelung von der Bundesregierung festgelegt wurde, immer weiter hinter den Einkommen der unteren Schichten zurückblieb. Das Bundesverwaltungsgericht urteilte jedoch stets, dass das im Prinzip in Ordnung sei; erst in den letzten Jahren deutete es an, dass wohl bald die Grenze der Verfassungswidrigkeit erreicht sein würde.
Seitens der Jurisprudenz werden die Stimmen immer lauter, dass es bei einer so entscheidenden Normsetzung wie der Festlegung der Armutsgrenze nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei, diese der Exekutive zu überlassen, vielmehr falle sie unbedingt in den Verantwortungsbereich des Parlaments.
Nach geltendem Recht wurde vom Gesetzgeber das Arbeitslosengeld II mit einem Betrag von pauschal 345 Euro festgelegt. Von diesem sogenannten Eckregelsatz soll der gesamte Lebensunterhalt einschließlich der früher extra gewährten einmaligen Leistungen (etwa Kleidung, Waschmaschinenreparatur etc.) für einen Monat bestritten werden, Kostenträger ist der Bund. Kosten der Unterkunft werden extra übernommen: Kostenträger sind hier die Länder und die Kommunen. Individuelle Sonderfälle werden nicht mehr wie früher berücksichtigt. Für Kinder gelten nur noch zwei Altersgruppen: 0 bis 14, 15 bis 18 Jahre. Die jüngere Gruppe erhält 60 Prozent des Eckregelsatzes als Sozialgeld.
In der Fachwelt wurden die Methode und das Ergebnis der Ermittlung des Eckregelsatzes von Anfang in Zweifel gezogen. Dabei verdichtete sich zuletzt der Verdacht, dass insbesondre die Regelleistungen für Kinder vollkommen unzureichend seien. Das Bundessozialgericht allerdings hat in einer Reihe von Urteilen die Sätze für Erwachsene bisher stets gebilligt und das Problem bei Kindern noch nicht gesehen. Jetzt schert der 6. Senat des Hessischen Landessozialgerichts aus der Geschlossenheit der Sozialgerichte aus und hat das Bundesverfassungsgericht angerufen. Die Entscheidung in Karlsruhe, die einige Jahre auf sich warten lassen kann, wird in der Fachwelt mit Spannung erwartet.
Ein kleines Kind an einem Tisch: Die Verfassungsrichter sollen nun die Höhe von Sozialleistungen für Familien überprüfen. Foto: vario images
Kritik an Steinbrück
Wirtschaftsverbände warnen vor Gesetz gegen Steueroasen
Berlin - Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft haben die Pläne von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) scharf kritisiert, härter gegen Staaten vorzugehen, die Steuerhinterziehung fördern oder begünstigen. Die Regelungen in dem Entwurf für ein "Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz" seien zum Teil europarechtlich und "rechtsstaatlich bedenklich", heißt es in einer Stellungnahme der Verbände, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Die Wirtschaftslobbyisten fürchten gravierende Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten des Standorts Deutschland, wenn das Finanzministerium sich im Kampf gegen Steueroasen nicht mit der EU und den G-20-Staaten abstimme. Das Schreiben an das Finanzministerium ist unter anderem vom Bundesverband deutscher Banken, vom Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft und vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) unterzeichnet.
Steinbrück hatte vergangene Woche einen Gesetzentwurf "zur Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken" vorgelegt. Danach könnte jedes Unternehmen Probleme bekommen, das in Ländern aktiv ist, die sich nicht an die Mindeststandards der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) über den Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten halten. So ärgert sich Steinbrück schon lange darüber, dass zum Beispiel die Schweiz keine Amtshilfe leistet, wenn ein deutscher Steuerzahler direkte Steuern hinterzieht. Im Oktober 2008 drohte der Finanzminister deshalb bereits dem Nachbarland mit der "Peitsche". Das geplante Gesetz ist nun die Folge. Darin ist unter anderem vorgesehen, dass der Fiskus deutschen Firmen im äußersten Fall den Steuerabzug von Betriebsausgaben verweigern darf. Voraussetzung: Die Zahlungen gehen an das Unternehmen eines Staates, mit dem "kein Auskunftstausch entsprechend den Standards der OECD durchgeführt werden kann".
Die Union will diese Pläne auf jeden Fall verhindern, weil sie den Geschäftsverkehr mit der Schweiz gefährdeten. Auch das von dem CSU-Politiker Michael Glos geführte Bundeswirtschaftsministerium soll bereits erhebliche Bedenken geäußert haben. Eine Sprecherin von Glos wollte sich dazu nicht äußern. "Die Abstimmung innerhalb der Ministerien läuft", sagte sie am Sonntag.
Die Spitzenverbände der Wirtschaft machen sich offenbar ebenfalls Sorgen um die Geschäfte deutscher Unternehmen in der Schweiz, aber auch in anderen Staaten, mit denen der behördliche Datenaustausch nicht reibungslos funktioniert. Es sei unverhältnismäßig, beliebige Schwierigkeiten bei der Amtshilfe durch andere Staaten zum Anlass zu nehmen, "einen Steuerpflichtigen, dem keine schuldhafte Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann, rechtlos zu stellen", heißt es in ihrem Schreiben an das Bundesfinanzministerium.
Pharmafusion fast perfekt
Pfizer bietet womöglich knapp 70 Milliarden Dollar für Wyeth
New York - Der Branchenführer Pfizer legt nach Angaben aus Kreisen möglicherweise rund 67 Milliarden Dollar für den US-Rivalen Wyeth auf den Tisch und stemmt damit erneut einen der größten Zukäufe aller Zeiten in der pharmazeutischen Industrie. Wie Reuters erfuhr, könnte Pfizer etwa 50 Dollar pro Wyeth-Aktie zahlen. Der Preis könne sich jedoch noch verändern, da die Verhandlungen das ganze Wochenende anhalten sollten. Die Fusion könnte jedoch schon innerhalb von wenigen Tagen besiegelt werden, hieß es weiter. Pfizer wolle mehr als die Hälfte des Kaufpreises in bar bezahlen und den Rest mit eigenen Aktien. Der Konzern habe sich bereits eine Finanzierung über 25 Milliarden Dollar gesichert, um die Übernahme zu besiegeln.
Pfizer und Wyeth führten seit Monaten Gespräche über einen Zusammenschluss, sagten mehrere mit dem Vorgang vertraute Personen. Eine Transaktion sei aber noch nicht unter Dach und Fach. Sowohl Pfizer als auch Wyeth lehnten einen Kommentar zu dem Bericht ab. Mit der Übernahme von Wyeth würde Pfizer die Branche erneut aufmischen und möglicherweise eine neue Fusionswelle unter den Unternehmen einleiten.
Pfizer-Chef Jeff Kindler hatte unlängst gesagt, der Konzern sei offen für Großübernahmen. Hierzulande wurde Pfizer zuletzt als einer der Kandidaten für eine Übernahme des Ulmer Arzneimittelherstellers Ratiopharm gehandelt. Mit einer weiteren Megaübernahme würde Pfizer kein Neuland betreten. Seine gegenwärtige Führungsposition in der Pharmaindustrie verdankt Pfizer milliardenschweren Zukäufen. Dazu gehört der Kauf des US-Rivalen Warner-Lambert im Jahr 2000 für etwa 88 Milliarden Dollar - die bislang teuerste Übernahme in der Branche. Drei Jahre später war es der US-Konzern Pharmacia für etwa 60 Milliarden Dollar. Pfizer kam 2007 nach eigenen Angaben mit rund 85 000 Beschäftigten auf einen Jahresumsatz von 48,4 Milliarden Dollar. An der Börse ist Pfizer gegenwärtig rund 118 Milliarden Dollar wert. Wyeth ist mit einem Umsatz 2007 von 22,4 Milliarden Dollar nicht einmal halb so groß wie Pfizer. Wyeth hat etwa 47 500 Beschäftigte.
Pfizer ist nach Jahren an der Spitze der Branche in jüngster Zeit arg ins Wanken geraten. Ende 2008 hatte der Kurs der Pfizer-Aktie an der Wall Street die tiefsten Stände seit zehn Jahren markiert. Probleme mit dem Medikamentennachschub und die schärfere Konkurrenz durch Nachahmerhersteller setzen dem New Yorker Konzern, der 2007 ein Forschungsbudget von 8,1 Milliarden Dollar hatte, gegenwärtig zu. Reuters
BA-Pläne bei Iberia gefährdet
London - Der Kursrutsch des britischen Pfunds könnte den geplanten Zusammenschluss zwischen British Airways und der spanischen Iberia vereiteln. Die BA-Aktionäre würden einer Fusion auf Basis der derzeitigen Börsenkurse nicht zustimmen, sagte BA-Chef Willie Walsh der Financial Times. Am Freitag übertraf der Börsenwert von Iberia der Zeitung zufolge erstmals seit Beginn der Verhandlungen Mitte vergangenen Jahres den Wert von British Airways. Grund hierfür seien der Kursrutsch der BA-Aktie und das schwache Pfund. Iberia sei überbewertet, sagte Walsh weiter. Dies müsse jedoch in den Verhandlungen geklärt werden. Walsh erklärte, es gebe keine Notwendigkeit für einen Zusammenschluss mit Iberia. "Wenn es keinen Sinn ergibt, wende ich mich ab. Ich fühle mich nicht unter Druck". Als die beiden Fluglinien im Juli Fusionsverhandlungen aufnahmen, signalisierten die Börsenkurse ein Aktien-Tauschverhältnis von 65 Prozent für BA und 35 Prozent für Iberia, berichtete die Zeitung weiter. Am Freitag jedoch habe das Verhältnis 49,6 Prozent für BA und 50,4 Prozent für Iberia betragen. Reuters
STARBUCKS
1000 Stellen weniger
Los Angeles - Die US-Kaffeehauskette Starbucks will wegen der Wirtschaftskrise weitere 1000 Stellen streichen. Der Abbau betreffe Arbeitsplätze in der Zentrale in Seattle, Bezirksleiter sowie Außendienstmitarbeiter, so die Seattle Times. Starbucks, das am Mittwoch Quartalszahlen vorlegt, war nicht zu erreichen. Starbucks hatte 2008 die Schließung von 600 Filialen und die Streichung von bis zu 12 000 Arbeitsplätzen angekündigt. Die US-Kette leidet darunter, dass immer weniger Menschen Geld für vergleichsweise teure Kaffee-Getränke ausgeben. Führende Starbucks-Manager und Firmenchef Howard Schultz erhielten 2008 keine Boni und verzichten 2009 auf höhere Gehälter. Reuters
MCDONALD'S
240 neue Filialen
London - Die US-Fastfood-Kette McDonald's will nach einem Zeitungsbericht in diesem Jahr etwa 240 neue Filialen in Europa eröffnen und dabei 12 000 Stellen schaffen. Der ehrgeizigste Expansionsplan seit fünf Jahren sehe vor allem Neueröffnungen in Spanien, Frankreich, Italien, Russland und Polen vor, berichtete die britische Wirtschaftszeitung Financial Times. Bei den neuen Arbeitsplätzen handele es sich vor allem um Teilzeitstellen. Die Umsätze seines Unternehmens zeigten keine Anzeichen von Schwäche, zitierte das Blatt Europa-Chef Denis Hennequin. An diesem Montag will McDonald's die Konzernzahlen für das vierte Quartal des Geschäftsjahres 2008 vorlegen. AFP
MALEV
Russische Bank übernimmt
Budapest - Die staatliche russische Bank Wnescheconombank (VEB) übernimmt die angeschlagene ungarische Luftfahrtgesellschaft Malev. Das Geschäft solle binnen Tagen abgewickelt werden, teilte Russlands stellvertretender Ministerpräsident Viktor Subkow in Budapest mit. Vorgesehen sei eine strategische Partnerschaft mit der russischen Aeroflot. VEB ist einer der größten Gläubiger von Malev. Die Entscheidung sei wegen der schlechten Lage von Malev und der globalen Wirtschaftskrise beschleunigt worden, sagte Subkow. Ungarns Finanzminister Janos Veres nannte den Verkauf an VEB notwendig, weil der russische Geschäftsmann Boris Abramowitsch als Haupteigner von Malev die bei der Privatisierung vereinbarten Bedingungen nicht erfüllt habe. Reuters
Die ungarische Malev ist schwer angeschlagen. Foto: Caro
CORUS
3500 Jobs in Gefahr
London - Europas zweitgrößter Stahlproduzent Corus will nach einem Zeitungsbericht wegen der Wirtschaftskrise weltweit bis zu 3500 Jobs streichen. Das britisch-niederländische Unternehmen leide unter der fehlenden Nachfrage vom Bau und der Automobilindustrie, wie die britische Zeitung Sunday Times berichtete. Das Unternehmen wollte den Bericht nicht kommentieren. Bereits im November hatte Corus angekündigt, wegen der Konjunkturschwäche seine Stahlproduktion kürzen zu müssen. Das Unternehmen, das zum indischen Konzern Tata Steel gehört, beschäftigt weltweit 42 000 Menschen. dpa
Streit um Qimonda-Pleite eskaliert
Manager: "Insolvenz war vermeidbar". Portugal wirft Deutschland mangelndes Engagement vor. Infineon muss zahlen
München - "Die Verzweiflung in der Belegschaft ist groß", sagt ein Qimonda-Betriebsrat am Sonntag leise und mit tiefer Stimme. "Fast alle Kollegen fürchten die Arbeitslosigkeit." Trotz dramatischer Lage seien viele Mitarbeiter des Chipkonzerns aber auch am Wochenende ins Büro gekommen. "Wir müssen sicherstellen, dass Spediteure weiter an- und abliefern und wir die Produktion am Montag wieder aufnehmen können", sagt ein Sprecher von Insolvenzverwalter Michael Jaffé. Denn Ziel sei es, den Betrieb des Konzerns mit seinen 12 000 Beschäftigten aufrechtzuerhalten.
Nach der folgenschweren Pleite des letzten deutschen Speicherchipherstellers am Freitag eskaliert der Streit um die Hintergründe. Das Management wehrte sich erstmals offen gegen Vorwürfe, Qimonda habe mit einer 300-Millionen-Nachforderung das geschnürte Hilfspaket zu Fall gebracht. "Die Insolvenz war vermeidbar", hieß es in Konzernkreisen. Der zusätzliche Bedarf sei nur entstanden, weil die Politik geplante Zahlungen nicht wie vorgesehen Ende Dezember geleistet habe: "Wir wurden über Monate hingehalten." Zudem sei der Finanzbedarf geringer gewesen. "Wir brauchten nur eine Bürgschaft über 200 Millionen Euro, kein Kapital", sagte ein hochrangiger Manager. Weitere 100 Millionen Euro habe Qimonda selbst finanzieren können.
Auch Portugal warf der Bundesregierung und dem Freistaat Sachsen vor, nicht genug für die Rettung des Chipkonzerns getan zu haben. Seine Regierung habe alles zur Rettung der Firma versucht, "die anderen Parteien haben dies aber leider nicht mit demselben Nachdruck getan", sagte Portugals Wirtschaftsminister Manuel Pinho. Ministerpräsident José Socrates kündigte an, er werde das portugiesische Qimonda-Werk mit seinen 2000 Beschäftigten nicht im Stich lassen.
Die Pleite der Tochter bringt darüber hinaus auch den Chipkonzern Infineon in Bedrängnis. Nach Angaben aus Konzernkreisen drohen Belastungen in dreistelliger Millionenhöhe etwa für Abfindungen, Kosten von Kartellverfahren und die Rückzahlung öffentlicher Fördermittel. Vor allem wegen hoher Verluste bei der Tochter war das Eigenkapital von Infineon im vergangenen Geschäftsjahr bereits um mehr als die Hälfte auf knapp zwei Milliarden Euro geschrumpft. Nach Angaben eines Sprechers muss der Konzern zudem bis 2010 zwei Anleihen zurückzahlen, die zusammen knapp 700 Millionen Euro ausmachten. "Die Belastungen treffen uns, sie sind aber nicht bedrohlich", betonte ein Infineon-Sprecher.
Insolvenzverwalter Michael Jaffé habe derweil die Arbeit an einem Restrukturierungskonzept zur Zukunft des insolventen Chipherstellers aufgenommen und wolle es spätestens im März vorlegen. Die Mitarbeiter in München sollen an diesem Montag, in Dresden am Dienstag auf Betriebsversammlungen informiert werden. Jaffé wolle wieder Ruhe in die Belegschaft bringen, sagte ein Sprecher des Insolvenzverwalters. (Kommentare, Seite 18)
Manchmal denkt man, alles drehe sich im Kreis: Qimonda wehrt sich gegen Schuldzuweisungen. Der Mutterkonzern Infineon wiederum hat Belastungen durch die Insolvenz. Foto: dpa
Pierer: "Mich trifft keine Schuld"
Der frühere Vorstandschef weist die Vorwürfe im Korruptionsskandal vor der Hauptversammlung von Siemens zurück
München - Heinrich von Pierer, 68, hat lange geschwiegen. Mit keinem Wort äußerte sich der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Siemens AG in den Medien bislang zu den Vorwürfen, die sein ehemaliger Arbeitgeber im Korruptionsskandal gegen ihn erhebt. Jetzt aber, kurz vor der Hauptversammlung an diesem Dienstag in München, erklärt sich Pierer in einer schriftlichen Stellungnahme für die Süddeutsche Zeitung erstmals öffentlich - zu einer bei Siemens als "streng vertraulich" gekennzeichneten Akte.
Über seinen Anwalt Winfried Seibert aus Köln äußerte der frühere Konzernchef, er habe während seiner Amtszeit im Unternehmen "unmissverständlich klargestellt, dass etwaige Missstände abgestellt werden müssen". Er habe nicht gesagt, "Vertrauen sei besser als Kontrolle", wie ihm das nun von Siemens unterstellt wird. Vielmehr habe er die Voraussetzungen für eine strengere Aufsicht im Unternehmen über die dort getätigten Geschäfte geschaffen. Ihn treffe keine Schuld am Korruptionsskandal, der den Industriekonzern bislang gut zwei Milliarden Euro an Geldbußen und anderen Ausgaben gekostet hat.
Siemens verlangt sechs Millionen Euro Schadenersatz von Pierer. Der Kernvorwurf: Der ehemalige Vorstandschef und weitere Top-Manager sollen nicht streng genug kontrolliert haben, was im Unternehmen vor sich ging, und so das weltweite Schmiergeldsystem möglich gemacht haben. Auch von Vertuschung ist die Rede.
Pierers Stellungnahme ist eineinhalb Seiten lang. Bislang hatte er immer nur pauschal erklärt, er weise alle Anschuldigungen "mit Nachdruck" zurück; jetzt wird er konkret. Pierer betont, er habe nicht vor, die Auseinandersetzung mit seinem ehemaligen Arbeitgeber "über die Medien" zu führen. Adressat seiner Einlassungen seien die "zuständigen Gremien der Siemens AG". Er wolle sich zu Details nicht äußern, was er dann aber an einigen Stellen doch macht. Allerdings erst, nachdem ihn die SZ zu solchen Details aus der internen Siemens-Akte über die Ex-Vorstände befragt hat.
Einer der Hauptvorwürfe von Siemens gegen Pierer lautet, dieser habe Ende 2003 einen Reformvorschlag für ein besseres Compliance-System abgelehnt. Compliance steht für interne Kontrollen, mit denen Unternehmen Gesetzesverstöße wie etwa Schmiergeldzahlungen verhindern beziehungsweise selbst aufklären wollen. Der Reformvorschlag von Ende 2003 stammte laut Siemens-Akte vom damaligen Justitiar Albrecht Schäfer. Er sagte der Akte zufolge aus, Pierer habe vor allem das Ansinnen verworfen, die Compliance-Funktion in einer Zentralstelle zusammenzufassen. Pierer habe bei einem Vier-Augen-Gespräch mit ihm, Schäfer, die damit verbundene "Außenwirkung" abgelehnt und solche Maßnahmen als unnötig dargestellt. Der damalige Vorstandschef sei für eine "diskrete" Arbeit der Compliance-Abteilung gewesen und habe gesagt, "Unruhe im Unternehmen" müsse verhindert werden. Vertrauen sei besser als Kontrolle, soll Pierer Schäfers Aussage zufolge seinerzeit geäußert haben. Pierer teilte dazu mit, das entspreche "nicht den Tatsachen". Eine derartige Äußerung von ihm habe es in diesem Zusammenhang nicht gegeben.
Im Gegenteil: Zu Beginn des Geschäftsjahres 2004/2005 sei das Compliance-System neu geordnet worden. "Dabei wurde eine gestärkte zentrale Compliance-Kompetenz geschaffen." Die Compliance-Beauftragten der einzelnen Konzernsparten und Regionalgesellschaften seien damals dem Compliance-Chef bei Siemens - zu dieser Zeit Albrecht Schäfer - fachlich zugeordnet worden. Das seien über 800 Mitarbeiter gewesen, "die weltweit auf dem Compliance-Gebiet für Siemens tätig waren".
Pierer weist auch die Anschuldigung zurück, er habe nach einem ihm Mitte 2003 bekannt gewordenen Schmiergeldverdacht in Italien keine interne Untersuchung des Vorgangs veranlasst und es zudem unterlassen, den Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats zu informieren. Der Ausschuss soll Gesetzesverstöße verhindern beziehungsweise abstellen. Pierer entgegnet, der Vorgang in Italien sei mehrmals mit einem bei Siemens tätigen Wirtschaftsprüfer erörtert und auch mehrmals dem Prüfungsausschuss vorgetragen worden. Beim nächsten Vorwurf gegen Pierer geht es um einen weiteren Korruptionsfall in Italien, der dem damaligen Zentralvorstand von Siemens bekannt geworden war. Ein Großauftrag für die Lieferung von Gasturbinen an den Staatskonzern Enel war mit Schmiergeldzahlungen in Millionenhöhe erkauft worden. Zwei Siemens-Mitarbeiter wurden in Italien wegen Bestechung verurteilt. Die beiden Beschäftigten seien aber nicht entlassen, sondern lediglich freigestellt worden und hätten hohe Abfindungszahlungen erhalten, steht in der Siemens-Akte über Pierer. Die beiden Angestellten hätten jeweils 150 000 Euro für "Sonderaufgaben" erhalten.
Pierer sei Ende April 2004 in einer Notiz über die "schonende Behandlung" der beiden unterrichtet worden. Der seinerzeitige Aufsichtsratschef Karl-Hermann Baumann hat laut Aktenlage bei Siemens inzwischen ausgesagt, die von ihm und Albrecht Schäfer geforderte Entlassung der beiden Mitarbeiter sei "am Widerstand von Pierer" und einem weiteren damaligen Vorstand gescheitert.
Auch dieser Vorwurf sei falsch, erklärte Pierer. Aufsichtsratschef Baumann und der Vorstand seien damals "in etwa zeitgleich" über diese Vorgänge informiert worden. An den mit den beiden Mitarbeitern getroffenen Vereinbarungen sei "zu diesem Zeitpunkt nichts mehr zu verändern" gewesen. Der ehemalige Vorstandschef schreibt weiter, gegenüber Siemens sei er "allen Vorwürfen ausführlich entgegengetreten", die das Unternehmen gegen ihn erhebe. Der von Siemens bislang ermittelte Sachverhalt sei "an vielen relevanten Stellen nicht zutreffend".
Das waren noch schöne Zeiten: Heinrich von Pierer (Mitte) im März 2001 beim Börsengang in New York mit dem damaligen Siemens-Aufsichtsratschef Karl-Hermann Baumann (re.) und Börsenchef Richard Grasso. Foto: AP
GEWINNZAHLEN
Glücksspirale: 10 Euro auf Endziffer 9, 20 Euro auf Endziffer 47, 50 Euro auf Endziffer 679, 500 Euro auf Endziffer 4697, 5000 Euro auf Endziffer 72 911, je 100 000 Euro auf die Endziffern 014 983 und 598 095.
Prämienziehung: je 7500 Euro monatlich auf die Losnummern 9 767 607 und 0 404 595.
Süddeutsche Klassenlotterie: 1 000 000 Euro fiel auf die Losnummer 2 004 433; je 100 000 Euro auf die Losnummern 1 933 138 und 2 374 492; je 50000 Euro auf die Losnummern 0 529 949 und 1 765 567; je 1000 Euro auf die Endziffern 3151 und 5497; 125 Euro auf die Endziffer 29. Es sind keine Ergänzungszüge angefallen.
ARD-Fernsehlotterie (nur Mega-Lose): 1 000 000 Euro oder Haus auf Losnummer 5 264 749; 100 000 Euro auf Endziffer 161 945; 10 000 Euro auf Endziffer 39 448; 1000 Euro auf Endziffer 3340, 10 Euro auf Endziffer 53. Wochenziehung: BMW 318 i Touring auf Losnummer 9 814 454; Mini Cooper auf Losnummer 0 686 363; mit South African Airways nach Kapstadt ins "Westin Grand Cape Town Arabella Quays" auf Losnummer 2 030 675; Wellness-Woche für zwei Personen im Hotel Dollenberg im Schwarzwald auf Losnummer 0 201 012; 100 000 Euro auf Losnummer 2 293 597. (Ohne Gewähr)
Allianz plant eigene Privatkundenbank
Berlin - Der Münchner Versicherungskonzern Allianz will nach dem
Verkauf der Dresdner Bank künftig mit einem eigenen Finanzinstitut um
Kunden werben. "Im April dürften wir startklar sein", sagte der
Allianz-Deutschland-Vorstandschef Gerhard Rupprecht. Keimzelle dafür werde
die Oldenburgische Landesbank sein, die künftig die mehr als 10 000
Allianz-Agenturen mit Bankprodukten versorgen solle. Es werde beispielsweise ein
Allianz-Girokonto und einen Allianz-Kredit geben.
Die Kreditzinsen bleiben hoch
Hamburg - Die Zinsen für Verbraucherkredite sind bislang kaum
gefallen, obgleich die Notenbanken die Leitzinsen auf historische
Tiefstände geschleust haben. Das wird auch so bleiben, erwartet das
verbraucherorientierte Institut für Finanzdienstleistungen (IFF). Der
Leitzins der Europäischen Zentralbank beträgt nur noch zwei Prozent;
der Kreditzins für Verbraucherkredite liegt bei acht bis zehn Prozent.
Ich bin Rentner und möchte zu Gunsten meiner vier Enkelkinder, die alle im Grundschulalter sind, jeweils 5000 Euro längerfristig anlegen. Welche Möglichkeiten gibt es? Und was würden Sie mir empfehlen?
Wolfgang F., Ingolstadt
Hier gibt es kein Patentrezept. Entscheidend ist, wie risikobereit Sie sind. Wenn Sie ganz sicherheitsorientiert anlegen möchten, rate ich Ihnen, Tages- oder Festgeldkonten einzurichten. Hier sind derzeit Renditen von zwei bis drei Prozent möglich. Wenn Ihnen das zu wenig ist, dann müssen Sie mehr oder weniger hohe Risiken in Kauf nehmen.
Prinzipiell gilt: Je länger der Anlagehorizont ist, umso eher darf man Risiken eingehen. Anleger können dann schlechte Zeiten einfach aussitzen. Warnen möchte ich vor Bankangeboten, die an komplexe Bedingungen geknüpft sind. Zum Beispiel Bankanleihen, die über mehrere Jahre laufen und bei denen jedes Jahr der Zins schrittweise erhöht wird. Solche Angebote hören sich meist gut an, der unbedarfte Anleger hat aber kaum eine Chance, die Fallstricke zu erkennen. Daher: Finger weg von kompliziert strukturierten Anlageangeboten!
Die wichtigsten Kriterien sind die Gebühren und Kosten. Sollten Sie Ihren Enkelkindern Investmentfonds kaufen wollen, achten Sie darauf, dass Sie keinen oder nur einen reduzierten Ausgabeaufschlag zahlen. Wichtiger noch ist die laufende Gebührenbelastung. Die beläuft sich bei deutschen Fonds im Durchschnitt auf 1,74 Prozent im Jahr. Das ist sehr viel. Stellen Sie sich vor, dass ein Fondsmanager vor Kosten sechs Prozent erwirtschaftet, dann bleiben nach den Kosten gerade einmal 4,26 Prozent.
Auch Versicherungsangebote sind eine Alternative. Hier gilt dieselbe Regel wie bei Fonds: Bitte auf die Gebühren schauen. Um zu einer Anlageentscheidung zu gelangen, noch ein letzter Tipp: Fragen Sie einfach die Eltern der Kinder oder berufen Sie einen Familienrat ein. So lastet die Entscheidung nicht nur auf Ihren Schultern.
Dr. Hannes Peterreins ist Geschäftsführer der Dr. Peterreins Portfolio Consulting in München.
Foto: oh
? Leserfragen zu Anlagethemen bitte an
leserfrage@sueddeutsche.de
Erst mal zahlt der Kunde
Welche Rechte Verbraucher haben, wenn ihr Autohändler oder Computerhersteller Insolvenz anmeldet
München - Rosenthal ist nur der Anfang, andere Firmen werden folgen. In einer konjunkturellen Krise nimmt auch die Zahl der Unternehmensinsolvenzen zu. Das trifft auch die Kunden: Denn deren Garantie- und Gewährleistungsansprüche bleiben unter Umständen auf der Strecke. "Diese Fragen werden in diesem Jahr an Bedeutung gewinnen", sagt Andreas Schrettl im Münchner Büro der Kanzlei Taylor Wessing. Er erläutert die juristischen Zusammenhänge am Beispiel eines Autokäufers. Sie gelten aber auch für Kunden, die zum Beispiel einen Kühlschrank oder PC gekauft haben.
Der Händler geht pleite
Der Autohändler, bei dem das Auto gekauft wurde, muss in die Insolvenz. Dann steht es nicht gut um die gesetzliche Gewährleistungspflicht. Tritt ein Mangel an dem Auto auf, wäre der Händler eigentlich verpflichtet, es zu reparieren, den Preis zu mindern oder den Kauf rückabzuwickeln. Im Falle einer Insolvenz aber "geht das Heft des Handelns auf den Insolvenzverwalter über", sagt Schrettl. "Er kann entscheiden, wie er verfahren möchte." So kann der Insolvenzverwalter des Autohauses die Reparatur schlicht ablehnen. Dem Kunden bleibt dann nur, den Wagen auf eigene Rechnung instandsetzen zu lassen und sich beim Insolvenzverwalter in die Schlange der anderen Gläubiger einzureihen. Je nachdem, wie viel Geld am Ende noch da ist, erhält er einen Teil seiner Auslagen zurück. Nach Auskunft von Schrettl liegt die Quote im Normalfall zwischen zwei und zehn Prozent. "Einen Großteil der Kosten bekommt der Käufer somit nicht erstattet", so der Anwalt.
Besser sieht es unter Umständen aus, wenn der Kunde den Wagen noch nicht voll bezahlt hat. "Dann hat der Insolvenzverwalter vielleicht ein Interesse daran, die Reparatur durchzuführen und den ausstehenden Restbetrag einzunehmen", sagt Schrettl. Angenommen, das Auto hat 40 000 Euro gekostet, 30 000 Euro sind bereits abbezahlt. Den Mangel zu beheben, würde 3000 Euro kosten. Dann kann der Insolvenzverwalter entscheiden, den Wagen zu reparieren, was laut Schrettl dann sinnvoll ist, wenn er das Material auf Lager hat und auch die Personalkosten ohnehin anfallen. Der Kunde muss ihm nach erfolgreicher Reparatur die ausstehenden 10 000 Euro zahlen. Entscheidet sich der Insolvenzverwalter gegen eine Reparatur, werden die einzelnen Posten miteinander verrechnet. Die Reparatur würde 3000 Euro kosten, der Kunde schuldet dem Autohaus noch 10 000 Euro - unter dem Strich muss der Kunde also noch 7000 Euro an den Insolvenzverwalter zahlen.
Der Hersteller geht bankrott
In diesem Fall dreht sich die Frage für den Kunden nicht um die gesetzliche Gewährleistung, sondern um die darüber hinausgehenden Garantieansprüche des Kunden. "Auch in diesem Fall sieht es schlecht für den Käufer aus", so Schrettl. "Denn anders als zum Beispiel die Arbeitnehmer gehen die Garantieansprüche der Kunden im Falle eines Verkaufs des insolventen Unternehmens nicht zwingend auf den Erwerber über." Normalerweise hat der Erwerber nur ein Interesse an einer Übernahme der für ihn interessanten Firmenteile; die Schulden, und dazu zählen auch die Garantieansprüche, gehören in der Regel nicht dazu.
Es kann allerdings sein, dass der Kunde Glück hat und der Hersteller seine Händler vertraglich dazu verpflichtet hat, im Falle einer Insolvenz die Garantieleistungen zu erbringen. "Das hängt aber vom jeweiligen Vertrag ab", so der Anwalt. "Die Pflichten der Händler sind da unterschiedlich geregelt." Auf lange Sicht gebe es ohnehin ein Problem, warnt Schrettl - nämlich dann, wenn der Hersteller keine Ersatzteile mehr liefern kann. "Im Ergebnis", urteilt der Experte, "ist die Position der Verbraucher bei einer Insolvenz ernüchternd.
Gewährleistung und Garantie
Nicht alle Verbraucher kennen den Unterschied zwischen Garantie und Gewährleistung. Doch er ist wichtig. Die Gewährleistungsansprüche stehen dem Kunden von Gesetzes wegen zu; erfüllen muss sie der Verkäufer der Ware. Er ist verpflichtet, einen Mangel zu beheben, den Kaufpreis zu mindern oder die Ware zurückzunehmen und den Kaufpreis komplett zu erstatten. Allerdings greifen Gewährleistungsansprüche nur, wenn die Ware zum Zeitpunkt des Kaufs einen Mangel hatte. Die Gewährleistungspflicht beträgt zwei Jahre vom Zeitpunkt des Kaufs an; danach kann der Käufer seine Gewährleistungsansprüche nicht mehr durchsetzen. Im Streitfall muss im ersten halben Jahr der Verkäufer beweisen, dass die Ware beim Kauf noch einwandfrei war. Danach liegt die Beweislast beim Kunden.
Eine Garantie dagegen ist stets freiwillig; einen gesetzlichen Anspruch darauf hat der Kunde nicht. Der Inhalt einer Garantie ist nicht im Gesetz geregelt, allerdings geht sie in der Regel weit über die gesetzliche Gewährleistung hinaus. Sie wird meist vom Hersteller gegeben - und greift auch, wenn ein Mangel erst eine gewisse Zeit nach dem Kauf auftritt, etwa wenn ein Auto nach fünf Jahren anfängt zu rosten und der Hersteller eine Zehn-Jahres-Garantie gegen Durchrostung gegeben hat. mvö
Meckern erlaubt: In der Krise haben es Verbraucher mitunter schwer, Mängel zu reklamieren. Foto: mauritius images
Der Müll soll im Haus bleiben
Politiker und Wirtschaftsexperten lehnen ein staatliches Geldinstitut ab, das schlechte Wertpapiere der Banken übernimmt
Berlin - Die Idee einer "Bad Bank", die hochriskante Papiere der Banken übernimmt, stößt auf verstärkte Kritik. Nachdem die Bundesregierung und der Bundesverband deutscher Banken die Einrichtung bereits abgelehnt haben, wandten sich am Wochenende Wirtschaftsexperten und Politiker verschiedener Parteien ebenfalls gegen eine staatliche Abwicklungsbank für problematische Wertpapiere. "Das wären staatlich verwaltete und finanzierte Giftmüllkippen für alles, was Banker angerichtet haben und jetzt loswerden wollen", sagte SPD-Chef Franz Müntefering der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Eine Bad Bank (wörtlich "schlechte Bank") ist ein Geldhaus, das Risiken anderer Kreditinstitute übernimmt. Solche Risiken können Papiere sein, deren Wert drastisch gefallen ist, oder finanziell problematische Kreditengagements. Die staatliche Bad Bank übernimmt dafür die Haftung und versucht später, das Beste aus den Papieren zu machen.
Die deutschen Geschäftsbanken sitzen auf Hunderten Milliarden solcher Ramschpapiere. Der Großteil davon ist noch nicht in den Bilanzen abgeschrieben. "Die Müllmassen sind bislang nur teilweise beseitigt", sagt Jochen Sanio, Chef der deutschen Finanzaufsicht (Bafin). Das internationale Finanzsystem vergleicht er mit den "Straßen von Neapel zu Zeiten des Müllnotstands".
Diesen Müll, meint auch der scheidende Vorsitzende der sogenannten Wirtschaftsweisen, Bert Rürup, dürften die Banken dem Staat nicht vor die Tür kehren. Wenn man unter einer Bad Bank verstehe, "dass der Staat den Banken ihre vergifteten Papiere ohne Entschädigung abnimmt, lehne ich diese Idee ab", sagte Rürup dem Spiegel. Auch der Bund der Steuerzahler, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU), Hessens Ministerpräsident Roland Koch und der FDP-Politiker Florian Toncar wandten sich am Wochenende gegen die Einrichtung einer solchen Bank. Toncar ist Mitglied im Überwachungsgremium des Bundestags für den Bankenrettungsfonds.
Anders als seine Kollegen hatte sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) für eine Bad Bank ausgesprochen, sofern die Haftung für die Papiere bei den Geschäftsbanken bleibt. Bei der Unions-Bundestagsfraktion scheint Oettinger damit aber nicht viele Anhänger zu finden. Fraktionschef Volker Kauder soll dieses Ansinnen bei der Klausurtagung der Südwest-CDU strikt abgelehnt haben. Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums hatte bereits am Freitag erklärt, es werde keine Lösung geben, bei der der Staat und damit der Steuerzahler den Kreditinstituten alle Risiken abnehme.
Der Bundesverband des deutschen Groß- und Außenhandels (BGA) verlangte dagegen, schnell eine Bad Bank einzurichten. "Wir brauchen dringend eine Lösung für die toxischen Papiere der Banken. Der Schrott muss raus aus den Bilanzen, damit wieder das Vertrauen ins System zurückkehrt", sagte BGA-Präsident Anton Börner.
Nachschlag für Freddie Mac
Die US-Hypothekenbank benötigt bis zu 35 Milliarden Dollar
New York - Die zweitgrößte US-Hypothekenbank Freddie Mac benötigt möglicherweise 30 bis 35 Milliarden Dollar vom US-Finanzministerium. Dies gehe aus den Schätzungen des Managements hervor, hieß es in einer Meldung des Unternehmens an die US-Börsenaufsicht SEC. Der unter staatlicher Aufsicht stehende Konzern hat am Jahresende möglicherweise einen noch höheren Verlust erlitten als im dritten Quartal, für das ein Rekord-Defizit von 25 Milliarden Dollar gemeldet wurde. Die Größe der benötigten Finanzspritze könne jedoch noch deutlich von der genannten Summe abweichen, da die endgültige Bilanz derzeit noch nicht feststehe, hieß es.
Freddie Mac und Fannie Mae stehen direkt oder indirekt für rund die
Hälfte der US-Hypotheken gerade. Die Regierung hatte Anfang September die
Kontrolle über die beiden angeschlagenen Institute übernommen, nachdem
die Blase am Häusermarkt in den USA geplatzt war. Bereits im November hatte
Freddie Mac vom Staat 13,8 Milliarden Dollar erhalten. Angesichts der
andauernden Finanzkrise schließt die neue US-Regierung unter
Präsident Barack Obama eine Aufstockung der Hilfen für die
krisengeschüttelten Banken nicht aus. Bislang ist das Paket, das der
Kongress im Oktober verabschiedet hatte, 700 Milliarden Dollar schwer. Es
könnte auf eine Billion Dollar und mehr wachsen.
Verlorenes Paradies
Weil das Pfund stark an Wert verloren hat, müssen britische Rentner in Frankreich knapsen
Paris - Brian Cave und seine Frau haben im Monat 1000 Pfund weniger zum Leben als noch vor einem halben Jahr, einfach so, weil die britische Währung an Wert verloren hat. Der Rentner redet von Pfund, weil er immer noch in Pfund rechnet, obwohl er schon seit elf Jahren in Frankreich lebt und dort bekanntlich in Euro gezahlt wird. Im Prinzip ist das aber egal. Denn 1000 Pfund entsprechen inzwischen fast 1000 Euro. Und genau das ist das Problem der Caves und all der anderen britischen Rentner - nicht nur in Frankreich, sondern im gesamten Euroraum. Ihre in Pfund ausgezahlten Renten sind wie ihre Ersparnisse wegen des Wertverlusts der britischen Währung geschmolzen wie Camembert in der Sonne.
"340 000 britische Rentner leiden auf dem Kontinent unter dem schwachen Pfund", hat Cave errechnet. "Die meisten leben in Spanien. Aber auch in Deutschland sind es 34 000." Fast so viele wie in Frankreich. Und zwar nur Rentner. Cave zählt die arbeitenden Briten, die aus Steuergründen ihren Wohnsitz auf die andere Seite des Kanals verlegt haben, nicht mit. Allein im Südwesten Frankreichs sollen sich 150 000 Briten eine Residenz zugelegt haben. In ganz Frankreich mag es ein Vielfaches dessen sein. Der Eurostar, der Zug unter dem Ärmelkanal, und Billigflieger machten das vermeintliche Paradies in der Sonne für sie so nah - und so billig, jedenfalls als das Pfund noch schwer wog.
Als die Caves sich ihr Haus 1998 mitten im Grünen in der Dordogne im Südwesten Frankreichs kauften, gab es zwar noch den Franc. Aber der Rentner hat den Wert des damaligen Franc natürlich längst in Euro umgerechnet und ist auf 1,61 Euro gekommen. "Danach stieg das Pfund sogar auf 1,71 Euro." Heute liegt der Wert bei 1,06 Euro. "Sogar im Supermarkt muss meine Frau jetzt jeden Groschen umdrehen", klagt Cave. "Und essen gehen wir auch kaum mehr." Er weiß, manche seiner Landsleute hat es wesentlich schlimmer getroffen. Zum Beispiel das Pärchen, dem er 1998 das Haus abkaufte. "Die sind fast pleite."
Auch Heinz Stolzenberg, 68, der Nachbar von Cave, muss knapsen. Ein Deutscher, wie der Name vermuten lässt. Er war 19, als er Deutschland in Richtung England verließ. Bald darauf fand er eine Stelle als Koch auf einem Passagierschiff. 45 Jahre zahlte er in die britische Rentenkasse ein. Heute leben seine Frau und er von 1100 Euro Rente. "15 Kubikmeter Holz habe ich in diesem Winter schon verheizt", erzählt er. So muss er nicht so viel für die Stromheizung zahlen. Auch den geplanten Autokauf haben die Stolzenbergs aufgeschoben.
Cave kennt viele solcher Geschichten, er muss sich nur im Dorf umhören. Zwar haben sich britische Rentner überall in Europa niedergelassen, aber nirgends sind es wohl so viele wie in der Dordogne. Das Dorf Eymet beispielsweise nennen viele spaßhaft Dordogneshire. Es gibt dort einen Cricket-Club, einen englischen Buchladen und Köstlichkeiten wie HP Sauce und John Smith's Bitter. "Die Dordogne ist wie das England unserer Kindheit", so Cave. Ein Stück heile Welt mit Pub und Kirchturm in der Mitte. Doch nun pfeift ein rauer Wind über die Traumlandschaft.
Immobilienmakler Max Germa aus dem benachbarten Montflaquin sagt, das Geschäft sei quasi zum Erliegen gekommen. Etliche Agenturen in der Dordogne mussten schließen, andere Personal entlassen. Manche Rentner würden gern wieder auf die Insel zurückkehren. Aber sie finden keinen Käufer für ihr Haus.
Cave hält die Situation für dramatisch. Deswegen hat er sich an die Politik gewandt und einen Brief an verschiedene Abgeordnete in London geschickt. Weil das nichts bewirkte, wurde er zu Weihnachten im Alter von 76 Jahren zum spät berufenen Blogger. Seine Tochter riet ihm, das Internet zu nutzen, dort die Notlage zu schildern und Leidensgenossen zu animieren, ebenfalls Briefe an die Regierung in London zu senden. "Nur gemeinsam können wir daheim Bewusstsein für unsere Nöte schaffen." Empfänger staatlicher Pensionen, wie er sie als ehemaliger Lehrer bezieht, dürften nicht zweimal besteuert werden, argumentiert er. Außerdem könne es nicht angehen, dass Pensionäre wie er einerseits den Heizkostenzuschuss nicht erhalten, der ihnen in England zustehe, andererseits aber die Kosten für eine Haushaltshilfe nicht teilweise von der Steuer absetzen können, wie es das französische Steuerrecht erlaube. "Nicht nur das schwache Pfund schadet uns, wir werden auch steuerlich benachteiligt." Seine Haushaltshilfe beschäftigt er inzwischen nicht mehr, weil ihm die Kosten zu hoch sind.
Nicht alle Reaktionen und Zuschriften, die der pensionierte Lehrer auf seinen Internet-Blog erhält, sind positiv. Aber Cave hat die Größe, sie zu veröffentlichen. Zum Beispiel wirft dort ein Franzose den britischen Hauskäufern vor, die Immobilienpreise derart in die Höhe getrieben zu haben, dass er, der Verfasser, es sich nicht mehr leisten kann, selber ein Eigenheim zu erwerben. Spricht man Cave darauf an, erwidert er, es habe ja auch die Verkäufer gegeben, fast ausschließlich Franzosen, die gut daran verdient hätten, als die Briten hohe Preise zahlten. Noch heute würden seine Landsleute in Landstrichen wie der Dordogne die Wirtschaft am Laufen halten. Es prallen hier zwei unterschiedliche Denkweisen aufeinander, eine englische und eine französische. Cave lässt beide gelten. Er gibt sich tolerant. Er hat viel mitgemacht. Geboren in der Zeit der Großen Depression. Die Firma seines Vaters ging damals pleite. Später bombardierten die Deutschen sein Elternhaus. Danach diente er dem Staat. Nun wolle er seinen Lebensabend in Würde verbringen, und zwar in der Dordogne.
Bei seinem Nachbarn Heinz Stolzenberg schwingt ein anderer Unterton mit: "Manchmal hat mich das Heimweh in den letzten Monaten schon überkommen. Wahrscheinlich liegt das am Alter", sagt er. Vielleicht auch an den Preisen. Der aus Trier stammende Pensionär war neulich nach längerer Zeit wieder in der alten Heimat gewesen und stellte fest, wie vergleichsweise günstig dort das Leben sein kann.
"Sogar im Supermarkt muss meine Frau jetzt jeden
Groschen umdrehen. Essen gehen wir auch kaum mehr."
Brian Cave und seine Frau haben im Monat 1000 Pfund weniger zum Leben als vor einem halben Jahr. Schuld ist die britische Währung, die kräftig an Wert verloren hat. Die Caves kauften sich 1998 ein Haus in der Dordogne im Südwesten Frankreichs. Damals stand das Pfund noch hoch im Kurs. Fotos: AFP, oh
Die Wochenschau
Schöngerechnet
Der Aktienmarkt ist nicht so günstig, wie es scheint
Große Krisen bieten große Kaufgelegenheiten, heißt es an der Börse. Seit den markanten Kursverlusten im Herbst mehren sich die Stimmen der Optimisten, die davon überzeugt sind, dass die Aktienkurse zu niedrig sind. Ein prominentes Mitglied ist Warren Buffett, der legendäre Chef von Berkshire Hathaway. "Kaufen!", riet er im Oktober, die Gelegenheit sei günstig.
Sollen Anleger jetzt tatsächlich wieder Unternehmenspapiere kaufen? Um das beurteilen zu können, hilft manchmal ein Blick auf Kennzahlen. Eine der wichtigsten ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), das besagt, in welchem Verhältnis der erwartete Gewinn zum Kurs einer Aktie steht. Je tiefer das KGV liegt, desto günstiger ist eine Aktie bewertet. Legt man dieses Maß zugrunde, scheinen die Märkte mittlerweile sehr attraktiv zu sein. Der Deutsche Aktienindex (Dax) etwa weist - gemessen an den für 2009 erwarteten Unternehmensgewinnen - ein KGV von 9,2 aus. Im historischen Vergleich sieht der Dax nach einem Schnäppchen aus. Er ist so günstig wie seit 25 Jahren nicht. Die niedrige Aktienmarktbewertung erweckt den Eindruck, dass die Rezession und der damit verbundene Druck auf die Unternehmensgewinne bereits ausreichend in den Gewinnprognosen und damit auch in den Aktienkursen vorweggenommen ist.
Doch das könnte ein großer Irrtum sein. Das Problem mit dem KGV ist, dass es nur die Relation zweier Zahlen ist. Im Zähler steht der Kurs, im Nenner der erwartete Gewinn. Niedrig wird das KGV also, wenn die Kurse sinken oder die Gewinnerwartungen steigen. Billig sehen die Aktien vor allem deshalb aus, weil die Kurse so dramatisch eingebrochen sind. Ob die Zahl tatsächlich aussagekräftig ist, hängt entscheidend von der Qualität der Gewinnprognosen ab. Auf die Auguren ist inmitten einer Finanz- und Wirtschaftskrise aber kein Verlass. Glaubt man den Erwartungen der Analysten, so dürften die Gewinne der 30 größten deutschen Unternehmen in diesem Jahr spürbar steigen - im Durchschnitt um neun Prozent. "Das halte ich für äußerst unwahrscheinlich", sagt Antje Laschewski, Aktienstrategin der Landesbank Baden-Württemberg.
Viel realistischer scheint ein dramatischen Rückgang der Gewinne - auch wenn in den Erwartungen der Analysten davon noch nichts zu sehen ist. In den beiden jüngsten Rezessionen brachen die Gewinne der Dax-Unternehmen um 40 und 50 Prozent ein, bislang wurde erst ein Rückgang um 20 Prozent verzeichnet - und dabei soll dieser Abschwung so heftig sein wie kein anderer in der Geschichte der Bundesrepublik. Angenommen, die Dax-Gewinne schrumpfen in diesem Jahr um 50 Prozent, dann würde sich das KGV auf 18,4 verdoppeln - ein Wucherpreis. Angesichts der wirtschaftlichen Lage scheint das nicht sonderlich vielversprechend. Denn selbst langfristig kann man mit Aktien nur ruhig schlafen, wenn man billig einkauft.
Die Analysten scheinen recht hohe Erwartungen hinsichtlich der Wirksamkeit der Konjunkturprogramme zu hegen. Dieser Optimismus dürfte angesichts der Heftigkeit und Tiefe des globalen Konjunkturabschwungs übertrieben sein. In den kommenden Tagen stehen die Unternehmensberichte für das vierte Quartal an und Ausblicke auf 2009. Beides wird ernüchternd sein: Selbst gesunde Konzerne, die bislang heil durch die Finanzkrise kamen, wurden Ende 2008 wohl von der Rezession infiziert. So solide Unternehmen wie BASF und Linde dämpften bereits die Erwartungen, erst Recht Siemens und BMW. Am tiefsten ist die Krise freilich bei den Banken. Sie reißt Löcher in die Bilanzen, die größer sind als jemals erwartet. Das strahlt auf andere Unternehmen ab: In vielen zyklischen Branchen gibt es Firmen, die Finanzierungsprobleme haben. Für sie geht es ums Überleben.
Dass die Aktionäre ihre Zukunft in Frage stellen, zeigen die extrem niedrigen KGVs von zwei, drei oder vier, die sämtliche Banken im Dax aufweisen und etliche Werte im MDax - von Arcandor über Continental bis Heidelberg-Cement. In einer konservativen Berechnung des Markt-KGV dürfte man sie gar nicht mehr berücksichtigen, so schlecht ist es um sie bestellt. Dann zeigte sich umso deutlicher: Der Aktienmarkt ist nicht so billig, wie er aussieht.
Anleger müssen sich also nicht beeilen, an der Börse einzusteigen. Im Bärenmarkt ist Geduld die goldene Regel. Wer Geld investieren will, bleibt besser vorsichtig, bis der nächste Bullenmarkt beginnt, vielleicht später in diesem Jahr. Das hängt von den Unternehmensgewinnen, dem Schicksal der Weltwirtschaft und dem Krankheitsverlauf des Finanzgewerbes ab. Foto: dpa
Wohin laufen die Aktienmärkte? Was bewegt die Währungen? Wer zahlt hohe Zinsen? Antworten gibt es immer montags in der neuen "Wochenschau".
Zwar keine Diva, aber doch mehr Mensch als Amöbe
Philippe Boesmans und Luc Bondy haben in Paris aus Witold Gombrowicz' "Yvonne, Prinzessin von Burgund" eine Oper gemacht
Yann Beuron sieht aus, als wäre Jean Cocteau wiedergekehrt, um noch einmal das Blut eines Dichters zu vergießen. Doch obwohl an diesem Abend im Pariser Palais Garnier ein perfide eingefädelter Mord abgewickelt wird, darf kein Tropfen Blut fließen. Und selbst wenn, dann wäre es nur eine stockend spärliche Flüssigkeit von grauer bis undefinierbarer Farbe und alles andere als ein Lebenselixier. Denn Yann Beuron gibt einen Hamlet der Moderne: perfekt gekleidet, von wundervollem Aussehen, aber von einer Rastlosigkeit und einer Melancholie geplagt, die ihm die Absurdität und Ödnis der Welt einflößen. Dieser Prinz würde gerne etwas kreieren, etwas Sinnvolles tun, Dichter werden, sich und sein Blut verschwenden, sich von seiner Lethargie befreien. Aber das einzige, was ihm in seiner prinzipiellen Opposition gegen das Dasein gelingt, ist genauso dumm und sinnlos wie alles, was sonst auf der Bühne geschieht, die wieder einmal vorgibt, die Welt zu sein.
Als Witold Gombrowicz in den dreißiger Jahren mit "Yvonne, Prinzessin von Burgund" sein erstes und berühmtestes Drama schrieb, das in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren zu einem Theaterschlager avancierte, da konnte man darüber staunen, wie die hässliche, maulfaule und society-untaugliche Yvonne in einer nicht näher definierten Hofgesellschaft für Furore sorgte. Doch weil jeder in ihr seine eigenen Defizite erkannte, musste die Frau weg, wurde kalt abserviert. Ein gewisser Schuss Gesellschaftskritik, ein Quentchen absurdes Theater, die Abwendung vom psychologischen Realismus, ein grandioses Formgefühl und eine schlicht von A bis Z erzählende, einfache Sprache mögen den Erfolg damals begründet haben. Heute aber wirkt der Text altbacken, allzu vordergründig eindimensional und etwas zu geheimnislos, als dass man einen großen Theaterabend davon erwarten könnte.
Vielleicht waren aber genau dies die Gründe, warum Komponist Philippe Boesmans, Jahrgang 1936, und sein Librettist und Regisseur Luc Bondy jetzt aus der "Yvonne" eine Oper gemacht haben. Weil sie der Ansicht sind, das nur die Musik diesem Text sein Geheimnis, seine Relevanz und seine Modernität zurückgeben kann. Gemessen am Schlussjubel im Palais Garnier ist das Projekt durchaus gelungen. Boesmans & Bondy haben mit dieser Produktion, die auch an die Brüsseler Monnaie-Oper und zu den Wiener Festwochen geht, eine Form von Musiktheater gefunden, die trotz ihrer lyrisch melancholischen Grundhaltung ein Stadttheaterpublikum zu faszinieren weiß.
Boesmans, dabei schon oft unterstützt von Bondy, bevorzugt Literaturopern. Er hat Shakespeares "Wintermärchen", Schnitzlers "Reigen" und Strindbergs "Fräulein Julie" vertont. Das sind handwerklich brillante Arbeiten. Aber mit der "Yvonne" ist ihm musikalisch mehr gelungen, hier begibt er sich auf jenes ins gebrochen Magische zielende Niveau, das er mit seinen "Trakl-Liedern" erreicht hat. Dass Boesmans' Ansatz Experimente, die Aufgabe des Narrativen und andere Errungenschaften der Moderne ausschließt, versteht sich von selbst. Doch auch wenn "Yvonne" zwar die traditionelle Theatererzählform wahrt, benutzt sie diese Form nur, um die mit allen dramatischen Konventionen brechende Titelheldin überhaupt szenisch einfangen zu können. Das verbindet Yvonne mit Hamlet und König Ubu.
Die Schauspielerin Dörte Lyssewski ist nun durchaus nicht hässlich, plump oder sonst wie unförmig. Sie spielt - sprechen darf sie nur wenige Worte - eine unabsichtlich ungelenke junge Frau, deren Antriebslosigkeit erstaunlich ist und die von dieser ihrer Disposition auch keinerlei Bewusstsein zu haben scheint. Lyssewski nutzt ihre meisterliche Körperbeherrschung, um einen ständig in sich zusammenschlaffenden Körper zu zeigen, mit wegrutschenden Beinen, einknickendem Rücken, ausleierndem Hals, verfließenden Armen - scheinbar mehr Mensch als Amöbe, aber durchaus nicht dumm, über die Maßen leidensfähig und als einzige überhaupt liebesfähig.
Nie ist man sich sicher, ob sich diese tapsige Gestalt im nächsten Moment nicht in eine Diva verwandelt. Selbst in der umtriebig aufgekratzten Karnevalstruppe, die Bondy als Hofgesellschaft auf die Bühne stellt, nimmt sich dieses verquer hampelnde Geschöpf in seinem schlichten Kleid seltsam aus. Anfangs sorgt Yvonnes Andersartigkeit für Abwechslung im übersaturierten Treiben. Bald wird sie zum Störfaktor, weil sich alle in ihr wiederzuerkennen und von ihr parodiert glauben.
Bondy gibt sich gar nicht erst die Mühe, seinen Karnevalsnarren große tragische Seelen einzuhauchen. Paul Gays König erinnert mit seinen Playboyallüren an Berlusconi; Mireille Delunschs Königin entdeckt, dass ihre Gedichte nur ihre eigene psychische Hässlichkeit dokumentieren; ein "Unschuldiger" (Guillaume Antoine) macht klar, wie wenig unschuldig Liebe sein muss, wenn sie Liebe sein will. Und Yann Beuron mit seinem betörend melancholischen Tenor bezeugt, dass Schönheit allein nur unglücklich macht. Tristesse des Mittelmaßes: Alle sind sie billige Menschenkopien, die allenfalls kleine, von anderen geborgte Gefühle ausstellen. Aber gerade dieses Kleine und Kleinliche ist es, das den Mord an Yvonne zuletzt als völlig logisch und natürlich erscheinen lässt.
Bondy hält sich vielleicht auch deshalb szenisch so stark zurück, weil er auf Boesmans' Musik vertraut. Die entpuppt sich als eigenwillig eigenständige Inszenierung des Textes, die unablässig davon spricht, was in den Menschen auf der Bühne vorgeht. Minimal die Mittel, klein die Besetzung mit dem Klangforum Wien, das Sylvain Cambreling zügig aufspielen lässt, immer um Klarheit und Klangfarbenfeuer besorgt. Boesmans schafft eine reizvolle Grundatmosphäre, die an die zwar leichte, doch lastende Statik in Debussys "Pelléas" erinnert und immer wieder zu jenen Glasmenagerien aufbricht, die an Richard Strauss' eingefrorene Sehnsuchtsmusiken erinnern.
In dieses sparsam konturierte Liniengeflecht, das sich nie zu Sturm, Pathos und Leidenschaft aufrafft und vokal geschmeidig geschwungene Phrasen zeigt, fügt Boesmans zitathaft wirkende Tonfragmente ein. Immer wieder erinnert eine Geste an ältere, meist romantische Musik. Aber was da aufscheint, ist verändertes, ausgedünntes, beschädigtes Stückwerk - Parodie. Das scheint eine Fortsetzung der Postmoderne, die aber nicht mehr ein "Alles ist möglich" anpreist, sondern eine psychische Gegebenheit kompositorisch einfängt: Dass der Mensch alles, was er erlebt, schlagartig mit ihm schon bekannten Phänomenen abgleicht. Der musikalische Sinn dieser Technik ist klar. Boesmans erinnert zwar immer wieder an die Tradition, aber nur um sie sofort zu verwerfen, um zu sagen, dass das, was da mit und durch Yvonne auf der Bühne passiert, in keine Tradition passt.
Das ist zwar kompositorisch reizvoll. Es kann aber nicht darüber
hinwegtäuschen, dass Boesmans keine grundsätzlich neue Musiksprache
schreibt, sondern virtuoser Weiterverwerter von bekannten Klängen ist. Aber
vielleicht kann traditionell gemachtes Musiktheater heute grundsätzlich
kein Versprechen auf Zukunft sein, sondern muss sich mit der - im Idealfall
brillanten - Anverwandlung von Vergangenheit zufrieden geben. Das aber
beschreibt das größte Problem heutiger Opernmacherei, der
einigermaßen massenkompatible Neuproduktionen meist nur dann gelingen,
wenn sie sich explizit mit der Vergangenheit einlassen und von einer wie auch
immer gearteten Zukunft gar nicht erst träumen.
Am Hof von Burgund Paul Gay als König und Dörte Lyssewski als Yvonne Foto: Ruth Walz / Opéra national de Paris
Nur im Kino dürfen Attentäter weich sein
Dror Zahavis Film über einen Palästinenser, der die Liebe dem Selbstmord-Anschlag vorzieht
Ist Israel das Land, in dem alle Märchen traurig sind? Dror Zahavis Film "Alles für meinen Vater" erzählt eine Geschichte voller Illusionen. Der junge Tarek ist Palästinenser aus Tulkarem, und als er nach Tel Aviv kommt, will er nicht die Stadt genießen oder den Strand und all das, was es in seinem ärmlichen Heimatdorf nicht gibt - er will dort sein Leben und möglichst viele andere beenden, als Selbstmordattentäter den Ruf seines Vaters restaurieren. Kein Stoff, aus dem Märchen gemacht sind, aber die Geschichte hebt ab und streckt sich gen Himmel - Tarek zögert, weil seine ahnungslose Mutter ihn auf dem Handy angerufen hat, und dann bittet er in einem Kiosk, die Toilette benutzen zu dürfen und verliebt sich in das Mädchen Keren, das dort arbeitet. Er will sich in die Luft sprengen, hat er vorher gesagt, weil er von Geburt an nicht mal Träume haben durfte. Nun hat er welche, und prompt gerät seine Welt aus den Fugen.
Sein Sohn ist tot, sagt Kerens Nachbar Katz, bei dem Tarek unterkommt, weil hier alle bekloppt sind. Der Regisseur Dror Zahavi stammt aus Tel Aviv und lebt in Deutschland, und man ahnt, warum - obwohl eine solche Sehnsucht nach dieser Stadt aus seinen erdwarmen Bildern spricht. Er erzählt von Tareks schrecklichem Trip in einem sehr flapsigen Ton und in Dialogen von bitterem Witz. In Kerens Nachbarschaft wohnt ein junger Kerl, der sich zum Ordnungshüter berufen fühlt und alle Araber aus dem Viertel fernzuhalten versucht, und als er auf Tarek losgeht, prügelt ihn sein Vater ins Haus und ätzt dabei: "Ich sag den Bullen, dass du dich als Polizist, und dem lieben Gott, dass du dich als Mensch ausgibst."
Nur bleibt einem das Lachen im Halse stecken; denn Zahavi hat das so inszeniert, dass man einen Augenblick lang vergisst: Tarek ist genau das, was der rassistische Möchtergerncop in ihm vermutet - ein bombenverkabelter Attentäter. So führt einen Zahavi immer wieder auf emotionales Glatteis - man weiß nicht so recht, mit wem man mitfühlen soll, aber genau so ist ja der ganze Palästinenserkonflikt: Er schafft nur Verlierer.
Nur im Kino wird einer, der so verknöchert ist, dass er sterben will, von
einer Sekunde zur anderen weich genug sein, sich zu verlieben. Am Ende gibt es
keinen Ort auf der Welt, wo die Fähigkeit zur versponnenen Träumerei
mehr gebraucht wird als hier und wo es einen größeren Bedarf gibt an
naiven Hoffnungen, selbst an solchen, die nicht in Erfüllung gehen.
SOF SHAVUA B'TEL AVIV, D/Israel 2008 - Regie: Dror Zahavi. Buch: Ido Dror, Jonatan Dror. Kamera: Carl-Friedrich Koschnick. Schnitt: Fritz Busse. Musik: Misha Segal. Mit: Shredy Jabarin, Hili Yalon, Shlomo Vishinsky, Rosina Kambus, Jony Arbid, Shadi Fahr-Al-Din, Oren Yadger, Dina Golan, Michael Moshonov. Kinowelt, 96 Minuten. (In München läuft der Film auch im Rahmen der Reihe "BlickWechsel - Palästina/Israel Filmwoche", die bis zum 31. Januar im Gasteig stattfindet.)
Zehn Minuten Gaza
Theaterstück zu Nahost in London
Der Leiter des Londoner Royal Court Theatre Dominic Cooke hat angekündigt, dass er vom 6. Februar an ein neues Stück von Caryl Churchill in den Spielplan nehmen wird, welches sich mit dem jüngsten Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern befasst. Damit bestätigt das Haus am Sloane Square erneut seinen Ruf, rascher als jedes andere britische Theater tagespolitisch relevante Werke auf die Bühne zu bringen.
Die 70-jährige Churchill, die als bedeutendste lebende englische
Dramatikerin gilt, verfasste "Seven Jewish Children - A Play for
Gaza" vor zwei Wochen. Israel habe "in der Vergangenheit viele
schreckliche Dinge getan", so Churchill, aber was nun in Gaza geschehen
sei, erscheine ihr "besonders extrem". Diese Woche beginnen die Proben
unter Dominic Cookes Regie. Die Karten für das Zehn-Minuten-Stück
werden gratis sein.
Alte Schule
Eysoldt-Ring für Brandauer
Der Schauspieler Klaus Maria Brandauer wird mit dem Eysoldt-Ring 2008 ausgezeichnet. Er erhält den mit 10 000 Euro dotierten Theaterpreis für seine Rolle des Dorfrichters Adam in Kleists "Der zerbrochne Krug" in der Regie von Peter Stein am Berliner Ensemble. Das teilte die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste im hessischen Bensheim mit. Die Jury um Peter Iden würdigte Brandauer als "Schauspieler der alten Schule", der über "technisches Vermögen, Virtuosität und Kreativität" verfüge, wie sie nur selten zu finden seien. Der mit 5000 Euro ausgestattete Preis für junge Regisseure geht an den 1977 geborenen Maik Priebe für seine Inszenierung von John Osbornes "Blick zurück im Zorn" am Staatstheater Kassel. dpa
Himmlische Ehren
Sundance-Erfolg für Hirschbiegel
Der Film "Push" von Lee Daniels gewann beim Sundance Filmfestival in
Park City, Utah, das am Sonntag zu Ende ging, drei der wichtigsten Preise. Der
deutsche Filmemacher Oliver Hirschbiegel ("Der Untergang") erhielt den
Regiepreis für das Nordirland-Drama "Five Minutes of Heaven", das
für England antrat. Deutscher Wettbewerbsbeitrag war Oskar Roehlers
"Lulu und Jimi".
Wo das Lachen Methode hat
Der satirische Zeichner und Stifter von Spielzeugmuseen Ivan Steiger wird 70 Jahre alt
Kleine Dramen, schreckliche Wunder, komische Unfälle: ein Mann, der im Wasser unterzugehen droht, umklammert ein fettes Paragraphenzeichen, das wie ein Rettungsring im Wasser schwimmt; ein anderer rast über ein Gymnastiklaufband und treibt dabei die Weltkugel wie einen Trainingsball vor sich her. Oder der kleine Fisch aus der Serie der Fisch-Zeichnungen - er schwimmt einem großen, aus tausend kleinen Fischen schuppenartig zusammengesetzten Monsterfisch direkt ins Maul; Fressen und Gefressenwerden - hier wirds auf bildtechnisch schlichteste Art zum Ereignis.
Ivan Steiger hat, seit er 1961 erstmals eine Zeichnung in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht hat, Tausende solcher elementar verkürzter, kritisch verspielter, poetisch vertrackter Zeichnungen verfertigt. In der FAZ war er seit 1972 im Politikteil mit seinen minimalistischen Szenenandeutungen, seinen philosophischen Etüden, seinen zeichnerischen Versuchsanordnungen sogar jahrelang fast täglich gegenwärtig.
Ein paar hundert dieser stets wortlosen und doch sprechenden Zeichnungen sind in einem graphisch schön gestalteten, von Eduard Beaucamp eingeleiteten Bildband vereint, der seit seinem Erscheinen von Cartoonisten fleißig geplündert worden sein dürfte (Ivan Steiger: Das Beste aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Prestel Verlag München 2007). Denn die Vielfalt an szenischen Varianten, die Steiger einem einmal gefundenen Motiv abgewinnt, muss zwangsläufig Neid erwecken.
Eines dieser poetisch wuchernden Motive aus Steigers Bildwelt ist die von der Sprechblase des Comic abgeleitete Denkblase, mit der die gezeichneten Figuren sich Wünsche erfüllen und die Welt verändern. Jedenfalls ist das Phänomen Durst, das bildlich ja kaum darstellbar ist, selten schöner versinnlicht worden als in der hier abgebildeten Zeichnung aus der FAZ, die so zum Trinken anregt, dass ein SZ-Redakteur im künstlich beatmeten Hochhaus unmittelbar zum rettenden Wasserhahn rennen muss.
Wer auch nur einige der wunderbar linear geführten Zeichentrick- oder der drastisch komischen Puppenspielfilme aus Tschechien gesehen hat, der kennt den Boden, dem auch Ivan Steigers zeichnerische Arbeiten und seine Leidenschaft für Spielzeug aller Art entstammen. Steiger, 1939 in Prag geboren, hat von 1958 an als Schüler der dortigen Filmhochschule all die Meister des Komischen und der unerhörten Leichtigkeit kennengelernt, die Tschechien berühmt gemacht haben. Mit seinen satirischen Zeichnungen und seinen Film- und Buchdokumentationen über die Kultur des Spielzeugs sollte er, als er in den siebziger Jahren seinen Zweitwohnsitz in München nahm, dann selber einer der bewunderten Vermittler humoristisch-satirischer Ausdrucksformen werden.
Mit den Spielzeug-Museen in München und Prag jedenfalls hat er sich und der Spielkultur, der er entstammt, schöne Denkmäler gesetzt. Wir wünschen ihm zum heutigen 70. all die wunderbaren Dinge, die er sich in seinen Denkblasen erdacht hat. GOTTFRIED KNAPP
Wie alle Zeichnungen Steigers ist auch diese ohne Titel und Text Abb.: Prestel
Beckmann
ARD, 22.45 Uhr. Am 25. Januar 1999 ging die Talkshow auf Sendung - seit zehn Jahren nimmt Reinhold Beckmann seine Gäste ins Gebet. Oft mit Erfolg: Für sein Enthüllungsgespräch mit dem früheren Radprofi Bert Dietz bekam der Moderator 2007 den Deutschen Fernsehpreis. Zum Jubiläum kommt unter anderen Guido Westerwelle (FDP). Foto: NDR
Porzellanindustrie in der Krise: Die Traditionsmarke Rosenthal kämpft ums Überleben
Die Suche nach der Zukunft
Billig-Angebote aus dem Osten und ein Geschmackswandel der Kundschaft machen den deutschen Herstellern zu schaffen
Selb - Vielleicht wäre alles gut geworden, wenn Stefan Schörghuber nicht gestorben wäre. Der Milliardär aus München hatte zeitlebens ein Faible für die Marke Rosenthal. Und kränkelnde Firmen flottzumachen, empfand Schörghuber als Herausforderung. Bis zu seinem Tod am 25. November vorigen Jahres verhandelte der Unternehmer nach Informationen der Süddeutschen Zeitung über eine Übernahme der ebenso berühmten wie defizitären Porzellanfirma aus dem oberfränkischen Selb, in deren Aufsichtsrat er früher sogar einmal saß. Es heißt, die Verhandlungen seien bereits sehr konkret gewesen. Mit Schörghubers Tod brachen sie ab.
Und Rosenthal meldete vor gut zwei Wochen Insolvenz an. Dass diese glamouröse Marke, Inbegriff für Noblesse bei Tisch, ums nackte Überleben kämpft, macht die gesamte Porzellanbranche nervös. "Negative Nachrichten über einen solchen Leuchtturm sind für keinen gut", sagt Peter Frischholz, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Keramischen Industrie (VKI). Für Hartmuth Baumann von der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) ist Rosenthal "ein Kernunternehmen und ein ganz wichtiges Symbol für die gesamte Branche". Sollte eine Rettung misslingen, drohe ein Sog, der andere Porzellanfirmen mit sich reißen könnte.
Als hätte man es nicht schon schwer genug. Seit 20 Jahren steckt die Porzellanindustrie in einem tiefgreifenden Umbruch. Kaum war der Eiserne Vorhang gefallen, setzte ihr eine Flut von Billigporzellan aus Osteuropa zu. Als dann auch noch Handelsschranken fielen, kam chinesisches Billigporzellan hinzu. "Plötzlich waren Überkapazitäten ohne Ende am Markt, und dementsprechend verfielen dann die Preise", sagt VKI-Hauptgeschäftsführer Frischholz. Doch das waren nicht die einzigen Gründe, weshalb in der Folgezeit eine ehedem stolze Porzellanmarke nach der anderen ins Trudeln geriet oder gar unterging.
Auch die Tischkultur veränderte sich gravierend. Die Deutschen geben immer weniger Geld für Geschirr und Tischdekoration aus. Ihr Lebensstil hat sich grundlegend verändert. Eine Aussteuer junger Frauen, zu deren Grundausstattung edles Porzellan gehört, gibt es nicht mehr. Porzellangeschirr wird nicht mehr über Generationen vererbt und ist vor allem für jüngere Menschen kein Symbol mehr für Lebensstil. Zuletzt musste dies die oberfränkische Firma Goebel schmerzhaft erleben. Sie produzierte jene kunstvollen Hummelfiguren, die jahrzehntelang das Herz von Sammlern höher schlagen ließen. Junge Leute empfinden sie als teuren Kitsch. 2008 gab Goebel auf.
Dabei schien sich die Porzellanbranche zuletzt einigermaßen stabilisiert zu haben, wenn auch auf einem - gemessen an den sechziger und siebziger Jahren - sehr niedrigen Niveau. 6200 Menschen arbeiten hierzulande in Porzellanfirmen, im Jahr 2000 waren es noch 10 000. Nach neun Jahren Schrumpfung verzeichneten die Hersteller 2007 wieder einen winzigen Absatzzuwachs um 0,5 Prozent. Der Umsatz legte um 6,7 Prozent zu, dank starker Auslandsgeschäfte. Der Exportanteil liegt bei fast 54 Prozent. Auch 2008 liefen die Geschäfte ordentlich, aber nur mehr in Deutschland. "Vor allem in den Ländern, die von der Finanzkrise besonders gebeutelt sind, brach der Umsatz zweistellig ein", sagt VKI-Experte Frischholz. Man fiel wieder hinter den Zuwachs des Jahres 2007 zurück. Doch die Krise trifft nicht alle Hersteller gleichermaßen. "Verlierer waren oder sind vor allem die Firmen, die in günstigen Preissegmenten, im Discountgeschäft oder im Mengengeschäft unterwegs sind", sagt Peter Frischholz.
Hingegen würden "vor allem jene am Markt bestehen, die auch in schwierigen Jahren ihre Marken gepflegt und klar definiert haben." Dazu gehört die BHS tabletop AG (1300 Mitarbeiter, 90 Millionen Euro Umsatz). Die Abkürzung steht für Bauscher, Hutschenreuther, Schönwald, wobei man Hutschenreuther bereits vor Jahren wieder verkauft hat und die Marke heute zu Rosenthal gehört. BHS konzentriert sich weitgehend auf das Geschäft mit Hotels, Kantinen, Krankenhäusern und anderen Großabnehmern. Nach eigenem Bekunden ist man "Weltmarktführer für Profi-Porzellan." Zur Kundschaft gehören unter anderem feinste Hotels, darunter das Burj Al Arab in Dubai. Die BHS tabletop AG verkauft jährlich Millionen von Tassen und Tellern. Sie hat einen Weltmarktanteil von rund zehn Prozent und scheint ihren Platz auf dem Markt gefunden zu haben.
Rosenthal sucht noch. Vorstandschef Ottmar C. Küsel ist übrigens Chef des VKI. Dessen Hauptgeschäftsführer Frischholz sagt, es sei trotz der Insolvenz überflüssig, das Überleben von Rosenthal in Frage zu stellen. "Das ist eine Marke, die so stark ist und soviel Potential in sich birgt, dass ich vom Überleben absolut überzeugt bin." Und wenn nicht? Dann, sagt Peter Frischholz, wäre dies sehr schlimm, jedoch "nicht gleichbedeutend für das endgültige Aus der deutschen Porzellanindustrie."
Das Stapelgeschirr war ein Klassiker des Porzellanherstellers Rosenthal, der Insolvenz anmelden musste. Gerade in den großen Kantinen ist hierzulande mittlerweile oft nur noch Billigware aus dem Ausland zu finden. Patrick von Faber Castell, im Bild mit Ehefrau Mariella Ahrens, hat Interesse an Rosenthal angemeldet. Fotos: Phoenix/SWR, ddp
Wie Du mir, so ich Dir
Die USA erhöhen die Zölle für den Roquefort-Käse, weil die EU deren Hormon-Rindfleisch nicht will
Paris - Als ob die Welt im Moment keine größeren Probleme hätte, sieht es ganz so aus, als müsste sich der neue US-Präsident Barack Obama zu Beginn seiner Amtszeit dem scharfwürzigen Roquefort-Käse widmen. Die Regierung seines Vorgängers George W. Bush hatte Mitte Januar eine Verdreifachung des Zolls für den Schafsmilchkäse aus Frankreich beschlossen - als eine ihrer letzten Amtshandlungen und als Reaktion auf die ausbleibende Lockerung des EU-Importverbots für "Hormon-Rindfleisch" und "Chlor-Hühnchen" aus den USA. Frankreich stiftete daraufhin die EU dazu an, in der Causa Roquefort vor die Welthandelsorganisation (WTO) zu ziehen.
Ein langwieriger Handelskonflikt steht nun bevor. Sein gegenwärtiger Wortführer auf europapolitischer Ebene ist der französische Landwirtschaftsminister Michel Barnier, der demnächst zwar aus der Regierung ausscheidet, aber für das EU-Parlament kandidieren will und daher Stimmen braucht. Er gibt vor, einerseits die Gesundheit der Europäer vor hormonbehandeltem US-Fleisch schützen zu wollen. Aber natürlich geht es ihm auch um die Roquefort-Produzenten und die Bauernschaft im eigenen Land. Barnier will in dem Konflikt kein bisschen nachgeben.
Die USA sind hinter Spanien und Deutschland die drittgrößte Importnation für den häufig als Blauschimmelkäse verkannten Grünschimmelkäse. Tatsächlich verzehren die Amerikaner aber nur zwei Prozent der Gesamtproduktion. Den allermeisten Roquefort essen die Franzosen selbst. Die in die USA exportierte Menge (420 Tonnen) halbierte sich sogar binnen eines Jahrzehnts. Denn schon heute kostet er dort etwa doppelt so viel wie in Europa. Der Grund: Bereits vor zehn Jahren verhängten die USA für mehrere europäische Produkte einen Strafzoll von 100 Prozent, darunter den Roquefort, schon damals wegen des EU-Importverbots von hormonbehandeltem Fleisch. Verdreifacht sich der Roquefort-Preis nun, so fürchtet der Vorsitzende des Verbandes der Roquefort-Hersteller, Robert Glandières, dann verschwinde der Käse ganz aus den USA. "Für uns ist das de facto ein Embargo", sagt er. Auch der Direktor der Roquefort-Gesellschaft, Thierry Zurcher, meint: "Kein Mensch wird ein Kilo Käse für 100 Dollar kaufen. Wir werden uns aus den USA zurückziehen müssen." Und so sechs Millionen Euro Umsatz verlieren.
Auf amerikanischer Seite führt man an, es sei nun an den Europäern, aktiv zu werden. Die Welthandelsorganisation hatte den USA vor zehn Jahren erlaubt, Strafzölle auf EU-Importgüter zu erheben, weil die EU nicht belegen konnte, dass das US-Fleisch krebserregend ist. Bis heute. Aus Protest demolierten damals aufgebrachte Demonstranten die Baustelle einer McDonald's-Filiale im südfranzösischen Millau, in der Nähe des Ortes Roquefort. Zu der Aktion hatte der Bauernführer und Globalisierungskritiker José Bové aufgerufen, wodurch er über die Landesgrenzen hinaus bekannt wurde.
Auch im neu aufgeflammten Handelsstreit spielt er eine herausragende Rolle: Er übergab dem US-Botschafter in Paris sieben Kilogramm Roquefort-Käse mit der Bitte, diesen Obama auszuhändigen. Bové meint, die USA hätten gezielt das Traditionsprodukt Roquefort-Käse als "Geisel" genommen, um den Verkauf ihres Rindfleisches in Europa erzwingen zu können. Der Abgeordnete Philippe Folliot aus der Roquefort-Region fordert gar eine EU-Sondersteuer auf Coca-Cola, als Revanche. "Symbol gegen Symbol", sagt er. Und die Schafsmilchhersteller wollen den zehnten Jahrestag der McDonald's-Aktion gebührend feiern. So erleben die leicht reizbaren, aber populären Agrarrebellen Frankreichs dank der letzten Amtshandlung der Bush-Regierung eine Wiederauferstehung. Dabei kommt der allergrößte Teil des Roqueforts längst aus genau jener standardisierten Industrieproduktion, welche die Bauernführer vorgeben zu bekämpfen.
Bauernführer José Bové (Mitte) hat vorige Woche vor der US-Botschaft in Paris gegen die hohen Zölle für den Roquefort-Käse protestiert. Foto: AFP
Zeitlose Präsenz
Modernes Geschirr wirkte stilprägend wie kaum etwas anderes
Die Moderne war besessen von der eigenen Heilslehre. Flache Dächer, weiße Wände und sprossenlose Fenster waren im 20. Jahrhundert zwar zu keiner Zeit jedermanns Sache - aber die Apologeten des Neuen Bauens träumten gerade deshalb davon, ihre Formvorstellungen vor allem auch im Alltag zu verankern. Den Modernisten ging es nicht allein um eine neue Ästhetik, sondern auch um einen gesellschaftlichen Aufbruch. Befreit von aller Tradition, wollte man "bei Null anfangen". Alles auf Anfang: Das gehörte zum Credo der Moderne im 20. Jahrhundert. Um das zu illustrieren und zu begründen, wurden aufsehenerregende Bauwerke entworfen, die ganz der Gegenwart und Zukunft verpflichtet sein sollten. Dazu spektakuläre Möbel und eine Menge Theorie.
Aber nichts davon war jemals so massenwirksam wie der Hausrat. Das Geschirr etwa von Rosenthal, beispielsweise die seit 1954 in der Nachkriegsmoderne weit verbreitete Kollektion "Form 2000", dürfte vermutlich populärer sein und selbstverständlicher in den Alltag gefunden haben als viele andere Moderne-Bemühungen. Wenn der bekannte Satz, wonach man ist, was man isst, stimmt: Dann wird das Bewusstsein nicht nur vom Essen, sondern auch von der Esskultur bestimmt. Rosenthal, eines der Unternehmen, die sich in Deutschland mit der Moderne-Ästhetik zum Nutzen ihrer Produkte auseinander gesetzt haben, war womöglich einflussreicher als so manche Gropius-Theorie.
Deshalb ist es umso interessanter, dass sich der Bauhaus-Begründer, der Architekt Walter Gropius (1883 - 1969), so schwer tat mit dem Werben von Rosenthal. Gropius, schon an die 80 Jahre alt und einer der berühmtesten Architekten der Welt, sollte für die legendäre "Rosenthal Studio Linie" gewonnen werden. Er ließ sich sehr lange bitten. Diese Serie, für die Designer wie Bjørn Wiinblad, Tapio Wirkkala, Raymond Loewy, Hans Roericht und Künstler wie Victor Vasarely oder Henry Moore seit den sechziger Jahren als Gestalter gewonnen werden konnten, gab dem ausgeprägt klassischen Design-Verständnis von Philip Rosenthal einen angemessenen und zunächst sehr erfolgreichen Rahmen.
Der Firma gelang es auf diesem Weg, das großbürgerliche Markenimage vom feinen Porzellan für die gute Stube ohne Qualitätsverlust zu dynamisieren. Anders etwa als dem britischen Wedgwood-Porzellan (zuletzt als britisch-irische Gruppe Waterford Wedgwood mehrheitlich an Rosenthal beteiligt), gelang der Firma in Selb die Symbiose von bürgerlichen Idealen und solchen der Avantgarde nahezu bruchlos. Das Design spielte hierbei eine entscheidende Rolle. Das Gropius-Teegeschirr für Rosenthal ("TAC 1") oder das Kaffeeservice "TAC 2" sind auch heute noch, 40 Jahre nach ihrer Entwicklung, von zeitloser, formal eigenständiger Präsenz. Und die Produkte der "Form 2000", die im Lauf der Jahre in mehr als 300 Dekoren produziert wurden, zählen bis heute in ihrer Klassizität und zugleich in ihrer radikalen, expressiv-modernen Formsprache zu den Höhepunkten deutscher Stilgeschichte. Gerhard Matzig
Faber-Castell muss warten
Insolvenzverwalter verhandelt angeblich mit italienischem Unternehmen
Selb - Patrick von Faber-Castell ist verschnupft. "Schade und skurril" findet es der Neffe des bekannten Bleistift-Grafen Anton-Wolfgang von Faber-Castell, wie mit ihm seitens der Rosenthal AG und ihres Insolvenzverwalters umgesprungen wird. Mit einer vom Schreibgeräteunternehmen unabhängigen Investorengruppe möchte Patrick von Faber-Castell den angeschlagenen Porzellanhersteller übernehmen. Unmittelbar nachdem dieser vor gut zwei Wochen Insolvenz anmeldete, hatte er bei Rosenthal sowie beim vorläufigen Insolvenzverwalter Volker Böhm sein Interesse angemeldet. "Die Rückmeldungen klangen sehr positiv, aber seitdem habe ich nichts mehr gehört", wundert sich Faber-Castell. Auf Nachfragen sei er ständig vertröstet worden. Ein konkretes Gespräch habe es bis heute nicht gegeben. "Es ist ärgerlich, dass Rosenthal sich so komplett verschlossen hat und man nicht einmal eine Absage bekommt", sagt Faber-Castell.
Insolvenzverwalter Böhm wiegelt ab und sagt, es gebe viele Interessenten für das weltberühmte Markenunternehmen und ständig würden sich neue melden. "Wir müssen aber erst einmal bei Rosenthal die Strukturen schaffen, um vernünftige Gespräche zu führen", sagt er. Eine Aussage, die verwundert. Schließlich bestätigt Böhm andererseits, dass seit Wochen bereits sehr intensiv und konkret mit einem möglichen Übernehmer verhandelt werde und diese Gespräche weit gediehen seien. Dem Vernehmen nach ist es die italienische Firma Sambonet Paderno Industria, die bislang hochwertige Töpfe, Schüsseln und Besteck aus Edelstahl fabriziert. Ob sie den Zuschlag erhält oder andere Interessenten wie Faber-Castell zum Zuge kommen, ist offen.
Die anfänglichen Hoffnungen vor allem von Rosenthal-Vorstandschef Ottmar C. Küsel auf einen schnellen Verkauf von Rosenthal scheinen sich nicht zu erfüllen. Dass auch die irische Muttergesellschaft Waterford Wedgwood pleite ist, kompliziert die Lage. Es gilt, deutsches und irisches Insolvenzrecht in Einklang zu bringen. Völlig unklar ist, was passiert, wenn ein etwaiger Übernehmer von Waterford Wedgwood auch die Tochter Rosenthal übernehmen möchte.
In dieser schwierigen Phase will der Freistaat Bayern das Unternehmen abstützen. Diese Woche trifft sich im Wirtschaftsministerium eine Runde aus Experten des Hauses, dem vorläufigen Insolvenzverwalter Böhm, Vorstandschef Küsel, sowie Bankvertretern. Der Wirtschaftsausschuss des Landtages hat die Staatsregierung einstimmig dazu aufgefordert, alles zu tun, um Rosenthal vor dem Ruin zu retten. Von den etwa 1500 Arbeitsplätzen bei Rosenthal sind 1300 in Deutschland angesiedelt, die meisten am Firmensitz in Selb und einem Werk in Speichersdorf bei Bayreuth.
KORREKTUREN
In "Der Duft des Vertrauens" (21. Januar, S. 5) hieß es, dass Obamas Vater aus dem westafrikanischen Kenia stamme. Tatsächlich liegt das Land in Ostafrika.
Städtetag beklagt sich über die Länder
München - Im Streit um die Verwendung der Mittel aus dem Konjunkturpaket hat sich der Deutsche Städtetag scharf gegen Versuche der Länder ausgesprochen, einen großen Teil des Geldes für sich zu behalten. "Das ist verwerflich und gegen alle Absprachen", sagte Hauptgeschäftsführer Stephan Articus der Süddeutschen Zeitung: "Der Föderalismus zeigt sich hier von seiner schlechtesten Seite." Vorstellungen, bis zu 50 Prozent des Geldes in die Länderkassen fließen zu lassen, seien abwegig. "Dann verliert das ganze Konjunkturpaket seinen Sinn."
Das Anfang des Jahres vereinbarte Paket in Höhe von 13,3 Milliarden Euro sieht eigentlich vor, dass gut zehn Milliarden direkt an die Kommunen für Investitionen in die öffentliche Infrastruktur fließen. Für die Verteilung des Geldes sind die Länder zuständig. Articus zufolge liegt der "Löwenanteil öffentlicher Investitionen mit bis zu 70 Prozent ohnehin bei den Kommunen", auch sei aus Geldmangel der Stau an öffentlichen Aufträgen in den Städten besonders hoch. Deshalb müsse das Konjunkturpaket hier ansetzen, um Wirkung zu entfalten.
Der Städtetag kündigte Konsequenzen aus dem Verteilungsstreit mit den Ländern an und verlangt eine Verfassungsänderung. Auf der Hauptversammlung im Mai wolle sich die Vertretung der großen Städte dafür einsetzen, "die Kommunen aus der Bevormundung durch die Länder zu befreien". Nötig seien durch eine Neufassung des Artikels 84 wieder direkte Durchgriffsrechte vom Bund zu den Kommunen ohne Einschaltung der Länder. Dies war im Zuge der Föderalismusreform abgeschafft worden. Zudem müssten die Kommunen während des Gesetzgebungsvorgangs grundsätzlich zu den finanziellen Folgen von Vorhaben konsultiert werden, die sie nachher bezahlen müssten. Eine Änderung des Artikels 28 zur kommunalen Selbstverwaltung sollte ein verbindliches Anhörungsrecht festschreiben, fordert Articus.
Am Dienstag legt der Städtetag den Gemeindefinanzbericht 2008 vor, der
keine erfreuliche Entwicklung darstellt. Zwar sind im vorigen Jahr die Einnahmen
vor allem aus der Gewerbesteuer trotz Finanzkrise nochmals gestiegen, was vor
allem an den in der Wirtschaft üblichen Vorauszahlungen liegt. 2009
erwartet der Verband stark spürbare Rückgänge bei den Einnahmen
und einen dramatischen Anstieg der Sozialausgaben. Der Bericht zeigt, dass die
Schere zwischen armen und reichen Kommunen immer weiter aufgeht. Articus
befürchtet: "Noch ist die Armut in den schwachen Städten
verborgen, aber das wird nicht so bleiben." (Seite 4)
Heftige Strategie-Debatte in der CDU
Regierungschefs Oettinger und Müller in Sorge um eigenständiges Profil der Union
Berlin/Düsseldorf - Die CDU debattiert nach dem schwachen Abschneiden bei der hessischen Landtagswahl weiter über ihre politische Selbstdarstellung. Der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger äußerte die Erwartung, "dass die Union in der großen Koalition keinerlei Entscheidungen mehr trifft, die in der Stammwählerschaft von CDU und CSU zu Irritationen führen." Im Hamburger Abendblatt kündigte er an, Baden-Württemberg werde den jüngsten Beschlüssen zur Ausweitung von Mindestlöhnen im Bundesrat "mit Sicherheit nicht zustimmen".
Saarlands Regierungschef Peter Müller kritisierte, der Union sei es "nicht ausreichend gelungen", in der großen Koalition eigene Positionen deutlich zu machen. Zwar sagte Müller einerseits, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe ihre Aufgabe als Parteivorsitzende der CDU "keinesfalls" vernachlässigt. Dennoch plädierte er für eine Aufgabenteilung, in der Merkel für das Regierungshandeln zuständig sei und die CDU-Ministerpräsidenten für die programmatische Profilierung der Partei. Während Oettinger und Müller sich zurückhaltend über die Möglichkeit weiterer Steuersenkungen nach der Bundestagswahl äußerten, forderte CSU-Chef Horst Seehofer weitere Entlastungen und entsprechende Festlegungen im Wahlprogramm.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) verteidigte seine Idee zur möglichen Staatsbeteiligung an Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. "Wer die Banken rettet, muss auch was für die Menschen tun", sagte der Landesvorsitzende beim Neujahrsempfang der NRW-CDU in Düsseldorf. Die Kritik an seiner Idee, die auch in der CDU heftig umstritten ist und von Gegnern als "Verstaatlichung" verhöhnt wird, bezeichnete Rüttgers "als den größten Unsinn, den ich je gehört habe. Und das von Leuten, die meinen, sie hätten Ahnung von Wirtschaft." Zugleich ermahnte Rüttgers, der in Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit der FDP regiert, die Liberalen zur Mäßigung. Mancher in der FDP könne "nach der Hessen-Wahl vor Kraft kaum laufen". Die Liberalen sollten nicht vergessen, dass sie im Bundesrat "keine Gestaltungs-, sondern nur eine Verhinderungsmöglichkeit" besäßen. Etwas bewirken könnten sie nur mit der CDU.
Die Kanzlerin solle regieren, die Ministerpräsidenten der Union die Partei formen, schlägt Saarlands Regierungschef Peter Müller vor. Foto: ddp
"Bewusste Denunziation"
Linkspartei weist Vorwurf von SPD-Chef Müntefering zurück, sie verfolge eine "nationale soziale Politik"
Berlin - Die Linke hat Kritik des SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering, sie verfolge eine "nationale soziale Politik", scharf zurückgewiesen. Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch hielt Müntefering vor, er wolle die Linke mit einer Assoziation zum Begriff nationalsozialistisch "bewusst denunzieren". Der SPD-Chef ziele darauf ab, "uns in eine Ecke zu stellen, mit der wir und unsere Politik nichts, aber auch wirklich gar nichts zu tun haben", sagte Bartsch am Sonntag der Süddeutschen Zeitung. Er werte dies als Zeichen der hohen Nervosität in der SPD, rate den Sozialdemokraten aber, "im Wahlkampf auf solche unfairen Mittel zu verzichten".
Der SPD-Vorsitzende hatte die Linke zuvor als "ökonomisch ignorant" und "sozial romantisch" bezeichnet. "Sie ist ablehnend Europa gegenüber und stellt alle Bundeswehrsoldaten, die wir in die Welt entsenden, als aggressive Krieger dar", sagte der SPD-Chef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. "Kurzum: Die Linkspartei vertritt auf Bundesebene eine nationale soziale Politik."Bartsch wies den Vorwurf auch als inhaltlich unbegründet und irreführend zurück. So fordere die Linke zum Beispiel die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes: "Natürlich ist das eine nationale Entscheidung, genauso wie es eine nationale Entscheidung der großen Koalition war, eine unsoziale Gesundheitsreform zu machen."
Müntefering hatte den Begriff einer nationalen sozialen Politik mit Blick auf die Linkspartei bereits im November 2008 benutzt, kurz nach seiner Wiederwahl zum SPD-Vorsitzenden, in einem Interview mit der Neuen Gesellschaft/Frankfurter Hefte. Damals hielt er Teilen der Linken unter anderem vor, sie verstünden nicht, "oder wollen nicht verstehen, dass Ökonomie und Ökologie und Soziales Dinge sind, die zusammengehören. Weil sie im Grunde eine nationale soziale Politik machen wollen und nicht akzeptieren, dass die Globalisierung die Bedingungen für nationales Handeln grundlegend verändert hat".
In seinem jüngsten Interview sagte Müntefering, die Positionen der Linkspartei machten es der SPD unmöglich, auf Bundesebene mit ihr zusammenzuarbeiten. Auf Landesebene schloss Müntefering Koalitionen mit der Linken indes erneut nicht aus: "Wenn auf Länderebene eine vernünftige Zusammenarbeit klar vereinbart wird zu unseren Bedingungen, ist das in Ordnung", sagte der SPD-Vorsitzende, ohne diese Bedingungen allerdings auszuführen. Vor allem in Thüringen und im Saarland, wo noch vor der Bundestagswahl neue Landtage gewählt werden, könnte es zu Ergebnissen kommen, mit denen rot-rote Koalitionen möglich wären.
Den Versuch der inzwischen zurückgetretenen hessischen Landesvorsitzenden Andrea Ypsilanti, eine rot-grüne Minderheitsregierung mit Duldung der Linken zu bilden, missbilligte Müntefering allerdings unter Verweis auf gegenteilige Versprechen vor der Wahl: "Den Bruch eines Versprechens, diesen Schaden für die Glaubwürdigkeit von Politik, bekommt man nicht mehr weg. Man kann ihn nur noch begrenzen", sagte der Parteichef. Bartsch wiederum nannte Münteferings Haltung, in den Ländern Koalitionen mit der Linken zuzulassen, sie im Bund aber auszuschließen, "widersprüchlich und völlig unglaubwürdig".
SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier zeigte sich unterdessen trotz der klaren Festlegung der FDP und ihres Vorsitzenden Guido Westerwelle auf eine Koalition mit der Union nach der Bundestagswahl zuversichtlich, dass die Liberalen im Zweifelsfalle auch als Partner für die Sozialdemokraten zur Verfügung stünden. Wenn die SPD stark genug abschneide, "werden sich ganz sicher Koalitionspartner einstellen", sagte Steinmeier dem Tagesspiegel. "Die FDP wird die Dinge sehr nüchtern betrachten", meinte Steinmeier weiter. "Ich glaube, dass Guido Westerwelle nach elf Jahren Opposition wieder Lust auf Regierung und Gestaltung hat. Er ist klug und erfahren genug, um keine Ausschlussklauseln festzulegen."
Westerwelle selbst bekräftigte seine Abneigung gegen eine Ampel-Koalition. "Dabei geht es nicht um persönliche Gefühle, sondern um den Mangel an inhaltlichen Übereinstimmungen mit SPD und Grünen", sagte der FDP-Chef Bild am Sonntag. Westerwelle äußerte zudem die Meinung, dass SPD, Grüne und Linkspartei eine Regierung bilden würden, wenn es nach der Bundestagswahl rechnerisch möglich sei - "auch wenn die SPD es heute noch so sehr bestreitet". Auch CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla sagte: "Die Schwüre der SPD, keinesfalls mit der Linkspartei auf Bundesebene zu paktieren, sind nichts wert."
Jenseits der Kritik an der Linkspartei kündigte Müntefering an, die SPD auch über das Jahr 2009 hinaus führen zu wollen. Er habe sich "einiges vorgenommen". (Seite 4)
Wohlkalkulierte Attacke: SPD-Chef Franz Müntefering grenzt die SPD scharf von der Linkspartei ab. Foto: dpa
Neuer Schuldenrekord
Bund benötigt möglicherweise mehr als 50 Milliarden Kredit
Berlin - Wegen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise steuert der Bund auf die größte Verschuldung aller Zeiten zu. "Wenn man alles zusammenrechnet, sind wir zwischen 50 und 60 Milliarden Euro", sagte der Chef des Haushaltsausschusses im Bundestag, Otto Fricke (FDP). Auch im Bundesfinanzministerium wurde nicht ausgeschlossen, dass in diesem Jahr die Marke von 50 Milliarden Euro überschritten wird. Bislang beläuft sich der Rekord bei der Neuverschuldung auf 40 Milliarden Euro. Dies war 1996 unter Finanzminister Theo Waigel (CSU) der Fall.
Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) wird am Dienstag im Kabinett den Nachtragsetat für 2009 vorlegen. Die Neuverschuldung beläuft sich dabei auf 36,8 Milliarden Euro. Das ist etwa doppelt so viel, wie noch im Herbst 2008 vorgesehen war. Hinzu kommt der Investitions- und Tilgungsfonds für Konjunkturhilfen in Höhe von 21 Milliarden Euro. Auch dieser wird über Schulden finanziert. Die Mittel sind aber für zwei Jahre gedacht. Der Fonds ist Teil des Konjunkturpaketes II, das zum Beispiel Entlastungen bei Sozialabgaben und eine Abwrackprämie für das Verschrotten von Altautos vorsieht. Insgesamt hat der Etat ein Volumen von 297,5 Milliarden Euro. Die Steuereinnahmen sollen sich auf 233,2 Milliarden Euro belaufen. Das sind knapp elf Milliarden Euro weniger als bisher angenommen.
FDP-Haushaltsexperte Jürgen Koppelin warf Steinbrück vor, die Nettokreditaufnahme mit Hilfe des Tilgungsfonds künstlich kleinzurechnen. Das Finanzministerium wies dies zurück. Der Fonds habe einen konkreten Tilgungsplan, Ziel sei weiter ein ausgeglichener Etat. Der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Peter Keitel, sagte, die Schulden hätte eine Obergrenze erreicht. Mehr dürfe der Staat "zukünftigen Generationen nicht mehr zumuten".
Nach dem Grundgesetz soll die Neuverschuldung nicht höher ausfallen als die Ausgaben für Investitionen. Die Regierung kann aber höhere Schulden aufnehmen, wenn sie eine "Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" abwehren muss. Dies ist nun der Fall: Die Investitionen belaufen sich auf 28,7 Milliarden Euro. Die Neuverschuldung ist höher. Deshalb muss Steinbrück am Dienstag eine "Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" erklären, um die höheren Schulden rechtfertigen zu können. (Seite 4) Thomas Öchsner
Ein Gesetz, das nicht wirkt
Ehemalige jüdische Ghettoarbeiter müssen weiter auf eine Rente warten
München - Auch mehr als 63 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist der Kampf zahlreicher NS-Opfer um eine finanzielle Entschädigung noch lange nicht beendet. Für ehemalige jüdische Ghettoarbeiter in den von den Nazis besetzten osteuropäischen Gebieten gab es jüngst eine gute und zwei schlechte Nachrichten: All die hochbetagten Menschen, die seit Jahren vor Gericht um ihre Rentenansprüche ringen, mussten erkennen, dass es auch künftig keinesfalls schneller vorangehen wird - das Bundessozialgericht kam nicht zu einer erhofften Grundsatzentscheidung. Andererseits haben nun schon mehr als 10 000 NS-Opfer eine Anerkennungsleistung aus einem Bundesfonds in Höhe von einmalig 2000 Euro bekommen. Doch noch immer stehen Zehntausende jüdische Antragsteller aus aller Welt ohne Geld da - trotz des Fonds und trotz eines Gesetzes, das genau zu dem Zweck entworfen wurde, diese bisherige Lücke im Entschädigungsrecht zu schließen.
Seit 2002 können jüdische NS-Opfer ihre Arbeit in einem von den Nazis eingerichteten Ghetto in Osteuropa auf ihre Rente anrechnen lassen. Mehr als 70 000 Anträge gingen ein, die deutschen Rentenversicherungen lehnten allerdings 95 Prozent davon rundheraus ab - denn die Opfer müssen laut Gesetz nachweisen, dass sie ihre Arbeit "freiwillig" und "gegen Entgelt" geleistet haben. Selten aber ist der Unterschied zur Zwangsarbeit im allgemeinen Terror der Besatzer klar zu definieren, und oft hatten die Betroffenen in den 50er und 60er Jahren bei Entschädigungsfragen undifferenzierte Angaben gemacht. Das Gesetz stellt also für viele eine kaum zu überwindende Hürde dar. Seitdem werden die Sozialgerichte von einer Klageflut überschwemmt - Zehntausende sind noch anhängig, zäh ziehen sich die oft komplexen Fälle durch die Instanzen, während die oft über 80 Jahre alten Kläger verzweifelt auf eine Entscheidung warten.
Vielen Experten gilt das Gesetz als zu kompliziert und die Gerichte urteilen extrem unterschiedlich. Doch auch der Große Senat des Bundessozialgerichts in Kassel kam im Dezember zu keiner Lösung. Der Große Senat tagt, wenn zwei Senate des Gerichts unterschiedlich Ansichten vertreten. Die vorgelegte Frage zu den Ghettorenten sei aber "unzulässig" gewesen - und so weigerte sich der Große Senat, zu dem umstrittenen Gesetz Stellung zu nehmen und womöglich zu Klarheit in Auslegungsfragen zu kommen (Aktenzeichen: GS 1/08).
Juristen gehen davon aus, dass es noch viele Jahre dauern wird, bis in allen strittigen Fragen Rechtssicherheit besteht. Dann werden aber die meisten Betroffenen wohl gestorben sein. Eine weitere ungünstige Nachricht für die NS-Opfer: Am vorigen Donnerstag lehnte die große Koalition im Bundestag einen Antrag der Grünen-Fraktion ab, die gefordert hatte, die Renten-Auszahlung massiv zu erleichtern und das Gesetz zu reformieren. Grünen-Abgeordneter Jerzy Montag zeigte sich enttäuscht, will aber in einigen Wochen "noch mal nachhaken".
Auch aufgrund von Protesten der Betroffenen und ihrer Verbände hatte die Bundesregierung im Oktober 2007 einen Fonds mit 100 Millionen Euro aufgelegt, aus dem frühere Ghettoarbeiter, die bislang keine Rentenzahlungen durchsetzen konnten, einmalig 2000 Euro als "Anerkennungsleistung" erhalten können. Dabei waren die Hürden etwas niedriger angesetzt als im Gesetz. Doch auch hier zog sich die Bearbeitung der Anträge in die Länge. Nun - mehr als 15 Monate nach dem Start - sind nach Angaben des Bundesfinanzministeriums von 44 000 Anträgen etwa 14 000 bewilligt worden. Mehr als 10 000 Menschen hätten das Geld erhalten. Die Regierung rechnet mit weltweit 50 000 Anspruchsberechtigten. "Die anfänglichen technischen Schwierigkeiten wurden inzwischen bewältigt, grundsätzliche Auslegungsfragen gelöst", heißt es aus dem Ministerium. Die Bundesregierung arbeite "weiter an Vereinfachungen im Sinne der hochbetagten Verfolgten". Kritiker loben zwar die Einrichtung des Fonds, monieren aber, alles gehe viel zu langsam.
Ein Gefangenenlager spaltet die Koalition
Union und SPD streiten über Aufnahme von Guantanamo-Häftlingen
Berlin/Brüssel - Nach der von US-Präsident Barack Obama angeordneten Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo streiten deutsche Politiker über die Aufnahme entlassener Häftlinge. Bislang liegt zwar noch keine Bitte der USA um Mithilfe vor, doch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte dem Berliner Tagesspiegel am Sonntag, es gebe Signale, dass Obama "wegen der Aufnahme einiger Weniger auch auf die Europäer zukommen" werde. Es wäre nach seinen Worten nicht zu verantworten, die Auflösung des Gefangenenlagers daran scheitern zu lassen. Deutschland gehöre zu den Ländern, "die am lautesten die Schließung" gefordert hätten.
CSU-Generalsekretär Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg warf Steinmeier in der Passauer Neuen Presse vor, sich bei Obama anzubiedern. "Hier zu schreien, wenn einen keiner gerufen hat und dann noch ohne Absprache mit den Innenministern, ist keine seriöse Politik." Nach Ansicht des CSU-Politikers wäre es "das deutlichste Zeichen an die Welt, wenn die USA ihre eigenen Fehler selbst wieder gutmachen und nicht die Europäer". Auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) lehnt eine Aufnahme von Insassen des Lagers ab. Die Grünen warfen Bundeskanzlerin Angela Merkel dagegen Untätigkeit vor. Merkel ergreife in der Auseinandersetzung zwischen Steinmeier und Schäuble nicht das Wort, sagte Fraktionschefin Renate Künast der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. "Das ist beschämend."
Vor dem Treffen der EU-Außenminister am Montag in Brüssel machte unterdessen Frankreich Druck, dass sich Europa auf eine Entscheidung vorbereitet. Dem Spiegel zufolge legte das französische Außenministerium den EU-Partnern ein detailliertes Konzept für ein Verfahren vor. Dabei gehe es um etwa 60 Personen, die von den US-Militärs als unschuldig eingestuft würden, aber nicht in ihre Heimat zurückkehren könnten, weil ihnen dort weitere Verfolgung oder Folter drohten.
Dem französischen Plan zufolge solle jeder Staat selbst entscheiden, ob er Ex-Häftlinge aufnehme und welche. Eine "Clearingstelle" solle sie auf terroristische und kriminelle Flecken untersuchen. Die EU solle zudem Geld bereitstellen zur Unterstützung der teilweise traumatisierten Neuankömmlinge. Zudem könne versucht werden, auch Nicht-EU-Länder wie Norwegen oder die Schweiz für das Vorhaben zu gewinnen. Die Schweiz hat bereits angekündigt zu prüfen, ob sie Guantanamo-Häftlinge aufnehmen könne.
Die Außenminister der 27 EU-Staaten werden an diesem Montag jedoch keine
Entscheidungen treffen, sagten EU-Diplomaten. Einhellig wollten sie die von
Obama angekündigte Schließung begrüßen. In der
Guantanamo-Frage befinde sich die EU "ganz am Anfang des Bemühens um
eine abgestimmte Haltung", sagte ein EU-Diplomat. Es gebe in Guantanamo
Häftlinge, von denen offenbar wenig Gefahr ausgehe - und andere
"mit höherem Gefährdungspotenzial". EU-Diplomaten sagten, da
die EU die Schließung Guantanamos lange gefordert habe, sähen viele
EU-Regierungen das Problem als erste Gelegenheit, "guten Willen"
gegenüber der neuen US-Regierung zu zeigen.
60 Inhaftierte werden als unschuldig eingestuft, können aber nicht in ihre Heimat zurück
Wenn ein Schläger zum V-Mann wird
Er galt als spielsüchtig und gewalttätig, dennoch heuerte das Landeskriminalamt in Mainz Talib O. als Mitarbeiter an - jetzt ist er wegen dreifachen Mordes angeklagt
Frankenthal - Im Sommer 2007 bauten Beamte des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz heimlich einen kleinen Kasten in den Motorraum eines weißen Ford Escort ein und schlossen ihn an die Autobatterie an. Der Kasten war ein GPS-Sender, von außen nicht zu erkennen, der den Fahndern im LKA immer mitteilen sollte, wo sich ihr V-Mann Talib O. befindet. Alle dreißig Sekunden sollte der Sender den Aufenthaltsort des Ford nach Mainz funken, samt der Geschwindigkeit des Fahrzeugs. Talib O. galt als schwieriger Geselle, spielsüchtig und verschuldet. Ein Gewalttäter und Schwindler. Da schien es ratsam zu sein, wenn man weiß, wo sich sein Auto und er gerade aufhalten.
Der Sender funktionierte aber nur wenige Wochen, dann bekam er nur noch unregelmäßig Strom. Zuerst ging der GSM-Sender kaputt, der die Daten über das Handy-Netz verschicken sollte. Danach die Einheit, die den Aufenthaltsort speicherte. Es dauerte aber noch ganze vier Monate, bis es im Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz jemanden auffiel, dass man den Kontakt zu einem V-Mann verloren hat, der als einer der wichtigsten und labilsten der Behörde galt. Man merkte es erst, als Talib O. im Februar 2008 wegen dreifachen Mordes gesucht wurde.
Seit Anfang November wird nun vor dem Landgericht Frankenthal gegen den 40-Jährigen und einen mutmaßlichen Mittäter verhandelt, gegen Ahmed H., einen 26-jährigen Somalier, den er seit Jahren bespitzelte, weil dieser Kontakte zu Islamisten gehabt haben soll. Beide sollen, so die Anklage, am 30. Januar 2008 drei georgische Autohändler umgebracht und ihnen etwa 10 000 Euro gestohlen haben. Talib O. soll den Georgiern einen Mercedes zum Kauf angeboten haben, der aber nie wirklich existierte. Beide Angeklagten bestreiten die Tat und beschuldigen den jeweils anderen. Talib O., der V-Mann, den das LKA Mainz auf die Islamisten-Szene angesetzt hatte, erzählt eine besonders seltsame Geschichte. Der Somalier Ahmed H. sei mit den Georgiern in Streit geraten, weil einer ein großes orthodoxes Kreuz um den Hals getragen habe, dann seien plötzlich zwei vermummte Islamisten aufgetaucht, zusammen hätten sie die drei georgischen Christen umgebracht. Gotteskrieg in Rheinland-Pfalz. Es klingt wie ein Märchen aus 1001 Nacht.
Mindestens so interessant wie die Frage, wer die drei Georgier ermordet hat, ist vor dem Landgericht Frankenthal aber die, wie Talib O. überhaupt ein V-Mann des LKA Mainz werden konnte. Warum er als so wichtig eingeschätzt wurde, dass die Fahnder ihm ein neues Leben in Deutschland verschafften: einen deutschen Pass, den Führerschein, die Gewerbeerlaubnis und auch den weißen Ford Escort mit dem Sender. Wenn das LKA ihn nicht angeheuert hätte, wäre Talib O. wohl schon längst nicht mehr im Land. Und es gäbe aller Wahrscheinlichkeit nach keine drei toten Georgier.
Im Jahr 1996 kommt O. mit seiner Frau nach Deutschland, er stellt einen Asylantrag, behauptet, er werde im Irak politisch verfolgt. Sein Antrag wird abgelehnt, abgeschoben wird er aber nicht. Im Jahr 2001 wirbt ihn das Polizeipräsidium Ludwigshafen als V-Mann an, die Arbeitsbeziehung dauert aber nur wenige Monate, weil Talib O. zu wenig liefert. Zwei Jahre später bietet Talib O. seine Dienste den Ermittlern des LKA Mainz an.
Die Fahnder dort wussten wohl recht genau, wenn sie da beschäftigten, wem sie einmal mehr als 4000 Euro im Monat zahlten. Mindestens dreimal ermittelt die Staatsanwaltschaft während seiner Tätigkeit gegen Talib O. Einmal zeigt ihn seine Ex-Frau wegen Körperverletzung an. Es gibt Vorwürfe wegen Schleusertätigkeit und Passfälschung. Dennoch setzt sich das LKA noch 2007 für seine Einbürgerung ein. Und hilft beim Führerschein, der Talib O. davor immer wieder verweigert worden war. Mal wegen seiner Aggressivität, mal weil er einen Prüfer bestechen wollte. "Das jahrelange Zusammenwirken von LKA Rheinland-Pfalz mit einem mutmaßlichen Mörder lässt insgesamt das Bild einer unsäglichen Symbiose entstehen", sagt Gerhard Härdle, der Anwalt des Mitangeklagten Ahmed H.
Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die Lebensläufe von V-Männern nicht gerade für eine Bewerbung für die mittlere Beamten-Laufbahn eignen. Im Fall von Talib O. stellt sich aber doch die Frage, ob er jemals hätte beschäftigt werden dürfen. Und wie mit einem Wagen des LKA Mainz drei Leichen abtransportiert werden konnten.
In vielen anderen Bundesländern hätte ein solcher Vorfall wohl zu einem ziemlichen Skandal auf politischer Ebene geführt. In Mainz aber stellt kaum jemand unbequeme Fragen. In einer vertraulichen Sitzung des Innenausschusses informierte Innenminister Karl-Peter Bruch (SPD) die Fraktionen am 3. März 2008 über Talib O. Dieser sei ein wichtiger Kontaktmann zu Islamisten-Szene gewesen, berichtete Bruch und bat um Verschwiegenheit. Seitdem schweigen alle Parteien.
Vielleicht ist die Erregungsschwelle in Rheinland-Pfalz einfach höher als anderswo. Die CDU hat genug eigene Affären am Hals. Die Polizei steht wegen eines Abhörskandals in Landau ohnehin in der Kritik, wo sie Telefonate zwischen einem Verdächtigen und seiner Verteidigerin belauschte. Zumindest die FDP hat nun eine kurze Anfrage an die Landesregierung gestellt, als bekannt wurde, dass der GPS-Sender des V-Mannes über Monate nicht funktionierte. "So kann man doch gar nicht pennen, dass einem ein solcher Defekt nicht auffällt", sagt der innenpolitische Sprecher der Liberalen, Thomas Auler. Er war selbst jahrzehntelang bei der Polizei und kennt sich aus V-Männern. "Das ist immer ein heikler Bereich. Im Fall Talib O. ist aber vieles schiefgelaufen." Bevor O. V-Mann wurde, erwischte man ihn 1999 bei einem Ladendiebstahl. Mit den eintreffenden Polizisten lieferte er sich eine wilde Schlägerei und entwendete ihnen die Waffen. Später durfte er für die Polizei arbeiten.
Fahnder des LKA verweisen darauf, dass Talib O. gute Kontakte zu führenden deutschen Islamisten hatte. Auch sein Anwalt Stefan Allgeier sagt, seine Erkenntnisse führten "von Ulm bis ins Sauerland". Talib O. soll schon früh Kontakte zu der Ulmer Islamisten-Szene gehabt haben, zum Arzt Yehia Yousif, der als Hassprediger den Boden für eine ganze Generation von Gotteskriegern schuf, darunter Fritz Gelowicz, dem Ulmer Mitglied der Sauerland-Bomber. Auch Attila S. soll der mutmaßliche Mörder Talib O. gekannt haben, der der Sauerland-Gruppe die Zünder für ihre Bomben beschafft haben soll. Nachprüfen lässt sich das schwer, weil das LKA Mainz alle wichtigen Akten gesperrt hat. Ende Januar ist der V-Mann-Führer als Zeuge vor Gericht geladen. Die Verteidiger befürchten, dass seine Aussagegenehmigung nicht sehr weit reichen wird. Das Innenministerium in Mainz möchte zu dem Fall keine Stellung nehmen.
Der Sauerland-Gruppe waren die Ermittler über Jahre so nah, wie keiner sonst, jedes Gespräch wurde abgehört, dazu brauchte es keinen Talib O. Die Frage wäre ohnehin, wie er sich mit den Islamisten aus Ulm überhaupt verständigen wollte. Vor Gericht ist sein Deutsch so schlecht, dass er einen Dolmetscher braucht. Aber vielleicht ist das auch wieder nur so ein Trick im Leben von Talib O. Eine der vielen Geschichten.
Er lieferte sich 1999 eine wilde Prügelei mit Polizisten, wenig später arbeitete er für die Staatsmacht: Talib O., ein gebürtiger Iraker, sollte Informationen aus der Islamistenszene liefern. Nun steht er vor Gericht. Der Vorwurf: Er habe mit einem Komplizen drei Autohändler getötet. Foto: dpa
Schulbesuch für alle
München - Kinder von illegal in Deutschland lebenden
Ausländern sollen künftig regelmäßig Schulen besuchen
dürfen. Die Integrations-Beauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer
(CDU), sagte dem Magazin Focus: "Die Bundesregierung arbeitet aktuell an
Verwaltungsvorschriften, die die Unsicherheiten beseitigen und pragmatische
Lösungen für die betroffenen Kinder bringen sollen." Bisher
müssen Verantwortliche in Schulen oder Kindergärten die
Ausländerbehörden über Verdachtsfälle informieren. "Das
Recht auf Bildung ist ein Menschenrecht", betonte Böhmer. Das gelte
auch für Kinder von Eltern, die ohne legalen Aufenhaltsstatus in
Deutschland leben.
Schlechtes Zeugnis
Türken sind laut einer Studie am wenigsten integriert
Berlin - Menschen mit türkischen Wurzeln sind in Deutschland einer Studie zufolge deutlich schlechter integriert als andere Zuwanderergruppen. Selbst in der zweiten Generation verbesserten sich die Werte nur geringfügig, berichtet der Spiegel vorab aus der Untersuchung des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, die an diesem Montag vorgelegt werden soll. Erstmals werden die Integrationserfolge einzelner Migrantengruppen inklusive der Zuwanderer mit deutschem Pass verglichen. Am besten schneiden dabei die Einwanderer aus EU-Ländern, deutschstämmige Aussiedler sowie Migranten aus Fernost ab.
Laut dem Magazin ergab die Studie, dass 30 Prozent der Türken und Türkischstämmigen keinen Schulabschluss und nur 14 Prozent das Abitur haben - nicht einmal halb so viele wie in der deutschen Bevölkerung und weniger als bei den anderen Zuwanderergruppen. Auch sind Menschen mit türkischem Hintergrund beruflich weniger erfolgreich: Sie seien häufig erwerbslos, die Hausfrauenquote sei hoch und viele seien abhängig von Sozialleistungen. Besonders groß seien die Missstände im Saarland: 45 Prozent der Türken und Türkischstämmigen dort seien ohne Bildungsabschluss. Auch in der Gesamtstatistik liegt das Saarland ganz hinten, die größten Integrationserfolge kann Hessen verzeichnen.
Der Schlüssel zu Bildung und Erfolg sei die Sprache, sagte der Direktor des Berlin-Instituts, Reiner Klingholz. Er fügte hinzu: "Wir haben uns viel zu lange daran gewöhnt, dass wir Grundschulklassen haben, in denen 80 Prozent kein Deutsch verstehen." Die Gruppe der deutschstämmigen Aussiedler schneidet den Angaben zufolge im Gegensatz zu den Türken bundesweit überraschend gut ab: Nur drei Prozent sind ohne Abschluss, 28 Prozent haben sogar die Hochschulreife.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) verwies im Spiegel darauf, dass
die Integrationskurse inzwischen besser angenommen würden. Wichtig sei,
niemanden auszugrenzen: "Wir müssen den sozial Schwächeren, die
sich über Generationen abgeschottet haben, sagen: Ihr seid wichtig. Wir
schätzen Euch, Ihr seid so viel wert wie die anderen auch." Die
Unterschiede innerhalb Deutschlands zeigten aber, dass bei der Integration viel
von den Bundesländern abhänge.
Rede ins Rampenlicht
Routiniert verläuft der Bundesparteitag der Grünen in Dortmund - bis zum Auftritt von Werner Schulz
Dortmund - Europa ist eine ernste Sache. Stunde um Stunde diskutieren die grünen Delegierten über einen sozialen Binnenmarkt in Zeiten der Krise, über ökologische Erneuerung und nachhaltiges Wirtschaften. Brav wählen sie Spitzenkandidaten, die die Partei in der Europawahl im Juni zum Erfolg führen sollen. Es sind Rebecca Harms, erfahrene Parlamentarierin und Veteranin im Kampf gegen das Atomlager Gorleben, und Reinhard Bütikofer, bis vor kurzem Parteichef. Das alles läuft routiniert ab, ohne übertriebene Emotion. In Wallung gerät der Parteitag erst, als ein weißbärtiger Herr vom Rednerpult aus spricht - der achte Kandidat um Platz acht der Europaliste. Es ist Werner Schulz, Mitbegründer des Neuen Forums in der DDR und bis 2005 Bundestagsabgeordneter.
Anfangs spricht Schulz von der Vergangenheit, redet sich warm. "Die friedliche Revolution war die Selbstbefreiung einer Generation", erinnert Schulz an den Mauerfall vor 20 Jahren, daran, dass "ohne Gewalt eine Diktatur gestürzt wurde". Die Delegierten aber erobert er mit einem temperamentvollen Sprung in die Jetztzeit. Er wettert gegen den Neoliberalismus, ruft: "Die Leute haben doch mehr Angst vor ihrem Anlageberater als vor al-Qaida." Die Managergehälter müssten nach oben, die Löhne nach unten begrenzt werden, fordert er und trifft einen Ton, den die Delegierten auf diesem braven Parteitag bis dahin offensichtlich vermisst hatten. Mit 68 Prozent der Stimmen erkämpft sich Schulz in einem furiosen Comeback seinen Platz.
Einen Platz, den die Parteitagsregie so für ihn nicht unbedingt vorgesehen hatte. Den Part der Stars neben den Spitzenkandidaten war zwei Neu-Grünen zugedacht, dem Mitbegründer des globalisierungskritischen Bündnisses Attac Sven Giegold sowie Barbara Lochbihler, der Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International. Die Grünen sind offen für jene Bewegungen, soll das zeigen, die ihnen gerade bei jungen Leuten in vergangenen Jahren die Schau gestohlen hatten. In der Abstimmung um Platz drei auf der Liste jedoch fällt Lochbihler gegen die erfahrene Europapolitikerin Heide Rühle durch. Gewählt wird die 49-jährige Menschenrechtlerin dann auf Platz fünf mit 82 Prozent der Stimmen; die Parteioberen können aufatmen. Ohne ernsthaften Gegenkandidaten wird Giegold hingegen auf Anhieb mit 73 Prozent der Stimmen auf Platz vier gewählt. Das gelingt ihm, obwohl er dem Lissabon-Vertrag für die Neuorganisation der EU deutlich kritischer gegenübersteht als es der Parteilinie entspricht. Den Delegierten dankt er daraufhin für die "Liberalität, von der sich die Linkspartei eine Scheibe abschneiden kann". Dort würden umgekehrt nämlich alle abgestraft, die für den Lissabon-Vertrag seien. Das hören die Grünen gern, denn darum geht es ja bei der Anwerbung Giegolds: Die Lufthoheit über globalisierungskritischen Stammtischen wollen sie den Linken nicht überlassen - gerade in Zeiten der Rezession.
Das Schlagwort, mit dem die Grünen sich in der Krise empfehlen wollen, lautet "Green New Deal". Reinhard Bütikofer jedenfalls sieht die Chance für ein "grünes Gesellschaftsmodell" gekommen. Er hat sich die Vereidigung des neuen US-Präsidenten Barack Obama aus der Nähe angesehen. Obama, schwärmt er, sei es gelungen, mit einer intellektuell redlichen, differenzieren Politik eine Mehrheit zu gewinnen. "Das sollten wir Grüne uns zum Vorbild nehmen", sagt Bütikofer. Eine "europäische Wirtschaftspolitik" in der Euro-Zone fordern die Grünen im Programm; im Entwurf war noch deutlich radikaler von einer europäischen Wirtschaftsregierung die Rede gewesen.
Die Grünen wägen ihre Worte; sie wissen, dass ihre Europa-Begeisterung im Krisenjahr 2009 womöglich von weniger Menschen geteilt wird als 2004. Damals erzielten sie mit 11,9 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis bei Europawahlen. "Gut gerüstet" gingen die Grünen in den Wahlkampf, behauptet Bütikofer. Deutlich jedenfalls wird, dass sie auch in der Krise auf ihr bisheriges Rüstzeug setzen. "Es wäre fatal, das drängendste Problem - die Finanz- und Wirtschaftskrise - zu Lasten des wichtigsten Problems - dem Klimawandel - zu lösen", warnen sie im Programm. Neue wirtschaftliche Dynamik müsse "dadurch entstehen, dass wir konsequent in Klimaschutz investieren".
"Die Leute haben doch mehr Angst vor ihrem Anlageberater als vor al-Qaida."
Die Managergehälter müssen nach oben begrenzt werden und die Löhne nach unten, fordert Werner Schulz - und begeistert die Delegierten. Foto: dpa
Terrordrohung aus dem Internet
Videobotschaft nennt drei deutsche Städte als Ziele
Berlin - Die deutschen Sicherheitsbehörden gehen einer neuen Terrordrohung nach. In einer Video-Botschaft kündigten mutmaßliche Islamisten Anschläge in Deutschland an. "Wir werden eine Armee senden mitten in eure Stadt, besonders Berlin, Köln und Bremen", heißt es laut Focus auf eingeblendeten Texttafeln in einem auf der Internetplattform Youtube vorübergehend eingestellten Video. Deutschland und vier andere Länder würden "ab Februar 09 Probleme kriegen".
An dem Video, das laut Magazin am 12. Januar bei Youtube wieder entfernt wurde, sollen deutsche Konvertiten beteiligt gewesen sein. Es enthalte jedoch nicht die sonst üblichen religiösen Verweise. Das Bundesinnenministerium teilte mit: "Das Video fügt sich in unsere Bewertung ein, wonach die dschihadistische Propaganda gegen Deutschland eine neue Qualität erreicht hat." Deutschland werde in solchen Botschaften explizit bedroht. Zunehmend würden Botschaften von Heiligen Kriegern aus Deutschland verlesen. Deutschland und deutsche Interessen im Ausland seien "im Fadenkreuz des islamistischen Terrorismus". Dies zeige sich auch in den Anschlägen gegen Deutsche in Afghanistan.
Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) erklärte, es ergebe sich durch das Video keine Veränderung der Gefährdungslage in Deutschland: "Es spricht einiges dafür, dass es ein Trittbrettfahrer ist." Die Androhungen seien auch nicht so konkret, dass man daraus bestimmte Gefährdungsanalysen ableiten könnte.
Unterdessen wurde bekannt, dass der Bonner Islamist Bekkay Harrach, der
ebenfalls in einem Video Deutschland drohte, nach Erkenntnissen deutscher
Sicherheitsbehörden bei al-Qaida an führender Stelle mit der Planung
von Anschlägen betraut ist. Wie der Spiegel berichtete, ist Harrach, der
sich inzwischen "Abu Talha" nenne, offenbar in der Abteilung für
"Auswärtige Operationen" aktiv; diese Gruppe kümmere sich um
Anschlagsplanungen. An seinem mutmaßlichen Aufenthaltsort Waziristan soll
er unter dem Schutz des Warlords Siraj Haqqani stehen. Ein Kommandeur aus dem
Haqqani-Clan sagte dem Magazin, der "deutsche Gast" sei in fast alle
größeren Anschlagsplanungen in der Region eingebunden.
Gedenkstätte beschmiert
Waren - Die Gedenkstätte für die Opfer des
Nationalsozialismus in der mecklenburgischen Kreisstadt Waren an der Müritz
ist am Wochenende nach einer Gedenkfeier geschändet worden. Der Gedenkstein
sowie die darauf abgelegten Gebinde und Blumen wurden von Unbekannten mit
Farbbeuteln beworfen, wie die Polizei am Sonntag mitteilte. Bereits bei der
feierlichen Kranzniederlegung am Samstag hatte die Polizei gegen Störer
vorgehen müssen. Acht jungen Leuten, die mit Trillerpfeifen die Feier
störten und die Teilnehmer der Gedenkfeier als Lügner bezeichneten,
wurden den Angaben zufolge mit Platzverweis belegt. Eine Funkstreife hatte dann
am Sonntagmorgen die Schändung der Gedenkstätte entdeckt.
Scholz pessimistisch
Berlin - Trotz der Maßnahmen zur Konjunkturbelebung rechnet
Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) mit einer deutlichen Zunahme der
Arbeitslosigkeit. Es werde 2009 im Schnitt vermutlich 250 000 Arbeitsuchende
zusätzlich geben, sagte er der Welt. Ob die Marke von vier Millionen
Arbeitslosen erreicht werde, wollte Scholz weder bestätigen noch
dementieren. Niemand könne das seriös errechnen. "Uns geht es
darum, so viele Arbeitsplätze wie möglich zu retten und gleichzeitig
denen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, möglichst schnell einen neuen
anzubieten", sagte er. Deshalb würden Kurzarbeit ausgebaut,
Qualifizierungen gefördert und neue Vermittler in den Arbeitsagenturen
eingestellt.
Um 250 000 Menschen steigt die Arbeitslosigkeit im Jahresschnitt - das erwartet Olaf Scholz. dpa
Schwan lässt dementieren
Berlin - Die SPD-Kandidatin für das Bundespräsidentenamt,
Gesine Schwan, hat sich angeblich bei ihrer Partei über mangelnden
Rückhalt beklagt - was ihr Sprecher umgehend dementierte. Der Spiegel
berichtete unter Berufung auf Teilnehmer einer internen Besprechung von Schwan
und SPD-Bundestagsabgeordneten am Dienstag, sie habe dabei von der
Parteiführung mehr Unterstützung verlangt. Schwan habe beklagt, dass
in den Planungen der Parteizentrale für das Superwahljahr die
Bundespräsidentenwahl am 23. Mai so gut wie keine Rolle spiele. Schwans
Sprecher erklärte, die Äußerungen seien falsch wiedergegeben
worden.
Beschleunigte Gespräche
Schon in dieser Woche wird Barack Obamas Sonderbeauftragter in den Nahen Osten reisen
Gaza/Washington - Der neue US-Präsident Barack Obama will bereits in dieser Woche seinen Sonderbeauftragten George Mitchell in den Nahen Osten reisen lassen, um den Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern voranzubringen. Mitchell soll zudem den Waffenstillstand im Gaza-Streifen festigen. Diplomaten zufolge wird der frühere Senator nach Ägypten, Israel, Jordanien und in die Palästinensergebiete reisen. Direkte Gespräche mit der radikalislamischen Hamas, die im Gaza-Streifen herrscht, seien nicht geplant. Möglich sei auch ein Abstecher nach Saudi-Arabien, nicht aber nach Syrien. Mitchells Nahost-Reise wird voraussichtlich eine Woche dauern. Das Tempo, mit dem Obama sich in den Konflikt eingeschaltet hat, löste in der Region Überraschung aus.
Israel hatte seit Ende Dezember einen 22 Tage währenden Krieg gegen die Hamas im Gaza-Streifen geführt und am Samstag vor einer Woche einseitig einen Waffenstillstand verkündet. Die israelische Weigerung, die Blockade des Küstenstreifens aufzuheben, ließ jedoch Zweifel an den Bemühungen um den Wiederaufbau aufkommen. Auch die Hamas erklärte sich am Wochenende zu einer Waffenruhe von maximal 18 Monaten bereit. Der Hamas-Vertreter Aiman Taha sagte dem Nachrichtensender Al-Arabija , einer unbefristeten Waffenruhe werde man nicht zustimmen.
Der Dialog zwischen Ägypten und der Hamas sollte am Sonntag weitergehen. Ebenfalls am Sonntag wollten in Brüssel die EU-Außenminister mit ihren Kollegen aus der Türkei, Ägypten, Jordanien und der palästinensischen Autonomiebehörde über eine Friedenslösung beraten. Diplomaten zufolge wird allmählich die Zeit knapp, weil die rechtsgerichtete Likud-Partei, die dem von den USA unterstützten Friedensprozess kritisch gegenübersteht, die Parlamentswahl in Israel am 10. Februar gewinnen könnte.
Im Gaza-Streifen haben die Schulen und die wenigen während des israelischen Bombardements nicht zerstörten Ministerien am Sonntag ihre Arbeit wieder aufgenommen. Die Hamas kündigte an, besonders hart getroffenen Familien mit jeweils 4000 Euro zu helfen. Bisher hat Israel jedoch verhindert, dass die palästinensische Autonomiebehörde Geld in den Gaza-Streifen transferiert.
Angesichts internationaler Forderungen nach der Untersuchung möglicher Kriegsverbrechen sagte die israelische Regierung ihren Soldaten Schutz vor ausländischer Strafverfolgung vor. Während des Krieges waren laut Rettungsdiensten etwa 1300 Palästinenser, darunter mindestens 700 Zivilisten, ums Leben gekommen.
Obama kündigte unterdessen eine enge Zusammenarbeit seiner Regierung mit den Vereinten Nationen an. Die USA und die UN sollten im Kampf gegen Klimawandel, Armut und Terrorismus wirkungsvoll zusammenarbeiten, sagte Obama nach US-Angaben in einem Telefonat mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon am Freitag. US-Außenministerin Hillary Clinton sprach mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Ban und Obama hätten sich neben dem Klimawandel und der Finanzkrise auch über Krisenregionen wie den Nahen Osten ausgetauscht, erklärten die UN. Ban und Obama diskutierten Möglichkeiten, die Arbeit der Vereinten Nationen effektiver zu gestalten. Die beiden hätten über die Notwendigkeit gesprochen, die UN mit einer angemessenen "politischen und finanziellen" Unterstützung auszustatten. Reuters/AFP/dpa
Ein Bild von einem diplomatischen Politiker: Barack Obama vor einem Auftritt. Foto: dpa/White House Photo
Wieder Geld für Abtreibungen
Obama erlaubt Zuschüsse an Hilfsorganisationen
Washington - Präsident Barack Obama hat am Freitag einen von der Bush-Regierung verhängten Zahlungsstopp aufgehoben, der jeden US-Zuschuss an internationale Organisationen verbot, die Frauen in Entwicklungsländern direkt oder indirekt den Abbruch einer Schwangerschaft ermöglichen. Konservative Abtreibungsgegner hatten seit Tagen in Washington gegen den Politikwechsel demonstriert. Obama wie auch Außenministerin Hillary Clinton hatten die Kurskorrektur im Wahlkampf versprochen.
Die USA zählen mit rund 400 Millionen Dollar jährlich zu den größten Gebern internationaler Hilfe zum Zwecke der Familienplanung. Seit einem Vierteljahrhundert ist jedoch umstritten, wofür diese Mittel ausgegeben werden dürfen. Die konservativen Präsidenten Ronald Reagan und George W. Bush verfügten, keine Organisationen zu bezuschussen, die Abtreibungen durchführen oder in Beratungsgesprächen auch nur als Option erwähnen. Zugleich sperrten sie auch dem UN-Bevölkerungsfonds UNFPA die Mittel.
In Afrika, wo Präsident Bush die US-Hilfe im Kampf gegen die Verbreitung von Aids massiv ausgeweitet hatte, floss zugleich sehr viel Geld an Organisationen, die sexuelle Enthaltsamkeit propagierten. Der Streit um eine mutmaßliche Förderung der Abtreibung durch amerikanische Steuergelder mobilisiert alljährlich hitzigen Widerstand konservativer Abgeordneter bei den Haushaltsberatungen im Kongress.
Die Abtreibungsregelung habe in den vergangenen acht Jahren Bemühungen um
eine sichere und effektive Familienplanung in Entwicklungsländern
"untergraben", erklärte Obama nach der Unterzeichnung seines
Erlasses, zu der er demonstrativ Journalisten eingeladen hatte. Der
Präsident kehrt mit seiner jetzigen Entscheidung zu einer Linie
zurück, wie sie auch Präsident Bill Clinton verfolgt hatte: In den
neunziger Jahren hatte die Regierung versucht, die US-Fördermittel für
Familienplanung deutlich zu steigern. Dies scheiterte jedoch mehrfach am
Widerstand des republikanisch beherrschten Repräsentantenhauses.
Während des UN-Bevölkerungsgipfels in Kairo 1994 arbeiteten
US-Unterhändler eng mit Frauenverbänden zusammen und forderten,
Abtreibungen sollten "sicher, legal und selten" sein.
Rücktritt wegen Stillstands
Der Vermittler Miroslav Lajcak verlässt Bosnien-Herzegowina nach anderthalb Jahren erfolgloser Bemühungen
Zagreb - Sein Rücktritt kommt nicht überraschend. Anderthalb Jahre lang residierte Miroslav Lajcak in Sarajevo als Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft und übte sich in der unbequemen Rolle des Mahners. Fast täglich forderte der slowakische Diplomat die zerstrittenen Politiker aller Ethnien auf, Verantwortung für die Zukunft von Bosnien-Herzegowina zu übernehmen.
Im Unterschied zu seinen sechs Vorgängern, die aus Westeuropa stammten, konnte Lajcak seine Botschaften in der Landessprache vortragen. Die Bilanz ist trotzdem ernüchternd: Das Land kommt nicht vom Fleck, die von der EU geforderte Verfassungsreform ist blockiert. Lajcak, der gleichzeitig EU-Sondergesandter war, verlässt Bosnien in einer der größten Krisen seit dem Ende des Krieges vor 13 Jahren.
Lajcak soll an diesem Montag offiziell zum Außenminister der Slowakei ernannt werden. Er will nur noch wenige Tage in Sarajevo bleiben, bis der Friedensimplementierungsrat, ein internationales Gremium zur Überwachung des Dayton-Abkommens, einen Nachfolger gefunden hat. Der Hohe Repräsentant verfügt über umfangreiche Befugnisse, mit denen er Politiker entlassen und Gesetze außer Kraft setzen kann.
In der internationalen Gemeinschaft herrscht seit Monaten Streit darüber, ob Bosnien aus der Bevormundung entlassen werden kann. Solche Forderungen stellen vor allem Russland und die Regierung der im Krieg durch ethnische Säuberungen entstandenen Republika Srpska, der von Serben dominierten Hälfte Bosniens. Dagegen warnen muslimische Politiker in Sarajevo vor dem Zerfall des fragilen Landes, wenn der Westen die militärische Präsenz reduziert und seine Statthalter zurückzieht. Dieser Meinung sind auch einflussreiche westliche Diplomaten wie der frühere US-Vermittler Richard Holbrooke und der Brite Paddy Ashdown, der von 2002 bis 2006 Hoher Repräsentant in Sarajevo war.
Zwar hat Bosnien im Juni als letzter Balkanstaat ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet. Doch seither ist der Reformwille erlahmt. Das bosnische Parlament hat 2008 nur 20 von 100 geplanten Gesetzen verabschiedet, darunter auch eine Novelle, die eine hundertprozentige Lohnerhöhung für die Volksvertreter vorsieht. Während der Durchschnittslohn in Bosnien etwa 600 Euro beträgt, verdienen die Politiker mehr als 3500 Euro im Monat. Für Schlagzeilen in der Region sorgt derzeit der Fall des bosnischen Kroaten Vjekoslav Vukovic, der in Rijeka verhaftet wurde. Der Chef der Einheit zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität im bosnischen Innenministerium wird beschuldigt, einen Bombenanschlag auf das Auto zweier Anführer einer rivalisierenden Bande geplant zu haben, die in Rijeka Nachtclubs bewacht.
Noch mehr Sorgen bereitet westlichen Diplomaten aber das rhetorische Kräftemessen zwischen dem Ministerpräsidenten der bosnischen Serben Milorad Dodik und Haris Silajdzic, der die bosnischen Muslime im dreiköpfigen Staatspräsidium vertritt. Die beiden gelten als Hauptverantwortliche für den politischen Stillstand in Bosnien. Während Silajdzic die bosnisch-serbische Republik am liebsten abschaffen würde, stellt Dodik regelmäßig die Zukunft Bosniens in Frage. Er will die Urteile muslimischer Richter nicht akzeptieren und ließ unlängst eine Vertretung der Republika Srpska in Brüssel eröffnen. Viele Bosnier sind des Streits zwischen den beiden Politikern überdrüssig. Anfang Januar gingen einige Dutzend Bürger von Sarajevo auf die Straße und bewarfen die Bilder der Politiker aller Ethnien mit Schuhen. Als Vorbild diente ihnen die Schuh-Attacke eines irakischen Journalisten auf den US-Präsidenten George W. Bush.
Schuh-Angriff: Auch in Sarajewo protestierten Bürger gegen Politiker. Reuters
China demonstriert Stärke
München - China hat von der neuen US-Regierung einen umsichtigen Umgang mit sensiblen Themen gefordert. Die Beziehung beider Länder sei eine der wichtigsten bilateralen Beziehungen der Welt, sagte Chinas Außenminister Yang Jiechi in einem Telefonat mit seiner US-Kollegin Hillary Clinton, wie das chinesische Außenministerium am Samstag mitteilte. Jede Seite müsse die Kerninteressen der anderen respektieren und beachten. Differenzen und sensible Themen müssten in angemessener Weise gehandhabt werden. Beinahe gleichzeitig entzündete sich jedoch ein erster Streit über Chinas Währungspolitik. Der designierte US-Finanzminister Timothy Geithner hatte China am Donnerstag vorgeworfen, seine Währung zu manipulieren, um sich auf ungerechte Weise Handelsvorteile zu verschaffen. In einer ersten offiziellen Reaktion aus China wies die Zentralbank die Vorwürfe zurück.
China hatte in dieser Woche schon einmal Selbstbewusstsein gezeigt. Just am Tag des Amtsantritts von Barack Obama veröffentlichte das Verteidigungsministerium ein sogenanntes Weißbuch der Landesverteidigung. In dem 105-seitigen Dossier listet China seine militärischen Bestände auf und entwirft die Grundlinien seiner Verteidigungsstrategie. Weißbücher der chinesischen Regierung suggerieren Offenheit, der Inhalt muss allerdings mit Vorsicht betrachtet werden.
In dem aktuellen Weißbuch präsentiert sich China als rein defensive Macht im internationalen Kontext. Der Schritt an die Öffentlichkeit lässt jedoch vermuten, dass größere Reformen anstehen und das Militär deutlicher Präsenz zeigen soll. Dazu passt, dass China in dieser Woche die erste Militärparade seit 1999 angekündigt hat. Sie soll im Oktober, am 60. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik, die Stärke von Partei und Volksbefreiungsarmee demonstrieren.
Für die neue US-Regierung enthält die Schrift eine klare Ansage: Dass die USA "weiterhin Waffen an Taiwan liefern und damit die Prinzipien der drei gemeinsamen chinesisch-amerikanischen Verlautbarungen verletzen", wird als "ernsthafte Bedrohung der chinesisch-amerikanischen Beziehungen und als Bedrohung der Stabilität jenseits der Taiwanischen Meerenge" gesehen. Der Militäretat Chinas soll 13-mal kleiner sein als der der USA. Das Pentagon äußerte deutliche Zweifel an den Angaben Chinas und geht von einer mindestens dreimal so hohen Summe aus.
So sehr China sich als defensiv präsentiert und Einsätze im Namen der
UN, jüngst im Kampf gegen die Piraten, herausstellt - so hart zeigt
Peking sich in der Abwehr "destabilisierender Faktoren". Als solchen
sieht China an erster Stelle Taiwan, das es als abtrünnige Provinz
betrachtet. Zu den Gegnern im Innern zählt China alle, die
Unabhängigkeit fordern: Tibeter wie Uiguren, die im ölreichen
Ostturkistan in der Provinz Xinjiang leben. Mit ihnen wie mit einer angeblich
wachsenden äußeren Bedrohung begründet China eine anstehende
Modernisierung der Armee.
Kandidatin wider Willen
Rachida Dati muss Ministerposten in Paris aufgeben
Paris - Sie war eine der Vorzeige-Frauen in der französischen Regierung, fast eine persönliche Favoritin des Staatschefs. Rachida Dati, 43 Jahre alt, gelernte Richterin, hatte sich dem Kandidaten Nicolas Sarkozy als Wahlkampfhelferin empfohlen, hatte mit Charme und Sachverstand so nachhaltig überzeugt, dass sie der Präsident im Mai 2007 als Justizministerin ins Kabinett berief. Nun, keine zwei Jahre später, ist sie in Ungnade gefallen. Vorige Woche musste Rachida Dati, gedrängt von Sarkozy, ihre Kandidatur für die Europawahl im kommenden Juni bekannt geben - obwohl sie noch wenige Tage zuvor gegenüber dem Figaro entsprechende Meldungen heftig dementiert hatte: Davon könne absolut nicht die Rede sein, erst kürzlich habe der Präsident bekräftigt, dass sie ihre Arbeit wenigstens bis 2009 fortsetzen werde.
Inzwischen musste sie klein beigeben. Am Wochenende versuchte sie mit Mühe, Contenance zu bewahren und wollte ihren Abgang als Loyalität gegenüber Sarkozy verklären. Ihr sei nur wichtig, "dem Präsidenten und dem französischen Volk zu dienen", sagte sie.
Dabei war Rachida Dati ein Beispiel dafür, wie weit es eine Frau aus kleinsten Verhältnissen in Sarkozys Republik bringen kann, selbst wenn sie zu den, wie es in Frankreich heißt, "sichtbaren Minderheiten" gehört. Ihre Berufung, so hatte Sarkozy betont, sollte auch als Symbol gelten. Als Tochter eines marokkanischen Arbeiters und einer algerischen Mutter war sie in einer Sozialsiedlung in Chalon-sur-Saône aufgewachsen. Ihr Ehrgeiz und ihre Durchsetzungsfähigkeit hatten den Präsidenten beeindruckt. Zudem wurde er von seiner damaligen Frau Cecilia bestärkt, die für Rachida Dati geradezu schwesterliche Gefühle offenbarte. Doch in der nüchternen Welt der Justiz stieß die junge Frau auf Widerstand. Selbst dem Präsidenten, der keinen Konflikt scheut, wurden die ständigen Proteste des Justizapparats gegen die Ministerin auf Dauer lästig.
Gelegentlich wurde sie sogar öffentlich bloßgestellt. Als sie zum Beispiel die Idee ventilierte, die Strafmündigkeit für Delinquenten auf zwölf Jahre zu senken, wurde sie von Premierminister François Fillon zurück gepfiffen. Vor Rachida Dati hatte Sarkozy bereits die junge schwarze Staatssekretärin Rama Yade zur Kandidatur bei den Europawahlen drängen wollen. Doch hatte diese sich mit dem Hinweis entzogen, ihr Interesse gelte eher der nationalen als der europäischen Politik.
Rachida Dati wurde eine solche Ausflucht nicht gestattet. Im Gegenteil, durch ihr Zögern ging ihr sogar ein Spitzenplatz verloren. Statt ihrer wird der jetzige Landwirtschaftsminister Michel Barnier die Liste für die Île de France anführen. Für Barnier bedeutet der Weg nach Brüssel und Straßburg freilich keine Abschiebung, sondern eine Rückkehr. Der frühere Außenminister hat einen Faible für die europäische Politik. Bis 2004 war er EU-Kommissar für Regionalpolitik.
Karsai greift USA scharf an
Afghanistans Präsident: Zivile Opfer stärken Terroristen
Kabul/Islamabad - Nach einem umstrittenen Einsatz der amerikanischen Truppen in Ostafghanistan hat der afghanische Präsident Hamid Karsai scharfe Kritik an den USA geübt. Die Operation habe 16 Zivilpersonen das Leben gekostet, sagte Karsai am Sonntag. Der Tod unschuldiger Afghanen "stärkt die Terroristen". Nach US-Angaben kamen bei dem Einsatz ausschließlich Aufständische ums Leben. Karsai erklärte, das Verteidigungsministerium habe den Entwurf einer Vereinbarung nach Washington geschickt, den zuvor bereits die Nato erhalten hatte. Danach soll die afghanische Regierung größere Kontrolle über die Einsätze der US-Streitkräfte erhalten.
Die Amerikaner erklärten in einer Stellungnahme, der Einsatz in der Provinz Laghman vom Samstag habe sich gegen einen Taliban-Kommandeur gerichtet. Dabei seien die Soldaten von Aufständischen beschossen worden. Unter den Toten sei eine Frau, die einen Granatwerfer bei sich gehabt habe. Gouverneurssprecher Sayed Ahmad Safi sagte dagegen, elf Zivilpersonen seien getötet worden, darunter drei Kinder und zwei Frauen. Zwei der Toten seien Aufständische.
Bei einem Angriff der Taliban auf einen regierungstreuen Stammesältesten kamen im Nordwesten Afghanistans vier Zivilisten ums Leben. Wie die Polizei in der Provinz Badghis mitteilte, erschossen die Angreifer den Stammesältesten, dessen Schwiegertochter sowie zwei weitere Menschen. Bei dem anschließenden Feuergefecht mit afghanischen Polizisten seien 13 Aufständische getötet worden. In der Provinz Paktia starb ein Zivilist bei einem Selbstmordanschlag. Nach Regierungsangaben vom Sonntag wurden neun Menschen verletzt, als sich der Attentäter auf einem Markt an der Grenze zu Pakistan in die Luft sprengte.
Die Regierung in Islamabad verurteilte am Sonntag den ersten US-Raketenangriff
auf ihr Territorium nach dem Amtsantritt von Präsident Barack Obama. Wie
ein Sprecher von Präsident Asif Ali Zardari mitteilte, machte der
Regierungschef bei einem Treffen mit der US-Botschafterin deutlich, dass
derartige Angriffe dem Kampf gegen den Terror nicht dienten. Einem Bericht der
Daily Times zufolge warnte Zardari die Diplomatin, dass Pakistans Kooperation im
Kampf gegen den Terror beeinträchtigt werden könnte. Vermutlich in
Afghanistan gestartete US-Drohnen hatten am späten Freitagabend mehrere
Raketen auf Ziele im Norden Pakistans abgefeuert. Dabei waren nach Angaben aus
Geheimdienstkreisen mindestens 22 Menschen getötet worden. Die USA werfen
Pakistan vor, das Eindringen von Extremisten nach Afghanistan nicht zu
unterbinden. Sowohl Taliban als auch Al-Qaida-Kämpfer finden im Norden
Pakistans Unterschlupf. Die Regierung hat in den dortigen Stammesgebieten kaum
Einfluss.
Auch unter Obama schießen die USA Raketen auf pakistanisches Gebiet ab
Islands Politiker geben auf
Reykjavik
- Der isländische Wirtschaftsminister Björgvin Sigurdsson
ist nach tagelangen Bürgerprotesten zurückgetreten. Auch die Spitze
der staatlichen Bankenaufsicht erklärte ihren Rücktritt und kam damit
einer der Forderungen aufgebrachter Demonstranten nach. Ungeachtet der
Ankündigung von vorzeitigen Wahlen am 9. Mai versammelten sich am Samstag
nach Angaben der Polizei erneut mehr als 6000 Menschen vor dem Parlament in
Reykjavik. Sie forderten den sofortigen Rücktritt von
Ministerpräsident Geir Haarde mit seiner großen Koalition. Haarde
erklärte, er werde sich aus gesundheitlichen Gründen nicht um eine
Wiederwahl bemühen und den Vorsitz der Unabhängigkeitspartei abgeben.
Er habe einen Tumor im Rachen und müsse sich im Ausland operieren lassen.
Der Regierungschef setzte sich in Interviews am Wochenende erstmals von der
aggressiven Kreditpolitik isländischer Banken ab und nannte sie
"abscheulich". Die Verschuldung dieser Banken ist weltweit so
groß, dass sie die Finanzkraft des isländischen Staates um ein
Vielfaches übersteigt.
Al-Qaida-Terrorist gefasst
Bagdad
- Irakische Sicherheitskräfte haben nach Angaben des
Innenministeriums in Bagdad die Nummer Zwei der Al-Qaida-Terroristen im Land
verhaftet. Ein Sprecher des Ministeriums sagte, Ismail Abdessattar al-Rubai sei
in einem Vorort Bagdads festgenommen worden. Al-Rubai sei ein spiritueller
Anführer der Terrorgruppe gewesen. Seine Aussagen hätten geholfen,
weitere Terroristen zu fassen. Unterdessen töteten US-Soldaten in einem
Dorf in der Provinz Salaheddin einen Offizier der irakischen Armee und dessen
Frau. Die US-Armee erklärte, der Mann sei ein "gesuchter
Terrorist" gewesen. Seine Frau sei erschossen worden, weil sie nach einer
Pistole gegriffen habe.
Singh am Herzen operiert
Delhi - Indiens Premierminister Manmohan Singh hat eine komplizierte
Herzoperation gut überstanden und ist auf dem Weg der Besserung. Wie das
Büro des Regierungschefs am Sonntag mitteilte, war der Gesundheitszustand
des 76-Jährigen am Tag nach dem elfstündigen Eingriff stabil. Dem
Premier waren am Samstag fünf Bypässe gelegt worden. Nach Angaben von
Ärzten könnte Singh bereits in zwei bis drei Wochen einen Teil seiner
Amtsgeschäfte wieder aufnehmen. Mitte März soll Singh dann wieder voll
einsatzfähig sein. Bis dahin vertritt Außenminister Pranab Mukherjee
den Regierungschef. Spätestens im Mai wird in Indien ein neues Parlament
gewählt.
Manmohan Singh wurde erfolgreich behandelt, so die Ärzte. AP
Sri Lankas Armee siegt
Colombo - Im Kampf gegen tamilische Rebellen im Norden Sri Lankas hat die Armee nach eigenen Angaben die letzte von den Befreiungstigern von Tamil Eelam kontrollierte Stadt erobert. Mullaittivu stehe vollständig unter der Kontrolle der Regierungstruppen, sagte Sri Lankas Armeechef Sarath Fonseka am Sonntag. Der Kampf gegen die Rebellen sei nun zu 95 Prozent beendet. "Das Ende des Terrorismus ist nah, und wir werden mit Sicherheit gewinnen", sagte Fonseka. Mullaittivu war der letzte Rückzugsort der tamilischen Kämpfer; sie hatten ihn seit 1996 kontrolliert. AFP
Attentat in Mogadischu
Nairobi/Doha - In der somalischen Hauptstadt Mogadischu hat ein Selbstmordattentäter am Samstag mit einer Autobombe 16 Menschen in den Tod gerissen. Der Sender BBC berichtete, die Bombe sei bei einem Polizeiposten unweit eines Stützpunkts der Friedenstruppen der Afrikanischen Union explodiert. Das Attentat gut eine Woche nach dem Abzug der äthiopischen Truppen aus Mogadischu fällt in eine Zeit des Machtvakuums, in der sich verschiedene islamische Milizen und die Vertreter der Übergangsregierung bekämpfen. dpa
Bolivien stimmt ab
Buenos Aires - In Bolivien waren am Sonntag knapp vier Millionen Bürger zur Abstimmung über eine neue Verfassung aufgerufen. Der linksgerichtete indianische Präsident Evo Morales will mit dem Gesetzeswerk die indianische Bevölkerung stärker am Wohlstand beteiligen. In einer zweiten Abstimmung konnte die Bevölkerung entscheiden, ob privater Landbesitz in Zukunft 5 000 oder 10 000 Hektar nicht überschreiten darf. Gegenwärtig sind 50 000 Hektar Privatland erlaubt. An den Besitzverhältnissen wird sich zunächst nichts ändern. Jedoch erlaubt die neue Verfassung dem Staat, Land zu beschlagnahmen, das seine "landwirtschaftliche und soziale Funktion" nicht erfüllt. Nach Umfragen wollten 55 Prozent der Wähler für das Reformwerk stimmen. epd/Reuters
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Zauber des Anfangs
In der Hinrunde beeindruckte Neuling Hoffenheim die Bundesliga. Geht der Höhenflug weiter? Ein Pro und Contra in der Reihe "Steile Thesen". www.sueddeutsche.de/thesen
Foto: Reuters
Bittersüßes aus Großbritannien
Die Liebe macht, was sie will: Chelsy Davy verlässt nach fünf Jahren ihren Prinzen Harry, dafür will Paul McCartney wieder heiraten
London - Bittere Trennung oder süßes neues Glück? Die britische Öffentlichkeit konnte es sich aussuchen, an wessen Schicksal sie sich weiden wollte: An der Trennung des Prinzen Harry von seiner Freundin Chelsy Davy? Oder an der Nachricht, dass Ex-Beatle Paul McCartney abermals in den heiligen Stand der Ehe treten will? "Sie hat ihr ganzes Herz ausgeschluchzt", berichtete das Boulevardblatt News of the World über die 23-jährige Jurastudentin Chelsy, die nach fünf Jahren ihrem königlichen Freund den Laufpass gab. "Sie konnte seine Playboy-Allüren nicht mehr ertragen", schrieb die Zeitung. Außerdem habe sich die Nummer Drei der englischen Thronfolge auch in anderen Fällen nicht als Gentleman erwiesen. So habe er sie mehrmals lange auf ihn warten lassen.
Offiziell wollte ein Sprecher von Clarence House, der Residenz von Harrys Vater Charles, die Trennung nicht kommentieren. Inoffiziell aber verlautete, dass die beiden jungen Leute in aller Freundschaft voneinander geschieden seien. Beide hätten einen Lebensabschnitt erreicht, in dem sie weniger Zeit miteinander verbringen wollten. Die weltweite Gemeinde der Facebook-Mitglieder freilich brauchte keinen königlichen Sprecher. Wer Chelsys Profil auf der Netzwerk-Website aufrief, konnte lesen, dass sie ihre persönlichen Angaben in einem entscheidenden Punkt bereits verändert hatte: Sie befinde sich derzeit "in keiner Beziehung", hieß es. Die geborene Simbabwerin, deren Vater ein wohlhabender Geschäftsmann in Südafrika ist, schließt demnächst ein Jura-Studium in der nordenglischen Stadt Leeds ab. Ursprünglich wollte sie dann in eine Londoner Anwaltskanzlei eintreten. Nun aber soll sie eine Rückkehr nach Südafrika erwägen. "Sie mochte das Wetter in England noch nie", verriet ein Freund der Presse.
Solche klimatischen Probleme hat Nancy Shevell nicht. Die 49-jährige amerikanische Multimillionärin hat die Dezemberwochen auf dem Landsitz ihres Freundes Paul McCartney in England verbracht. So glücklich seien die Turteltauben, steckten Vertraute dem Sunday Mirror, dass der 66-jährige Sänger daran denke, seiner neuen Liebe einen Heiratsantrag zu machen. Nach dem Debakel mit Heather Mills solle diesmal alles anders werden. Zum einen habe Tochter Stella den Segen zu dem Bund gegeben; zum anderen sei Nancy nicht auf McCartneys Geld scharf. Ihr Vermögen wird auf 250 Millionen Pfund geschätzt.
Da waren sie noch glücklich: Chelsy und Harry im Juli 2007, bei einem Gedenkkonzert für Lady Di im Wembley Stadion. Foto: dpa
Die Geständnisse des Nikolai H.
Am letzten Tag des Holzklotzwurf-Prozesses ist noch immer ungewiss, ob der 31-Jährige der Täter ist
Oldenburg - Seit fast drei Monaten wird vor dem Landgericht Oldenburg gegen Nikolai H. verhandelt, und noch immer steht nicht fest, ob der 31-jährige Russlanddeutsche wirklich der Mann ist, der am Ostersonntag 2008 von einer Brücke über die Autobahn A 29 bei Oldenburg einen Holzklotz auf die Fahrbahn geworfen und dadurch den Tod der 33-jährigen Olga K. verursacht hat, die zusammen mit ihrem Ehemann und ihren beiden Kindern auf der Heimfahrt nach Telgte war. Handfeste Beweise gegen Nikolai H. hat die Verhandlung bisher nicht erbracht; andererseits ließ sich aber auch der von der Verteidigung geäußerte Verdacht, ein früheres Geständnis des Angeklagten sei durch unzulässige Vernehmungsmethoden erzwungen worden, nicht belegen. Auch der Umstand, dass Nikolai H. vor zehn Jahren schon einmal ein falsches Geständnis abgelegt hatte, dürfte der Verteidigung kaum weiterhelfen. Die Umstände damals, das kam am letzten Prozesstag zutage, waren völlig andere als im Holzklotz-Fall.
Der drogenabhängige und arbeitslose Nikolai H. hatte sich selbst bei der Polizei gemeldet und angegeben, er sei kurz vor dem tödlichen Ereignis mit dem Fahrrad über die Brücke gefahren, habe dort einen Holzklotz liegen sehen und diesen aus Sorge um die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer zur Seite geräumt. Das erschien der Polizei unwahrscheinlich. Im Garten des Anwesens, wo Nikolai H. wohnte, wurden Holzklötze gefunden, die dem Tatwerkzeug ähnelten, und eine äußerst aufwändige Untersuchung vieler tausend Mobilfunkdaten ergab, dass Nikolai H. sich zur Tatzeit in unmittelbarer Nähe der bewussten Brücke aufgehalten hatte. Er legte, nach anfänglichem Leugnen, zunächst vor den Vernehmungsbeamten der Polizei und dann vor dem Haftrichter ein Geständnis ab.
Später wechselte Nikolai H. seine Verteidiger und widerrief sein Geständnis. Die neuen Anwälte machten geltend, er habe während der Vernehmungen unter Entzug gestanden und sei erst nach dem Geständnis mit der Ersatzdroge Methadon versorgt worden, man habe das Geständnis also von ihm erpresst. Die Polizisten dagegen schilderten, H. habe auf mehrmaliges Nachfragen versichert, es gehe ihm gut, er sei damit einverstanden, wenn zuerst die Vernehmung beendet und er danach mit Methadon versorgt werde. Ähnliches berichtete der Haftrichter; er schilderte auch, wie Nikolai H. pantomimisch vorgemacht habe, wie er den Holzklotz mit beiden Armen vor sich hielt und dann auf die A 29 fallen ließ.
Mit dem früher einmal abgelegten falschen Geständnis verhielt es sich so: Am 29. März 1998 war auf einer Landstraße bei Rastede spät nachts ein mit fünf Personen besetztes Auto in einer Kurve von der Fahrbahn abgekommen und hatte sich überschlagen. Als die Polizei am Unfallort eintraf, lag einer der Insassen tot im Straßengraben, ein zweiter schwer verletzt unter dem Auto. Auf Befragen gab Nikolai H. noch am Unfallort an, er habe am Steuer gesessen. Der Schwerverletzte starb wenige Stunden später im Krankenhaus. Nikolai H. wurde festgenommen. Jetzt änderte Nikolai H. seine Aussage: Nicht er, sondern der Verstorbene sei gefahren. Dieser sei hoch verschuldet gewesen und habe ein kleines Kind; er habe den Mann, sagte Nikolai H., schützen wollen, damit er nicht seinen Führerschein und seinen Job verliere. Die anderen beiden überlebenden Fahrzeuginsassen bestätigten, dass Nikolai H. in Wirklichkeit auf der Rückbank gesessen habe. Auch ein Gutachter kam zu diesem Schluss. Zum Nachweis, dass Nikolai H. sozusagen notorisch dazu neige, falsche Geständnisse abzulegen, taugt dieser Vorgang also nicht. Im Holzklotzfall gibt es niemanden, den der 31-Jährige zu schützen hätte; ein Motiv für ein falsches Geständnis ist nicht zu erkennen.
Ein Ende des Prozesses ist noch nicht abzusehen. Mit Sicherheit werden H.'s Verteidiger noch eine Reihe von Beweisanträgen stellen, um abzuklären, ob die Polizei auch Hinweise auf andere mögliche Täter mit dem nötigen Nachdruck verfolgt hat. Der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann gab am Ende des letzten Verhandlungstages einen rechtlichen Hinweis, der für die Verteidigung eher besorgniserregend ist. Zu dem in der Anklage enthaltenen Vorwurf des heimtückischen Mordes in einem Fall könnten auch noch drei Fälle des versuchten Mordes kommen, weil das Fahrzeug, das von dem Holzklotz getroffen wurde, mit vier Personen besetzt war.
Erst gestanden, dann widerrufen: der Angeklagte Nikolai H. Foto: dpa
Krippen-Morde: Motiv weiter unklar
Der Messerstecher hatte Adressen von drei weiteren Kitas bei sich
Brüssel - Nach dem Blutbad in einer belgischen Kinderkrippe rätseln die Ermittler weiter über die Motive des Amokläufers. Der Verdächtige habe noch nichts zugegeben und sei nicht bereit, mit der Polizei zu kooperieren, sagte Staatsanwalt Christian Du Four am Wochenende. Gegen den 20-Jährigen wurde Haftbefehl erlassen. Er wird des dreifachen Mordes beschuldigt. Dem Mann wird vorgeworfen, am Freitag in einer Kinderkrippe in Dendermonde zwei Babys und eine Erzieherin mit einem 20 Zentimeter langen Messer erstochen sowie zwölf weitere Menschen verletzt zu haben, darunter zehn Kinder. Nach Angaben Du Fours lebte der alleinstehende Arbeitslose in Belsele, rund 20 Kilometer nördlich von Dendermonde. Er sei nicht polizeilich bekannt gewesen und habe sich nicht in psychiatrischer Behandlung befunden, wie zunächst spekuliert worden war.
Der mutmaßliche Täter - von belgischen Medien wegen seiner Gesichtsbemalung "Joker" genannt - habe unter seiner Kleidung eine schusssichere Weste getragen und neben dem Messer eine Axt und eine Schusswaffen-Attrappe mit sich geführt, sagte Du Four. Justizbeamte berichteten ferner, dass der Verdächtige die Adressen von drei weiteren Kinderkrippen bei sich trug. Die Frage, ob der Mann auch dort Angriffe geplant habe, wollte Du Four nicht beantworten. "Wir wissen nichts über sein Motiv, und wir wissen auch nicht, ob es eine Verbindung zwischen dem Mann und Dendermonde gibt", sagte Du Four auf einer Pressekonferenz. Die Krippe wird nicht wieder geöffnet. Nach Angaben der Stadtverwaltung soll das Gebäude künftig anderen, kommunalen Zwecken dienen. AP, dpa
Mutter und zwei Kinder mit Beil getötet
Saarlouis - Vermutlich bei einem Familiendrama sind am Samstag in Saarlouis drei Menschen getötet worden. Dabei handelt es sich um eine 40-jährige Frau, deren sechsjährigen Sohn und eine 20 Jahre alte Tochter, wie die Polizei mitteilte. Als dringend Tatverdächtigen nahm die Polizei den 47-jährigen Ehemann fest, der volltrunken neben der getöteten Frau auf der Couch schlief. Ein drittes Kind, ein dreijähriger Junge, blieb unverletzt. Der Täter ging den Angaben zufolge mit "massiver Gewalt" vor, als Tatwaffen gelten ein Beil und ein Schlachtermesser. Eine Freundin der Ehefrau hatte die Leichen am Samstag in dem Einfamilienhaus entdeckt. Offenbar war es in jüngster Zeit zu Zerwürfnissen zwischen den Eheleuten gekommen. Der Verdächtige war noch nicht vernehmungsfähig. ddp
Spanien ermittelt in Arzneimittel-Skandal
Madrid - Die spanische Justiz ermittelt gegen die Verantwortlichen eines Arzneimittel-Skandals in Panamá, bei dem mehr als 100 Menschen ums Leben gekommen sind. In dem mittelamerikanischen Land waren nach offiziellen Angaben in den Jahren 2006 und 2007 wenigstens 119 Bewohner nach der Einnahme von vergiftetem Hustensaft gestorben. Bei etwa 400 weiteren Todesfällen wird ermittelt, ob sie mit dem Hustensaft zu tun hatten. Wie die Zeitung El País am Sonntag berichtete, ließ der Nationale Gerichtshof eine Klage gegen ein spanisches Unternehmen zu. Die Firma soll verunreinigtes Glyzerin nach Panamá geliefert haben, das mit einem giftigen Lösungsmittel gepanscht war. Die Kläger werfen dem Unternehmen vor, Lieferunterlagen gefälscht zu haben, um höhere Gewinne zu erzielen. dpa
DIE FRAGE
Wie glücklich sind die Deutschen?
Die Forscher der britischen Ideenschmiede New Economics Foundation haben 40 000 Menschen aus 22 europäischen Ländern nach ihrem persönlichen Wohlbefinden befragt.
Das Ergebnis: Die Deutschen sind nur Mittelmaß im Glücklichsein. Auf einer Skala der 22 befragten Nationen landete die Bundesrepublik vor Spanien und Großbritannien auf Platz 11. Deutschland schließt bei sozialen Kontakten zu Familie oder Freunden unterdurchschnittlich ab, auch bei der Arbeit ist das Wohlbefinden eher gering: Platz 16. Dagegen erzielten die Deutschen in punkto "Vitalität" sowie "Belastbarkeit und Selbstbewusstsein" einen überdurchschnittlichen Wert. Spitzenplätze belegen Dänemark und die Schweiz, Schlusslichter sind Bulgarien und die Ukraine.
LEUTE
Penélope Cruz, 34, Schauspielerin, will Los Angeles den Rücken kehren. Nach mehreren Jahren in Los Angeles wolle sie ihre Zeit künftig lieber zwischen New York und Madrid aufteilen, wo auch ihre Familie lebt, sagte sie der spanischen Zeitung El Pais. Sie habe sich in L.A. manchmal "sehr einsam" gefühlt, die Stadt sei von der Filmindustrie "besessen" und voller unehrlicher Menschen. Beeindruckt zeigte sie sich vom Regisseur Woody Allen. Der New Yorker sage offen seine Meinung - "anders als viele Leute, die ich in Los Angeles getroffen habe", schwärmte Cruz. Foto: AP
Zsa Zsa Gabor, laut Schätzungen 91, Schauspielerin, hat nach Angaben ihres Anwalts durch Anlagen bei dem mutmaßlichen Betrüger Bernard Madoff mindestens sieben Millionen Dollar verloren. Womöglich belaufe sich der Verlust von Frederic Prinz von Anhalts Gattin aber sogar auf bis zu zehn Millionen Dollar, sagte Gabors Anwalt Chris Fields am Samstag. Medienberichten zufolge haben auch andere Prominente Verluste erlitten, etwa der Schauspieler Kevin Bacon. Auch eine Stiftung des Regiss Steven Spielberg soll betroffen sein.
Tödlicher Sturm
Der heftigste Orkan seit zehn Jahren kostet in Spanien und Frankreich mindestens 15 Menschen das Leben
Barcelona/Paris - Ein Orkan hat am Samstag in Spanien und im Südwesten Frankreichs mindestens 15 Menschen das Leben gekostet und schwere Verwüstungen angerichtet. Allein in Barcelona starben vier Kinder beim Einsturz des Daches einer Sportanlage. In Frankreich waren 1,7 Millionen Haushalte von der Stromversorgung abgeschnitten. Umgestürzte Bäume blockierten Straßen und Schienen. Die Flughäfen von Bordeaux und Toulouse wurden vorübergehend geschlossen. Bei dem Orkan wurden in Spanien Windböen bis 160 Kilometer in der Stunde gemessen, in Frankreich gar 190 Stundenkilometer. Beim Einsturz des Tribünendaches in Barcelona wurden zudem 15 Menschen verletzt, wie Behörden und Augenzeugen berichteten. Von den Verletzten schwebten noch drei Kinder in Lebensgefahr. Eine Frau, die das Unglück beobachtete, sagte im Sender TVE, dass sich die Kinder für ein Spiel auf einem Baseball-Feld vorbereitet hätten und dann unter einer Tribüne mit einem rostigen Eisendach vor dem Unwetter Schutz gesucht hätten.
In anderen Teilen Spaniens kamen mindestens fünf Menschen infolge des Unwetters ums Leben. Von einstürzenden Mauern wurden in Barcelona eine Frau und in Alicante ein Mann erschlagen. Mindestens zwei Menschen wurden von entwurzelten Bäumen getötet. Vor der Hafenstadt La Coruña im Nordwesten kam ein Fischer ums Leben. In Frankreich gab es einen Toten, als ein Baum auf ein Auto stürzte. In der Nähe der Stadt Nucia mussten drei Dörfer wegen eines Waldbrands evakuiert werden, nachdem der Sturm Hochspannungsmasten umgerissen hatte.
In Frankreich waren Hunderttausende auch am Sonntag noch ohne Strom, Zehntausende hatten weder Festnetz- noch Handy-Anschluss. Der Stromversorger EDF erklärte, die Reparaturen würden Tage dauern. Für das Atomkraftwerk Blaye nordöstlich von Toulouse wurde zeitweise der Notfallplan aktiviert. Météo France verglich den Sturm mit dem Wintersturm Lothar, der im Dezember 1999 weite Gebiete West- und Mitteleuropas verheert hatte. Damals waren allein in Frankreich 92 Menschen umgekommen. Seitdem hat Frankreich ein Warnsystem eingeführt. Météo France verhängte erstmals wegen Sturms Alarmstufe Rot in neun Départements. Die Zahl der Opfer sei diesmal viel niedriger, weil das Warnsystem funktioniert habe und der Sturm sich auf drei Regionen beschränkte, hieß es. AP, dpa
Vier Kinder starben beim Einsturz einer Sportanlage bei Barcelona. AP
Heimkehr des Helden
Tausende feiern den Piloten Chesley "Sully" Sullenberger
Danville/USA - Er ist jetzt ein amerikanischer Held, und er hat den Empfang bekommen, der einem Retter zusteht: Rund 3000 Menschen haben den Piloten Chesley "Sully" Sullenberger nach der spektakulären Notwasserung auf dem Hudson mit Begeisterung zuhause empfangen. In Danville, einem Vorort von San Francisco, spielte eine Blaskapelle, während die Zuschauer das Star-Spangled-Banner und Spruchbänder schwenkten und dem Piloten zu seiner Meisterleistung gratulierten. Sullenberger gab sich wie stets seit dem Unglück zurückhaltend und lobte die Leistung der gesamten Besatzung.
"Die Umstände waren nun einmal so, dass an diesem speziellen Tag diese spezielle Crew im Einsatz war", sagte der 58-Jährige, der bei dem Festakt nicht in seiner Uniform, sondern im dunklen Anzug auftrat. "Aber ich weiß, dass ich für die gesamte Besatzung spreche, wenn ich Ihnen sage, dass wir einfach nur die Arbeit gemacht haben, für die wir ausgebildet wurden." Es waren seine ersten öffentlichen Äußerungen seit dem Unglück vom 15. Januar, das alle 155 Menschen an Bord überlebten. Sullenberger und seine Crew wollen sich nicht näher zu dem glimpflich ausgegangenen Unglück äußern, so lange es noch untersucht wird.
Seine Ehefrau Lorraine Sullenberger sagte unter Tränen, die Leistung ihres Mannes habe sie nicht überrascht: "Ich habe ihn immer als vorbildlichen Piloten gekannt." Er und seine vier Crew-Mitglieder waren am Dienstag zur Amtseinführungvon Barack Obama nach Washington eingeladen geworden. Nun wurde Sullenberger zum Polizisten ehrenhalber von Danville ernannt und bekam symbolisch einen Rathaus-Schlüssel überreicht. SZ
"Ein großer amerikanischer Held": In seiner Heimatstadt Danville bei San Francisco wird der Pilot Chesley Sullenberger (kleines Bild) begeistert gefeiert. AP, rtr
Heute in der SZ
Tristesse der Städte
Die Finanzkrise trifft die Kommunen spät, aber mit voller Wucht - und macht sie nahezu handlungsunfähig.
Leitartikel von Joachim Käppner 4
Tanz der Teufel
Soll der Staat seine Bürger noch immer vor Dokumenten der Nationalsozialisten beschützen?
Von Marc Felix Serrao 11
Panik auf dem Klüngelberg
"Nicht mehr zu retten": ORF-Chef Alexander Wrabetz hat Österreichs Rundfunkanstalt in ihre tiefste Krise geführt.
Von Angelika Slavik 15
"Der Staat zahlt zu wenig für Kinder"
Hessische Sozialrichter rufen das Bundesverfassungsgericht an und wollen die staatlichen Leistungen für den Nachwuchs überprüfen lassen.
Von Marc Beise 19
Durchgehend unter Polizeischutz
Serbiens Handballer müssen bei der WM in Kroatien mit Pfiffen, Schmähungen und sogar einer Bombendrohung leben. Von Christian Zaschke 25
TV- und Radioprogramm 34
München · Bayern 31
Politisches Buch 16
Forum 33
Rätsel 16
Familienanzeigen 32
Schaeffler setzt sich durch
Conti-Aufsichtsratschef muss Posten abgeben
Hannover - Der Machtkampf zwischen dem Automobilzulieferer Continental und seinem Großaktionär, dem fränkischen Familienunternehmen Schaeffler, ist zugunsten Schaefflers entschieden. Aufsichtsratschef Hubertus von Grünberg werde kurzfristig abtreten und durch den Schaeffler-Repräsentanten Rolf Koerfer ersetzt, teilte das Unternehmen mit. Zudem wurde bekannt, dass Gespräche über eine Staatshilfe durch Bayern und Niedersachsen laufen. Schaeffler und Conti bräuchten bis zu einer Milliarde Euro, hieß es. (Wirtschaft) urit
Grüne zur Europawahl mit Bütikofer und Harms
Dortmund - Die Grünen ziehen mit einer Mischung aus profilierten und jungen Politikern in die Europawahl am 7. Juni. Angeführt wird die Liste, die der Dortmunder Parteitag am Wochenende erstellte, von Ex-Parteichef Reinhard Bütikofer und der Vorsitzenden der deutschen Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms. (Seiten 4 und 6) SZ
Orkan wütet in Spanien und Frankreich
Barcelona/Paris - Ein heftiger Orkan hat am Wochenende eine Schneise der Verwüstung durch Spanien und den Südwesten Frankreichs gezogen und mindestens 15 Menschenleben gekostet. Mehr als 1,7 Millionen Haushalte waren in Frankreich von der Stromversorgung abgeschnitten. (Panorama) AP
Acht Seiten Beilage
Barack Obama: In Books, New President Found His Own Voice · Gaza: Crimes and Ethics in the Fog of War
Gewinnzahlen vom Wochenende
Lotto (24.01.): 2, 12, 14, 16, 36, 46
Zusatzzahl: 33, Superzahl: 0
Toto: lag noch nicht vor
Auswahlwette: lag noch nicht vor
Zusatzspiel: lag noch nicht vor
Spiel 77: 9 6 0 4 6 7 7
Super 6: 9 6 4 3 4 2
Weitere Gewinnzahlen: Geld,
Seite 22 (Ohne Gewähr)
Das Streiflicht
(SZ) Die neue Woche beginnt, wir blicken voraus. Aber diesmal nicht auf die neue Woche, sondern auf das Jahr 2013. Genauer gesagt, auf die Bundestagswahl im Jahre 2013. Nach acht Jahren Merkel sind die Deutschen ihrer Kanzlerin müde und bereiten ihr eine vernichtende Wahlniederlage. Mit Abstand stärkste Partei werden die Grünen, ihr Triumph ist so gigantisch, dass sie bei der Wahl eines Koalitionspartners alle Optionen haben. Der Mann, der dieses Wunder, dieses politische Märchen vollbracht hat, ist der grüne Kanzlerkandidat Tarek Al-Wazir. Ihn erreichen noch am Wahlabend Glückwünsche aus allen Teilen der Welt, erster Gratulant ist der amerikanische Präsident Barack Hussein Obama, der selber im Jahr zuvor mit einem Rekordergebnis im Amt bestätigt worden ist.
Und nun ganz schnell zurück ins Jahr 2009. Dass man am Beginn der neuen Woche plötzlich so weit und so sonnenklar in die Zukunft zu blicken vermag, ist natürlich eine Folge der soeben vergangenen Woche. Es war, nach der Hessen-Wahl, einerseits eine Al-Wazir-Woche, andererseits aber natürlich eine Obama-Woche. Ja, ein Obama-Rausch. Die Rede! Der Versprecher beim Amtseid! Die Garderobe der First Lady! Die bezaubernden Töchter! Wer in dieser Obama-Woche etwas zu schreiben oder zu reden hatte, dem gingen die Worte nicht aus. Der konnte sich zum Beispiel der hochwichtigen Frage "Wie sexy ist die First Lady?" in aller hier notwendigen Ausführlichkeit und Feinfühligkeit zuwenden. Der konnte sich ins Fernsehstudio der Talkmeisterin Maybrit Illner setzen und, wie am Donnerstagabend geschehen, die wahrscheinlich brisanteste Frage dieser Tage erörtern: Wer wird der deutsche Obama? Ja, wer denn wohl? Diese Zeitung, für ihre Unerschrockenheit auf dem Feld der politischen Prognose bekannt, gibt schon heute die Antwort. Der deutsche Obama wird Tarek Al-Wazir sein. Die Parallelen sind unübersehbar und verblüffend. Da ist die hohe Kunst der freien Rede. Die charismatische Erscheinung. Das faszinierend zweigeteilte Leben zwischen Vaterland (Jemen) und Mutterland (Offenbach). Al-Wazir selber mag noch Zweifel haben, ob er der deutsche Obama ist, wir, seine Fans, haben uns längst entschieden: Yes, er ist es!
Natürlich gibt es auch andere, die liebend gern der deutsche Obama wären, Politiker aus der Generation U 50: Ronald Pofalla, der zu Recht darauf hinweist, dass die Folge der Vokale in seinem Namen (O-A-A) exakt dieselbe ist wie bei Obama. Heil natürlich, Hubertus Hussein, wie ihn seine Freunde gern nennen. Westerwelle. Frau Nahles. Allein Markus Söder ließ uns mitteilen, er sei nicht daran interessiert, der deutsche Obama zu werden. Ihn interessiere nur eine andere Frage: Welcher US-Politiker das Zeug habe, der amerikanische Seehofer zu werden. Söders Antwort: Keiner!
Flüchtlinge stürmen aus italienischem Lager
Rom - Aus Wut über unhaltbare Zustände in ihren
Unterkünften und Protest gegen ihre drohende Abschiebung sind Hunderte
Flüchtlinge aus einem Auffanglager auf der italienischen Insel Lampedusa
gestürmt. Im Zentrum der Stadt demonstrierten sie am Samstag mit
Inselbewohnern, ehe sie in das Lager zurückkehrten. Die Unterkunft bietet
850 Personen Platz, doch lebten dort zeitweise bis zu 1800 Menschen. (Seiten 3
und 4)
Kampf gegen die Wirtschaftskrise
Obama will die Wall Street zähmen
Der neue US-Präsident plant stärkere Kontrolle des Finanzmarkts und wirbt für größtes Konjunkturpaket aller Zeiten
Washington - Die neue US-Regierung will den heimischen Finanzmarkt schärfer kontrollieren und Hedge-Fonds, Hypothekenhändler und Großbanken strenger beaufsichtigen. Auch will Washington Rating-Agenturen, die zuletzt die Risiken von Fonds und Finanzderivaten völlig unterschätzt hatten, neuen Regeln unterwerfen. Zugleich warb Präsident Barack Obama für ein umfassendes Konjunkturpaket.
Mit einer weitaus strengeren Regulierung des Finanzmarktes als bisher zieht die Obama-Regierung Konsequenzen aus der aktuellen Krise, in der faule US-Immobilienkredite und weitgehend unkontrollierte Spekulationen mit riskanten Derivaten das weltweite Bankensystem an den Rand des Abgrunds getrieben haben. Als Leitfaden dient ein "Rahmenplan zur Finanzstabilität", den kürzlich der frühere US-Notenbankpräsident Paul Volcker für die sogenannte Gruppe der 30, einen Kreis internationaler Finanz- und Währungsexperten, verfasst hatte. Volcker ist Vorsitzender eines im Weißen Haus neu geschaffenen Beraterstabs für wirtschaftliche Erholung und genießt Obamas Vertrauen. Volcker geht so weit, dass er internationalen Großbanken generell verbieten will, selbst hochriskante Hedgefonds zu betreiben.
Konkret will die Regierung offenbar erwirken, dass "Credit Default Swaps" (CDS), eine Art Versicherung gegen geplatzte Kredite, von einer zentralen Clearingstelle erfasst und nur an wenigen, streng überwachten Börsen gehandelt werden dürfen. Nach Informationen der Zeitung New York Times erwägen die Obama-Berater zudem, den Finanzinstituten in Handelsvorschriften abzuverlangen, beim Verkauf ihrer Derivate fortan wenigstens für einen Teil der Kapitalsumme selbst zu bürgen. Bisher konnten findige Hedge-Fonds praktisch das gesamte Kreditrisiko ihrer Anlagenpapiere auf den Käufer abwälzen. Eine weitere Reform sieht vor, fortan sämtliche Hypothekenhändler einer einheitlichen US-Bundesaufsicht zu unterwerfen.
Eine andere Neuerung zielt auf die Rating-Agenturen, die in den vergangenen Jahren die Risiken vieler Fonds und Finanzinstitute massiv unterschätzt hatten. Experten wie Mary L. Schapiro, die von Obama ernannte Chefin der New Yorker Börsenaufsicht, führen dies darauf zurück, dass die Agenturen für ihre Analysen just von jenen Banken und Fonds per Gebühr bezahlt werden, deren Papiere und Bilanzen sie bewerten. Ähnliche Forderungen hatten zuletzt auch zahlreiche europäische Regierungen erhoben.
Insgesamt dürfte die Stoßrichtung der US-Reformen es erleichtern, sich bei dem für Anfang April in London geplanten Weltfinanzgipfel der G-20-Staaten auf globale Standards zu einigen. Vor allem Deutschland und Frankreich hatten in der Vergangenheit ähnliche Vorschläge zur strengeren Regulierung der Weltfinanzmärkte vorgelegt, waren aber wiederholt an amerikanischen und britischen Einwänden gescheitert.
Barack Obama sprach sich am Wochenende eindringlich für ein Milliardenprogramm zur Ankurbelung der Wirtschaft aus. Massive Investitionen würden in den nächsten zwei Jahren "drei bis vier Millionen Jobs schaffen oder sichern", erklärte er. Die Republikaner im US-Kongress verschärften zuletzt ihre Kritik an dem rund 825 Milliarden Dollar teuren Paket und sprachen von "wahlloser Verschwendung". In seiner wöchentlichen Radioansprache erklärte Obama, das Geld diene nicht nur zur kurzfristigen Schaffung von Jobs, sondern auch der langfristigen Investition in eine bessere Infrastruktur, in die Energiepolitik, in Erziehung und die Krankenversicherung. (Seiten 4 und 8)
Luftiges Vergnügen
Es ist wieder so weit in Château-d'Oex: Eine Woche lang bevölkern die Liebhaber von Heißluftballons das kleine Dorf in den Waadtländer Alpen in der Schweiz. Stets im Januar kommen die Ballonfahrer dort zusammen, seit 31 Jahren. Denn die thermischen Verhältnisse sind in Château-d'Oex besonders günstig für die Ballonfahrt. Dieses Mal nehmen 80 Luftsportler aus 20 Ländern teil. Foto: Reuters
Die Kraft von Sonne und Wind
Mehr als 100 Staaten gründen Agentur für erneuerbare Energie
Der Name steht längst fest, er erinnert an ein Mädchen. Als Geburtshelfer wirken an diesem Montag in Bonn Delegierte aus mehr als hundert Staaten. Irena heißt das Kind, die Buchstaben stehen für "International Renewable Energy Agency". Auf dem Gründungskongress sollen die Statuten einer neuen logistischen Basis festgelegt werden, die ein ehrgeiziges Ziel hat: Die Agentur soll nach den Worten des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier den erneuerbaren Energiequellen global zum Durchbruch verhelfen.
Die Ausstattung ist angesichts der gewaltigen Aufgabe noch bescheiden: Etwa 25 Millionen Dollar sind es in der Startphase, ungefähr 100 Fachleute sollen zu Beginn die Wissensbasis dafür schaffen, dass der Übergang von einer auf Öl, Gas und Kohle basierenden Energiewirtschaft zu einer klimaverträglichen, langfristig gesicherten Versorgung beschleunigt wird. Es ist eine gewaltige Aufgabe, auch angesichts der unterschiedlichen Strukturen in Industrie-, Entwicklungs- und Schwellenländern. Wenn die Statuten einmal ratifiziert sind, wenn das nach dem UN-Beitragsschlüssel aufgebaute Budget mitsamt einem Arbeitsprogramm steht, dann soll die Agentur nach und nach Wirkung entfalten - mit politischer Beratung, dem Aufbau eines internationalen Netzwerks sowie der Förderung von Forschung und Technologietransfer.
Je nach Blickwinkel entsteht so eine Ergänzung oder gar ein Gegengewicht zur Internationalen Energieagentur (IEA) und zur Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA), die beide in einer Zeit gegründet wurden, als das Ende der fossilen Energiequellen noch weiter entfernt und der Klimawandel kaum ein Thema war. Deutschland richtet nicht nur den Gründungkongress aus, es war auch maßgeblich an der langen Vorbereitungsphase beteiligt. Der Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer (SPD), der auch Präsident der Organisation "Eurosolar" ist, hatte sich schon Anfang der neunziger Jahre für das Projekt eingesetzt. Als 2004 die erste Konferenz der Vereinten Nationen zur Förderung erneuerbarer Energie in Bonn stattfand, nahm Irena Gestalt an. Die stärkste Unterstützung kam in der Folge von den Regierungen in Dänemark und Spanien.
Wind, Sonne, Erdwärme und Biomasse haben in Deutschland einen Anteil von ungefähr neun Prozent am gesamten Endenergieverbrauch, zur Stromerzeugung tragen sie etwa 15 Prozent bei. In der weltweiten Statistik liegt der Anteil an der Endenergie bei 18 Prozent, aber dieser Wert ist trügerisch. Er wird ganz überwiegend mit Hilfe großer Wasserkraftwerke und der traditionellen Nutzung von Brennholz erreicht. Wo aber nicht wieder aufgeforstet wird, wo schlimmstenfalls sogar Wüstenbildung gefördert wird, handelt es sich nur theoretisch um eine erneuerbare Energieressource.
Es wird Aufgabe der Irena sein, eine den jeweiligen Verhältnissen angepasste Alternative zu entwickeln. Sie ist für die Bewohner in vielen Gegenden der Erde lebenswichtig, weil es für die Stromkonzerne nie rentabel sein wird, abgelegene Regionen an das Leitungsnetz anzuschließen. Die dezentrale Nutzung von Wind und Sonne ist dort die einzige Lösung.
Wenn die Irena so gedeiht, wie es sich die Gastgeber vorstellen, könnte
2010 die erste Sitzung der Versammlung stattfinden, die als oberstes Organ der
Agentur fungiert. Bekäme das Sekretariat seine Heimat in Deutschland,
wäre das keine Überraschung.
Das Wetter
München - Ein Hoch über Mitteleuropa bringt meist trockenes Wetter mit viel Sonne. Am Morgen örtlich Nebel, in den Mittelgebirgen teils wolkig. Schwacher bis mäßiger Wind, Temperaturen zwischen zwei und fünf Grad. (Seite 33)
HEUTE MIT
Mobiles Leben
Der unterirdische Bahnhof Stuttgart 21 ist eines der spektakulärsten Verkehrsbauwerke. 2010 ist Baubeginn. (Seite 35)
jetzt.de
Weil angeblich kein anderer wollte, leitet nun Leo Fischer, 27, das Satiremagazin Titanic. Ein Besuch (Seite 39)
Schule und Hochschule
Abkehr vom Sonderweg: Behinderte Kinder sollen in deutschen Schulen besser integriert werden. (Seite 40)
Papst holt Holocaust-Leugner zurück in die Kirche
Benedikt XVI. hebt Exkommunikation von vier konservativen Bischöfen auf / Juden in aller Welt empört
Rom - Papst Benedikt XVI. hat die Exkommunikation von vier Bischöfen der ultrakonservativen Pius-Priesterbruderschaft aufgehoben und damit in der jüdischen Welt Empörung ausgelöst. Die Entscheidung des Papstes "verseuche" die ganze Kirche, sagte der Rabbiner David Rosen, der maßgeblich am jüdisch-christlichen Dialog beteiligt ist. Der Präsident der italienischen Rabbiner, Giuseppe Laras, kritisierte: "Wir können nicht in den Kopf des Papstes sehen, aber das ist sicher kein Handeln, das Entspannung bringt." Unter den vier Bischöfen ist der Brite Richard Williamson. Er leugnet seit Jahren den Holocaust und behauptet, es habe die Gaskammern in den Konzentrationslagern der Nazis nie gegeben.
Kirchenvertreter distanzierten sich am Wochenende von den Äußerungen Williamsons, verteidigten aber zugleich den Schritt des Papstes. So sagte der Vatikan-Sprecher Federico Lombardi, die Rücknahme der Exkommunikation sei eine "Geste des Friedens" und eine "Quelle der Freude" für die ganze Kirche. Zwar seien die Behauptungen des Bischofs Williamson inakzeptabel. Sie hätten aber nichts mit der Exkommunikation zu tun.
Die vier Bischöfe sind Anhänger des 1991 verstorbenen traditionalistischen französischen Erzbischofs Marcel Lefebvre. Er hatte die Neuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils wie die Erklärung zur Religionsfreiheit, den Dialog mit anderen Konfessionen und Glaubensrichtungen sowie eine Liturgiereform bekämpft. 1988 weihte er trotz eines päpstlichen Verbotes vier Priester seiner Bruderschaft zu Bischöfen und löste eine Kirchenspaltung aus. Lefebvre und die vier Bischöfe wurden exkommuniziert. Papst Benedikt XVI. bemüht sich seit seinem Amtsantritt im Jahr 2005 darum, das Schisma zu überwinden. So erlaubte er 2007, dass wieder in allen Bistümern Messen nach dem alten tridentinischen Ritus gefeiert werden können.
Nach der Aufhebung der Exkommunikation erwarten Beobachter, dass es bald zur Wiedereingliederung der "Priesterbruderschaft Pius X." in die katholische Kirche kommen wird. Der Bruderschaft sollen nach eigenen Angaben etwa 500 Priester angehören und 600 000 Gläubige anhängen. In einem Kommuniqué des Vatikans, das am Samstag veröffentlicht wurde, heißt es, Benedikt XVI. hebe "mit Wohlwollen" und "aus pastoraler Sorge und väterlicher Barmherzigkeit" die Exkommunikation auf. "Der Papst ist bei dieser Entscheidung von dem Wunsch erfüllt, dass man möglichst rasch zu einer vollständigen Versöhnung und zu voller Gemeinschaft gelangt." Die vier Bischöfe hatten zuvor versichert, das Primat des Papstes anzuerkennen.
Die Entscheidung Benedikt XVI. stieß auch in der Kirche auf Kritik. So erklärte die Bewegung "Wir sind Kirche", der Schritt des Papstes zeige die "rückwärtsgewandte Ausrichtung" seines Pontifikats. Die Bewegung warnte davor, Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils rückgängig zu machen. Vertreter des Judentums vermissten eine scharfe Verurteilung der Behauptungen Williamsons. Der Bischof hatte jüngst bei einem Besuch in Deutschland gesagt, er glaube, dass es "keine Gaskammern gegeben hat". Zudem seien in den deutschen Konzentrationslagern nicht sechs Millionen Juden getötet worden, sondern bis zu 300 000. Die Staatsanwaltschaft Regensburg ermittelt gegen den Bischof wegen Volksverhetzung. (Seiten 2 und 4)
Handball-WM in Kroatien
Überraschende Polen
Zadar (dpa) - Polen hat bei der Handball-WM in Kroatien in der deutschen Hauptrunden-Gruppe für eine Überraschung gesorgt. Der WM-Zweite gewann am Samstag in Zadar gegen Europameister Dänemark 32:28 (20:12). Vor 1500 Zuschauern erzielten Patryk Kuchczynski (9) für Polen und Lasse Boesen von der SG Flensburg-Handewitt (6) für Dänemark die meisten Tore. Durch die Niederlage der Dänen blieb Titelverteidiger Deutschland trotz des 35:35 gegen Serbien mit 5:1 Punkten Tabellenführer vor Dänemark und Norwegen, das im ersten Spiel des Tages mit 29:27 (16:13) gegen Mazedonien gewonnen hatte.
Die Polen, die mit zehn Spielern aus deutschen Klubs angetreten waren, bekamen erst nach dem Wechsel Schwierigkeiten gegen die Dänen, die ihre Abwehr umformiert hatten. So schmolz der Vorsprung nach und nach und war beim 29:28 (57.) fast aufgebraucht. Am Ende aber hatte die Aufholjagd den Europameister zu viel Kraft gekostet und Polen kam noch zu entscheidenden Treffern.
In der Gruppe I in Zagreb bleiben Gastgeber Kroatien und Olympiasieger Frankreich weiter ohne Punktverlust. Die Franzosen bezwangen Schweden 28:21 (16:10) , Kroatien setzte sich gegen Ungarn 27:22 (14:12) durch. WM-Neuling Slowakei gewann gegen Südkorea 23:20 (15:12) und ist nun Tabellendritter.
Durchgehend unter Polizeischutz
"Das ist kein Sport mehr, das ist Politik": Serbiens Handballer müssen bei der WM in Kroatien mit Pfiffen, Schmähungen und einer Bombendrohung leben
Zadar - Als die serbische Mannschaft am Samstag um 17.08 Uhr das Spielfeld der Sporthalle zu Zadar betritt, beginnen Tausende Menschen zu pfeifen. Es ist nicht die Art von Pfeifen, mit der Fans einen nicht so beliebten Gegner bedenken, es ist ein Pfeifen voller Wut und Hass. Vermutlich gibt es keinen Ort in Kroatien, an dem es anders wäre bei dieser Handball-WM, nirgends würden die Serben beklatscht oder wenigstens ignoriert. Aber in Zadar, an der Küste Dalmatiens, ist es besonders schlimm, weil es erstens ein Zentrum des kroatischen Nationalismus ist und zweitens Kriegsschauplatz war im Balkankonflikt. Die Ablehnung, die den Serben entgegenschlägt, ist körperlich spürbar.
Die serbische Mannschaft bildet einen Kreis, dann stellt sie sich in einer Reihe auf und winkt ins Publikum, es wirkt höflich, nicht provozierend. Als wenig später beim Einwerfen ein Ball auf die Tribüne fliegt, wirft ihn ein kroatischer Fan zurück, die Serben danken mit erhobenem Daumen, doch dieser Moment bleibt die Ausnahme. Die serbische Hymne wird begleitet von Pfiffen und Schmähungen.
Die Gegner der Serben werden bejubelt und angefeuert, an diesem Samstag sind es die Deutschen. Es ist ein seltsames Handballspiel, beide Seiten begehen Unmengen an Fehlern. Erst sieht es aus, als gingen die Deutschen unter, dann sieht es aus, als gewännen sie locker, schließlich erzielen die Serben mit dem letzten Wurf der Partie das 35:35 (16:19). Nach dem Spiel erzählt der Serbe Momir Ilic, der in der Bundesliga beim VfL Gummersbach spielt, wie es ist, als Serbe in Kroatien zu spielen: "Wir stehen durchgehend unter Polizeischutz", sagt er, "zum Training fahren wir immer mit Eskorte, das Hotel verlassen wir sonst gar nicht mehr." Wobei das Hotel auch nicht direkt ein Hafen der Ruhe ist. "Wir können nachts kaum schlafen, weil meistens Leute da sind und Lärm machen", sagt Ilic. Am Freitagabend ging bei einer örtlichen Zeitung eine Bombendrohung gegen das Hotel ein, versehen mit dem Hinweis, viele Serben würden sterben. Auch die deutsche Mannschaft wohnt in dem Hotel, sie bekam aber von der Aufregung nichts mit. "Ich habe so gut geschlafen wie noch nie in diesem Turnier", sagte Bundestrainer Heiner Brand. Dass es überhaupt eine Bombendrohung gab erfuhren die Deutschen eher zufällig. Christian Schönes Heimtrainer bei Frisch Auf Göppingen, Velimir Petkovic, rief seinen Spieler an, um mal zu hören, was es denn mit dieser Bombe auf sich habe.
Schon zuvor hatte es einigen Wirbel in Zadar gegeben. Der Bürgermeister der Stadt hatte die Fahnen aller 24 WM-Teilnehmer abhängen lassen, weil eine davon die serbische war. Die serbische Fahne in Zadar wehen zu sehen, das war einigen Kroaten zu viel. In den kroatischen Medien stieß das Abhängen der Fahnen allerdings auf wenig Verständnis. Momir Ilic sagt: "Es ist traurig, was hier passiert, denn das ist kein Sport mehr, das ist Politik." Während der Spiele der Serben ist tatsächlich immer zu sehen und zu hören, dass es auch um Politik geht. Nicht nur wegen der Pfiffe und Schmähungen. Rund 20 serbische Fans haben sich beim Spiel gegen Deutschland in die Halle getraut. Ilic erzählt, ein Bus sei aufgehalten worden und nicht zur Halle durchgekommen. Die 20 Serben, die da sind, haben zwei Hörner mitgebracht, zwei Trompeten, eine Trommel und drei Fahnen. Eingerahmt werden sie von 18 Polizisten eines Sondereinsatzkommandos, die in schwarzen Monturen stecken, dazu gesellen sich noch sechs Ordner in neongelben Westen. Die Serben spielen Musik, zu hören sind sie kaum in der Halle, die 7000 Menschen Platz bietet.
Immer, wenn die Deutschen ein Tor werfen, wird der Name des Schützen über die Lautsprecher in die Halle gerufen. Immer, wenn die Serben ein Tor werfen, herrscht danach Schweigen. Die Tore werden zwar auf der Anzeigetafel gezählt, durchgesagt werden sie nicht. Die Spieler nehmen es hin, es scheint sie sogar zu motivieren. "Die halten das aus", glaubt der deutsche Rückraumspieler Martin Strobel, "es kann ja auch anspornen, wenn die ganze Halle gegen einen ist." Ilic sagt: "Wir spielen für unsere Landsleute."
Sportlich war die Partie vom Samstag überaus abenteuerlich. Die Deutschen warfen 18 Mal mehr aufs Tor als die Serben, was in normalen Spielen heißt, dass man mit rund neun Toren Vorsprung gewinnt. Es lief aber nicht normal, der zuvor so brillante Schöne erwischte einen Tag von tiefstem Schwarz, er traf mit lediglich einem von zehn Würfen. Mit sechs Toren lagen die Deutschen in der ersten Hälfte zurück, zwei Minuten vor Schluss führten sie bei Überzahl mit zwei Toren Vorsprung. Das 35:35 war beides, Punktgewinn und Punktverlust.
Nach der Partie winken die Serben wieder ins Publikum. Die 20 Fans feiern, wer mit dem letzten Wurf den Ausgleich schafft, der freut sich. Die Halle ist vergleichsweise ruhig, Polizisten halten die Ränge im Auge. Sie sehen einen jungen Mann, Mitte 20, sie rufen ihm eine Warnung zu, doch er stellt sich an eine Balustrade und bespuckt die serbischen Spieler, die in die Kabine gehen. Die Spieler tun, als sei nichts, sie gehen einfach weiter. Christian Zaschke
Abenteuerliche Wurfausbeute: Im deutschen Team traf nur Torsten Jansen (links) zuverlässig, er überwand Serbiens Torleute insgesamt zehnmal. Foto: dpa
Sport heute
Hoffenheims Arena-Einweihung von Personalproblemen überschattet Seite 26
Hahnenkammsieger Didier Defago führt die Schweizer Abfahrer an Seite 27
Funktionäre wollen Klarheit im Fall Vuckovic Seite 29
Die Europa-Tour zieht immer mehr prominente US-Profis an Seite 30
Ergebnisse Seite 28
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Die Nummer eins geht in die Lehre
Jelena Jankovic' frühes Aus in Melbourne beschert dem Frauen-Tennis eine neue Unübersichtlichkeit
Melbourne - Jelena Jankovic versuchte alles. Als es im zweiten Satz eng wurde, bekreuzigte sie sich. "Ich hätte wirklich ein bisschen Hilfe gebrauchen können", gab die 23-Jährige an. Der Beistand blieb aus. Nach 82 Minuten stand es 6:1 und 6:4 - für die Französin Marion Bartoli, der damit zum Ende der ersten Woche der Australian Open eine Überraschung glückte, die noch für einige Diskussionen sorgen wird. Bartoli ist die Nummer 17 der Weltrangliste, Jankovic wird vom Computer seit dem 11. August 2008 als Branchenführende ausgewiesen. Ein Grand-Slam-Turnier hat die Serbin noch nicht gewonnen, weshalb sie in Melbourne viel Zeit damit verbrachte, zu erklären, warum sie trotzdem die Beste sei. Ihr überzeugendstes Argument: "Ich fühle mich so." Das könnte sich bald ändern.
Im Frauen-Tennis ist einiges durch- einander geraten. Der Favoriten-Status ist nichts mehr wert. Egal, welche Ziffer hinter dem Namen steht - auf dem Spielfeld herrscht Ungewissheit. An Bartolis Auftritt war das gut zu beobachten. Die Tochter eines Arztes umschließt den Schläger bei der Rück- und bei der Vorhand mit zehn Fingern. 2007 hat sie mit der Technik in Wimbledon als Finalistin schon einmal für Furore gesorgt. Trotzdem zog sie als Außenseiterin ins Duell mit Jankovic. Als die im zweiten Satz aber Probleme mit ihrem ersten Aufschlag bekam, rückte Bartoli beim zweiten Aufschlag frech drei Meter ins Feld. Als sich Bartoli beim Stand von 5:4 und 40:0 drei Matchbälle boten, versuchte sie wiederum ihren zweiten Aufschlag ins Feld zu hämmern wie den ersten. So sieht demonstrative Unerschrockenheit aus. "Natürlich wusste ich, dass ich eine Chance gegen sie habe, wenn ich gut spiele", gab Bartoli nachher an.
Drei Frauen haben Chancen, Jankovic in dieser Woche die Nummer eins abzujagen: Serena Williams, Jelena Dementjewa und Dinara Safina. Die 22 Jahre alte Schwester von Marat Safin trat an diesem Sonntag unmittelbar nach Jankovic in der Rod Laver Arena an. Der Auftritt war alles andere als überzeugend. Gegen die Französin Alizé Cornet, die noch kein Grand-Slam-Viertelfinale erreicht hat, musste Safina zwei Matchbälle abwehren. Erst nach mehr als zwei Stunden hatte sie sich zum 6:2, 2:6, 7:5-Erfolg gezittert. "Heute war ich nur ein Schatten meiner selbst", sagte sie selbst.
Drei ehemalige Nummer-eins-Trägerinnen sind bereits ausgeschieden. Venus Williams unterlag in Runde zwei der 1,62 Meter kleinen Spanierin Carla Suarez Navarro, die Weißrussin Victoria Asarenka schickte Amélie Mauresmo zum Flughafen, die Siegerin von 2006. Ana Ivanovic, von der eine Uhrenfirma in ganzseitigen Zeitungsanzeigen behauptet, sie sei "schön - und auf dem Platz unwiderstehlich", scheiterte in Runde drei an der Russin Alisa Kleibanowa. Seit ihrem Sieg bei den French Open im vergangenen Frühjahr, hat Ivanovic kein Grand-Slam-Achtelfinale mehr erreicht. In ihrem Abschieds-Blog aus Melbourne stimmte sie das Lied an, dass alle Früh-Gescheiterten gerne singen: Gut, dass es nächste Woche schon wieder ein Turnier gibt, bei dem ich mich verbessern kann.
Verbessern. Das ist das große Thema der Frauen-Tour. Deren Marketing-Abteilung gibt sich alle Mühe, die neue Unübersichtlichkeit als Stärke zu verkaufen. Seht her, wie ausgeglichen und damit gut unser Spiel geworden ist! Die aktuelle Kampagne, die in TV-Spots beworben wird, heißt "Looking for a hero?" - sinngemäß: Auf der Suche nach einer Heldin? Als Beispiel wird unter anderem Maria Scharapowa angeboten. Die Titelverteidigerin ist in Melbourne gar nicht am Start. Sie ist verletzt und wird in der kommenden Woche auf der Weltrangliste nicht mehr unter den besten Zehn geführt werden.
Der häufige Wechsel auf dem begehrtesten Platz ist ein Symptom für das Dilemma, in das die Disziplin gerutscht ist: Das Frauen-Tennis stagniert. Die Letzte, die dem Spiel etwas Neues gebracht hat, war Justine Henin. Die zierliche Belgierin beherrschte eine Rückhand wie zuvor noch keine. Aus vollem Lauf schlug sie die Filzkugel ihren Rivalinnen um die Ohren. So war sie in der Lage, gegen körperlich übermächtige Gegnerinnen zu bestehen. Zuvor hatten die Williams-Schwestern dem Spiel um die Jahrtausendwende ein neues Element gebracht: eine Wucht, wie sie zuvor nur die Männer praktizierten, und welche Künstlerinnen wie Martina Hingis aus den großen Arenen vertrieb. Auf solche Errungenschaften können Jankovic, Ivanovic oder Safina nicht verweisen. Sie spielen alle ähnlich: geradlinig, und an guten Tagen beeindruckt ihre Entschlossenheit. An schlechten Tagen bricht ihr Spiel beim ersten Lüftchen zusammen wie ein Kartenhaus. Ivanovic schied in Melbourne aus, weil ihr in drei Sätzen 50 vermeidbare Fehler unterliefen. Jankovic versprach zum Abschied: "Ich werde versuchen, daraus meine Lehren zu ziehen und besser zu werden." Die Szenengrößte als Lehrling. Seit 1997 ist die topgesetzte Spielerin bei den Australian Open nicht mehr so früh nach Hause gereist.
Das Ergebnis passt zu einer Diskussion, die in den örtlichen Medien bereits
in der vergangenen Woche hitzig geführt wurde. Seit die Frauen das gleiche
Preisgeld bekommen wie die Männer, wird bei ihnen besonders genau
hingeschaut. Roger Rasheed, dem Trainer des Franzosen Gael Monfils, ist dabei
aufgefallen, dass unter anderem die Australierin Casey Dellacqua einiges
"Übergepäck" mit sich herumschleppe. Die Antwort kam
umgehend. Der Mann habe keine Ahnung, konterte Dellacqua, die nach eigenen
Angaben 1,65 Meter misst und 68 Kilogramm wiegt. Auch Margaret Court, die 1960
die Australian Open gewann und 1970 den Grand Slam schaffte, bekam einiges zu
hören, als sie behauptete: "Ich glaube nicht dass die Spielerinnen
heute so fit sind wie wir damals." Eine kühne These. Das Frauen-Tennis
mag gerade einiges an Dynamik verloren haben. Beschaulich wie zu Zeiten der
Holzschläger ist es aber nicht.
Ein Bild des Jammers: Die Weltranglisten-Erste Jelena Jankovic weiß sich gegen die Französin MArion Bartoli nicht mehr zu helfen. Foto: AP
Haas chancenlos gegen Nadal
Bittere Erkenntnisse
Melbourne - Es begann gut. Vielversprechend. Nach zehn Minuten leuchteten die Ziffern "2" und "0" an der Anzeigetafel der Rod Laver Arena. Von den ersten 16 Punkten, die im letzten Drittrunden-Match des Samstags gespielt worden waren, hatte Tommy Haas zehn gewonnen. Gleich bei erster Gelegenheit war ihm ein Break gegen Rafael Nadal geglückt. Die Filzkugel flog mit Wucht durch die kühle Abendluft. Hin und her. Je länger sie aber flog, desto deutlicher wurde, auf welcher Seite des Netzes die aktuelle Nummer eins der Weltrangliste stand. Die Schwäche im ersten Aufschlagspiel blieb Nadals einzige. Nach zwei Stunden und vier Minuten hatte er 6:4, 6:2, 6:2 gewonnen - und Haas sagte: "Er war heute einfach besser." Das war er wirklich. Ohne viel Übertreibung gab Nadal an: "Das war mein bestes Match, das ich bislang in Australien bestritten habe."
Mit gemischten Gefühlen trat Tommy Haas folglich die Heimreise nach Bradenton/Florida an. Einerseits haben ihm die Australian Open 2009 gezeigt, dass er auch nach monatelanger Pause aus dem Stand noch ganz gut mithalten und sich auch im Alter von 31 Jahren auf dem Center Court sehen lassen kann. Andererseits bescherten sie ihm eine bittere Erkenntnis: Den Szenegrößen wird er wohl nicht mehr gefährlich werden können, auch wenn er noch so klug Stopps und Lobs in sein Spiel streut. Seinen Traum, einen Grand-Slam-Titel zu gewinnen, muss er wohl aufgeben. Was überwiegt, das Gefühl der Genugtuung oder der Ernüchterung? "Ich bin im Großen und Ganzen zufrieden", sagt Haas: "Ich muss mehr spielen, um in solchen Matches in den entscheidenden Momenten wieder zu wissen, was ich zu tun habe."
Erst einmal will er sein Leben als Tennis-Profi neu ordnen. Einen Trainer hat er nicht, die Zusammenarbeit mit Dean Goldfine ging über die jüngste Schulterverletzung zu Bruch. In Melbourne standen Haas der Schwede Thomas Högstedt und Patrik Kühnen zur Seite. Beim Davis-Cup-Chef hatte Haas kurz vor Weihnachten erst angefragt. Eine langfristige Liaison ist nicht geplant. Vom 9. Februar an will Haas in San Jose spielen, in der Woche darauf steht das Turnier in Memphis auf seinem Plan. Nach den großen Veranstaltungen in Indian Wells und Miami will er schauen, wie sich seine Weltranglisten-Notierung entwickelt.
Im Moment wird er an Nummer 79 geführt. Bei den großen Sandplatzturnieren in Monte Carlo, Rom und Madrid wird er damit nicht ins Hauptfeld kommen. Auf die Qualifikation hat Haas auf dem ungeliebten, langsamen Untergrund, der seine ausgeleierte Schulter besonders stark strapaziert, keine Lust. Bei den BMW Open in München (ab 4. Mai) wird er wohl aus Pflichtbewusstsein antreten. Bei den German Open in Hamburg, die in diesem Jahr erst im Juli gespielt werden, wird er dagegen nicht zu sehen sein. "Mit der Kälte und den Bällen - das geht für mich gar nicht mehr. Damit habe ich seit Jahren abgeschlossen", sagt Haas. Statt in seiner Geburtsstadt wird er wohl in Indianapolis spielen. Glücklich ist er darüber nicht: "Ich würde mir wünschen, dass es in Deutschland wieder ein Hallenturnier gäbe. Vielleicht in Stuttgart, in der Porsche-Arena, in der auch die Frauen spielen."
Das Thema Davis Cup ist ebenfalls ein heikles. Anfang März steht in Garmisch-Partenkirchen die Erstrunden-Partie gegen Österreich an. Der Gegner ist nicht zu unterschätzen. Stefan Koubek hat in Melbourne in der ersten Runde den Russen Michail Juschni bezwungen. Jürgen Melzer kam in Runde drei, wofür er unter anderem den Ravensburger Andreas Beck 5:7, 7:6, 6:4, 6:3 niederrang. Melzer und Julian Knowle bilden zudem ein eingespieltes Doppel. Ein rein deutsches Duo trat dagegen in Melbourne nicht an. Ohne Haas könnte es in Garmisch spannend werden, zumal Philipp Kohlschreiber nach seinem Ausscheiden in Runde zwei gegen Fabrice Santoro seine Aversion gegen Matches kund tat, in denen er womöglich fünf Sätze spielen muss. Teamchef Patrik Kühnen haben diese Aussagen "überrascht und gewundert". In den nächsten Wochen will er mit dem 25-Jährigen ein ernstes Gespräch führen. Thema: Wo will ich als Tennisspieler hin. Was bin ich bereit, dafür zu tun?
Mit Haas hat Kühnen über den Davis Cup noch nicht gesprochen. Er
wollte ihm "erst einmal Zeit lassen, sich wieder einzufinden".
Ebenfalls ungewiss sind die Aussichten für Nicolas Kiefer. Der
31-Jährige laboriert an einem doppelten Bänderriss. Wann er wieder
Tennis spielen kann, ist ungewiss. Um sich alle Optionen offen zu halten, will
Kühnen das Team für das Duell mit Österreich kurzfristig berufen.
Der letzte Termin ist zehn Tage vor der Auslosung. Die findet am 5. März
statt.
Das war's dann: Tommy Haas ist in Melbourne ausgeschieden. Foto: AP
Federer gewinnt Fünf-Satz-Krimi
Djokovic' Nachtschicht
Melbourne (dpa) - Titelverteidiger Novak Djokovic aus Serbien ist dem Weltranglisten-Zweiten Roger Federer ins Viertelfinale der Australian Open gefolgt. Der 21-Jährige gewann in der Nacht zum Montag (Ortszeit) das zweite Spiel der sogenannten "Night session" gegen Marcos Baghdatis aus Zypern 6:1, 7:6 (1), 6:7 (5), 6:2. Erst um 2:26 Uhr hatte Djokovic das Match beendet.
Der 13-malige Grand-Slam-Champion Federer war zuvor durch ein 4:6, 6:7 (4), 6:4, 6:4, 6:2 gegen den tschechischen Tennisprofi Tomas Berdych in die Runde der letzten Acht eingezogen. Nach dem Fünf-Satz-Krimi saß Federer ganz entspannt im rappelvollen Pressesaal uns sagte: "Ich hatte nie das Gefühl zu verlieren. Jetzt bin ich im Turnier drin. So ein Match spielt man ja nicht jeden Tag, und es ist eine große Befriedigung, es zu gewinnen." Federer trifft nun auf den Argentinier Juan Martin del Potro, der sich gegen den Kroaten Marin Cilic durchgesetzt hatte. Djokovic spielt gegen Andy Roddick aus den USA.
Ballack trifft wieder - zwei Tore im Pokal
Michael Ballack entwickelt sich zum Pokalhelden des FC Chelsea. Mit zwei Toren verhalf der endlich wieder treffsichere Kapitän der deutschen Nationalelf den Blues zum 3:1 über den Zweitligisten Ipswich Town und zum Einzug ins Achtelfinale des FA-Cups. Schon zehn Tage zuvor hatte der 32-Jährige seine Elf gegen das drittklassige Southend United zum Sieg geführt. Mit Toren liefert er auch Argumente für eine Vertragsverlängerung beim Londoner Spitzenklub. "Ich fühle mich hier sehr wohl und hoffe, ich kann hier noch ein paar Jahre spielen", sagte Ballack erneut. Sein Drei-Jahres-Vertrag läuft im Sommer aus, enthält aber eine Option für ein weiteres Jahr. "Wir werden uns in den nächsten Wochen zusammensetzen, und ich denke, wir werden einen Weg finden." Seit kurzem ist beim FC Chelsea ein radikaler Sparkurs ausgebrochen.
Die britische Presse feierte Ballack für seine Tore - erst eine ins lange Eck verwandelte Vorlage (19.), dann ein meisterhaft über die Mauer gezirkelter Freistoß (59.), bei dem sich Torwart Richard Wright vergeblich streckte (Foto: AP). "Seine bislang bedeutendste Saison- Leistung", schrieb das Boulevardblatt News of the World, während die Sunday Times ihn zum "Star man" kürte und der Independent on Sunday den "brillanten" Ballack zum "Mann des Spiels".
"Ich gehe davon aus, dass er zu den Planungen für die nächste
Saison gehört", sagte Assistenztrainer Ray Wilkins, "vielleicht
ist es überraschend, dass er nicht schon mehr Tore erzielt hat, aber viele
Leute erkennen oft nicht den Beitrag, den Michael leistet. Er ist ein Spieler
höchster Qualität." Wilkins verriet auch, dass Ballack fast
gefehlt hätte, weil er im Training einen "bösen Tritt"
einstecken musste: "Sein Einsatz war fraglich, aber er wollte unbedingt
spielen."
Pfiffe wie in dunklen Zeiten
Das 0:1 gegen Juventus Turin erinnert die Offiziellen des AC Florenz an die Moggi-Affäre - in die auch sie verwickelt sind
Rom - Ein 1:0 gegen den AC Florenz und Juventus Turin ist wieder ganz oben. Gleichauf mit Tabellenführer Inter Mailand - und auf jeden Fall der einzige ernstzunehmende Verfolger. Eine Mannschaft, die von den Oldies Alessandro Del Piero, 34, und Pavel Nedved, 36, geführt wird, hat es im zweiten Jahr nach dem Wiederaufstieg aus der zweiten Liga geschafft, den Abstand zu José Mourinhos Team Punkt für Punkt zu verkürzen. Und sich dabei vom Verwaltungsfußball früherer Zeiten zu verabschieden.
Dass die Abwehr schon länger nicht mehr die wichtigste Abteilung ist bei Juventus Turin, wurde gegen die Fiorentina offensichtlich. Im Olympiastadion von Turin erzitterte sich die Juve buchstäblich ihren Sieg unter der etwas naiven Dauerbelagerung der Gegner. Ein wenig mehr Treffsicherheit der jungen Spieler aus Florenz, eine genauere Spielleitung durch Schiedsrichter Massimililano Saccani und seine zerstreuten Linienrichter - und die Alte Dame hätte das Nachsehen gehabt. Tatsächlich aber übersah Saccani im Juve-Strafraum ein klares Foul des Schweden Olof Mellberg an dem Montenegriner Stevan Jovetic und verweigerte dem AC Florenz den Elfmeter. Damit nicht genug, annullierte er noch einen regulären Treffer von Alberto Gilardino wegen angeblichem Abseits.
Diese Fehler führten zu einem finale furioso - nicht nur auf dem Platz, wo der AC Florenz verbissen bis in die Nachspielzeit dem Ausgleich nachjagte. Nach dem Abpfiff schwiegen Trainer Cesare Prandelli und die Mannschaft beleidigt, während ihr Präsident wutentbrannt beim Fernsehen anrief. Das ist, nach Berlusconis Vorbild, bei den Bossen des Fußballs besonders beliebt, weil sie vor großem Publikum unwidersprochen die haarsträubendsten Dinge ausposaunen können. Silvio Berlusconi tat das noch vorige Woche zu den Verhandlungen um seinen Spieler Kakà, um den sich Manchester City vergeblich bemüht hatte. Diesmal ließ sich der Florentiner Andrea Della Valle in eine Sendung von Rupert Murdochs Bezahlfernsehen Sky schalten, um mit vor Wut zitternder Stimme zu verkünden, er sei "empört und angeekelt" und mit ihm die Stadt Florenz, die "mehr Respekt" verdiene, auch von den Schiedsrichtern der Serie A. Ähnlich hatte vor ein paar Tagen schon Della Valles großer Bruder Diego getönt, dem der Klub gehört, seitdem basteln beide an Verschwörungstheorien: "Es ist, als wären wir in dunkle Zeiten zurückgefallen."
Gemeint ist natürlich die Ära Moggi, gemeint sind die Schiedsrichtergeschenke für Juventus Turin, gemeint sind die Spielmanipulationen. Solche Andeutungen kosten nichts, sind aber eigentlich ein bisschen peinlich, wenn man bedenkt, dass derzeit in Neapel nicht nur der einstige Juventus-Sportdirektor Luciano Moggi angeklagt ist, sondern auch Diego Della Valle. Im übrigen wird Fiorentina-Held Adriano Mutu nach wie vor von dem Agenten Alessandro Moggi betreut, obwohl Moggi junior gerade eine Bewährungsstrafe wegen Nötigung kassiert hat. Soviel zu den dunklen Zeiten.
Wenn auch der Sieg für Juve nicht ganz verdient war - der erste
Erstligatreffer des 23-jährigen Claudio Marchisio war es bestimmt. Del
Piero hatte ihm den Ball wunderbar weich in den Lauf platziert, und Marchisio
reagierte prompt. Dass es das einzige Tor blieb, verdankte die Fiorentina ihrem
Torwart Sebastien Frey, dessen Paraden den nach langer Verletzungspause noch
ungelenken Kollegen Gianluigi Buffon auf der anderen Seite ziemlich blass
aussehen ließen. Der lange Buffon umarmte am Ende den bulligen Frey sehr
ausführlich und flüsterte ihm nette Sachen ins Ohr. Das sah
versöhnlich aus. Vielleicht hatte Buffon Frey gesagt: "Tut mir leid.
Ihr wart besser, aber du weißt ja, wie das ist." Damit es ihm die
Fernsehkamera nicht von den Lippen lesen konnte, hielt Buffon sich eine Hand vor
den Mund. So lässig kann man die kleinen Ungerechtigkeiten des Lebens auch
regeln.
Klasnic klagt
Ivan Klasnic, 28, hat laut Spiegel zwei Klubärzte des Bundesligisten Werder
Bremen auf rund zwei Millionen Euro Schmerzensgeld und Schadensersatz verklagt.
Die Klage wird am 17. April am Landgericht Bremen verhandelt. Dem Angreifer,
seit Saisonbeginn beim französischen Erstligisten FC Nantes, war im
März 2007 eine Niere implantiert worden. Zu diesem Zeitpunkt stand Klasnic
in Bremen unter Vertrag. Der Kroate wirft den Medizinern Fehler bei der
Behandlung seiner Erkrankung vor. Die Werder-Ärzte bestreiten den Vorwurf.
Bislang war kein außergerichtlicher Kompromiss gefunden worden. Klasnic
erzielte von 2001 bis 2008 in 151 Liga-Spielen für Werder 49 Tore.
Finne für Rostock
Zweitligist Hansa Rostock hat Finnlands Torschützenkönig Henri Myntti,
26, verpflichtet. Der 1,98 Meter lange Stürmer kommt vom finnischen
Erstligisten Tampere United, er ist der dritte Neuzugang der Rostocker in der
Winterpause. Zuvor holte Hansa den ehemaligen Bundesliga-Profi Krisztian Lisztes
(Rakospalotai Budapest) und den Dänen Sebastian Svärd
(Mönchengladbach).
Neves vor Rückkehr
Der Hamburger SV will Mittelfeldspieler Thiago Neves nach nur einem halben Jahr
offenbar verkaufen. Der saudi-arabische Klub Al-Hilal soll bereit sein, sieben
Millionen Euro Ablöse für den Brasilianer zu zahlen, um ihn dann an
seinen Heimatverein Fluminense Rio de Janeiro auszuleihen. Das Internetportal
globoesporte.com zitiert dementsprechend die Mutter des 23-Jährigen, die
ihn bereits am Mittwoch in Brasilien zurückerwartet. Neves war im Sommer
für 7,5 Millionen Euro zum HSV gewechselt, konnte sich dort aber nicht
durchsetzen. Er kam auf sechs Bundesliga-Einsätze.
Barças Tor-Trio
Dem FC Barcelona ist die Revanche geglückt. Am 20. Spieltag feierten die
Katalanen ein 4:1 (2:0) im Estadio Nou Camp gegen CD Numancia. Der Gegner hatte
Barça am ersten Spieltag die einzige Saisonniederlage (0:1) in der
Primera Division zugefügt. Der Tabellenführer ist jetzt seit 19
Spielen unbesiegt und weist dabei ein Torverhältnis von 63:14 auf. Erneut
waren der Argentinier Lionel Messi (49./76.), der Kameruner Samuel Eto'o
(53.) und der Franzose Thierry Henry (71.) die Torschützen. Das Trio ist
auch unter den sechs besten Schützen der Primera Division zu finden,
Eto'o mit 19, Messi mit 14, Henry mit zwölf Toren.
Magath lehnt ab
Im Streit zwischen dem Deutschen Fußball-Bund und Felix Magath hat der
Trainer des Bundesligisten VfL Wolfsburg einen von DFB-Vizepräsident Rainer
Koch angebotenen Friedensgipfel abgelehnt. "Er will das zum jetzigen
Zeitpunkt nicht", erklärte Koch, der kritisierte: "Er kann nicht
in der Halbzeitpause mit so einer emotionalisierten Wortwahl auf den
Schiedsrichter zugehen." Die Auseinandersetzung hält seit November an.
Der Verband hatte Magath mit einer Strafe von 10 000 Euro belegt, nachdem dieser
Schiedsrichter Helmut Fleischer in der Pause der VfL-Partie gegen Stuttgart
(4:1) eine Spielleitung "unter aller Sau" attestiert hatte und auf die
Tribüne verwiesen worden war. Magath ist nicht bereit, die Strafe zu zahlen
und hat Berufung eingelegt. Ein endgültiges Urteil soll das
DFB-Bundesgericht fällen.
Abschied von Koller
Der Österreicher Karl Koller ist im Alter von 79 Jahren gestorben. Koller,
der an Alzheimer litt, bestritt 86 Länderspiele und belegte mit
Österreichs Nationalelf bei der WM 1954 in der Schweiz Platz drei; er
bildete in den 50er und 60er Jahren mit Gerhard Hanappi und Ernst Ocwirk eine
legendäre Läuferreihe. In Österreichs ewiger
Länderspiel-Rangliste liegt Koller auf Platz vier hinter Andreas Herzog
(103 Spiele), Toni Polster (95) und Hanappi (93). Koller beendete beim FC Vienna
1965 nach 836 Einsätzen (101 Tore) seine Laufbahn. 1955 errang er mit
Vienna seinen einzigen Meistertitel.
Dortmund holt Stürmer
Borussia Dortmund holt Sturm-Talent Kevin Großkreutz vom Zweitligisten RW
Ahlen zurück. Wie der BVB mitteilte, wechselte der 20-Jährige zur
kommenden Saison abslösefrei. Der gebürtige Dortmunder spielte bereits
in der Jugend bei Borussia und wechselte 2003 zu den Münsterländern.
Er erhält in Dortmund einen Vertrag bis 2012. In der Hinrunde kam
Großkreutz in allen 17 Spielen (zwei Tore) zum Einsatz.
Protest gegen Stevens
Trainer Huub Stevens muss sich beim niederländischen Meister PSV Eindhoven
heftiger Fanproteste erwehren. Nach dem 2:2 im Heimspiel gegen NAC Breda
forderten PSV-Fans den Rücktritt des langjährigen Bundesliga-Trainers.
Auch die Tatsache, dass Ibrahim Affelay noch den Ausgleich erzielte (78.),
beruhigte die Anhänger nicht. Zurzeit belegt der ehemalige
Europapokalsieger der Landesmeister nur Platz fünf.
Wolken über dem Leuchtturm
Bundesliga-Tabellenführer Hoffenheim weiht seine Arena in Sinsheim ein, doch den Trainer Ralf Rangnick plagen personelle Probleme
Sinsheim - Es war ein Tag der Danksagungen für den "Mitbürger Dietmar Hopp", wie der aus Stuttgart angereiste Ministerpräsident Günther Oettinger sperrig formulierte. Hopp selbst zog am Samstag an der Kordel, um den Schriftzug Rhein-Neckar-Arena vor dem Haupteingang zu enthüllen; er steckte auch das erste Ticket in die Kontrollschranke - wie es einem Haus- und Bauherren zusteht, der 60 Millionen Euro Errichtungskosten überwiegend aus eigener Tasche bezahlt hat. Der stets zurückhaltende Mäzen war dabei stolz wie ein Kind, das im Sandkasten eine prächtige Burg gebaut hat. Später stand Hopp auf dem Rasen zwischen dem Mitbürger Oettinger, der angemessen subjektiv vom "schönsten Fußballstadion Deutschlands" sprach - und Frau Paula Fischer, die bei Hoffenheims Arena-Weihe ihren 99. Geburtstag feierte.
Während die Stehplatzfans auf ihrer neuen, steilen Einrang-Tribüne den Finanzier mit Chören hochleben ließen, sagte Hopp mit weichem Vibrato: "Ich wünsche mir hier in diesem Juwel eine unendliche Fortsetzung des Wunders von Hoffenheim." Das neue schmucke Domizil seines groß gewordenen Dorfklubs geriet nach Hopps Gusto: sanft eingebettet in die Hügel des Kraichgaus, luftig anmutend, mit 30 100 Plätzen gediegen bemessen, von der Piano-Lounge bis zur Fankneipe alle Besucherkreise bedienend: "Die Arena ist ein Leuchtturm für die Region, aber kein Protztempel", sagte Geschäftsführer Jochen A. Rotthaus zur neuen Trutzburg in Sinsheim, Dietmar-Hopp-Straße 1, direkt an der A 6, vis á vis eines Auto- und Technikmuseums, das Concordes und Ferraris ausstellt. Zur Einweihung gab es ein So-la-la-Spiel, das konditionell noch müde Hoffenheimer gegen eine unterklassige Rhein-Neckar-Auswahl 6:2 (2:1) gewannen - und eine famose Musik- und Lichtershow: mit Trommlern, Populärgeiger David Garrett und einem Feuerwerk.
Das 3500-Tonnen-Dach der Arena, das nur dünne Stützen an der umlaufenden Fassade tragen, soll optisch laut Architekten "frei wie eine Wolke schweben". Viel Arbeit hat bis zur Bundesliga-Premiere gegen Cottbus am nächsten Samstag der Greenkeeper, der neue Rasen ist nicht rutschfest, wächst schlecht an. Trainer Ralf Rangnick, gewohnt reibungsfreudig, rüffelte zudem die Krawatten-Kundschaft, denn von knapp 2000 Vips (Business-Seats, 40 Logen) saßen in den ersten zehn Minuten nach der Halbzeit, als drei Hoffenheimer Tore fielen, nur gefühlte 20 auf den Plätzen, die restlichen noch am Buffet: "Vielleicht wurde im Vip-Raum ja auf den Tischen gezaubert", mutmaßte Rangnick spitz, "ich hoffe, das wird gegen Cottbus anders, sonst bekomme ich Probleme mit meinem Gemüt. Da bin ich vielleicht zu sehr Traditionalist. Da täten mir die vielen Fans in der Seele weh, die zurzeit keine Karten mehr bekommen."
Alle Abo-Tickets, 20 000, sind vergriffen, der Hype um den Bundesliga-Tabellenführer hält an. Am Zeitungskiosk liegen erste Hoffenheim-Hochglanzhefte aus, und nur noch selten gibt es in der Republik Wissenslücken wie neulich im TV-Quiz bei Günther Jauch, als ein Telefonjoker nötig war bei der Frage, ob bei Hoffenheim Demba Bi, Ba, Butze oder Mann mitspielt. Ba ist aktuell der einzige Gesunde aus der furiosen Sturmreihe, die 1899 wie im Rausch durch die Vorrunde trug. So ist das neue Arenadach derzeit nicht die einzige Wolke über Hoffenheim, nach Jahren unter stabilem Hochdruck-Einfluss.
Vedad Ibisevic kam auf Krücken zur Stadiontaufe. Der bosnische Torjäger war an 60 Prozent der 42 Hinrunden-Treffer beteiligt, er erzielte achtmal das türöffnende 1:0. Im Trainingslager in La Manga riss sein Kreuzband, an jenem verhängnisvollen Abend, als zudem Spielmacher Carlos Eduardo mit HSV-Stürmer Olic boxte; er ist nun zwei Spiele gesperrt. Als dritter Offensivartist fällt wohl auch Chinedu Obasi (Faserriss) aus. Im Januar 2008 legte Hoffenheim in La Manga die Grundlagen für ein surreales Superjahr - diesmal besteht Gefahr, dass das Camp in Spanien einen Bruch verursacht hat. Die Testspiele sahen eher durchwachsen aus, auch am Samstag, als kein Einheimischer, sondern Christian Bolm von Wormatia Worms das erste Tor in der Arena schoss, bevor 1899 zwei Elfmeter halfen - gegen Kicker aus Sandhausen, Neckarau oder Lauda.
Statt sich ums "Feintuning" kümmern zu können, wie erhofft, bastelt Rangnick nun an Großbaustellen. Ohne Ibisevic/Obasi/Eduardo, das ist wie: ohne Ribéry/Toni/Klose - ohne Auffangnetz im Kader. Vom flotten Dreier- muss 1899 auf einen Zweier- oder Solosturm umstellen, statt Dauerhurrastil wieder etwas mehr Defensive pflegen. Der einzige verbliebene Angreifer neben Ba, der Brasilianer Wellington, ist mit Hoffenheims Pressing und Spieltempo bisher taktisch und läuferisch überfordert. Man erwog sogar eine Ausleihe des Fünf-Millionen-Imports, doch Wellington will und darf bleiben, "er muss aber zulegen", mahnt Rangnick. Offensivroutinier Francisco Copado verabschiedete sich am Samstag - als Torschütze zum 6:2 - zurück nach Unterhaching. Inoffizieller dritter Stürmer ist aktuell der hochveranlagte Marco Terrazzino. Er ist 17.
An der Transferfront ist laut Manager Jan Schindelmeister "von null bis zwei" neuen Stürmern "noch alles möglich". Doch weil Ablöse, Alter und Charaktermerkmale der Gesuchten zum Leitprofil des Hauses passen sollen, gebe es "keine Panikkäufe". Das eigene Schmerzempfinden sei ohnehin geringer als Außenstehende glauben, sagt Schindelmeiser: "Unsere Erwartungshaltung ist ja keinesfalls die Meisterschaft. Die Ausfälle dürfen allerdings kein Alibi sein." Auch Rangnick stapelt tief, er hofft, dass "endlich das Gequatsche aufhört, wir seien schon Titelkonkurrent der Bayern. Wir haben im Angriff nicht mehr dieselbe Qualität."
Den Hinrunden-Nimbus aus der Übergangsheimat Mannheim kann Hoffenheim in der neuen Arena auf Dauer ohnehin nicht halten. Man blieb dort in allen Spielen unbesiegt. Moritz Kielbassa
Pyrotechnik über dem Wolkendach: Die Arena-Weihe in Sinsheim. Foto: AP
500 Tage bis zur Südafrika-WM
Zakumi ist kaum zu sehen
Johannesburg (dpa) - In Südafrika erreicht der Countdown für die WM 2010 an diesem Montag die 500-Tage-Marke - in knapp anderthalb Jahren wird in Johannesburgs Soccer City das Turnier angepfiffen. Und nach Ansicht von Joseph Blatter, dem Präsidenten des Fußball-Weltverbandes Fifa, wird der erste WM-Gastgeber aus Afrika die Herausforderung meistern: "Südafrika ist ein organisiertes Land. Sie werden es schaffen."
Allen Zweiflern, gelegentlichen Streiks und Lieferproblemen zum Trotz sehen sich auch die Organisatoren auf Kurs. Die Stadien liegen mit wenigen Ausnahmen im Zeitplan oder sind ihm gar voraus, und auch die übrige Infrastruktur nimmt zunehmend Gestalt an. Im März bereits will der Deutsche Fußball-Bund (DFB) sein WM-Quartier bekanntgeben, obwohl die Qualifikation noch nicht gesichert ist. Gerüchten zufolge liegt es im Naherholungsgebiet der Johannesburger am Hartebeesport-Damm - abgeschieden, aber mitten zwischen den WM- Standorten Johannesburg, Pretoria und Rustenburg.
Dennoch ist in Südafrikas Öffentlichkeit wenig von WM-Begeisterung zu spüren. Das offizielle WM-Maskottchen - der lächelnde Leoparden-Charmeur Zakumi - ist kaum präsent. Dagegen stöhnen die Südafrikaner über lange Staus, die durch die WM-Arbeiten bedingt sind; andere sind froh, dass die Infrastruktur-Erneuerung noch vor der globalen Finanzkrise abbezahlt wurde. Die bisher überschaubaren Kostenüberschreitungen des 2,5 Milliarden Euro teuren Ereignisses würden sonst astronomische Ausmaße annehmen, die den Steuerzahler noch mehr belasten würden als bisher.
Südafrika hat mittlerweile durchaus einige Erfolge vorzuweisen - darunter ein spezielles Visum für WM-Touristen. Innovativ wollen die Südafrikaner zur Vermeidung langer Warteschlangen sogar Beamte der Einwanderungsbehörde an allen wichtigen Flughäfen in Ländern wie Deutschland, Indien oder Großbritannien stationieren. Dort sollen sie den Fluggästen vor dem Einchecken Visa in die Pässe stempeln und ihre Namen mit Listen einschlägig bekannter Fußball-Rowdys abgleichen.
Problemzonen bleiben die Bereiche Sicherheit und Transport. Das WM-Gastland äußerte sich Ende 2008 besorgt über die hohe Zahl der tödlichen Verkehrsunfälle. Sie seien 2007 gemeinsam mit krimineller Gewalt die beiden wichtigsten Faktoren für einen unnatürlichen Tod gewesen, hatte der Medizinische Forschungsrat betont. Obwohl es Erfolge bei der Reduzierung der Unfallzahlen gibt, bleiben Experte skeptisch.
Kopfschmerzen bereiten das ehrgeizige Modernisierungsprogramm für die am Kap gebräuchlichen Sammeltaxen sowie das Bus-System, das in Johannesburg für den Transport der Gäste sorgen soll. Unklar ist, ob es bis zum WM-Start am 11. Juni 2010 fertig wird. Und die Kriminalitätsrate, die trotz Rückganges weit über dem internationalen Schnitt liegt, bleibt ebenso ein Sorgen-Faktor wie die ungelöste Krise im Nachbarland Simbabwe. Sie droht zunehmend auf die Nachbarländer überzugreifen. Die vor allem durch fliehende Simbabwer verbreitete Cholera forderte in Südafrika bereits 34 Tote und mehr als 5000 Erkrankte.
Einen Rückschlag erlitten die Vorbereitungen auch durch den Drogenschmuggel einer südafrikanischen Stewardess, die in London mit rund 55 Kilogramm Cannabis und Kokain aufflog. "Wer unbemerkt solche Mengen Rauschgift durch die Kontrollen am Flughafen schleusen kann, der kann auch andere Dinge an Bord schmuggeln", lautete ein oft gehörter Kommentar in den Medien.
Der Toto-Tipp
4. Veranstaltung
1 Juventus Turin - AC Florenz 1:0 1
2 SSC Neapel - AS Rom 0:3 2
3 FC Bolgona - AC Mailand 1:4 2
4 AC Siena - Atalanta Bergamo 1:0 1
5 Lazio Rom - Cagliari Calcio 1:4 2
6 CFC Genua - Catania Calcio 1:1 0
7 Reggina Calcio - AC Cievo Verona 0:1 2
8 US Lecce - FC Turin 3:3 0
9 US Palermo - Udinese Calcio 3:2 1
10 Cardiff City - Arsenal London 0:0 0
11 FC Sunderland - Blackburn Rovers 0:0 0
12 FC Liverpool - FC Everton -:- -
13 Manchester Utd. - Tottenham 2:1 1
(Ohne Gewähr)
Aktuelles in Zahlen
Basketball
Männer, Bundesliga, 18. Spieltag
Quakenbrück - Berlin 78:90 (32:48)
Fenn 15, Prewitt 12, Mädrich 11 - Jenkins 23, McElroy 14, Jacobsen 12, Sesay 11, Wright 10. - Zuschauer: 3000 (ausverkauft).
Köln - Düsseldorf 80:78(39:39)
Hunt 18, Jordan 14, Bavcic 12, Terrell 10 - Bailey 22, Carter 11, Kosmalski 11. - Zus.: 3007.
Ulm - Bamberg 96:79(50:30)
Humphrey 21, Travis 17, Finn 16, Gibbs 10 - Dickau 20, Taylor 11, Greene 10, Wyrick 10. - Zuschauer: 3000 (ausverkauft).
Paderborn - Tübingen 78:70(40:30)
Ensminger 28, Peavy 14, Esterkamp 11 - Anderson 19, Moye 16, Haynes 13, Katic 12. - Zuschauer: 2050.
Ludwigsburg - Nördlingen 71:54 (43:24)
Woudstra 13, Watts 13, Nagys 13 - Westley 17, McGhee 15. - Zuschauer: 2600
Giessen - Oldenburg 70:83(27:43)
Jeffers 17, Lischka 16, Umeh 13, Rouse 12 - Foster 21, Paulding 18, Scekic 13, Majstorovic 10. - Zuschauer: 3270.
Bremerhaven - Braunschweig Bonn - Frankfurt
1Göttingen 16 1209:1135 26:6
2Oldenburg 17 1331:1231 26:8
3Berlin 16 1285:1124 24:8
4Frankfurt 17 1249:1144 24:10
5Bonn 17 1293:1191 24:10
6Ulm 18 1421:1411 24:12
7Bamberg 18 1328:1277 18:18
8Ludwigsburg 18 1189:1222 18:18
9Paderborn 17 1294:1296 16:18
10Braunschweig 17 1183:1198 16:18
11Trier 18 1369:1400 16:20
12Quakenbrück 18 1397:1434 16:20
13Düsseldorf 18 1352:1392 16:20
14Nördlingen 18 1271:1316 14:22
15Tübingen 18 1297:1334 12:24
16Köln 18 1355:1415 12:24
17Giessen 18 1215:1323 10:26
18Bremerhaven 17 1203:1398 2:32
Frauen, Pokal, Viertelfinale
Oberhausen - Göttingen 84:58, Marburg - Freiburg 66:86.
NBA
Detroit Pistons - Dallas Mavericks 91:112, Charlotte Bobcats - Phoenix Coyotes 98:76, Indiana Pacers - Houston Rockets 107:102, Atlanta Hawks - Milwaukee Bucks 117:87, New York Knicks - Memphis Grizzlies 108:88, Minnesota Timberwolves - New Orleans Hornets 116:108, Chicago Bulls - Toronto Raptors 94:114, San Antonio Spurs - New Jersey Nets 94:91, Golden State Warriors - Cleveland Cavaliers 105:106, Los Angeles Clippers - Oklahoma City Thunder 107:104, Philadelphia 76ers - New York Knicks 116:110, Miami Heat - Orlando Magic 103:97, Memphis Grizzlies - New Jersey Nets 88: 99, Milwaukee Bucks - Sacramento Kings 106:104, Utah Jazz - Cleveland Cavaliers 97:102, Portland Trail Blazers - Washington Wizards 100:87.
Biathlon
Weltcup in Antholz
Männer, Jagdrennen über 12,5 km: 1. Ferry (Schweden) 33:19,4 Minuten/1 Strafrunde nach Schießfehler, 2. Eder (Österreich) 0:17,6 Minuten zurück/0, 3. Hegle Svendsen (Norwegen) 0:24, 7/3, 4. Sikora (Polen) 0:30,4/4, 5. Sednew (Ukraine) 0:39,7/0, 6. Greis (Nesselwang) 0:44,4/3, 7. Leguellec (Kanada) 0:49,0, 8. Tscheressow (Russland) 1:00,2/2, 9. Sumann (Österreich) 1:05,5/4, 10. Rösch (Altenberg) 1:08,0/2; 21. Wolf 1:54,4/1; 26. Stephan (beide Oberhof) 2:14,6/6; 32. Peiffer (Clausthal-Zellerfeld) 2:31,3/3.
Massenstart über 15 km: 1. Stephan 37:19,9 Minuten/1 Strafrunde nach Schießfehler, 2. Landertinger (Österreich) 0:00,2 Minuten zurück/3, 3. Tscheressow 0:02,8/2, 4. Sumann 0:03, 7/3, 5. Björndalen (Norwegen) 0:03,7/4, 6. Tschudow 0:06,2/3, 7. Sikora 0:06,4/4, 8. Mesotitsch 0:07,7/1, 9. Eberhard (beide Österreich) 0:09,6/3; 11. Wolf 0:57,6/3; 17. Greis 1:25,2/6; 19. Rösch 1:42,5/5.
Stand im Gesamtweltcup nach 14 von 26 Rennen: 1. Svendsen 568 Punkte, 2. Sikora 554, 3. Bergman (Schweden) 456, 4. Björndalen 448, 5. Tschudow 446, 6. Ferry 428, 7. Sumann 420, 8. Greis 407, 9. Tscheressow 398; 13. Rösch 301, 14. Stephan 269; 17. Wolf 257; 27. Birnbacher (Schleching) 171; 44. Peiffer 78; 46. Lang (Hauzenberg) 76; 75. Graf (Frankenhain) 18; 82. Böhm (Buntenbock) 11.
Frauen, Jagdrennen über 10 km: 1. Buligina (Russland) 32:49,8 Minuten/2 Strafrunden nach Schießfehlern, 2. Mäkäräinen 0:02, 3 Minuten zurück/1, 3. Domratschewa (Weißrussland) 0:02,3/2, 4. Olofsson-Zidek (Schweden) 0:09,5/1, 5. Wilhelm (Zella-Mehlis) 0:09,6/3, 6. Henkel (Großbreitenbach) 0:11, 7/2, 7. Achatowa 0:29,5/0, 8. Jurjewa (beide Russland) 0:48,8/1, 9. Xianying (China) 0:49,4/1, 10. Neuner (Wallgau) 0:51,6/5, 11. Beck (Mittenwald) 0:57, 4/0; 13. Hitzer (Gosheim) 1:11,2/2; 16. Döll (Oberhof) 1:26,2/2; 28. Hauswald (Gosheim) 2:46,2/4.
Massenstart über 12,5 km: 1. Jurjewa 36:37,8 Minuten/0 Strafrunden nach Schießfehler, 2. Jonsson (Schweden) 0:13,4 Minuten zurück/1, 3. Mäkäräinen 0:27,8/2, 4. Wilhelm 0:28,2/3, 5. Olofsson 0:28,6/3, 6. Henkel 0:36,8/4, 7. Neuner 0:46,0/5, 8. Saizewa (Russland) 0:48,7/3, 9. Flatland 1:02,2, 10.
Bonnevie-Svendsen (beide Norwegen) 1:11,3/2; 13. Beck 1:27,8/2; 19. Hauswald 2:06,2/4; 26. Hitzer 4:09,5/4.
Stand im Gesamtweltcup (14/26) 1. Jurjewa 567 Punkte, 2. Wilhelm 520, 3. Neuner 502, 4. Jonsson 486, 5. Slepzowa (Russland) 481, 6. Achatowa 443, 7. Berger (Norwegen) 437, 8. Henkel 421, 9. Domratschewa 412, 10. Xianying 393, 11. Beck 389; 20. Hauswald 243, 21. Hitzer 243; 55. Döll 47; 64. Buchholz (Oberhof) 34; 66. Preußler (Altenberg) 32.
Boxen
Kampfabend in Riesa
Cruisergewicht, Europameisterschaft (12 Runden): Huck (Bielefeld/TV) T.k.o.-Sieger (3. Runde) - Batello (Belgien). - Cruisergewicht, IBF-Interkontinental-Meisterschaft (12 Runden): Licina (Frankfurt/Oder) T.k.o.-Sieger - Herrera (Kolumbien). - Halbmittelgewicht, EE-EU-Meisterschaft (12 Runden): Abraham (Berlin) 3:0-Punktsieger - Stevanovic (Serbien). - Halbschwergewicht (6 Runden): Hein (Frankfurt/Oder) 3:0-Punktsieger - Kalambay (Kongo). - Halbmittelgewicht (8 Runden): Murat (Kitzingen) 3: 0-Punktsieger - Fiaert (Belgien). - Schwergewicht (4 Runden): Krull (Wittenburg) T.k.o.-Sieger (2. Runde) - Zsalek (Ungarn). - Cruisergewicht (8 Runden): Kempf (Berlin) 3:0-Punktsieger - Jalusic (Kroatien).
Eishockey
DEL, 43. Spieltag
Straubing - Frankfurt 4:1 (0:0, 2:0, 2:1)
1:0 Dunham (21:20), 2:0 Wilhelm (24:37), 3:0 Bassen (57:34), 3:1 Wörle (58:32), 4:1 Trew (59:29). - Z.: 3286. - Strafminuten: 14 - 18.
Düsseldorf - Hamburg 2:3 (0:1, 2:1, 0:1)
0:1 Karalahti (5:20), 1:1 Joseph (21:19), 1:2 Barta (24:50), 2:2 Ratchuk (32:52), 2:3 Pielmeier (41:40). Zuschauer: 5601. Strafm.: 0 - 4
Hannover - Iserlohn 3:2 (0:0, 1:1, 2:1)
0:1 Beechey (28:19), 1:1 Herperger (29:40), 1:2 Rupprich (51: 53), 2:2 Goc (52:41), 3:2 Goc (59:45). Z.: 8996. Strafminuten: 22 - 10.
Krefeld - Wolfsburg n.V. 2:1 (0:1, 1:0, 1:0)
0:1 Magowan (0:38), 1:1 Vasiljevs (26:09), 2:1 Milo (60:38). Zusch.: 3798. Strafm.: 14 - 12.
Nürnberg - Kassel 7:2 (3:1, 3:0, 1:1)
0:1 Bartek (2:58), 1:1 G. Leeb (4:17), 2:1 Keller (8: 22), 3:1 Grygiel (19:02), 4:1 Keller (29:23), 5:1 Periard (32:08), 6:1 Fical (34:30), 7:1 Savage (41:12), 7:2 Schlager (46:18). Zuschauer: 3298. Strafminuten: 10 - 16
Mannheim - Berlin 2:7 (0:2, 1:2, 1:3)
0:1 Braun (11:11), 0:2 Rankel (14:37), 0:3 Hördler (27:05), 0:4 Quint (29:16), 1:4 Martinec (33:47), 1:5 Regehr (45:37), 2:5 Forbes (49:26), 2:6 Felski (52:48), 2:7 Pederson (56:47). Zuschauer: 13 600 (ausverkauft). Strafmin.: 16 - 20.
Augsburg - Köln 2:5 (1:0, 1:3, 0:2)
1:0 Olimb (13:26), 1:1 Dmitrijew (22:47), 1:2 Marcel Müller (33: 57), 1:3 Flaake (37:29), 2:4 Marcel Müller (40:57), 2:5 Marcel Müller (59:52). Zuschauer: 4508. Strafminuten: 14 - 20 plus Disziplinar Magowan.
Duisburg - Ingolstadt 5:4 (1:1, 1:1, 3:2)
0:1 St.Jacques (7:02), 1:1 Palmer (17:52), 1:2 Rourke (27:59), 2:2 Mann (36:47), 3:2 Rimbeck (45:16), 3:3 Röthke (46:23), 4:3 Alinc (54:53), 4:4 Goodall (55:59), 5:4 Alinc (56:38). Zuschauer: 3300. Strafminuten: 14 - 18
DEL, 44. Spieltag
Hamburg - Hannover 9:3 (4:1, 2:1, 3:1)
1:0 Fortier (0:37), 2:0 Brigley (3:51), 2:1 Brimanis (5:10), 3:1 Mueller (16:43), 4:1 Mueller (19:15), 4:2 Kathan (23:53), 5:2 Fortier (35:11), 6:2 Morrison (37:45), 7:2 Wilm (45:08), 7:3 Schneider (45:49), 8:3 Delmore (56:15), 9:3 Mueller (58:29). - Zuschauer: 10 933. - Strafminuten: 16 - 14.
Nürnberg - Düsseldorf 2:5 (0:1, 1:3, 1:1)
0:1 Hedlund (1:00), 0:2 Joseph (21:11), 0:3 Reid (23:28), 1:3 Carter (26:55), 1:4 (Ratchuk (31:29), 1:5 Courchaine (45:47), 2:5 Carter (47:01). - Z.: 5261. - Strafminuten: 8 - 28.
Wolfsburg - Augsburg 4:5 (0:2, 2:2, 2:1)
0:1 Murphy (14:13), 0:2 Murphy (17:14), 1:2 Johnson (28:50), 1:3 Collins (32:30), 1:4 Murphy (33:30), 2:4 Papineau (39:52), 3:4 Magowan (45:00), 4:4 Degon (49:42), 4:5 Murphy (54:00). - Zuschauer: 2225. - Strafminuten: 23 + Spieldauerdisziplinar (Rekis) - 57.
1
Hannover Scorpions
44
146:123
88
2
Eisbären Berlin
43
163:118
81
3
Adler Mannheim
42
117:96
73
4
DEG Metro Stars
43
134:114
73
5
Krefeld Pinguine
43
138:108
72
6
Frankfurt Lions
43
124:122
72
7
Augsburger Panther
43
134:149
69
8
Nürnberg Ice Tigers
42
123:111
68
9
Grizzly Wolfsburg
45
155:129
65
10
Hamburg Freezers
44
128:128
64
11
Iserlohn Roosters
42
139:142
64
12
Straubing Tigers
43
120:137
55
13
ERC Ingolstadt
42
113:125
53
14
Kassel Huskies
43
122:144
52
15
Kölner Haie
43
117:135
51
16
Füchse Duisburg
43
93:185
32
Crimmitschau - München 3:5 (1:2, 2:1, 0:2), Bad Tölz - Lausitz 4:3 n.V., Freiburg - Dresden 4:1, Bietigheim - Bremerhaven 7:1, Heilbronn - Riessersee 4:3, Schwenningen - Ravensburg 3:5 - Tab.: 1. Bad Tölz 128:81 Tore/81 Punkte, 2. Bietigheim 141:75/77, 3. München 129:90/ 72, 4. Ravensburg 121:102/60, 5. Heilbronn 93:89/56, 6. Schwenningen 137:127/53, 7. Bremerhaven 110:113/ 49, 8. Landshut 103:110/48, 9. Freiburg 117:141/46, 10. Riessersee 112:136/ 45, 11. Lausitz 91:117/45, 12. Dresden 103:145/37, 13. Crimmitschau 94:153/ 30.
Eiskunstlauf
Europameisterschaften in Helsinki
Frauen: 1. Lepistö (Finnland) 167,32 Pkt., 2. Kostner (Italien) 165,42, 3. Pöykiö (Finnland) 156,31, 4. Leonowa (Russland) 143,99, 5. Korpi (Finnland) 139,01, 6. Gerboldt (Russland) 137,05, 7. Dytrt (Oberstdorf) 136,98, 8. Sebestyen (Ungarn) 134,47.
Eisschnelllauf
Sprint-Weltcup in Kolomna/Russland
Männer, 500 m, 1. Lauf: 1. Nagashima (Japan) 34,85 Sekunden 2. Fengtong (China) 34,89, 3. Oikawa (Japan) 34,96, 4. Fredricks (USA) 34,98, 5. Poutala (Finnland) 35,16, 6. Zhonggi (China) 35,21. - 2. Lauf: 1. Fredricks 34,81 Sekunden, 2. Nagashima 34, 87, 3. Yu 34,89, 4. Poutala 35,17, 5. Zhang 35,18, 6. Gregg (Kanada) 35,27. - Stand nach 10 von 13 Rennen: 1. Yu 756, 2. Nagashima 727, 3. Poutala 525, 4. Kato (Japan) 485, 5. Kyou-Hyuk (Südkorea) 461, 6. Lobkow (Russland) 397.
1000 m, 1. Lauf: 1. Morrison (Kanada) 1:08,71 Minuten, 2. Groothuis (Niederlande) 1:08,97, 3. Lalenkow (Russland) 1:09,02, 4. 1:09,40, 5. Tadashi Obara (Japan) 1:09,53, 6. Bos (Niederlande) 1:09,84; 16. Steiner (Dresden) 1:11. - 25. Disqualifiziert: l Schwarz (Berlin). - 2. Lauf: 1. Morrison 1:08,53 Minuten, 2. Groothuis 1: 08,67, 3. Tuitert (Niederlande) 1:09,09, 4. Davis (USA) 1:09,22, 5. Kuipers (Niederlande) 1:09,40; 10. Schwarz 1:09,90; 18. Steiner 1:11,48. - Stand (8/10): 1. Davis 590 Punkte, 2. Morrison 520, 3. Groothuis 455, 4. Kuipers 366, 5. Kyou-Hyuk 342, 6. Tuitert 264; 16. Schwarz 130; 24. Steiner 87.
Frauen, 500 m, 1. Lauf: 1. Wolf (Berlin) 37,51 Sekunden, 2. Gerritsen (Niederlande) 38,02, 3. Jing (China) 38,17, 4. Boer (Niederlande) 38,31, 5. Hui (China) 38,47; 10. Angermüller (Berlin) 38,76. - 2. Lauf: 1. Wolf 37,67 Sekunden, 2. Peiyu (China) 38,01, 3. Yu 38,13, 4. Nemaya 38,30, 5. Gerritsen 38,44, 6. Shinya (Japan) 38,48; 16. Angermüller 38,91.- Stand nach 10 von 13 Rennen: 1. Wolf 885, 2. Sang-Hwa (Südkorea) 590, 3. Gerritsen 500, 4. Boer 470, 5. Yoshii (Japan) 428, 6. Yu 340.
1000 m: 1. Boer 1:15,84 Minuten, 2. Yu 1:16,04, 3. Nesbitt (Kanada) 1:16,26, 4. Malyschewa (Russland) 1:16, 28, 5. Gerritsen (Niederlande) 1:16,39, 6. Friesinger (Inzell) 1:16,42; 13. Angermüller 1:17,33; 16. Hartmann (Inzell) 1:17,88. - 2. Lauf: 1. Boer 1:15,79 Minuten, 2. Friesinger 1:15, 81, 3. Nesbitt 1:15,85, 4. Jin 1:16,36, 5. Yu 1:16,51, 6. Rempel 1:16,53; 14. Angermüller 1:17,84; 17. Hartmann 1:18,49. - Stand nach 8 von 10 Rennen: 1. Nesbitt 520 Punkte, 2. Groves (Kanada) 430, 3. Rempel 406, 4. van Riessen (Niederlande) 376, 5. Boer 293, 6. Angermüller 293; 18. Friesinger 125; 23. Hartmann 87.
Fechten
Weltcup in Paris
Männer, Florett: 1. Joppich (Koblenz), 2. Kruse (GB), 3. Liangcai (China) und Jianfei (China), 5. Cassara (Italien), 6. le Pechoux (Frankreich), 7. Jun (China), 8. Wessels (Bonn); 39. Schlechtweg (Berlin); 43. Behr (Tauberbischofsheim); 50. Zorc (Bonn); 52. Breutner (Bonn).
Finale: Joppich - Kruse 15:12. - Halbfinale: Joppich - Jianfei 15:11, Kruse - Liangcai 15:7. - Viertelfinale: Joppich - Wessels 15:9, Liangcai - Cassara 15:11, Kruse - le Pechoux 15:13, Jianfei - Jun 15:13.
Fußball
England, FA-Cup, 4. Runde
Hartlepool United - West Ham United 0:2.
Italien, 20. Spieltag
Reggina Calcio - Chievo Verona
0:1
Juventus Turin - AC Florenz
1:0
CFC Genua - Catania Calcio
FC Bologna - AC Mailand
SSC Neapel - AS Rom
US Lecce - FC Turin
US Palermo - Udinese Calcio
AC Siena - Atalanta Bergamo
Inter Mailand - Sampdoria Genua
1
Juventus Turin
20
33:14
43
2
Inter Mailand
19
33:15
43
3
AC Mailand
19
31:20
37
4
CFC Genua
19
29:17
35
5
SSC Neapel
19
27:18
33
6
AC Florenz
20
26:18
32
7
Lazio Rom
19
30:25
31
8
AS Rom
19
26:25
30
9
US Palermo
19
26:23
29
10
Atalanta Bergamo
19
26:23
27
11
Cagliari Calcio
19
22:22
25
12
Catania Calcio
19
19:23
25
13
Udinese Calcio
19
26:29
23
14
AC Siena
19
14:19
22
15
Sampdoria Genua
19
16:23
20
16
FC Bologna
19
22:29
19
17
US Lecce
19
16:27
17
18
Chievo Verona
20
13:29
16
19
FC Turin
19
18:33
15
20
Reggina Calcio
20
17:38
13
Spanien, 20. Spieltag
FC Villarreal - CA Osasuna
1:1
FC Barcelona - CD Numancia
4:1
Real Valladolid - Espanyol Barcelona
Recreativo Huelva - Betis Sevilla
FC Getafe - Sporting Gijon
RCD Mallorca - FC Valencia
UD Almeria - Athletic Bilbao
FC Sevilla - Racing Santander
Real Madrid - Deportivo La Coruña
1
FC Barcelona
20
63:14
53
2
Real Madrid
19
41:27
38
3
FC Sevilla
19
28:16
38
4
FC Valencia
19
38:27
34
5
FC Villarreal
20
33:26
34
6
Atlético Madrid
19
42:30
31
7
FC Málaga
19
31:27
31
8
Deportivo La Coruña
19
23:27
30
9
Athletic Bilbao
19
27:29
26
10
Racing Santander
19
21:23
25
11
Sporting Gijon
19
26:39
24
12
Real Valladolid
19
27:30
23
13
Betis Sevilla
19
25:26
21
14
FC Getafe
19
24:30
21
15
UD Almeria
19
20:28
21
16
Recreativo Huelva
19
17:28
20
17
CD Numancia
20
25:41
20
18
Espanyol Barcelona
19
17:32
15
19
CA Osasuna
20
21:30
14
20
RCD Mallorca
19
18:37
14
Frankreich, Pokal, 4. Runde
Dünkirchen - Lille 0:3, Romorantin - Sedan 0:0 n.V., 5:6 i.E., Stade Rennes - St. Etienne 2:0, AS Vitre - Creteil-Lusitanos 1:1 n.V., 9:8 i.P., Troyes - Rodez Aveyron 1:2, Grand Boulogne-sur-Mer - Caen 3:1, Lorient - Tours 2:1 n.V., Dijon - Villefranche-sur-Saone 4:1, Schirrheim - Toulouse 0:8, Ajaccio - Vannes 2:0.
Niederlande, 19. Spieltag
SC Heerenveen - Roda Kerkrade
2:0
PSV Eindhoven - NAC Breda
2:2
Alkmaar - De Graafschap D.
2:0
Fey. Rotterdam - Willem II Tilburg
1:1
Vitesse Arnheim - NEC Nijmegen
0:0
FC Utrecht - Sparta Rotterdam
3:3
FC Groningen - Ajax Amsterdam
1:0
Heracles Almelo - Twente Enschede
1:2
FC Volendam - ADO Den Haag
0:1
1
AZ Alkmaar
19
41:11
47
2
Ajax Amsterdam
19
45:20
41
3
Twente Enschede
19
37:18
40
4
SC Heerenveen
19
41:38
35
5
PSV Eindhoven
19
33:20
32
6
NAC Breda
19
29:28
31
7
FC Groningen
19
38:25
30
8
NEC Nijmegen
19
27:22
27
9
FC Utrecht
19
27:25
27
10
Willem II Tilburg
19
25:28
25
11
Heracles Almelo
19
20:30
21
12
Feyenoord Rotterdam
19
32:30
20
13
Sparta Rotterdam
19
34:45
20
14
ADO Den Haag
19
22:28
19
15
Vitesse Arnheim
19
16:32
16
16
De Graafschap D.
19
13:36
16
17
Roda Kerkrade
19
22:37
15
18
FC Volendam
19
19:48
11
Belgien, 19. Spieltag
KAA Gent - RSC Anderlecht
ausg.
FCV Dender - Germinal Beerschot
0:1
Cercle Brügge - KV Kortrijk
0:1
KV Mechelen - Excelsior Mouscron
2:2
AFC Tubize - KSC Lokeren
2:1
SV Roeselare - Sporting Charleroi
3:1
KRC Genk - RAEC Mons
2:0
KVC Westerlo - Standard Lüttich
1
RSC Anderlecht
18
44:19
38
2
Standard Lüttich
18
33:19
37
3
FC Brügge
18
32:23
34
4
KRC Genk
19
29:26
33
5
KVC Westerlo
18
24:21
31
6
Cercle Brügge
19
31:30
31
7
KSC Lokeren
19
25:17
30
8
Excelsior Mouscron
19
31:25
29
9
KV Kortrijk
19
21:25
28
10
KAA Gent
18
35:25
26
11
SV Zulte-Waregem
18
26:25
24
12
Germinal Beerschot
19
23:24
21
13
Sporting Charleroi
19
24:31
21
14
KV Mechelen
19
21:33
19
15
AFC Tubize
19
23:38
18
16
RAEC Mons
19
20:28
15
17
FCV Dender
19
23:37
15
18
SV Roeselare
19
17:36
13
Türkei, 17. Spieltag
Ankaraspor - Konyaspor
3:0
Ankaragücü - Antalyaspor
0:1
Eskisehirspor - Gaziantepspor
1:1
Sivasspor - Galatasaray Istanbul
2:0
Kayserispor - Genclerbirligi Ankara
1:3
Besiktas Istanbul - Denizlispor
1:0
Kocaelispor - Hacettepe SK
4:0
Bursaspor - Istanbul BB
2:0
1
Sivasspor
17
30:12
37
2
Trabzonspor
16
24:14
34
3
Galatasaray Istanbul
17
38:21
33
4
Ankaraspor
17
27:12
33
5
Fenerbahce Istanbul
16
31:18
32
6
Besiktas Istanbul
17
28:18
31
7
Kayserispor
17
18:10
27
8
Gaziantepspor
17
24:22
26
9
Bursaspor
17
23:24
25
10
Eskisehirspor
17
20:25
19
11
Istanbul BB
17
17:23
19
12
Genclerbirligi Ankara
17
21:26
17
13
Konyaspor
17
15:26
17
14
Antalyaspor
17
17:24
16
15
Denizlispor
17
22:32
15
16
Ankaragücü
17
14:24
15
17
Kocaelispor
17
23:40
12
18
Hacettepe SK
17
9:30
9
Golf
Katar Masters in Doha
(1,93 Mio. Euro/Par 72)
Endstand nach vier Runden (Par 72): 1. Quiros (Spanien) 269 (69+67+64+69) Schläge, 2. Oosthuizen (Südafrika) 272 (67+65+69+71) u. Stenson (Schweden) 272 (66+72+66+68), 4. McGrane (Irland) 275 (69+69+70+67), 5.
Jimenez (Spanien) 276 (66+71+70+69) u. Lafeber (Niederlande) 2. (68+70+66+72); 31. Kaymer (Mettmann) 282 (71+72+71+68); 37. Siem (Ratingen) 283 (72+71+72+68).
Champions Tour der Senioren in Hawaii
(1,8 Mio. Dollar/Par 72)
Stand nach der zweiten Runde: 1. Bryant (USA) 129 (64+65) Schläge, 2. Langer (Anhausen) 130 (64+66), 3. Haas 131 (65+66), 4. Hale Irwin 132 (65+67) u. Sluman 132 (65+67), 6. Bean (alle USA) 133 (67+66).
US-Tour in La Quinta/Kalifornien
(5,1 Mio. Dollar/Par 72)
Stand nach vier Runden: 1. Stricker 255 (65+67+61+62) Schläge, 2. Perez 258 (61+63+67+67), 3. Garrigus 262 (67+65+64+66), Taylor 262 (63+67+64+68) u. Watson 262 (62+69+68+63), 6. Merrick (alle USA) 263 (68+65+67+63); 68. Cejka (München) 273 (68+67+68+70).
Handball
Männer, Weltmeisterschaft in Kroatien
Gruppe 1, in Zagreb
Slowakei - Südkorea 23:20 (15:12)
Frankreich - Schweden 28:21 (16:10)
Ungarn - Kroatien 22:27 (12:14)
Schweden - Ungarn
Südkorea - Frankreich
Kroatien - Slowakei
1. Frankreich 3 3 0 0 90:69 6:0
2. Kroatien 3 3 0 0 84:74 6:0
3. Slowakei 3 1 1 1 73:79 3:3
4. Schweden 3 1 0 2 78:83 2:4
5. Ungarn 3 0 1 2 68:78 1:5
6. Südkorea 3 0 0 3 71:81 0:6
Gruppe 2, in Zadar
Deutschland - Serbien 35:35 (16:19)
Deutschland: Bitter (HSV Hamburg), Lichtlein (TBV Lemgo). - Hens (HSV Hamburg) 2, Roggisch (Rhein-Neckar Löwen), Klein (THW Kiel) 2,
Müller (TV Großwallstadt) 3, Strobel (TBV Lemgo) 3, Preiß (TBV Lemgo) 3, Tiedtke (TV Großwallstadt) 1, Glandorf (HSG Nordhorn) 4, Jansen (HSV Hamburg) 10/1, Kraus (TBV Lemgo) 6, Schöne (FA Göppingen) 1, Kaufmann (TBV Lemgo).
Serbien: Stanic, Pejanovic. - Kojic, Curuvcija, Sesum 5, Vujin 4, Vuckovic, Stojanovic 4, Toskic 3, Ilic 5/2, Bojinovic 8/1, Markovic 5, Prodanovic, Nikolic 1.
Zus.: 4500. - Disqualifikation: Nikolic (60.).
Mazedonien - Norwegen 27:29 (13:16)
Polen - Dänemark 32:28 (20:12)
Serbien - Polen
Norwegen - Deutschland
Dänemark - Mazedonien
1. Deutschland 3 2 1 0 98:81 5:1
2. Dänemark 3 2 0 1 97:96 4:2
3. Serbien 3 1 1 1 98:98 3:3
4. Norwegen 3 1 0 2 83:86 2:4
5. Polen 3 1 0 2 84:88 2:4
6. Mazedonien 3 1 0 2 80:91 2:4
Frauen, Bundesliga, 14. Spieltag
Thüringer HC - Göppingen 25:24 (13:9)
Rhein-Main - Leipzig 32:28 (17:15)
Nürnberg - Buxtehuder SV 25:24 (13:12)
Blomberg-L. - Oldenburg 28:34 (12:16)
Leverkusen - Frankfurt Oder
1
HC Leipzig
14
430:393
18:10
2
Leverkusen
13
377:351
17:9
3
VfL Oldenburg
14
390:365
17:11
4
Frankfurt Oder
13
407:406
16:10
5
Buxtehuder SV
14
375:368
14:14
6
DJK Trier
14
357:361
14:14
7
Rhein-Main
15
430:456
14:16
8
1.FC Nürnberg
13
338:326
13:9
9
FA Göppingen
14
385:378
13:15
10
Blomberg-Lippe
14
395:396
12:16
11
Thüringer HC
14
352:380
9:20
12
BVB Dortmund
14
347:403
6:22
Hockey
Deutsche Hallen-Meisterschaften
in Duisburg
Männer, Halbfinale: Berlin - Rüsselsheim4:6 (4:3), Hamburg - Rot-Weiss Köln 6:8 (2:5).
Finale: Rüsselsheim - Rot-Weiss Köln 3:5 (2:1).
Frauen, Halbfinale: Neuss - Rüsselsheim 2:3 (2:1), Club an der Alster - Düsseldorf 6:5 (3:3).
Finale: Rüsselsheime - Club an der Alster 2:7 (1:5).
Leichtathletik
Hochsprungin Hustopece/Tschechien
Männer: 1. Uchow 2,34 m, 2. Schustow (beide Russland), 3. Baba (Tschechien) je 2,27.
Frauen: 1. Friedrich (Frankfurt/M.) 2,00, 2. Gordejewa (Russland) 1,98, 3. Strakova (Tschechien) 1,95.
Pferdesport
Dressur-Weltcup in Amsterdam
Grand Prix Kür: 1. van Grunsven (Niederlande/Painted Black) 81,250 Prozentpkt., 2. Werth (Rheinberg/Warum Nicht) 78,750, 3. Minderhoud (Niederlande/Exquis Nadine) 77,550, 4. Kyrklund (Finnland/Max) 77,200, 5. Haazen (Niederlande/Nartan) 76,950, 6. Bechtolsheimer (Großbritannien/Andretti) 75,050, 7. Hindle (Großbritannien/Lancet) 73,900, 8. Brink (Schweden/Björsells Briar) 73,500.
Stand nach 6 von 9 Stationen: 1. Minderhoud 68 Pkt., 2. Cornelissen (Niederlande) und Werth beide 60, 4. Haazen 54, 5. Laarakkers (Niederlande) u. Theodorescu (Sassenberg) beide 42, 7. van Ingelgem (Belgien) 39, 8. Haddad (USA) u. Brink (Schweden) beide 37; 11. Kemmer (Winsen/Aller) 31; 17. Capellmann-Lütkemeier (Paderborn) 27; 21. Schulten- Baumer (Rheinberg) 22; 28. Wilm (Tasdorf) und Glaser- Käppeler (Pulheim) beide 13; 32. Laugks (Düsseldorf) 12; 40. Capellmann (Würselen) 10; 44. Erhart (Perl) und Plönzke (Passau) beide 8.
Spring-Turnier in Zürich
Weltcup-Springen, Westeuropaliga, 9. Station: 1. Kürten (Irland/Libertina) 0 Strafpkt./32,17 Sek., 2. Forsten (Finnland/Isaac du Jonquet) 0/33,86, 3. Ehning (Borken/Salvador) 0/34,60, 4. Lansink (Belgien/Valentina) 0/37,25, 5. Crotta (Schweiz/Westside) 0/38,75, 6. Alexander (Australien/ Late Night) 4/34,15, 7. Liebherr (Schweiz/No Mercy) 4/34/71, 8. Pessoa (Brasilien/Rufus) 4/34,72, 9. Beerbaum (Hörstel/All Inclusive) 4/35,13, 10. Simon (Österreich/Ukinda) 4/35,48. - alle im Stechen; 16. Kutscher (Hörstel/Cornet Obolensky) 1/72,14; 21. Kühner (München/Acantus) 4/71,11.
Radsport
Sechstagerennen in Berlin
Stand nach der 3. Nacht: 1. Zabel/Bartko (Unna/Potsdam) 146 Pkt., 2. Risi/Marvulli (Schweiz) 141, 3. Rasmussen/Mörköv (Dänemark) 137, 4. Bengsch/Kalz (Berlin) 136, 5. Kluge/de Ketele (Cottbus/Belgien) 125/+1 Rd., 6. Lademann/Aeschbach (Dortmund/Schweiz) 70/+1.
Tour Down Under
5. Etappe, Snapper Point - Willunga (148 km): 1. Davis (Australien/Quick Step) 3:28:33 Std., 2. Gil (Spanien/Caisse d'Epargne), 3. Elmiger (Schweiz/AG2R), 4. O'Grady (Australien/ Saxo Bank), 5. Roy (Frankreich/FDJeux), 6. Lefèvre (Frankreich/Bouygues Telecom); 23. Armstrong (USA/Astana); 28. Voigt (Berlin/Saxo Bank) alle gleiche Zeit; 48. Knees (Euskirchen/Milram) 1:54 Min. zurück; 69. Müller (Berlin/Milram) 7:00; 116. Scholz (Herrenberg/Milram) 13:10; 120. Eichler (Mönchengladbach/Milram) gleiche Zeit.
6. Etappe, Adelaide City - Council Circuit (90 km): 1. Chicchi (Italien/Liquigas) 1:42:00 Std., 2. McEwen (Australien/Katusha), 3. Brown (Australien/Rabobank), 4. Henderson (Neuseeland/Columbia), 5. Gil, 6. Leezer (Niederlande/Rabobank); 43. Voigt; 55. Knees; 71. Armstrong; 74. Müller; 78. Scholz alle gleiche Zeit; 89. Eichler 0:14 Min zurück.
Endstand: 1. Davis 19:26:59 Std., 2. O'Grady 0:25 Min. zurück, 3. Gil 0:30, 4. Elmiger (Schweiz/AG2R) gleiche Zeit, 5. Sulzberger (Australien/FDJeux) 0:37, 6. Rogers (Australien/Columbia) 0:38; 17. Voigt 0:45; 29. Armstrong 0:49; 33. Knees 2:38; 75. Müller 30:25; 86. Scholz 37:33; 114. Eichler 56:13.
Ringen
Bundesliga, Finale
Hinkampf: Köllerbach - Luckenwalde 23:16.
Rodeln
Weltcup in Altenberg
Männer: 1. Zöggeler (Italien) 1:50,344 Min. (55,103/55,241 Sek.), 2. Loch (Berchtesgaden) 1:50,527 (55,285/55,242), 3. Möller (Sonneberg/Schalkau) 1:50,536 (55,199/55,337), 4. Pfister (Österreich) 1:50,755 (55,355/55,400), 5. Eichhorn (Oberhof) 1:50,888 (55,496/55,392), 6. Ludwig (Oberhof) 1:50,899 (55,428/55,471), 7. Langenhan (Zella-Mehlis) 1:51,076 (55,419/55,657).
Stand im WEltcup nach 7 von 9 Rennen: 1. Zöggeler 601 Pkt., 2. Möller 525, 3. Eichhorn 430, 4. Pfister 387, 5. Langenhan 343, 6. Loch 325; 8. Ludwig 295; 35. Eschrich (Oberhof) 47.
Doppelsitzer: 1. Oberstolz/Gruber (Italien) 1:24,996 Min. (42,579/42,417 Sek.), 2. Leitner/Resch (Königssee/Berchtesgaden) 1:25,070 (42,623/42,447), 3. Linger/Linger (Österreich) 1:25,096 (42,676/42,420), 4. Florschütz/Wustlich (Friedrichroder/Oberwiesenthal) 1:25,128 (42,626/42,502), 5. Wendl/Arlt (Berchtesgaden/Königssee) 1:25,291 (42,763/42,528), 6. Penz/Fischler (Österreich) 1:25,347 (42,623/42,724).
Stand nach 7 von 9 Rennen: 1. Oberstolz/Gruber 580 Pkt., 2. Leitner/Resch 484, 3. Linger/Linger 470, 4. Wendl/Arlt 460, 5. Schiegl/Schiegl 381, 6. Plankensteiner/Haselrieder (Italien) 374; 15. Eggert/Oster (Oberhof/Suhl) 172; 21. Florschütz/Wustlich 130; 30. Pietrasik/ Weise (Altenberg/Oberwiesenthal) 26.
Frauen: 1. Geisenberger (Miesbach) 1:46,283 Min. (53,133/53,150 Sek.), 2. Hüfner (Oberwiesenthal) 1:46,421 (53,293/53,128), 3. Wischnewski (Oberwiesenthal) 1:46,863 (53,460/53,403), 4. Martini (Winterberg) 1:47,147 (53,571/53,576), 5. Jakuschenko (Ukraine) 1:47,155 (53,573/53,582), 6. Reithmayer (Österreich) 1:47,364 (53,524/53,840).
Stand (7/9): 1. Hüfner 670 Pkt., 2. Geisenberger 600, 3. Wischnewski 462, 4. Jakuschenko 403, 5. Reithmayer 385, 6. Hamlin (USA) 268; 12. Sieger (Königssee) 196; 16. Martini (Winterberg) 175.
Mannschaft: 1. Deutschland 2:26,737 Min. (Möller/Sonneberg/Schalkau, Geisenberger/Miesbach, Wendl/Arlt/Berchtesgaden/Königssee), 2. Kanada 2:27,485 (Edney, Gough, Moffat/Moffat), 3. Italien 2:27,817 (Mair, Gasparini, Oberstolz/Gruber), 4. Slowakei 2:27,868 (Ninis, Sisajova, Harnis/Regec), 5. Lettland 2:29,630 (Kivlenieks, Tiruma, Sics/Sics), 6. Russland 2:30,293 (Demtschenko, Iwanowa, Newmerschizij/Medwed).
Gesamtwertung Mannschaft/Staffel, Endstand nach 5 Rennen: 1. Deutschland 485 Pkt., 2. Österreich 401, 3. USA 299, 4. Lettland 276, 5. Italien 255, 6. Slowakei 249.
Schwimmen
Marathon-Weltcup in Santos/Brasilien
Männer, 10 km: 1. Ercoli (Italien) 2:05:44,0 Stunden, 2. Ferretti (Italien) 2:05:49,0, 3. Cleri (Italien) 2:05:54,0.
Frauen, 10 km: 1. Cunha (Brasilien) 2:09:49,0 Stunden, 2. Okimoto (Brasilien) 2:09:58,0, 3. Pastor (Mainz) 2:10:00,0; 7. Maurer (Mainz) 2:10:05,0.
Ski alpin
Männer, Weltcup in Kitzbühel
Abfahrt: 1. Defago (Schweiz) 1:56,09 Min., 2. Walchhofer (Österreich) 1:56,29, 3. Kröll (Österreich) 1:56,38, 4. Cuche (Schweiz) 1:56,59, 5. Miller (USA) 1:56,59, 6. Innerhofer (Italien) 1:56,61, 7. Jerman (Slowenien) 1:56,81, 8. Thanei (Italien) 1:56,85, 9. Poisson (Frankreich) 1:56,99, 10. Maier (Österreich) 1:57,12; 28. Keppler (Ebingen) 1:58:51.
Stand im Abfahrts-Weltcup nach 6 von 9 Rennen: 1. Walchhofer 310 Pkt., 2. Defago 298, 3. Kröll und Miller beide 275, 5. Innerhofer 216, 6. Guay (Kanada) 187, 7. Svindal (Norwegen) 178, 8. Fill (Italien) 177, 9. Büchel (Liechtenstein) 168, 10. Cuche (Schweiz) 159; 39. Keppler 15; 46. Peter Strodl (Partenkirchen) 9; 50. Andreas Strodl (Partenkirchen) 5.
Slalom: 1. Lizeroux (Frankreich) 1:33,83 Minuten (46, 88 Sekunden/46,95), 2. Grange (Frankreich) 1:33,91 (45,88/48,03), 3. Thaler (Italien) 1:34,50 (47,20/47,30), 4. Hirscher (Österreich) 1:34,59 (47,66/46,93), 5. Vajdic (Slowenien) 1:35,05 (46,86/48,19), 6. Brolenius (Schweden) 1:35,25 (47,38/47,87), 7. Kostelic (Kroatien) 1:49, 16 (46,12/49,16), 8. White (Kanada) 1:35,55 (47,05/48,50), 9. Myhrer (Schweden) 1:35,60 (47,53/48,07), 10. Janyk (Kanada) 1:35,67 (47,20/47,87). - ausgeschieden im 2. Lauf: Neureuther (Partenkirchen(9. nach dem 1. Lauf). - nicht qualifiziert für den 2. Lauf: 41. Dopfer (Garmisch) 49,04. - ausgeschieden im 1. Lauf: Kogler (Schliersee).
Stand im Slalom-Weltcup (6/10): 1. Grange 429, 2. Kostelic 341, 3. Pranger 219, 4. Herbst (beide Österreich) 216, 5. Lizeroux 203, 6. Hirscher 176, 7. Mölgg (Italien) 170, 8. Raich (Österreich) 169, 9. Hargin (Schweden) 147, 10. Myhrer 146; 20. Neureuther 71; 33. Kogler 28; 46. Stehle (Obermaiselstein) 12.
Kombinations-Wertung (Addition aus Abfahrt/Slalom): 1. Zurbriggen (Schweiz) 3:33,38 Minuten, 2. Kostelic 0,49 Sekunden zurück, 3. Zrncic-Dim (Kroatien) 2,98, 4. Janka (Schweiz) 4,30, 5. Svindal 4,32.
Stand im Kombinations-Weltcup (3/4): 1.
Zurbriggen 205, 2. Janka 182, 3. Raich 136, 4. Kostelic 130, 5. Fill 116; 39. Neureuther 7.
Stand im Gesamt-Weltcup (23/37): 1. Kostelic 675, 2. Raich 660, 3. Grange 656, 4. Svindal 655, 5. Defago 595, 6. Janka 549, 7. Cuche 529, 8. Walchhofer 451, 9. Miller 445; 63. Neureuther 78; 93. Kogler 28; 97. P. Strodl 22; 105. Keppler 16; 106. A. Strodl u. Stehle (Obermaiselstein) je 12.
Frauen, Weltcup in Cortina d'Ampezzo
Abfahrt: 1. Gisin (Schweiz) 1:16,98 Min., 2. Vonn (USA) 1:17,13, 3. Pärson (Schweden) 1:17,15, 4. Maze (Slowenien) 1:17,26, 5. Maria Riesch (Partenkirchen) 1:17,29, 6. Siorpaes (Italien) 1:17,32, 7. Styger (Schweiz) 1:17,41, 7. Castillo (Spanien) 1:17,41, 9. Vanderbeek (Kanada) 1:17,52, 10. Merighetti (Italien) 1:17,60.
Stand im Abfahrts-Weltcup (3/8): 1. Vonn 240 Pkt., 2. Gisin 226, 3. Pärson 160, 4. Maria Riesch (Partenkirchen) 141, 5. Fanchini 110, 6. Maze 105, 7. Fischbacher (Österreich) 99, 8. Brydon (Kanada) 81, 9. Marchand-Arvier (Frankreich) 76, 10. Görgl (Österreich) 66.
Riesenslalom: 1. Zettel 2:47,10 Minuten (1:19,47 Minuten/1:27,63 Minuten), 2.Kirchgasser 2:48,49 (1:20,18/1:28,31), 3. Görgl (alle Öasterreich) 2:48,81 (1:19,09/1:29,72), 4. Maze 2:49,09 (1:20,70/1:28,39), 5. Barioz (Frankreich) 2:49,24 (1:21,86/1:27,38), 6. Poutiainen (Finnland) 2:49,31 (1:21,14/1:28,17), 7. Rebensburg (Kreuth) 2:49,34 (1:21,73/1:27,61) u. Pietilä-Holmner (Schweden) 2:49,34 (1:20,66/1:28,68), 9. Gagnon (Kanada) 2:49,97 (1:22,46/1:27,51), 10. Vonn 2:49,99 (1:20,55/1:29, 44); 28. Hölzl (Bischofswiesen) 2:53,39 (1:21,04/1:32, 35). - nicht qualifiziert für den 2. Lauf: 45. Wirth 1:24, 25. - ausgeschieden im 1. Lauf: Maria Riesch. - disqualifiziert nach dem 1. Lauf: Chmelar (Partenkirchen).
Stand im Riesenslalom-Weltcup (6/8): 1. Zettel 369 Punkte, 2. Poutiainen 363, 3. Maze 218, 4. Görgl 217, 5. Mölgg (Italien) 205, 6. Pietilä-Holmner 199, 7. Karbon (Italien) 197, 8. Kirchgasser 188, 9. Gut (Schweiz), 10. Vonn 173, 13. Hölzl 127; 15. Maria Riesch 112; 24.
Rebensburg 58.
Stand im Gesamtweltcup (19/34): 1. Vonn 882 Punkte, 2. Maria Riesch 810, 3. Pärson 775, 4. Zettel 751, 5. Poutiainen 684, 6. Maze 407, 7. Hosp (Österreich) 404, 8. Zahrobska (Tschechien) 401, 9. Pietilä-Holmner 394, 10. Görgl 393; 20. Hölzl 205; 41. Stechert 78; 49. Chmelar 65, 50. Suanne Riesch (Partenirchen) 63, 51. Bergmann (Lam) 62; 55. Rebensburg 58; 89. Geiger (Oberstdorf) 16; 100. Perner (Karlsruhe) 9; 102. Dürr (Germering) 8; 106. Marianne Mair (Reichersbeuern) 7.
Ski Nordisch
Springen, Weltcup in Whistler/Kanada
Großschanze: 1. Schlierenzauer (Österreich) 289,2 Pkt. (142,0/139,5 m), 2. Loitzl (Österreich) 274,1 (136,5/135,5), 3. Hautamäki (Finnland) 270,6 (136,5/135,5), 4. Ammann (Schweiz) 264,4 (138,5/132,0), 5. Morgenstern (Österreich) 262,9 (130,5/137,5), 6. Wassiljew (Russland) 262,1 (135,5/136,5), 7. Schmitt (Furtwangen) 259,2 (133,5/133,0), 8. Malysz (Polen) 258,4 (132,0/133,5), 9. Kasai (Japan) 254,7 (132,0/132,0), 10. Larinto (Finnland) 244,2 (130,0/129,0); 15. Uhrmann (Rastbüchl) 233,5 (130,0/125,0); 23. Hocke (Schmiedefeld) 215,8 (121,0/125,0); 28. Freund (Rastbüchl) 202,2 (122,5/116,5); 32. Schoft (Partenkirchen) 103,8 (121,0); 39. Bodmer (Meßstetten) 91,4 (115,5).
Stand im Gesamt-Weltcup nach 16 von 28 Wettbewerben: 1. Schlierenzauer 1220 Pkt., 2. Ammann 1172, 3. Loitzl 1061, 4. Schmitt 568, 5. Morgenstern 488, 6. Larinto 443, 7. Olli (Finnland) 438, 8. Wassiljew 429, 9. Koch (Österreich) 404, 10. Hautamäki 393; 13. Uhrmann 316; 16. Neumayer (Berchtesgaden) 249; 26. Hocke 108; 42. Schoft 29; 44. Freund 23; 52. Wank (Oberhof) 14.
Langlauf-Weltcup in Otepää/Estland
Klassik-Rennen: Männer über 15 km: 1. Bauer (Tschechien) 35:43,6 Minuten, 2. Olsson (Schweden) 0:01,5 Minuten zurück, 3. Vittoz (Frankreich) 0:09,3, 4. Teichmann (Bad Lobenstein) 0:12,9, 5. Cologna (Schweiz) 0:19,2, 6. Hjelmeset 0:19,6, 7. Rönning (beide Norwegen) 0:20,2, 8. Jauhojärvi (Finnland) 0:24,3, 9. Mae (Estland) 0:25,5; 12. Angerer (Vachendorf) 0:37,4; 18. Filbrich (Frankenhain) 1:04,3, 19. Seifert (Hammerbrücke) 1:06,3, 20. Göring (Zella-Mehlis) 1:07,5.
Sprintrennen (1,4 km): Sprint: 1. Hattestad, 2. Pettersen, 3. Börre Näss, 4. Hetland (alle Norwegen), 5. Rönning, 6. Larsson (Schweden), 7. Krijukow (Russland), 8. Jönsson (Schweden), 9. Jauhojärvi, 10. Morilow (Russland), 11. Darragon (Frankreich), 12. Thun (Norwegen). - im Viertelfinale ausgeschieden: 25. Brunner (Girkhausen). - nicht in den Finalläufen der besten 30: 51. Göring; 58. Wenzl (Zwiesel).
Stand im Gesamtweltcup (19/33): 1. Cologna 880 Punkte, 2. Northug (Norwegen) 698, 3. Teichmann 631, 4. Piller Cottrer (Italien) 523, 5. Hattestad 480, 6. Jauhojärvi 477, 7. di Centa (Italien) 463, 8. Bauer 436, 9. Gaillard (Frankreich) 421, 10. Rotschew (Russland) 415; 20. Filbrich 231; 26. Reichelt (Oberwiesenthal) 171; 42. Wenzl (Zwiesel) 105; 63. Angerer 47; 97. Göring 18; 109. Seifert 12; 123. Brunner 9; 140. Sommerfeldt (Oberwiesenthal) 2.
Frauen über 10 km: 1. Kowalczyk (Polen) 26:25,6 Minuten, 2. Saarinen 0:26,2 Minuten zurück, 3. Kuitunen (beide Finnland) 0:46,6 Minuten zurück, 4. Majdic (Slowenien) 0:51,8, 5. Johaug 0:58,0, 6. Björgen (beide Norwegen) 0:58,4, 7. Muranen (Finnland) 1:08,1, 8. Kristoffersen (Norwegen) 1:11,1, 9. Kalla (Schweden) 1:16,2, 10. Sidko (Russland) 1:21,4; 12. Sachenbacher-Stehle (Reit im Winkl) 1:26,9.
Sprint: 1. Majdic, 2. Saarinen, 3. Kuitunen, 4. Muranen, 5. Prochazkova (Slowakei), 6. Andersson (Schweden), 7. Kowalczyk, 8. Falla (Norwegen), 9. Anna Olsson, 10. Norgren (beide Schweden), 11. Fessel (Oberstdorf), 12. Perälä (Finnland).
Stand im Gesamtweltcup (19/33): 1. Saarinen 1138 Punkte, 2. Majdic 1043, 3. Kuitunen 1027, 4. Kowalczyk 990, 5. Björgen 647, 6. Longa 633, 7. Follis (beide Italien) 630, 8. Muranen 473, 9. Johaug 469, 10. Steira (Norwegen) 434; 13. Böhler (Ibach) 370; 16. Nystad (Oberwiesenthal) 298; 23. Zeller (Oberstdorf) 170; 38. Sachenbacher-Stehle 83; 58. Henkel (Oberhof) 40, 59. Fessel 39.
Snowboard
Weltmeisterschaft in Gangwon/Südkorea
Männer, Big Air: 1. Koski (Finnland) 55,6 Pkt., 2. Smits (Belgien) 53,0, 3. Gimpl (Österreich) 51,0, 4. Petek (Slowenien) 49,6, 5. Holvik (Norwegen) 49,1, 6. Piiroinen (Finnland) 48,9, 7. Crepel (Frankreich) 46,8, 8. Morgan (Miesbach) 46,5.
Tennis
Australian Open, Melbourne (12,02 Mio.$)
Männer
3. Runde: Nadal (Spanien/Nr. 1) - Haas (Hamburg/Sarasota-USA) 6:4, 6:2, 6:2, A Murray (Großbritannien/4) - Melzer (Österreich/31) 7:5, 6:0, 6:3, Tsonga (Frankreich/5) - Sela (Israel) 6:4, 6:2, 1:6, 6:1, Simon (Frankreich/6) - Ancic (Kroatien) 7:6 (2), 6:4, 6:2, Blake (USA/9) - Andrejew (Russland/18) 6:3, 6:2, 3:6, 6:1, Monfils (Frankreich/12) - Almagro (Spanien/17) 6:4, 6:3, 7:5, Gonzalez (Chile/13) - Gasquet (Frankreich/24) 3:6, 3:6, 7:6 (10), 6:2, 12:10, Verdasco (Spanien/14) - Stepanek (Tschechien/22) 6:4, 6:0, 6:0.
Achtelfinale: Federer (Schweiz/2) - Berdych (Tschechien) 4:6, 6:7 (4), 6:4, 6:4, 6:2, Roddick (USA/7) - Robredo (Spanien/21) 7:5, 6:1, 6:3, Del Potro (Argentinien/8) - Cilic (Kroatien/19) 5:7, 6:4, 6:4, 6:2, Djokovic (Serbien/3) - Baghdatis (Zypern) 6:1, 7:6 (1), 6:7 (5), 6:2.
Frauen
3. Runde: S. Williams (USA/Nr. 2) - Shuai (China) 6:1, 6:4, Dementijewa (Russland/4) - Stosur (Australien) 7:6 (6), 6:4, Kusnezowa (Russland/8) - Bondarenko (Ukraine/31) 7:6 (7), 6:4, Asarenka (Weißrussland/13) - Mauresmo (Frankreich/20) 6:4, 6:2, Cibulkova (Slowakei/18) - Razzano (Frankreich) 7:5, 7:5, Medina Garrigues (Spanien/21) - Pennetta (Italien/12) 6:4, 6:1, Jie (China/22) - Bondarenko (Ukraine) 6:2, 6:2, Suarez Navarro (Spanien) - Martinez Sanchez (Spanien) 6:1, 6:4.
Achtelfinale: Bartoli (Frankreich/16) - Jankovic (Serbien/1) 6:1, 6:4, Safina (Russland/3) - Cornet (Frankreich/15) 6:2, 2:6, 7:5, Swonarewa (Russland/7) - Petrowa (Russland/10) 7:5, 6:4, Dokic (Australien) - Klejbanowa (Russland/29) 7:5, 5:7, 8:6, Dokic (Australien) - Kleibanowa (Russland/29) 7:5, 5:7, 8:6.
Tischtennis
Danish Open in Frederikshavn
Männer, Viertelfinale: Jike (China) - Boll (Düsseldorf) 4:3 (11:7, 11:13, 8:11, 2:11, 12:10, 11:8, 11:7), Süß (Düsseldorf) - Maze (Dänemark) 4:1 (11:9, 11:1, 9:11, 11:8, 11:3), Ovtcharov (Düsseldorf) - Chao 4:0 (11:9, 11:3, 11:9, 11:8).
Volleyball
Männer, Bundesliga, 15. Spieltag
Wuppertal - evivo Düren
0:3
VfB Friedrichshafen - TSV Giesen/H.
3:0
Bad Dürrenberg - VC Leipzig
0:3
VCO Berlin - Moerser SC
3:1
TV Rottenburg - Generali Haching
0:3
1
VfB Friedrichshafen
14
40:11
24:4
2
SCC Berlin
14
38:14
24:4
3
Moerser SC
15
38:19
24:6
4
Generali Haching
15
38:15
22:8
5
Netzhoppers KW
14
32:20
18:10
6
evivo Düren
15
26:27
16:14
7
SG Eltmann
14
25:30
12:16
8
Bad Dürrenberg
15
25:31
12:18
9
TV Rottenburg
15
23:33
12:18
10
VC Leipzig
15
19:36
8:22
11
TSV Giesen/H.
14
16:38
6:22
12
Wuppertal
15
20:38
6:24
13
VCO Berlin
15
13:41
6:24
Köpenicker SC - VfB Suhl
2:3
TSV Sonthofen - Dresdner SC
0:3
Aleman. Aachen - VCO Berlin
1:3
TSV Stuttgart - Schweriner SC
2:3
USC Münster - R.R. Vilsbiburg
3:1
1.VC Wiesbaden - FK Chemnitz
1
Dresdner SC
13
34:15
22:4
2
Schweriner SC
13
33:15
22:4
3
R.R. Vilsbiburg
13
35:14
20:6
4
NA Hamburg
12
31:15
18:6
5
VfB Suhl
13
30:20
18:8
6
1.VC Wiesbaden
12
25:22
14:10
7
Köpenicker SC
13
24:24
14:12
8
TSV Stuttgart
13
27:27
12:14
9
VCO Berlin
13
21:27
12:14
10
Bayer Leverkusen
12
24:25
10:14
11
TSV Sonthofen
13
19:30
8:18
12
USC Münster
13
19:32
6:20
13
FK Chemnitz
12
10:35
2:22
14
Aleman. Aachen
13
8:39
0:26
Wasserball
Männer, Bundesliga, Hauptrunde
Gruppe A: Neukölln Berlin - Wedding Berlin 11:7, Uerdingen - Duisburg 8:13, Hannover - Spandau Berlin 6:14.
Tabelle: 1. Spandau Berlin 14:0 Punkte, 2. Duisburg 12:2, 3. Uerdingen 9:5, 4. Neukölln Berlin 5:9, 5. Wedding Berlin 5:9, 6. Hannover 4:10, 7. Esslingen 4:10, 8. Würzburg 3:11.
Gruppe B: Potsdam - Uerdingen 14:10, Poseidon Hamburg - Magdeburg 8:12, Krefeld - Hannover 20:3, Brambauer - Magdeburg 9:12, Brandenburg - Uerdingen 11:6.
Tabelle: 1. Krefeld 16:0 Punkte, 2. Potsdam 12:2, 3. Magdeburg 10:4, 4. Weiden 10:4, 5. Brandenburg 9:7, 6. Poseidon Hamburg 6:10, 7. Uerdingen 4:12, 8. Brambauer 1:17, 9. Hannover 0:12.
Sport im Fernsehen
Montag, 26. Januar
9.00 - 14.00 Uhr, Eurosport: Tennis, Australian Open in Melbourne, Achtelfinale.
9.55 - 11.45 Uhr, Bayern 3: Ski alpin, Weltcup der Frauen in Cortina d'Ampezzo, Super G.
Dienstag, 27. Januar
1.00 - 7.15 Uhr, Eurosport: Tennis, Australian Open in Melbourne, Viertelfinale.
Ein beispielhafter Höhenflug: Markku Koski aus Finnland sicherte sich bei der Fis-Weltmeisterschaft der Snowboarder in Gangwon/Südkorea den Titel in der Kategorie Big Air. Von solchen Erfolgen sind die Deutschen weit entfernt, ein Jahr vor Olympia in Vancouver. In einem Jahr sollen sie mehr als eine Bronze-Medaille einfahren. "Wenn es unser Ziel ist, bei Olympia zwei Medaillen zu holen, sollten wir das auch bei der WM erfüllen", sagte Timm Stade, Sportdirektor des Verbandes. Außer dem Edelmetall des Aschheimers Patrick Bussler im Parallel-Slalom gab es in Gangwon keinen Podestplatz. In den olympischen Disziplinen Parallel- Riesenslalom, Halfpipe und Snowboard-Cross war Platz zehn von Amelie Kober das beste Ergebnis. Der Miesbacher Ethan Morgan, 17, belegte beim Big Air immerhin Rang acht. Getty
Armstrong auf Rang 29
Zweck erfüllt
In den USA verstehen immer noch nicht alle etwas vom Radsport, und womöglich sind diese Menschen jetzt doch etwas enttäuscht von Lance Armstrong: Als 29. hat er die Tour Down Under und damit sein Comeback nach dreieinhalb Jahren Rennpause hinter sich gebracht - ist das nicht ein sportliches Debakel für einen, der siebenmal die Tour de France gewann?
Ist es natürlich nicht, Armstrongs Rückkehr verlief wie erwartet und geht somit in Ordnung, rein sportlich. Die Sternfahrt rund um Adelaide bedeutete eine bessere Trainingseinheit für den Amerikaner, er hat andere Ziele. Die Flandernrundfahrt Anfang April etwa, der 37-Jährige würde zu gern mal einen Klassiker gewinnen; noch wichtiger ist ihm freilich der Giro im Mai, der ihm als Vorbereitung für die Tour durch Frankreich im Juli dienen soll. "Hier geht es nur um einen langsamen Formaufbau", sagte Armstrong in Adelaide; die Tour durch Südaustralien ist vom Profil her sowieso nichts für echte Klassement-Fahrer, und wie im Vorjahr, als der Rostocker André Greipel siegte, gewann im Australier Allan Davis ein Sprinter; er holte sich drei Etappensiege und lag am Ende 49 Sekunden vor Armstrong, der eher locker mitrollte.
Wie viele andere ist auch Davis' Name in den Polizeiakten zur Fuentes-Affäre zu finden; behelligt wurde er nicht. Und so hat die Tour Down Under nicht nur für Armstrong einen anderen, übergeordneten Zweck trefflich erfüllt: die Vergangenheit auszublenden. "Es interessiert nicht, was einmal war", sagte etwa Greipel über Armstrong, "er wurde nie positiv getestet." Und der Berliner Jens Voigt fasste auf seine spezielle Art jene Realität zusammen, die, nicht nur sportlich, nicht jedem behagen mag: "Lance ist der Patron, der er immer war." abur
Die Folklore muss warten
Beim ersten Basketball-Derby in Köln gegen Düsseldorf geht es weniger um rheinische Rivalitäten
Otto Reintjes ist erst gar nicht hingefahren nach Köln, er kränkelt etwas, "und außerdem wollte ich ja jetzt kürzer treten - dann mach' ich das auch". Gesellschafter ist Reintjes, 58, inzwischen bei den Giants Düsseldorf, jenem Nachfolgeteam von Rekordmeister Bayer Leverkusen, der sich aus der Basketball-Bundesliga zurückziehen musste nach dem Ausstieg des Konzerns. Spieler, Trainer und viele Jahre Manager ist Reintjes bei Bayer gewesen, und wenn es ehedem nach Köln ging, erinnert er sich, "dann brannte der Baum richtig". Legendär sind heute noch die Duelle in der Müngersdorfer ASV-Halle, sie fasste offiziell 1600 Menschen. Aber wenn dort in den 80er Jahren der BSC Saturn den Rivalen von der anderen Rheinseite empfing, waren es doch ein paar Hundert mehr. "Die kamen mit Bierkästen", sagt Reintjes, "damit sie überhaupt irgendetwas sahen."
Diesen Samstagabend sind 3007 Zuschauer am Girlitzweg gewesen, damit war der EnergyDome fast ausverkauft beim ersten Duell in Köln mit dem neuen Rivalen Düsseldorf. Auch die Stimmung war prächtig, vor allem bei den Kölnern, sie gewannen das Derby hauchdünn 80:78. Den abstiegsbedrohten 99ers tat dieser Sieg gut, weil es erst ihr sechster Erfolg im 18. Saisonspiel gewesen ist. "Das war heute Werbung für den Basketball". sagte Trainer Drasko Prodanovic hinterher. Von einer lokalpatriotischen Bedeutung sprach er nicht, dafür fehlt dem Duell wohl einfach die Tradition. Giants-Trainer Achim Kuczmann als vieljähriger Leverkusener erlebte das ehedem noch anders, wie auch 99ers-Manager Stephan Baeck, 43; er holte als Spieler sowohl mit Bayer 04 als auch mit Köln Meisterschaften.
Doch die Zeiten haben sich eben geändert im Rheinland, wo der BBL-Zweite des Vorjahres aus Bonn auch diesmal vom ersten Titel träumen darf. Köln, 2008 fast pleite gegangen, kämpft dagegen ums Budgets und die Klasse. Düsseldorf ist wiederum noch etwas davon entfernt, eine Basketballhochburg zu sein, der Schnitt liegt bei 2500 Fans und damit unter den Vorgaben. Und nicht einmal der Express hatte sich jetzt Mühe gegeben mit ein paar Sticheleien, obwohl Düsseldorf in Köln noch unbeliebter ist als Leverkusen. "Jeder ist momentan auf andere Sachen konzentriert", sagt Reintjes. Für rheinische Folklore haben die Rivalen derzeit keinen Sinn. abur
Stephan Baeck Foto: oh
Anmut gewinnt
Unter dem Jubel von 10 000 Zuschauern hat sich die Finnin Laura Lepistö in ihrem Heimatland den Titel bei den Eiskunstlauf-Europameisterschaften gesichert. Die 20-Jährige zeigte in Helsinki eine anmutige Kür, profitierte aber auch vom Fehler ihrer Konkurrentin Carolina Kostner aus Italien, die eine Pirouette doppelt gezeigt hat. Bronze ging an Lepistös Teamkollegin Susanna Pöykiö (156,31). Die fünfmalige deutsche Meisterin Annette Dytrt beendete die EM auf einem achtbaren siebten Rang. Nach dem Kurzprogramm war die Oberstdorferin nur Zwölfte gewesen. Dank der Top-Ten-Platzierung erhält die Deutsche Eislauf-Union (DEU) nun zwei Startplätze bei der EM 2010 in Tallinn/Estland. Dytrt vertritt die DEU auch bei der WM im März in Los Angeles. Offenbar hat die 25-Jährige von ihrem Trainerwechsel stark profitiert. Sie zeigte zwar lediglich eine Sprungkombination aus Dreifach-Salchow/Doppel-Toeloop, steigerte sich aber deutlich: "Ich habe gemerkt, wie der Funke auf das Publikum übergesprungen ist." Dytrts ausdrucksstarken Vortrag honorierten die Preisrichter mit 136,98 Zählern. "Sie hat ihre Saisonbestleistung übertroffen", sagte ihr neuer Trainer Michael Huth, "In meinem neuen Team macht das Eiskunstlaufen wieder Freude", erklärte Dytrt. Coach, Mentaltrainerin Petra Weber und Athletin Dytrt werden in den verbleibenden zwei Monaten bis zur WM vor allem an der Nervenstärke arbeiten.
Der goldene Schlüssel
Von Thomas Kistner
Das Bemerkenswerte am Fall Vuckovic: Es gibt einen Königsweg aus der Affäre. Vuckovic bräuchte nur die Ärzte in Bayreuth, die 2001 den mit lebensgefährlichem Organversagen ringenden Triathleten behandelten, von der Schweigepflicht zu befreien. Und nur in einem Punkt: Hat er ihnen damals den Konsum von Epo gebeichtet?
Der Triathlet tut das nicht. Das ist sein Recht. Richtig ist aber auch, dass diese Weigerung in der hitzigen Gemengelage langsam entlarvend wirkt. Er braucht sich nicht zu rechtfertigen? Gut. Warum tut er es dann, indem er sogar Briefe von Anwalt und Ärzten ins Netz stellt - die nicht das Geringste zur Klärung der Kernfrage beitragen? Mäßig überzeugend sind zudem die Attacken gegen die Deutsche Triathlon-Union: Die Epo-Vorwürfe des Ehrenpräsidenten Engelhardt allein sind es ja nicht, die Nada und DTU alarmiert haben. Da ist vor allem die faszinierende Frage, warum Vuckovics damaliger Lauftrainer Springstein, verurteilter Doper, mit einem Dopingarzt aus dem Madrider Fuentes-Kreis einschlägige Mails zum deutschen Silberhelden von Sydney austauschte - dies Indiz ist mindestens so gravierend. Auch dazu lieferte Vuckovic, der Doping abstreitet, bis heute keine griffige Erklärung.
Abstreiten ist in dieser Gesamtlage nicht überzeugend. Zumal, wenn einer den goldenen Schlüssel zur Wahrheit besitzt - die Zeugenschaft der Bayreuther Ärzte - ihn aber nicht rausrücken will. Das bringt des Athleten Position zunehmend in Schieflage. Vuckovic lamentiert über Intrigen, Rufmord, über den teuren Verlust der Glaubwürdigkeit für künftige Aktivitäten in der Nachwuchsarbeit und anderswo. Alles gut nachvollziehbar. Aber wieso beendet er nicht mit leichter Hand das Dilemma, wieso erledigt er die Angreifer nicht mit einem einzigen Schlag?
Der Fall zieht nun größere juristische Kreise. Der ehemalige DTU-Chef Müller-Ott, der nie ausgeplaudert haben will, was Engelhardt behauptet, legte gar eine eidesstattliche Erklärung vor, er hat im ersten Schritt verloren und zieht zum Oberlandesgericht. Das ist gut, denn Engelhardts Partei sagt, sie habe weitere Zeugen für Müller-Otts Aussagen. So wächst der Druck auf alle. Und wenn Nada/DTU die neuen Zeugen anhören, könnte die Affäre um Engelhardts Mail einen dramatischen Richtungswechsel erfahren.
Die Familie bleibt unter sich
Trotz historischer Siege: Keine Spur von Hockeyboom bei deutschen Hallenfinals
Duisburg - Es war eine fast schon paradoxe Situation zwischen den beiden Finalspielen um die Deutsche Hallenhockey-Meisterschaft. Die Frauen vom Club an der Alster Hamburg hatten nach einem deutlichen 7:2 (5:1) gegen den Rüsselsheimer RK gerade ihren Titel verteidigt und sprangen glücklich durch die Halle, als Stephan Abel ein paar ernste Worte in den Sinn kamen. "Wir sind seit Jahren der erfolgreichste Verband unter den Spielsportarten und stellen mit unseren Olympiasiegern die Mannschaft des Jahres", hob der Präsident des Deutschen Hockey-Bundes an, "da würde ich langsam mal erwarten, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen das goutiert."
Beim Finalturnier um die Deutschen Meisterschaften der Männer und der Frauen spielten insgesamt neun Olympiasieger mit, und in Rot-Weiß Köln gab es die vielleicht spektakulärste Klubmannschaft zu bestaunen, die das deutsche Hockey je hervorgebracht hat. Doch die Hockeyfamilie blieb mal wieder unter sich. "Was sollen wir denn noch mehr bieten?", fragte Abel, schließlich sahen die 2100 Zuschauer nicht nur hochklassigen Sport, sie feierten auch noch ein lautes Fest in der Duisburger Rhein-Ruhr-Halle. Den TV-Anstalten seien die Produktionskosten zu hoch, vermutet Abel. "Wir haben ja noch nicht einmal das Gefühl, dass wir quotenmäßig etwas Fernsehpräsenz abbekommen", sagte Abel, "das ist wirklich traurig." Aus Duisburg berichteten nur private Lokalsender. Dabei war Deutschlands Hockeysport nie erfolgreicher als in der Gegenwart. Im Jahr 2002 wurden die Männer erstmals Weltmeister, zwei Jahre später gewannen die Frauen die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen, 2006 richtete der Deutsche Hockey-Bund die Männer-WM aus, und der Gastgeber verteidigte seinen Titel, wurde dann 2008 in Peking sogar Olympiasieger. Zudem ist Hallenhockey erheblich rasanter als die Variante auf dem Feld. Aus ihrem Nischendasein weit hinter Disziplinen wie Handball, Basketball oder Eishockey kommt die Sportart aber einfach nicht heraus.
Dabei war genau das der Plan gewesen, als der Verband 2002 mit der Champions-Trophy seine "Veranstaltungsoffensive" begann. Seither richtete der DHB Weltmeisterschaften in der Halle und im Freien aus, brachte bei den Männern die erfolgreichste Hockeygeneration seiner Geschichte hervor und verkündete regelmäßig ansteigende Mitgliederzahlen. Ohne die Hilfe der großen Fernsehanstalten lässt sich das öffentliche Interesse am Hockeysport offenbar nicht einmal in dieser goldenen Ära beleben.
Den Siegern war das am Ende aber egal. Die Hamburgerinnen vergnügten sich längst mit Kaltgetränken, und Rot-Weiß Köln, der neue Meister der Männer, hat auch ohne große mediale Präsenz einen märchenhaften Aufstieg hinter sich gebracht. Der Traditionsklub feierte nach dem 5:3 (1:2)-Finalsieg seinen ersten Titel seit 1995, und dieser Erfolg soll nur der erste Gipfel gewesen sein. Denn seit dem Sommer 2007 hat der damalige Zweitligist einige der besten Hockeyspieler an den Rhein gelockt. Geld brauchten sie dazu nicht, allein maßgeschneiderte Berufsperspektiven haben die Kölner ihren insgesamt acht Nationalspielern geboten. Stürmer Christopher Zeller, eine internationale Spitzenkraft, hat sogar einen hoch dotierten Profivertrag beim holländischen Spitzenklub HC Bloemendaal gekündigt.
"Der Aufstieg war Pflicht, aber dass wir so schnell einen Titel gewinnen, das ist ein Traum", sagte Zeller nach dem aufregenden Endspiel, das von den meisten als würdiger Schlusspunkt eines stimmungsvollen Hockeywochenendes empfunden wurde. "Spannend, dramatisch, das ist der Hammer", fasste Kölns Co-Trainer Wolfgang Kluth, der schon beim letzten Titel dabei war, zusammen. Zwar brauchte das Kölner Ensemble mit den Brüderpaaren Timo und Benjamin Wess sowie Phillip und Christopher Zeller lange, bis es ins Spiel fand. Zweimal lag das Team zurück, aber die größere individuelle Klasse setzte sich durch, und am Ende feierte die Halle ein karnevalistisches Hockeyfest. Nur in der Ecke mit den vielen Rüsselsheimern flossen auch ein paar Tränen. Daniel Theweleit
DTU leitet Verfahren ein
Triathleten suchen Klarheit im Fall Vuckovic / Neue Zeugen
München - Seit Monaten brodelt es hinter den Triathlon-Kulissen. Nun drängte es Stephan Vuckovic zum Handeln. Auf seiner Homepage verbreitet der Triathlet aus Reutlingen seine Sichtweise auf die eigene Causa, die er für eine "miese sportpolitische Intrige" hält. Verlinkt damit hat er ein gepfeffertes Schreiben seines Anwalts Michael Lehner an Claudia Wisser, Chefin der Deutschen Triathlon-Union (DTU), sowie einen Arztbrief der Tübinger Uni-Klinik. Dieses soll belegen, dass eine Legionella-Erkrankung Vuckovics lebensgefährlichen Kollaps 2001 bei der EM in Karlsbad verursacht hatte.
Ein Vorfall, der ihm viel Ungemach bereitet, seit DTU-Ehrenpräsident Martin Engelhardt im Oktober verbandsintern via Mail ein Gedächtnisprotokoll in Umlauf brachte (SZ 29.11.08). Darin erklärt der Orthopäde aus Osnabrück, Vuckovic habe 2001 mit Epo gedopt und dies zugegeben, als er mit Leber-Nierenversagen in eine Bayreuther Klinik gebracht und von den Ärzten befragt wurde, die tagelang um sein Leben rangen. Engelhardt benannte den damaligen DTU-Chef Klaus Müller-Ott und Verbandsarzt Andreas Marka als Zeugen, diese bestreiten seine Schilderung. Ohne Folgen blieb die Anschuldigung trotzdem nicht. Engelhardt wollte damit Vuckovis Kür zum baden-württembergischen Verbandschef im Oktober 2008 vereiteln, was gelang, weil der Athlet wegen der verbandsintern kursierenden Vorwürfe die Kandidatur zurückzog. Und auch die Zeugen hielten anfangs still, sie wandten sich erst gegen Engelhardt, als die Mail öffentlich wurde. Zu viel Ungereimtheiten für die neue DTU-Spitze. "Wir leiten formal ein Ermittlungsverfahren ein", sagt Wisser. Das will auch die Nationale Antidopingagentur. "Wir haben dazu aufgefordert", sagt Nada-Sprecherin Ulrike Spitz.
Dies veranlasste Vuckovic zur Offenlegung vertraulicher Papieren. "Drei Ärzte", so der Triathlet, "haben mir unabhängig voneinander bestätigt, dass ich im Sommer 2001 eindeutig an Legionellose erkrankt bin." Auch Anwalt Lehner beharrt darauf, er warnt die DTU davor, das am 27. August 2001 erstellte Tübinger Gutachten anzuzweifeln. Er sähe darin einen Rufmord "nicht nur meines Mandaten". Des Anwalts Schlüsse: Die DTU habe mit Engelhardts Vortrag keine Basis für ein Verfahren, es gäbe ja keine "anderen greifbaren Ansatzpunkte für ein Epo-Doping meines Mandaten". Zugleich hält es Lehner für "unsinnig", die Ärzte in Bayreuth von der Schweigepflicht zu befreien. Das wünscht aber die DTU, das würde auch die Nada interessieren - denn es war in Bayreuth, wo sich Vuckovic offenbart haben soll.
Dass er nun einen kompletten Arztbrief ins Netz stellt, aber nicht die Kernfrage an Bayreuth zulassen will, wird in DTU und Nada skeptisch bewertet. Zumal selbst der klarste Beweis, dass Vuckovics Kollaps von Legionellen herrührte, unerheblich für die Frage ist, ob es in Bayreuth eine Epo-Beichte gab. Als er dort mit Organversagen um sein Leben rang, war der Auslöser unbekannt, er wurde verzweifelt gesucht. Zudem zweifeln Experten nicht den Tübinger Befund an, wohl aber, ob daraus eindeutig Legionella als Auslöser des Organversagens abzuleiten sei. Sogar im Arztbrief heißt es: "Als Erreger (...) darf mit einiger Sicherheit ein Bakterium aus der Legionellen-Gruppe angenommen werden."
"Das ist keine knallharte Kausalkette", sagt Christian Lück vom Konsiliarlaboratorium für Legionellen an der Uni-Klinik Dresden, "das kann, muss aber kein Beweis sein." Auch der Heidelberger Zellforscher Werner Franke, eine von ihm gegründete Firma stellt Legionellen-Erkennungsmittel her, sieht "da keine eindeutige Bestimmung". Er verweist auf Pikantes: "Legionella ist meldepflichtig. Alles mündet in die Frage, ob im Sommer 2001 ein Legionella-Fall von Bayreuth oder Tübingen gemeldet wurde?"
Der Verdacht von Nada und DTU in der Affäre gründet indes nicht nur auf Engelhardts Aussagen. Die Gremien irritiert, dass Vuckovic 2000/2001 bei Thomas Springstein trainierte - das brachte ihn schon einmal in Erklärungsnot. 2006 war im Dopingprozess gegen den Trainer auch dessen Mailverkehr mit dem Arzt Miguel Peraita publik geworden, der als eine Schlüsselfigur des internationalen Dopingnetzwerks in Madrid gilt. Laut Gerichtsakten bedankte sich Springstein für die "kreativen Ideen" bezüglich des Schützlings Vuckovic, nachdem dieser in Sydney überraschend Silber gewonnen hatte. Peraitas Antwort: "Wir wussten schon von Vuckovic und den Mädchen. GROSSARTIG. Für das nächste Jahr haben wir neue Sachen, um das Material zu ersetzen, sehr interessant." Vuckovic bestritt gegenüber der DTU alle Vorwürfe. Auf SZ-Anfrage im November sagte er, er habe "damals alles gesagt, ich schaue nicht zurück und lebe im Jetzt".
Vuckovic erwirkte eine Unterlassungserklärung von Engelhardt. Hart blieb Engelhardt, als ihn nun Amtsnachfolger Müller-Ott ebenfalls in die Knie zwingen wollte. Das Landgericht Kiel lehnte Müller-Otts Antrag auf Einstweilige Verfügung im Dezember ab. Auch Müller-Otts eidliche Erklärung, die Epo-Äußerungen nie getan zu haben, überzeugte den Richter nicht: Engelhardts Behauptung sei "als wahr zu behandeln". Jetzt zieht Müller-Ott zur nächsten Instanz, sagt: "Das bedeutet noch gar nichts. Engelhardt hat den Beweis anzutreten, nicht ich."
Engelhardts Anwalt Stefan Felsner bleibt gelassen. Und hat eine für alle Beteiligten brisante Neuigkeit: "Bei uns haben sich weitere Zeugen gemeldet, die behaupten, damals von Herrn Müller-Ott über den Sachverhalt in Kenntnis gesetzt worden zu sein und den Sachvortrag von Herrn Engelhardt bestätigen. Auf die werden wir uns im Bedarfsfall beziehen." Thomas Kistner/Frank Ketterer
Stephan Vuckovic Foto: ap
Schmitt ist müde
Die Weltcup-Premiere der Skispringer auf der Olympiaanlage von Vancouver ist größtenteils geglückt, auch wenn dies nach dem Springen nicht gleich erkennbar war. Martin Schmitt, der Siebtplatzierte, lächelte da nur müde. "Er hat sich sehr gut geschlagen. Auch wenn man jetzt merkt, dass die Frische fehlt", sagte Bundestrainer Werner Schuster. Teil eins der Olympia-Generalprobe auf der von allen gelobten Schanze im Callaghan Valley gewann Gregor Schlierenzauer, der damit die Führung im Weltcup übernahm. Schmitt war insgesamt 15 Meter hinter Schlierenzauer geblieben. Immerhin landete er aber zum elften Mal in diesem Winter unter den Top Ten und festigte Platz vier in der Gesamtwertung. "Um das Podest anzugreifen, fehlt etwas die Explosivität. Wir sind alle Weltcups gefahren, während fast alle anderen schon ausgelassen haben", sagte Schuster. Schmitt und Michael Uhrmann, der 15. in Vancouver, werden deshalb die kommenden Weltcups in Sapporo (31. Januar/1. Februar) nicht bestreiten und sich im Heimtraining konzentriert auf die WM in Liberec (18. Februar bis 1. März) vorbereiten. In Japan wird wieder Michael Neumayer (Berchtesgaden) springen, der in Vancouver wegen leichter gesundheitlicher Probleme fehlte. Außer Schmitt und Uhrmann holten noch Stephan Hocke (Schmiedefeld) und Severin Freund (Rastbüchl) auf den Rängen 23 und 28 Weltcup-Punkte. dpa
Angerer fehlt die Härte
Die deutschen Langläufer sind nach teils unfreiwilligen Pausen mit neuer Stärke in den Weltcup zurückgekehrt. Teichmann (Bad Lobenstein) kam über 15 Kilometer im klassischen Stil beim ersten Saisonsieg des Tschechen Lukas Bauer knapp geschlagen als Vierter ins Ziel. Tobias Angerer (Vachendorf) wurde nach langer Krankheitspause Zwölfter. Diesen Platz erreichte auch Sachenbacher-Stehle (Reit im Winkl) als einzige deutsche Starterin über 10 km. Im Sprint hatten die DSV-Läufer wie erwartet keine Chance. Nicole Fessel (Oberstdorf) schaffte es immerhin ins B-Finale, wurde dort Elfte und erreichte die erste halbe WM-Norm. "Besonders auf den Distanzstrecken war unser Abschneiden richtig gut. Wir kommen aus dem vollen Training, haben im Ausdauerbereich zugelegt. Da ist es normal, dass etwas Frische fehlt", sagte Bundestrainer Jochen Behle und lobte besonders Axel Teichmann. Der Dritte der Tour de Ski verpasste einen Podestplatz um 3,6 Sekunden, obwohl er im Rennverlauf bis zu einer halben Minute Rückstand hatte. Zuversichtlich reiste auch Sorgenkind Tobias Angerer aus Otepää ab. Er hatte sich nach seinem Infekt wieder zurückgemeldet. "Zwei Runden lief es richtig gut, am Ende fehlte etwas die Wettkampfhärte", sagte Angerer. dpa
Geisenberger greift an
Die deutschen Rodler sind für die Gold-Jagd bei der WM in zwei Wochen in Lake Placid bestens gerüstet. Natalie Geisenberger stellte mit ihrem zweiten Saisonsieg vor Tatjana Hüfner bei der Generalprobe in Altenberg die Hackordnung auf den Kopf und meldete Titelansprüche an. "So ein Sieg stärkt das Selbstvertrauen, ich fahre bei der WM voll auf Angriff und Sieg", sagte Geisenberger. Auch das Doppel Patric Leitner/Alexander Resch zeigte sich nach Rang zwei angriffslustig. "Wir können guter Dinge und ohne Bauchschmerzen zur WM fliegen, auch die Männer sind trotz der Knieverletzung von David Möller eine starke Truppe", sagte Cheftrainer Norbert Loch. Einschließlich Dienstag wird noch im Altenberger Eiskanal getestet, dieser ähnelt in seinem Schwierigkeitsgrad der WM-Piste. Nach dreitägigem Heim-Athletiktraining und Wäschewechsel reisen die 14 Rodler am Samstag nach Übersee. Auf dem Weg zum dritten WM-Gold in Serie erhielt Hüfner (Oberwiesenthal) ausgerechnet auf ihre Heimstrecke einen Dämpfer. Die 20-jährige Geisenberger (Miesbach) war 0,138 Sekunden schneller. Dritte wurde Anke Wischnewski (Oberwiesenthal). Corinna Martini (Winterberg) wurde nach Rang vier der letzte freie Platz in der WM-Mannschaft zugeteilt, sie erhielt den Vorzug vor Stefanie Sieger (Königssee). sid
Friesinger besiegt
Jenny Wolf überzeugte mit einem Dreifachsieg beim Eisschnelllauf-Weltcup Kolomna/Russland. Die Berlinerin, die vor einer Woche in Moskau Silber bei der Sprint-WM geholt hatte, war diesmal vor allem zufrieden mit ihren 500-m-Rennen. "So eine Zeit und so ein Lauf waren mal wieder nötig", sagte sie nach ihrem Sprint in 37,51 Sekunden, der besten jemals auf einer Flachland-Bahn erreichten Zeit. Am Wochenende in Erfurt kann Jenny Wolf vorzeitig ihren dritten Gesamtsieg nacheinander auf ihrer Spezialstrecke perfekt machen. Als sich die Sprinterin über ihre Weltcup-Erfolge 35 bis 37 (zweimal 500 und einmal 100 m) freute, verpasste Anni Friesinger ihren 56. Streckensieg nur um zwei Hundertstelsekunden. Eine Woche nach ihrer Rückkehr aufs Eis und ihrem überraschenden Streckensieg im zweiten 1000-m-Rennen der Sprint-WM in Moskau erreichte Friesinger am Sonntag über den Kilometer Platz zwei hinter der Niederländerin Margot Boer. Sie hat nach ihrer Meniskusoperation wieder Anschluss gefunden. "Das war ein Wimpernschlag-Finale - ich bin wieder dabei", sagte die 32-Jährige, die tags zuvor nur Sechste geworden war. sid
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Bittere Enttäuschung
China verliert an Kraft und die Weltwirtschaft ihr Zugpferd
Seit kurzem ist es bestätigt: In der Rangliste der stärksten Wirtschaftsnationen zog China an Deutschland vorbei. Nachdem die Regierung das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts für 2007 von 11,9 auf 13 Prozent nach oben korrigierte, steht die Volksrepublik an dritter Stelle auf der Liste der Wirtschaftsmächte hinter den USA und Japan. In Peking wurde die Nachricht gefeiert.
Doch die Freude war verfrüht. Die chinesische Wirtschaft kann sich dem Abwärtssog der Weltkonjunktur nicht entziehen. Dabei kämpfen die Politiker aus Furcht vor sozialen Unruhen um jedes Prozent Wachstum. Für dieses Jahr haben sie sich acht Prozent zum Ziel gesetzt. Es könnte zu ehrgeizig sein.
Kaum hat sich die Welt an den Gedanken gewöhnt, dass von den enormen Gewinnen der Banken nicht mehr bleibt als von zerplatzten Seifenblasen, wartet schon der nächste Schock: ein Einbruch des Wachstums in China. Es wäre eine wirklich böse Überraschung, denn das Reich der Mitte war in der Vergangenheit stärkster Wachstumsmotor der Weltwirtschaft. Jetzt steckt das Land in einer Rezession, auch wenn die offiziellen Zahlen anderes behaupten: Im vierten Quartal wuchs die Wirtschaft nur noch um 6,8 Prozent, halb so stark wie 2007. Doch selbst diese Zahl dürfte noch geschönt sein. Im Vergleich zum Vorquartal jedenfalls sei das chinesische Wachstum nahe null oder sogar negativ gewesen, schätzen unabhängige Ökonomen. Im ersten Quartal 2009 sähe es noch düsterer aus.
Schon warnt der Internationale Währungsfonds, das Wachstum könnte in diesem Jahr nur noch fünf Prozent betragen. Was in Deutschland eine phantastische Zahl wäre, ist viel zu wenig, um die Millionen Chinesen zu beschäftigen, die jedes Jahr neu auf den Arbeitsmarkt drängen. Vielleicht reicht die chinesische Wachstumskrise tiefer und dauert länger, als es sich die kommunistischen Politiker und vom Staat bestellten Statistiker wünschen. Der Frühindikator der OECD für China jedenfalls steht deutlich tiefer als der für Spanien - und das Mittelmeerland steckt bekanntermaßen tief im Schlamassel.
Sollte Asien nicht immun sein gegen den globalen Abschwung? Die Idee von der Abkoppelung erweist sich als Illusion - aus einem einfachen Grund: Die Region ist mehr denn je abhängig vom Handel mit dem Rest der Welt. Exporte machen beinahe die Hälfte der Wirtschaftsleistung aus, deutlich mehr als vor zehn Jahren. Doch die Nachfrage aus den USA und Europa ist weggebrochen, seit die Finanzkrise dort Verbraucher und Unternehmer zum Sparen zwingt.
Aber das ist nur ein Grund für die Misere. Der andere ist hausgemacht: Chinas Wirtschaftsleistung stieg vor allem auch deshalb so kräftig, weil Staatsbetriebe und private Firmen enorm viel Geld in Gebäude und Straßen investiert haben. Seit Mitte vergangenen Jahres lassen die Investitionen der asiatischen Unternehmen kräftig nach - und auch die Verbraucher zögern, Geld auszugeben.
Es ist offenkundig, dass die reichen Industrienationen Asien nicht vor dem Absturz der Konjunktur bewahren können. Asien kann sich nur selber helfen. Kann es wirklich? China versucht es mit noch mehr staatlichen Infrastrukturprojekten: Brücken, Straßen, Flughäfen sollen gebaut werden. Doch selbst das fast 600 Milliarden Dollar schwere Konjunkturprogramm dürfte kaum reichen, um den Abschwung aufzuhalten.
Die Verbraucher sind nicht dumm. Wenn heute großzügig Geld verteilt wird, werden sie die Geschenke morgen mit höheren Steuern bezahlen müssen. Das wissen auch die Chinesen. Die meisten leben ohnehin sparsam und halten ihr Geld zusammen, weil es keine vernünftige Sozialversicherung gibt. Seit China die Krise spürt, haben Tausende Fabriken geschlossen und Millionen Arbeiter ihre Stelle verloren. Die Chinesen selbst werden kurzfristig kaum Käufer all der Produkte sein, die im Westen gerade keiner mehr haben will. Jetzt zeigt sich, dass ein Wirtschaftswachstum, das vor allem auf billigen Löhne, boomendem Export und staatlichen Investitionen beruht, nicht von Dauer ist. Und der Weltwirtschaft fehlt das Zugpferd.
Ford will Krise ohne Staatshilfen meistern
New Orleans - Trotz der anhaltenden Probleme auf dem US-Automobilmarkt will Ford im Gegensatz zu seinen Konkurrenten General Motors und Chrysler nach Angaben von Konzern-Chef Alan Mulally keine milliardenschweren Staatshilfen. "Wir wollen uns nicht noch mehr Geld leihen", sagte der Ford-Chef in New Orleans. Ford verfüge über genügend Liquidität, um sein Sanierungsprogramm zu finanzieren: "Das bedeutet, dass unser Unternehmen in einer relativ guten Verfassung ist." Die strauchelnden Autobauer GM und Chrysler haben von der US-Regierung Zusagen für milliardenschwere Notfall-Kredite erhalten, um einen Zusammenbruch zu verhindern. Chrysler bat die Regierung am Wochenende um eine weitere lebenswichtige Kapitalspritze in Milliardenhöhe. Mulally sagte, Ford stehe auch besser da als seine Rivalen. Reuters
An die Arbeit
Die Einigung von Schaeffler mit Conti kommt gerade noch rechtzeitig
Ist nun wieder alles gut zwischen Continental und Schaeffler? Nein. So weit ist es in Hannover noch lange nicht. Nach heftigem Ringen und unter der Vermittlung zweier Politiker wurde lediglich dies geschafft: Zwei hoch verschuldete Konzerne, die jeder für sich ums Überleben kämpfen, aber aufgrund der Eigentumsverhältnisse aneinander gekettet sind, haben ihren kleinsten gemeinsamen Nenner gefunden. Bis hierher wurde lediglich verhindert, dass die beiden Konzerne in ihrem Kampf gegeneinander gemeinsam zugrunde gehen.
So sieht der Kompromiss aus: Schaeffler besetzt erst mal nur vier statt zehn Sitze im Aufsichtsrat; Hubertus von Grünberg, dessen Kopf Schaeffler geradezu wutschnaubend gefordert hatte, tritt als Aufsichtsratschef zur Seite, verschwindet aber nicht von der Bühne; und um Provokationen zu vermeiden, wird nicht die Patriarchin Maria-Elisabeth Schaeffler die neue Vorsitzende, sondern ein etwas neutraler wirkender Rechtsanwalt - ein Vertrauter Schaefflers, versteht sich. Doch dieser kleinste gemeinsame Nenner ist nicht viel mehr als die Basis, von der aus nun die eigentliche Aufgabe gelöst werden muss. Und die lautet: Aus Conti und Schaeffler einen starken Automobilzulieferer zu zimmern, der die Finanz- und Branchenkrise heil übersteht.
Die externe Lage ist dramatisch genug; hausgemachte Querelen kann sich da nun wirklich niemand leisten. Sowohl Conti als auch Schaeffler haben sich durch ihre Zukäufe höher verschuldet als geplant. Bei der Annäherung dürfte daher der Einfluss der Banken eine Rolle gespielt haben. Und wenn die Manager jetzt nicht ganz schnell praktische Lösungen präsentieren, werden die Geldhäuser noch mehr die Regie führen wollen.
Im Strudel
Infineon trägt einen großen Teil der Schuld für die Qimonda-Pleite
Noch am Tag, an dem der Münchner Chiphersteller Qimonda Insolvenzantrag stellen musste, begannen die Schuldzuweisungen. Die Politiker machten am vergangenen Freitag das Unternehmen und die Europäische Union verantwortlich, die Gewerkschaft beschimpfte das Management, und Qimonda selbst wies alle Vorwürfe zurück. Doch der schlimmste Fall ist jetzt da: Das Unternehmen mit 12 000 Arbeitsplätzen steht am Abgrund.
Und die Gefahr ist groß, dass auch der Mutterkonzern Infineon in den Strudel geraten könnte. Zwar wurde die Beteiligung - der Dax-Konzern hält noch drei Viertel der Qimonda-Anteile - weitgehend abgeschrieben. Doch es könnten Rückforderungen für Fördermittel, für Kartellverfahren oder Abfindungen drohen, das könnte sich auf dreistellige Millionenbeträge summieren. Dabei ist Infineon selbst angeschlagen, kämpft mit Verlusten und der schwierigen Halbleiterkonjunktur, die finanzielle Lage gilt als angespannt.
Jetzt rächen sich für Infineon Managementfehler aus der Vergangenheit. Das Problem, dass das Auf und Ab gerade bei Speicherchips extrem stark ist, besteht schon lange. Immer wieder wurde bei Infineon halbherzig die Trennung von diesem Geschäft diskutiert - und wieder verworfen. Der frühere Infineon-Chef Ulrich Schumacher stürzte auch darüber. Als sich das Infineon-Management dann vor zwei Jahren endlich dazu entschloss, Qimonda auszugliedern und an die Börse zu bringen, war es schlicht zu spät. Schon der Start war holperig, die Chipkonjunktur ging in den Keller, dazu kam jetzt die weltweite Finanzkrise. Jetzt muss verhindert werden, dass auch Infineon in Existenznot gerät. (Seite 20)
Nach monatelangen Querelen
Schaeffler gewinnt den Machtkampf
In den Aufsichtsrat von Continental ziehen Vertreter des Großaktionärs ein. Die Gummisparte wird für einen Verkauf vorbereitet
Hamburg - Im Kampf um die Macht bei Continental haben sich die Kontrahenten auf einen Kompromiss geeinigt. An die Spitze des Aufsichtsrats rückt jetzt ein Schaeffler-Vertrauter. Strippenzieher der Lösung war neben Altkanzler Gerhard Schröder auch Niedersachsens Landeschef Christian Wulff.
Die Aufsichtsräte der Continental AG mussten zusammenrücken, als sie sich am Samstag zur Krisensitzung trafen. Aufsichtsratschef Hubertus von Grünberg hatte nicht nur Altkanzler Schröder nach Hannover eingeladen, der in dem Streit zwischen der Schaeffler-Gruppe und Conti als Vermittler arbeitet, sondern auch die Gegner aus Herzogenaurach. Die Schaeffler-Eigentümer Maria-Elisabeth Schaeffler und ihr Sohn Georg, Firmenchef Jürgen Geißinger und der Düsseldorfer Rechtsanwalt Hans Rolf Koerfer waren angereist. Am Nachmittag zeigte sich: Die vielen Vorgespräche, die Schröder und Niedersachsens Ministerpräsident Wulff in den vergangenen Tagen mit den Zerstrittenen geführt hatten, hatten sich gelohnt. Man habe eine Basis für eine konstruktive Zusammenarbeit auf Grundlage der Investorenvereinbarung gefunden, teilten die Unternehmen mit.
Schaeffler bekommt in Kürze über vier Aufsichtsratsmandate direkten Einfluss auf Continental. Der Familienkonzern verfügt zwar nach einem Übernahmeangebot über 90 Prozent der Conti-Aktien, hat aber bisher keinerlei Einfluss in Hannover ausüben können. Frau Schaeffler und ihr Sohn, Geißinger sowie Koerfer sollen per Gerichtsbeschluss bestellt werden, sobald vier Mitglieder zurückgetreten sind. Wer ausscheidet, steht noch nicht fest. Chef des Aufsichtsrats wird Schaeffler-Berater Koerfer, der bisherige Amtsinhaber Hubertus von Grünberg soll im Aufsichtsrat bleiben. Zudem wechselt Finanzvorstand Alan Hippe zum Stahlkonzern Thyssen-Krupp.
Schaeffler und der Conti-Aufsichtsrat haben auch inhaltlich einen Kompromiss gefunden. So ist von einer Zusammenlegung der Automotive-Sparten jetzt erst einmal nicht mehr die Rede. Der Conti-Vorstand soll aber Konzepte für eine Kooperation erarbeiten. Schaefflers angebliches Drängen auf ein Zusammenlegen der Sparten hatte vor einigen Wochen bei Grünberg heftige Gegenwehr erzeugt und die Fronten verhärtet. Das Reizwort Fusion wurde nun erst einmal ausgeklammert. Contis Reifensparte soll rechtlich und organisatorisch auf eigene Füße gestellt werden. Diesen Prozess soll Grünberg eng begleiten. Von einem Verkauf der profitablen Gummisparte ist zwar nicht die Rede, aber die Verselbständigung dürfte die Vorbereitung dazu sein, heißt es in Konzernkreisen. Schließlich brauche Schaeffler dringend Geld.
Im August 2008 hatten Conti und Schaeffler nach langem Übernahmekampf eine Investorenvereinbarung erzielt. Danach reduziert Schaeffler die Beteiligung an Conti für vier Jahre auf 49,9 Prozent - der Rest wird bei Banken geparkt - und sichert zu, gegen den Willen von Conti keine großen Veränderungen wie Verkäufe anzustrengen. Schröder war damals als Garant dieser Vereinbarung eingesetzt worden. Er hat nun im engen Schulterschluss mit Niedersachsens Landeschef Wulff agiert, heißt es in Hannover. Der CDU-Politiker muss befürchten, dass Niedersachsen infolge der Übernahme Contis durch Schaeffler Arbeitsplätze und Steuergelder verlorengehen.
Der Schwerpunkt einer Automotive-Gruppe läge im Süden: Die Schaeffler-Zentrale liegt in Franken, Contis Automotive-Zentren bei Frankfurt und in Regensburg. Für Hannover böte sich aber wenigstens die Chance, Hauptquartier der Reifensparte zu bleiben. Damit habe sich eine Interessensachse zwischen Grünberg und Wulff ergeben, heißt es. Bei einem späteren Verkauf der Sparte würde sich Niedersachsen möglicherweise auch finanziell beteiligen, um zu verhindern, dass ein ausländischer Wettbewerber den Zuschlag bekommt. Grünberg werden gute Kontakte zu Private-Equity-Firmen nachgesagt, die Interesse an einem Einstieg haben könnten.
In Herzogenaurach vermeidet man Triumphgeheul. Dennoch sagen Beobachter: Schaeffler und Geißinger haben sich in der für sie wichtigsten Personalie durchgesetzt. Der Erfolgsdruck ist groß. Die Automobilkrise macht beiden Zulieferern zu schaffen. Für das bisher unabhängige Familienunternehmen ist vor allem die starke Abhängigkeit von den Banken eine neue Situation. Schaeffler wolle bei Conti nun so schnell wie möglich "Ruhe in den Laden bringen", um zu vermeiden, dass die Banken das Heft des Handelns übernehmen. (Kommentare)
Geld vom Staat
Continental und Schaeffler brauchen die finanzielle Hilfe der Steuerzahler. Mit jeweils einer halben Milliarde Euro sollen das Land Niedersachsen und der Freistaat Bayern die beiden mit insgesamt 22 Milliarden Euro verschuldeten Automobilzulieferer unterstützen. Eine Sprecherin des bayerischen Wirtschaftsministeriums bestätigte Gespräche, nannte jedoch keine Summe. Details über die Staatshilfe stünden noch nicht fest. Möglich sind Bürgschaften, Garantien oder direkte Beteiligung. urit
INHALT
PERSONALIEN
Burkhard Roozinski machte mit der VW-Abfindung einen Laden auf. Seite 18
POLITIK UND MARKT
Hessische Sozialrichter rufen das Bundesverfassungsgericht an. Seite 19
UNTERNEHMEN
Ex-Siemens-Chef Pierer äußert sich kurz vor dem Aktionärstreffen. Seite 20
GELD
Rentner, die im Ausland leben, leiden unter dem schwachen Pfund. Seite 24
Kurszettel Seite 24
Fondsseiten Seiten 22 und 23
Kurse der Woche
Analysten gehen längst davon aus, dass Siemens seine Ergebnisprognose nicht mehr erreichen wird. Sie erwarten für das laufende Geschäftsjahr einen operativen Gewinn von knapp über sieben Milliarden Euro, während Vorstandschef Peter Löscher noch im November das Ziel von bis zu 8,5 Milliarden Euro bekräftigt hatte. Am Dienstag gibt es neue Zahlen.
In dieser Woche läuft die Berichtssaison der großen deutschen Konzerne an. Unter anderem werden am Mittwoch Zahlen des Softwarekonzerns SAP erwartet. Vorstandschef Henning Kagermann hat bereits angekündigt, dass der Walldorfer Dax-Konzern seine Jahresziele vor dem Hintergrund der Finanzkrise voraussichtlich nicht gehalten hat.
Porzellanbranche in Not
Billigkonkurrenz aus dem Osten und eine Veränderung der Tischkultur, aber auch die derzeitige weltweite Wirtschaftskrise machen der heimischen Porzellanindustrie zunehmend zu schaffen. Mit dem Traditionsunternehmen Rosenthal in Selb musste vor zwei Wochen ein Hersteller mit klangvollem Namen Insolvenz anmelden. Der Insolvenzverwalter sucht derzeit nach einem möglichen Investor für Rosenthal (Foto: ddp). Für den Fall, dass die Rettung des Porzellanherstellers misslingen sollte, befürchten Branchenvertreter einen Sog, der andere Unternehmen der Porzellanindustrie mit sich reißen könnte. Der Umbruch in der Branche begann vor 20 Jahren, als nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zunehmend Billigporzellan aus Osteuropa nach Deutschland drängte. Nach dem Fall der Handelsschranken kam noch billige chinesische Ware hinzu. Für das Unternehmen Rosenthal soll es eine ganze Reihe von Interessenten geben, darunter auch ein Konsortium um Patrick von Faber-Castell. (Seite 21)
Führungsspitzen
Der Zorn des Büffels
Was wir vom chinesischen Neujahrsfest und vom Einstein-Forum noch lernen können
Normalerweise hat es mit der Wahrsagerei nach Silvester ein Ende. Man kann es aber auch ein wenig hinauszögern, etwa indem man auf die Chinesen verweist, die nach ihrem Mondkalender erst an diesem Montag ins neue Jahr eintreten. Bei den weltweiten wirtschaftlichen und sonstigen Verflechtungen kann uns das nicht gleichgültig sein, und noch viel weniger sollten wir übersehen, wem dies neue Jahr gewidmet ist: dem Büffel, der in einer, wie gesagt, globalisierten Welt auch uns das eine oder andere zu sagen haben dürfte.
Wo immer man in den chinesischen Tierkreisweisheiten nach dem Wesen des Büffels forscht, stößt man auf folgenden Spruch: "Dem Büffel ist das frische Gras lieber als die goldene Futterkrippe." Auf den ersten Blick ist das eine nicht nur ziemlich witzige, sondern auch schlüssige Sentenz, obwohl Leute mit bäuerlichem Hintergrund dagegen einwenden könnten, dass dem Büffel solche Differenzierungen fremd sind. Sein Naturell ist, beim Essen jedenfalls, auf frisches Gras ausgerichtet, und solange das zur Verfügung steht, kümmert ihn die Beschaffenheit der Krippe wenig.
Bei aller fachlichen Richtigkeit gehen solche Einwände am Sinn der Sache vorbei. Das Sprichwort will uns eine Lehre fürs Leben mitgeben, und die kann nach Lage der Dinge nur lauten, dass die Tage der goldenen Futtertröge fürs Erste vorbei sind und dass es ferner noch keineswegs sicher ist, ob frisches Grünfutter nachkommt. Kurioserweise scheint das nicht für die Banken zu gelten, denen vom Staat das frische Gras in verschwenderischer Fülle vorgeschüttet wird. Nach vorherrschender Ansicht ist das gut keynesianisch gedacht und auf lange Sicht so profitabel, wie wenn man mit der Wurst nach dem Schinken würfe. Doch soll man auch hier auf den Chinesen hören, der da sagt: "Roubaozi da gou - you qu wu hui." Das heißt: Wirf nicht mit dem Fleischpastetchen nach dem Hund - du siehst es nie wieder
Geht man im alten Jahr so weit zurück, wie das chinesische Neujahrsfest in unser neues Jahr hineinragt, trifft man auf eine Tagung des Einstein-Forums, die sich mit der Genealogie des Zorns "von Achilles bis Zidane" befasst hatte. In der Presse wurde das unter anderem so referiert, als sei da endlich "eine Kraftquelle für Führungskräfte" aufgetan beziehungsweise wiederentdeckt worden: jener Zorn, der schon den alten Achill dazu befähigte, das vor Troja liegende Belagerungsheer der Griechen an den Rand des Untergangs zu bringen. Heute ist der Zorn Achills hoch zu preisen, weil er Homer dazu animierte, darüber ein ganzes Epos zu schreiben, die "Ilias", und nicht weniger lobenswert ist die Zorneswallung, dank derer Zinédine Zidane bei der Fußball-WM 2006 seinen Kontrahenten Marco Materazzi mit einem meisterhaften Kopfstoß zu Boden schickte.
Wir machen uns nun daran, die uns bekannten Führungskräfte nach ihrem Zorn-Faktor abzuklopfen und neu zu sortieren. Ein flüchtiger Überblick lässt vermuten, dass unter den vielen Zornigen nur wenige sind, die Zidanes oder gar Achills Format haben. Das ist, mit dem sanften Wowereit zu reden, auch gut so, denn trojanische Verhältnisse, ja schon Kopfstöße, sind das Letzte, was wir jetzt brauchen. Nichtsdestoweniger könnte es nützlich sein, sich für das laufende Jahr so "aufzustellen", wie es das chinesische Horoskop und das Einstein-Forum nahelegen: als dann und wann durchaus zornige Büffel. Hermann Unterstöger