Die Millionen der alten Witwe

Herbert Batliner, zentrale Figur der deutschen Parteispendenaffäre, erleidet in Liechtenstein vor Gericht eine schwere Niederlage

Von Hans Leyendecker und Uwe Ritzer

Vaduz - Im Mai 2007 schrieb sich der berühmte frühere Liechtensteiner Treuhänder Professor Dr. Dr. Herbert Batliner sein Leid von der Seele. In einem vertraulichen Brief an den Kölner Wirtschaftsprüfer Professor Dr. Jörg-Andreas Lohr, der auch Testamentsvollstrecker der Flick-Familie ist, klagte der 80jährige Doktor der Jurisprudenz und der Ökonomie, er habe manchmal "Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit" in Deutschland gehabt. Ein untreuer Angestellter hatte Anfang der neunziger Jahre aus Batliners Kanzlei in der Vaduzer Aeulestraße Unterlagen mit den Daten über Stiftungen deutscher Kunden gestohlen und eine CD-Rom mit all den vertraulichen Angaben war schließlich bei der Bochumer Staatsanwaltschaft gelandet.

Aus der Angelegenheit wurde eines der größten Steuerstrafverfahren der Republik: Der "Datenklau", schrieb Batliner dem Wirtschaftsprüfer Lohr, der ihm im Rechtsstreit zur Seite stand, "hat mir zehn Jahre Lebensqualität genommen" und "eine riesige berufliche und persönliche Enttäuschung gebracht". Das gegen ihn in Bochum eingeleitete Verfahren wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung wurde im Sommer 2007 gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von zwei Millionen Euro eingestellt.

Der Vaduzer Rechtsanwalt, der auch die Titel "Fürstlicher Kommerzienrat, Senator H.C." im Briefkopf führt und unter anderem Präsident des Fürstlich Liechtensteinischen Staatsgerichtshofs war, hat jetzt möglicherweise auch Probleme, die Entscheidungen der Justiz in seinem Vaterland zu verstehen. Der Oberste Gerichtshof in Vaduz befand kürzlich, dass Batliner die verbliebenen 1,2 Millionen Franken inklusive Zinsen an den Kurator einer mittlerweile gelöschten Stiftung namens "Alma Mater" zurückzahlen muss. Der ungeheuerliche Vorwurf: Der Träger des Komturkreuzes des päpstlichen Silvesterordens mit Stern, des Großen Tiroler Adler-Ordens und auch der Goldenen Pfadfinderlilie habe den Gesundheitszustand einer an Altersdemenz leidenden Witwe ausgenutzt und sich unrechtmäßig bereichert. Batliner hat diese Anschuldigung stets empört zurückgewiesen. Großes Pfadfinderehrenwort. Sein Anwalt kündigte jetzt an, das Urteil vor dem Staatsgerichtshof auf seine Verfassungsmäßigkeit prüfen zu lassen.

Der Fall ist nicht nur wegen der Besonderheiten mit den Liechtensteiner Stiftungen interessant, sondern auch für Historiker. Über die 1990 eingerichtete Stiftung Alma-Mater, zu deutsch die nährende Mutter, konnte eine Christa Buwert aus Köln verfügen. Sie ist die Witwe des früheren Geschäftsführers der Staatsbürgerlichen Vereinigung (SV), Hans Buwert. Sein Name und das Kürzel SV sind eng verwoben mit den großen Parteispendenskandalen, die in den achtziger Jahre und neunziger Jahren von der Justiz aufgearbeitet wurden. Noch immer rätseln Experten, wo ein Teil des Schatzes verblieben ist.

Alma-Mater und Batliner sind deutsche Parteispendengeschichte geworden. Umgerechnet rund hundert Millionen Euro waren nach Liechtenstein und in die Schweiz geflossen. Mit dem Geld sollten die Sozis von der Macht ferngehalten werden. Es wurde von den bürgerlichen Parteien gewaschen und dann an der Steuer vorbei nach Deutschland geschleust. Weil sich der frühere Kanzler Helmut Kohl im Juli 1985 vor einem Mainzer Parteispenden-Untersuchungsausschuss nicht mehr an den Geschäftszweck der SV (Spendenbeschaffung) erinnern konnte, drohte ihm ein Verfahren wegen Verdachts der uneidlichen Falschaussage. Er hätte vermutlich als Regierungschef zurücktreten müssen.

Nur weil der damalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler bei seinem Chef nachträglich einen Blackout diagnostizierte, konnte damals Schlimmeres verhindert werden. Geißler hatte eine eigentlich sehr einfache Frage des damaligen Ausschuss-Vorsitzenden Georg Adolf Schnarr (CDU), die Kohl fälschlicherweise mit einem knappen und unmissverständlichen "Nein" beantwortet hatte, als "sehr kompliziert formuliert" diagnostiziert. Dass Batliner und Kohl gute Bekannte sind, zeigt noch einmal, wie dicht das weitgespannte Netz des früheren CDU-Vorsitzenden war.

Auch wirft der frisch von dem Vaduzer Gericht behandelte Fall alte Fragen neu auf: Woher stammte das Geld der Alma Mater? Wer profitierte von den Resten des SV-Schatzes? Die hessische CDU, die bis zuletzt mit der illegal operierenden Organisation zusammengearbeitet hat, war stets ein heißer Favorit. Als der Verein Anfang der achtziger Jahre seine Geschäftstätigkeit einstellte, blieben zunächst rund sechs Millionen Euro verschwunden.

Die Stiftung Alma-Mater war mit etlichen Millionen Franken gut bestückt. Das Geld sollte dazu dienen, der Witwe ihren Lebensabend zu sichern. Die Buwerts waren kinderlos. Als Christa Buwert knapp neun Jahre nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1997 Besuch von Reportern bekam, erzählte sie, ihr sei nur eine kleine Rente geblieben. Von einer Stiftung habe sie noch nie gehört.

In Verfahren vor dem Land- und dem Oberlandesgericht zu Vaduz ist über die Entwicklung auf den Konten der so gut nährenden Mutter gesprochen worden, dabei kam Erstaunliches zutage. Im Juni 1998 waren an den Treuhänder Batliner zehn Millionen Franken geflossen. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil es schon eine Interessenkollision sein kann, wenn ein Treuhänder gleichzeitig Organ und Begünstigter einer Stiftung ist.

Der Ehrenmann Batliner hatte vor Gericht berichtet, die alte Dame habe ihm die zehn Millionen für "geleistete Dienste" geschenkt. Im Juni 1998 hätten er und seine Frau sich mit Witwe Buwert in Zürich getroffen und die habe schon vorher gesagt, dass sie ihm nach der bösen Datenklau-Affäre helfen wolle. Er habe spontan bei der Begegnung in Zürich einen Vertrag formuliert und sie habe unterschrieben. Gut, dass sie die richtige Zeile fand, denn die Witwe kann nicht gut gucken.

Ein Jahr später habe sie ihm noch einmal 1,2 Millionen Franken geschenkt, damit sich der bekannte Gemäldesammler ein weiteres Gemälde kaufen konnte. Zwar sollte Batliner, so stand es in den Statuten der Stiftung, nach dem Tod der Stifterin als "Honorar für geleistete und zu leistende Dienste" ohnehin fünf Prozent erhalten, aber die Witwe soll, so Batliner, gesagt haben, es sei besser mit warmen Händen zu geben. Diese Erkenntnis war nicht neu, aber sie ist dennoch wahr.

Als dann aber die Bochumer Ermittler begannen, die Geschichte der Alma-Mater neu aufzurollen, wurde auch das zuständige Finanzamt Köln-Altstadt hellhörig. Batliner überwies der Witwe zehn Millionen Franken, damit sie ihre Schulden beim Finanzamt und die Geldstrafe bezahlen konnte.

Die deutschen Behörden fanden die diversen Ausschüttungen seltsam und wurden in Liechtenstein vorstellig. Die Vaduzer beauftragten einen Anwalt, die Belange der Stiftung zu vertreten. Auf ihn geht das für Batliner unangenehme Verfahren zurück. Witwe Buwert konnte als Zeugin nicht gehört werden, weil sie an Demenz leidet. Bis zuletzt hat sich Batliner gesträubt, die restlichen 1,2 Millionen Franken plus Zinsen zurückzuzahlen. Das von dem Geld gekaufte Bild habe für ihn einen hohen persönlichen Erinnerungswert, soll er gesagt haben.

Aber auch er weiß, dass es besser ist, mit warmen Händen zu geben. Das deutet jedenfalls der Ablauf seines Bochumer Verfahrens an, das so elegant und geräuschlos im Sommer 2007 mit der Zahlung von zwei Millionen Euro an gemeinnützige Einrichtungen beendet wurde. "Auch wenn es sich um eine sehr hohe Geldauflage handelt: das Bewusstsein, dass man hier Gutes tun kann, um anderen Gesellschaftsschichten zu helfen, bestärkt mich in dieser Richtung", hatte Batliner "in Dankbarkeit" dem Steuerfuchs Lohr mitgeteilt. Dass von dem Geld auch die Hannelore-Kohl-Stiftung mit immerhin 300 000 Euro bedacht wurde, zeigt, dass auf Batliner Verlass ist.

Batliner hat die Anschuldigung, sich bereichert zu haben, stets empört zurückgewiesen.

Großes Pfadfinderehrenwort.

Der Ehrenmann Batliner

berichtete vor Gericht, eine

alte Dame habe ihm die

zehn Millionen geschenkt.

Hoch oben: das Fürstenschloss in der liechtensteinischen Hauptstadt Vaduz. Foto: Reuters

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Einmal Deutschland und zurück

Auslandsbanken haben ihr Geschäft hierzulande stark ausgedehnt. Die Krise könnte das ändern

Von Martin Hesse

Frankfurt - Der Rekordverlust der Royal Bank of Scotland (RBS) hat Bankaktionäre weltweit schockiert. Doch die Probleme der schottischen Bank und anderer teilverstaatlichter Institute hat nicht nur Folgen für die Anteilseigner. Mittelfristig könnten auch Firmen- und Privatkunden spüren, wie sich die Bankenlandschaft verändert. Auslandsbanken wie die RBS haben in den vergangenen Jahren ihr Geschäft in Deutschland stark ausgedehnt. Jetzt gibt es Anzeichen, dass sie sich ein Stück weit zurückziehen. Der Trend könnte sich verschärfen.

Wenn Unternehmen in den vergangenen Jahren große Kredite aufnehmen wollten, war die RBS sehr häufig vorne mit dabei. Die Schotten finanzierten führend die Übernahme von Continental durch Schaeffler, sie sind einer der größten Geldgeber für die Firmengruppe des verstorbenen Unternehmers Adolf Merckle. Auch als Kreditgeber für den Schifffahrtkonzern Hapag Lloyd sowie für Karstadt spielte RBS eine wichtige Rolle. Zuletzt aber geriet die Bank meist dadurch in die Schlagzeilen, dass sie in Kreditverhandlungen einen harten Kurs fuhr. In Finanzkreisen hieß es, die Zentrale in Edinburgh sowie der Großaktionär in London seien darauf bedacht, dass RBS seine Risiken im Kreditgeschäft stark reduziere - auch in Deutschland.

Die Bank selbst hat erklärt, Deutschland bleibe einer ihrer Kernmärkte, gerade im Firmenkundengeschäft wolle sie engagiert bleiben. Ob es aber den gleichen Umfang haben wird, bezweifeln Beobachter. Das Konsumentenkreditgeschäft, dass allerdings keinen Schwerpunkt bildete, hat die RBS bereits abgestoßen. Auch andere Banken, die von der Krise besonders stark getroffen wurden, haben sich zum Teil aus Deutschland zurückgezogen. Ganz verschwunden ist die insolvente Investmentbank Lehman Brothers, die allerdings unter dem neuen Eigentümer Nomura weiter eine Rolle spielen dürfte. Die belgische Finanzgruppe Fortis, die zum Teil verstaatlicht wurde, hat ebenfalls ihr Privatkundengeschäft drastisch zusammengestrichen. Erst 2006 war Fortis in den hart umkämpften Markt für Konsumentenkredite eingetreten. Die amerikanische Citigroup verkaufte - ebenfalls unter dem Druck der Krise - ihr hochprofitables Ratenkreditgeschäft.

Wie weit sich die Ausländer insgesamt aus Deutschland zurückziehen, ist aber noch nicht zu erkennen. Was Citi, RBS und andere abgaben, kauften wiederum Auslandsbanken auf: Die spanische Santander baute so ihre Position in Deutschland aus, Crédit Mutuel aus Frankreich stieg mit der Übernahme der Citibank Deutschland neu in den hiesigen Markt ein. "Bisher hat sich an der Marktposition der Auslandsbanken als Gruppe nach unserer Wahrnehmung nicht viel geändert. Aber natürlich kann die Finanzkrise mittelfristig Auswirkungen haben", sagt Jens Tolckmitt, Geschäftsführer des Verbandes der Auslandsbanken. Zahlen der Bundesbank scheinen ihn zu bestätigen. Zumindest bis Oktober haben die Zweigstellen ausländischer Banken vergangenes Jahr ihre Kreditvergabe an Unternehmen und Verbraucher noch einmal um mehr als fünf Milliarden Euro ausgedehnt. Bis Ende 2007 war auch die Zahl deutscher Tochtergesellschaften und Filialen ausländischer Banken auf den Rekordwert von 205 gestiegen.

Doch selbst Vertreter der Auslandsbanken erwarten, dass sich das ändert. "Es ist weltweit ein Trend bei den Banken zu beobachten, sich stärker auf den Heimatmarkt zu konzentrieren", sagt Tolckmitt. In Deutschland wie in anderen Ländern gebe es in der Politik die Erwartung, dass sich Banken, die staatliche Hilfe in Anspruch nehmen, verstärkt um Kunden im eigenen Land kümmern. Das könne auch dazu führen, dass Auslandsbanken ihr Geschäft reduzieren. "Mit vielen Schließungen rechne ich aber nicht."

Die Royal Bank of Scotland - im Bild eine Filiale in London - hat in Deutschland attraktive Unternehmenskredite angeboten. Foto: Reuters

Royal Bank of Scotland: Auslandsinvestition Royal Bank of Scotland: Verlust Verband der Auslandsbanken Bank- und Kreditwesen in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Metro streicht 15 000 Arbeitsplätze

Eckard Cordes baut den Handelskonzern um und will keine schlechten Ergebnisse mehr dulden

Von Stefan Weber

Düsseldorf - Knapp 15 Monate nach seinem Antritt als Chef des Metro-Konzerns baut Eckard Cordes den größten deutschen Handelskonzern um. "Das Unternehmen wird in wesentlichen Teilen vom Kopf auf die Füße gestellt", kündigte er am Dienstag an. In diesem Zusammenhang hat das Management ein Bündel von Maßnahmen beschlossen, zu dem auch ein umfangreicher Arbeitsplatzabbau gehört. In den nächsten vier Jahren wird Metro etwa 15 000 seiner weltweit 285 000 Stellen streichen.

Auch in Deutschland, wo der Konzern mit den Ketten Media Markt und Saturn sowie Real, Kaufhof und den Cash & Carry-Abholmärkten für Großverbraucher 127 000 Mitarbeiter beschäftigt, werden Arbeitsplätze wegfallen. Der Umfang sei aber noch nicht abzusehen, sagte Cordes. Er hoffe, den Großteil des Personalabbaus ohne Kündigungen zu erreichen. Bereits im vergangenen Jahr hatte der Metro-Konzern bei den Großverbraucher-Märkten in Deutschland sowie bei der SB-Warenhauskette Real Sparprogramme gestartet, die zu einem Abbau von 4000 Stellen führen.

Cordes zufolge ist das nun beschlossene Paket nicht eine spontane Reaktion auf die sich abzeichnenden schwierigeren Zeiten im Handel. Vielmehr habe der Vorstand bereits im Frühjahr 2008 erste Überlegungen für einen weitreichenden Konzernumbau angestellt. Denn die Organisation der Metro stamme noch aus einer Zeit, als das Unternehmen zehn Prozent seines Umsatzes im Ausland erwirtschaftete. Inzwischen betrage diese Quote mehr als 50 Prozent. "Die Struktur hat mit dem Wachstum des Konzerns in den vergangenen zehn Jahren nicht Schritt gehalten", sagte Cordes, der auch Vorstandschef des Metro-Großaktionärs Haniel ist. Er hatte im November 2007 den langjährigen Konzernlenker Hans-Joachim Körber abgelöst, weil Haniel mit der Wertentwicklung des Handelsunternehmens unzufrieden war.

Von dem nun beschlossenen Sparprogramm, das unternehmensintern die Bezeichnung "Shape 2012" trägt, erhofft sich das Management eine Verbesserung des Ergebnisses um 1,5 Milliarden Euro ab dem Jahr 2012. Dabei sollen Einsparungen nur etwa die Hälfte dieser Summe ausmachen. Im gleichen Umfang will das Unternehmen von Produktivitätssteigerungen oder anderen Maßnahmen profitieren - etwa, in dem die Sortimente anders zusammengestellt werden. Wie das funktionieren kann, macht die Tochter Real derzeit vor: Dort rücken immer mehr Eigenmarken ins Verkaufsregal, die dem SB-Warenhausunternehmen eine höhere Rendite bescheren als Markenartikel.

Die einzelnen Handelsketten der Metro erhalten künftig mehr Verantwortung für ihr Geschäft, weil sie den Einkauf und die Logistik selber abwickeln. Bisher erledigt dies die Konzernmutter für sie. Ein dezentraler Einkauf, so meint Cordes, erhöhe die Chance, die von den Kunden tatsächlich gewünschten Produkte ins Regal zu stellen. Auf Einkaufsvorteile, also Rabatte, wie sie die Industrie großen Abnehmern gewährt, will die Metro aber auch dann pochen, wenn die Warenbestellung nicht mehr gebündelt erfolgt.

Konzerntöchter, die die Renditeanforderungen nicht erreichen, sollen in Zukunft "ohne jede Ausnahme" restrukturiert oder verkauft werden. "Wir müssen die Schwachstellen konsequenter angehen", betonte Cordes. Ab diesem Jahr wird der Handelskonzern sein Immobilienvermögen mit einem Buchwert von etwa acht Milliarden Euro als Profitcenter, also als eigenständigen Bereich, führen und separat in der Bilanz ausweisen. Hintergrund ist, dass Metro damit liebäugelt, sich in ein paar Jahren - ein besseres Kapitalmarktumfeld vorausgesetzt - über einen Börsengang von einem Teil des Immobilienvermögens zu trennen.

An der Börse erntete Metro für seine Umbaupläne viel Beifall. Die Aktie war am Dienstag mit einem Plus von zeitweise acht Prozent der größte Gewinner unter den Dax-Werten. (Kommentare)

Metro-Großmarkt in Düsseldorf: Wer die Renditeziele nicht schafft, wird saniert oder verkauft. Foto: Bloomberg

Cordes, Eckhard Metro Handels Holding AG, Düsseldorf: Umstrukturierung Metro Handels Holding AG, Düsseldorf: Personalabbau Metro Handels Holding AG, Düsseldorf: Aktie SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Etwas mehr im Geldbeutel

Reallöhne der Tarifbeschäftigten legten 2008 leicht zu

Von Thomas Öchsner

Berlin - Die höheren Lebenshaltungskosten haben im vergangenen Jahr die Einkommenszuwächse der Arbeitnehmer weitgehend aufgefressen. Das Einkommen der Beschäftigten, für die ein Tarifvertrag gilt, stieg 2008 im Durchschnitt um 2,9 Prozent. Da aber die Inflation um 2,6 Prozent zulegte, blieb ein kleines Reallohnplus von 0,3 Prozent übrig. Das ergibt sich aus der Tarifbilanz, die das gewerkschaftsnahe Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung am Dienstag in Berlin vorstellte.

Deutlich schlechter sieht es für die Arbeitnehmer aus, die keinen Tarifverträgen unterliegen: Ihr Bruttoeinkommen verbesserte sich 2008 im Durchschnitt um 2,3 Prozent. Nach Abzug der erhöhten Lebenshaltungskosten kam damit für sie ein Minus von 0,3 Prozent heraus. Das ist der fünfte Rückgang in Folge.

Im neuen Jahr dürften sich die Finanzkrise und die Rezession negativ auf die Tarifergebnisse auswirken. "Die Rahmenbedingungen sind aus Arbeitnehmersicht ungünstig", sagte Reinhard Bispinck, Leiter des WSI-Tarifarchivs. Aus konjunkturpolitischen Gründen seien aber kräftige Reallohnsteigerungen notwendig. Es sei widersinnig, einerseits Konjunkturpakete zu schnüren und sich andererseits bei Löhnen und Gehältern zurückzuhalten. Im laufenden Jahr werden die Tarifverträge im öffentlichen Dienst (Länder), bei der Deutschen Bahn und der Deutschen Telekom neu verhandelt. Tarifgespräche gibt es außerdem in der Textil- und Bekleidungsindustrie, im Bauhauptgewerbe, in der Stahlindustrie sowie im Einzel- und Großhandel.

2008 schlossen DGB-Gewerkschaften in Deutschland Lohn- und Gehaltstarifverträge für etwa 11,1 Millionen Mitarbeiter ab, darunter etwa 9,6 Millionen in den alten und 1,5 Millionen in den neuen Bundesländern. Bei mehr als zwei Dritteln der Beschäftigten wurden die Tarif e mit Verzögerung angehoben. Als Ausgleich vereinbarten die Gewerkschaften meist pauschale Einmalzahlungen. Diese betrugen durchschnittlich 116 Euro. Besonders kräftig stiegen die Entgelte bei Arbeitnehmern, die in Gebietskörperschaften oder bei Sozialversicherungen arbeiten. Dort betrug das Plus 4,4 Prozent. Im Handel und in einigen anderen Branchen blieben die Tarifsteigerungen dagegen hinter der Preissteigerungsrate zurück (Grafik).

Das Tarifniveau gleicht sich zwischen Ost- und Westdeutschland immer mehr an. Ende 2008 erreichten die tariflichen Grundvergütungen in den neuen Bundesländern im Durchschnitt bereits 96,8 Prozent des Westniveaus. 2007 lag dieser Wert noch bei 95,2 Prozent. In vielen Unternehmen Ostdeutschlands werden allerdings überhaupt keine Tariflöhne bezahlt, weil die Arbeitgeber keiner Tarifgemeinschaft angehören.

Löhne und Gehälter in Deutschland Tarifverträge in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Gasversorger senken ihre Preise

München - Die Gasverbraucher in Deutschland können sich für Februar und März zum Teil auf deutlich sinkende Preise freuen. Laut einer Marktübersicht des Vergleichsportals Check24.de, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, senken 145 Gasanbieter zum 1. Februar oder 1. März ihre Preise im Durchschnitt um 7,2 Prozent (bei einem Verbrauch von 20 000 Kilowattstunden pro Jahr). Spitzenreiter mit einer Senkung um jeweils 25,1 Prozent sind dabei die Gas- und Wasserversorgung Fulda sowie die Gas- und Wasserversorgung Osthessen. Um 20,7 Prozent senken die Stadtwerke Bad Homburg v. d. Höhe ihre Gaspreise.

Im Gegenzug erhöhen nur drei Versorger die Tarife, darunter die Stadtwerke Neustadt a. d. Aisch, die von ihren Kunden bei einem Jahresverbrauch von 20 000 Kilowattstunden 9,5 Prozent mehr verlangen. Nach Einschätzung der Check24-Marktbeobachter werden weitere Gasversorger im April mit Preissenkungen nachziehen.

Beim Strom setzen die Versorgungsunternehmen ihre Preiserhöhungen der vergangenen Monate allerdings unbegrenzt fort: Laut der Check24-Übersicht haben insgesamt 105 Anbieter zum Februar oder März Preissteigerungen um im Durchschnitt 7,8 Prozent angekündigt. Spitzenreiter sind hier die Stadtwerke Amberg mit einer Erhöhung um 16,25 Prozent bei einem jährlichen Durchschnittsverbrauch von 4000 Kilowattstunden Strom. mvö

Strompreise in Deutschland Gaspreise in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Liechtenstein führt Einheitssatz ein

Von Gerd Zitzelsberger

Vaduz - Die Steueroase Liechtenstein hat am Dienstag einen neuen Schritt unternommen, um sich aus ihrem Paria-Status zu lösen: Obwohl der Wahlkampf für das neue Parlament in seiner heißen Phase ist, verabschiedete die Koalitionsregierung des Fürstentums am Dienstag eine grundlegende Reform der Unternehmenssteuern. Kernpunkt der Reform, die am heutigen Mittwoch der Öffentlichkeit vorgestellt wird, ist dem Vernehmen nach ein Einheitssatz von 12,5 Prozent auf Unternehmensgewinne. Derzeit gibt es im Fürstentum eine wenig durchschaubare progressive Besteuerung der Firmen; deutsche Unternehmer, die im Fürstentum tätig sind, erzählen, dass in der Praxis die Steuerzahlung ausgehandelt werde.

Bankgeheimnis aufgeweicht

Mit der Reform orientiert sich Liechtenstein an Irland, das mit dem niedrigen einheitlichen Steuersatz erhebliche Ansiedlungserfolge erzielen konnte. Diverse neue EU-Mitglieder haben dieses Konzept mittlerweile nachgeahmt. In Vaduz heißt es, die neuen Regelungen verzichteten darauf, Firmen ausländischer Herkunft besser zu stellen als inländische Unternehmen. Auch mit einer Reihe weiterer Änderungen werde das Liechtensteiner Körperschaftssteuerrecht jetzt "europakompatibel".

Das Fürstentum erhofft sich damit den Abschluss von Doppelbesteuerungsabkommen mit Deutschland und anderen EU-Staaten. Als Gegenleistung hat das Fürstentum mehrfach angeboten, das bislang strikte Bankgeheimnis erheblich aufzuweichen und künftig bei Verdacht auf Steuerhinterziehung Auskünfte zu erteilen. Gegenüber den USA verzichtet Vaduz bereits ab 2010 darauf, als Geldversteck zu fungieren.

Wirtschaftsraum Liechtenstein Innenpolitik Liechtensteins SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Am Ende der Geduld

Metro-Chef Cordes hat lange analysiert, jetzt handelt er

Von Stefan Weber

Mehr als drei Milliarden Euro hatte der Haniel-Konzern im Sommer 2007 eingesetzt, um beim größten deutschen Handelsunternehmen Metro das Sagen zu haben. Der Großaktionär war unzufrieden mit der Rendite, die der Branchenprimus ablieferte. Er vermutete im Metro-Konzern sehr viel größeres Potential. Aus heutiger Sicht war die Investition von Haniel kein kluger Schachzug. Der Aktienkurs der Metro hat sich seitdem mehr als halbiert. Und angesichts härter werdender Zeiten im Einzelhandel droht die Ertragskraft weiter zu schwinden. Zudem erfordert die beabsichtigte Trennung vom Kaufhof viel Geduld, denn im gegenwärtigen Umfeld sind finanzkräftige Interessenten rar.

Nun versucht Vorstandschef Eckhard Cordes, den Konzern mit einem tiefgreifenden Umbau auf Rendite zu trimmen. Er hat sich seit seinem Amtsantritt im November 2007 viel Zeit gelassen, die Situation des Konzerns zu analysieren. Mancher hätte sich gewünscht, dass Cordes schon früher ein Signal setzt, wie er Metro voranbringen will. Für Außenstehende erkennbar war seine Handschrift bisher lediglich bei der Restrukturierung der SB-Warenhaustochter Real. Deren Sanierung geht er sehr viel energischer und konsequenter an als sein Vorgänger. Und es zeigen sich erste Erfolge. Real ist auf dem Weg der Besserung.

Das reicht aber nicht, um die Anforderungen von Haniel zu erfüllen. Deshalb muss sich Cordes an die sehr viel größere Aufgabe machen, den gesamten Konzern zu straffen. Bei renditeschwachen Aktivitäten kann er sich nicht mehr viel Geduld erlauben. Muss er auch nicht. Denn nach dem Umbau sind die Töchter so stark verselbständigt, dass sie sich leicht aus dem Konzerngebilde lösen lassen.

Cordes, Eckhard: Beruf Metro Handels Holding AG, Düsseldorf: Aktie Metro Handels Holding AG, Düsseldorf: Unternehmenskapital Metro Handels Holding AG, Düsseldorf: Umstrukturierung Franz Haniel & Cie. GmbH: Unternehmensbeteiligungen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Ein Mann, ein Versprechen

Washington zelebriert den Beginn einer neuen Zeit: Millionen sind vor das Kapitol gezogen, um ihren ersten schwarzen Präsidenten und sich selbst zu feiern. Es sind Huldigungen voller Hoffnung, Heiterkeit und Pathos. Und Barack Obama schwört die Nation auf einen mutigen Aufbruch in schweren Zeiten ein

Von Reymer Klüver und Christian Wernicke

Washington - Einen Blizzard in der Nacht hat es nicht gegeben. Aber bitterkalt ist es, genauso wie damals, als vor fast einem halben Jahrhundert die Nation das letzte Mal einem so jugendlich wirkenden Mann auf den Marmorstufen des Kapitols so erwartungsfroh entgegenfieberte. Viel, viel mehr Menschen sind es als damals bei John F. Kennedy, als Schnee die Straßen blockierte.

Eine unglaubliche Kulisse ist es. Schon am frühen Morgen, sechs Stunden vor dem Amtseid kurz vor Mittag, sind die Metrozüge in die Stadt gedrängt voll. Trotzdem sind die Menschen ausgelassener Stimmung. Einer brüllt: "Ich will den Messias sehen." Ein anderer hat eine Trompete dabei und spielt "America the beautiful". In Capitol South, der Metrostation am Kapitol, singen ein paar auf der Rolltreppe "Oh when the Saints go marching in" - und alle stimmen ein.

Hunderttausende, ja Millionen stehen inzwischen auf dem braunen Rasen der Mall, drängen sich auf der schmalen Parkschneise, die sich von hier aus drei Kilometer weit gen Westen erstreckt. Sie jubeln, brüllen, lachen, klatschen, soweit man das hier oben am Kapitol hören und sehen kann. Blitzlichter flackern überall auf, obwohl es taghell ist. Ein Meer an Menschen. Ein Meer an Sympathie und Hoffnung. Und nur die schwarzen Silhouetten der Scharfschützen auf den gewaltigen weißen Museumsgebäuden entlang der Mall erinnern daran, wie stets präsent die Furcht ist, dass dieses Freudenfest der Nation ein jähes Ende finden könnte.

Als President-Elect, wie sie es nennen, als der gewählte Präsident der Vereinigten Staaten, so schreibt es das Protokoll vor, betritt Barack Obama, 47 Jahre alt, dieses eierschalenweiß lackierte Holzpodium unterhalb des mächtigen, marmorweißen Kuppelkolosses des Kapitols. Rosetten haben sie über die Brüstung gehängt, in den Farben der Nation Blau-Weiß-Rot. Einen beige-braunen Plastikklappstuhl haben sie für ihn bereitgestellt, erste Reihe ganz rechts, hinter sich sind seine Frau und die beiden Mädchen, Malia und Sasha, platziert. Als Präsidentenfamilie werden sie die Szenerie verlassen.

Es ist ein hoch feierlicher Akt mit reichlich Pomp. Oben auf der steinernen Balustrade des Kapitols sind 14 Trompeter und zwei Trommler der Army, den Kopf in blaue Pelzmützen gehüllt, um ihn mit einer schmetternden Fanfare zu begrüßen. Amerika feiert sich und den neuen Mann im Weißen Haus, der sich nun anschickt, dem Land zu erklären, warum es nicht nur auf ihn, den 44. Präsidenten der USA, ankommt, den ersten schwarzen Vormann der Nation. Sondern dass sie alle, dass alle Amerikaner in der Verantwortung stehen - und dass er sie in die Verantwortung nehmen will.

Klar, dass alle seine Worte nun gewogen werden, gemessen an den Ansprachen seiner Vorgänger. 55 Reden waren es. Und viele gab es da, die als zu leicht befunden wurden, über die zu Recht der wohltätige Mantel des Vergessens gebreitet wurde. William Henry Harrison, der neunte Präsident, etwa sprach fast zwei Stunden lang, bei Regen und kaltem Wind - vier Wochen später war er tot, Lungenentzündung. Und was hat noch gleich William Jefferson Clinton gesagt, der letzte demokratische Präsident? Dem Gedächtnis ist es wohl nicht ganz zu Unrecht entschwunden.

Aber ein paar der Reden haben doch die Zeiten überdauert. Lincolns zweite Inaugurationsrede, kurz vor Ende des Bürgerkriegs, war ganz knapp. Exakt 703 Wörter hat sie umfasst. Sie sind im Lincoln Memorial am Ende der Mall, genau gegenüber vom Kapitol, in den Stein gemeißelt. Die Worte etwa, dass nun die Zeit gekommen sei, "die Wunden der Nation zu binden". Und Obama hat sich diese Worte dort vor zehn Tagen selbst noch einmal angeschaut. Das war natürlich alles andere als ein Zufall.

Oder Franklin Roosevelts erste Ansprache an die hoffende, darbende Nation. Noch heute können Amerikas Schulkinder den Kernsatz der Rede zitieren, dass "die einzige Sache, die wir zu fürchten haben, die Furchtsamkeit selbst ist".

Und John F. Kennedys Rede, die, wie Obamas Ansprache nun, sich durch ihre Kürze und Prägnanz auszeichnete. Keine 14 Minuten sprach der jugendlich wirkende Senator - der Senator aus Massachusetts. Kennedy prägte den bis heute berühmten Satz: "Und so meine Landsleute, fragen Sie nicht, was Ihr Land für Sie tun kann - fragen Sie, was Sie für Ihr Land tun können."

Welch enormer Druck muss auf Obama gelastet haben. Gezeigt hat er es jedenfalls nicht. "Obama ist der rhetorisch Begabteste seit JFK", gab etwa Kennedys legendärer Redenschreiber, der alte, fast blinde Ted Sorensen, vorab zu Protokoll, "und ich denke mal, wir werden die wortgewaltigste Rede seit Kennedys Ansprache vor 48 Jahren hören." Und es sind nicht nur die Worte, es sind die Umstände, die auf den Schultern des großen - Obama misst 1,87 Meter - aber doch irgendwie schmächtig wirkenden Mannes ruhen. Er hatte sie selbst benannt, am Wochenende, als er seinen Vizepräsidenten per Sonderzug in dessen Heimatstadt Wilmington in Delaware abholte: "Eine Wirtschaft, die ins Stocken geraten ist. Zwei Kriege, einer, der verantwortlich zu Ende gebracht werden muss, einer, der klug geführt werden muss. Ein Planet, der wegen unserer untragbaren Abhängigkeit vom Öl immer wärmer wird."

Und nun hat er das alles in eine Rede zusammengeschmiedet. Und die Kreise schließen sich. Hier, am Fuße des Kapitols, holt den 44. Präsidenten das Erbe der ersten Präsidenten ein, jenes Kapitel von Amerikas Geschichte, über das der schwarze Mann im Wahlkampf so merkwürdig selten reden wollte: die Sünde der Sklaverei, die jahrhundertelange Schande der Rassentrennung. Jetzt aber, da die schneeweißen Marmorquader den dunklen Teint Obamas noch einen Hauch mehr hervorheben mögen, sprechen die Steine.

Denn dieses Fundament von Amerikas Demokratie legten einst rechtlose Leibeigene. Ungefähr 400 der insgesamt 600 Männer, die vor mehr als 200 Jahren hier Fels beschlugen, Trägerbalken sägten oder das sumpfige Erdreich am Potomac trockenlegten, waren Sklaven. Ziemlich genau dort, wo an diesem kalten Dienstag im Januar 2009 Tausende geladener Ehrengäste auf den beigebraunen Klappstühlen der säkularen Krönungsmesse beiwohnen, standen damals lumpige Zelte als Behausung für die Afro-Amerikaner. Und nur eine Straße weiter, wo nun der klassizistische Tempel des U.S. Supreme Court in den Himmel ragt, florierte Washingtons Sklavenmarkt.

Das Gespenst der Sklaverei wird Barack Obama, den angeblich "post-rassischen Präsidenten", überall in der Hauptstadt auflauern. In seinem neuen Heim an der Pennsylvania Avenue zumal, das ebenfalls auf einem Fundament sklavischer Plackerei steht: Ungefähr 120 Sklaven, so hat der Journalist Jesse Holland recherchiert, halfen seit 1792, den Keller des damals noch "President's House" genannten, blütenweißen Herrenhauses auszuheben. Einige der Leibeigenen hatte der Architekt James Hoben selbst als Privateigentum beigesteuert - gegen Leihgebühr, versteht sich. Acht von Obamas Amtsvorgängern fanden nichts weiter dabei, in ihrer Dienerschaft Leibeigene zu beschäftigen. Eine Sklavin im Besitz von Thomas Jefferson, dem intellektuellen Heros der amerikanischen Revolution, brachte im Untergeschoss des präsidentiellen Amtssitzes 1806 das zweite Kind zur Welt, das je in diesem Gemäuer geboren wurde. Die Annalen vermerken, das Baby sei zwei Jahre später gestorben.

Nur leider, solcherlei Details verschweigt das Museum für amerikanische Geschichte. Der graue Betonklotz an der Mall, nach langer Renovierung erst vor einigen Wochen neu eröffnet, ist für viele US-Bürger dieser Tage eine Fluchtburg: Hier finden sie Schutz vor der Kälte und dem Eiswind, hier suchen sie - nach 20 Minuten Geduld in der Warteschlange vor der Sicherheitskontrolle - ein warmes Örtchen samt Wasserspülung statt eines der 7000 grünen Plastikhäuschen draußen am Straßenrand. Und manche kommen sogar, um sich geschichtlich zu erbauen.

Zum Beispiel die Pearsons. Die schwarze Familie lebt im rauen, heruntergekommenen Südosten der Hauptstadt. Ja, so räumen sie ein, es sei "schon ein paar Monate her", dass sie sich das letzte Mal aufgerafft hätten zu einem Ausflug ins offizielle Washington, ins herrschaftliche Zentrum ihrer Kapitale. Obama hat den Pearsons Beine gemacht. Nun stehen Vater und Sohn, John und John Jr., im Foyer des Museums und albern herum mit diesem hochgewachsenen Kauz in der altmodischen Verkleidung mit dunklem Baumwollanzug und hohem Zylinder. "Weißt du, wer ich bin?" "Ja, Sie sind dieser Lincoln", erwidert der zehnjährige John Jr. und grinst: "You set us free!" Der wiederauferstandene 16. Präsident der Vereinigten Staaten strahlt ob dieses Lobes für die Befreiung und hält dem Bengel seine rechte Hand entgegen: "High Five!"

Abraham Lincoln ist der älteste unter den drei Amts-Ahnen, auf deren Schultern Barack Obama stehen will. Lincoln, der Republikaner, hielt die Union im Bürgerkrieg zusammen, und per Proklamation erklärte der Hüne zum 1. Januar 1863 alle Sklaven in den rebellischen Südstaaten für befreit. Obamas Wahlkampagne zelebrierte vom ersten Tag an die Nähe zu Lincoln; als bis dato letzte Etappe dieser Inszenierung fuhr der Ex-Senator aus Chicago am Wochenende in einem altertümlich drapierten Eisenbahnwaggon die Gleise ab, auf denen schon der erste und bislang einzige US-Präsident aus dem Staate Illinois in die Hauptstadt gerollt war. Die TV-Bilder von Obamas stählernem Triumph-Zug sollten seinen Anspruch auf Lincolns Erbe untermauern, sie ließen ihn mehr denn je als Präsidenten aller Amerikaner erscheinen. Nicht rechts oder links, vorwärts! Ein Schuft, der Obama da noch einen Linken schelten will.

Die Kette der Lincoln-Symbole reißt bis Dienstag nicht ab. Auch beim heiligsten Akt, dem Eid auf die profane Verfassung, ist der Altvater der Republik gegenwärtig: Auf exakt jene braune Bibel in Michelle Obamas Händen, auf die am Dienstagmittag ihr Ehemann Barack seine Linke legt, hatte 1861 auch schon Ol' Abe geschworen, "die Verfassung der Vereinigten Staaten zu bewahren, zu schützen und zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe".

Lincoln - genauer sein marmornes Memorial am Westende der Mall - ist auch das Bindeglied zu Martin Luther King. Hier hatte der Prediger 1963 jene gewaltige Rede vom Traum von der Gleichheit und Versöhnung der Rassen gehalten, deren Versprechen nun Obama mit seiner Kür zum US-König auf Zeit einlöst. Der 44. Präsident spürt die Last dieses Auftrags, und selbst seine Töchter Malia, 10, und Sasha, 7, erinnern ihn an diese Mission. Vorige Woche, als die Obama-Familie das Memorial besichtigte und auf der Rückwand Lincolns sehr knappe, von Trauer um die Kriegstoten durchdrungene Rede zu seiner Wiederwahl entdeckte, da wollte Sasha wissen, ob ihr Daddy nun ein ähnliches Traktat abliefern müsse. "Na ja, das ist eigentlich nur eine Kurzfassung - aber ja, das werde ich tun." Da ging Malia, die ältere Schwester, dazwischen: "Erster afro-amerikanischer Präsident - hoffentlich wird das gut!" Wie einst Lincoln verspricht nun Obama, eine gespaltene Nation zu heilen.

Der zweite Kreis, den der neue Präsident an diesem Dienstag mit einem seiner Vorgänger schließt, ist der Bund mit FDR. Denn wie Franklin Delano Roosevelt drückt Obama aufs Tempo. Und wie Roosevelt in den dreißiger Jahren will er seine wichtigsten Reformprojekte binnen hundert Tagen auf den Weg bringen - ehe die Bedenkenträger im Kongress wieder Oberwasser bekommen. Noch ehe Obama überhaupt im Amt war, überredete er die Skeptiker in den Reihen seiner eigenen Partei, 350 Milliarden Dollar herauszurücken, die zweite Stützungsrate für die notleidenden Finanzinstitutionen des Landes. Und dass er innerhalb der ersten vier Wochen im Amt sein Konjunkturprogramm von inzwischen mehr als 800 Milliarden Dollar durch beide Kammern des Parlaments bringt - daran besteht auch kein Zweifel mehr. Mehr als eine Billion Dollar auf einmal, so viel konnte noch kein Präsident vor ihm ausgeben.

Geradezu ostentativ hat Obama die Geschichte seiner Vorgänger studiert. Das ist den Amerikanern nicht entgangen. Obama begreift die Krise, die gewaltige Wirtschaftskrise, in die das Land geschlittert ist, als Chance. So wie einst Franklin Roosevelt die Gelegenheit beim Schopf ergriff. Und so wie Roosevelt es als seine erste Pflicht ansah, den zweifelnden, den verzweifelnden Amerikanern die Grundtugend ihres Landes zurückzugeben, die Zuversicht, das Vertrauen auf eine bessere Zukunft, so verbreitet Obama unverdrossen und ansteckend Optimismus. "Ich habe so einen Glauben an das amerikanische Volk", sagte er ein paar Tage vor der Inauguration in einem abendlichen Fernsehinterview. "Wenn du es ihnen einfach erklärst - das ist die Herausforderung, deswegen sind wir da reingeschlittert, das ist der neue Kurs, den wir einschlagen müssen -, dann glaube ich fest daran, dass das amerikanische Volk diese Herausforderungen meistern wird."

Hatte FDR im März 1933 nicht genauso gesagt, dass er die Krise "mit einer Offenheit und einer Entschiedenheit", angehen wolle, "wie es die gegenwärtige Lage unseres Volkes veranlasst"? Dass er die "Wahrheit und nichts als die Wahrheit" sagen wolle? Obama folgt dem Drehbuch des großen Alten: "Deshalb wird es sowohl in der Inaugurationsrede wie auch in den Monaten danach mein Job sein, so ehrlich und wahrheitsgemäß zu erklären, wie die Umstände sind", kündigte Obama vor ein paar Tagen an - und vergaß wie FDR die positive Wende nicht: "Dann werden wir gemeinsam diese Probleme lösen." Wieder schließt sich ein Kreis.

Und dann ist da natürlich noch Kennedy. Bis zum Klischee verkommen ist die Verbindung zum verehrten, jungen, unvollendeten Präsidenten - der schwarze Kennedy. Von Obama wurde das zweifelsohne nach Kräften befördert. Tatsächlich haben die Amerikaner seit Kennedy keinem jüngeren Präsidenten die Führung der Nation anvertraut als nun Obama. Und keiner hat mehr Begeisterung hervorgerufen. Keine Familie mit zwei so jungen Kindern residierte seither im Weißen Haus. Und beflügelt der Chicagoer Chic der neuen First Lady nicht schon die Modespalten der Zeitungen und die einschlägigen Magazine so, wie es einst die moderne Eleganz Jackie Kennedys tat? Die große Show mit Bruce Springsteen und Tom Hanks am Sonntag am Lincoln Memorial macht es unübersehbar, wie sehr Obama - so wie Kennedy - die Nähe von Hollywood und den großen Entertainern Amerikas sucht, immer im Wissen, dass die Botschaft auch Botschafter braucht.

Es ist eben die Botschaft, die Obama an Kennedy interessiert. Wie Kennedy ruft er seine Landsleute auf, nicht nur zu warten, dass ihnen der Staat in der Not hilft, sondern darüber nachzusinnen, welchen Beitrag sie selbst zum Gedeih der Nation leisten könnten. So wie Kennedy in seiner Inaugurationsrede davon sprach, dass "in der langen Weltgeschichte nur wenige Generationen" vor vergleichbaren Herausforderungen standen, so hat Obama in den letzten Wochen immer wieder die Verantwortung der gegenwärtigen Generation für das Wohl und Wehe Amerikas beschworen - und direkt von Kennedy geborgt: "Im Laufe unserer Geschichte stand nur eine Handvoll Generationen so ernsten Herausforderungen gegenüber, wie wir es jetzt tun", sagte er am Sonntag. Und dann fügte er in einer Wendung wie einst Kennedy hinzu: "Lasst uns alle unseren Teil dazu tun, dieses Land wiederaufzubauen." Am Montag rief er dann die Nation zu einem nationalen Dienst-Tag auf und half selbst im Sasha-Bruce-Youthwork, einem Heim für entwurzelte junge Schwarze, ein paar Wände türkisblau zu tünchen. "Wenn wir nur darauf warten, dass etwas getan wird, geschieht nie was", sagte er vielleicht mehr für die Kameras als für die schwarzen Kids. "Wir müssen alle selbst Verantwortung übernehmen - und das nicht nur heute."

Wie Kennedy eine ganze Bewegung junger Leute lostrat, die sich im Peace Corps etwa in aller Welt engagierten, so vernetzen Obamas Leute nun im Internet Aktivisten: USAService.org heißt die Website, die ähnlich wie die Netzseite Obamas im Wahlkampf Zehntausende, vielleicht Hunderttausende zusammenfinden lässt, die sich für die Gemeinschaft engagieren wollen. Im Nebeneffekt erhält sich Obama so die 13 Millionen E-Mail-Adressen, die im Wahlkampf zusammengekommen sind und die dieser neuen Organisation übertragen werden. Auch so schließt sich, wenn man so will, ins digitale Zeitalter übertragen, ein Kreis zu Kennedy.

Ehe das alles Früchte trägt, wenn denn den Worten Obamas die Taten vieler folgen, wird es dauern. An diesem Dienstag aber lässt Obama keine Zeit verstreichen. Kaum ist er zur vollen Mittagsstunde vereidigt, setzt sich dem Protokoll zufolge eine Handvoll schwarzer Vans des Secret Service vom Kapitol aus auf direktem Weg in Richtung Weißes Haus in Bewegung - die Pennsylvania Avenue entlang, die am Nachmittag die Route ist für die große Parade. In den Vans mit den getönten Scheiben sitzen die ersten von 20 engen Mitarbeitern Obamas, die sofort die Büros und Telefone im Weißen Haus in Beschlag nehmen sollen. Nach einem Mittagessen im Kapitol sollen weitere Mitarbeiter folgen.

Der neue Präsident selbst, so ist es vorgesehen, begleitet derweil seinen Vorgänger George W. Bush durch die Korridore des Kapitols bis vor die Stufen an dessen Ostseite. Dort wartet ein Hubschrauber der Marines mit laufenden Motoren. Formationen aller Waffengattungen defilieren noch an den beiden Männern und ihren Stellvertretern, dem alten und dem neuen Vizepräsidenten, vorbei, angeführt von der US Army Band. Zum Schluss, so steht es im Drehbuch, kommt eine Abteilung Pfeifer, sie spielen den Yankee Doodle, eine alte patriotische Weise aus der Zeit der Gründerväter. Dann steigt der Hubschrauber in einer großen Linkskurve auf und fliegt, über die Köpfe der Massen auf der Mall hinweg, George W. Bush aus der Stadt hinaus. Das Ende einer Ära. Der Beginn einer neuen Zeit.

Er will nicht nach links und nicht nach rechts, er will vorwärts

Drei Kreise sind es, die sich nun schließen

"Wenn wir nur darauf warten, dass etwas getan wird, geschieht nie was"

"Ich will den Messias sehen": Bei eisiger Kälte hat sich eine unüberschaubare Menschenmasse auf dem braunen Rasen der Washingtoner Mall versammelt, um Barack Obamas Amtseinführung mitzuerleben. Foto: Reuters

Feierlichkeiten zur Amtseinführung von Barack Obama SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Reaktionen auf die Autokrise

Fiat steigt bei Chrysler ein

Italiener planen Bezahlung mit Technologie. Konzerne wie BMW und VW beschließen Kurzarbeit

Von Michael Kuntz

München - Die Krise in der Autoindustrie wird schärfer. Mit dem Einstieg von Fiat bei Chrysler verbünden sich zwei kleinere Hersteller, die nach Ansicht von Experten einzeln kaum überleben könnten. Andere helfen sich allein: Volkswagen kündigt fünf Tage Kurzarbeit für Ende Februar an. Der BMW-Konzern beantragt ebenfalls erstmals Kurzarbeit. Auch der Lkw-Hersteller MAN arbeitet kurz.

Der italienische Autokonzern Fiat übernimmt 35 Prozent am angeschlagenen amerikanischen Hersteller Chrysler. Fiat bezahlt seinen Anteil nicht mit Bargeld und geht keine rechtlichen Verpflichtungen ein. Die Italiener gewähren den Amerikanern vielmehr Zugang zu ihrer Technologie für Kleinwagen. Im Gegenzug will Fiat seine Autos in Amerika anbieten. Die zwei Händlernetze sollen zusammenarbeiten. Faktisch bekommt Fiat damit den Anteil an Chrysler vom Finanzinvestor Cerberus geschenkt.

Beide Unternehmen unterzeichneten eine Erklärung über die Bildung einer globalen strategischen Allianz, teilte Chrysler an seinem Hauptsitz in Auburn Hills im US-Bundesstaat Michigan mit. Damit wollen die beiden im weltweiten Maßstab mittelgroßen Unternehmen gegen Konzerne wie Toyota, Volkswagen und General Motors auf längere Sicht bestehen können. Fiat-Vize-Chef Sergio Marchionne sprach vom ersten Schritt: "Die Vereinbarung ist gut, viele Dinge sind im Entstehen, und wir können einsteigen."

Den gegenwärtigen Zusammenbruch der Auto-Nachfrage in allen wichtigen Märkten weltweit werden nur sechs Konzerne überleben, hatte Marchionne vor Weihnachten erklärt. Er stehe vor dem schwierigsten Jahr seines Berufslebens. Fiat brauche einen Partner. Der ist mit Chrysler nun gefunden.

Bei der vorläufigen Vereinbarung handele es sich zunächst um eine Absichtserklärung ohne rechtliche Bindung. Fiat verpflichte sich nicht zur künftigen Finanzierung des derzeit von Staatshilfen abhängigen Konzerns. Wegen des Kredites aus Washington in Milliardenhöhe muss auch die amerikanische Regierung dem strategischen Bündnis zustimmen. Angeblich erwarten beide Partner von der Zusammenarbeit Einsparungen bis zu vier Milliarden Dollar. Dies entspräche der Höhe nach dem Betrag, der Chrysler von der amerikanischen Regierung in Aussicht gestellt worden ist.

Keine Entlassungen

Chrysler gehörte bisher zu gut 80 Prozent der amerikanischen Finanzgesellschaft Cerberus. Mit knapp 20 Prozent ist seit der Rückabwicklung des Weltkonzerns Daimler-Chrysler noch die Daimler AG dabei. Die will ihren Anteil loswerden, kann sich mit Cerberus aber nicht auf einen Kaufpreis einigen. Daimler sieht den Einstieg von Fiat bei Chrysler positiv. Daimler begrüße jede Initiative, die geeignet sei, die Lage bei dem amerikanischen Hersteller zu stabilisieren und Arbeitsplätze zu sichern, erklärte eine Sprecherin. Daimler selbst hat bereits vor einigen Tagen Kurzarbeit für 39 000 Beschäftigte beantragt.

Volkswagen wird Ende Februar zwei Drittel seiner Belegschaft in Deutschland eine Woche lang kurzarbeiten lassen. VW beschäftigt im Inland 92 000 Mitarbeiter. Diese Kurzarbeitsphase soll vom 23. bis 27. Februar dauern, teilen Unternehmen und Betriebsrat in einer gemeinsamen Erklärung mit. Davon ausgenommen seien der Bereich Forschung und Entwicklung sowie Teile der Fertigung von Komponenten. So laufe wegen der starken Nachfrage nach kleinen, sparsamen und dennoch leistungsstarken Benzinmotoren die Fertigung in Chemnitz uneingeschränkt weiter.

VW-Personalleiter Jochen Schumm stellt fest: "Mit dieser vorübergehenden Einschränkung der Produktion setzen wir konsequent unseren Kurs fort, die Fertigungskapazität maßvoll der Nachfrage anzupassen."

Bei BMW sollen die von der Kurzarbeit betroffenen 26 000 Mitarbeiter in den Werken Dingolfing, Regensburg, Landshut und Berlin mindestens 93 Prozent ihres durchschnittlichen Nettoeinkommens behalten. Betriebsbedingte Kündigungen sind bei BMW bis zum Jahr 2014 ausgeschlossen, sieht eine Betriebsvereinbarung vor. Der bayerische IG-Metall-Chef Werner Neugebauer erinnert an die großen Gewinne von BMW in der Vergangenheit. Es sei "nur logisch und gerecht", wenn das Unternehmen jetzt seinen Mitarbeitern, die diese Gewinne erwirtschaftet hätten, entgegenkomme.

Weitere Unternehmen in der Autoindustrie verringern ihre Produktion. Opel will über Kurzarbeit demnächst entscheiden. Die spanische VW-Tochter Seat darf 5300 ihrer 11 000 Mitarbeiter für bis zu vier Wochen unbezahlt in den Urlaub schicken. Dies hat die Regierung der nordostspanischen Region Katalonien jetzt genehmigt. Der Lkw-Hersteller MAN hat für 9400 Mitarbeiter an den Standorten München, Nürnberg und Salzgitter durchschnittlich 42 Schließtage im ersten Halbjahr vereinbart. Kurzgearbeitet wird auch bei den Autozulieferern Bosch, Continental, Schaeffler und Grammer. (Kommentare, Seite 20)

Gemeinsam die Autokrise überleben - Fiat läßt sich einen Anteil an Chrysler schenken und will nach 25 Jahren wieder italienische Autos in den USA verkaufen. Umgekehrt baut Chrysler Kleinwagen mit Know-how von Fiat. Foto: dpa

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Und sie spinnen nicht

Weil das Risiko klein ist, hat Fiats US-Wagnis Erfolgschancen

Von Ulrike Sauer

Die Turiner spinnen. So reagierten viele auf die Nachricht vom Einstieg Fiats beim todkranken US-Konzern Chrysler. Wer sich nach dem Daimler-Debakel in Detroit heute auf den am ärgsten bedrohten amerikanischen Autohersteller einlässt, muss von allen guten Geistern verlassen sein. Doch die geplante Allianz mit den Amis ist aus italienischer Sicht keinesfalls ein Akt der Verzweiflung.

Schon vor elf Monaten hatte Fiat-Chef Sergio Marchionne erste Gespräche mit dem Chrysler-Lenker Robert Nardelli geführt. Das Wichtigste an der nun präsentierten Übereinkunft: Die Italiener treten in Detroit nicht als große Zampanos an. Sie bieten Chrysler ihre Technologie an und halten das Risiko extrem klein. Kein einziger Euro soll aus Turin in Nardellis leere Kassen fließen. Die Gefahr eines Fehltritts ist damit gebannt.

Doch auch als "Meilenstein" für die Autoindustrie, wie Fiat und Chrysler ihre Kooperationsabsicht verkaufen, kann man den Schritt nicht bewerten. Fiat wollte mit aller Macht auf den amerikanischen Markt zurück. Das könnte nach 25-jähriger Abwesenheit nun klappen. Der Zeitpunkt ist günstig. Die einst wegen ihrer qualitativen Schwächen ausgelachten Turiner haben im Zuge der Kulturrevolution von Fiat-Retter Marchionne attraktive Modelle auf den Markt gebracht. Nun macht der Zugang zu den Produktionsanlagen und zum Vertriebsnetz von Chrysler den Verkauf italienischer Autos in Amerika wegen gesunkener Kosten für Fiat interessant. Man könnte sich sogar vorstellen, dass der Kult-Winzling Fiat 500 eine Chance erhält. Anders als eine echte Allianz etwa mit Peugeot löst der Gratiseinstieg bei Chrysler die kurzfristigen Probleme Fiats jedoch nicht.

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Staat profitiert von Reform

Senkung des Kassenbeitrags entlastet Länder und Kommunen

Berlin - Von der geplanten Senkung des Krankenkassenbeitrags wird neben der Wirtschaft und den Arbeitnehmern auch der Staat in erheblichem Umfang profitieren. Das geht aus dem entsprechenden Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums hervor, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Danach wird die Beitragsreduzierung vor allem für die Länder und Kommunen zu einem Geschäft: Für sie steht unter dem Strich ein Plus von rund 170 Millionen Euro.

Nach den Plänen der großen Koalition wird der Kassensatz zum 1. Juli von 15,5 auf 14,9 Prozent des Bruttolohns sinken. Ziel ist es, die Belastung der Wirtschaft durch die Rezession zu mildern, die Bürger zu höheren Konsumausgaben zu animieren und damit die Konjunktur anzukurbeln. Die Mindereinnahmen für den Gesundheitsfonds in Höhe von 3,2 Milliarden Euro 2009 und 6,3 Milliarden Euro in den Folgejahren sollen durch einen Steuerzuschuss aus dem Bundeshaushalt ausgeglichen werden.

Diesen 6,3 Milliarden Euro stehen allerdings jährliche Entlastungen der Öffentlichen Hand in Höhe von 1,1 Milliarden Euro gegenüber, wie aus dem Referentenentwurf des Gesundheitsministeriums hervorgeht. Grund ist unter anderem, dass Bund, Länder und Gemeinden selbst Arbeitgeber sind und daher künftig 160 Millionen Euro weniger an Krankenkassenbeiträgen überweisen müssen. Da der Bund zudem Langzeitarbeitslosen die Krankenversicherungskosten abnimmt, ergeben sich weitere Einsparungen in Höhe von 370 Millionen Euro.

Der dritte Effekt schließlich ist ein steuerlicher: Weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer geringere Krankenversicherungszahlungen als erwartet beim Finanzamt geltend machen können, fallen die Steuermindereinnahmen des Staats 2009 um 450 Millionen Euro geringer aus als erwartet.

Zu den Profiteuren der Reform gehört schließlich die gesetzliche Rentenversicherung, deren Ausgaben um 580 Millionen Euro im Jahr sinken. Das dürfte erneut die Arbeitgeber auf den Plan rufen, die angesichts der gut gefüllten Rentenkassen seit Monaten eine Beitragssenkung fordern. Claus Hulverscheidt

Krankenkassenbeiträge in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Schaeffler greift bei Conti durch

München - Der Streit zwischen den beiden Autozulieferern Schaeffler und Continental eskaliert. Der Schaeffler-Konzern, seit Anfang Januar Conti-Großaktionär, ging am Dienstag mit ungewöhnlich deutlichen Vorwürfen an die Öffentlichkeit. Dem amtierenden Conti-Aufsichtsratsvorsitzenden Hubertus von Grünberg warf ein Sprecher des fränkischen Familienkonzerns am Dienstag Sabotage vor und verlangte seinen sofortigen Rückzug. Schaeffler drohte, sämtliche zehn Aufsichtsräte der Anteilseignerseite auszuwechseln.

"Da der Aufsichtsratsvorsitzende gemeinsame Lösungen systematisch sabotiert und eigene Interessen verfolgt, ist das Vertrauen zerstört", hieß es in einer Stellungnahme. Solange der Aufsichtsrat Grünberg gewähren lasse und dieser nicht zurücktrete, behalte sich Schaeffler das Recht vor, alle zehn Sitze der Anteilseigner im Aufsichtsrat neu zu besetzen. Die Investorenvereinbarung zwischen Schaeffler und Conti werde dadurch nicht gebrochen, bekräftigte Schaeffler. Der Vereinbarung zufolge kann Schaeffler selbst aber nur vier Vertreter direkt in das Aufsichtsratsgremium entsenden. Hintergrund des Zerwürfnisses ist unter anderem die von Conti-Finanzvorstand Alan Hippe vor wenigen Tagen ins Spiel gebrachte Kapitalerhöhung von einer Milliarde Euro bei Conti. Conti-Aktien waren daraufhin auf unter 20 Euro abgestürzt. Die IG Metall kritisierte das Vorgehen der Schaeffler-Gruppe am Dienstag scharf. (Seite 21) SZ

Schaeffler Gruppe Finanzholding: Krise Schaeffler Gruppe Finanzholding: Zusammenarbeit Schaeffler Gruppe Finanzholding: Aufsichtsrat Continental AG: Aufsichtsrat Continental AG: Zusammenarbeit Continental AG: Krise SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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"Wir dürfen niemanden aufgeben"

Bundesarbeitsminister Olaf Scholz will Langzeitarbeitslose mit mehr als 50 Jahren noch stärker fördern. Schon jetzt gibt es erste kleine Erfolge bei der Vermittlung

Von Thomas Öchsner

Berlin - Es gibt die Dinge, über die sich auch ein routinierter Politik-Profi wie Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) noch so richtig aufregen kann. Dazu gehören Menschen, die Langzeitarbeitslose mit über 50 Jahren abstempeln - zu Verlierern der Gesellschaft, die ohnehin keine Chance mehr haben, einen festen Job zu bekommen. "Was mich empört, ist der Zynismus, der die Hoffnungslosigkeit zum Fakt erklärt", sagt der Minister und fügt hinzu: "Es geht mehr, als wir uns angewöhnt haben zu glauben, wenn das Engagement vor Ort stimmt."

Dass Scholz dies sagen kann, ohne dabei eine Sonntagsrede zu halten, verdankt er dem Bundesprogramm "Perspektive 50plus". Das kann zwar nicht jedem älteren Langzeitarbeitslosen helfen. Aber immerhin haben seit Oktober 2005 knapp 42 000 von ihnen über diese "Beschäftigungspakte für Ältere" einen Arbeitsplatz gefunden - auch weil die Jobcenter in den Arbeitsagenturen inzwischen ungewöhnliche Wege einschlagen, um über 50-Jährige zu vermitteln.

Die Angst nehmen

Nach Angaben von Scholz sind etwa 800 000 Menschen im Alter von über 50 Jahren offiziell als erwerbslos registriert. Viele von ihnen haben mehrere Handicaps, die einen Wiedereintritt ins Berufsleben erschweren: "Etwa 60 Prozent leiden unter gesundheitlichen Problemen", sagt Dieter Schulze, Koordinator des Beschäftigungspakts "Joboffensive 50plus" für fünf Jobcenter in Nordrhein-Westfalen. Etwa ein Drittel dieser Langzeitarbeitslosen sei schon seit drei oder vier Jahren ohne Stelle. Vielen fehle deshalb das Selbstbewusstsein. "Sie haben Angst, einen Arbeitsplatz anzutreten", weil sie nicht wüssten, was auf sie zukomme und ob sie die Arbeit überhaupt schafften, berichtet Schulze. Ein weiteres Problem: Der überwiegende Teil hat kein eigenes Auto, keinen Führerschein oder keine Fahrpraxis mehr. Einen neuen Job zu ergattern, kann dann schon am Weg zur Arbeit scheitern.

Genau hier setzt "Perspektive 50plus" an: In den 237 Arbeitsgemeinschaften und bei den Kommunen, die an dem Programm beteiligt sind, versuchen die Vermittler, die Beschäftigungschancen der über 50-Jährigen systematisch zu erhöhen. So gibt es zum Beispiel Geld zum Erwerb eines Führerscheins, ein Training, um die Fahrsicherheit zu verbessern und sogar Schulungen, um sich mit dem Tarifsystem im öffentlichen Nahverkehr zurechtzufinden.

Männer und ihre Gesundheit

Die Arbeitslosen sollen aber auch lernen, sich mehr um ihre Gesundheit zu kümmern. Angeboten werden deshalb Gesundheitschecks. Gesundheitsmanager erstellen Pläne, um die körperliche und geistige Fitness zu verbessern. Vor allem Männer "geben ihre Gesundheit beim Arzt ab und sagen, der ist dafür verantwortlich", erzählt der nordrhein-westfälische Koordinator Schulze.

Was konkret in den Jobcentern angeboten wird, hängt von den Bedürfnissen in der jeweiligen Region ab. "Es gibt kein Schema, über das alle gebügelt werden müssen", sagt der Arbeitsminister.

Derzeit unterstützen 62 regionale Beschäftigungspakte das Programm "Perspektive 50plus". Darin können sich zum Beispiel Unternehmen, Kammern, Verbände, Sportvereine, Krankenkassen, Bildungsträger und weitere Akteure des regionalen Arbeitsmarktes zusammengeschlossen haben. Bislang läuft das Programm noch nicht bundesweit. Dies soll sich aber in den nächsten zwei Jahren ändern. Das ehrgeizige Ziel des Ministers: Bis Ende 2010 sollen die Vermittler in den Jobcentern etwa 200 000 ältere Langzeitarbeitslose ansprechen und für einen Job fitmachen. 50 000 sollen so eine Stelle bekommen.

Nach Angaben von Scholz profitierten allein im vergangenen Jahr knapp 74 000 Langzeitarbeitslose von dem Programm "Perspektive 50plus". Fast 19 400 fanden einen Arbeitsplatz, die meisten waren sozialversicherungspflichtige Vollzeitjobs. Im vergangenen Jahr stellte der Bund dafür 90 Millionen Euro zur Verfügung.

Für 2009 stockte Scholz die Mittel auf 130 Millionen Euro auf. Nun sollen die Jobcenter 86 000 Langzeitarbeitslose ansprechen und 26 000 von ihnen bei einem Unternehmen fest unterbringen. "Wir wollen erfolgreicher sein als im letzten Jahr", sagt Scholz. Er weiß aber auch, dass dies davon abhängt, "dass es Engagierte gibt, die die Initiative unterstützen". Dem Arbeitsminister jedenfalls scheint es wirklich wichtig zu sein, "dass wir niemanden aufgeben".

Seit Oktober 2005 haben bereits 42 000 Arbeitslose, die älter als 50 Jahre sind, über das Programm der Bundesregierung Arbeit gefunden. Foto: ddp

Weise, Frank-Jürgen: Zitate Scholz, Olaf Langzeitarbeitslose in Deutschland Initiative 50 plus SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Der Kreml sagt Njet

Investor Oleg Deripaska plant einen neuen Bergbaukonzern

Die Krise bringt zusammen, was lange nicht zusammengehören wollte. Zumindest hätte Oleg Deripaska das gern. Russlands lange Zeit reichster Mann, der in den vergangenen Monaten sein Vermögen schrumpfen sah, möchte sich ausgerechnet mit seinem einstigen Erzrivalen zusammentun: Wladimir Potanin. Beide wollen, so melden russische Medien, gemeinsam einen riesigen Bergbaukonzern gründen, an dem sich auch der Staat beteiligen soll. Die Rohstoffpreise sind abgestürzt, Deripaska, Chef der Basic-Element-Gruppe, hat Milliarden verloren und ist knapp bei Kasse. Wie so viele hat er seine Einkaufstour durch die Welt mit Aktien finanziert, auch seinen 25-Prozent-Anteil am weltgrößten Nickel-Konzern Norilsk Nickel bezahlte er so. Aber die Kurse haben sich mehr als halbiert, Deripaska musste sich bereits an eine staatliche Bank wenden, um seine Nickel-Anteile halten zu können. Nachdem er mit Wladimir Potanin, der ebenfalls Anteile an Norilsk Nickel hält, ein halbes Jahr lang um die Besetzung des Aufsichtsrates gestritten und das Geschäft so gut wie lahmgelegt hatte, legten die beiden im Herbst unter dem Eindruck der Krise ihren Streit bei.

Und nun noch dies: Der neue Konzern, den eine Sprecherin bereits in einer Liga mit Giganten wie BHP Billiton sieht, soll einen Marktwert zwischen 70 und 100 Milliarden Dollar haben und neben Norilsk Nickel auch andere Unternehmen anlocken: Roman Abramowitschs Evraz-Gruppe, Alischer Usmanows Metalloinvest und den Bergbaukonzern Mechel. Vor allem aber soll er Schulden in Aktien umwandeln, denn auch Norilsk Nickel ist milliardenschwer verschuldet. Die Hoffnung der Investoren ist, dass der Staat eine Sperrminorität von 25 Prozent plus einer Aktie erwirbt und zudem seinen 60-Prozent-Anteil am weltweit größten Titanhersteller VSMPO-Avisma auf die neue Gruppe überträgt. Eine Liste mit den Wunschkandidaten habe man bereits am Montag Vizepremier Igor Setschin vorgelegt, hieß es. Bislang ohne Reaktion.

Die Krise hat den ohnehin hohen Staatsanteil in der Wirtschaft weiter gesteigert, gerade in Schlüsselbereichen wie der Rohstoffindustrie. Der Verfall der Rohstoffpreise hat das Land schwer getroffen. Am Montag beauftragte Premierminister Wladimir Putin Finanzminister Alexej Kudrin, einen neuen Haushaltsplan aufzustellen. Bislang ging Kudrin von einem Ölpreis von 90 Dollar pro Barrel aus, nun muss er mit 41 Dollar pro Barrel rechnen. Etwa die Hälfte des laufenden Staatshaushaltes von knapp 250 Milliarden Euro speist sich aus Energieexporten. Bislang kann Russland die Ausfälle durch einen milliardenschweren Stabilitätsfonds ausgleichen. Nach Jahren des Wachstums von zuletzt sieben Prozent geht Kudrin aber für 2009 von null bis zwei Prozent aus.

Dennoch ist die Reaktion des Kreml auf Deripaskas Ambitionen bislang verhalten. Arkadij Dworkowitsch, ein Wirtschaftsberater des Präsidenten, sagte in einem Interview mit der Financial Times, er bezweifle, dass eine solche Fusion tatsächlich Gestalt annehme: "Ich glaube nicht, dass die Kooperation genügend Vorteile bietet." Sonja Zekri

Oleg Deripaska Foto: Reuters

Deripaska, Oleg Wladimirowitsch: Vermögensverhältnisse SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Toyoda lenkt Toyota

Akio Toyoda soll als neuer Präsident den japanischen Autobauer Toyota aus der Krise führen. Das Unternehmen bestätigte nun offiziell, dass der Enkel des Firmengründers im Juni als Präsident die Leitung des Konzerns übernehmen wird. Er löst damit Katsuaki Watanabe ab, der in den Aufsichtsrat wechselt. Die Ernennung des 52-jährigen Toyoda war schon erwartet worden. Sie muss noch von der Aktionärsversammlung bestätigt werden. Es ist das erste Mal seit 14 Jahren, dass wieder ein Mitglied der Familie Toyoda das Unternehmen führt. Die von den USA ausgelöste weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise macht auch Toyota zu schaffen. Vor allem im wichtigen Markt Nordamerika brach die Nachfrage im vergangenen Jahr ein. Die Zeitung Yomiuri berichtete am Dienstag, um Kosten zu sparen, wolle Toyota im Laufe des Jahres in Japan komplett auf Zeitarbeiter verzichten. AP

Akio Toyoda Foto: AP

Watanabe, Katsuaki: Karriere Toyoda, Akio: Karriere Toyota Motor Corp.: Management Toyota Motor Corp.: Vorstand SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Karriere bei Bertelsmann

Der Vorsitzende der Geschäftsführung bei der Bertelsmann-Tochter Mohn Media, Markus Schmedtmann, wechselt in den Vorstand der Bertelsmann-Druck- und Dienstleistungssparte Arvato. Schmedtmann werde künftig für die Druck-Aktivitäten in Deutschland und Osteuropa zuständig sein, teilte das Unternehmen mit. Der 38-Jährige, der seit 1991 bei Bertelsmann ist, wird damit Nachfolger von Markus Dohle, der im vergangenen Jahr als Vorstandschef zur Buchverlagssparte Random House nach New York wechselte. dpa

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Ein Deutscher für Norsk Hydro

Norsk Hydro, der größte europäische Aluminiumkonzern, erweitert den Konzernvorstand um zwei Mitglieder. Mit dem Deutschen Oliver Bell rückt erstmals ein Ausländer in den Holding-Vorstand des norwegischen Konzerns auf. Die nderungen treten am 30. März in Kraft, wenn Svein Richard Brandtzaeg das Amt des Vorstandschef von Eivind Reiten übernimmt. Die Geschäftsfelder Aluminium Metal und Aliminum Products werden unterteilt. Bell wird für die Walzwerke des Konzerns verantwortlich sein, der in Deutschland mit 6500 Mitarbeitern 2,7 Milliarden Euro umsetzt. hwb

Norsk Hydro A/S: Vorstand SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Amtseinführung des neuen US-Präsidenten

Millionen bejubeln Obama

"Wir müssen den Staub abschütteln und damit anfangen, Amerika zu erneuern"

Von Jörg Häntzschel

In der ganzen Welt haben Millionen Menschen am Dienstag den Amtsantritt von Barack Obama bejubelt, der als erster schwarzer Präsident der Vereinigten Staaten gegen 12 Uhr mittags Ortszeit vereidigt werden sollte. Vor dem Kapitol in Washington und auf dem Weg zum Weißen Haus drängten sich trotz kalten Winterwetters und strenger Sicherheitsmaßnahmen schon am frühen Morgen Hunderttausende euphorische Menschen auf der National Mall, um Obama und den zukünftigen Vizepräsidenten Joe Biden zu sehen.

Amerika stehe vor ernsthaften Herausforderungen, sagte Obama nach der Vereidigung laut dem vorab verbreiteten Manuskript seiner Rede. Doch er verspreche seinen Landsleuten: "Wir werden sie meistern." Die USA blieben das wohlhabendste und mächtigste Land der Erde. "Mit dem heutigen Tag müssen wir uns aufrichten, den Staub abschütteln und damit anfangen, Amerika zu erneuern." Mit Hoffnung und Tugend sollten die Amerikaner der kalten Gegenwart entgegentreten und allen Stürmen standhalten, die noch vor ihnen liegen würden.

Die gemischte Herkunft der Amerikaner sei eine Stärke, keine Schwäche, sagte Obama weiter. "Wir sind eine Nation von Christen, Muslimen, Juden, Hindus und Atheisten. Jede Sprache und Kultur hat uns beeinflusst." An die islamische Welt gerichtet, sagte Obama: "Wir wollen einen Neuanfang, auf der Grundlage gemeinsamer Interessen und wechselseitigen Respekts." Über die Pläne eines Abzugs aus dem Irak sagte der neue Präsident: "Wir werden den Irak verantwortungsvoll den Irakern überlassen." Weiter kündigte Obama an, sich intensiv um einen Frieden in Afghanistan zu bemühen.

Die Ansprache des neuen Präsidenten, der sich bei der Wahl im November mit dem Versprechen auf einen weitreichenden politischen und weltanschaulichen Kurswechsel gegen seinen republikanischen Konkurrenten John McCain durchgesetzt hatte, war mit besonderer Spannung erwartet worden.

Bei den Feierlichkeiten wurde mit zwei Millionen Zuschauern gerechnet, der größten Menschenmenge, die in der US-Hauptstadt jemals zusammengekommen ist. Überall in den USA, aber auch weltweit, versammelten sich Menschen vor Großleinwänden und bei privaten Partys, um die Amtseinführung des 44. Präsidenten mitzuerleben.

Am Morgen trafen sich Obama und seine Frau Michelle mit George W. Bush und Noch-First-Lady Laura im Weißen Haus zu einem Frühstück. Mit der Vereidigung von Barack Hussein Obama - er bestand auf der vollen Nennung seines zweiten Vornamens - geht die achtjährige Präsidentschaft Bushs zu Ende, der laut offiziellem Programm nach der Vereidigungszeremonie in einem Hubschrauber Washington verlassen wollte. Bush scheidet als einer der sowohl in den Vereinigten Staaten als auch weltweit unpopulärsten Präsidenten der amerikanischen Geschichte aus dem Amt.

Bevor erst Biden, dann Obama selbst den Amtseid ablegen wollten, standen eine Fürbitte des konservativen Pastors Rick Warren, ein Auftritt der Sängerin Aretha Franklin und ein Kammermusik-Stück auf dem Programm, bei dem unter anderem der Cellist Yo-Yo-Ma und der Violinist Itzhak Perlman spielen sollten. Es sollten die Verabschiedung des scheidenden Präsidenten, ein Essen und schließlich die feierliche Parade zum Weißen Haus folgen.

Von den düsteren wirtschaftlichen Aussichten war unter den Besuchern in Washington nichts zu spüren. Sie waren gekommen, um die Ankunft des 47-jährigen Präsidenten und das Ende der Bush-Jahre zu feiern, in denen Millionen Amerikanern ihr eigenes Land fremd geworden war. Für viele Schwarze stellt Obamas Amtseinführung einen späten und ungeahnten Triumph der Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre dar. "Heute ist der wichtigste Tag meines Lebens", sagten viele Menschen im Publikum.

Die Feiern standen unter dem Motto "Eine neue Geburt der Freiheit", einem Zitat aus der Gettysburg-Rede von Abraham Lincoln, dessen Geburtstag sich am 12. Februar zum 200. Mal jähren wird. Lincoln erinnerte in dieser während des Bürgerkriegs gehaltenen Rede seine Landsleute daran, dass sie nicht nur für die Einigkeit des Landes kämpften, sondern für eine "neue Geburt der Freiheit", die gleiche Rechte für alle Menschen bringen werde. Die Senatorin Dianne Feinstein, die für die Auswahl dieses Mottos mitverantwortlich war, erklärte, Lincolns Worte seien besonders passend, um die Amtseinführung des ersten afro-amerikanischen US-Präsidenten zu feiern.

Die Vereidigung war der Höhepunkt eines Marathons von Feiern, Gottesdiensten und Parties, zu der neben Hunderttausenden von Bürgern ein großer Teil des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Establishments Amerikas in die Hauptstadt gekommen war. Das Programm begann am Sonntag mit einem öffentlichen Konzert am Lincoln Memorial.

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Michelle und Barack Obama verlassen Blair House, das Gästehaus der amerikanischen Regierung. Zusammen mit dem künftigen Vizepräsidentenpaar Jill und Joe Biden besuchten sie einen Gottesdienst in der St.-Johns-Kirche. Anschließend trafen sich die beiden Paare bei den Bushs im Weißen Haus zum traditionellen Kaffeetrinken. Erst dann begann die Vereidigungszeremonie am Kapitol. Foto: AFP

Obama, Barack: Reden Obama, Barack: Zitate Feierlichkeiten zur Amtseinführung von Barack Obama SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Ein weiblicher Computerfreak

Padmasree Warrior, Technikchefin von Cisco, könnte bald Technologiebeauftragte der neuen US-Regierung werden

Frauen sind in der Informationstechnologiebranche noch immer in der Minderheit. Die Quote weiblicher Angestellter liegt bei weniger als 20 Prozent. In die Position, in die es Padmasree Warrior geschafft hat, kommen noch weniger: Nur fünf Prozent aller Technikverantwortlichen im Vorstand sind Frauen. Warum das so ist? "Die Frage berührt mich leidenschaftlich", sagt die Technikchefin des weltweit größten Netzwerkausrüsters Cisco. Noch immer gelinge es in den Schulen nicht, Mädchen für Mathematik und Naturwissenschaften zu begeistern. "Authentisch sein", das könne sie Frauen als Rat mitgeben. Und: "Nicht versuchen, wie ein Mann zu wirken". So hat die 48-Jährige Karriere gemacht - vielleicht bald auch in Washington.

Nach US-Medienberichten ist Warrior in der engeren Auswahl für den Posten des obersten Technikverantwortlichen (CTO, Chief Technology Officer) der Vereinigten Staaten. In dieser Position - vergleichbar dem IT-Beauftragten der Bundesregierung - würde Warrior sich um die Informationstechnologie-Schwerpunkte der US-Regierung kümmern. Im Rennen um den Posten ist auch Vivek Kundra, ebenfalls gebürtige Inderin und Technikbeauftragte der Stadt Washington DC.

Das Interesse an Technik hat Warrior schon im Elternhaus mitbekommen. Ihre Mutter studierte Mathematik, ihr Vater war Wissenschaftler. Mit 17 Jahren verließ sie ihr Zuhause, studierte am Indian Institute of Technology in Delhi, und ging Anfang der 80er Jahre "mit 100 Dollar und einem Einweg-Ticket", wie sie sagt, in die USA, um zu promovieren. Daraus wurde nichts, denn ein Job beim Handyhersteller Motorola kam dazwischen. 1984 startete sie dort in einer Niederlassung in Arizona - 23 Jahre später verließ sie den Konzern als CTO mit Verantwortung für zuletzt 26 000 Mitarbeiter und einem Entwicklungsbudget von 3,7 Milliarden Dollar.

Seither arbeitet sie für Cisco - dem Konzern, der weg will vom Ruf, Klempner des Internets zu sein. Cisco verdient Geld mit dem Aufbau von Rechner- und Telefonnetzen. In fünf Jahren aber, sagt Warrior, sei Cisco eine Firma, "die Kommunikationserlebnisse liefert. Von Mensch zu Mensch. Von Gerät zu Gerät. Über Grenzen hinweg."

Solche Visionen für die Strategie des nordamerikanischen Unternehmens zu entwickeln, gehört zu ihren Aufgaben. Als "Geek" beschreibt sie sich selbst, als Computerfreak also. Doch stets modisch gekleidet, scheint nichts ferner zu liegen als das Bild des Stubenhockers, der nur vor dem Rechner sitzt. "Mich interessiert nicht Technologie an sich", sagt sie. "Ich finde spannend, was man damit machen kann, und wie es ändert, was uns als Menschen interessiert." Zu beobachten, was ihr 15-jähriger Sohn mit seinem Computer anstelle, inspiriere sie.

Dabei müsse sie selbst gar nicht stets die richtigen Antworten parat haben. Viel wichtiger sei es, die richtigen Fragen zu stellen, erklärt Warrior. "Ich verlasse mich auf clevere Leute", sagt sie weiter. Diesem Umstand habe sie ihren Aufstieg in eine Vorstandsposition zu verdanken. "Das ist ein Nugget, den ich stets bei mir trage." Thorsten Riedl

"Nicht versuchen, wie ein Mann zu wirken" lautet ein Karriere-Tipp von Padmasree Warrior. Foto: Bloomberg

Warrior, Padmasree: Karriere SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Europa driftet auseinander

Bewährungsprobe für die Währungsunion: Die Volkswirtschaften entwickeln sich gegensätzlich. Süd-Länder müssen deutlich höhere Zinsen zahlen als der Norden

Von Cerstin Gammelin, Alexander Hagelüken und Markus Zydra

Brüssel/München - Spät tritt Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) an diesem Dienstag nach den Beratungen mit seinen europäischen Kollegen vor die Presse. Blass und müde sieht er aus, als er die dramatisch schlechte Prognose von EU-Wirtschaftskommissar Joaquin Almunia bestätigt: Ja, Deutschlands Wirtschaftsleistung werde dieses Jahr um 2,25 Prozent sinken. Damit gehöre die Bundesrepublik zu den Schlusslichtern in Europa, aber das sei im Moment gar nicht das große Problem. Es sind die Staaten in Südeuropa, "die uns gewisse Sorgen machen", und es ist Irland, "das uns sehr große Sorgen macht". Die Volkswirtschaften in den Euroländern entwickeln sich völlig auseinander - zehn Jahre nach ihrem Start steht die Währungsunion und damit die gemeinsame Währung vor einer großen Bewährungsprobe.

Denn angesichts all der milliardenschweren staatlichen Rettungspakete für Banken und Konjunktur, mit denen die Regierungen in ganz Europa die Auswirkungen der Krise mildern wollen, steigt auch die Neuverschuldung in nie gekannte Höhen. Jetzt müsse dringend "an einem Fahrplan zum Schuldenabbau" gearbeitet werden, fordert Steinbrück zwar - aber selbst dieser Satz hört sich beinahe mutlos an. Tatsächlich spüren die Eurostaaten die Eskalation der Finanzkrise seit der Lehman-Pleite Mitte September ganz unterschiedlich. Irland, Griechenland, Spanien oder Italien müssen deutlich höhere Zinsen zahlen als Deutschland, um ihre Staatsanleihen an Käufer loszuwerden (siehe Grafik).

"Damit signalisieren die Finanzmärkte, dass sie einen Staatsbankrott Italiens für wahrscheinlicher halten, auch wenn eine Pleite nur eine theoretische Möglichkeit ist", sagt Gernot Griebling, Anleihen-Experte der Landesbank LBBW. Weil den Südstaaten weniger zugetraut wird, dass sie ihre Schulden auch wirklich begleichen, müssen sie mehr zahlen. Der Trend, dass die Süd-Staaten Risikozuschläge auf Staatsanleihen entrichten, habe sich in den vergangenen Monaten verschärft, so Steinbrück. "Ich glaube nicht, dass er gestoppt ist". Die Zinsdifferenzen führen zu schweren politischen Spannungen. Bereits im Dezember brachte der Sprecher der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, im Auftrag von einigen EU-Staaten die Aufnahme von Euro-Anleihen ins Gespräch. Einige Regierungen im Süden forderten auch direkte Hilfe. Um ihre Kreditkosten zu senken, wollten beispielsweise die Italiener gemeinsam mit Deutschland Anleihen auflegen - und so von der höheren Kreditwürdigkeit der Bundesrepublik profitieren.

Finanzminister Steinbrück erteilte sowohl Juncker als auch dem Vorstoß des italienischen Finanzministers Giulio Tremonti eine klare Absage. Deutschland würde damit seine Kreditwürdigkeit um "einhundert Basispunkte verschlechtern", was angesichts der geplanten Bruttokreditaufnahme von 320 Milliarden Euro ungefähr drei Milliarden Euro entspreche. Steinbrück: "Das kann und will ich keinem deutschen Steuerzahler zumuten". Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sekundiert: "Das wäre ein Bruch der Verträge zur Währungsunion, weil Staaten nicht aus ihren selbst verursachten Schwierigkeiten geholt werden sollen." Steinbrück führt die Schere bei den Zinssätzen auf die "divergente Entwicklung der Volkswirtschaften zurück". Ein interner Bericht der Europäischen Kommission, der Ende Januar veröffentlicht werden soll, spricht Klartext: Die wirtschaftliche Leistung einzelner Euro-Länder geht immer weiter auseinander. Dem Bericht der Kommission zufolge sind vor allem verschleppte Reformen auf dem Arbeitsmarkt und in den Unternehmen daran schuld, dass die Wettbewerbsfähigkeit teilweise dramatisch gesunken ist.

Während die Bundesrepublik durch drastische Reformen und Zurückhaltung bei den Löhnen global wettbewerbsfähiger geworden ist, fällt es Spanien oder Griechenland immer schwerer, sich international zu behaupten. Ein Grund: "In den vergangenen Jahren sind die Löhne stärker gestiegen, als es die Produktivität rechtfertigen würde", sagt Friedrich Heinemann vom ZEW. Die Süd-Staaten produzieren zu teuer und können ihre Waren deshalb schlechter exportieren. Selbst bei großen Flächenstaaten wie Italien und Frankreich kommt ein weiteres Problem dazu, so die EU-Kommission: Zu geringe Investitionen in Forschung und Entwicklung und zu wenig moderne Industriestrukturen.

Beides zusammen - zu hohe Löhne und zu schlechte Produkte - führt dazu, dass die Problemstaaten weit mehr importieren als exportieren. Das reißt ein Loch in die Leistungsbilanz und reduziert die Kreditwürdigkeit der betroffenen Länder. Früher hätten sich Italien oder andere damit beholfen, ihre nationale Währung abzuwerten - mit dem Nachteil, dass sie dadurch Inflation importieren. Kein Wunder, dass auch jetzt die Forderung ertönt, den Euro durch massive Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank abzuwerten. Doch daran kann die Bundesrepublik kein Interesse haben, weil daraus andere Probleme folgen. Die EU-Kommission und Wissenschaftler raten den betroffenen Süd-Staaten vielmehr, selber für eine höhere Wettbewerbsfähigkeit zu sorgen - durch Lohnzurückhaltung und Reformen. Aber diese Botschaft kommt bei vielen Regierungen nicht gut an.

Wirtschaftslage in der EU Folgen der Finanzkrise in der EU SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Nachhaltig ist nur der Absturz

Spaniens gewaltiges Wirtschaftswachstum war buchstäblich auf Sand gebaut. Die EU prognostiziert fast 19 Prozent Arbeitslosigkeit

Von Javier Caceres

Madrid - Es gab eine Zeit, sie liegt nicht allzu lange zurück, da war die Welt für den spanischen Immobilienunternehmer Luis Portillo, 46, noch sehr in Ordnung, und jedwedes Problem war rasch gelöst. Sogar Probleme pädagogischer Natur. Über den Bildungsweg seiner Tochter an einem Privatinstitut in Sevilla hatte es leidige Diskussionen mit dem Schulleiter gegeben, deren sich Portillo auf seine Weise zu entledigen wusste: Er erwarb die Aktien der Bildungsanstalt, ersetzte den Direktor und ein paar weitere Quälgeister aus dem Kollegium, und fortan war Ruhe. Einem Hoteldirektor soll er einmal ebenfalls mit dem Kauf des Hauses gedroht haben.

Doch die Zeiten, da Portillo von Wirtschaftsmedien als Spaniens "König Midas" gefeiert wurde, der alles in Gold verwandelte, was er berührte, sind vorbei. Sein Name schmückte die Forbes-Liste der Reichsten der Welt, er konnte sich den Kampf um Beteiligungen an Spaniens Großbanken leisten. Seit Spaniens Boom vorüber ist, kämpft die Immobiliengruppe Colonial, einst Portillos wichtigstes Unternehmen, verzweifelt gegen die drohende Insolvenz an. Der Immobilienmarkt ist nahezu paralysiert.

Monokultur gepflegt

Spaniens Wirtschaft wird in ihren Grundfesten erschüttert. Das Land durchlebt nach Jahren eines kometenhaften Aufstiegs einen ebenso rasanten Abschwung, der durch die Weltwirtschaftskrise noch einmal potenziert wird. Die hausgemachten Probleme sind groß genug. Trotz aller Versuche, die Wirtschaftsleistung in verschiedene Branchen zu diversifizieren, hat sich das Land nie aus der Zwangsjacke der Monokultur Immobilien befreien können: Bis zu 18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sind direkt von der Bauindustrie abhängig; zählt man Zulieferer hinzu, liegt der Anteil an der Wirtschaftsleistung bei 30 Prozent. Mehr als die Hälfte aller Unternehmen, die im vergangenen Jahr Insolvenzanträge stellten, sind mit der Baubranche verbandelt. Das eigene Heim war für den Spanier stets der höchste materielle Wert, dazu kam der Hunger der Touristen nach Hotels und Chalets an der sonnigen Küste.

Mittlerweile räumt auch die sozialistische Regierung von Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero ein, dass die größten Pessimisten wohl recht behalten werden. Die Wirtschaft werde 2009 um 1,6 Prozent schrumpfen, die Industrieproduktion weiter fallen, das Staatsdefizit auf nahezu sechs Prozent hochschnellen, die Arbeitslosenquote wird ebenfalls rasant wachsen. "Sozialistischer Neorealismus", spöttelte die sonst sehr regierungsnahe Zeitung El País. Noch vor wenigen Wochen hatte die Regierung mit weit besseren Zahlen hantiert. Der Etat für 2009 wurde auf der Grundlage eines voraussichtlichen Wachstums von 1,0 Prozent berechnet. Die Europäische Kommission sieht noch schlimmere Zeiten heraufziehen. Sie prognostiziert einen Einbruch der Wirtschaft um 2,0 Prozent und eine Arbeitslosenquote von 18,7 Prozent im Jahr 2010.

Mehr als 80 Maßnahmen zur Konjunkturbelebung hat Spaniens Regierung aufgelegt, insbesondere in öffentliche Bauten soll investiert werden. Doch es kann dauern, bis die Effekte dieser Programme spürbar werden. Und sie haben ihren Preis. Am Montag dimmte die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) die bislang exzellente Kreditwürdigkeit Spaniens herunter. Die langfristigen Staatsschulden werden nur noch mit der Note "AA+" beurteilt, nicht mehr mit "AAA". "Der Abschwung in Spanien könnte länger als in anderen Ländern der Eurozone dauern", begründete S&P-Analyst Trevor Cullinan den Schritt. Die Konjunkturaussichten seien deprimierend, das Staatsdefizit steige. Für Land und Leute ist das ein Drama. Spanien ist stark kreditabhängig, das Außenhandelsdefizit liegt bei zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts, und die Mehrzahl der Spanier hat sich als Häuslebauer verschuldet - zu variablen Zinssätzen, auf Jahrzehnte hinaus.

Wie sehr die Wirtschaft stottert, bekommen vor allem Immobilienunternehmer vom Schlage Portillos zu spüren. Der in den Jahren des Booms von Banken, Promotern und Medien genährte Irrglaube, wonach die Preise von Immobilien niemals fallen, sondern stets steigen, ist mittlerweile sattsam dementiert. Nach Angaben des Nationalen Statistik-Instituts sind die Preise für Wohnungen im vergangenen Jahr erstmals seit dreizehn Jahren gesunken, um durchschnittlich 3,2 Prozent. Branchenkenner wissen freilich: Zurzeit wird fast nur noch dann Wohnraum veräußert, wenn die Verkäufer Abschläge von bis zu 30 Prozent hinnehmen. Was nicht heißt, dass das Wohnen in Spanien billig geworden wäre. Einen funktionierenden Mietmarkt gibt es so gut wie gar nicht.

Schon Ende 2009, so meint die Regierung, werde Spanien erste Anzeichen für einen signifikanten Aufschwung erleben. Zurzeit jedoch fehlt vielen Spaniern der Glaube. Ein so exorbitant dynamischer Wachstumsmotor wie die Bauindustrie, die in Zeiten billigen Geldes bis zu 800 000 Wohnungen im Jahr erstellte, ist nicht von heute auf morgen zu ersetzen. Nachhaltig war wenig, was in den letzten Jahren entstand. Die Krise wird es bestimmt sein. Spanien stellt sich auf harte Zeiten ein. Und dürfte ein Wachstum wie jenes, das Señor Portillo einst reich machte, so bald nicht wiedersehen.

Wirtschaftslage in Spanien Arbeitsmarkt in Spanien SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Der ewige Pleitekandidat

Seit drei Jahrzehnten steht Chrysler am Rande des Ruins

Der amerikanische Autohersteller Chrysler hat von den drei großen Branchenvertretern der USA die wohl bewegteste Geschichte. Das 1925 gegründete Unternehmen machte in den vergangenen Jahrzehnten vor allem durch seine Krisen und durch seine wechselnden Großaktionäre auf sich aufmerksam. Derzeit steht der kleinste der großen Drei in Detroit wieder einmal am Rande des Ruins, und der europäische Fiat-Konzern will sich mit 35 Prozent an Chrysler beteiligen. Das wurde am Dienstag von beiden Seiten bestätigt.

Von Chrysler gibt es im Moment nicht viele Zahlen. Das Unternehmen gehört seit 2007 zu der Finanzgesellschaft Cerberus, ist nicht mehr an der Börse notiert und muss keine Bilanzen mehr veröffentlichen. Doch einige Zahlen über Chrysler sind bekannt. Zum Beispiel der Absatz. Allein im Dezember brach dem Unternehmen, das praktisch nur in Nordamerika vertreten ist, die Hälfte des Umsatzes weg. Im gesamten Jahr 2008 lag der Absatz mit gut zwei Millionen Fahrzeugen um 30 Prozent unter dem Vorjahr. So schlimm geriet keiner der beiden Konkurrenten General Motors und Ford unter die Räder. So kann es nicht verwundern, dass Chrysler neben General Motors die Regierung in Washington um Staatshilfe anrief. Nur mit schnellen vier Milliarden Dollar aus Washington sei die Pleite des Unternehmens noch abzuwenden, war die Botschaft aus der Zeit vor Weihnachten.

Zwei Eigentümer haben sich in den vergangenen zehn Jahren bei Chrysler eine blutige Nase geholt. Im Jahr 1998 kaufte der deutsche Daimler-Konzern den drittgrößten Vertreter der US-Autoindustrie für 36 Milliarden Dollar. Im Jahr 2007 zog er nach nicht endenden Milliardenverlusten die Notbremse und verkaufte die amerikanische Tochter für etwa 7,5 Milliarden Dollar an die Finanzgesellschaft Cerberus. Cerberus holte mit Bob Nardelli, der von der Baumarktkette Home Depot kam, und Jim Press von Toyota die höchstbezahlten Automanager in ihre Neuerwerbung. Die Gesellschaft erkannte jedoch bald, dass sie sich mit diesem Schritt völlig übernommen hatte. Cerberus fühlte sich von Daimler über den Tisch gezogen und verlangte sieben Milliarden Euro zurück.

Nichts scheint zu helfen. Chrysler ist seit Jahren dabei, Fabriken zu schließen und Personal zu entlassen. 2006 hatte das Unternehmen noch 130 000 Beschäftigte. Derzeit sind es bereits weniger als 60 000, aber die Verluste wollen nicht verschwinden. Die Autos des Konzerns, zu dem auch die Marken Dodge und Jeep gehören, finden wenig Anklang - gerade in Zeiten hoher Spritpreise. Lange Zeit war der Chrysler Voyager - ein Familienvan - das Zugpferd des Hauses. Zuletzt war der Chrysler 300 noch einmal ein Erfolg. Alle anderen Modelle wurden von den Kunden gemieden. Der Verkauf war höchstens noch mit hohen Rabatten möglich. Karl-Heinz Büschemann

Chrysler-Chef Bob Nardelli hat endlich für sein Unternehmen einen Partner gefunden. Foto: AP

Chrysler: Krise Chrysler: Liquidität SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Geld vom Präsidenten

Frankreich sagt den Produzenten sechs Milliarden Euro zu

Von Michael Kläsgen

Paris - Etwa 1000 Teilnehmer sind am Dienstag im Pariser Wirtschaftsministerium zu einem mehrtägigen Autogipfel zusammengekommen. Frankreichs Premierminister Francois Fillon versprach der Branche zum Auftakt eine Hilfe von fünf bis sechs Milliarden Euro. Vor wenigen Tagen hatte Renault den eigenen Finanzbedarf auf neun Milliarden Euro beziffert. Konzern-Chef Carlos Ghosn zeigte sich offen für eine Kapitalerhöhung.

Der Staat hält an Renault derzeit 15 Prozent. Christian Streiff, Chef von PSA Peugeot Citroën, sagte, direkte Staatshilfe sei für ihn nur "unter Bedingungen vorstellbar, die weder unsere Kapitalstruktur noch unsere Unabhängigkeit oder Handlungsfreiheit verändern". Der Staat müsse den Herstellern bei der Entwicklung der Hybridtechnik helfen, die Banken zur zinsgünstigen Kreditvergabe verleiten und starke Zulieferer wie in Deutschland schaffen.

Dazu wurde bereits ein 300 Millionen Euro schwerer Zulieferer-Fonds gegründet. Außerdem half der Staat den Finanztöchtern der beiden Hersteller mit jeweils 500 Millionen Euro. Fillon sagte, weitere Hilfe gebe es nur, wenn die Unternehmen keine Produktion ins Ausland verlagerten, keine Werke in Frankreich schlössen - die Überkapazität liegt bei 20 Prozent -, keine Boni an das Management und keine Dividenden an die Aktionäre auszahlten. Ghosn forderte seinerseits von der Regierung die Aussetzung der Gewerbesteuer und ein europäisches Rettungspaket. Im Dezember hatte er das notwendige Volumen eines solchen Pakets mit 40 Milliarden Euro veranschlagt, nationale Rettungsmaßnahmen inbegriffen.

Fillon verlangte ergänzend ein rasches und abgestimmtes Handeln der Staaten und der EU-Kommission. EU-Vizepräsident Günter Verheugen entgegnete, im EU-Budget gebe es keinen Spielraum für Hilfen. Man müsse zudem verhindern, "dass Gewinne in guter Zeit privatisiert und Verluste in schlechter Zeit sozialisiert werden". Von den 300000 mittelständischen Firmen der Branche in Europa sei jedes fünfte gefährdet. "Langfristig wird die Produktion vor allem kleiner Wagen von West- nach Osteuropa wandern", sagte er. Die Ergebnisse des Gipfels will Staatspräsident Nicolas Sarkozy Anfang Februar bekanntgeben.

Autoindustrie in Frankreich Wirtschaftspolitik in Frankreich SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Hochzeit nach schwieriger Scheidung

Die Zusammenarbeit von Fiat und General Motors war kein Erfolg - trotzdem setzen die Italiener auf eine Beteiligung bei Chrysler

Von UIrike Sauer

Rom - Der große Antreiber aus Turin macht mal wieder von sich reden. Erst vor einem Monat rüttelte Fiat-Retter Sergio Marchionne Automanager und Öffentlichkeit mit einer düsteren Prophezeiung wach. Nur sechs Autokonzerne würden weltweit die Wirtschaftskrise überleben, sagte er. Marchionne sprach als Erster offen aus, was vielen in der Branche schwante: Der dramatische Absatzeinbruch in der Autoindustrie bedroht auch europäische Hersteller in ihrer Existenz. Eine Chance hätten nur Unternehmen, "die mehr als 5,5 Millionen Fahrzeuge im Jahr bauen", sagte der Italo-Kanadier nüchtern. Fiat verkauft nicht einmal die Hälfte davon. Um Italiens größtem Autokonzern dennoch eine Existenz zu garantieren, setzt Marchionne nun auf die USA, auf das Epizentrum der Krise. Und ausgerechnet auf Chrysler, den kleinsten und schwächsten der taumelnden US-Hersteller.

Nach dem Weckruf war klar, dass der Fiat-Chef sich nicht von einer Fusionswelle überrollen lassen will. Und es stand zu erwarten, dass Marchionne, zu dessen Lieblingsworten "Lichtgeschwindigkeit" zählt, unter Hochdruck an neuen Allianzen arbeitet. Er warf aber eines seiner wichtigsten Prinzipien über Bord. Denn Fiat übernimmt in Detroit 35 Prozent an der früheren Daimler-Tochter. Dabei hatte Marchionne vor vier Jahren, nach der Trennung von Fiat und General Motors (GM), die Parole "Keine Fusionen" ausgegeben. Die Erfahrungen bei der unerquicklichen Ehe mit GM hatten gelehrt, von komplizierten Zusammenschlüssen und Kapitalverflechtungen Abstand zu nehmen.

Schicksalsjahr 2009

Der umtriebige Manager schloss dafür bis heute mehr als zwanzig Abkommen über die gezielte Zusammenarbeit mit Partnern rund um den Globus ab. Unter dem Eindruck der Krise strebt er nun jedoch engere Kooperationen an, um Fiat vor einer Übernahmewelle in die bestmögliche Position zu bringen. Für den umjubelten Fiat-Lenker geht es darum, die Glanzleistung seiner Saniererkarriere zu retten: die wundersame Auferstehung des abgeschriebenen Turiner Autokonzerns.

Nun schaut Fiat also erneut über den Atlantik. Das Anbandeln mit Chrysler steht freilich unter umgekehrten Vorzeichen wie die fruchtlose Ehe mit General Motors. 2002 hoffte Fiat, durch die Überkreuzbeteiligung und die Gründung von zwei Gemeinschaftsunternehmen mit GM die schwerste Krise der Konzerngeschichte zu überwinden. Die Turiner wurden allerdings bitter enttäuscht. Doch immerhin konnte der 2004 angetretene Marchionne in einem harten Verhandlungspoker eine Auflösung der Verbindung aushandeln und 1,5 Milliarden Euro von General Motors einstecken. Die Trennungsprämie war 2005 die Voraussetzung für das neue Durchstarten von Fiat.

Mit dem Fiat 500, einem Fahrzeug im Retro-Design, gelang dem Konzern 2007 ein Verkaufsschlager. Dennoch könnte 2009 zum Schicksalsjahr werden. Die Weltrezession droht, die Früchte der Turiner Anstrengungen zunichte zu machen. Marchionne stellte daher vor einem Monat klipp und klar fest, dass Fiat einen Partner braucht. Beim fünftgrößten Autokonzern Europas kehren die Beschäftigten in diesen Tagen gerade nach einem Monat Zwangspause an die Arbeit zurück. Weitere Produktionsstopps sind geplant. Branchenexperten zählen Fiat zu den schwächsten Anbietern in Europa. Zu klein und zu stark auf Italien konzentriert sei die Firma, sagen sie.

Zudem kämpfen die italienischen Hersteller - meist Kleinwagenspezialisten - traditionell mit dem Problem geringer Margen, weil sie in der lukrativen Oberklasse wenig zu bieten haben. Marchionne wird am Donnerstag die Ergebnisse für 2008 vorstellen. Analysten erwarten einen Gewinnrückgang: von zwei Milliarden Euro im Vorjahr auf 1,76 Milliarden Euro. Erst vor einer Woche hatte Marchionne jedoch erklärt, dass er die Hoffnung auf ein Erreichen seiner ehrgeizigen Ziele für das kommende Jahr nicht aufgegeben hat. "Tritt bis Ende 2009 eine Rückkehr zur Normalität ein, bestätigen wir unsere Ziele für 2010", sagte er.

Autoindustrie in der Krise: Die Hersteller suchen ihr Heil in Allianzen und Sparprogrammen

Der alte Fiat Cinquecento, wie er bei dem Unternehmen in den fünfziger Jahren vom Band lief: Cinquecento bedeutet "500" - daher nannten die Italiener das Nachfolgemodell, das 2007, genau 50 Jahre nach Start des Cinquecento, auf den Markt kam, Fiat 500. Dieses Fahrzeug im Retrodesign ist ein Verkaufsschlager. Trotzdem leidet der Konzern unter der weltweiten Wirtschaftskrise und sucht sein Heil nun in einer Beteiligung bei Chrysler. Foto: AFP

Fiat Group SpA: Zusammenarbeit Fiat Group SpA: Unternehmensbeteiligung Chrysler: Zusammenarbeit SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Opel-Bürgschaft soll bis Ende März stehen

Frankfurt - Die Bürgschaft über 1,8 Milliarden Euro für den Autohersteller Opel soll nach SZ-Informationen bis Ende März perfekt sein. Ein Firmensprecher wollte dies allerdings nicht kommentieren und sagte: "Es gibt keinen Zeitdruck. Opel ist nach wie vor liquide." Ursprünglich sollte die Bürgschaft, mit der die Tochtergesellschaft des angeschlagenen US-Konzerns General Motors (GM) an Kredite der Europäischen Investitionsbank kommen will, bereits vor Weihnachten beschlossene Sache sein. Im GM-Reich gibt es derzeit Debatten über die Zukunft von Opel und der schwedischen Schwesterfirma Saab. Überlegt wird etwa, die vorgesehene Fertigung des Saab-Modells 9-5, für die Opel den Zuschlag erhalten hat, zu Saab nach Trollhättan zurückzuverlagern. haz.

Frankfurt

- Die Bürgschaft über 1,8 Milliarden Euro für den Autohersteller Opel soll nach SZ-Informationen bis Ende März perfekt sein. Ein Firmensprecher wollte dies allerdings nicht kommentieren und sagte: "Es gibt keinen Zeitdruck. Opel ist nach wie vor liquide." Ursprünglich sollte die Bürgschaft, mit der die Tochtergesellschaft des angeschlagenen US-Konzerns General Motors (GM) an Kredite der Europäischen Investitionsbank kommen will, bereits vor Weihnachten beschlossene Sache sein. Im GM-Reich gibt es derzeit Debatten über die Zukunft von Opel und der schwedischen Schwesterfirma Saab. Überlegt wird etwa, die vorgesehene Fertigung des Saab-Modells 9-5, für die Opel den Zuschlag erhalten hat, zu Saab nach Trollhättan zurückzuverlagern.

Adam Opel AG: Finanzen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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MAN stoppt Fertigung in drei Werken

München - Nach dem Einbruch auf dem Lastwagen-Markt fährt auch der Nutzfahrzeug- und Maschinenbaukonzern MAN seine Produktion zurück und plant Kurzarbeit in mehreren Lkw-Werken. Für die Standorte München, Nürnberg und Salzgitter seien durchschnittlich 42 Schließtage im ersten Halbjahr vereinbart worden, sagte ein Sprecher von MAN Nutzfahrzeuge in München. Hinzu kommt der Abbau von Arbeitszeitkonten und die Nutzung anderer Arbeitszeitmodelle, so dass es der IG Metall zufolge um 70 Tage geht. Betroffen seien 9400 Beschäftigte in Deutschland, sagte der Firmensprecher. Seit Dezember gelte zudem für das Werk im österreichischen Steyr Kurzarbeit. dpa

MAN AG: Arbeitsbedingungen Kurzarbeit in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Zwangsurlaub für jeden Dritten

BMW beantragt Kurzarbeit - vorerst bis Anfang April. Für die konzerneigene Bank wird Staatshilfe geprüft

Von Michael Kuntz

München - Der Autohersteller BMW begegnet der Absatzkrise erstmals mit Kurzarbeit. Das Unternehmen stellte entsprechende Anträge für 26000 Mitarbeiter, das entspricht knapp einem Drittel der Belegschaft im Inland. Betroffen sind in den Werken Dingolfing 15000 Beschäftigte, in Regensburg 8000 und in Landshut 2700. Hinzu kommen 190 Mitarbeiter in der Fabrik für Bremsscheiben in Berlin, teilt BMW mit. Der Konzern will Einkommensverluste so weit ausgleichen, dass das Nettoeinkommen eines nach Tarif bezahlten Mitarbeiters inklusive Kurzarbeitergeld 93 Prozent des bisherigen Niveaus nicht unterschreitet.

In den Monaten Februar und März sollen einzelne Produktionstage oder Schichten ausfallen. Gegenüber den ursprünglichen Planzahlen sollen 38000 Fahrzeuge nicht gebaut werden. Zusammen mit den 65000 Fahrzeugen im vergangenen Jahr streicht BMW damit insgesamt den Bau von 103000 Autos - gemessen am Jahresabsatz wird etwa jeder zwölfte BMW nicht gebaut.

Nach den bisherigen Planungen soll die Fertigung von April an dann wieder in vollem Umfang laufen. "Unsere Produkte sind so attraktiv, da können wir so optimistisch sein", sagt ein Sprecher. Der neue 7er ist bislang erst in Europa erhältlich und dürfte nach der bevorstehenden Markteinführung in USA und China in größeren Stückzahlen gefragt sein. Außerdem bringt BMW mit dem kleinen Geländewagen X1 und dem Sportwagen Z4 neue Autos, die in den Werken produziert werden, in denen jetzt kurzgearbeitet wird.

Bei BMW betont man, dass es sich bei der Kurzarbeit um eine zusätzliche Maßnahme handelt. Dabei wird ein Teil der nicht gearbeiteten Zeit von der Bundesagentur für Arbeit vergütet. Betriebswirtschaftlich ist das anders als bei den bisherigen Maßnahmen, deren Kosten weitgehend vom Unternehmen beziehungsweise seinen Mitarbeitern zu tragen waren. Bisher hat BMW als Folge der schwächeren Nachfrage die Produktion durch Trennung von Leiharbeitern, Urlaub, Angebote für Sabbaticals, Einsatz in anderen Werken und den Abbau von Zeitkonten angepasst.

Die Zeitkonten böten trotz Kurzarbeit auch künftig Spielraum für mögliche Anpassungen. Nach Phasen voller Auslastung waren diese bei vielen Mitarbeitern in der Produktion zu Beginn der Krise gut gefüllt. "Sie sind noch nicht leer", bestätigt ein Sprecher. Erst im vergangenen Jahr hatten Management und Arbeitnehmer vereinbart, den Rahmen der Zeitkonten auf plus beziehungsweise minus 300 Stunden kräftig auszuweiten.

Nicht betroffen von der Kurzarbeit sind die Werke München und Leipzig sowie die Fabriken in den USA und China. Am stärksten trifft es Dingolfing, wo 15000 von 20000 Menschen kurzarbeiten müssen. Dort wird vor allem der 5er BMW gebaut, den es schon seit März 2003 gibt und der daher nicht mehr so gefragt ist wie früher. Das Nachfolgemodell wird erst für 2010 erwartet. In Dingolfing wird auf demselben Fließband auch der 7er montiert, das neue Oberklassen-Auto, das die jetzt fehlenden Stückzahlen des 5er nicht ersetzen kann.

Unabhängig vom Antrag auf Kurzarbeit prüft BMW weiter, ob seine Bank staatliche Hilfe in Anspruch nehmen soll. Dies hatte vor Weihnachten als erste Autobank VW Finance angekündigt.

Folgen im Management

BMW reagiert auf die Krise nicht nur mit Kurzarbeit, sondern auch mit Veränderungen im Management. So wird der Leiter des Vertriebs in Deutschland abgelöst. Philipp von Sahr wird zuständig für die Region Belgien-Luxemburg. Sein Nachfolger für den deutschen Markt wird Karsten Engel, der damit einen der wichtigsten Jobs innerhalb der BMW-Gruppe übernimmt. Erich Papke, bisher zuständig für Polen, wird BMW-Chef in der Schweiz. Der bisherige Landesmanager Dölf Carl hat BMW bereits verlassen.

Der Standort München ist noch nicht von der Kurzarbeit bei BMW betroffen. Im Bild die Motorhaube eines Oldtimers. Foto: AP

BMW AG: Produktion BMW AG: Management BMW AG: Arbeitsbedingungen Kurzarbeit in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Der letzte Kampf bei Conti

Schaeffler drängt Aufsichtsratschef Hubertus von Grünberg massiv zum Rücktritt, um endlich die Kontrolle zu übernehmen

Von Martin Hesse und Uwe Ritzer

Frankfurt/Herzogenaurach - Der Machtkampf zwischen Continental und Schaeffler geht in seine wohl letzte Runde. Monatelang hatten sich der Dax-Konzern aus Hannover und das Familienunternehmen bearbeitet. Mal hinter den Kulissen, mal offen, meist aber nach außen den Schein des guten Willens wahrend. Jetzt aber nimmt Schaeffler, seit Anfang Januar neuer Großaktionär bei Conti, keine Rücksichten mehr: Die Franken fordern den Rücktritt des Continental-Aufsichtsratschefs Hubertus von Grünberg, 66.

"Das Vertrauen zu Herrn von Grünberg ist zerstört, weil er gemeinsame Lösungen sabotiert und eigene Interessen verfolgt", sagte ein Schaeffler-Sprecher. Wenn dieser nicht schnell abtrete oder aber der Aufsichtsrat ihn abberufe, werde Schaeffler sämtliche zehn Sitze der Arbeitgeberseite in dem Kontrollgremium übernehmen, kündigte das Herzogenauracher Familienunternehmen an.

Arbeitnehmer, Kunden, Aktionäre und Banken - sie alle verfolgen seit Monaten staunend die Schlammschlacht der beiden Autozulieferer. Im August hatten sich Conti und Schaeffler darauf geeinigt, dass das Familienunternehmen maximal 49,9 Prozent übernimmt. Vorausgegangen war dem eine verzweifelte Verteidigungsstrategie Continentals, begleitet von fast einem Dutzend Banken. Eine Investorenvereinbarung sollte dann wenigstens sicherstellen, dass die Interessen beider Seiten gewahrt bleiben. Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder sollte die Abmachung überwachen.

Doch bald häuften sich die Probleme auf beiden Seiten: Die Autokrise beeinträchtigte das Geschäft der Zulieferer, die Finanzkrise verschärfte die Probleme, die beide Konzerne mit ihrer enormen Schuldenlast haben. Bald stellte sich heraus, dass Schaeffler sich mit dem Zukauf übernommen hatte, zumal dem Konzern weit mehr Conti-Aktien angedient wurden, als sie eigentlich haben wollte. Die überschüssigen 40 Prozent der Conti-Anteile konnte Schaeffler bei Banken parken - doch bezahlen musste der Familienkonzern 90 Prozent.

Umso dringlicher wird es für Schaeffler, rasch die volle Kontrolle über Conti zu bekommen, um mehr Möglichkeiten zu haben, von den hohen Schulden herunterzukommen. Auf der anderen Seite sah sich Conti durch die Investorenvereinbarung zunehmend in ihren Möglichkeiten eingeengt. Man wollte den neuen Großaktionär auf Distanz halten. Aufsichtsratschef Hubertus von Grünberg - der langjährige Vorstandschef hatte die Übernahme durch Schaeffler zunächst unterstützt - stellte sich schließlich offen gegen Schaeffler. "Es muss zum Showdown kommen, damit klar ist, wer hier das Sagen hat", sagt ein Vertreter der sechs finanzierenden Banken.

Diesen Showdown leitet Schaeffler jetzt ein. Die Franken stellen dem Conti-Aufsichtsrat nun ein Ultimatum. Dieser solle möglichst schnell Platz für vier Vertreter von Schaeffler machen. Geschehe dies nicht freiwillig durch Rücktritte inklusive dem von Grünberg, will man offenkundig eine außerordentliche Hauptversammlung erzwingen. Da Schaeffler de facto 90 Prozent der Anteile kontrolliert, ist klar, dass die Familie dadurch notfalls im Handstreich die Arbeitgeberbank besetzen könnte. Um eine außerordentliche Hauptversammlung einzuberufen, sind fünf Prozent der Stimmrechte nötig. Der Hedgefonds Exchange Investors hatte am Montag ebenfalls den Rücktritt des Aufsichtsrates gefordert. Exchange-Chef Frank Scheunert argumentiert, Aufsichtsrat und Vorstand verhinderten, dass alle Synergien des Zusammenschlusses genutzt würden.

Die IG Metall warnt

Der Gewerkschafter Werner Bischoff, der stellvertretender Aufsichtsratschef bei Continental, hatte Schaeffler zuvor zur Einhaltung der Investorenvereinbarung aufgerufen. Die Vereinbarung sei eine "ideale Grundlage für die Zukunftsgestaltung." Ein Schaeffler-Sprecher widersprach der Darstellung, dass Schaeffler laut Investorenvereinbarung lediglich vier Aufsichtsratsmandate übernehmen dürfe. Tatsächlich schreibt die Vereinbarung nach SZ-Informationen lediglich fest, dass maximal vier Aufsichtsräte Angestellte, Gesellschafter oder Angehörige von Organen des Familienunternehmens sein dürfen. Allerdings stünde es Schaeffler frei, weitere sechs Vertraute in das Kontrollgremium zu senden, die dem Unternehmen nahestehen, ihm aber nicht unmittelbar angehören. Darauf zielt die Drohung offenkundig ab.

Bei den Schaeffler-Banken hofft man nun auf eine schnelle Entscheidung: "Aber wichtig wäre es, dass die Schlüsselfiguren im Conti-Management an Bord bleiben." In Herzogenaurach kennt man offenbar die Wünsche der Banken, gegen deren Willen bei Schaeffler kaum noch etwas gehen dürfte. Ein Sprecher sagte, die Kritik richte sich nicht gegen Conti-Vorstandschef Karl-Thomas Neumann:. "Er ist nach wie vor unser Mann."

Vor dem Abgang? Für den Aufsichtsratsvorsitzenden der Continental AG, Hubertus von Grünberg, wird es langsam eng. Der fränkische Familienkonzern Schaeffler, Großaktionär bei Conti, drängt auf seine Ablösung und hat den Ton am Dienstag deutlich verschärft. Foto: ddp

Grünberg, Hubertus von: Karriere Schaeffler Gruppe Finanzholding: Krise Schaeffler Gruppe Finanzholding: Unternehmensbeteiligungen Continental AG: Aufsichtsrat Continental AG: Unternehmensbeteiligungen Continental AG: Krise Continental AG: Strategie SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Flugzeugverleiher ILFC vor Verkauf

Vier Finanzinvestoren prüfen den Erwerb der AIG-Tochter

Frankfurt - Der Flugzeugleasing-Spezialist International Lease Finance Corporation (ILFC) wird womöglich schon bald an ein Konsortium von Finanzinvestoren verkauft. Nach Medienberichten prüfen mit Carlyle, Kohlberg Kravis Roberts & Co (KKR), TPG und Greenbriar Equity vier Private-Equity-Firmen ein gemeinsames Angebot für ILFC. Auch das derzeitige Management des Leasingunternehmens will sich offenbar an der Transaktion beteiligen. Weder ILFC noch die möglichen Investoren wollten sich zu dem Vorgang äußern.

ILFC ist bislang eine Tochtergesellschaft des Versicherungskonzerns American International Group (AIG). Dieser muss aber zahlreiche Sparten verkaufen, um Staatskredite in Höhe von 130 Milliarden US-Dollar zurückzahlen zu können, mit denen die US-Regierung im vergangenen Jahr einen Zusammenbruch des Konzerns verhindert hatte. ILFC-Chef Steven Udvar-Hazy bezifferte jüngst den Wert seines Unternehmens auf etwa zehn Milliarden Dollar.

Gemeinsam mit der GE-Tochter General Electric Commercial Aviation Services (GECAS) ist ILFC Weltmarktführer im Flugzeugleasing. Das Portfolio umfasst mehr als 1000 Maschinen im Wert von etwa 50 Milliarden Dollar. Operativ stand ILFC zuletzt weiterhin gut da. In den ersten neun Monaten des Jahres 2008 machte das Unternehmen einen Gewinn von 588 Millionen Dollar bei einem Umsatz von 3,8 Milliarden. ILFC ist jedoch darauf angewiesen, Anleihen zu verkaufen oder Kredite abzuschließen, um weitere Flugzeuge finanzieren zu können. Die Finanzkrise und die Unsicherheit über die künftigen Eigner haben dies zuletzt gravierend erschwert. jfl

European Aeronautic Defence and Space Company (EADS) N.V.,: Verkauf ILFC International Lease Finance Corp. SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Glos drängt auf eine Netz-AG

Wirtschaftsminister fordert Konzerne zur Zusammenarbeit auf, RWE und EnBW winken ab

Von Michael Bauchmüller

Berlin - Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) erhöht den Druck auf die deutschen Energiekonzerne, ihre Stromnetze zusammenzulegen. "Ich glaube nicht, dass wir auf mittlere oder längere Sicht um einen gemeinsamen Betrieb der Netze herumkommen", sagte Glos bei der Handelsblatt-Energietagung in Berlin: "Ich appelliere an die großen Netzbetreiber, sich hier konstruktiv zu zeigen." Gespräche zwischen den Betreibern der vier großen Übertragungsnetze gibt es seit Monaten. Bislang konnten sich Eon, RWE, Vattenfall Europe und EnBW aber nicht auf ein gemeinsames Dach einigen. Stattdessen hatten Eon, Vattenfall und EnBW kürzlich eine engere Kooperation bekannt gegeben, um ihre Netze effizienter zu bewirtschaften. Parallel wollen Eon und Vattenfall ihre Stromnetze verkaufen, Vattenfall führt bereits ernsthafte Gespräche. Auch Versuche des Wirtschaftsministeriums, zwischen den vier Konzernen zu vermitteln, schlugen offenbar fehl. Die Aufgabe hatte Infineon-Aufsichtsratschef Max Dietrich Kley übernommen, Ende Januar soll er einen Bericht vorlegen.

Der Essener RWE-Konzern allerdings will von einer "Netz AG" nach wie vor nichts wissen. "Wir sind der Meinung, dass alle Ziele, die die Bundesregierung erreichen will, auch ohne eine solche Netz AG zu erreichen sind", sagte RWE-Chef Jürgen Großmann am Rande der Konferenz. Im Übrigen gelte in Deutschland das Prinzip des Eigentums. In der Vergangenheit hatte RWE mehrfach angeboten, das deutsche Netz zwar aus einer Hand zu steuern - nämlich durch die RWE-Netzwarte bei Köln. Sein Eigentum am RWE-Netz aber wollte das Unternehmen behalten. Stattdessen stärkten die Essener, die sich derzeit um die Übernahme des niederländischen Essent-Konzerns bemühen, die Kooperation mit dem holländischen Netzbetreiber Tennet. Auch der EnBW-Konzern möchte sein Netz gerne behalten. "Wir haben keinen Zwang und also auch keinen Drang, das Netz zu verkaufen", sagte ein EnBW-Sprecher.

Als Reaktion auf den Gasstreit zwischen Russland und Ukraine forderte Glos eine stärkere europäische Zusammenarbeit, etwa bei der Speicherung von Gas. Allerdings müsse jedes Land auch ein "Mindestmaß eigener Vorsorge" treffen. In der jüngsten Krise waren einige osteuropäische Staaten mit Gas aus deutschen Speichern versorgt worden. Auch müsse Deutschland den Atomausstieg rückgängig machen, um weniger abhängig von ausländischem Gas zu sein.

Ein Strommast in Iserlohn: Das Bundeswirtschaftsministerium favorisiert eine einheitliche Netzgesellschaft, bisher allerdings vergeblich. Foto: ddp

Glos, Michael: Zitate Wettbewerb in der deutschen Energiewirtschaft SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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IBM droht EU-Kartellverfahren

London - Dem Computerkonzern IBM droht ein neues Kartellverfahren der Europäischen Kommission. Der Großrechner-Hersteller T3 Technologies wollte noch am Dienstag Beschwerde gegen IBM einlegen, so die Financial Times. IBM habe den Verkauf seines Betriebssystems an den Erwerb der Großrechner gekoppelt und so den Verkauf von Konkurrenzprodukten verhindert und seine Marktposition missbraucht, laute der Vorwurf. IBM habe Patentlizenzen und anderes geistiges Eigentum zurückgehalten und damit den Käufern von Großrechnern in Europa Schaden zugefügt. 2007 hatte die Wettbewerbsaufsicht das IBM-Großrechnergeschäft unter die Lupe genommen, nachdem das Startup-Unternehmen Platform Solutions eine ähnliche Beschwerde eingereicht hatte. Die Untersuchung endete ergebnislos, im Juli 2008 übernahm IBM den Rivalen. dpa

International Business Machines Corp. (IBM): Rechtliches SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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KNAUS TABBERT

Landeskredite

München - Die Länder Bayern und Hessen bürgen für neue Kredite des Caravan-Herstellers Knaus Tabbert. Der Freistaat sichere 80 Prozent eines Darlehens über 28 Millionen Euro ab, wie das bayerische Kabinett entschied. Knaus Tabbert war im Oktober wegen einer Absatzkrise zahlungsunfähig geworden. Zu Jahresbeginn hat der niederländische Firmensanierer HTP Investments das Unternehmen mit Werken in Bayern, Hessen und Ungarn übernommen. Reuters

TIAG Tabbert-Industrie AG: Krise TIAG Tabbert-Industrie AG: Finanzen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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LOGITECH

Massiver Gewinneinbruch

Romanel - Der Computerzubehörkonzern Logitech hat im dritten Quartal 2008/2009 einen massiven Gewinneinbruch erlitten. Der Nettogewinn verringerte sich im Vorjahresvergleich um 70 Prozent auf 40,5 Millionen Dollar, wie der weltweit größte Computermausproduzent in der Schweiz mitteilte. Der Umsatz sank um 16 Prozent auf 627,5 Millionen Dollar. Die Zahlen fielen schlechter aus, als Analysten nach der Gewinnwarnung vom 6. Januar erwartet hatten. AP

MAN AG: Gewinn SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Mehr Wettbewerb bei Brillengläsern

Bonn - Für mehr Wettbewerb beim Brillenkauf will das Bundeskartellamt sorgen. Ein Verwaltungsverfahren befasse sich mit den unverbindlichen Preisempfehlungen, welche die Hersteller von Brillenglas den Optikern an die Hand geben, so die Bonner Wettbewerbsbehörde. Diese Preisempfehlung beinhalte bereits die Handwerksleistung, welche der Betrieb zum Einpassen der Gläser in die Fassung erbringe. Nach dem Willen des Bundeskartellamtes soll es von April an Wettbewerb geben, indem jeder Optiker selbst kalkuliert. Dem Zentralverband der Augenoptiker sei eine Übergangsfrist eingeräumt worden. Parallel ist beim Kartellamt ein Bußgeldverfahren anhängig, bei dem es ebenfalls um Brillengläser geht. Dieses Verfahren behandelt dem Amt zufolge mögliche Preisabsprachen der Brillenglashersteller untereinander. dpa

Optikerhandwerk in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Metaller bangen um die 2,1 Prozent

Die geplante Tariferhöhung wird wohl in vielen Betrieben verschoben

Von Thomas Öchsner

Berlin - Hunderttausende von Mitarbeitern in der Metall- und Elektroindustrie müssen auf die nächste Gehaltserhöhung womöglich länger warten. Wegen der inzwischen dramatisch verschlechterten wirtschaftlichen Situation infolge der weltweiten Wirtschaftskrise werde es notwendig sein, in vielen Betrieben die zweite Stufe der vereinbarten Lohnerhöhung zu verschieben, kündigte Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser am Dienstag in Berlin an.

Dem Tarifabschluss der Branche zufolge sollen die Gehälter der Arbeitnehmer von Mai an um weitere 2,1 Prozent erhöht werden. Betriebe, die im Vergleich zu 2008 wirtschaftlich absacken, können diesen Tarifsprung jedoch um bis zu sieben Monate verschieben. Dem muss die Gewerkschaft zustimmen, sofern das Unternehmen die schwierige Lage nachweisen kann. Ein Sprecher der IG Metall schloss einen solchen Schritt nicht aus, wollte aber zunächst die weitere Entwicklung abwarten.

Kannegiesser kündigte zugleich an, mit der Gewerkschaft über andere Elemente in den gemeinsamen Verträgen reden zu wollen. Details wollte er nicht nennen. Er ließ aber durchblicken, dass es ihm offenbar darum geht, die eine oder andere Leistung vorübergehend auszusetzen, um für die Betriebe die Kosten zu verringern. "Die Unternehmen müssen sich voll darauf konzentrieren, möglichst lebend und einigermaßen unversehrt aus der Krise zu kommen, die unsere gesamte Industrie in voller Breite und mit nur wenigen Ausnahmen erfasst hat", sagte der Gesamtmetall-Präsident.

Wie dramatisch die Situation in der Metall- und Elektroindustrie inzwischen ist, zeigt die rasche Zunahme der Kurzarbeit. Nach Angaben von Kannegiesser zeigten im Dezember 2008 mehr als 2600 Unternehmen der Branche Kurzarbeit an. Das entspricht etwa einem Zehntel der Betriebe, und jeden Tag werden es mehr. "Da sind Zwerge dabei und Riesen", sagte der Lobbyist. In fast allen Unternehmen werden inzwischen die Guthaben auf den Arbeitszeitkonten abgebaut. Trotzdem glaubt Kannegiesser nicht, dass die Branche in diesem Jahr "ganz ohne den Abbau von Arbeitsplätzen auskommen kann".

Tarifrunde Metallindustrie 2008 / 2009 SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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EUROCOPTER

Rekordumsatz

Paris - Der Umsatz des Hubschrauber-Herstellers Eurocopter ist 2008 um 7,5 Prozent auf einen Rekordwert von 4,5 Milliarden Euro gestiegen. "Wir wollten ein bisschen mehr Wachstum, aber wir sind auch nicht ganz unberührt von der Finanzkrise", so der Chef der EADS-Tochter, Lutz Bertling, in Paris. Die Zahl der Bestellungen sei von 802 Hubschraubern im Jahr 2007 auf 715 gesunken. 2008 seien Bestellungen im Wert von 4,9 Milliarden Euro eingegangen. dpa

Eurocopter Holding: Umsatz SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Bis zu 50 000 Euro Ersparnis sind drin

Verbraucherschützer wollten wissen: Lohnt sich der neue Wohn-Riester? Die Antwort: Ja, die Baufinanzierung wird viel billiger

Von Marco Völklein

München - Wer eine Immobilie kauft, der sorgt damit auch fürs Alter vor. Diese Überlegung steht hinter dem Wohn-Riester, den der Staat im vergangenen November eingeführt hat. Einige Banken und Baufinanzierer haben erste Wohn-Riester-Darlehen im Angebot. Die Stiftung Warentest und das Magazin Öko-Test haben diese Angebote nun untersucht - und kommen zu einem einstimmigen Ergebnis: Wer sich ohnehin eine Immobilie zulegen möchte, baut mit dem Wohn-Riester meist besser als mit einer klassischen Baufinanzierung.

Wie funktioniert Wohn-Riester?

Die Idee geht so: Anstatt regelmäßig Geld auf ein Spar-, Fonds- oder Versicherungskonto einzuzahlen, steckt es der Bauherr in eine Immobilie. Damit lebt er dann im Rentenalter mietfrei. Deshalb ermöglicht es der Staat, dass beim Wohn-Riester die staatlichen Zulagen zur Tilgung eines Kredits verwendet werden. Wie beim normalen Riester-Sparen gelten bestimmte Voraussetzungen: Mindestens vier Prozent des Vorjahres-Bruttoeinkommens müssen jährlich selbst eingezahlt werden, um die vollen Zulagen zu erhalten. Die betragen 154 Euro Grundzulage sowie 185 Euro pro Kind (für jedes von 2008 an geborene Kind sind es sogar 300 Euro). Außerdem gibt es unter Umständen steuerliche Vorteile.

Was gilt beim Wohn-Riester zudem?

Gefördert werden nur Darlehen, die der Eigentümer für den Bau oder Kauf einer selbstgenutzten Immobilie in Deutschland aufnimmt (dazu zählen auch Anteile an einer Genossenschaft). Die Immobilie muss nach 2007 angeschafft worden sein. Die Immobilie muss Hauptwohnsitz sein. Und das Darlehen muss spätestens bis zum 68. Lebensjahr getilgt sein.

Was ist mit der Steuer?

Da bei der Riester-Rente die nachgelagerte Besteuerung gilt, werden die Zulagen und die Tilgungsbeträge des Eigenheimbesitzers auf einem fiktiven Wohnförderkonto vermerkt und mit zwei Prozent im Jahr verzinst. Von Rentenbeginn an ist das Konto zu versteuern. Dabei kann der Riester-Eigenheimer wählen: Entweder er zahlt regelmäßig Steuern bis zu seinem 85. Lebensjahr. Oder aber er zahlt die Steuerlast auf einmal ab und erhält einen Abschlag von 30 Prozent.

Lohnt sich der Wohn-Riester?

Viele denken, wegen der nachgelagerten Besteuerung würde sich der Wohn-Riester nicht lohnen. Doch sowohl die Fälle, die die Stiftung Warentest durchgerechnet hat, wie auch die von Öko-Test bewerteten Beispiele zeigen: Dem ist nicht so. Je nach Einkommen, Alter, Finanzierung und Kinderzahl fällt die staatliche Förderung zwar unterschiedlich hoch aus. "Mit Riester ist der Hauseigentümer aber stets im Plus", so die Stiftung Warentest. Da die Zulagen zur Tilgung verwendet werden, sinkt die Zinsbelastung. Die Stiftung Warentest rechnet vor: Ein Ehepaar (70 000 Euro Jahresbrutto) mit einem Kind (2008 geboren) nimmt einen Kredit über 200 000 Euro auf und geht in 30 Jahren in Rente. Gegenüber einem herkömmlichen Immobilienkredit spart dasPaar mit dem Wohn-Riester exakt 51 497 Euro. Die Steuerbelastung im Alter ist dabei schon berücksichtigt. Bei anderen Musterfällen liegt die Ersparnis zwischen 12 000 und 45 000 Euro.

Gibt es schon viele Anbieter?

Nein. Bislang offerieren nur wenige Baufinanzierer ein Wohn-Riester-Darlehen. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen rät daher, lieber noch etwas abzuwarten - sofern dies möglich ist. Im Laufe des Jahres 2009 werden vermutlich weitere Anbieter hinzukommen.

Verlangen die Anbieter

einen Aufschlag?

Das ist ein positives Zwischenergebnis der Tests: Gegenüber den klassischen Immobilienkrediten verlangen die meisten Anbieter für ihre Wohn-Riester-Darlehen keine Zinsaufschläge. Einige Anbieter wie BHW/Postbank, DSL-Bank und Wüstenrot-Bank kassieren aber zwölf Euro Kontoführungsgebühr pro Jahr.

Wo lauern Fallen?

Auch mit dem Wohn-Riester ist der Immobilienkauf eine Herausforderung. "Wer auf Riester bauen will, sollte erst einmal prüfen, ob er die Belastung einer Eigenheimfinanzierung auch ohne Förderung tragen kann", rät daher Öko-Test. Außerdem wichtig: Vor allem Besserverdiener profitieren bei Riester generell nicht nur von den Zulagen, sondern auch noch von Steuervorteilen. Diese sollte ein Wohn-Riester-Eigenheimer als Sondertilgung einzahlen können und damit die Zinslast weiter drücken. Das Problem ist aber: Solche Sondertilgungen sind nicht bei allen Baugeldgebern kostenfrei möglich. Auf diese Feinheiten sollten Interessenten daher genau achten.

Kann es auch Probleme bei dem

fiktiven Steuerkonto geben?

Vielleicht. Das Bundesfinanzministerium arbeitet derzeit noch an genauen Verwaltungsanweisungen, wie das Förderkonto zu führen ist. "Bis dahin stochern viele Anbieter noch im Nebel", so Öko-Test. Noch ein Grund mehr für denjenigen, der es sich leisten kann, zu warten.

Gibt es auch noch andere Angebote? Wohn-Riestern kann man nicht nur über ein Darlehen; Bausparkassen bieten Verträge an, mit denen man die staatlichen Zulagen ebenfalls nutzen kann. Und wer bereits seit Jahren einen Riester-Vertrag bedient, der kann das Geld daraus entnehmen und als Eigenkapital beim Hauskauf einsetzen. Bis Ende 2009 ist aber Bedingung hierfür, dass auf dem Riester-Konto mindestens 10 000 Euro liegen.

Wer hilft weiter?

Ein Immobilienkauf ist eine Lebensentscheidung - entsprechend gut informiert sollten Interessenten an die Entscheidung - und insbesondere an die Finanzierung - herantreten. Die Hefte von Finanztest und Öko-Test mit den Wohn-Riester-Vergleichen sind derzeit am Kiosk erhältlich. Viele Verbraucherzentralen bieten auch (meist kostenpflichtige) Immobilienberatungen an; die in Bremen ist auf dem Gebiet besonders engagiert.

Nach Ex-Arbeitsminister Walter Riester ist die Rente benannt. Der Wohn-Riester ist eine neue Variante. F.: ddp

Wohneigentum als private Altersvorsorge SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Dylan-Songs bleiben geschützt

Luxemburg - Alte Bob-Dylan-Songs sind weiter europaweit urheberrechtlich geschützt. Der frühere Schutz in Großbritannien gilt auch in Deutschland und anderen EU-Staaten, urteilte am Dienstag der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Darauf könnten sich auch Firmen aus Nicht-EU-Ländern berufen (Az.: C-240/07). Die deutsche Falcon Neue Medien GmbH verkauft CDs mit alten Titeln der amerikanischen Folk- und Rocklegende Bob Dylan, 67. Einige Titel waren früher auf Platten des Musikriesen Sony Music mit Hauptsitz in New York erschienen. Falcon meinte, der Urheberschutz für vor 1966 veröffentlichte Titel sei in Deutschland abgelaufen.

Dagegen klagte Sony: Der in Großbritannien bestehende Urheberschutz gelte nach europäischem Recht auch in Deutschland; die Schutzfrist von 50 Jahren sei noch nicht abgelaufen. Mit seinem Urteil folgte der EuGH den Argumenten von Sony. Nach der "Schutzdauerrichtlinie" aus dem Jahr 2006 gelte die Schutzfrist von 50 Jahren für alle Titel, die am 1. Juli 1995 in auch nur einem einzigen EU-Staat nach nationalem Recht urheberrechtlich geschützt waren. AFP

Junger Bob. AP

Dylan, Bob: Rechtliches Dylan, Bob: Vermarktung Urheberrechte SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Hohe Verluste für Hedgefonds der Deutschen Bank

Institut macht 2008 mit US-Produkten gut 40 Prozent Minus und schneidet damit deutlich schlechter ab als die Konkurrenz

Von Marco Zanchi und Markus Zydra

Frankfurt - Erst vergangene Woche meldete die Deutsche Bank einen hohen Milliardenverlust für das vierte Quartal 2008. Nun verbucht das größte deutsche Kreditinstitut nach Informationen der Süddeutschen Zeitung auch bei zwei seiner Hedgefonds massive Verluste. So hat der Fonds Deutsche Bank CQ Capital im Jahr 2008 genau 47,2 Prozent eingebüßt; allein im November betrug der Verlust 37,4 Prozent. Der ebenfalls in den USA betriebene Fonds Deutsche Bank Distressed Opportunities hat im letzten Jahr ein Minus von 42,4 Prozent gemacht, zeigen Dokumente, die das Institut nicht kommentieren wollte. Diese Ergebnisse liegen weit unter dem Marktdurchschnitt. Der globale Hedgefonds-Index HFRX meldete für 2008 mit 23,3 Prozent den bislang höchsten Verlust seiner Geschichte.

Die Deutsche Bank betreibt in den USA eigene Hedgefonds, die rund acht Milliarden Dollar für die vermögende Kundschaft verwalten. Die Mindestanlagesumme in diese Fonds beträgt 250 000 Dollar. Das von der Deutschen Bank verwaltete Gesamtvermögen hat sich 2008 um sechs Prozent auf 650 Milliarden Dollar verringert, sagte der Chef der Vermögensverwaltungssparte, Kevin Parker am Dienstag in Abu Dhabi.

In der vergangenen Woche hatte die Deutsche Bank für 2008 erstmals in der Nachkriegsgeschichte einen Jahresverlust ausgewiesen, der sich auf 3,9 Milliarden Euro beläuft. Allein im vierten Quartal betrug das Minus 4,8 Milliarden Euro. Als wesentliche Ursache hierfür gilt der Eigenhandel mit verbrieften Immobilienkrediten. Am Markt gibt es für die Papiere keine Preise mehr, was sie im Prinzip wertlos macht. Auch der Deutsche-Bank-Hedgefonds CQ Capital war im Verbriefungsmarkt fauler Kredite aktiv.

Traditionell dienen Hedgefonds dazu, das Kapital der Investoren unter allen Umständen vor Verlusten zu schützen und bei geringem Risiko eine stetige einstellige Rendite zu erzielen. Dieser Urgedanke des Hedgefonds wurde in den letzten Jahren pervertiert. Viele Hedgefonds, auch bankeninterne Produkte, erhöhten die Renditeziele drastisch, was die Risiken steigerte.

Durch hohe Kreditaufnahme und schlechtes Risikomanagement brechen nun aber viele Fonds zusammen, darunter auch in Fachkreisen renommierte Adressen. "Das Hedgefondsvermögen ist von 2000 Milliarden Dollar auf 1000 Milliarden Dollar geschrumpft", schätzt Ulf Becker, Partner des bankenunabhängigen Spezialanbieters Lupus Alpha. In der Folge ist der Markt für Wandelanleihen zusammengebrochen. Das sind Papiere, die in Aktien getauscht werden können. "Hier waren zu 80 Prozent Hedgefonds investiert, die ihre Papiere auf den Markt geworfen haben", so Becker.

Deutsche Bank AG: Produkt Deutsche Bank: Verlust Hedge-Fonds SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Immobilienfonds bleiben geschlossen

Morgan Stanley friert die Gelder der Anleger für weitere neun Monate ein. Andere Anbieter dürften nachziehen

Von Grit Beecken und Hannah Wilhelm

München - Offene Immobilienfonds von Morgan Stanley bleiben bis auf Weiteres geschlossen. "Wir werden die Frist um weitere neun Monate auf insgesamt ein Jahr verlängern", sagte Walter Klug von Morgan Stanley Real Estate Investment der SZ. Die Kapitalmärkte seien zu turbulent, um eine Öffnung der Fonds zu riskieren. Wenn zu viele Anleger die Chance ergreifen und ihre Gelder abziehen würden, wären die Fonds erneut in Zahlungsschwierigkeiten.

Bereits in der vergangenen Woche hatte mit der Credit Suisse der erste Anbieter eines eingefrorenen offenen Immobilienfonds seine Zukunftspläne dargelegt. Auch dort wird die Rücknahme von Fondsanteilen für bis zu weitere neun Monate ausgesetzt. Das Vorgehen der beiden Häuser könnte Signalwirkung für die Branche haben. "Die Mehrheit wird sich dieser Vorgehensweise anschließen", vermutet Rüdiger Sälzle, Geschäftsführer des Finanzdienstleisters Fondsconsult. "In den nächsten Tagen müssen sich alle Anbieter zum weiteren Vorgehen äußern." Bei den meisten beträgt die vorläufige Sperrfrist drei Monate, nur die UBS hatte ihre beiden Fonds gleich für sechs Monate eingefroren.

Riskantes Vorpreschen

Axa Immoselect wird am Mittwoch bekannt geben, ob die eingefrorenen Fonds wieder geöffnet werden. Vorab wollte sich die Sprecherin dazu nicht äußern. Auch die Gesellschaft Kanam entscheidet erst in der kommenden Woche über das weitere Vorgehen. Dabei wird die Höhe der erwarteten Mittelabzüge entscheidend sein. Diese lassen die Gesellschaften derzeit kalkulieren.

Nachdem zahlreiche Anleger im September und Oktober 2008 ihr Geld aus offenen Immobilienfonds abgezogen hatten, mussten einige Anbieter ihre Fonds schließen. Mit anderen Worten: Die Anleger konnten ihre Anteile nicht mehr verkaufen. Derzeit stecken geschätzte 33 Milliarden Euro fest. Insgesamt wurden zwölf Fonds geschlossen. Experten wünschen sich nun ein gemeinsames Vorgehen der Branche: "Es ist überhaupt nicht sinnvoll, wenn nur ein Anbieter vorprescht, seine Fonds öffnet und nach massiven Mittelabflüssen wieder schließen muss", sagt Fondsspezialist Sälzle. Zumal der jetzt gewählte Zeitraum nicht ausgeschöpft werden muss. "Die Fonds können auch früher wieder öffnen, wenn sich die Märkte beruhigen", sagt Sälzle.

Offene Immobilienfonds sind Investmentfonds, die es Anlegern ermöglichen, sich mit verhältnismäßig kleinen Beträgen an Immobilien zu beteiligen. Da die Fonds in Immobilien wie Bürogebä;ude, Einkaufszentren und Hotels investieren, fühlen sich Anleger oft sicherer als bei Aktienfonds. Immobilien gelten in Deutschland immer noch als Betongold, also als beständiger Wert.

Das Problem: Für einen Fonds ist es nicht so einfach, sich kurzfristig von Immobilien zu trennen. Gerade aktuell ist dies schwierig, da in der Krise kaum jemand Immobilien kaufen will. Wenn zu viele Anleger Fondsanteile verkaufen, muss der Manager Notverkäufe tätigen, deren Erlöse unter Umständen nicht ausreichen, um die Anleger auszubezahlen. Eben dies drohte im Oktober 2008: Die Barschaften, die die Fonds für solche Fälle zurücklegen, reichten nicht mehr aus, um die Anleger auszuzahlen. Verkauft wird derweil trotz der Schließung: An der Hamburger Fondsbörse (www.fondsboerse.de) werden auch die eingefrorenen Fonds weiter gehandelt, aber mit deutlichen Preisabschlägen. So erhalten Anleger derzeit für einen Anteil des Morgan-Stanley-Fonds gut 51 Euro. Im November, kurz vor der Schließung, waren es fast 55 Euro. Vor allem im Dezember nutzen viele Anleger diese Möglichkeit: Allein mit dem eingefrorenen Morgan-Stanley-Fonds wurden an der Fondsbörse neun Millionen Euro umgesetzt.

Eingeschneite Berghütte bei Seefeld im Wettersteingebirge: Wer in offene Immobilienfonds eingestiegen ist, könnte sich ähnlich fühlen wie ein Bergbewohner. Man möchte gern raus, doch die Tür geht vor lauter Schnee nicht mehr auf. Foto: Mauritius

DGZ-DekaBank: Produkt DGZ-DekaBank: Finanzen Morgan Stanley Bank AG: Produkt Morgan Stanley Bank AG: Finanzen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Befreit von allen Skrupeln

Zwangsabtreibung, Schutzgeld-Erpressung, Verstümmelungen und Mord: Offiziell kämpft die verbotene PKK immer noch für die Unabhängigkeit Kurdistans, ihr deutscher Ableger aber fällt vor allem durch sein brutales Vorgehen gegen Abweichler auf

Von Hans Leyendecker

Karlsruhe - Es war Liebe, und die war streng verboten. Als die Kurdin Özlem Akan und der Kurde Tayfur Örüm, genannt "Ahmet", ein Paar geworden waren, durfte das niemand erfahren. Die Eltern nicht und vor allem nicht die Freunde von der Kurdischen Arbeiterpartei PKK. Intime Kontakte unter professionellen Aktivisten sind nicht erlaubt, sie könnten nur vom Kampf für ein freies Kurdistan ablenken.

Im Mai 2006 hatten sich die beiden auf einer Trauerfeier für einen Kader in Freiburg kennengelernt: "Hallo Özlem", hatte er ihr zugerufen, und danach hatte es ziemlich schnell zwischen ihnen gefunkt. Sie wurde schon bald schwanger und teilte ihm dies voller Freude mit. Er aber bat sie, sich das mit dem Kind noch einmal zu überlegen. "Was gibt es da zu überlegen?", soll sie gefragt haben. Sie wollte das Kind und er doch auch. Oder? Eine Woche blieb Tayfur Örüm daraufhin bei Özlem Akan in ihrer kleinen Wohnung in Weil am Rhein, und er flehte sie jeden Tag an, endlich "vernünftig" zu werden. Ansonsten werde er in den Irak abhauen und zuvor allen Freunden sagen, dass das Kind nicht von ihm sei.

Doch Özlem Akan wollte nicht auf ihr Kind verzichten, und Tayfur Örüm ging auch nicht sofort in den Irak. Deshalb muss sich nun das Oberlandesgericht in Düsseldorf mit den Folgen dieser kurzen Liebesbeziehung beschäftigen. Und nicht nur dieses Verfahren, auch andere Ereignisse in der jüngeren Vergangenheit werfen ein Schlaglicht auf die PKK in Deutschland. Sie geriert sich als Organisation für den Freiheitskampf in Kurdistan, doch ebenso aktiv ist sie offensichtlich, wenn es darum geht, Gegner, Abweichler und Kritiker brutal zu bestrafen und Schutzgelder zu erpressen.

Özlem Akan weigerte sich, ihr Kind abzutreiben, deshalb wurde sie von Tayfur Örüm weiterhin bedrängt. Mit seinen Eltern könne er darüber nicht sprechen, sagte er, er werde noch ganz verrückt. Seit 17 Jahren arbeite er für die Partei und könne doch jetzt nicht alles aufgeben. Örüm, damals immerhin einer der Gebietsverantwortlichen der PKK in Deutschland, hat dann bei einer weiteren Aussprache in Karlsruhe in aller Öffentlichkeit geweint, was Özlem Akan ziemlich peinlich fand. Und am Ende kam sogar der Mann angereist, den der Verfassungsschutz und die Polizei damals für den höchstrangigen PKK-Kader in der Bundesrepublik hielten. Sein Name ist Hüseyin Acar. In Polizeiakten wird er als "türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit" geführt und als "Deutschlandverantwortlicher". Der mutmaßliche Chef der illegal operierenden Organisation, die in Deutschland rund 10000 Mitglieder haben soll, machte sich augenscheinlich wegen der kleinen Liebesgeschichte gewaltige Sorgen.

Das Pärchen und der Obere haben sich dann am 5. oder 6. August 2007, genau ist das Datum nicht mehr zu ermitteln, in einem Café getroffen, und Acar soll unbarmherzig gewesen sein. Özlem Akan hat von der Begegnung später so berichtet: "Er hat gesagt, entweder machst du das, oder wir machen das." Sie wollte Mutter werden, aber die Angst nach dieser Drohung war dann doch zu groß. Sie ging in eine Klinik und ließ den vier Monate alten Fötus abtreiben.

Der erzwungene Abbruch ist einer der Punkte in der Anklage, die die Karlsruher Bundesanwaltschaft Ende Dezember gegen Hüseyin Acar erhoben hat. Dem bereits im Juli vergangenen Jahres festgenommenen 48-jährigen Kurden wird außerdem für die Zeit von Februar 2007 bis April 2008 Rädelsführerschaft "im gesamten Gebiet der Bundesrepublik" vorgeworfen. Der Prozess soll vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf stattfinden.

Es gibt noch andere blutige Geschichten von verbotenen Liebesbeziehungen innerhalb der PKK. Besonders grauenhaft war der sogenannte "Bunkermord" in Bremen im August 1999. Das kurdische Liebespaar wurde dabei auf so bestialische Weise hingerichtet, dass es selbst gestandene Polizisten grauste. PKK-Aktivisten wurde zwar der Prozess gemacht, aber der Doppelmord war so barbarisch, dass sich selbst die Organisation offiziell davon distanzierte.

Das Beziehungsverbot von Frauen und Männern steht nicht in den Statuten der PKK, ist aber Doktrin. Die Begründung dafür klingt ziemlich absurd. In einem 2007 in Deutschland erschienenen und von einer Autorin namens Anja Flach verfassten Buch mit dem Titel "Frauen in der kurdischen Guerilla" findet sich dazu folgende Passage: "Um die Rekonstruktion der klassischen Frauenrolle" in Kurdistan zu verhindern "und den Frauen einen Entwicklungsraum zu verschaffen", habe die PKK "keine andere Möglichkeit" gesehen, "als die Liebesbeziehungen zunächst ganz zu verbieten".

Die Deutsche Andrea Wolf, die erst mit der RAF sympathisierte und dann 1993 in die Berge Kurdistans zog, um mit der Waffe zu kämpfen, schrieb in ihrem Tagebuch: "Ich persönlich empfinde die Trennung und auch das klare Beziehungsverbot als sehr angenehm. Ich konnte mich noch nie so frei bewegen im Verhältnis zu Männern, weil es einfach klar ist: Es gibt eine Grenze." Andrea Wolf, Codename "Ronahi", starb 1998. Angeblich wurde sie vom türkischen Militär getötet. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelte gegen unbekannte türkische Armeeangehörige wegen Mordverdachts.

Seit fast fünfzehn Jahren beschäftigen sich Hundertschaften deutscher Polizisten, Verfassungsschützer, Bundesanwälte, Richter von Staatsschutzsenaten und auch die Geheimen des Bundesnachrichtendienstes mit solchen Geschichten, und je länger das Räuber-und-Gendarm-Spiel dauert, desto unwirklicher erscheint die Mimikry.

Serienweise werden noch immer Kader der seit 1993 in Deutschland verbotenen Partei, die in den vergangenen Jahren häufig umbenannt wurde, wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu Freiheitsstrafen verurteilt. An die Stelle der Inhaftierten treten andere, die auch wieder belauscht, festgenommen und inhaftiert werden. Dabei ist die Zeit der großen Gewalt in den neunziger Jahren, in der sich Aktivisten in Deutschland selbst verbrannten, Autobahnen blockierten oder Konsulate besetzten, längst vorbei. Seit dem 11. September 2001 kennt die Welt andere Beunruhigungen als die Sorge um das Treiben der PKK, deren Chef Abdullah Öcalan seit 1999 in türkischer Haft sitzt und die in der Heimat inzwischen ziemlich zerstritten ist.

Aber als ginge es immer noch um alles oder nichts, arbeitet der Geheimbund in Deutschland im Untergrund weiter. Kader werden mit gefälschten Pässen versorgt, verletzte Aktivisten werden nach Europa geschleust. Eine der Hauptaufgaben aber scheint es zu sein, viele der in Deutschland lebenden rund 450 000 Kurden unter Druck zu setzen. Sie müssen "Steuern" an die PKK zahlen. Wer sich weigert, muss damit rechnen, zumindest zusammengeschlagen zu werden. "Bei den Sammlungsarbeiten sollte man hartnäckig und beharrlich sein und die festgelegten Beträge auf jeden Fall annehmen", heißt es zynisch in einer Handlungsanweisung aus dem Jahr 2005. Eine andere Order lautete: "Lege dein Ziel fest, und nimm dir das Festgelegte."

Der mutige Kurde Mülsüm Y., der von der Bundesanwaltschaft als Zeuge für einen Prozess gegen Acar benannt wurde, warf 2006 der Organisation in einem Brief vor, ihre Aktivitäten hätten sich "in das gegenseitige Ruinieren, in List, in Komplott, Intrigen und Lügen umgewandelt". Am Telefon verglich er die Organisation mit einer "Bande", die nur noch hinter Geld her sei. Dass der Verräter Todesdrohungen erhielt, überrascht nicht.

Als Spezialisten der Polizei im Dezember 2007 im Auto eines Berliner PKK-Kaders eine Wanze platzierten, bekamen sie mit, wie der Belauschte die Prügelstrafe für einen zahlungsunfähigen kurdischen Ladeninhaber verlangte. Das wäre auch eine "Botschaft für die übrigen Kreise". Einem vergleichsweise reichen Bremer Drogenhändler wurde ein Arm mit einem Metzgermesser abgeschnitten, weil er partout nicht spenden wollte. "Armloser Held" wurde er danach im Milieu genannt.

Der festgenommene mutmaßliche Deutschland-Chef der PKK, Hüseyin Acar, hat in der Szene den Spitznamen "Colak", was für einarmig, einhändig oder verkrüppelt steht. In einem Interview mit einer kurdischen Zeitung hat er erzählt, dass bei Auseinandersetzungen zwischen Türken und Kurden im Jahr 1978 eine Bombe in seinen Händen explodiert sei - da war er knapp 18 Jahre alt. Seine Biographie erinnert an eine Karteikarte aus dem Zettelkasten des sogenannten Befreiungskampfes. Er wurde Anfang der achtziger Jahre von einem türkischen Militärgericht zum Tode verurteilt. Die Strafe wurde 1991 in 40 Jahre Haft verwandelt. Im Januar 2001 kam er frei; kurz darauf wurde er erneut festgenommen und zu knapp vier Jahren Haft verurteilt. Er wurde vorzeitig entlassen, reiste nach Deutschland, wurde 2003 als Asylberechtigter anerkannt und arbeitete angeblich als Bauhelfer in Ostwestfalen.

In Wirklichkeit aber war er im ewigen Krieg, machte in der deutschen PKK-Filiale Karriere, bezog Arbeitslosengeld II, und seine Miete zahlten die Sozialbehörden in seinem Wohnort Detmold. Ein im vergangenen Jahr aufgenommener Film zeigt Hüseyin Acar in Militärkluft zusammen mit kurdischen Guerilla-Kämpfern im Nordirak. Er ist ein eher unauffälliger Typ, das Auffälligste ist seine fehlende Hand.

Auch die im Juni 1986 geborene Özlem Akan, eine kleine, schmale Person, war mit der Bewegung eng verbunden. Ihr Vater und eine ihrer Schwestern waren in der Türkei wegen Zugehörigkeit zur PKK inhaftiert worden und sollen sich in Deutschland am Eintreiben von Zwangsspenden beteiligt haben. Zwei ihrer Brüder starben an den Fronten in der Türkei und im Irak. Der Tod des jüngeren Bruders 2005 löste bei Özlem Akan massive psychische Probleme aus. Sie wollte sich das Leben nehmen. Ein weiterer Bruder, Mehmet, ist Kader der PKK. Die junge Frau, die erst 2000 nach Deutschland gekommen ist, war nicht fest in die Strukturen der Partei integriert, aber sie half, wo sie konnte. Noch Anfang 2007 schaffte sie mit ihrem Freund Tayfur Örüm 500 000 Euro Spenden zur Europaführung nach Brüssel. Sie kannte selbst dort viele der professionellen Kader und spürte die Widersprüche zwischen der Theorie und dem wahren Leben.

Einst wollte die Kurdenpartei eine Welt ohne Hierarchien, ohne Patriarchat schaffen, in der Praxis aber funktioniert sie wie eine Sekte mit strengstem Patriarchat und mit ausgeprägten Hierarchien. Özlem Akans einstiger Liebhaber Tayfur Örüm wurde nach einem Treffen in Stuttgart von zwei Männern nach Brüssel gebracht und soll dann in den Irak geschickt worden sein. Özlem Akan hat später mal ein Mitglied der Europaführung gefragt, warum Örüm in den Irak gebracht worden sei. "Der muss bestraft werden", soll der gesagt haben. Es wäre für die Organisation zu gefährlich gewesen, ihn gleich in Europa zu liquidieren. Ihrer Schilderung zufolge hat sie dann nur noch geschrien: "Bringt mich doch auch um." Daraufhin habe sie die kühle Antwort erhalten: "Das kommt noch, das können wir aber in Deutschland nicht machen."

Sie hat dann bei der Polizei ausgepackt und viele Geschichten aus dem Untergrund erzählt. Selbst über ihren Bruder Mehmet hat sie geredet. Der habe gemeinsam mit einem anderen PKK-Mann aus dem Stuttgarter Raum Jugendliche in den Irak bringen lassen. Wenn sich ein junger Mensch dazu entschlossen habe, im Zweistromland zu kämpfen, hätten ihr Bruder und der andere alles Notwendige getan. Im Düsseldorfer Prozess gegen den mutmaßlichen PKK-Deutschlandchef Acar soll auch sie als Zeugin aussagen. Als Zeugenanschrift kursiert eine Adresse des Landeskriminalamts Baden-Württemberg. Sie ist im Zeugenschutzprogramm.

Hüseyin Acar hat sich zur Sache noch nicht geäußert. Als ihm am 17. Juli der Haftbefehl vorgelesen wurde, sagte er nur, der ihm zugeschriebene Alias-Name "Hüseyin Colak" sei ihm unbekannt. Das Hauptverfahren könnte seine Anhänger enttäuschen, denn auch dem mutmaßlichen Deutschlandchef der PKK sind Gefühle nicht fremd. Aus abgehörten Gesprächen geht hervor, dass er eine Liebesbeziehung zu einer Genossin unterhielt. Wenn die ihn anrief, wurden sie meist von Fahndern abgehört. Diese bekamen mit, dass er in einem Gespräch mit ihr plötzlich ganz wichtig tat, weil ein hochrangiger PKK-Führer aus Brüssel neben ihm saß. Er rief später seine Freundin an und erklärte die Situation. Der ranghohe Gast sei trotzdem misstrauisch geworden. Der habe ihm fast das Telefon aus der Hand gerissen, um mitzubekommen, mit wem Acar redete. Er habe sich verwundert gezeigt, dass Acar so weich gesprochen habe. Mit nachgeordneten Kadern gehe er sonst doch viel härter um, habe der Gast gesagt. Acar habe sich wohl zu einem "light man" verändert.

Fünf Tage nach der Festnahme Hüseyin Acars wurden in kurzen Abständen zwei Telefonate einer seiner Schwägerinnen mit seiner heimlichen Geliebten aufgezeichnet. Die Schwägerin wusste nichts von diesem Verhältnis, und die beiden Frauen schimpften über Özlem Akan, sie sei eine "Hure" und "Hündin", sie habe den Tod verdient. Die Organisation werde sie nicht so einfach davonkommen lassen.

Sie wollte das Kind, aber die Angst war größer

Er war knapp 18, als die Bombe in seiner Hand explodierte

Liebe ist streng verboten, doch der Chef hat ein Verhältnis

"Lege dein Ziel fest, und nimm dir das Festgelegte": Bei PKK-Demonstrationen wie hier in Düsseldorf geht es um Politik und Parolen, im Alltag geht es oft um Geld und Gewalt. Foto: ddp

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Der Geist ist willig, doch das Geld ist knapp

An der Privatuni Witten/Herdecke sammeln die Studenten derzeit nicht nur Wissen an, sondern suchen auch mit den Professoren nach Wegen, um der Pleite zu entgehen

Von Tanjev Schultz

Witten - Im Keller der Universität Witten/Herdecke steht eine große silberne Truhe, in der die Leichen liegen. Eine Medizinstudentin arbeitet gerade an einem rechten Bein, sie präpariert den Nervenknoten im Beckenbereich. Die Nerven sehen aus wie Kabel, Anatomie-Professor Gebhard Reiss sagt, solche Nerven würden viel aushalten. Er ist ein lebenslustiger Typ, ein Wissenschaftler, über den viele Studenten in den höchsten Tönen sprechen. Früher lehrte er in Hannover, da gab es Massenvorlesungen mit Hunderten Studenten. In Witten beginnen jedes Semester nur 42 Medizin-Studenten, Vorlesungen gibt es hier nicht. Jeder kennt jeden, die Professoren nennen ihre Kurse "Sprechstunden".

Wie lange sie ihre Sprechstunden noch abhalten können, weiß zurzeit niemand. Die private Universität ist in akuter Finanznot, an diesem Donnerstag wollen sich mögliche Geldgeber mit dem nordrhein-westfälischen Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) treffen. Witten/Herdecke steht nicht zum ersten Mal vor der Pleite, gute Nerven musste man hier schon immer haben. Aber diesmal ist es so ernst wie nie zuvor.

Vor Weihnachten strich Pinkwart die Subventionen des Landes in Höhe von 4,5 Millionen Euro und forderte drei Millionen Euro aus dem Vorjahr zurück. Seine Beamten vermissten einen soliden Finanzplan, Uni-Präsident Birger Priddat trat zurück, obwohl er die Vorwürfe nicht nachvollziehen konnte. Eine kurzfristige Rettungsaktion trug die Uni nur über den Jahreswechsel. Seit Jahren gelingt es zwar immer wieder, private Förderer zu gewinnen, doch das große Geld und eine sichere Einnahmequelle für den 30-Millionen-Etat fehlte.

Die Studenten haben Solidaritätskampagnen gestartet, ein Verein von Ehemaligen sammelte innerhalb von 72 Stunden 750 000 Euro an Spenden. Daneben läuft der normale Betrieb weiter, eine Studentin zählt unter dem Mikroskop weiße Blutkörperchen, in einem Seminar diskutieren vier Studenten mit dem Professor über die private und die gesetzliche Krankenversicherung.

Von Agonie ist hier nichts zu spüren, auch wenn der Uni-Chor am Sonntagabend ausgerechnet, ganz in Schwarz gehüllt, das Verdi-Requiem vortrug. "Tag der Tränen, Tag der Wehen." Der Abend war seit langem geplant, und so schallt es nun durch die große Halle: "Weh! Was werd ich Armer sagen, welchen Anwalt mir erfragen, wenn Gerechte selbst verzagen?" Nur eine Treppe tiefer steht die Truhe mit den Leichen im Keller. Requiem aeternam dona eis, Domine. Schenke ihnen ewige Ruhe, Herr.

Als Metapher für die Morbidität der Hochschule taugt der Abend aber doch nicht. Er wird eher zum Zeichen unbändiger Energie und Schaffenskraft. Musikdirektor Ingo Ernst Reihl springt beim Dirigieren auf und ab, er ballt die Faust, er schwebt mit ausgebreiteten Armen beinahe in der Luft. Am Ende hebt der Chor an zum großen Libera me. Befreie mich.

Witten ist keine Musikhochschule, die meisten studieren Medizin oder Wirtschaftswissenschaft, sie sollen aber über die Grenzen ihres Fachs hinausblicken. Zum berühmten Geist von Witten gehört das Studium fundamentale, jeden Donnerstag ist "Stufu-Tag", es wird dann philosophiert und reflektiert, gemalt und gesungen. Niemand soll die Hochschule als Fachidiot verlassen, und so laufen hier angehende Manager herum, die Adorno lesen, und Philosophen, die wissen, wie ein Gehirn aufgebaut ist.

"Das Studium in Witten ist eigentlich eine Zumutung", sagt Konrad Siller. Er sagt es verschmitzt, denn der 24-jährige Student meint es als Lob. Es gibt wenig Vorgaben, die Studenten können vieles ausprobieren - in einer Zeit, in der die Bachelor-Studiengänge anderswo sehr verschult sind. Die Studenten werden in einem mehrtägigen Seminar ausgewählt, am Ende kommen meist sehr diskussionsfreudige junge Menschen nach Witten, leistungsorientiert, aber nicht blind streberhaft. Die Klassensprecher-Uni, so ist das Image. Und so ist die Wirklichkeit: Man sitzt in einer Runde von acht Studenten, fragt nach - sechs waren früher Klassensprecher.

Die Studenten sind eine Macht in Witten, sie bestimmen mit, welche Professoren berufen werden, sie organisieren Kongresse und sind sogar Teilhaber der Hochschule. Die "Studierendengesellschaft" (SG) hält Anteile von 8,3 Prozent. Besonders stolz sind die Studenten auf ihren "umgekehrten Generationenvertrag", der es allen erlauben soll, trotz Studiengebühren nach Witten zu kommen. Wer kein Geld hat, zahlt später, wenn er gut verdient. Als die Uni 1983 startete, gab es keine Gebühren, mittlerweile müssen Medizin-Studenten 3000 Euro im Semester, Wirtschaftsstudenten fast 4000 Euro zahlen. Viele befürchten, neue Investoren könnten die Macht der Studenten brechen, den umgekehrten Generationenvertrag kippen und die Gebühren weiter in die Höhe treiben.

Diese Universität wollte nie eine stromlinienförmige Ausbildungsanstalt sein. Sie war stets eine Provokation: Ärzte fühlten sich herausgefordert von der sanften Medizin, die hier und im Gemeinschaftskrankenhaus in Herdecke propagiert wird. Manche sehen in Witten eine sektenhafte Anthroposophen-Schmiede, andere eine neoliberale Elite-Uni. Es ist weder das eine noch das andere.

Uni-Gründer Konrad Schily war Waldorfschüler, manche Studenten waren es auch, aber viele haben mit Anthroposophie überhaupt nichts am Hut. Und manch ein Student, der aussieht wie ein Jungmanager, sagt, er würde die Uni sofort verlassen, wenn nur noch die Kinder der Reichen hierherkämen oder man der Uni Renditeziele vorgäbe. Snobs machen um die Ruhrgebietsstadt wahrscheinlich ohnehin einen Bogen. Es gibt auffallend viele Spielhöllen in Witten, und der Asia-Imbiss verkauft das Hähnchen süß-sauer mit Pommes (!) für 2,20 Euro.

Konrad Schily hat in Witten sein Wahlkreisbüro. Der jüngere Bruder von Otto Schily sitzt für die FDP im Bundestag, aber nur noch bis zur Wahl im September. Er hätte noch länger gewollt, Schily ist zwar 71, wirkt aber noch immer jungenhaft und schelmisch. Und nun hat ausgerechnet ein Parteifreund, Landesminister Pinkwart, seiner Uni das Geld entzogen! Schily war jahrzehntelang Präsident der Uni, er hat sie geprägt wie kein Zweiter, jetzt schreibt er Briefe an den Ministerpräsidenten und an die Bundeskanzlerin.

Der Traum von einer freien Uni lässt ihn nicht los. Eine entstaatlichte Hochschule schwebte ihm vor, aber auch eine Hochschule, die sich nicht von privaten Finanziers kontrollieren lässt. Der Arzt und Psychiater Schily sagt: "Was die Bürokratie im Staat ist, ist das Controlling in der Wirtschaft." Doch nun braucht die Universität Witten/Herdecke erst einmal Geld, dringend. Vom Staat und von privaten Sponsoren. Schily hofft, dass das Geld kommt. Und er hofft, dass die Spender so weise sein werden, den Geist von Witten zu erhalten.

"Studium fundamentale": Niemand soll die Uni in Witten als Fachidiot verlassen. Hier lesen angehende Manager Adorno, und Philosophen lernen, wie ein Gehirn aufgebaut ist. Von einer Sitzung im NRW-Wissenschaftsministerium an diesem Donnerstag könnte abhängen, ob das so bleibt. Foto: laif

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Blick in die Presse

Unsicherer Partner

Die internationalen Medien sind im Obama-Fieber. Doch viele Kommentatoren betrachten auch die innen- und außenpolitische Situation Russlands:

NOWINAR (Bulgarien):

"Wie ein Feuerwerk explodierten die Illusionen, dass man mit Moskau verhandeln könnte, ohne dass der Diktator hinter den Kulissen den Rohstoffreichtum seines Landes als Mittel zur Erpressung einsetzt. Verträge, Zusagen oder Korrektheit - die gibt es nicht mehr. Von nun an wird die Europäische Union ihre Prioritäten entsprechend umgestalten, sodass sie wegen ihrer Energieabhängigkeit nie mehr erpresst werden kann. Und sie wird es schaffen."

FRANKFURTER ALLGEMEINE:

"In Putins und Medwedjews Russland ist das Eintreten für Menschenrechte lebensgefährlich. Mitten in Moskau sind am helllichten Tag ein mutiger Rechtsanwalt und eine junge Journalistin wegen ihres Engagements ermordet worden. Wieder einmal, muss man sagen. Denn erschreckend ist diese Tat auch, weil an ihr nichts überrascht. Die Parallelen zum Mord an Anna Politkowskaja, der vielleicht schärfsten Kritikerin des Regimes Putin und russischer Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien, sind offenkundig. Obwohl nun der Generalstaatsanwalt ermittelt, ist es auch in diesem Fall fraglich, ob er jemals aufgeklärt werden wird."

KIELER NACHRICHTEN:

"Was ist das für ein Staat, der für Stabilität und Stärke so konsequent kaltschnäuzig Menschen- und Bürgerrechte über Bord wirft? Der auf das Konzept einer gelenkten Demokratie schwört, sich aber nicht einmal im Ansatz für eine rechtsstaatliche Justiz geschweige denn Meinungsfreiheit erwärmen kann? Fest steht: Solange Moskau nicht den Mut aufbringt, die Entwicklung eines Rechtsstaates und einer selbstbewussten Zivilgesellschaft zu fördern, wird sich Russland den Vorwurf gefallen lassen müssen, ein staatlich sanktionierter Tummelplatz für Korruption und Willkür zu sein."

LAUSITZER RUNDSCHAU (Cottbus):

"Es stirbt sich wieder schnell und jung in Moskau, wenn ein mutiger Mann oder eine mutige Frau aufsteht als Kritiker zweifelhafter Regierungsgeschäfte. Man braucht dabei nicht lange darüber zu spekulieren, ob die Machthaber im Kreml derartige Verbrechen dulden oder gar fördern oder ob sie schlichtweg nicht mehr in der Lage sind, das Netzwerk von sogenannten Sicherheitsdiensten und Verbrechern zu kontrollieren. Die Folgen für die politische Landschaft Russlands sind in jedem Falle fatal."

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Auf Bewährung

Der Fall Zumwinkel macht deutlich, dass die Manager heute kritischer gesehen werden als je zuvor

Von Karl-Heinz Büschemann

In Bochum beginnt soeben ein seltenes Schauspiel: Der Chef eines Dax-Konzerns steht vor Gericht. Klaus Zumwinkel, 65, der frühere Vorstandsvorsitzende der Deutschen Post, ist der Steuerhinterziehung angeklagt, er muss aber wahrscheinlich nicht ins Gefängnis. Er dürfte mit Bewährung und einer Geldstrafe davonkommen.

Aber Zumwinkel hat spätestens bei seiner Verhaftung im Februar 2008, die vor Fernsehkameras öffentlich zelebriert wurde, zu spüren bekommen, dass sich in diesem Land etwas geändert hat. Manager werden heute kritischer gesehen als je zuvor, sie gelten nicht mehr als Teil einer Elite, für die angeblich andere Gesetze gelten als für Normalsterbliche. Der Steuerhinterzieher Zumwinkel steht nicht nur als Zumwinkel vor Gericht, sondern auch als Prototyp des heute übel beleumundeten Managerwesens.

Mit der spektakulären Festnahme eines prominenten Wirtschaftsführers vor laufenden Fernsehkameras wollten Justizbehörden und Finanzministerium offenbar demonstrieren, dass Gesetz und Rechte auch für Manager Geltung haben. Für die Kaste in den Vorstandsetagen war damit ein Katastrophenjahr eingeleitet. Als im weiteren Verlauf von 2008 die Finanzkrise ihre zerstörerische Wucht zeigte, als die Gewinne schrumpften und die Aktienkurse abstürzten, wurden die Führungskräfte unsanft daran erinnert, dass sie nichts Besonderes sind und sie keineswegs eine neue Zauberwirtschaft mit Wunderrenditen erfunden hatten, in der die alten ökonomische Regeln nicht mehr gelten. Sie mussten einsehen, dass hohe Gewinne nur mit großem Risiko zu haben sind. Sie wurden an die schlichte Wahrheit erinnert, dass in einer auf Pump gegründeten Wirtschaft eines Tages der Kredit zurückbezahlt werden muss. Das Kurzfristdenken mit einem Horizont von drei Monaten wurde entzaubert wie der Glaube an den Garten Eden der Finanzmärkte. Ernüchternder konnte ein Jahr für die Manager kaum sein als das Jahr 2008.

Heerscharen von Managern glaubten zuletzt, in den modernen Zeiten seien dauerhafte Kapitalrenditen von 25 Prozent möglich, wer sie nicht schaffe, sei ein Versager. Diese Vorstellung ist vom angelsächsischen Investment-Banker-Denken geprägt und wurde in Deutschland vom Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, verbreitet. Der aber backt inzwischen viel kleinere Brötchen, die Deutsche Bank ist von der Finanzkrise eingeholt worden und in die Verlustzone gerutscht. Sie steht auch nicht so krisensicher da, wie ihr Chef behauptet. Wenn aber nicht einmal die Deutsche Bank ein Hort der Sicherheit ist, darf man sich nicht wundern, wenn das Wort von Managern bei den Bürgern nur noch wenig gilt.

Wo sich die Finanzelite durch eine Mischung aus Leichtsinn, Skrupellosigkeit und Gier ins gesellschaftliche Abseits manövriert, schlägt die Stunde der Politiker, die den Staat als letzten Hort des Vertrauens empfehlen. Man kann es den Politikern nicht einmal übelnehmen, dass sie sich selbst zu feiern beginnen, nur weil die einst großen Chefs von Banken und Konzernen inzwischen um Hilfe vom Staat betteln, um Folgen abzufedern, die sie selbst heraufbeschworen haben. Die Politiker sollten aber nicht vergessen, dass auch sie den Beleg dafür schuldig blieben, dass sie die besseren Unternehmer sind. Ausgerechnet die Banken, die in der Hand des Staates liegen, stehen in dieser Finanzkrise am schlechtesten da.

Die Chefs von Konzernen und Banken müssen einen Neuanfang wagen, wenn sie wieder zu Ansehen kommen wollen. Sie müssen Vertrauen und Anstand, die alten Werte, wieder zu ihren neuen Werten machen. Vor allem aber muss ihnen klar sein, dass sie in die nächste Katastrophe rennen, wenn sie glauben, dass ihnen die Regeln und Gesetze egal sein können, weil sie diese selber machen können. Zumwinkel wird Bewährung erhalten. Nicht nur er muss sich bewähren.

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Hilfe beim Sterben

Ein Gesetz zu Patientenverfügungen ist notwendig, aber es muss so unbürokratisch wie möglich sein

Von Nina von Hardenberg

Wenn ein Kind zur Welt kommt, stehen Geburtshelfer bereit, die Schmerzen der Mutter zu lindern und das Neugeborene zu umsorgen. Am Ende des Lebens gibt es solche Hilfen nur selten. Zwar leisten Palliativmediziner genau diese Art der Sterbehilfe, indem sie Menschen beim Sterben begleiten. Doch ihre Arbeit ist noch zu wenig verbreitet. Klassische Ärzte sehen sich eher als Lebensretter denn als Sterbebegleiter. In vielen Kliniken ist es noch an der Tagesordnung, todkranke Patienten mit medizinisch nicht gerechtfertigten Wiederbelebungsversuchen und künstlicher Ernährung zu traktieren. Die Mischung aus Übertherapie und fehlender Fürsorge am Lebensende macht den Menschen zu Recht Angst. Um sie geht es, wenn der Bundestag über ein Patientenverfügungsgesetz berät.

Patientenverfügungen können die Furcht vor Fremdbestimmung am Lebensende mildern. Menschen legen in ihnen fest, wie sie behandelt werden wollen, wenn sie sich nicht mehr äußern können - und wie nicht. Solche Verfügungen sind nach den Richtlinien der Bundesärztekammer bindend, doch viele Mediziner wissen das nicht. Widersprüchliche Urteile des Bundesgerichtshofs haben die Unsicherheit zusätzlich erhöht. Immer wieder entscheiden sich Ärzte deshalb für eine Lebensverlängerung, auch wenn diese nur das Leiden verlängert und den Wünschen des Patienten widerspricht.

Ein Gesetz, das den rechtlichen Status von Patientenverfügungen klärt, ist darum dringend nötig. Es sollte dies in möglichst unbürokratischer Weise tun und anerkennen, dass das Sterben nicht "normierbar" ist, wie es Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe ausdrückt. Der Versuch des CDU-Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Patienten vor sich selbst und vor den Risiken einer achtlos ausgefüllten Verfügung zu schützen, ist deshalb ungeeignet. Bosbach will nur solche Dokumente uneingeschränkt anerkennen, die mit Hilfe von Ärzten und Notaren erstellt wurden. Dies trifft für die wenigsten der vorhandenen sieben Millionen Verfügungen zu. Statt ein Beschäftigungsprogramm für Notare einzuführen, sollte ein Gesetz die Hürden niedrig halten und die Wünsche des Patienten in den Mittelpunkt stellen. In beiden Entwürfen der anderen Abgeordnetengruppen finden sich richtige Ansätze hierfür.

Eine Patientenverfügung ist aber kein Allheilmittel. Sie kann nie die konkreten Umstände des Sterbens voraussehen und hilft auch nur jenen 14 Prozent der Deutschen, die ein solches Dokument verfasst haben. Ein Gesetz wird den Ärzten ihre Verantwortung deshalb nicht abnehmen. Sie müssen künftig kritischer hinterfragen, wo ihre Kunst endet und wo die Sterbebegleitung beginnen muss. Auch für Patienten reicht es nicht, wenn sie ihre Vorstellungen im stillen Kämmerlein niederschreiben. Denn mit unklaren Formulierungen können sie sogar Schaden anrichten. Wer möchte, dass seine Wünsche verstanden und befolgt werden, sollte auch künftig das Gespräch mit Angehörigen und Ärzten suchen.

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Kassenjustiz, Klassenjustiz

Früher wurde der Justiz vorgeworfen, sie sei eine Klassenjustiz. Diese Kritik ist verstummt, seitdem sich Zumwinkels und Ackermänner vor dem Strafgericht verantworten müssen. Die Justiz ist heute weniger Klassenjustiz denn Kassenjustiz: Bei Gericht wird gefeilscht und gehandelt. Bisher geschah das ohne gesetzliche Basis; jetzt wird der Deal legalisiert. Das Kabinett hat den Gesetzentwurf "zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren" verabschiedet.

Verteidiger, Staatsanwalt und Gericht treffen Absprachen, in denen Geständnisse vereinbart und dafür bestimmte Strafen zugesichert werden. Das Geständnis wird zur Ware, der Prozess wird kommerzialisiert, aber dafür wird er auch kürzer. Der Staat spart Geld. Das alles ist, wie gesagt, nicht neu. Neu ist, dass das alles jetzt vom Gesetz anerkannt und gefördert wird. Das neue Gesetz befördert immerhin den Deal aus der Heimlichkeit in die Öffentlichkeit; er muss in öffentlicher Verhandlung protokolliert werden. Aber auch der protokollierte Deal bleibt ein Deal. Das Gesetz macht ihn leider zur Norm und zum Normalfall. Das ist falsch, und das bleibt falsch, auch wenn es so in einem neuen Paragraph 257 c der Strafprozessordnung stehen wird. Dieser Paragraph wird der Akzeptanz des Rechts schaden. Weil das Dealen eine Kunst ist, für die es besonders gute und teure Anwälte gibt, werden die Angeklagten dabei besser wegkommen, die sich diese Anwälte leisten können. Daher ist die Kassenjustiz auch eine Klassenjustiz.

In der Gesetzesbegründung steht, dass das Gesetz keine finanziellen Auswirkungen habe. Das stimmt nicht. Der Deal spart dem Staat Richter und Staatsanwälte. Der Preis ist der Abschied von den Prinzipien des Strafprozesses. pra

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Rückschritt für Berlin

Die Berliner Initiative "Pro Reli" hat geschafft, was ihr vor einem Monat kaum einer zugetraut hat. Sie hat sich einen Volksentscheid darüber erkämpft, ob Religion zum Wahlpflichtfach an Berliner Schulen werden soll. Dafür kann man ihr Respekt zollen, vor allem wenn man bedenkt, wie klein die Minderheit ist, die sich da so lautstark Gehör verschafft. "Pro Reli" hat seine Bastionen weit im Westen der Stadt, in den Vierteln der Besserverdiener, und im Prenzlauer Berg, wo heute Akademikerkinder aus Schwaben oder Bayern dominieren.

20 Jahre nach der Wende ist Berlin dem bürgerlichen Normalzustand der alten Bundesrepublik ein Stückchen nähergekommen, auch das zeigt der Erfolg der Initiative. Das ändert aber nichts daran, dass mehr als 40 Prozent der Stadtbewohner nach wie vor religiös nicht gebunden sind. Gerade im Osten der Stadt sehen viele die Kampagne der Kirchen skeptisch, und dass sie hilft, die rund 250 000 Berliner Muslime gesellschaftlich besser zu integrieren, ist zu bezweifeln.

Wenn es um Moral und Glauben geht, um Kopftücher, Geschlechterrollen oder Ehre, gehen die Überzeugungen in der Stadt himmelweit auseinander, gerade unter Jugendlichen. Für sie ist der Ethikunterricht, den ab der 7. Klasse alle besuchen müssen, das einzige Forum, das sie zwingt, mit Andersgläubigen über Werte zu streiten. Schafft man diese Pflichtübung ab und lässt jeden seinen eigenen Weltanschauungsunterricht wählen, ist das für die Schüler bequem. Sie bleiben dann wie üblich unter ihresgleichen. Für die Stadt aber und ihre Fähigkeit zum inneren Dialog wäre es ein kapitaler Rückschritt. Deshalb ist es gut, dass "Pro Reli" nach diesem Achtungserfolg bald am Ende des Weges sein dürfte. lion

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Umkehr in Guantanamo

Es ist ein erster Schritt, und er geht in Richtung Rechtsstaat. Barack Obama hat darum gebeten, die Militärprozesse gegen die Häftlinge auf Guantanamo auszusetzen. Nun sollte der neue US-Präsident weitere Schritte folgen lassen. Die Vereinigten Staaten müssen mutmaßliche Terroristen vor ordentliche Strafgerichte stellen, wie andere Schwerverbrecher auch. Wem nichts nachgewiesen werden kann, der ist freizulassen. Danach muss das Lager Guantanamo geschlossen werden. Nur so kann Amerika zu den Werten zurückfinden, die es unter George W. Bush in einer Mischung aus Hybris und Angst verraten hat. So kann es wieder das Land der Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit werden, als das es doch gelten möchte.

Das klingt einfach, aber so einfach ist es nicht. Unter den 250 Guantanamo-Häftlingen dürften etliche sein, denen nichts zu beweisen ist, die jedoch darauf lauern, sich wieder in den Terror-Krieg zu stürzen. Die Staatengemeinschaft muss Antworten finden, wie mit solchen Menschen umzugehen ist. Die Regeln des heutigen Völkerrechts über Kriegsgefangene passen nicht. Sie gelten für Kombattanten, die einem Staat zuzuordnen sind. Die Kämpfer al-Qaidas sind aber freie Radikale. Sie stellen nicht nur die Sicherheitskräfte, sondern auch Juristen und Menschenrechtler vor Probleme.

Solange keine Lösungen gefunden sind, gilt: Wer nicht schuldig ist, ist unschuldig und freizulassen, selbst wenn er noch gefährlich werden könnte. Das ist der Preis des Rechtsstaats. Wer ihn zu zahlen verweigert, leitet die Entwicklung zu einem Sicherheitsstaat ein, der Recht und Freiheit preisgibt. Amerika ist ein Stück dieses Weges gegangen. Gut, dass es jetzt umkehrt. ul

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Die Trümmer von Gaza

Von Rudolph Chimelli

Der Waffenlärm in Gaza ist verstummt, die Schreckensbilder verblassen. Obwohl kein Problem gelöst wurde, scheinen einige Resultate des Dreiwochenkrieges schon jetzt gewiss. Mehr denn je ist Israel in der arabisch-islamischen Welt zum Paria geworden, und nie war die Bereitschaft in der Region so gering, den jüdischen Staat auf Dauer als Nachbarn und Partner zu akzeptieren. Dabei hatten Hoffnungen auf einen haltbaren Frieden, Sicherheit und Normalität gerade darauf beruht, Israel werde sich eines Tages als verträgliches Gemeinwesen in ein arabisches Umfeld integrieren lassen.

Diese Utopie liegt nun in den Trümmern von Gaza begraben, für Jahre, wenn nicht für die Frist einer Generation. Bis dahin freilich werden sich die demographischen und politischen Gegebenheiten wandeln - und nicht unbedingt zum Vorteil Israels.

Aus ihrer blamablen Schwäche angesichts des Krieges werden die arabischen Staaten kaum den Schluss ziehen, nun sei Einigkeit geboten: Vielmehr werden sie aufrüsten, um gegen Handlungsunfähigkeit, Druck durch rivalisierende Bruderstaaten und Bedrohung durch israelische Übermacht oder ihre eigenen Islamisten besser gewappnet zu sein. Speziell im Libanon, der vor zwei Jahren eine israelische Invasion im Gaza-Stil erlebte, wird niemand mehr wagen, auf einer Entwaffnung der islamistischen Hisbollah-Bewegung zu bestehen. Die Chancen der Hisbollah und ihrer Verbündeten bei den Wahlen im Frühling dürften sich durch Gaza stark verbessert haben.

Zu den Opfern des Krieges gehören der berüchtigt-endlose Friedensprozess und das Zwei-Staaten-Projekt zur Beilegung des Jahrhundert-Konflikts um Palästina/Israel. Die Pläne litten schon bisher daran, dass Israel einem Palästinenser-Staat mit begrenzter Souveränität neben Gaza nur Puzzle-Teilstücke des besetzten Westjordanlandes zugestehen wollte, während israelische Siedlungen ausgebaut wurden. Der Status des arabischen Ostteils von Jerusalem und die Grenzziehung werden nun noch schwerer zu regeln sein.

Im gleichen Schwebezustand befindet sich der von Saudi-Arabien initiierte Friedensplan, der die Anerkennung Israels durch sämtliche arabischen Staaten gegen Räumung aller besetzten Gebiete vorsieht. Jetzt droht Riad mit der Annullierung der Offerte.

Durch den Krieg hat die Hamas einige hundert Mann, aber nicht die Kontrolle über Gaza verloren. Das Gros ihrer Kämpfer und die wichtigsten Führer haben überlebt. Die Vorstellung, sie könnten unter dem Bombenhagel ihre Waffen niederlegen und sich den zehntausend Genossen anschließen, die sich bereits in israelischen Gefängnissen befinden, war von vornherein unrealistisch. Noch absurder wäre die Erwartung, durch gute Worte und Hilfsversprechen sei Gaza zu bewegen, sich wieder der Autorität der Palästinenser-Verwaltung von Präsident Mahmud Abbas unterzuordnen.

Abbas ist belastet, weil seine jahrelangen Friedensverhandlungen mit Israel und Amerika selbst für das Westjordanland absolut nichts gebracht haben. Kehrten er und sein von der Hamas vertriebener Sicherheitschef Mohammed Dahlan im Gepäck der Israeli nach Gaza zurück, so würden sie zu Figuren wie einst der libanesische General Labad, der im damals besetzten Südlibanon für die Israeli die Hisbollah bekämpfte.

Die Europäer machten keine gute Figur, ihr Prestige unter Arabern litt entsprechend. Keiner der vielen Reisenden in Sachen Waffenruhe äußerte den Wunsch, nach Gaza zu gehen. Niemand in der EU ließ von der Haltung ab, man müsse überall die "Gemäßigten" gegen die "Extremisten" unterstützen, auch wenn die Extremisten, in diesem Fall die Hamas, vor zwei Jahren die freiesten Wahlen gewonnen hatten, die es je im Nahen Osten gab. Nun fanden sich die Europäer in der Zwangslage, dass sie doch mit der anderen Seite reden mussten, wenn sie in Gaza eine Katastrophe abwenden wollten - und so mussten sie ihre Kontakte zu Hamas über den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak suchen.

Der türkische Regierungschef Erdogan wurde gleichfalls als Mittelsmann bemüht. Sein Land wandelte sich in der Krise vom strategischen Verbündeten Israels zu einem der schärfsten Kritiker. Noch im letzten Jahr war die Türkei das Scharnier für Kontakte zwischen Syrien und Israel mit dem Ziel, die besetzten Golan-Höhen gegen Frieden zu tauschen. Auch dieses Vorhaben liegt im Koma. Gestärkt wurde hingegen die Allianz zwischen Damaskus, Teheran, Hisbollah und Hamas, die zunehmend den flankierenden Schutz Ankaras genießt.

Vor langer, langer Zeit suchte ein sozialdemokratischer israelischer Ministerpräsident Mosche Scharett den Ausgleich mit der "Vereinigten Arabischen Republik" des Ägypters Gamal Abdel Nasser. Britische Labour Politiker und deutsche Sozialdemokraten vermittelten. Die Aussichten standen nicht schlecht. Durch einen ersten Überfall auf Gaza vermasselte damals Israels Rechte Scharett den Erfolg. Die historische Chance des Ausgleichs mit dem laizistischen arabischen Nationalismus war vertan. Heute steht auf der anderen Seite der radikale Islam.

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Thomas Petri Aus Berlin abgeworbener neuer bayerischer Datenschützer

Der bayerische Datenschutzbeauftragte ist ein mächtiger Mann: nicht der Regierung unterstellt, keinen Weisungen unterworfen, unabhängig, nur dem Gesetz verpflichtet. Und die bisherigen Datenschutzbeauftragten haben diese Unabhängigkeit stets genutzt - ihre Ratschläge an die Regierung waren hin und wieder auch Schläge. So kritisierte der bisherige Datenschutzbeauftragte Michael Betzl mal Bayerns Vorpreschen bei der Online-Durchsuchung von Computern, mal die ausufernde Video-Überwachung in den Städten. Bis sich herausstellte, dass Betzl einen Teil seines Vermögens steuersparend in Liechtenstein angelegt hatte. Steuerfahnder durchsuchten seine Wohnung, daraufhin musste Betzl von seinem Amt zurücktreten.

Nun kommt ein Neuer und der hat bei seiner Vorstellung gleich deutlich gemacht, dass es mit ihm nicht gemütlicher zugehen wird. Der neue Mann habe sofort die möglichen Interessenkollisionen angesprochen, die es zwischen dem Datenschutz und anderen Behörden gebe, sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, dessen Polizei und Verfassungsschutz der Datenschutzbeauftragte vermutlich zu allererst gemeint hat. Von geringem Selbstbewusstsein, so Herrmann, sei der Neue nicht.

Das stimmt, sagt Thomas Petri, 41. Er werde sich sicher mit dem Innenminister auseinandersetzen - aber auch zusammensetzen. "Ich bin nicht rot, nicht schwarz, nicht grün, nicht lila. Ich bin ein Fachmann, kein Politiker." Und als Fachmann wurde er auch von der bayerischen FDP geholt. Petri ist bisher stellvertretender Datenschützer in Berlin und war zuvor beim Bundesverfassungsgericht und beim Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz in Schleswig-Holstein. Dessen Leiter Thilo Weichert sieht nun einen Modernisierungsschub auf Bayern zukommen. "Petri ist kein Hinterbänkler des Datenschutzes, keiner, der die sanfte Linie fährt." Das zeigt sich gerade mit dem Paukenschlag, den er zielgenau noch an seinem alten Arbeitsplatz in Berlin gesetzt hat: In seinem Haus wurden die Ermittlungen im Datenskandal der Deutschen Bahn geführt, die 1 000 Führungskräfte wegen Korruptionsverdachts überprüft haben soll, ohne es den Mitarbeitern mitzuteilen.

Allerdings gilt Petri nicht als jemand, der beim Datenschutz mit dem Kopf durch die Wand will. "Er setzt auf den Dialog und auf Überzeugungskraft", sagt Weichert. Pragmatisch sei Petri. Das zeigt er auch im Bahnskandal: Die Bahn habe durchaus ein berechtigtes Interesse, etwas zur Bekämpfung der Korruption zu tun. Die Frage sei nur, ob sie dabei auch das geltende Recht eingehalten und die Rechte der Mitarbeiter respektiert habe.

Demnächst wird sich Petri nicht mehr um private Firmen kümmern, sondern um den Datenschutz im Freistaat, und um die Bürger. Die gehen seiner Ansicht nach viel zu sorglos mit ihren Daten um. "Entblößt euch nicht selbst" würde er ihnen am liebsten zurufen, wenn sie im Internet wieder einmal privateste Daten preisgeben. Doch weil der Mensch nun einmal unvorsichtig sei, müsse der Staat Regeln schaffen, um Datenmissbrauch zu verhindern. Annette Ramelsberger

Foto: oh

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Berliner Katastrophenpaket

Die Milliarden für Deutschlands Konjunktur sind falsch angelegt, weil sie das Wachstum ankurbeln sollen, statt Nachhaltigkeit zu fördern

In "Politik am Bruch" (17. Januar) bringt Michael Bauchmüller es auf den Punkt: Mit den 50 Milliarden Euro für ein Konjunkturpaket gestaltet die Politik nicht, sondern erhält alte Strukturen. Bestes Beispiel dafür ist die Abwrackprämie. Doch weder die Bundesregierung noch der Kommentator hinterfragen eine der wesentlichen Ursachen dieser Finanz-, Wirtschafts- und Rohstoffkrise. Wie beim "Katastrophenpaket" geht es vor allem um Wachstum - und eben nicht um Nachhaltigkeit, denn die ist ökonomisch nicht sinnvoll. Genauso wenig wie beispielsweise ein Tempolimit. Das würde durch geringeren Verschleiß und seltenere (Total-)Schäden dazu führen, dass weniger Verbrennungsmotoren produziert und verkauft würden. Der pathologische Wachstumszwang stößt bei den natürlichen Ressourcen bereits an seine Grenzen.

Jens Hakenes

Berlin

Ein Industriesystem

der Vergangenheit

Es ist kein Wunder, dass die Bundesregierung auf Lebenserhaltungsmaßnahmen für ein Industriesystem des vergangenen Jahrhunderts setzt: Alle politischen Parteien sind sich darin einig, dass Wachstum das einzige Ziel dieses Systems ist. "Mehr" galt schon immer als besser und es stand nie zur öffentlichen Debatte, ob es wirklich egal ist, was da eigentlich von Jahr zu Jahr mehr produziert wird. An den Finanzmärkten galt und gilt dasselbe Prinzip: Mehr ist besser. Damit wirbt jede Bank - und zwar ganz legal. Dass dabei Blasen entstehen, die dann schmerzvoll platzen, wird hingenommen. Eine grundlegende Systemanalyse und eine öffentliche Diskussion über die Zielsetzung des Wirtschaftens unterbleibt. Und damit auch jede Diskussion darüber, wie lange exponentielles Wachstum von Geldvermögen, Geldschulden und Ökonomie überhaupt gutgehen kann. Norbert Rost

Dresden

Den Firmen

fehlt das Geld

Den Politikern fehlt die Kraft zu gestalten, und das wird uns Bürger noch teuer zu stehen kommen. Nach 60 Jahren Wirtschaftswachstum fällt den Beratern nichts Besseres ein, als mehr Wirtschaftswachstum zu fordern.

Eine entscheidende Ursache der Entwicklung besteht darin, dass in Produktion, Handel und Dienstleistung auf Dauer nicht das Wachstum erzeugt werden kann, das vom Finanzkapital gefordert wird. In einem gesättigten Markt tendieren Wachstum und Gewinn gegen null. Unser Kapital verweigert sich bei Minimalrenditen aber konsequent. Die zweite verkannte Ursache besteht darin, dass Firmen trotz Leitzinssätzen nahe null mit Kreditkosten von sechs bis sechzehn Prozent kalkulieren müssen. Kosten, die nicht selten höher sind als die Gehaltskosten. Dieses Geld fehlt Unternehmen, um eine der Absatzlage angemessene Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnstreichung finanzieren zu können.

Eine zentrale Aufgabe des Finanzsektors ist die Versorgung der Wirtschaft mit ausreichender Liquidität. Die Herausforderung besteht darin, die Kapitalkosten dem Wirtschaftswachstum anzupassen. Mit Kapitalkosten nahe null rechnen sich unzählige Investitionen im ökologischen und sozialen Bereich. In den öffentlichen Haushalten werden Milliarden frei für die geforderten Zukunftsinvestitionen. Ganz nebenbei geht auch das Überwachstum der Geldvermögen zurück, das ja die regelmäßig auftretenden Spekulationsblasen erst verursacht.

Klaus Popp

Düsseldorf

Leben auf Kosten

späterer Generationen

Valentin würde sagen: Wenn die Zukunft noch greislicher wird als sie schon ist, dann machen wir halt ein Konjunkturprogramm, das gar keine Zukunft nicht hat! Wir sind ein aussterbendes Volk, das Angst vor Überfremdung hat. Wir investieren aber nicht 2500 Euro in jedes Neugeborene, sondern in die Verschrottung von Autos und damit die Vernichtung von Volksvermögen, die sich nur eine Gesellschaft leisten kann, die hemmungslos auf Kosten kommender Generationen lebt. Wir machen Schulden wie nie zuvor, die von unseren Nachfahren beglichen werden müssen. Deren Bildungsniveau läuft aber Gefahr, noch weiter zu sinken, sodass sie gegenüber aufstrebenden Völkern ins Hintertreffen gerät. Wir investieren nicht etwa für kleinere Schulklassen und mehr und besser ausgebildete Lehrer, sondern bestenfalls in die Renovierung von vorhandenen Schulen. Wir investieren auch vorrangig in den Straßenbau und damit in eine automobile Zukunft, die nicht mehr stattfinden kann. "Weiter so!" ist die Devise und damit könnten wir uns anstelle von Valentin auf die Bühne stellen. Dann bekämen wir wenigstens Applaus für diese unglaublich kurzsichtige und kuriose Handhabung einer allgemein seit langem schon - außer von Bankern - absehbaren Katastrophe.

Karl Klühspies

München

Auch in Zukunft

brauchen wir Produkte

Wohin eine zu starke Deindustrialisierung führt, kann in England besichtigt werden. Auch zukünftig brauchen wir in erster Linie physische, aus Material hergestellte Produkte für die Gestaltung eines komfortablen Lebens. Nur wer diese Produkte herstellt, weiß um deren Material- und Energieverbrauch, die zu ihrer Herstellung notwendigen Maschinen, die Wartungserfordernisse während deren Lebenszyklus und die Bedingungen für ein vernünftiges Recycling. Schulische Bildung, berufliche Ausbildung, Offenheit, zukünftige Märkte zu erkennen und der Mut, sie zu erschließen, die Kreativität von Ingenieuren, neue Produkte zu entwickeln: Das sind die Felder, die von gestaltender Politik begünstigt werden sollten. Das entstehende bürokratische Monster, den Durchschnittsverbrauch (oder umständlicher CO2-Ausstoß) zukünftiger Autos am Durchschnittsverbrauch der von einem Hersteller oder einem Herstellerkonsortium in den Verkehr gebrachten Autos zu begrenzen, ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Politik, sei es aus Gründen mangelnden Mutes oder aus Gründen mangelnden eigenen Sachverstandes, weit davon entfernt ist, mit marktwirtschaftlichen Grundsätzen zukunftssichere, langfristig erhaltbare und damit verlässliche Rahmenbedingungen zu formulieren, sondern sich immer mehr dem Einfluss kurzsichtiger, partikuläre Interessen vertretender Lobbyisten unterwirft.

Dr. Heiko Barske

Seefeld

Wer ruft noch

"Wir sind das Volk"?

In einem Jahr, das reich ist an bedeutungsvollen und erinnerungswürdigen Gedenktagen, gibt es wohl nichts Trostloseres als die Vorstellungen einer Agentur, die vom Bundesinnenministerium mit der Ausgestaltung des 60. Jahrestages der Gründung der Bundesrepublik beauftragt wurde ("Irritierende Rednerliste" 16. Januar). Demnach ist derzeit geplant: Eine Autoshow am Brandenburger Tor und die Werbung von 150 Firmen, die vielleicht bis dahin Millionen von Euro in den Sand gesetzt oder Tausende Mitarbeiter entlassen haben, an der Straße Unter den Linden - das soll dem Anlass gerecht werden und Stolz auf die zurückliegenden Jahrzehnte der Bundesrepublik vermitteln? Hat da mal jemand von Nationalgefühl oder Politikverdrossenheit geredet? Wurde da vielleicht einmal gerufen "Wir sind das Volk"?

Dr. Karl Klaus Walther

Volkach

Kanzlerin

ohne Nimbus

Kanzlerin Angela Merkel redet wegen der Unterbrechung der Gaslieferung ("Merkel verlangt schnelle Einigung im Gas-Streit", 17./18. Januar) mit dem russischen Ministerpräsidenten wie eine hilflose Lehrerin mit ungehorsamen Kindern: Meine Geduld ist erschöpft, ich verlange, dass ihr aufhört, ich erwarte, dass ihr eure Aufgaben macht. Mir doch egal! Noch was? Solange Deutschland und andere europäische Länder so sehr am russischem Gashahn hängen wie derzeit, sollte die Kanzlerin die Backen nicht so stark aufblasen und dafür mehr über deutsche und europäische Versäumnisse in der Energiepolitik nachdenken sowie schnellstens mit der EU die Abhängigkeit vom russischen Gas reduzieren. Schimpfen ist meistens ein Zeichen von Schwäche. Das spüren sogar Kinder. Der Nimbus der Kanzlerin ist dahin, ihre Aura schwindet.

Albert Hagn

Ravensburg

Der Milchfonds bringt

den kleinen Bauern nichts

Dass Milchfonds und Exportförderung den kleineren, tierfreundlicher agierenden Milchbauern helfen würden ("Paradoxe Agrarpolitik", 19. Januar), ist falsch. Exportsubventionen kommen in erster Linie Großbetrieben zugute - also denen, bei denen Kühe auf Spaltenböden stehen und gerade einmal zwei Laktationsperioden überstehen, bevor sie "ausgebrannt" sind. Kleinbauern mit Grünlandnutzung brauchen stattdessen Programme, die eine tier- und landschaftsschonende Haltung honoriert, die zudem Allergien entgegenwirkt. Der jetzt erkämpfte Milchfonds hilft ihnen wenig, denn ihren Aufwand gleicht er nicht aus. In Entwicklungsländern werden aber Strukturen zerstört, die nur schwer wieder zu errichten sein werden, ebenso wie die unserer kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Hinzu kommt das Leiden der immer stärker ausgebeuteten Tiere.

Elisabeth Petras

Hamburg

Burkina Fasos Präsident und sein Bruder beim Ballspiel. Zeichnung: D. Glez

Fördert das Konjunkturpaket der Bundesregierung zukunftsträchtige Wirtschaftszweige? Das Bild zeigt Betonelemente für den Turm einer Windkraftanlage bei Schönfeld in der Uckermark. Foto: ddp

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Zeichnen für Demokratie

Afrikas Karikaturisten leben gefährlich

"Spiel mir den Ball zu", sagt François Compaoré zu seinem Bruder Blaise, dem amtierenden Präsidenten von Burkina Faso. "Kannst du nicht bis 2015 warten", erwidert dieser. Die Karikatur des Zeichners Damien Glez erschien kürzlich im Journal du Jeudi (Burkina Faso). Sie spielt darauf an, dass der umstrittene Präsident, der seit 1987 an der Spitze des Staates steht, die Macht an seinen jüngeren Bruder abgeben könnte, was ihm Straffreiheit sichern würde: Sein Bruder würde ihn weder gerichtlich verfolgen noch an internationale Gerichte ausliefern. Nach der Verfassung könnte Blaise Compaoré, der im Verdacht steht, vom Handel mit Waffen und "Blutdiamanten" profitiert zu haben, allerdings bis 2015 Präsident bleiben und dann sogar die Verfassung für eine Amtsverlängerung ändern. Das hat er bereits einmal getan.

Damien Glez steht unter Beobachtung. Für diese Zeichnung wurde er zwar nicht vom Obersten Presserat der Regierung vorgeladen - anders als bei einer früheren Karikatur, für die man ihm wegen "Beleidigung des Staatsoberhauptes" mit Strafen drohte. Dass Zeichner in Afrika nicht immer so glimpflich davonkommen, berichteten Betroffene vor kurzem beim Workshop "Die Kunst der Pointe". Das Goethe-Institut hatte neben Karikaturisten aus den afrikanischen Ländern Burkina Faso, Elfenbeinküste und Tschad auch Zeichner der Süddeutschen Zeitung nach Ouagadougou eingeladen.

Mit Exil, Gefängnisstrafen und sogar tödlichen Angriffen müssen Zeichner in Ländern wie Simbabwe, Nigeria oder Liberia rechnen, weil sie sich nicht einschüchtern lassen. Trotz der gefährlichen Arbeitsbedingungen gibt es eine überraschende Vielzahl an politisch-satirischen Blättern, die eine große Akzeptanz genießen. Afrikanische Karikaturisten gehören damit zu wichtigen Kritikern der politischen Zustände. Gabor Benedek

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KORREKTUREN

Am 16. Januar stand in "Schandtaten in Schnipseln", der Landesbischof von Thüringen sei aufgrund rekonstruierter Akten als Stasi-Spitzel enttarnt worden. Gemeint war nicht der derzeitige Amtsinhaber, sondern Ingo Braecklein, ein verstorbener Vorgänger.

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ANTWORTEN AUF DIE FRAGE DER WOCHE

"Kann das Konjunkturpaket die Talfahrt der deutschen Wirtschaft abbremsen?" lautete die Frage der vergangenen Woche. Eher nicht, meinen die meisten Leser, einige Antworten drucken wir an dieser Stelle ab.

Ein bisschen Steuern senken, ein paar Straßen mehr bauen und einige Unternehmen vorzugsweise der Automobilindustrie verstärkt subventionieren. Alles klingt nach einem weiter so. Dabei wäre genau jetzt der Zeitpunkt, einen engagierten Neuansatz zu wagen und auf diese Weise zwei Krisen mit einem Streich zu meistern, nämlich Finanz- und Klimakrise: die Klimakrise wird nicht zu bewältigen sein ohne eine Energiewende weg von fossilen, hin zu regenerativen Energieträgern. Wind- und Solarenergie werden hier eine wichtige Rolle spielen, und gerade im Solarbereich sind deutsche Firmen nach wie vor Marktführer auf der Welt und beschäftigen bereits jetzt mehr Arbeitskräfte als die Automobilindustrie. Der Sitz dieser Firmen ist darüber hinaus in den neuen Bundesländern, in Regionen also, die von einem Abschwung besonders schlimm betroffen sein könnten.

Dr. Wolfgang Schürger

München

Es wird, wie immer bei solchen Anlässen, das viele Geld in wenigen Taschen landen.  Herrschaften, die am besten Bilanzen fälschen können und deren Gier am größten ist, zählen zu den Gewinnern. Zahlen dürfen natürlich alle Bürger, ob sie wollen oder nicht.

Kurt-Udo Stretz

Ruppertsweiler

Es ist völlig naiv, dass der Staat mit einer Verschrottungsprämie, die letztlich der Steuerzahler zahlt, den Absatz der Automobilhersteller ankurbeln will und erwartet, dass deutsche Fahrzeuge gekauft werden; denn den Absatz für Importautos aus Fernost wollen wir doch wohl nicht stärken. Die Autohersteller, nachdem sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben und weiter Fahrzeuge mit weit über 200 Kilowatt in den Markt drücken, erdreisten sich teilweise sogar mit Preiserhöhungen auf den Kunden zuzugehen. Der sollte diesem Verhalten mit einer deutlichen Kaufzurückhaltung begegnen.

Gerhard Kopp

Berlin

Das zentrale Problem der aktuellen Krise heißt: "Zukunftsangst". Befeuert durch andauernde Hiobsbotschaften vom Finanz- und Arbeitsmarkt haben sich Ängste breit gemacht, um den Arbeitsplatz oder die Altersvorsorge, um Wertpapieranlagen oder Schuldentilgung. Wer Angst hat, hält sein Geld lieber zusammen. Geschenke vom Staat werden zwar gerne angenommen, aber nicht gleich wieder ausgegeben, selbst die Abwrackprämie erfordert Mut für eine große Investition, sie wird wenig Freunde finden. Das Konjunkturprogramm kann keine Ängste verscheuchen, sondern wird sie sogar noch verstärken, besonders im Hinblick auf die exorbitante Neuverschuldung. Es ist also überwiegend Symbolpolitik und soll nur suggerieren, dass unsere Politiker in der Krise mutig und tatkräftig sind.

Wolfgang Bröll

Unterhaching

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THALASSO

Verantwortlich: Werner Schmidt

Redaktion: Ingrid Brunner

Anzeigen: Jürgen Maukner

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Ostseebäder

Warnemünde: Hotel Neptun (www.hotel-neptun.de), vom Verband deutscher Thalasso-Zentren prämiert.

Heringsdorf/Usedom: Maritim Hotel Kaiserhof (www.maritim-usedom.de) ausgezeichnetes Thalasso-Angebot.

Binz/Rügen: Designhotel Meersinn (www.meersinn.de), bietet Medical Wellness.

Putbus/Rügen: Badehaus Goor (www.hotel-badehaus-goor.de). Kreidepackungen, Baden in der Kaiserwanne und Wellness für Schwangere.

Ahlbeck/Usedom: Ahlbecker Hof (www.seetel-resorts.de) Traditionshotel mit umfangreichem Wellness-Angebot.

Heiligendamm: Kempinski Grand Hotel (www.kempinski-heiligendamm.com). In dem 3000 Quadratmeter großen Spa-Bereich fühlen sich nicht nur G8-Gipfel-Besucher wohl. chbe

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Ostseebäder

Belebende Geschichte

Die traditionellen Kurorte erstrahlen in neuem Glanz

Frühmorgens ist der Strand von Ahlbeck noch leer, goldgelb und fein der Sand, fast wie Puder. Rasch angezogen und raus aus dem Hotel. Vorbei an der gusseisernen Standuhr, Baujahr 1911, an den strahlend-weißen Villen, ans Meer. Die Luft schmeckt nach Salz, der Wind bläst kräftig. Mit einem Schlag ist man hellwach. Die Haut prickelt, Windkosmetik nennen das die Leute aus der Kurverwaltung. Später könnte man sich im Spa verwöhnen lassen; Tee trinken gehen; oder einfach nur flanieren - wie einst zu Kaiserzeiten. Es lässt sich wieder viel vom alten Glanz erspüren, der Ahlbeck, Bansin, Binz und die anderen Seebäder im ausgehenden 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu Magneten für die feine Gesellschaft gemacht hatte.

Die Geschichte der deutschen Ostseebäder beginnt mit einer Reise nach England. Georg Christoph Lichtenberg, Mathematiker und Schriftsteller aus Göttingen und wegen einer Wirbelsäulenverkrümmung zeitlebens leidend, besuchte auf einer Englandreise die Seebäder in Margate und Deal. Er ließ sich von einem von Pferden gezogenen Badekarren in die See transportieren und tauchte ein paar Mal hintereinander ins Wasser. Seither schwärmte er davon, dass er dem Aufenthalt dort die "gesündesten Tage" seines Lebens verdanke. Im Jahr 1793 veröffentlichte er einen Aufsatz mit dem Titel "Warum hat Deutschland noch kein großes öffentliches Seebad?"

Während man in Deutschland damals nur fernab vom Meeresstrand kurte, nutzte man in England längst die gesundheitsfördernde Wirkung von Meerwasser und Seeluft. Maßgeblichen Einfluss auf die britische Badekultur hatte der Mediziner Richard Russell, sozusagen der Urvater der Thalassotherapie. Er gründete das spätere Seebad Brighton in dem Fischerdorf Brightelmstone. Ein Treff der feinen Gesellschaft wurde der Ort, als 1782 der Prinz von Wales, der spätere englische König Georg IV., dort zur Kur weilte.

So etwas wie Brighton wünschte sich nicht nur Lichtenberg. Samuel Gottlieb Vogel, der Leibarzt Friedrich Franz I., Herzog von Mecklenburg-Schwerin, überzeugte den Landesherrn vom Bau eines Seebades: "Durch die (...) heilvolle Wirkung des Badens in Seewasser können sehr viele Schwachheiten und Kränklichkeiten des Körpers behoben werden." Der Herzog war einverstanden, ein Standort fand sich schnell: Doberan, ein kleines Dorf an der Ostsee, zwischen Rostock und Wismar gelegen. Das Badehaus sollte unweit von Doberan am Heiligen Damm stehen. Bauconducteur Johann Christoph Heinrich von Seydewitz wurde mit den ersten Bauten betraut, und 1793 startete in Doberan die erste Badesaison mit mehr als 300 Gästen aus ganz Europa.

Seydewitz' Nachfolger Karl Theodor Severin gab den Neubauten ein ganz anderes Gesicht: Er entwarf moderne klassizistische Bauten - ein prägendes Vorbild für die Architektur der Ostseebäder. Die vielzitierte weiße Stadt am Meer entstand. Jahr für Jahr reiste die mondäne Gesellschaft zur Sommerfrische nach Heiligendamm und bald auch in die neuen Seebäder nach Travemünde, Boltenhagen, Kiel, Sassnitz und Scharbeuz.

Die Sommerfrischler, die durch den Ausbau der Eisenbahntrasse relativ einfach anreisen konnten, verbrachten oft mehrere Wochen an der See. Zum Kuren, zum Baden - und auch, um sich die Zeit in Ballsälen, Teesalons, Spielbanken und auf Pferderennbahnen zu vertreiben. Auf Usedom entstanden die sogenannten Kaiserbäder Heringsdorf, Ahlbeck und Bansin. Kaiser Wilhelm II. reiste am liebsten nach Heringsdorf. Viele Künstler und Prominente zog es an die Ostsee: Die Brüder Mann, Maxim Gorki, Leo Tolstoi, Kurt Tucholsky oder Johann Strauß.

In der Zeit zwischen den Weltkriegen öffneten sich die Seebäder auch für weniger gut betuchte Menschen. Großbetriebe, Gewerkschaften und Sozialversicherungen ließen für ihre Arbeiter und Angestellten Ferienheime bauen. Hitler trieb mit seinem Prora-Projekt die Idee des Sozialtourismus auf die Spitze. Auf Rügen, zwischen Saßnitz und Binz, plante er ein gigantisches Seebad für die NS-Organisation "Kraft durch Freude". Fertiggestellt wurde der Bau nie, bis heute sucht man nach geeigneten Nutzungskonzepten.

Die DDR-Regierung förderte den Tourismus in den Ostseebädern. Heiligendamm wurde zum Kurbad der Werktätigen. Das spiegelte sich auch in der Neubenennung der Villen wider. Das Haus "Perle" wurde zum "Maxim-Gorki-Haus", die Burg Hohenzollern bekam den Namen "Glück auf" - hier kurten Bergleute mit Lungenkrankheiten.

Nach der Wende standen viele alte Prachtbauten zum Glück noch, aber sie mussten dringend renoviert werden. Seebrücken entstanden neu, mit Geschäften und Restaurants. Die Orte putzten sich heraus, das Weiß der Häuser strahlt wieder wie früher. Und man besinnt sich auf Traditionen, nutzt die Heilkraft des Meeres, bietet Thalasso-Therapien an. Was früher Badekur hieß, nennt sich heute Medical Wellness. Christiane Bertelsmann

Nach der Wende standen viele Prachtbauten noch, sie mussten nur saniert werden

Sommerfrische an der Ostsee: Der Strand von Sellin auf der Insel Rügen und die wiederhergestellte historische Seebrücke. Foto: Doris Poklekowski/SZ

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Thalasso-Therapie

Die Heilkraft aus dem Meer

Eine Kur an der See lindert allerlei Leiden. Das wussten die Meeres-Anrainer schon in der Antike

Von Anja Keul

"Ah, Thalatta!" - diesen Jubelruf überlieferte Xenophon in vorchristlicher Zeit, als Zehntausende griechische Söldner nach einer verlorenen Schlacht am Euphrat endlich das Mittelmeer erreichten und den Weg in die Heimat antreten konnten. Später wurde der Freudenschrei angesichts des rettenden Wassers zum geflügelten Wort mit der Bedeutung: Wir sind am Ziel. Heutzutage kennt man den griechischen Ausdruck für "Meer" vor allem in Verbindung mit dem ebenfalls aus Hellas stammenden Begriff für Pflege, "therapeia": Thalasso-Therapien sollen Rückenschmerzen und Rheuma lindern, das Bindegewebe kräftigen, das Immunsystem stärken, die Durchblutung fördern und die Rauchentwöhnung unterstützen.

Ah, Thalasso: Ein Seufzer des Wohlgefühls. Algenpackungen, Massagen, Sprudelbäder und andere Anwendungen mit dem salzigen Nass helfen gegen Verspannungen aller Art. Zusätzliche Beauty-Programme mit mineralreichen Algen, Schlick oder Schlamm sorgen für zarte Haut - mit ein Grund für den Boom der Thalasso-Therapie, die ursprünglich gegen Rheuma- und Ischiasleiden entwickelt wurde. Schon Hippokrates (460 bis 377 v. Chr.) behandelte seine Patienten mit Meerwasser, auch Ägypter und Römer kannten Badekuren im heilsamen Küstenklima. Im 18. Jahrhundert legte der britische Arzt Richard Russel Hautkranken Algen auf, 1867 kreierte der französische Badedoktor Stéphan Bonnardière eine komplexe Therapie mit Meerwasser, Algen, Schlick und Meersalz und benannte sie nach dem griechischen Wort für Meer - die Thalasso-Therapie war erfunden. Verabreicht wurde die Kur wohlhabenden Rheuma- und Schmerzgeplagten allerdings von gestrengen Krankenschwestern mit gestärkten Häubchen.

Erst als der französische Radprofi Louison Bobet Mitte des vergangenen Jahrhunderts seine Gelenkschmerzen durch die Kraft des Meeres auskurierte, rückte das ganzheitliche Wohlgefühl in den Mittelpunkt. Bobet, dreifacher Tour-de-France-Sieger und Nationalheld, sprach gern über seine Heilerfolge und gründete an der französischen Atlantikküste das erste moderne Thalasso-Zentrum. Noch heute ist Frankreich führend auf dem Gebiet, ob an der milden Côte d'Azur mit teils sehr luxuriösen Anlagen oder im raueren, ursprünglicheren Reizklima der Bretagne. An die weltweit zweite Stelle hat sich Tunesien mit vielen neuen Thalasso-Hotels vorgeschoben, aber auch an Nord- und Ostsee oder auf Kreta lockt die Meeres-Medizin Wellnessurlauber an.

Zwar finden sich heutzutage auch in deutschen Großstädten sogenannte Thalasso-Angebote mit Schlamm-Maske und Aromabad - nach den Richtlinien des 2001 gegründeten Verbands Deutscher Thalasso-Zentren ist allerdings die direkte Lage am Meer ein entscheidendes Qualitätskriterium. Schließlich runden Spaziergänge in der frischen Meeresluft den Therapieerfolg ab. Auch deshalb konzentrieren etablierte Thalassozentren die üblichen vier Anwendungen pro Tag auf den Vor- oder Nachmittag, um genügend Zeit für andere Aktivitäten zu lassen. Eine effektive Thalasso-Therapie sollte mindestens eine Woche dauern.

Basis der meisten Anwendungen ist auf 28 bis 37 Grad erwärmtes Meerwasser, das aufgesprudelt wird und dadurch sogenannte Aerosole freigibt, winzige Schwebestoffe in der Luft, die in der Natur direkt in der Meeresbrandung vorkommen. Sie helfen, die Haut ordentlich zu durchfeuchten und bieten der Lunge eine Extraportion Sauerstoff. Jet-Duschen, bei denen die Therapeuten verspannte Körperpartien mit einem kräftigen Wasserstrahl "beschießen", lockern und entspannen, Unterwassermassagen lindern Muskelschmerzen und Cellulite, Algenpackungen zaubern zarte Haut, Sprudelbäder und Wassergymnastik regen die Durchblutung an. Ein besonderer Genuss sind Massagen, die unter einem Sprühnebel von Meerwasser verabreicht werden. Und weil die meisten Thalasso-Zentren auch Diätkost anbieten, purzeln in einer Woche die Pfunde ganz nebenbei.

Aber Achtung: Das feuchte Klima, in dem man sich während der Kur befindet, kann Infektionen befödern. Deshalb sollte man nach einer Anwendung stets in trockene Kleidung wechseln - denn durch die Verdunstungskälte verliert der Körper fast unmerklich Wärme, die Abwehrkräfte werden geschwächt. Andere hygienische Bedenken braucht man in den großen Thalasso-Zentren aber nicht zu haben: Sprudelbäder werden selbstverständlich für jeden Gast neu befüllt, die meist gekachelten Behandlungsräume können problemlos perfekt sauber gehalten werden. Badeschuhe zu tragen, ist eine Selbstverständlichkeit - die meisten Häuser halten sie für ihre Gäste bereit, ebenso wie warme Bademäntel.

Am ersten Tag einer Thalasso-Therapie kann es leicht passieren, dass der Kreislauf schlappmacht, man sich müde und schläfrig fühlt. Nach zwei oder drei Tagen hat sich der Organismus allerdings an die neuen Reize gewöhnt, am Ende einer einwöchigen Kur sorgt der Sauerstoff-Schub aus dem Ozean für allgemeines Wohlbefinden - und manch einer schläft im Kurhotel so gut wie noch nie im Leben.

Ah, Thalasso: Abends noch ein Spaziergang am Strand, während draußen über dem Meer die Sonne untergeht. Zu einer Zeit, als vom heutigen Luxus der Meereskuren noch nicht zu träumen war, die Menschen sich voll bekleidet den heilenden Kräften des Salzwassers hingaben, schrieb Heinrich Heine 1825 eine Hymne an das Meer, dessen Inbegriff für ihn die Nordsee war: "Thalatta! Thalatta! Sei mir gegrüßt Du ewiges Meer! Wie einst Dich begrüßten zehntausend Griechenherzen. . ." Heute tun dies Abertausende von Urlaubern, und einige wollen mehr vom Meer als nur Strand und Badespaß, und nutzen auch seine Heilkräfte.

Der Verband Deutscher Thalasso-Zentren hat folgende Qualitätskriterien festgelegt:

Das Therapiezentrum darf maximal 300 Meter vom Meer entfernt liegen.

Für alle Anwendungen muss frisches, unbehandeltes Meerwasser verwendet werden.

Mindestens ein Badearzt sowie qualifizierte Masseure, Therapeuten und Sportlehrer stehen zur Verfügung.

Hygiene und Sicherheit muss permanent kontrolliert werden.

Nicht angezeigt ist eine Thalasso-Therapie bei Schilddrüsenüberfunktion, Bluthochdruck, Kreislaufschwäche, Krebserkrankungen und in der Schwangerschaft.

Jetduschen, Sprudelbäder, und Algenpackungen

regen die Durchblutung an

Ungeahnte Kräfte: Das Meer ist eine Apotheke, unter anderem Allergiker und Rheumatiker profitieren von einer Thalasso-Kur. Fotos: Mauritius, ddp

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Blut und Spiele

Auf der indonesischen Insel Sumba profitiert die archaisch lebende Bevölkerung von sanftem Tourismus

Blut, überall Blut. Es färbt den Sand des sonst staubtrockenen Bodens zu rotem Schlamm. Barfuß waten die Männer darin. Viel mehr ist nicht mehr zu sehen von dem Gemetzel. Heute war Schlachttag in Waihola. Die zwei Büffel haben sie inzwischen längst zerlegt direkt auf dem Dorfplatz, dem Zentrum des Ortes, der Festplatz, Versammlungsort und Begräbnisstätte zugleich ist. Dort befinden sich auch einige der für Sumba typischen Megalithgräber, die aussehen wie große Steintische; mal mehr, mal weniger reich mit Ornamenten verziert, je nach Status des Verstorbenen. Auch in Waihola steht demnächst eine Beerdigung an, und die Gäste wollen verköstigt werden. Das Fleisch hängt bereits in kleine Bröckchen portioniert und zum Trocknen aufgefädelt auf einer Schnur, die wie eine Wäscheleine über den Dorfplatz gespannt ist. Auf den Grabsteinen liegen noch die beiden abgetrennten Köpfe der Büffel. "Die werden erst morgen gekocht", sagt einer der Männer.

Früher stellten sie hier auch die Köpfe ihrer Feinde zur Schau. Erst seit 1962 ist auf Sumba die Kopfjagd offiziell verboten. Manche Dörfer liegen jedoch so abgelegen, dass verfeindete Clans ihre oft blutig endenden Stammesfehden noch immer lieber unter sich austragen. Die Ahnen werden schon wissen, von wem sie ihren Blutzoll fordern, heißt es. Ein Hund nagt indes die restlichen Fleischbrocken von einem Knochen, und ein Mann präsentiert zusammen mit seinen beiden Kindern stolz die Hörner der Büffel, die sie ebenfalls zum Trocknen in die Sonne gelegt haben. Später werden sie als Trophäen die Wände einer Bambushütte zieren oder als Sprossen einer Leiter enden.

Sumba liegt gerade mal eine Flugstunde von Indonesiens Touristenzentrum Bali entfernt, dennoch ist das Leben hier noch so archaisch wie in der Steinzeit, als auch bei uns die Koteletts noch nicht von Bofrost und die Fischstäbchen noch nicht von Käpt'n Iglo angeliefert wurden. Genau nach so einem Ort hatten Claude und Petra Graves lange vergeblich gesucht. Geht nicht, gibt's nicht, hatten sie sich irgendwann auf ihrer langen Reise gesagt. Wochenlang waren sie bereits unterwegs gewesen, um den Platz zu finden, an dem sie leben wollten und der sich zudem dafür eignen sollte, dort ein kleines umwelt- und sozialverträgliches Resort zu bauen.

Claude, gebürtiger Amerikaner, hatte lange für einen international tätigen Baukonzern gearbeitet und war mit seiner Frau, die aus Frankfurt stammt, schon viel in der Welt herumgekommen. Doch der Wunschort war nicht leicht zu finden, denn er musste bestimmte Bedingungen erfüllen, und wie so oft bei Paaren sahen die Vorstellungen vom idealen Ort zum Leben recht unterschiedlich aus. Als begeisterter Surfer hielt er immer Ausschau nach perfekten Wellen, während ihr ein zauberhafter Strand wesentlich lieber war. Ein gemeinsames Ziel aber hatten beide. Sie suchten nach unverbrauchter Natur und einer archaischen Kultur mit Menschen, die ihre Hilfe brauchen konnten. Als die Graves 1988 nach Sumba kamen und dort Nihiwatu entdeckten, hatten sie noch nicht alle Antworten parat, aber sie wussten, das ist der richtige Platz. "Hier fanden wir die richtigen Leute, um ein Projekt zu etablieren, das mehr gibt, als es nimmt", sagt Claude.

Sumba also - eine Insel, die nur halb so groß ist wie Hessen und auf der etwas mehr als 600000 Menschen leben. Berge teilen das Land in zwei klimatisch völlig unterschiedliche Gebiete. Im kargen Osten mit seinen zerklüfteten Hügeln und flachen Grassavannen werden vorwiegend Pferde gezüchtet. Im Westen fällt mehr Regen, weshalb sich die grüne, hügelige Region gut zum Reisanbau eignet. Dank seiner abgeschiedenen Lage haben auf Sumba viele archaische Traditionen überlebt. Schon im 19. Jahrhundert war die Insel für die niederländischen Kolonialherren weitgehend uninteressant geworden. Sie trieben auf Sumba zwar Handel mit Sklaven, Pferden, Büffeln und Sandelholz, doch gelang es ihnen nicht, die Macht der vielen Clans und ihrer lokalen Könige zu brechen. Noch heute wundert es hier niemanden, dass die inzwischen demokratisch gewählte Regionalregierung hauptsächlich von Mitgliedern der königlichen Familien geleitet wird und die früheren Sklaven heute einfach nur Hausangestellte genannt werden. Selbst das Interesse der indonesischen Regierung in Jakarta hält sich im Fall Sumbas stark in Grenzen. Bodenschätze gibt es hier keine zu holen, danach lässt man lieber in Irian Jaya graben. Und touristisch orientiert man sich lieber an Bali, denn die gerade mal 1000 ausländischen Besucher, die pro Jahr nach Sumba reisen, fallen wirtschaftlich betrachtet kaum ins Gewicht.

Die Graves waren die ersten Weißen, die sich in Nihiwatu niederließen und dort vier Jahre lang wie die Einheimischen ohne fließendes Wasser und ohne Strom in einer einfachen Hütte am Strand lebten. Sie waren notgedrungen zu Selbstversorgern geworden, denn viele Sumbanesen litten an Malaria und waren oft zu geschwächt, ihre Felder zu bestellen. Darüberhinaus gab es enorme Verständigungsprobleme. Bis heute können sich nicht einmal alle Clans problemlos unterhalten, denn auf der Insel gibt es um die 18 Dialekte. Schnell waren sich die Graves bewusst, was es bedeutete, in diese Kultur einzudringen. Sie hatten sich deshalb viel Zeit genommen, um mit den Dorfältesten die Vor- und Nachteile des Projektes und wie es ihr Leben beeinflussen würde zu diskutieren. Ohne deren Einverständnis wäre auch heute noch jedes Projekt zum Scheitern verurteilt.

Als die Stammesführer schließlich bereit waren, ihnen das Land abzutreten, wollten sie kein Geld haben. Nicht dass sie das Grundstück nun plötzlich gleich verschenken wollten. Geld war für sie nur nichts weiter als bedrucktes Papier, das sie nicht essen konnten. Büffel dagegen schon. Und so mussten die Graves erstmal losziehen und eine Herde Büffel besorgen, um sie gegen Nihiwatu einzutauschen.

Bereits die Bauarbeiten an den sieben Bungalows und drei Villen brachten den Dorfbewohnern Arbeitsplätze. Bis heute gehört es zur Firmenpolitik, dass 95 Prozent der Angestellten Einheimische sind. Alle Gebäude wurden ausschließlich mit lokalen Materialien aus Holz, Bambus und Stein errichtet. Den Energiebedarf deckt eine Biodieselanlage, die mit Kokosnussöl betrieben wird. 270 Liter Biodiesel werden pro Tag aus dem getrockneten Kernfleisch der Nüsse gewonnen. Mangels Alternativen hatte man anfangs konventionelle, fossile Brennstoffe verwendet und war damit von hohen Ölpreisen abhängig. "Mit Biodiesel konnten wir 75 Prozent der Emissionen reduzieren. Und Kokosnüsse sind noch dazu ein preiswerter, nachwachsender Rohstoff, an dessen Verkauf ausschließlich die Einheimischen verdienen", schwärmt Claude.

In den Anfangsjahren auf Nihiwatu sollte sich jedoch bald herausstellen, dass die Einnahmen, die das Resort abwarf, nicht ausreichten, um die Lebensbedingungen in den unmittelbaren Nachbardörfern entscheidend zu verbessern. "Armut bedeutet hier weit mehr, als einfach nur zu wenig Geld zu haben", sagt Claude. Die Idee, eine Stiftung zu gründen, war aus reinem Frust darüber entstanden, dass hier die Menschen nicht einmal das hatten, was für uns selbstverständlich ist: genügend Wasser, eine Krankenstation, eine Schule und einen Job.

Als manche Resortgäste direkt für konkrete Hilfsprojekte spenden wollten, wurde ein Konzept ausgearbeitet, das man künftigen Interessenten zeigen konnte. 2001 las einer der Surf-Gäste, der amerikanische Geschäftsmann Sean Downs, den zehnseitigen Projektplan und bot Hilfe an. Dies war der Beginn der Sumba Foundation, einer gemeinnützigen Stiftung, die seither unabhängig vom Nihiwatu Resort Hilfsprojekte auf den Weg bringen kann. Inzwischen kamen mehr als drei Millionen US-Dollar an Spenden zusammen, mehr als eine Million von den Resortgästen, der Rest von Wohltätigkeitsveranstaltungen und von Stiftungen verschiedener internationaler Konzerne.

Schon des gehobenen Standards wegen logieren in Nihiwatu allerdings weniger Rucksackreisende, als vorwiegend Gäste, die sich sonst die teuersten Hotels der Welt völlig schmerzfrei leisten können. Menschen, die alles haben und nichts vermissen. Fast nichts. Zum Stammpublikum gehören nach Auskunft des Resortbesitzers Designer und Eigentümer von Firmen wie Louis Vuitton, Sisley, und Hermès. Wenn diese Klientel reist, ist sie vor allem auf der Suche nach perfekten Momenten und nach jemandem, der einem die Zeit dafür frei hält. Dabei gibt es einen wunden Punkt, an dem für Claude Graves Schluss ist mit dem Gutmenschentum. Zum Surfen duldet er keine externen Besucher auf den Wellen, die er zu den besten der Welt zählt. Diese besonderen Momente sollen für seine Gäste exklusiv bleiben.

Mittlerweile machen sich viele Geldgeber auf den Weg nach Nihiwatu, um die Projekte zu sehen, für die sie gespendet haben. "Einige von ihnen kommen sogar jedes Jahr, um die Projekte in ihrer Entwicklung zu verfolgen", sagt Claus Bogh, Tropenmediziner in einer von fünf Kliniken, die mit Hilfe der Sumba Foundation finanziert wurden. Nach seinen Basisstudien waren noch vor zehn Jahren 62 Prozent der getesteten Kinder im Alter von unter fünf Jahren mit Malaria infiziert. "Dabei ist es heute mit Medikamenten und der Verwendung von Moskitonetzen recht einfach, die Krankheit in den Griff zu bekommen. Inzwischen konnten wir die Infektionsrate um 85 Prozent reduzieren", sagt Bogh. Zudem hat die Stiftung 40 Quellen erschlossen, 94 Wasserstationen und acht Grundschulen im Umkreis von mehr als 100 Kilometern errichtet.

Man hat inzwischen auch aus Fehlern der Anfangszeit gelernt. Mit Büffeln erwirbt man heute kein Land mehr. Damit die Familien von der Pacht ein regelmäßiges Einkommen haben, hat man nun zusätzlichen Grund gemietet. "Unsere Büffelherde war damals schnell in den hungrigen Bäuchen des Clans verschwunden, denn wann immer sie ein Fest veranstalteten, wurden jede Menge Büffel geschlachtet, um die Ahnen zu besänftigen", sagt Claude.

Magische Kräfte haben auf Sumba seit jeher einen größeren Einfluss auf das Leben als die sichtbaren. Marapu heißt der weit verbreitete Glaube an Götter, Geister und Ahnen, der sich sogar in der Architektur niederschlägt. Die mit Gras gedeckten Bambushütten mit ihren typischen hutähnlich aussehenden Dächern sind ein verkleinertes Abbild des Kosmos. Ganz unten zwischen den Stelzen leben die Tiere, im Mitteltrakt die Menschen und in den Dächern wohnen die Marapu. Hier oben werden demnach auch wertvolle Gegenstände wie Schmuck und Ikats aufbewahrt. Für diese Webarbeiten bedarf es oft monatelanger Handarbeit. Wenn ein Familienmitglied stirbt, erhalten die Tücher rituelle Bedeutung und werden zum Einhüllen des Toten verwendet, der als Zeichen der Wiedergeburt in der Haltung eines Embryos mit angewinkelten Armen und Beinen begraben werden muss. Doch bis das soweit ist, kann es dauern. Schließlich müssen erst aufwendig verzierte Grabsteine gemeißelt und alle Verwandten verständigt werden. Je höher das gesellschaftliche Ansehen des Toten war, desto länger lässt das Begräbnis auf sich warten - bei manchem König bis zu einem Jahr. In Ikats eingewickelt, bleibt der Verstorbene so lange als Familienmitglied im Haus und wird symbolisch sogar noch mit Speisen versorgt.

In der Trockenzeit, wenn die Felder brachliegen, kann man in einigen Dörfern auch Zeuge archaischer Fruchtbarkeitsrituale werden. Das bekannteste Fest ist Pasola, eine martialisch anmutende Reiterveranstaltung, die jedes Jahr im Februar und März abgehalten wird. Hunderte Reiter liefern sich rituelle Schaukämpfe, in denen die Tradition der Stammeskriege fortgesetzt wird. Frauen und Kinder feuern die Männer mit schrillen vibrierenden Schreien an, einem Brauch, der noch an alte Kopfjägerzeiten erinnert, als so lautstark die heimkehrenden Jäger begrüßt wurden.

Beim Wettkampf der Reiter versuchen zwei Teams, sich mit Holzspeeren und Stöcken gegenseitig vom Pferd zu stoßen. Dabei kommt es häufig zu schweren, manchmal auch tödlichen Verletzungen. Im vergangenen Jahr ging der Wettstreit für einen Reiter im wahrsten Sinne ins Auge, als einer der Speere seine Augenhöhle durchbohrte und ihn dabei tötete. Für den Angreifer hatte der Zwischenfall kein Nachspiel. Schließlich glauben die Sumbanesen, dass die Marapu bestimmen, wann es Zeit ist zu sterben. Der Blutzoll tränkt noch dazu die Erde und macht sie fruchtbar für die kommende Ernte.

Je mehr Blut also fließt, desto besser. MARGIT KOHL

Eine Biodieselanlage, die mit Kokosnussöl betrieben wird, sorgt für Energie

Informationen

Reisearrangement: Kuoni Reisen organisiert einen siebentägigen Aufenthalt im Nihiwatu Resort (www.nihiwatu.com und

www.sumbafoundation.org) auf Sumba in einem Luxusbungalow einschließlich

Vollpension ab 4600 Euro pro Person.

Im Preis sind auch die Hin- und Rückflüge

in der Economy mit Singapore Airlines über Singapur nach Denpasar (Bali) und der Weiterflug mit Merpati Airlines von Denpasar nach Tambolaka (Sumba) eingeschlossen, sowie sämtliche Transfers. Weitere Infos unter:

Tel.: 0041/44/277 45 45, www.ananea.ch,

ananea@kuoni.ch

Weitere Auskünfte: www.sumbabaratkab.go.id, www.sumbatimurkab.go.id

Bei Reiterfesten wie auch beim Bau der Hütten spielt der animistische Glaube auf Sumba eine wichtige Rolle. Wasser gibt es nicht in jedem Dorf, weshalb das Nihiwatu Resort verschiedene Hilfsprojekte initiiert hat. Fotos: Getty, mako (3), Nancy Opitz

Noch bis 1962 war die Kopfjagd auf Sumba eine gängige Methode der Einheimischen, ihre Konflikte auszutragen. Steinerne Stelen, die zum Präsentieren der Schädel dienten, zeugen noch heute davon. Foto: mako

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Die ewigen Urlauber

Neue Untersuchungen zeigen, dass die Deutschen 2009 weniger reisen werden - aber verzichten wollen sie nicht

Die CMT-Urlaubsmesse mit erwarteten 200 000 Besuchern ist in Stuttgart in vollem Gang, der "Reisepavillion" für nachhaltige und umweltschonende Reisen wird im Februar in München abgehalten, und im März geht wieder die größte Touristikmesse der Welt, die Internationale Tourismusbörse (ITB), in Berlin über die Bühne. Zeit für die Marktforscher, erste Ergebnisse ihrer Studien zum Reiseverhalten der Deutschen zu präsentieren. "Wie war 2008?" ist dabei naturgemäß einfacher zu beantworten als: "Wie wird 2009?"

"2008 war ein zufriedenstellendes Tourismusjahr", schreibt die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), die regelmäßig 20 000 deutsche Haushalte zu ihrem Reiseverhalten befragt. 126 Millionen Urlaubsreisen mit mindestens einer Übernachtung hätten die Deutschen 2008 unternommen, das sind 300 000 mehr als im Vorjahr. Das ist zwar keine große Steigerung, allerdings habe sich, was die Reisearten betrifft, einiges verschoben. Zwei Drittel aller Urlaubsreisen fanden in der Sommersaison statt, die Hälfte der Sommerurlaube wurde in Deutschland verbracht. Das sind zwei Prozent mehr als im Vorjahr. Urlaubsreisen mit der Bahn haben in der Sommersaison um rund fünf Prozent zugenommen, während aufs ganze Jahr gesehen Städtereisen um 7,4 und kurze Flugreisen sogar um 9,4 Prozent abgenommen haben. Offenbar wirkten sich hier die Klimawandel-Diskussion und die Kerosinzuschläge aus. Zudem zogen es nicht wenige Urlauber 2008 vor, in Privatunterkünften zu übernachten. Deren Anteil stieg um zehn Prozent, während die Ein- bis Drei-Sterne-Hotels Verluste zu verzeichnen hatten. "Die hohen Preissteigerungen zwischen April und August und der teure Sprit könnten ein Grund dafür gewesen sein", sagt Roland Gaßner, Projektleiter der GfK-Studie.

Was die Urlaubsplanungen für das laufende Jahr betrifft, so ist gemäß GfK auch hier Deutschland als Reiseziel im Aufwind. Insgesamt sind zurzeit 2,5 Prozent mehr Inlandsreisen geplant, bei den Reisen mit mehr als zehn Tagen Dauer sind es sogar plus sieben Prozent. Marktforscher Gaßner geht davon aus, dass durch die Rezession die Nachfrage nach Urlaub im eigenen Land noch weiter steigen könnte.

Die Sommer-Haupturlaubsreise für 2009 hatten zum Zeitpunkt der GfK-Befragung im November sogar zwei Prozent mehr Urlauber vorausgebucht als im vergangenen Jahr. Das heißt, bei langfristigen Reiseplanungen ließen sich die Deutschen zu jenem Zeitpunkt noch nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Jedoch ist dieser Wert nicht besonders aussagekräftig, da die Sommerurlaubsreise großteils erst zwischen Januar und März gebucht wird. Für die laufende Wintersaison liegen die Buchungen 4,4 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Familien mit Kindern sind bei den Reiseplanungen für 2009 zurückhaltend, sie haben 6,4 Prozent weniger Reisen vor als noch vor einem Jahr. Viele Familien, die mit jedem Euro rechnen müssten, warteten wohl erst einmal ab, wie sich ihre persönliche Wirtschaftslage entwickelt, meint Gaßner. Nach der nächsten Konsumenten-Befragung Anfang Februar werde man genauer wissen, ob sich diese Zögerlichkeit auch tatsächlich in weniger Urlaubsbuchungen niederschlägt.

Die Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR), die jedes Jahr zur ITB eine umfangreiche Studie zum Reiseverhalten veröffentlicht, geht zunächst einmal von einer Stagnation auf hohem Niveau aus. Drei Viertel aller Deutschen wollten 2009 eine Urlaubsreise unternehmen, doch jeder achte Befragte gab an, sich bei seinen Reiseplanungen von der Finanzkrise beeinflussen zu lassen. Noch hielten sich aber jene, die mehr Geld für Reisen ausgeben wollen, mit jenen, die sparen wollen, die Waage.

Die Volkswirte der Dresdner Bank hingegen prognostizieren bereits jetzt einen Rückgang der Reiseausgaben um eine Milliarde Euro, das wären fast zwei Prozentpunkte weniger als im vergangenen Jahr. Die FUR rechnet mit einer gleichbleibenden Zahl der Reisenden, aber mit einem Rückgang der Reisen: "Wenn es zu Rückgängen kommt, dann eher bei zusätzlichen Urlaubsreisen und Kurzreisen", sagt Martin Lohmann, wissenschaftlicher Berater der FUR.

Was die künftigen Reiseziele betrifft, so wird es auch 2009 keine großen Überraschungen geben. Deutschland wird mit fast einem Drittel aller Urlaubsreisen vor den gefragtesten, klassischen Auslandszielen wie Spanien, Italien, Türkei und Österreich liegen. Überdurchschnittliches Interesse besteht laut FUR an Norwegen, Bulgarien, Rumänien, Polen sowie Ländern in Südostasien.

haag/dpa/rtr/AP

Der Wind in den Urlaubs-Segeln bleibt für die meisten Deutschen trotz Rezession kein Traum. Foto: Ellen Rueger

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Loipenfahrplan

Die Angaben bedeuten: gespurte Loipenkilometer Skating/klassisch.

Deutschland: Bad Hindelang 64/70, Bayrischzell 15/15, Berchtesgaden Skiregion 7/6, Bodenmais im Bayr. Wald 65/65, Garmisch-P. 27/27, Kreuth 4/21, Oberammergau 10/10, Oberstdorf 42/52, Titisee i. Schwarzwald 90/96, Reit im Winkl 74/102.

Österreich: Achenkirch 40/53, Böhmerwald 55/55, Nauders 20/60, Pillerseetal/Hochfilzen 111/115, Ramsau 70/150, Seefeld/Leutasch 113/153, St. Johann 85/130, Tannheimer Tal 70/70.

Schweiz: Davos 32/32, St. Moritz/Engadinloipe 129/127, Lenzerheide 52/52, Flims-Laax 45/50.

Italien: Bruneck 190/190, Hochpustertal 210/210, Obereggen 113/113, Seiseralm 60/60.

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Schnee weltweit

Was die aktuelle Schneelage betrifft, lohnt sich auch ein Blick über die vielerorts schneereichen Alpen hinaus: So fiel im Colorado Vail Resort in den USA beispielsweise im Dezember so viel Schnee wie seit acht Jahren nicht mehr - an manchen Orten bis zu drei Meter. Im Westen der Vereinigten Staaten - im Rainier Nationalpark - wurde 1971/72 laut Deutschem Wetterdienst auch der weltweit meiste kumulierte Schnee in einem Winter überhaupt gemessen: 28,5 Meter. In Japan lockt wiederum das Skiresort Niseko Annupuri Kokusai mit einer Schneehöhe von drei Metern. Und nicht nur in den südlichen Alpen gab es bislang mehr Niederschlag als weiter nördlich. Selbst in den Skigebieten im Mittelmeerraum liegt ungewöhnlich viel Schnee: Aus den Abruzzen in Süditalien werden bis zu 1,40 Meter, aus der spanischen Sierra Nevada bis zu 3,50 Meter gemeldet. Zwar musste Osteuropa auf derartige Massen verzichten, doch ist beispielsweise in der Hohen Tatra bei einem Meter Schnee das Skifahren problemlos möglich. had

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Schnee im Netz

Während es für den Pistenskifahrer eine Vielzahl an Möglichkeiten gibt, sich über die Bedingungen in den Skigebieten zu informieren, hat es der Skitourengänger selbst in Zeiten des Internets weiterhin schwer. Das Auskundschaften der Schneelage gleicht noch immer einem Puzzle, bei dem man die einzelnen Stücke auf verschiedenen Portalen suchen muss. Als erste Anlaufstelle dienen dafür die Webseiten der Lawinenwarndienste wie www.lawinenwarndienst-bayern.de, www.slf.ch (Schweiz) und www.lawine.at (Österreich), die neben der Lawinengefahr auch Schneehöhenkarten, Schneedeckenberichte oder, wie im Falle Tirols, Tourentipps veröffentlichen. Eine Zusammenstellung der Europäischen Lawinenwarndienste findet sich beispielsweise auf der Seite des Deutschen Alpenvereins www.alpenverein.de. Der DAV betreut zusammen mit den Kollegen aus Österreich und Südtirol seit einigen Monaten auch das Portal www.alpine-auskunft.de, auf dem sich Bergsportler über die aktuellen Tourenbedingungen austauschen. dop

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Pistenfahrplan

Die Angaben bedeuten in der Reihenfolge der Zahlen: Schneehöhe in Zentimetern an der Talstation, im Skigebiet, Länge der präparierten Pisten in Kilometern. Der ADAC-Schneebericht meldet:

DEUTSCHLAND

Durch die Schneefälle der vergangenen Tage ist die Lawinengefahr abseits der Pisten in Teilen der bayerischen Alpen erheblich.

Alpen: Bad Hindelang/Oberjoch 50 100 29 Balderschwang 60 100 30 Bayrischzell/Sudelfeld 30 60 31 Berchtesgaden Skiregion 45 70 36 Garmisch-P./Zugspitze - 210 13 Garmisch-P./Classicgebiet 20 70 28 Jungholz 50 70 10 Lenggries/Brauneck 30 60 34 Obermaiselstein/Grasgehren 120 120 11 Oberstdorf/Fellhorn 30 110 25 Oberstdorf/Nebelh. 40 160 11 Oberstaufen 30 35 21 Mittenwald/Kranzberg 40 50 12 Reit im Winkl/Skiregion 25 110 30 Spitzingsee 30 60 25

ÖSTERREICH

Durchweg gute Wintersportverhältnisse herrschen nach Schneefällen in den österreichischen Alpen. Gebietsweise herrscht große Lawinengefahr.

Oberösterreich: Gosau 20 110 85 Grünau am Kasberg 30 90 38 Hinterstoder 20 110 35

Kärnten: Bad Kleinkirchheim 50 160 103 Mölltaler Gl. 70 350 22 Turracher Höhe 80 140 38 Heiligenblut 110 230 55 Nassfeld-Hermagor 80 340 110 Katschberghöhe 70 160 66 Villach-Gerlitzen 50 195 51

Salzburger Land: Annaberg i. Lammertal 40 100 65 Flachau 50 160 56 Großarl 40 120 80 Kitzsteinhorn 120 190 25 Kleinarl 55 140 100 Obertauern 140 200 100 Maria Alm/Hochkönig 25 110 150 Saalbach-Hinterg. 45 130 200 St. Johann/Pongau 30 130 80 St. Margarethen 120 160 66 Wald im Pinzgau 70 160 165 Zauchensee 80 110 99 Zell am See 20 165 77

Tirol: Achenkirch 30 65 20 Axamer Lizum 115 140 41 Fieberbrunn 55 110 35 Finkenberg 50 120 227 Galtür 70 110 40 Gerlos 55 150 165 Hintertuxer Gl. 80 225 74 Hochzillertal-Hochfügen 30 135 155 Ischgl 40 130 230 Jerzens Hochzeiger 50 100 45 Kaunertaler Gl. 190 230 36 Kitzbühel 40 115 168 Kühtai 85 80 40 Mayrhofen 20 130 157 Nauders a. Reschenpass 50 95 95 Obergurgl/Hochgurgl 45 180 110 Skiwelt Wilder Kaiser 50 110 271 Sölden 110 210 137 St. Anton am Arlberg 65 165 246 Zell am Ziller 55 150 165

Osttirol: Außervillgraten 150 250 45 Lienz 80 200 34

Vorarlberg: Brand 40 100 55 Damüls 125 165 64 Gargellen 100 140 28 Gaschurn/Silvretta Nova 30 145 114 Lech/Zürs 80 135 246 Warth 175 130 56

SCHWEIZ

Teilweise ergiebige Schneefälle in der Schweiz. Die Lawinensituation für Wintersportler ist deswegen kritisch.

Wallis: Aletschgebiet 115 80 93 Crans-Montana 60 190 93 Saas Fee 100 290 100 Verbier 60 160 172

Zentral-/Ostschweiz: Andermatt 60 290 30 Engelberg 40 145 70 Flumserberg 80 120 60

Graubünden: Arosa 100 120 60 Flims-Laax 50 190 117 Klosters/Davos 50 160 242 Lenzerheide 80 180 131 Samnaun 70 105 170 St. Moritz 80 205 205

Berner Oberland: Adelboden 20 95 178 Grindelwald 35 130 152 Gstaad 60 140 76 Wengen 60 85 105

ITALIEN

Alagna 150 380 20 Alta Badia 105 190 130 Brixen/Plose 30 120 87 Bruneck/Kronplatz 60 180 105 Grödnertal 100 160 115 Livigno 135 190 114 Madonna di C. 180 200 52 Tonalepass/Val di Sole 150 200 70

FRANKREICH

Es liegen keine Angaben über präparierte Pistenkilometer vor. Die Talabfahrten sind geöffnet.

Alpe d'Huez 95 130 Les Deux Alpes 60 150 Chamonix 80 190 Châtel/Les Portes du Soleil 85 150 La Plagne 110 125 Val d'Isère 115 160 Val Thorens 70 110

Weitere Informationen: Täglich aktualisierte Schneehöhen sind auch abrufbar unter www.sueddeutsche.de/ski-board

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Alles verpulvert

Am Körbersee in Vorarlberg fallen jährlich elf Meter Schnee - so viel wie sonst nirgends in den Alpen

Dort, wo sich der Winter auf einmal beziffern lässt und sich von einem vagen Begriff in eine greifbare Zahl verwandelt, geht Fritz Schlierenzauer jeden Wintermorgen seit mehr als 30 Jahren den gleichen Weg. Er verlässt um halb sieben sein 60-Betten-Hotel am Körbersee, marschiert 100 Meter hinter das Haus zu einem etwa 50 Quadratmeter großen, mit Absperrband eingegrenzten Areal und leistet seinen Beitrag zum aktuellen Lawinenlagebericht in Vorarlberg. Er beobachtet Wind und Wetter, bestimmt die Schneetemperatur und misst bei Bedarf die Menge des frisch gefallen Schnees. Im vergangenen Winter waren das insgesamt 13,31 Meter.

Im Moment liegt dort auf 1675 Metern Seehöhe nur etwas mehr als ein Meter, zu dem sich die insgesamt dreieinhalb Meter gefallener Schnee verfestigt haben, Tendenz steigend. "Generell haben wir den meisten Schnee erst im März oder gar April", sagt Schlierenzauer. Selbst im Winter 2006/07, dem miserabelsten seit Bestehen der Skiindustrie, fielen immerhin 5,50 Meter. Schlierenzauer erinnert sich an einen Rekord aus dem Jahr 1967, als insgesamt 24 Meter Neuschnee eine fast 5,20 Meter dicke weiße Auflage bildeten. Bis zum 17. Juni sei damals der unweit gelegene Skilift am Salober in Betrieb gewesen, erst am 4. Juli war der See eisfrei. Eine geschlossene Schneedecke von sieben Monaten gilt am Körbersee ohnehin als normal, im Schnitt beläuft sich die gefallene Schneemenge pro Saison auf etwa elf Meter. Das Skigebiet der kleinen Ortschaften Warth und Schröcken, zu dem der Körbersee zählt, hat es deshalb trotz der bescheidenen Größe von 66 Pistenkilometern kürzlich sogar in die englische Daily Mail geschafft, als Nummer eins unter den schneereichsten europäischen Skiresorts der Alpen, dicht gefolgt vom bekannten Zürs (10,40 Meter), Braunwald (neun Meter), Obertauern und Avoriaz. Als unerreicht gelten weltweit die Skiresorts im Westen der USA.

Dass auch der Zweitplatzierte der Alpen nur eine Bergkette weiter südlich vom Körbersee liegt, ist kein Zufall. Niederschlag ist eine Folge von Kondensation und Luftbewegungen, und die Erhebungen des Vorarlbergsbilden für zumeist vom Nordwesten heranziehende Tiefs die erste nennenswerte Hürde, an der die Wolken ihren Ballast loswerden. Manche Teile der Region erhalten übers gesamte Jahr verteilt fast vier Mal so viel Niederschlag wie Hamburg. "Diese Nordwest-Staulage ist manchmal ein Nachteil, aber eigentlich sind wir doch froh, wenn wir Schnee abbekommen", sagt Schlierenzauer - und untertreibt.

Denn in der Wintersport-Gemeinde Warth etwas weiter unten gelten die Rekordwerte als Segen. Schlierenzauers Messungen sind inzwischen sogar zur Grundlage einer PR-Parole geworden. Die üblichen wie abgenutzten Schlagwörter "schneereich" und "schneesicher" wären ja Tiefstapelei. Während der 63-jährige Dokumentar hingebungsvoll mit Vokabeln wie "Schwimmschnee", "Becherkristalle" und "Rammprofil" hantiert, haben die Vermarktungsprofis aus seiner wissenschaftlichen Schneeflockenpoesie und den langjährigen Zahlenreihen ein Mantra destilliert: "Elf Meter Schnee." Das ist jedem eingängig, der mal im Schwimmbad am Zehn-Meter-Turm stand oder sich beim Hochsprung über die 1,60 Meter quälte. Karl Wiener, Geschäftsführer der Steffisalp, hat die Schneemassen-Botschaft schon vorbildlich in seinen Wortschatz aufgenommen. Wenn er beispielsweise die fehlenden Balkone seines modernen Hotels erklärt, sagt er: "Ja, die elf Meter müssten da auch erst einmal wieder runtergeschaufelt werden." Auch besitzen die Dorfbewohner - wie der Olympiasieger Hubert Strolz oder der immer wieder gerne porträtierte, bergführende Bürgermeister Gebhard Fritz - als Kollektiv mittlerweile ein enzyklopädisches Wissen über Schnee. Und längst hat die Freerideszene die häufig mit Neuschnee gepuderten Hänge im Skigebiet etwas westlich des Körbersees als Spielplatz entdeckt.

Dabei hat Schlierenzauers tägliche Handarbeit, für die der Hotelier einst zwei Wochen lang geschult wurde und für die er eine "kleine Entschädigung" erhält, einen sehr ernsten Hintergrund. "Wir machen das im Grunde zur Sicherheit der Menschen", sagt er. Die Messstelle ist eine von sechs Beobachterstationen der Lawinenwarnzentrale in Bregenz. Am 1. und 15. jeden Monats dauert sein kurzer Spaziergang hinter das Haus ein wenig länger. Dann fertigt er ein Schneeprofil über den Schneedeckenaufbau an, dokumentiert Kornform, Korngröße, Härte und Feuchtigkeit des Schnees, und wer Schlierenzauers Datensatz folgt, landet bald bei Andreas Pecl, dem Leiter der Lawinenwarnzentrale Vorarlberg, das bereits im Jahr 1953 als erstes Bundesland Österreichs eine Organisation dieser Art einrichtete.

Bei Pecl fließen alle Informationen zusammen, nicht nur jene von den Beobachterstellen, sondern auch die Werte der

20 automatischen Messstationen sowie weitere Daten der Wetterdienste, benachbarter Lawinenwarndienste oder der Skigebiete. Bereits um sechs Uhr morgens sichtet ein Mitarbeiter die Angaben, ehe sie über Telefon und Internet abrufbar sind oder auch per SMS, Fax und E-Mail verschickt werden.

Abgesehen davon, dass sich Schlierenzauer als Mann von der Basis einfach per Sonde und Schaufel über die Lawinengefahr informieren kann, braucht er den Lagebericht trotz der Schneemassen hinterm Haus nur selten. "Ich bin 30 Jahre lang Ski gefahren. Jetzt muss ich betteln, um überhaupt mal eine Stunde frei zu bekommen." DOMINIK PRANTL

Bis zur Hüfte im Schnee: Im Skigebiet Warth-Schröcken, einem beliebten Freeride-Revier, betreut Fritz Schlierenzauer die Messstelle Körbersee. Fotos: Warth-Schröcken, Prantl

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Mischen impossible

Wie man als Anfänger im Spielkasino von Wiesbaden Killerinstinkt entwickelt und hinterher die Niederlage im Heilwasser ausbadet

Die Aufforderung am Eingang zum Kasino ist knallhart: "Kill everyone!" Töte jeden. Töte jeden? Die potentiellen Killer müssen allerdings erst fein säuberlich eine Anmeldung ausfüllen, ordentlich Namen, Wohnort und Passnummer angeben und nachweisen, dass sie nicht polizeilich gesucht sind. In der Hausordnung wird höflich, aber bestimmt um "gepflegte Kleidung" gebeten, "Herren im Jackett, Hemd und wünschenswert dazu Krawatte oder Fliege". Anscheinend geht es in der Spielbank Wiesbaden zu wie bei James Bond: Wenn schon jeder umgenietet werden soll, dann bitte mit Stil - und anschließend einen gerührten Martini an der Bar.

"Kill everyone" ist nur der Titel eines Handbuches, das knallharte Pokerturnier-Strategien für Fortgeschrittene erklärt. Es ist an der Kasse des Wiesbadener Kasinos erhältlich für 24,90 Euro, auf dem Titelbild ist ein Fadenkreuz zu sehen, das auf einen ordentlichen Haufen Geld ausgerichtet ist. Wer will, kann ein druckfrisches Kartenspiel ("kein Plastik!") für 2,50 Euro erwerben und schnell noch ein bisschen üben, wie man zu einem Full House kommt. Nützt aber wahrscheinlich sowieso nichts. Selbst geben und dabei tricksen geht garantiert nicht. Denn die Karten teilen im Kasino die offiziellen Kartengeber aus - Mischen impossible.

Die Atmosphäre in der Spielbank Wiesbaden, einem der ältesten, größten und schönsten Kasinos in Deutschland, ist absolut nicht vergleichbar mit der Stimmung in einer verrauchten Spielhölle. Die Gäste sind der Hausordnung entsprechend gekleidet, die Damen tragen elegante Kleider, die Herren Anzug oder zumindest Sakko, Hemd und Krawatte. Für Neulinge gibt es ab 20 Uhr jeweils zur vollen Stunde Einführungskurse im Roulette und im Blackjack, bei denen man sich fast nicht blamieren kann und garantiert nicht bankrott geht - gespielt wird mit alten D-Mark-Chips, die nicht in Euro eintauschbar sind.

Wer echtes Geld einsetzt und dabei eine persönliche Finanzkrise erleidet, kann sich in der Kurstadt anschließend hervorragend vom wirtschaftlichen Schock erholen - beim therapeutischen Plantschen im Thermalwasser, beim Wandeln im Kurpark oder beim sehr tröstlichen Speisen in ziemlich angenehmen Restaurants. Ein Aufenthalt in Wiesbaden hat mit "Kill everyone" glücklicherweise sehr wenig zu tun, eher das Gegenteil ist das Ziel: "Heal everyone" - heile jeden.

Die Kurstadt ist bestens dafür geeignet, Menschen von allerlei Wehwehchen zu befreien. Dass es sich in Wiesbaden ganz gut aushalten lässt, wussten schon die alten Römer. Plinius der Ältere, der sich als Naturforscher einen Namen machte, erwähnte die heißen Quellen erstmals 77 nach Christus. Seit dieser Zeit kommen Touristen zu Badekuren in die Stadt. Die Römer, die man getrost als Erfinder der Wellnesskultur bezeichnen kann, haben den Ruf Wiesbadens also weit mehr geprägt als Roland Koch und Andrea Ypsilanti zusammen. Auch wenn SPD-Sympathisanten angesichts des hessischen Polit-Theaters und des aktuellen Wahldebakels Hautausschläge bekommen, hat das Wiesbadener Klima insgesamt fast immer nur Gutes bewirkt, egal, ob römische Hauptmänner, deutsche Kurfürsten oder Ministerpräsidenten das Sagen hatten.

Allein im Innenstadtgebiet gibt es 27 Quellen, die täglich etwa zwei Millionen Liter Wasser mit Temperaturen zwischen 46 und 66 Grad spenden. Das Wasser des Kochbrunnens gegenüber der Staatskanzlei, in der der neue alte Ministerpräsident Roland Koch (CDU) residiert, stammt aus einer Tiefe von rund 2000 Metern. Das heiße Wasser schmeckt so ähnlich wie Blut, stinkt schwefelig und soll sehr gesund sein. Der Kochbrunnen ist übrigens nicht nach dem Regierungschef benannt, er heißt so, weil der Brunnen ständig brodelt und dampft.

Im Mittelalter waren die heißen Quellen Wiesbadens nicht mehr das, was man unter Wellness versteht. Die Bäder waren verlottert, man konnte sich im Wasser mehr Krankheiten holen als loswerden. Davon ist heute zum Glück keine Rede mehr, die Stadt ist reich, das Wasser ist sauber. Schon 1880 lebten in Wiesbaden mehr Millionäre als sonstwo

Das Wasser schmeckt wie Blut und riecht nach Schwefel - soll gesund sein

Das Kurhaus von Wiesbaden ist schon rein äußerlich ein Gesundheitstempel. Im Kasino ist gepflegte Kleidung im James-Bond-Stil erwünscht. Für Anfänger gibt es Trainingsrunden mit wertlosen D-Mark-Chips, so kann man sich gefahrlos verspielen. Fotos: Horst Goebel, Archiv Spielbank, Sony Pictures/Cinetext, dpa

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Dr. Verfolgungswahn

Siem Reap ist die Stadt zum Tempel: In der Nähe dieses kambodschanischen Touristenzentrums liegt der spirituelle Mittelpunkt des Angkor-Reichs. Für 2010 wird dort mit einer Million Besucher gerechnet. So ist Siem Reap ein Ort, der nichts mit der Realität des Dritte-Welt-Landes zu tun hat.

Stattdessen gibt es Pizzerien, Cocktailbars und Kneipen, deren gewagte Innenarchitektur an Tempel erinnert. Die Raumtemperatur ist auf 18 Grad Celsius heruntergekühlt, draußen hat es fast 40 Grad. Wer deswegen einen Schnupfen bekommt, geht in die Apotheke gegenüber. Dort ist alles wohlsortiert: Erkältung vorne, Darm und Magen hinten. Aber die Verkäuferin versteht nicht, was man will. Plötzlich greift mir von hinten eine Hand ins Gesicht und knetet meine Wangen. "Sinus infection. Don't worry, I am a doctor", sagt ein Mann in der Warteschlange.

Am nächsten Tag sitzte ich in der Tempelkneipe und trinke einen Angelina-Jolie-Cocktail. Ihr Film "Tomb Raider" wurde zum Teil in Angkor Wat gedreht, und das ist mindestens so aufregend wie die restlichen 900 Jahre Vergangenheit der Anlage, die König Suryavarman II. zu Beginn des 12. Jahrhunderts erbauen ließ. Plötzlich dröhnt es vom Nebentisch: "Wie geht es Ihrer Nebenhöhle?" Es ist der Arzt - mit seiner Frau. Man unterhält sich und erfährt: Der Mann kommt aus Australien und ist ein Aborigine. Ich stamme aus München. "Oktoberfest, wundervoll", brummt der Arzt mit tiefer Barry-White-Stimme. Aber der Chinese Tower gefalle ihm noch besser, der Biergarten am Chinesischen Turm also. Der HNO-Spezialist war früher Austauschstudent in Deutschland. Eine nette Zufallsbekanntschaft, denkt man.

Doch schon am nächsten Tag beginnt die kambodschanische Paranoia. An einer Raststätte irgendwo am Ende der Welt nahe der thailändischen Grenze. Die Autobahn ist eine Sandpiste. Pick-ups mit Vermummten auf der Ladefläche rasen vorbei: Die Reisenden schützen sich mit Tüchern gegen den aufgewirbelten Staub. Auf einen Laster ist eine Buddhastatue geschnallt, vorne weg fährt eine kleine Kolonne mit Lautsprechern, die für die angemessene musikalische Untermalung sorgt. Überall stehen verlassene Bulldozer, die eigentlich die Straße asphaltieren sollen. Daneben sitzen die Arbeiter und rauchen und sehen nicht so aus, als ob sie an die Asphaltierung noch glauben würden. Die Erbauung Angkor Wats hat damals schließlich auch 37 Jahre lang gedauert, warum sollte dann ausgerechnet eine Straße schneller fertig werden?

In der Raststätte gibt es gebratene Taranteln, alle Sorten Chips, ein verstopftes Klo und eine Autowaschanlage: Der Sohn des Ladenbesitzers spritzt die Autos mit dem Gartenschlauch ab. Plötzlich brummt es von hinten: "How is your sinus?", und ich habe nun langsam Angst, für den Rest seines Lebens von dieser Frage verfolgt zu werden.

Der Arzt raucht neben einem luxuriösen Reisebus. Sie fahren nach Bangkok, erzählt er. Man wird sich also dort wohl wiedersehen. Seine Ehefrau, eine große Blonde, kommt dazu und schaut streng. Sie traut dieser seltsamen Nebenhöhlen-Geschichte nicht. Der Arzt verabschiedet sich und klettert in seinen Bus. Und ich gehe einfach los: weg von der verfallenen Raststätte, hinaus in die wüstenähnliche Weite Kambodschas. Irgendwo muss es doch einen Ort geben, wo man keine Bekannten trifft. VERENA KREBS

Neulich in Siem Reap

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Meister der tickenden Uhr

In Bryan Singers "Operation Walküre" nimmt sich Hollywood das Recht, Geschichte auf seine Art zu überliefern

Jetzt ist es raus: "Operation Walküre" ist ein guter Film. Historisch weitgehend korrekt, spannend, gut gespielt. Allerorten also Entwarnung. Das ist im Sinne der Debatte unbefriedigend. Wäre der Film ein Meisterwerk oder ein Reinfall gewesen, hätte das Werk den Streit eindeutig entscheiden können. So aber bleibt dieses öde Gefühl, das sich immer dann einstellt, wenn ein Konflikt mit der ach so langweiligen Vernunft gelöst wird. Wo bitte bleibt da das Drama, die Aufregung, wie sollen sich da die hitzigen Meinungen noch beweisen? Doch auch in diesem Konsens des Mittelmaßes bleibt die Grundsatzfrage bestehen, wie Hollywood mit großen Themen der Menschheitsgeschichte umgeht. Und die beantwortet "Operation Walküre" ganz eindeutig.

Handwerklich liegt die Stärke des Films deutlich im Drehbuch, das Christopher McQuarrie geschrieben hat. Darin steckt auch das eigentlich spekulative Moment von erzählerischer Lust, das man hier spüren kann. Es erinnert an den großen Wurf, der McQuarrie als 26-Jährigem gemeinsam mit seinem Schulfreund, dem Regisseur Bryan Singer, gelungen ist. Ihr Krimi "Die üblichen Verdächtigen" wurde 1994 zu einem jener epochalen Filme, deren Figuren im Kanon der Popkultur ein Eigenleben entwickeln. Da gibt es sogar in Berlin Mitte eine Kneipe, die nach dem Filmschurken Keyser Söze benannt ist.

In Berlin fanden die beiden vor ein paar Jahren den Stoff, der sie an ihren Durchbruch erinnert haben muss. Die Geschichte des missglückten Attentats, das Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Hitler verübte, ist ähnlich wie "Die üblichen Verdächtigen" eine dramatische Intrigengeschichte mit einem Ensemble aus höchst unterschiedlichen Charakteren.

Nun hat der Zweite Weltkrieg den Nachteil, dass er wenig Spielraum für überraschende Wendungen lässt. Da aber beweisen sich McQuarrie und Singer als Meister ihres Fachs. Kunstvoll steigern sie die Spannungsmomente von Akt zu Akt. Dabei bedienen sie sich sämtlicher dramaturgischer Möglichkeiten.

Wenn Oberst Henning von Tresckow (Kenneth Branagh) versucht, Hitler mit einer Paketbombe zu töten, die er in das Führerflugzeug geschmuggelt hat, und diese dann nicht losgeht, nutzen sie die schlichte Angst vor der Entdeckung des Protagonisten. Wenn Stauffenberg (Tom Cruise) die Bombe mit dem Zeitzünder endlich unter Hitlers Kartentisch platziert, kombinieren sie schon eine Staffelung von Angst vor der Entdeckung, Angst vor dem Misslingen und dem wirkungsvollsten aller Spannungsmomente, der tickenden Uhr.

Das eigentliche Drama aber spielt sich nach dem Attentat ab, als Stauffenberg und seine Mitverschwörer Hitlers eigenen Notfallplan "Operation Walküre" aktivieren und für Stunden große Teile des Regierungsviertels in Berlin unter ihre Kontrolle bringen. Da realisiert der Zuschauer erst, wie klug der Putsch geplant war. Die Unvermeidlichkeit, mit der die Handlung nun auf das Ende vor dem Erschießungskommando im Bendlerblock zusteuert, kann der Spannung kaum die Spitzen nehmen. Da zeigt sich, wie souverän Singer und McQuarrie Stringenz ins Chaos bringen können.

Nicht ganz so souverän sind da die schauspielerischen Leistungen. Wahrscheinlich ist "Operation Walküre" der erste Film in der Geschichte des Kinos, der in der synchronisierten Fassung besser ist als im englischen Original. Das Problem liegt darin, dass Singer seinen Schauspielern ihre eigenen Akzente erlaubt hat. So marschiert ein hochmotivierter Tom Cruise mit seinem schneidigen amerikanischen Englisch durch ein Ensemble aus älteren Herren vorwiegend britischer Herkunft, denen man die langjährige Shakespeare-Erfahrung in jedem ihrer wohlformulierten Sätze anhört. Da prallen in den Dialogen unaufhörlich "Mission Impossible" und das "Masterpiece Theater" aufeinander. Das aber verschleift sich wohltuend im deutschen Synchronstudio.

Nichts als Nervenkitzel?

So bleibt - die Spannung. Tom Cruise selbst hat es in dieser Zeitung vor zwei Tagen ganz deutlich formuliert: "Was für ein guter, spannender Filmstoff - und wie merkwürdig, dass ich von diesen Ereignissen noch nichts wusste. Es ist doch wirklich ein Thriller!" Da aber bestätigte Cruise alle Ängste und Vorbehalte gegen die Art, wie Hollywood die großen Stoffe der Menschheitsgeschichte verarbeitet. Wobei es egal ist, ob sich United Artists an der Geschichte vom guten Wehrmachtsoffizier vergreift, oder Disney für seine Zeichentrickfilme den Schatz der Sagen und Fabeln plündert. Denn es ist letztlich die Hollywood-Verfilmung an sich, die nach dem Vorurteil den Akt der Trivialisierung vollzieht. Für ein amerikanisches Publikum ist dieses Kapitel der deutschen Geschichte eben doch nichts anderes als Stoff für Nervenkitzel.

Die eigentliche Frage aber ist, ob der Vorwurf der Trivialisierung überhaupt berechtigt ist. Niemand hat so lange und gute Erfahrungen damit gemacht, die großen Stoffe der Weltgeschichte in vereinfachter Form zu erzählen, wie Hollywood. Man verdirbt ja keinem historisch interessierten Publikum die wertvolle Erfahrung, authentische Werke zu studieren. Die meisten Kinobesucher würden ihren Samstagabend allerdings kaum damit verbringen, Homer, die Brüder Grimm oder Peter Hoffmanns 700-seitige Stauffenberg-Biographie zu lesen. So übernimmt Hollywood doch letztlich die Funktion der antiken Märchen- und Geschichtenerzähler, die der Nachwelt die großen Epen der Vergangenheit überliefert haben. Solche Überlieferung ist das ureigenste Anliegen allen Erzählens - und dabei ist es dann auch egal, ob es die Form von Oden, Fabeln oder Actionfilmen annimmt.ANDRIAN KREYE

VALKYRIE, USA 2008 - Regie: Bryan Singer. Buch: Christopher McQuarrie, Nathan Alexander; Kamera: Newton Thomas Sigel; Schnitt und Musik: John Ottman. Mit Tom Cruise, Kenneth Branagh, Bill Nighy, Tom Wilkinson, Carice van Houten, Thomas Kretschmann. Verleih: Fox, 120 Minuten.

Gruppenbild des Widerstands: Mertz von Quirnheim (Christian Berkel), Carl Goerdeler (Kevin McNally), Friedrich Olbricht (Bill Nighy), Claus Graf von Stauffenberg (Tom Cruise), Ludwig Beck (Terence Stamp) , Erwin von Witzleben (David Schofield) und Henning von Tresckow (Kenneth Branagh) (v.l.n.r.) Foto: Fox

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Die Leichtigkeit der Rebellion

"Man on Wire", ein Dokumentarfilm über den waghalsigen Seiltänzer Philippe Petit

Die Schwere, die dem Dokumentarfilm scheinbar naturgegeben innewohnt, die ihm zur Last geworden ist, als Image-Problem und vermeintlicher Zwang zur Seriosität - sie ist in "Man on Wire" vollkommen überwunden. Selten korrespondieren Inhalt und Form eines Films so vollendet wie hier: Der Film von James Marsh über einen spektakulären Seiltanz ist selbst ein so luftiges Kunststück, wie es nur die Beherrschung eines Metiers hervorbringen kann.

Das Bild, in dem die Verbindung von Leichtigkeit und Perfektion kulminiert, ist atemberaubend: Da spaziert ein Mann auf einem Drahtseil zwischen den Türmen des World Trade Center hin und her. Achtmal überquert der französische Seiltänzer Philippe Petit am 7. August 1974 den Abgrund, läuft vor und zurück, kniet auf dem Seil und lässt die Beine baumeln. 45 Minuten verbringt er auf diese Weise in 417 Metern Höhe. Zwischen den massiven Stahltürmen des World Trade Center, über der auch akustisch wuchtig präsenten Stadt wirkt das drahtige, ganz in Schwarz gekleidete Männchen mit der Balancierstange noch kleiner. Petit ist ein Punkt in der Leere, das Drahtseil kaum zu sehen.

Während etwa Pepe Danquart in seinem Extrem-Bergsteigerfilm "Am Limit" das Heroische betont und auch die Kamera äußerste Anstrengung dokumentiert, kreieren Petit und Marsh die Illusion von Mühelosigkeit, ganz in der Tradition des Films als Jahrmarktsattraktion. Zur zauberhaften Atmosphäre trägt auch die Filmmusik von Michael Nyman bei, die Petit selbst beim Training ausschließlich hört. Petit, der ohne jede Sicherung arbeitet, fordert den Tod heraus - indem er mit ihm flirtet! Auf dem Seil ist dieser Mann ganz bei sich; einmal legt er sich hin, als träume er. "Wie schön, wie schön", ruft seine damalige Freundin Annie noch heute aus und hat Tränen in den Augen.

Auch Marsh arbeitet gewissermaßen ohne Netz, die Sicherheit, die Gattungsgrenzen bieten, hat der Regisseur, der zuvor "The King" und "Wisconsin Death Trip" gedreht hat, nicht nötig. Das, was nicht dokumentiert wurde, was sich vielleicht nicht dokumentieren lässt, wird von ihm nachinszeniert, ohne die üblichen Unbeholfenheiten, ohne mit dem Zaunpfahl die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion zu markieren. Ist "Man on Wire" also noch ein Dokumentarfilm? Aber ja doch, weil die artistische Leistung im Zentrum tatsächlich stattgefunden hat und auch dokumentiert wurde; genauso wie die Akteure "real" sind, vor allem Petit, der auch heute noch kriminell viel Energie und Charisma ausstrahlt, keine Minute stillsitzen kann und jeden Raum in eine Bühne verwandelt - ganz so, wie er architektonische Wahrzeichen der Macht für seine Auftritte okkupierte. "Man on Wire" gewinnt seine Überzeugungskraft jedoch nicht nur durch solche Inhalte, sondern maßgeblich durch seine Form, das ist das Begeisternde an diesem Film, was ihm unter anderem den Grand-Jury- und den Publikumspreis in Sundance einbrachte.

Besonders charmant sind die Elemente des Heist-Films, mit denen Marsh seine Geschichte versieht - ein Genre, in dem es ebenfalls um äußerste Professionalität im Kriminellen geht, deshalb sind die Erzählmuster so passend. Paul Auster, ein Freund Petits, nennt den Seiltanz zwischen den WTC-Türmen "das künstlerische Verbrechen des Jahrhunderts". Denn natürlich war es auch damals nicht legal, zwischen den - noch im Bau befindlichen - Türmen hin und her zu spazieren. Monatelang wurde der "Coup" vorbereitet, unter dem Vorwand, Journalist zu sein, interviewte Petit den WTC-Bauleiter Guy F. Tozzoli, verschaffte sich einen gefälschten Zugangsausweis, um schließlich mit Hilfe von Komplizen das schwere Equipment ins oberste Stockwerk zu schaffen. Das ist spannend wie ein Thriller; vor allem in den Rückblenden, die in Frankreich spielen, verströmt der Film aber auch die romantisch-anarchische Atmosphäre der Nouvelle Vague mit ihren schönen jungen Menschen. "Warum?" wird Petit nach seinem Seiltanz zwischen den Türmen von der Polizei gefragt. "Die Schönheit", sagt er, "besteht darin, dass es kein Warum gibt."

Wie nebenbei wird eine Zeit lebendig, in der Nixon zurücktrat wegen der Watergate-Affäre, Manhattan schmutzig und gefährlich war und fünf Jungs mitfranzösischem Akzent am John-F.-Kennedy-Flughafen einreisen konnten, mit Drahtseilen, Werkzeug sowie Pfeil und Bogen im Gepäck. Die USA waren eine himmelstürmende Nation, die es sich leisten konnte, einen Mann wie Petit straffrei ausgehen zu lassen. Dem Nimbus des Landes wie des WTC haben solche Aktionen natürlich nur genutzt.

9/11 wird in Marshs Film mit keinem Wort erwähnt, das muss, ja darf auch gar nicht sein: Bilder der einstürzenden Türme oder der Ruinen könnten das luftige Gespinst des Films zerstören. Man muss "Man on Wire" vor dem Hintergrund der Bush-Ära sehen, als der Überschuss an Energie, die Leichtigkeit und poetische Rebellion, die in Petits Aktion stecken, regelrechte Phantomschmerzen auslösten.

MARTINA KNOBEN

MAN ON WIRE, GB 2008 - Regie: James Marsh. Kamera: Igor Martinovic. Schnitt: Jinx Godfrey. Musik: Michael Nyman / J. Ralph. Mit: Philippe Petit, Ardis Campbell. Arsenal, 94 Minuten.

Philippe Petit zwischen den Türmen des World Trade Center Foto: Arsenal

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Action-Diva

Porträt des erschöpften Helden: Van Damme in "JCVD"

Sicherlich ist er als Actionheld im Macho-Kino der achtziger und neunziger Jahre besser gewesen als der hölzerne Dolph Lundgren oder der pomadige Steven Seagal oder der knorrige Chuck Norris. Weil er nicht nur die martial arts perfekt und geradezu grazil beherrschte und einen durchtrainierten Körper besaß, sondern bis heute ein Gesicht mit sensiblen Zügen aufweist. Die Rede ist von Jean-Claude Van Damme, den nicht nur seine belgischen Landsleute "the muscles from Brussels" nennen. Ein genuiner tintin ist er gewesen im Kino des Kampfsports, eine Art Alain Delon im Karatekosmos: schön und verletzlich, gefährlich und europäisch. Einige seiner Filme warten auf ihre Wiederentdeckung: "Hard Target" von John Woo etwa oder "Nowhere to Run" von Robert Harmon.

Körperliche Präsenz und erzählerische Präzision haben die besseren Van- Damme-Werke ausgezeichnet. Das kann man nun nicht von seinem neuen Film behaupten, in dem er dennoch ein großartiges Comeback feiert. Regisseur Mabrouk El Mechri hat nämlich ein ambitioniertes Meta-Movie gemacht, mit seinen ausgebleichten Farben und den hektischen Kamerabewegungen schwankt der Film wüst zwischen Dekonstruktion und Hommage, zwischen feiner Star-Elegie und derber Action-Comedy. Die Geschichte wird aus mehreren Perspektiven geschildert, die Zeitebenen ändern sich dauernd: Es gibt Vorausblenden, Flashbacks, Retakes. Dazu gesellen sich unzählige Zitate und In-Jokes. Als wollte El Mechri die Narration zum Kampfsport machen. "JCVD" ist kein Requiem auf einen Star wie "The Wrestler" mit Mickey Rourke, sondern ein überdrehtes Pulp-Puzzle, in dem Van Dammes Melancholie auf den jugendlichen Übermut des Regisseurs trifft.

Jean-Claude Van Damme spielt also Jean-Claude Van Damme, kurz und zeitgemäß JCVD genannt. Der Mann ist ausgepowert von anstrengenden Drehs in Billiglohnländern mit durchgeknallten Jungregisseuren. In Los Angeles läuft zudem ein nerviger und sündhaft teurer Sorgerechtsprozess um seine geliebte kleine Tochter. Wie ein erschöpfter Odysseus kehrt der 47-Jährige in seine Heimatstadt Brüssel zurück. Doch auch hier findet er keine Ruhe. Wie eine Action-Diva am Rande des Nervenzusammenbruchs und des finanziellen Ruins driftet er durch die Stadt.

Rap mit Verfremdungseffekt

Als er, um ein wenig Bargeld abzuholen, eine Postbank in einem Brüsseler Vorort betritt, bricht die Katastrophe vollends über ihn herein. Nein, er ist nicht bei der "versteckten Kamera" gelandet, sondern in der Wirklichkeit eines Banküberfalls. Er wird sogar als Rädelsführer und Geiselnehmer verdächtigt. Bald hat er wieder ein großes Publikum: aus Polizei, Sondereinsatzkommandos und Schaulustigen, die die Realität zum bizarren Filmset machen. Doch der arme Jean-Claude ist selbst nur eine Geisel. Die Geisel von drei merkwürdigen, überforderten Bankräubern - und Geisel seiner eigenen Lebenskrise. Die Postbank wird zum Workshop der ironischen Celebrity-Reflexionen, teilweise befinden wir uns angesichts vieler grotesker Räuber und Gendarmen im Reich von Tarantino, Guy Ritchie oder Benoît Poelvoorde, andererseits erinnert die Situation an TV-Reality-Soaps: "Ich bin ein Star, holt mich hier raus!" Auf keinen Fall soll dies zum Sunset Boulevard für Van Damme werden. Ganz im Gegenteil: Hier soll er wiedergeboren werden. Und so macht der verspielte, auch ein wenig präpotente El Mechri sogar auf Brecht und Verfremdung - er hebt Van Damme per Kran aus der Illusion heraus und lässt ihn eine Rede direkt an uns, das Kinopublikum, richten. Diese Rede, ein Abgesang auf das Leben als Actionstar, ist natürlich auch komisch gemeint. Aber Van Damme macht durch seine Präsenz mehr daraus: einen poetischen Rap über das Dasein als Showbiz-Gaukler, der wirklich berührt. HANS SCHIFFERLE

JCVD, F/B/Lux 2008 - Regie: Mabrouk El Mechri. Buch: Frédéric Bénudis, Christophe Turpin, M. El Mechri. Kamera: Pierre-Yves Bastard. Mit: Jean-Claude Van Damme, François Damiens, Karim Belkhadra. 96 Minuten.

Außerdem laufen an

Alles für meinen Vater, von Dror Zahavi

Bolt - Ein Hund für alle Fälle, von Byron Howard und Chris Williams

Destere, von Gürcan Yurt

Der fremde Sohn, von Clint Eastwood (siehe Feuilleton vom Mittwoch)

Das Gesetz der Ehre, v. Gavin O'Connor

Das Morpheus-Geheimnis, von Karola Hattop

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Tildas Team

Die Berlinale-Jury ist vollständig

Der Schrifsteller Henning Mankell und der Theaterregisseur Christoph Schlingensief werden bei der Berlinale, die am 5. Februar eröffnet wird, in der Jury sitzen. Präsidentin ist die Schauspielerin Tilda Swinton, das Gremium entscheidet, wer den Goldenen und die Silbernen Bären im Wettbewerb des Filmfestivals bekommt. Weitere Jurymitglieder sind die spanische Regisseurin Isabel Coixet ("Elegy"), der Regisseur Gaston Kaboré aus Burkina Faso sowie aus den USA der Filmemacher Wayne Wang ("Smoke") und die kalifornische Starköchin und Ernährungsaktivistin Alice Waters. dpa

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Die Unbelehrbare

In "Lulu und Jimi" zeigt Oskar Roehler eine große Mutterhexe

Meist lässt sie ihre tiefe, versoffene Stimme vulgär dröhnen. Aber Gertrud (Katrin Sass) kann auch säuseln - etwa wenn der geckenhafte Millionärserbe Ernst (Bastian Pastewka), den sie zum Schwiegersohn auserkoren hat, zu Besuch kommt. "Sieht er nicht gut aus, unser Ernst. Erfolg macht eben glücklich", zirpt sie dann. Ihre Tochter Lulu dagegen wird tyrannisch abgekanzelt. Denn Lulu liebt einen anderen, den amerikanischen Rummelplatzgehilfen Jimi. Ein ehemaliger GI, der zudem noch die falsche Hautfarbe hat: "ein Neger". Die Geschichte spielt in einer fränkischen Provinzstadt des Jahres 1959, da redet man eben so, schlicht und rassistisch.

Diese grandios-schreckliche Hexe ist eine Schöpfung des Regisseurs Oskar Roehler, der sich mit abgründigen Mutterfiguren bestens auskennt ("Die Unberührbare"). Er lässt sie giftiger erscheinen als alle bekannten Märchen-Stiefmütter zusammengenommen. Katrin Sass, die man so viel liebenswerter aus "Good Bye, Lenin!" kennt, formt daraus eine wahre Paraderolle. Schrill aufgeschminkt wie ein abgetakelter Vamp torkelt sie - gefolgt von einem pinkfarbenen Pudel, der auch mal einen Fußtritt abbekommt - durch ihre Villa und setzt alles daran, Lulu und Jimi auseinander zu bringen. Schon ihren Ehemann (Rolf Zacher) - einst als "Daddy Cool" bekannt, Rock'n'Roll-Rebell und Prophet einer popkulturellen Spaßgesellschaft - hat sie brutal durch die Mangel gedreht, entmannt, zur jämmerlichen Erscheinung erniedrigt.

Die Geschichte beginnt bonbonbunt wie eine Romanze der Rock'n'Roll-Ära, mit Petticoats, "My Boy Lollipop" und zuckergussumrandeten Lebkuchenherzen auf dem Rummelplatz, am Autoscooter. Hier lernen sich die hübsche, rehäugige Lulu (Jennifer Decker) und sexy Jimi (Ray Fearon), Schwarm aller lokalen Teeniegirls, kennen. Sofort schlagen ihre Herzen im gleichen Takt, und Lulu denkt sich nichts dabei, ihren Jimi zu einer Party der Provinz-Schickeria mitzunehmen. Dort lässt man ihn jedoch gegen eine Mauer aus Arroganz und schroffer Ablehnung laufen. Das Böse wirft immer dunklere Schatten. Gertrud hetzt ihren maliziösen Chauffeur (Udo Kier) und den dämonischen Psychiater Dr. von Oppeln (Hans-Michael Rehberg) auf die Liebenden, die mit einem Straßenkreuzer fliehen, auf einer paradiesischen Waldlichtung ein Rehkitz sichten und sich schwören: "Wir gehören zusammen. Das Böse hat gegen uns keine Chance!"

"Lulu & Jimi" ist ein wilder Mix aus Melo und Märchen, Kitsch und Krassheit, aus Seifenblasen-Liebesidylle und ätzender Sozialfarce. Für viele Szenen lässt sich Roehler von David Lynchs "Wild at Heart" inspirieren, aber er vermeidet dessen selbstparodistischen Surrealismus, konzentriert sich darauf, den Albtraum einer bigotten, ressentimentgeladenen Fünfziger-Jahre-BRD zu exorzieren. Manchmal nimmt er es mit den historischen Details nicht so genau, verwendet Automarken und Phrasen, die erst für die sechziger Jahre charakteristisch sind. Aber das fällt nicht entscheidend ins Gewicht. Auch an die zuerst irritierenden Schwankungen im Tonfall der Erzählung, wenn plötzlich von simpler Karikatur ins Groteske und von dort ins Zuckersüße gezappt wird, gewöhnt man sich mit der Zeit. Allein schon Roehlers unbändige Lust an der Stilisierung comichaft-praller Kinobildern macht "Lulu & Jimi" zur staunenswerten und vergnüglichen Ausnahmeerscheinung im derzeit arg biederen deutschen Erzählkino.

Am besten gelingen ihm die Bösen. Sie bleiben stärker in Erinnerung als das vergleichsweise blasse Liebespaar: der Hypnose-Psychiater aus dem Horrorkabinett des Dr. Mabuse, der Lulu - wie schon vor Jahren ihren Vater - erst einmal unter Drogen setzt; die von Ulrich Thomsen verkörperte Hassfigur des paranoiden Auftragskillers - eine hübsche Variante des superfiesen Bobby Peru (Willem Dafoe) aus "Wild at Heart"; und vor allem die meist in giftgrüne Roben gehüllt Gertrud, die am Ende mütterlich-fürsorglich nur noch eines will - dass die schwangere Lulu ihr Kind abtreibt. Sie hasst es, wenn die Augen ihrer Tochter vor Glück strahlen. Roehler zeichnet diese Gertrud mit einer Inbrunst, dass man es liebt, sie zu hassen.RAINER GANSERA

LULU UND JIMI, D 2008 - Buch und Regie: Oskar Roehler. Kamera: Wedigo von Schultzendorff. Musik: Martin Todsharow. Mit Jennifer Decker, Ray Fearon, Katrin Sass. X-Verleih, 94 Minuten.

Jennifer Decker und Ray Fearon sind "Lulu und Jimi" Foto: X-Verleih

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Der Kosmos des Bosses

Bruce Springsteens neues Album "Working On A Dream"

Nein, Bruce Springsteen hat nicht pünktlich zum wichtigsten Moment der jüngsten amerikanischen Geschichte einen Soundtrack geschrieben. Er hat nur für den soeben vereidigten 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika Barack Obama ein paar Tage zuvor vor dem Lincoln Memorial gespielt - und veröffentlicht nun eine betont hoffnungsfrohe Platte. Zufall. Klar. Denn dass in Zeiten wie diesen das Pathos-Pferd mit Springsteen durchgeht, war zu erwarten. Das neue Album heißt "Working On A Dream" und der Titel ist ebenso Programm wie das Coverartwork mit Sternenfirmament und Airbrush-Optik.

Aber der Reihe nach: Album Nummer 16 - veröffentlicht keine eineinhalb Jahre nach dem fünfzehnten mit dem Titel "Magic", nur fünf Monate nach dem letzten Konzert seiner ausverkauften und mehr als hundert Termine umfassenden Welttournee mit der E-Street-Band - beginnt fulminant: "Outlaw Pete" - ein Song, der bei weitem nicht so albern klingt, wie sein Titel vermuten lässt. Eine, nun ja, Outlaw-Hymne, die sich offensichtlich an die kompositorischen Glanzseiten von "Burn To Run" anlehnt - und nebenbei Kiss zitiert. Ein mutiger, achtminütiger Start. Es folgt Liebeserklärungs-Rock'n'Roll mit dem obligatorischen Uptempo-SaxophonSolo (und Zeilen wie: "Honey you're my lucky day, Baby you're my lucky day"). Dann Handfestes: der Blues "Good Eye" und das traditionelle Fidel- und Slideguitar-Country-Stück "Tomorrow Never Knows".

Unangenehme Überraschung

Bruce Springsteen - mittlerweile 59 Jahre alt - war in den letzten Jahren präsent wie nie. Er hat neue Songs geschrieben, war auf Konzertreisen, hat mit Rockabilly-Größen wie Mike Ness von Social Distorion musiziert, hat sich als Stilvorbild von Neulingen wie The Gaslight Anthem beknieen und von Michael Stipe (dessen Generation einst den Indierock erfand, um sich von Musikern wie Springsteen zu distanzieren) zum Übervater erklären lassen. Stets lächelte er sein müdes SpringsteenLächeln und strahlte heller als alle anderen.

Aber, "Surprise, Surprise" (Lied Nummer 11 auf "Working On A Dream"): Das neue Album wird schließlich so schlecht, dass man kaum mehr hinhören mag. "Kingdom of Days" ist eine Schlagervariation von "Your Own Worst Enemy" mit Glockenspiel und Streicherflächen und ist in seinem Überschwang nur schwer zu ertragen. "Surprise, Surprise" ist ein Kinderlied, das auch von Rolf Zukowski stammen könnte - eine Art amerikanisches "Heute kann es regnen, stürmen oder schneien".

Springsteen ist in seiner Freude über das neue Amerika etwa so unangenehm wie der eigentlich ganz nette Onkel, der auf Familienfesten nach dem fünften Glas Wein immer so sentimental wird, dass er alle nur noch herzen mag.

Erst die beiden Folkballaden am Ende des Albums - "Last Carnival" und "The Wrestler" - versöhnen. Aber da ist es leider bereits zu spät: "Working On A Dream" vereint problemlos die besten und die schlechtesten Seiten des Musikers - wie jede Bruce-Springsteen-Platte seit 1995.JAN KIRSTEN BIENER

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Dada kommt noch wer!

Michael Lentz' Phantasiestück "Warum wir also hier sind" - und wie in Frankfurt ein Quantum Sorge daraus wurde

Der Hausarzt, der plötzlich bei den beiden jungen Frauen auftaucht, liefert auch halluzinogene Stoffe. Im ersten Moment scheinen die Drogen nur die Stimmen und Erscheinungen von Friederike zu befeuern, die ja ohnehin ein träumendes Medium ist und das Fehlen liebesbegabter Männer mit Ausflügen in die Irrgärten der Phantasie kompensiert. Friederikes Phantasiegebilde wiederum sind von Vorteil für Amalia, die sofort aufschreibt, was Friederike phantasiert. Da haben sich zwei gefunden: das Medium eine Autorin und die Autorin eine Muse. Eigentlich könnten die beiden bis in alle Ewigkeit Geschichten produzieren, käme Amalia nicht auf die Idee, der liebeskranken Freundin ganz real zu liefern, was doch nur Phantasie ist: Männer aus der "Liebesquelle von Woltersdorf".

Michael Lentz' "Warum wir also hier sind" ist eine Séance für fortgeschrittene Surrealisten und der Versuch, aus Sprachspielen phantastisches Theater zu generieren. Auf der Erzählebene funktioniert das. Immerhin vermittelt Lentz, der 2001 für seinen Roman "muttersterben" den Ingeborg-Bachmann-Preis erhielt und am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig Professor für literarisches Schreiben ist, dass die gute Amalia einen Postboten castet, auf dass dieser als Dramatiker Christian Friedrich Grabbe zusammen mit einem Freund im Leben der Friederike erscheine. Der Freund soll den erfolglosen Physiker Johann Wilhelm Ritter mimen, dem Friederike ebenfalls sehr zugetan ist. Es versteht sich von selbst, dass ein irres Spiel im Spiel daraus wird. Allerdings stellt sich irgendwann die Frage, ob man hier Gast eines surrealistischen Kindergeburtstags oder im Seminar "Dada und die Folgen" gelandet ist.

So gesehen war es ein kluger Schachzug des Frankfurter Schauspiels, Niklaus Helbling auf den Text anzusetzen. Helbling, ein Schweizer, ist Spezialist für alles, was ansatzweise mit Dada zu tun hat. Ihm zur Seite steht der Videokünstler Philipp Batereau, der mit bewegten Applikationen an den Türen, Fenstern und Wänden der ansonsten realistischen Atelierbühne für einen maximal animierten Raum sorgt. Da blubbern Wasserblasen aus einem Colt, schwimmt ein Fisch an der Wand lang, und es zeigen sich unwirkliche Gesichter.

Dalí wäre entzückt gewesen und hätte sicherlich auch seine helle Freude an Sabine Waibel gehabt, die wie ein Irrwisch durch das Stück fegt und die Friederike in einem Reich abliefert, in dem liebeskranke Romantikerinnen verwöhnte Kinder sein dürfen. Sie erzählt mit glänzenden Augen, was der Friederike gerade als "Seherin von Prevost" erscheint. Dann schmollt, trotzt und kreischt sie, als sei sie eine Testperson des hessischen Trommelfell-TÜVs. Das muss so sein. Immerhin sitzt man ja nicht in der Uraufführung eines der üblichen Theaterstücke mit vier bis sechs Figuren, die sich mit kurzatmigen Nominalsätzen durch den Text hetzen. Wir sind in einem Text von Michael Lentz, der der dramatischen Poesie zu ihrem Recht verhilft und - wie schon in seinem Debüt als Theaterautor - verspielt nach den letzten Dingen fragt.

Vor genau zwei Jahren ging es in "Gotthelm oder Mythos Claus" unter anderem um alle möglichen Formen des Gottesbeweises. Das war ebenfalls am Frankfurter Schauspiel. Jetzt versucht Lentz zu beweisen, dass sein Stück auf keinen Fall ein Traumspiel, sondern eine phantastische Theatermaschine ist, und genau so inszeniert es Niklaus Helbling. Die Bühne ist ein Gesamttraumraum, in dem die Schauspieler wie enthemmte Kinder herumtoben dürfen. Das gilt auch für Sascha Maria Icks, die als Amalia anfänglich noch eine jener Frauen ist, die gerne mal überprüfen, ob noch genug Butter im Kühlschrank ist. Je mehr der Postbote und sein Freund sich aber in die Rollen als Grabbe und Ritter einfühlen, desto mehr wird auch sie zu einem unwirklichen Element des Spiels im Spiel.

Da dreht sich in der Wand plötzlich eine Schwingtür und katapultiert den Grabbe genauso schnell nach draußen, wie sie ihn wieder ins Spiel befördert, während aus dem Hausarzt flugs der Hausheilige Raoul Haussmann wird, der als Dadaist der ersten Stunde um die Gunst Friederikes wirbt. Es versteht sich von selbst, dass er die Herren Grabbe und Ritter auf die Plätze verweist. Sebastian Schindegger ist klasse als Haussmann, dem der lautmalerische Vers so ins Gebein fährt, dass er ins Tanzen gerät. Das kann man ungetrübt genießen, wenn man sich nicht gerade um Matthias Max' Herrmann sorgt, der eigentlich der arme Physiker Ritter sein soll, zu diesem Zeitpunkt aber schon eine ganze Weile arbeitslos auf der Bühne sitzt.

Irgendwann hat Lentz die Figur aus den Augen verloren. Ein Quantum Sorge ist gegen Ende auch im Fall von Aljoscha Stadelmann angebracht, der als Grabbe ganz gut startete, dann aber nur noch verwundert starrt, brabbelt und durch ein Stück geistert, das nicht nur vorführt, wie Dada alle Realität verschlingt, sondern zunehmend auch die eigenen Figuren vernichtet. Das muss wohl so sein, wenn der schiere Wahnsinn die Bühne entert, tut dem Theater aber nicht unbedingt gut. JÜRGEN BERGER

Ein bisschen gaga: Sabine Waibel als Friederike. Foto: Alexander P. Englert

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Wie Aufnahmen aus einem nicht gedrehten Film

Die Berliner Ausstellung von Panoramafotografien aus der direkten Nachkriegszeit dokumentiert den Scheitelpunkt zwischen Enttrümmerung und Wiederaufbau

Die Leere, die Lücken und die Brachen im Stadtraum haben hier das ideale Medium ihrer Darstellung gefunden. Das ist das erste, was beim Gang durch die faszinierende Ausstellung "Berliner Panoramafotografien aus den Jahren 1949 bis 1952" in der Berlinischen Galerie auffällt. Und während man die von viel Freiraum und Luft umgebenen, seltsam vereinzelt wirkenden Menschen betrachtet, die gegenüber den verkohlten Fassaden der Akademie der Künste und des Hotel Adlon am eingerüsteten, quadrigalosen Brandenburger Tor vorbeigehen, beginnt man langsam zu begreifen, was der historische Index dieser Fotografien ist.

Denn die dunklen Fensterhöhlen und wie angenagt wirkenden Ruinen, die hier den Stadtraum durchsetzen, rufen zwar im Kopf die Bilder des zerstörten Berlin unmittelbar im Mai 1945 wach, sie sind aber gerade nicht Bilder der Stunde Null. Ihre eigentümliche Ausstrahlung verdanken sie dem Zugleich von Zerstörung und Aufgeräumtheit. Sie dokumentieren den Übergang der Enttrümmerung in den Wiederaufbau. Die Freiflächen, die sie zeigen, sind frei, weil überall Schutt und Steine zu kleinen Hügeln aufgeschichtet sind. Ein Bild, aufgenommen im April 1950 in der Chausseestraße, zeigt die Trümmerbeseitigung selbst.

Man sollte meinen, hier sei ein Archiv entdeckt und ausgestellt worden. Das aber ist nur die halbe Wahrheit. Denn bei diesen großformatigen Panoramafotografien, in denen man auch bei minutiöser Betrachtung keine Nahtstellen entdecken kann, an denen die einzelnen Aufnahmen zusammengefügt sind, handelt es sich um Zwitterwesen. Sie verdanken ihre Existenz dem Zusammenspiel von historischem Archiv und digitaler Bildproduktion.

Das Archiv ist das der Berlinischen Galerie selbst. Darin lagerten seit längerem 1200 Aufnahmen, die ein Fotograf namens "Tiedemann" zwischen 1949 und 1952 im Auftrag des Magistrats von Ost-Berlin angefertigt hatte. Als die nun gezeigte Ausstellung Ende 2008 eröffnet wurde, war die Identität dieses Fotografen noch ungeklärt. Die Ausstellung selbst hat inzwischen, weil sich Nachfahren Tiedemanns im Museum meldeten, zu seiner Identifizierung beigetragen.

Es handelt sich um Fritz Tiedemann, der 1915 in Hamburg geboren wurde und 2001 in Münster gestorben ist. Für seine Aufgabe als Fotograf im Amt für Denkmalpflege beim Magistrat von Groß-Berlin brachte er die besten Voraussetzungen mit. Er war im Grundberuf Vermessungstechniker und hatte beim Militär eine Ausbildung als Spezialist für fotografische Messbildverfahren erhalten. Als er Ende Februar 1953 versuchte, in Ost-Berlin entstandene Gebäudeaufnahmen der Westberliner Denkmalpflege zu übergeben, wurde er verhaftet, verurteilt und nach dem 17. Juni 1953 vorzeitig entlassen. Er floh mit seiner Familie nach West-Berlin, ging über Hamburg nach Münster und arbeitete dort für die Firma Plan und Karte, die spätere Hansa Luftbild GmbH.

Die Berliner Ausstellung zeigt nun in einer langen Vitrine 200 jener Einzelaufnahmen und Originalmontagen, die Tiedemann mit der Fachkamera gemacht und im Format 9 x 12 abgezogen auf braune Umschläge geklebt hat. Die großformatigen Panoramafotografien an den Wänden der Galerie aber, an denen der Betrachter wie an Straßen vorbeischreitet, sind nicht das Werk Tiedemanns. Sie hat der Stadt- und Landschaftsfotograf Arwed Messmer in digitaler Montage des Materials hergestellt.

Durch diese Vergrößerung und Überführung der Aufnahmen Tiedemanns in einen einheitlichen Bildraum erhalten diese Panoramafotografien ihre Intensität. Sie verstärken den Bühnencharakter und die leicht surrealen Effekte, die dem Medium Panorama seit je innewohnen. Nie war im realen Stadtraum der Übergang der Straße Am Friedrichshain in die Kniprodestraße, dort, wo die Hufelandstraße einmündet, so gekrümmt wie in der von Messmer hergestellten großen Panoramafotografie (unsere Abb). Hier wird ein historisches Bildformat nicht dokumentiert, sondern neu erfunden.

Das zeigt die Ausstellung im kontrastiven Blick auf die nach 1945 in Berlin entstandenen Sequenzen von Jewgeni Chaldej, der 1945 den Siegerblick von oben über den Pariser Platz gleiten lässt, oder von Otto Borutta, der 1957 von erhöhtem Standort den Bereich nördlich der Potsdamer Brücke den Stadtplanern zu Füßen legt. Anders als die digitalisierten und von Messmer in riesigen Abzügen monumentalisierten Aufnahmen Tiedemanns lassen diese Vergleichsbeispiele stets die Herkunft der Panoramafotografie aus der horizontalen Sequenz erkennbar verfugter Einzelbildern erkennen.

Wochenschauen und ein Film-Begleitprogramm, darunter Roberto Rossellinis "Deutschland im Jahre Null" (1948) belegen die Attraktivität des panoramatischen Blicks für die Wahrnehmung des zerstörten Berlin am Scheitelpunkt von Enttrümmerung und Wiederaufbau. Vor diesem Hintergrund wirken die durch Digitalisierung des Archivs entstandenen Panoramafotografien, deren Copyright-Vermerk Tiedemann und Messmer nennt, wie Film-Stills aus einem nicht gedrehten Film. In ihm rettet, wie die Reaktionen der Ausstellungsbesucher zeigen, die Panoramaform noch das geringste historische Detail. LOTHAR MÜLLER

"So weit kein Auge reicht. Berliner Panoramafotografien 1948-52." Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124-128, bis 22. Februar. Der ausgezeichnete, von Florian Ebner und Ursula Müller herausgegebene Katalogband ist bei Dumont erschienen und kostet 29,95 Euro.

Berliner Leere: Einmündung der Hufelandstraße in den Straßenzug Am Friedrichshain-Kniprodestraße, aufgenommen von Fritz Tiedemann am 5. März 1952, digitalisiert und bearbeitet von Arwed Messmer 2008. Foto: Berlinische Galerie

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NACHRICHTEN

Die lettische Pianistin Lauma Skride erhält den Beethovenring 2008. Mit der Auszeichnung wird die 26-Jährige von der Gesellschaft "Bürger für Beethoven" geehrt. Der Beethoven-Ring wird jährlich unter den fünf jüngsten Interpreten des Beethovenfests verliehen.

Trotz der Mehrbelastungen durch die Finanzkrise will Nordrhein-Westfalen seine Tanz-Förderung ab diesem Jahr schrittweise um rund 1,1 Millionen Euro ausbauen. Dies sagte Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff am Mittwoch in Düsseldorf.

Das Thalia Theater Hamburg unter Leitung von Joachim Lux wird zusammen mit dem Schauspiel Köln das neue Stück von Elfriede Jelinek herausbringen. "Die Kontrakte des Kaufmanns. Eine Wirtschaftskomödie" behandelt die Finanzströme, die Korruption der Manager und die Gier der Kleinanleger. Die Uraufführung ist für den 16. April im Kölner Schauspielhaus geplant, die Hamburger Premiere soll im Herbst folgen.

Der spanische Flamenco-Musiker Ramón de Algeciras, ein Bruder des Gitarristen Paco de Lucía, ist tot. Er starb nach Presseberichten diesen Dienstag in Madrid im Alter von 70 Jahren. In den siebziger Jahren war er der offizielle Gitarrist von Camarón de la Isla.

Der deutsche Maler und Bildhauer Anselm Kiefer und der französische Künstler Christian Boltanski wurden gestern mit dem Adenauer-de-Gaulle-Preis ausgezeichnet. SZ

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Gratiseintritt

Sarkozy provoziert Kritik mit kulturpolitischen Vorschlägen

Die Vorschläge von Nicolas Sarkozy zur Kulturpolitik hat der frühere Direktor des Musée Picasso, Jean Clair, scharf kritisiert. In einem Interview mit dem Journal de Dimanche bezeichnete Clair den Plan eines "Musée de l'Histoire de France" als "völlig unverständlich". Schließlich seien alle Museen historische Museen. Außerdem: Was solle in diesem Museum gezeigt werden? Eine Sammlung, die der Geschichte Frankreichs gewidmet ist, sei überdies sinnlos, wenn nicht gar gefährlich, da ein solches Museum das Vorhandensein einer einzigen und umfassenden Deutung der Geschichte behaupte.

Vor allem aber erregte der freie Eintritt in Museen für Jugendliche unter 25, der nach dem Willen Sarkozys vom 4. April an gelten soll, Clairs Zorn. Die Museen litten schon jetzt an Geldmangel, daher könnten nur einen Teil ihrer Sammlungen zeigen. Der Vorschlag würde die Budgetlöcher noch vergrößern. Außerdem wäre es der "schiere Aberwitz, eine absolute Perversion", würde man die Kultur dem Gratiskonsum überantworten. Damit liefe man Gefahr, sie jeglicher Substanz zu berauben.

Die Kritik scheint überzogen: einmal würde der Gratiseintritt nach ersten Schätzungen des Kulturministeriums 25 Millionen Euro kosten. Diesen Einnahmeverlust müssten aber, versicherte Kulturministerin Christine Albanel eilends, nicht die Museen tragen. Dazu sei geplant, Freikarten auszugeben, um so den Verlust genau kontrollieren zu können. Zum anderen bleibt abzuwarten, ob, wie Sarkozy hofft, wirklich mehr Jugendliche in Museen gehen werden, wenn der Eintritt frei ist. wms

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AGENDA

22. Januar Berlin

Promised Belief - or Life after Life. Vortrag von Hélène Cixous. Mosse-Lectures, Tel. (030) 20 939 651.

22. - 24. Januar Leipzig

Die vergangene Zukunft Europas. Demografische Wissensordnungen und Prognosen im 20. und 21. Jahrhundert. Mit Dietmar Müller, Josef Ehmer u. a. Institut für Politikwissenschaft,

Tel. (0341) 973 56 33.

23. - 24. Januar Oranienburg

Die Veränderung der Existenzbedingungen in den NS-Konzentrationslagern 1933-1945. Mit Christoph Kopke, Habbo Knoch u. a. Gedenkstätte Sachsenhausen, Tel. (03301) 810 920.

23. - 24. Januar Berlin

Der Reichskunstwart. Staatliche Kulturpolitik in der Weimarer Republik 1920 bis 1933. Mit Michael Diers, Christian Fuhrmeister u. a. Kunsthistorisches Institut, Tel. (030) 838 538 00.

24. Januar Marburg/Lahn

Stadt, Land, Fluss. Landes-, Orts- und Reisebeschreibungen aus historischer und geographischer Perspektive. Mit Johannes Hofmeister, Ariane Westphälinger u. a. Historisch-geographisches Netzwerk, Tel. (06421) 971 640.

24. - 25. Januar Berlin

Jewish Cultural Treasures in Europe after the Holocaust. Restitution and Relocation. Mit Katharina Rauschenberger, Michaela Sidenberg u. a. Jüdisches Museum, Tel. (030) 25 993 353.

25. Januar Berlin

"Was dagegen über allen Preis erhaben ist, das hat eine Würde." Zur Begründungsnot von Grundwerten. Vortrag von Karl Kardinal Lehmann. Berliner Festspiele, Tel. (030) 254 89 262.

27. Januar Frankfurt a. M.

Sind wir Analphabeten im Umgang mit Bildern? Zur Notwendigkeit visueller Denkformen im 21. Jahrhundert. Manfred Osten spricht mit Horst Bredekamp. Literaturhaus, Tel. (069) 75 61 84 11.

27. Januar Berlin

Europa ohne Bürger. Die EU-Integration als Projekt der Eliten. Mit Max Haller, Michael Zürn u. a. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung,

Tel. (030) 254 91 - 0.

28. Januar Greifswald

Abgesang auf die Musikgeschichte? Richard Strauss und das Ende des "großen Regenbogens". Vortrag von Walter Werbeck. Alfried Krupp Wissenschaftskolleg, Tel. (03834) 86 - 19001.

28. Januar Hamburg

Flexibilität-Prekarität. Zwei Gesichter der Unternehmensmodernisierung. Vortrag von Franz Schultheis. Hamburger Institut für Sozialforschung,

Tel. (040) 414 097 - 12.

28. Januar München

Der Feind der ganzen Menschheit. Piraterie und Völkerrecht. Vortrag von Daniel Heller-Roazen. LMU, Tel. (089) 2180 - 3423.

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Der Kranich und die Schildkröte

In Bibliothekssälen und Tempeln erfolgreich in der Rolle des alten Weisen: Martin Walser auf Lesereise in China

"Die Universität grüßt ihren Ehrengast, den deutschen Schriftsteller Martin Walser." So prangte es in großen deutschen Leuchtbuchstaben an der Fassade des Hauptgebäudes der Fremdsprachen-Universität von Guangdong im Südosten Chinas, als Martin Walser dort auftrat, um in einem mit mehreren hundert Studenten und Gästen überfüllten Hörsaal aus dem Roman "Tod eines Kritikers" zu lesen - seinem letzten Roman, der ins Chinesische übersetzt wurde. Walser schaute erstaunt in die Runde. War es möglich, dass ausgerechnet dieser Roman, der doch ganz und gar auf das literarische Leben in Deutschland bezogen ist, so viele Hörer anzog?

Während Walser las, wurde die chinesische Übersetzung von Huang Liaoyu Seite für Seite auf eine Leinwand projiziert. Die anschließende, weit über eine Stunde dauernde Diskussion, wurde selbstverständlich auf Deutsch geführt. Die Fragesteller erwiesen sich als erstaunlich vertraut mit der literarischen Szene in Deutschland. Wie sei es nur zu erklären, dass der Roman in Deutschland so zwiespältig aufgenommen worden sei und Marcel Reich-Ranicki sich durch ihn so tief verletzt gefühlt habe?

Schließlich sei das Gerücht vom Tod des Kritikers von diesem doch selber inszeniert, der Inhalt des ganzen Romans sei eine einzige Mediengerüchteküche. Eine Hörerin sagte, er sei doch durchweg in einem konjunktivischen "Mutmaßungsstil" (so ihr deutscher Begriff) geschrieben, der gar keine sicheren Aussagen für oder gegen jemanden zulasse. Vor allem von Antisemitismus könne nicht im geringsten die Rede sein. Walser überließ die Antworten ans Publikum lieber seinen Mitdiskutanten auf dem Podium. Eines aber stellte er klar: Er müsse sich mit seinen Figuren immer identifizieren können, denn mit emotionalem Abstand zu ihnen, aus Hass könne er nie schreiben, sondern nur mit Liebe, auch zu denen, die in seinen Romanen eine vermeintlich schlechte Figur machten. Belustigt berief er sich auf die Feststellung seines Übersetzers Huang Liaoyu, der "Tod eines Kritikers" sei eine "Liebeserklärung" an Reich-Ranicki und eine mythische Überhöhung des Kritikers, auf welche dieser eigentlich stolz sein müsse.

Ein Plädoyer für Angela Merkel

Durch drei Städte führte Martin Walsers erste Chinareise: Peking, Shanghai und Guangzhou. Universitäten und Goethe-Institut hatten sich zusammengetan, um den neben Günter Grass berühmtesten deutschen Schriftsteller nach China zu holen. Am liebsten hätte er aus seinem Goethe-Roman "Der liebende Mann" gelesen, denn Goethe ist immer noch eine Kultfigur unter chinesischen Intellektuellen und einer der am meisten gelesenen europäischen Autoren der "Hochkultur", doch wird die Übersetzung - wiederum durch Huang Liaoyu - erst demnächst fertig. Im Mai wird Walser noch einmal nach China reisen, um dann den Goethe-Roman vorzustellen.

Als Walser Huang Liaoyu übrigens wegen seines wunderschönen Namens bewunderte, der "keinen bösen Konsonanten" enthalte, warnte dieser: "Seien Sie vorsichtig!" Der Name Liaoyu, den ihm seine revolutionär gesinnten Eltern gegeben hätten, bedeute so viel wie "Weltbrandstifter". "Da haben Sie eine bedeutendere Karriere gemacht als ich", antwortete Walser. "Ich habe es nur bis zum geistigen Brandstifter gebracht."

Gern hätte das Publikum der Lesungen, Vorträge und öffentlichen Gespräche in immer dichtgefüllten Sälen Walser nach seinen politischen Meinungen gefragt. Doch dem wich er ausdrücklich aus. Er sei nicht als politischer Kannegießer und Meinungsapostel nach China gekommen, sondern als Schriftsteller.

Nur ein einziges Mal ließ er sich zu einer politischen Meinungsäußerung hinreißen. Auf die Frage, ob die in China im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Gerhard Schröder so unbeliebte Angela Merkel nächstes Jahr unbedingt wieder Bundeskanzlerin werden müsse, sagte er, bei allem Misstrauen, das er ihr anfänglich wegen ihrer Haltung zum Irak-Krieg entgegengebracht habe, müsse er sagen, dass sie zu den wenigen Politikern gehöre, denen er jetzt Vertrauen entgegenbringe. "Ich hoffe doch sehr, dass sie nächstes Jahr wieder Bundeskanzlerin wird."

Als Walser in der Akademie für Sozialwissenschaften in Peking seinen Vortrag über Zustimmung und Kritik hielt, der beim prominenten Publikum auf viel Zustimmung stieß, überreichte ihm nach der Diskussion der Dekan der literaturwissenschaftlichen Abteilung der Akademie ein kostbares Geschenk: die Bronzeplastik eines Kranichs, der auf einer Schildkröte steht und einen Pilz im Schnabel hält: drei Symbole ewigen Lebens. Als Walser das Geschenk kaum anzunehmen wagte, sagte eine Professorin: "Sie sehen, wie kultiviert wir einmal waren. Dann kam der Sozialismus und hat alles kaputtgemacht. Doch das schöne Alte kommt wieder!"

Sprachlose Bescheidenheit

Höhepunkt der Reise Walsers war das Gespräch mit Mo Yan, dem wohl bedeutendsten chinesischen Schriftsteller der Gegenwart, im Bibliothekssaal des ältesten buddhistischen Tempels in Peking. Moderiert wurde es von Michael Kahn-Ackermann, dem zwischen Deutschem und Chinesischem souverän schaltenden Leiter des Goethe-Instituts. Mo Yan bewunderte Walsers Wechselspiel von philosophisch-ästhetischer Essayistik, Kritik und Romankunst. In China sei man nur entweder Romancier oder Essayist. Er komme sich intellektuell ganz unbedarft neben Walser vor.

Das war typisch für Mo Yan, der sich selbst dieses Pseudonym gegeben hat, das "der Sprachlose" heißt. (Sein wirklicher Name ist Guan Moye.) Doch auf diesen Topos der affektierten Bescheidenheit wollte sich Walser nicht einlassen und holte zu einer Ruhmrede auf den großen Schriftsteller Mo Yan aus, in der er dessen - auch zu Filmruhm gelangten - Roman "Das rote Kornfeld" als Meisterwerk würdigte. Er beneidete Mo Yan für die Möglichkeit, in diesem Roman, der die Wende vom alten zum modernen China zum Inhalt hat und in dessen Zentrum die Schlacht zwischen chinesischen Dorfbewohnern und der verhassten japanischen Armee in den Weiten der roten Zuckerhirsefelder steht, die chinesische Geschichte mit so positiver emotionaler Anteilnahme schildern zu dürfen. "Wir deutschen Schriftsteller trauen uns doch gar nicht, uns unserer Geschichte anders als mit schlechtem Gewissen zuzuwenden. Wir sind eben immer die Japaner." Das jedoch hörte Mo Yan nicht gern. Er habe nicht Partei für ein Volk ergreifen wollen, und ein Schriftsteller müsse immer über den Parteien stehen.

Dass der Roman vom roten Kornfeld wirklich im Geist dieser Überparteilichkeit geschrieben sei, wollte Walser freilich nicht recht glauben. Doch Mo Yan sprach wohl aus seiner Erfahrung mit der jüngsten chinesischen Geschichte, die ihn mehr und mehr mit Skepsis erfüllt hat, und mit seinem nach dem Tiananmen-Massaker abgeschlossenen Roman "Die Schnapsstadt", der seinerzeit in der Volksrepublik China nicht erscheinen durfte.

Huang Liaoyu sagte in einem Gespräch, Martin Walser entspreche von seinem Auftreten her vollkommen dem Idealbild des "alten Weisen", dem man in China so sehr anhänge. Das erkläre den großen emotionalen Zuspruch, den er hier finde. Und eine Studentin bemerkte spitzbübisch: "Wenn ihr in Deutschland nicht nett zu Martin Walser seid, behalten wir ihn einfach bei uns." DIETER BORCHMEYER

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Victor Hugos Zeichnungen: "Tintenkleckse tierischen Aussehens"

Der Mann mit der roten Weste beim Theaterkrach um Victor Hugos Stück "Hernani", Théophile Gautier, hat einmal bemerkt: "Wäre Victor Hugo nicht Dichter, er wäre ein Maler ersten Ranges; er versteht es vortrefflich, in düsteren und wilden Fantasien die Hell-Dunkel-Effekte Goyas mit den architektonischen Schrecken Piranesis zu verschmelzen." Gautier reihte also die Zeichnungen des "genialen Dummkopfs", wie Baudelaire so liebevoll wie sarkastisch Hugo nannte, sogleich unter die Heiligen der Schwarzen Romantik ein und definierte damit den Rang dieser verblüffenden Bildwelten, die der Meister selbst bescheiden als "schöne Nebensache" ansah. Seit etwa 1830 hat er 40 Jahre lang mit Feder, Stift, Pinsel und anderen Werkzeugen auf verschiedenen Papiersorten in allen Spielarten des Clair-obscure ein unverwechselbares Ouvre von über 3000 Zeichnungen geschaffen. Hugo ging sorgsam mit dem Konvolut um und vermachte es schließlich der Nationalbibliothek.

Nun haben Françoise Chomard und Dietrich Harth eine gut kommentierte Auswahl herausgegeben (Tintenklecks und Schattenmund. Victor Hugos Zeichnungen. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2008. 192 Seiten, 29,80 Euro). Viele dieser Blätter wirken wie rasch hingetuschte Bildnachrichten aus den Zwischenreichen von Zwielicht, Dämmerung und Nebel oder wie Gesichte, die Hugo in Halbschlaf, Trance und Traum bedrängten. Andere bieten grandiose Seestücke, auf denen das finstere Meer die Silhouetten von Schiffen zu verschlingen droht. Wieder andere entstammen einer bizarren Figuren- und Tierwelt, wie jenes struppige Federvieh, 1872/73 entstanden, das Hugo im Bild so beschreibt: "Verkommener Vogel, dessen Gezwitscher die Hexe blamiert hat." HARALD EGGEBRECHT

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Des Räubers Schatten

Lydia Davis' Kürzestprosa "Fast keine Erinnerung"

"Als sich unsere Frauen allesamt in Zedernbäume verwandelt hatten, stellten sie sich in eine Ecke des Friedhofs zu einer Gruppe zusammen und ächzten im Sturm." Personalpronomen und bestimmter Artikel in diesem Einleitungssatz sind trügerisch. Der knapp anderthalbseitige Text "Zedernbäume" verrät weder, welches "Wir" diese Metamorphose so lakonisch beschreibt, noch um welchen Friedhof es sich handelt. Hier wird nicht erzählt, sondern mitgeteilt, und wenn am Ende die Frauen "tief im Herzen der Zedernbäume wieder zum Leben" erwachen und "seelenruhig und scheinbar ohne besondere Eile" nach Hause zurückkehren, bleiben nicht nur die niederen epischen Bedürfnisse unbefriedigt.

Im Kurz- und bisweilen nur wenige Zeilen füllenden Kürzestprosaformat verfasst, erscheinen die Stücke der 1947 in Massachusetts geborenen Lydia Davis oft eher am Reißbrett als am Schreibtisch entstanden zu sein - und dies auch da, wo es um einen Cowboy als Mann oder um die Rekonstruktion einer historischen Russland-Reise ("Lord Roystons Tour") geht.

Im amerikanischen Original 1997 erschienen, wirken viele dieser "Erzählungen" wie einer europäischen Avantgarde nachgeschrieben, die längst ihre Plätze auf den Denkmalssockeln der Literaturgeschichte eingenommen hat. Positiv überrascht dann ein Stück wie "Der Frischwassertank", in dem die Erzählerin im Supermarkt Fische in einem Becken beobachtet: "Während ich hin und her rechne, ob ich einen fürs Abendessen kaufen soll, sehe ich gleichzeitig, wie hinter ihnen oder durch sie hindurch eine größere, schemenhafte Gestalt den Frischwassertank verdunkelt: meinen Schatten auf dem Glas, den Schatten des Räubers." Aus ihrem toten Winkel hervorkommend, überrascht sich die literarische Fiktion und Reflexion hier selbst. Das ist nicht gewollt reduktionistisch. Das ist einfach gut. ULRICH BARON

LYDIA DAVIS: Fast keine Erinnerung. Erzählungen. Aus dem Englischen von Klaus Hoffer. Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2008. 188 Seiten, 19 Euro.

KURZKRITIK

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Lauschen und Hören

Zum siebzigsten Geburtstag der Autorin Erika Runge

Um Erika Runge ist es merkwürdig still geworden, aus der öffentlichen Kultur dieses Landes scheint die beredte und streitbare Schriftstellerin, Publizistin und Regisseurin wie verschwunden. Dabei war sie doch einmal in aller Munde: Das war in den siebziger Jahren der alten Bundesrepublik, zu deren publizistischen Gallionsfiguren sie gehörte. Geboren in Halle im ersten Jahr des Zweiten Weltkriegs als Tochter eines beinlosen Invaliden des Ersten Weltkriegs und als Kind nur mit knapper Not einem Bombenangriff entkommen, war der promovierten Literatur-, Theater- und Kunstwissenschaftlerin eine ausgeprägte Sensibilität für verwundete und bedrohte Landschaften mitgegeben, seien es körperliche oder seelische, mentale oder geographische Landschaften. Das Reportagebuch "Bottroper Protokolle", im magischen Jahr 1968 als schmale Broschüre in der "Edition Suhrkamp" erschienen, sprach da Bände und war die Inkunabel einer aus erneuerten "neusachlichen" Antrieben geschaffenen dokumentarischen Gattung, die als "Oral History" fortan auch in Deutschland Schule machte.

Von da war es nur ein kleiner Sprung zum Film, und Erika Runge nahm ihn mit gleicher Bravour noch im selben magischen Jahr mit dem Dokumentarfilm über das Leben einer Bergarbeiterfrau, "Warum ist Frau B. glücklich". Selbst ohne die davon ausgelöste Woge der interviewgestützten Nachfolgeprojekte wäre der Titel allein schon eine ganze Toposgeschichte der ausgehenden Bundesrepublik wert. Runge selbst warf sich mit ihrer vielseitig applizierbaren - auf Schrift, Bild, Tonband und Bühnen - dokumentarischen Methode in einen Stafettenlauf der Projekte, der sie vom Ruhrpott bis in Frauenhäuser und von der realsozialistischen DDR bis in den Apartheitstaat Südafrika führte. Und mit dem Fernsehspiel "Lisas Traum vom Glück" (1987) schuf sie abermals einen Titel, der sich unauslöschlich ins Kollektivgedächtnis der alten BRD eingeschrieben hat.

Aber schon damals war es still um Erika Runge geworden und bald hörte man gar nichts mehr von ihr. Schon als Münchner Studentin der illegalen KPD angehörig, war sie bis zum Ende der DDR mit deren hiesiger Filiale, der DKP, verbandelt. Bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten war ihr Stern infolgedessen seit den "Radikalenerlassen" gesunken. Es soll aber keiner denken, dass Erika Runge, die heute in Berlin ihren siebzigsten Geburtstag feiert, aus allen neuralgischen Diskursen ausgetreten sei. Ganz im Gegenteil. Heute spricht sie vielleicht weniger als früher, ihre Methode des empathischen Zuhörens hat sie aber ausgefeilt und zum zweiten Beruf gemacht: Seit mehr als einem Jahrzehnt ist Erika Runge, lauschend und spürend, als Psychotherapeutin tätig. VOLKER BREIDECKER

Erika Runge Klaus Rose/Das Fotoarchiv

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Das milde Klima und der Ernst der Revolution

Edmundo Desnoes' Roman "Erinnerungen an die Unterentwicklung" erzählt von Castros Kuba

Ein Pokerface? Der neununddreißigjährige Held und Ich-Erzähler in Edmundo Desnoes' Roman "Erinnerungen an die Unterentwicklung" trägt eine unbewegte Miene zur Schau, als gingen ihn die Umwälzungen nichts weiter an. Dabei bricht im Spätsommer 1962 kurz nach der kubanischen Revolution so ziemlich alles in sich zusammen, was vorher seine Existenz ausmachte. Der Familienbesitz wird beschlagnahmt, das elterliche Möbelgeschäft enteignet, sein Vater, seine Mutter und seine Ehefrau Laura gehen ins Exil nach New York. Er bleibt allein zurück, klemmt sich hinter seine Schreibmaschine und erforscht den neuen Daseinszustand. Ein "Luxustierchen" sei Laura gewesen, lässt er verlauten, "und ich bin ein ziemlicher Arsch".

In einem schroffen, schnoddrigen Tonfall mit selbstironischer Macho-Gebärde nimmt der neu geborene Freizeitschriftsteller sein kubanisches Leben ins Visier. Er zählt die zurückgelassenen Lippenstifte seiner Frau (achtzehn Stück!), schneidet sich die Zehennägel, streift durch Havanna und fängt aus Langeweile mit einem Mädchen eine Liebschaft an, die ihn schließlich in den Knast bringt, weil seine Gespielin noch minderjährig ist. Der glücklose Müßiggänger entgeht knapp einer Verurteilung und landet kurz nach seiner Entlassung wieder im Bett, dieses Mal mit seiner Haushaltshilfe.

Aber just in diesem Moment wird er abgelenkt: Es ist der Tag der Kubakrise, und im Rundfunk droht Kennedy mit Krieg. "Erinnerungen an die Unterentwicklung" endet mit drei von dem Helden verfassten Kurzgeschichten, auf die im Verlauf des Romans bereits angespielt wurde - wunderbare Miniaturen, die man als metaphorische Verdichtungen der kubanischen Revolution deuten kann. "Ich bin ein Träumer, und ich bin unterentwickelt; das Schlimme daran ist, dass ich es weiß", erklärt Edmundo Desnoes' Alter Ego schlecht gelaunt. "Das Klima ist sehr mild, es verlangt wenig vom Individuum. Jeder Kubaner verwendet sein ganzes Talent darauf, sich dem Moment anzupassen. Dem Anschein." In Kuba ertrage man nicht viel, ohne in Gelächter auszubrechen. Passt das zum Ernst der Revolution?

Desnoes, 1930 in Kuba geboren, 1979 in die USA emigriert und als Journalist zunächst aktiv an den Umbrüchen nach der Revolution beteiligt, verarbeitet autobiographische Erfahrungen und legt den schmalen Roman nach dem Muster eines Tagebuchs an. Das Ergebnis ist ein großartiges Zeugnis des inneren Zustands seines Landes. Im Zentrum steht eine Erfahrung von Mehrdeutigkeit - das fällt inmitten der politisch eindeutig positionierten Literatur jener Zeit ins Auge. Desnoes' Held schwankt nämlich zwischen extremen Stimmungslagen: Mal überwiegt ein Gefühl der Befreiung und der Teilhabe am tatsächlichen Leben, mal beherrschen ihn Empfindungen von Ungenügen und Depression. Für intellektuelle Energien scheint es gar keinen Raum zu geben, durch die Revolution fühlt er sich seinem Land entfremdet. Auf einmal ist man eingesperrt in Kuba, die internationalen Anbindungen sind gekappt, Zeitungen und Zeitschriften nicht mehr verfügbar, Reisen unmöglich: "Ich habe keine Zukunft; die Zukunft plant der Staat", beschreibt er seine Lähmung.

Uneindeutiges Leben

Berühmter als der Roman wurde 1968 die suggestive Filmfassung von Tomás Gutiérrez Alea; es war eines der ersten international beachteten Produkte aus dem kubanischen Filminstitut ICAIC in Havanna. Man hatte über dem Film den ästhetischen Wert der literarischen Vorlage bald vergessen - trotz lobender Besprechungen der ersten, leicht gekürzten englischen Übersetzung von 1967. Bereits 1965 im Original erschienen, bricht Desnoes in "Erinnerungen an die Unterentwicklung" mit den erzählerischen Prinzipien des sozialistischen Realismus, schwelgt auch nicht in den Phantasiewelten des magischen Realismus, sondern leuchtet stattdessen das Innenleben seiner Hauptfigur aus.

Wie der Schriftsteller im Nachwort erklärt, ist der Titel "Memorias del subdesarrollo" von Dostojewskis "Aufzeichnungen aus einem Kellerloch" inspiriert, das auf Spanisch "Memorias del subsuelo" heißt. Atmosphärisch ist eine Nähe zu Camus' "Der Fremde" spürbar, wobei Desnoes mit dem moralischen Rigorismus der Existentialisten nichts am Hut hatte. Ein bisschen fühlt man sich an frühe Erzählungen von Juan Carlos Onetti erinnert. Als Desnoes Roman 1965 herauskam, warf man dem Verfasser in Kuba "bürgerlichen Idealismus" vor, aber seine literarische Intensität bezieht der Roman gerade aus dem schwer greifbaren Unbehagen des Helden. Das Uneindeutige ist eben auch an der Revolution das Spannende. MAIKE ALBATH

EDMUNDO DESNOES: Erinnerungen an die Unterentwicklung. Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Gisbert Haefs. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 154 Seiten, 13,80 Euro.

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Sprich mit ihr

Arte, 21.00 Uhr. Zwei junge Männer (Dario Grandinetti und Javier Cámara) wachen im Krankenhaus jeweils an der Seite ihrer im Koma liegenden Geliebten. Beide gehen sehr unterschiedlich mit ihrem Schicksal um. Das Drama des spanischen Regisseurs Pedro Almodóvar erhielt unter anderem den Oscar für das beste Originaldrehbuch. Foto: Arte

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Die letzten Erreger

Kinderlähmung soll nun endgültig ausgerottet werden

Jetzt soll es der Krankheit endgültig an den Kragen gehen. Immer wieder hat sich die Kinderlähmung vor ihren Verfolgern versteckt, hat stillgehalten, um doch wieder loszuschlagen. Regelmäßig lodert sie in Indien, Pakistan, Nigeria und Afghanistan auf und führt dort alljährlich zu einigen hundert Krankheitsfällen. Es sind nicht mehr viele, vergessen die Zeiten, als die Kinderlähmung weltweit gefürchtet war. Aber ihre Erreger zeigen: Wir sind noch da.

Ihre Verfolger aber meinen es nun noch einmal ernst. Mit 630 Millionen Dollar wollen sie der Kinderlähmung den Garaus machen; wollen die Krankheit, die Millionen Kinder am Laufen gehindert, in die eiserne Lunge gepresst oder getötet hat, endgültig besiegen. Am Mittwoch verkündeten die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, die Rotary-Vereinigung und die Regierungen von Deutschland und Großbritannien, dass sie die Summe aufbringen werden. 255 Millionen Dollar zahlt die Stiftung von Microsoft-Gründer Gates, die sich seit Jahren mit viel Geld und gigantischem PR-Aufwand gegen die Geißeln der Menschheit engagiert, bisher vor allem gegen Aids, Malaria und Tuberkulose.

Eigentlich sollte es die Kinderlähmung längst nicht mehr geben. Schon 1988 hatte sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Ziel gesetzt, die Erreger der Poliomyelitis genannten Krankheit auszurotten. Weil es Impfstoffe gibt und Polio-Viren nur im Menschen überleben können, standen die Chancen nicht schlecht. So sollte die Kinderlähmung nach den Pocken als zweite Krankheit vom Erdball verschwinden.

Die Erfolge können sich sehen lassen. Europa, Amerika und Australien wurden im Zuge der Kampagne offiziell für "poliofrei" erklärt. Während 1988 noch 350 000 Kinder in aller Welt erkrankten, waren es 2008 nur noch 1600. Doch um die letzten vier Staaten in Asien und Afrika von der Plage zu befreien, bedarf es einer Kraftanstrengung. Immer wieder flammt die Krankheit dort auf und wird in andere Länder wie Tschad und Niger getragen, was die Ausrottung gefährdet. "Heute quält die Kinderlähmung nur noch eine kleine Zahl der Kinder dieser Welt", sagt Bill Gates. "Aber die vollständige Ausrottung ist schwierig und wird es noch für einige Jahre bleiben."

Mehr als sechs Milliarden Dollar hat die Ausrottungskampagne seit 1988 gekostet. "Die zugesicherten 630 Millionen sind ein sehr großer Beitrag für die kommenden Jahre", sagt WHO-Sprecher Oliver Rosenbauer. Allerdings seien die Finanzen nicht die einzige Schwierigkeit. "Wir haben inzwischen Lösungen für die meisten Probleme gefunden, aber sie müssen in den Ländern auch strategisch umgesetzt werden", sagt Rosenbauer. So hätten sich die Bevölkerungen der beiden betroffenen Bundesstaaten Indiens, Bihar und Uttar Pradesh, in den vergangenen Jahren immer wieder gegenseitig angesteckt. "Die Ausrottung muss zeitgleich erfolgen", so der WHO-Mann. "Nur dann haben wir eine Chance."

Allerdings sind die Viren heimtückisch. Bei Kleinkindern können sie binnen Stunden zu einer völligen Lähmung führen. Die meisten Ansteckungen aber verlaufen ohne Symptome. "Das ist das Gefährliche an dem Virus", sagt Rosenbauer. "Die Menschen merken nichts davon, verbreiten den Erreger aber weiter." Im August 2007 haben es die Erreger auf diese Weise sogar bis nach Genf geschafft. Die Schweizer Behörden isolierten damals aus Abwässern der Stadt Polio-Viren, die wohl aus dem Tschad stammten. Rosenbauer appelliert deshalb auch an die Menschen im längst poliofreien Europa, sich alle zehn Jahre impfen zu lassen. "Wenn solche Viren in ungeimpfte Bevölkerungen gelangen, kommt es in Windeseile zu einer Epidemie." CHRISTINA BERNDT

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Blüten der Forschung

Startet der umstrittene Algen-Versuch im Südpolarmeer doch?

Die Besatzung der Polarstern erlebt eine Odyssee. Bereits kurz nachdem das deutsche Forschungsschiff am 7. Januar von Südafrika aus in Richtung Südpolarmeer aufgebrochen war, geriet es in einen Sturm, der Meeresforschern und Seeleuten an Bord zu schaffen machte. Doch inzwischen bedrückt die 53 Forscher auf der Polarstern nicht allein das schlechte Wetter. Ihnen wurde einstweilen verboten, ihren wichtigsten Auftrag zu erfüllen. Eigentlich wollten die Wissenschaftler aus sieben Ländern am Mittwoch damit beginnen, den Ozean mit Eisensulfat zu düngen. Das rund vier Millionen Euro teure Experiment sollte zeigen, wie viel Treibhausgas eine auf diese Weise erzeugte Algenblüte binden kann.

Doch nach einem Streit deutscher Ministerien wurde das Experiment Anfang vergangener Woche ausgesetzt. Erst am Montag will die Bundesregierung entscheiden, ob die Forscher mit der Arbeit beginnen können. Sie hat Gutachter beauftragt, die Umweltfolgen des Dünge-Experimentes zu bewerten. Nach Informationen der SZ wird es voraussichtlich einen positiven Bescheid geben.

Deutschland ist zwar für die Verzögerung des Projektes verantwortlich, betreibt es jedoch nicht allein. Das Großexperiment war im Beisein von Indiens Premierminister Manmohan Singh und Bundeskanzlerin Angela Merkel im Oktober 2007 als indisch-deutsches Kooperationsprojekt unterzeichnet worden. An Bord der Polarstern sind 32 indische und elf deutsche Forscher, sowie Wissenschaftler anderer Nationen.

Die erzwungene Verzögerung des Experiments wird die Internationale Maritime Organisation IMO beschäftigen, die sich im Februar des Falls annehmen will. Die IMO ist eine Agentur der Vereinten Nationen, die für die Sicherheit und Sauberkeit der Ozeane verantwortlich ist. Vergangenen Oktober hatte die IMO mit der sogenannten Londoner Konvention die Eisen-Düngung der Meere verboten - allerdings mit einer Ausnahme: Zu Forschungszwecken sollte sie erlaubt sein.

Dennoch fordert das deutsche Umweltministerium unter Sigmar Gabriel (SPD) den Stopp des Polarstern-Projekts: Deutschlands Glaubwürdigkeit leide durch das geplante Experiment, so die Begründung. Gabriel verweist auf einen Beschluss der UN vom vergangenen Jahr in Bonn. Auf der Tagung über biologische Vielfalt (CBD) hatte sich die UN im Mai 2008 unter Vorsitz Deutschlands ebenfalls gegen Eisen-Düngung der Meere ausgesprochen. Das Polarstern-Projekt stehe im Gegensatz zu den unter deutschem Vorsitz gefassten UN-Beschlüssen, sagt Gabriel.

Um Wissenslücken zu schließen, einigten sich auf der CBD 191 Staaten darauf, "kleinflächige Eisen-Düngung im Rahmen von Wissenschaftsprojekten" zuzulassen. Doch die IMO solle nun prüfen, wie ",kleinflächig' verbindlich definiert werden muss", fordert das Umweltministerium. Die Londoner Konvention fordere "ausdrücklich" Forschung zur Eisendüngung, erklärt hingegen das Forschungsministerium BMBF von Annette Schavan (CDU).

Das BMBF hatte sich zunächst Gabriels Protest gebeugt. Das Düngungs-Experiment wurde solange ausgesetzt, bis eine Stellungnahme zur Unbedenklichkeit der Untersuchungen vorliegt. Gleichwohl sei es "verwunderlich, dass die Proteste gegen das Experiment erst so spät kamen" - nachdem die Polarstern abgelegt hatte, erklärt das BMBF. Die späte Reaktion sei auf Druck von Umweltverbänden zustande gekommen.

Nun erarbeiten drei renommierte Meeresforschungsinstitute bis Samstag eine Stellungnahme zur ökologischen Risikobewertung des Projektes - um "zusätzliche Transparenz zu schaffen", wie das BMBF erklärt: Das Ifremer in Frankreich, der British Antarctic Survey und das IFM Geomar in Kiel. Die Ermittlungen stützen sich vor allem auf fünf ähnliche Experimente, die bislang im Südpolarmeer stattfanden.

Zudem vergleichen die Gutachter das Experiment mit natürlichen Prozessen: Schmelzende Eisberge etwa hinterlassen ähnliche Eisenmengen. Und nahe der Küste enthält Meerwasser pro Liter mehr als zehnmal so viel Eisen. Das Eisen lässt Algen aufblühen, die Grundnahrung für Krill, dessen Bestand sich in den letzten Jahren drastisch verringert hat. Doch Eisen-Düngung muss keine ökologische Wohltat sein. Zwar entziehen Algen dem Wasser und somit der Luft Treibhausgas. Doch muss untersucht werden, was mit den Algen passiert und welche Substanzen sie freisetzen.

Manche Forscher denken, mit großflächiger Eisen-Düngung lasse sich ein Fünftel des jährlichen menschengemachten Treibhausgas-Ausstoßes entsorgen. Doch der wissenschaftliche Leiter der Polarstern, AWI-Forscher Victor Smetacek, ist skeptisch: "Bisher konnte nicht überzeugend bewiesen werden, dass Kohlenstoffverbindungen - also auch Treibhausgase - für längere Zeit entsorgt wurden." AXEL BOJANOWSKI

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Die Antarktis ist gar nicht so kalt

Forscher haben bisher unterschätzt, wie stark sich der Kontinent am Südpol erwärmt

Wenn in Deutschland Schnee fällt, ist in der Antarktis Sommer. Seit Jahren starren Polarforscher dann gebannt auf die großen Eisschelfe am Rand des Kontinents, ob wieder Platten von der Größe ganzer Länder abbrechen. Im Jahr 2000 zum Beispiel hatte sich eine Fläche so groß wie Jamaika gelöst. Zurzeit beobachten die Wissenschaftler das Wilkins-Schild im Nordwesten des Kontinents. Dort schwamm einst Eis von der Größe Schleswig-Holsteins auf dem Wasser. Ein Drittel davon ist zerbröselt, ein weiteres Viertel wird nur durch einen kleinen Steg Eis festgehalten. Er ähnelt einer Stange Spargel, die sich mit dem Kopf an eine Insel lehnt. An der schmalsten Stelle ist der Steg aber nur noch 900 Meter breit, sagt Angelika Humbert von der Universität Münster. "Im schlimmsten Fall werden 3800 Quadratkilometer Eis instabil, wenn es dort bricht."

Polarforscher verknüpfen solche spektakulären Ereignisse mit dem globalen Klimawandel. Die Erwärmung hat einer Studie zufolge bereits die Antarktis als Ganzes erfasst. Bisher hieß es meist, die Temperaturen stiegen vor allem auf der antarktischen Halbinsel im Westen, die sich Feuerland entgegenstreckt; also in der Region, zu der auch das Wilkins-Schelf gehört. Der Osten des Kontinents hingegen kühle eher aus. Dem widersprechen nun sechs amerikanische Wissenschaftler um Eric Steig von der Universität des Bundesstaats Washington in Seattle. Nur im Südherbst zeige sich die Abkühlung im Osten. Ansonsten aber habe sich der Kontinent insgesamt seit 1957 um etwa 0,6 Grad Celsius erwärmt (Nature, Bd. 457, S. 459, 2009), weil die Temperaturen überall gestiegen seien.

Dieser Aussage liegt eine komplizierte Analyse zugrunde, denn die Daten aus der Antarktis sind spärlich. Zwischen 1957 und 1980 gibt es zuverlässige Messungen nur von gut zwei Dutzend bemannten Forschungsstationen, die fast alle in der Nähe der Küsten lagen. 1980 kamen automatisierte Wetterstationen hinzu, erst seit 1982 liefern Satelliten einen Überblick über die Fläche. Die Forscher mussten also die fehlenden Daten aus früheren Zeiten und aus dem Landesinneren hochrechnen. Sie erkannten dabei, dass es zwischen den unterschiedlich gemessenen Temperaturen ab 1982 feste Relationen gab, die sie dann auf die früheren Jahre übertragen konnten.

Weiterbildung für den Klimarat

Dieses Verfahren wandten sie unabhängig voneinander auf die Daten der Satelliten und der automatischen Wetterstationen an; beide lieferten nahezu identische Ergebnisse. "Das ist eine sehr seriöse Arbeit", lobt Angelika Humbert, die mit den gleichen Daten und einem ähnlichen Verfahren die Temperaturen auf dem Ross-Eisschelf im Südwesten der Antarktis rekonstruiert hatte und zu den gleichen Ergebnissen gekommen war. "Es ist aber das erste Mal, dass jemand diese Erwärmung des Ostens zeigen kann."

Allerdings hängt die Temperatur des antarktischen Ostens stark vom genauen Zeitraum ab. Zwischen 1957 und 2006 ergibt sich eine leichte Erwärmung, zwischen 1969 und 2000 eine Abkühlung. Neben den Treibhausgasen spielen am Südpol eben noch andere Faktoren ein Rolle: Veränderungen in der vorherrschenden Luftzirkulation und das Ozonloch, das den höher gelegenen Osten kühlt. "Die Bemühungen, das Ozonloch zu stopfen, werden irgendwann wirken. Wenn das passiert, könnte sich die Antarktis im Gleichschritt mit dem Rest der Welt erwärmen", warnt Eric Steig.

Ohnehin hatte vor einigen Wochen eine andere Forschergruppe belegt, dass der Einfluss des Menschen längst die Antarktis erfasst - der Weltklimarat IPCC hat diese Frage in seinem Bericht 2007 offengelassen. Die Wissenschaftler um Nathan Gillett von der University of East Anglia in Norwich haben die verfügbaren Temperaturdaten mit vier Klimamodellen verglichen, die die Vergangenheit nachvollziehen sollten. Ignorierten die Computer den Einfluss des Menschen auf das Klima, passten die berechneten Temperaturen nicht zu den realen Messwerten aus der Südpolregion. Erst als die Rechner beim simulierten Blick zurück Treibhausgase, andere Schadstoffe und das Ozonloch berücksichtigten, ergab sich das korrekte Muster. CHRISTOPHER SCHRADER

Ein hohes Gebirge teilt die Antarktis. Der Westen erwärmt sich seit Jahrzehnten stark - hier gekennzeichnet durch die kräftige rote Farbe. Aber auch der Osten schimmert zart rosa. Dort ist es heute ebenfalls wärmer als 1957. Bild: Steig / Nasa

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Eilige Jahreszeit

Der Frühling kommt immer früher

Frühling und Herbst beginnen immer früher. Der gesamte Jahreszyklus habe sich in den vergangenen 50 Jahren um 1,7 Tage nach vorne verschoben, berichten Forscher um Alexander Stine von der Universität Kalifornien in Berkeley in der aktuellen Ausgabe des britischen Fachjournals Nature (Bd. 457, S. 435, 2009). Für die Verschiebung der Jahreszeiten machen die Wissenschaftler die Erderwärmung verantwortlich. Insgesamt fallen die Temperaturunterschiede zwischen Sommer und Winter zudem zusehends schwächer aus. Die Wissenschaftler haben für ihre Studie jahreszeitliche Wettertrends der ersten und zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verglichen. Während die Ergebnisse für die Landmassen eindeutig erscheinen, ergab sich für das Meeresklima kein ähnlich klares Bild. Den Wissenschaftlern zufolge lässt sich die saisonale Verschiebung nicht durch natürliche Temperaturschwankungen erklären.dpa

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Frischfleisch statt Aas

Erster jagender Mistkäfer entdeckt

Deltochilum valgum ist ein Mistkäfer, der sich nichts aus Mist macht. Statt Mistkügelchen zu rollen oder Aas zu fressen wie andere Artgenossen, geht er auf die Jagd. Dazu benutzt er seine scharfen Mundwerkzeuge, um verletzte Tausendfüßer zu köpfen und zu fressen. Amerikanische Wissenschaftler haben ihn jetzt im peruanischen Regenwald bei seinem nächtlichen Beutezug gefilmt und konnten das ungewöhnliche Verhalten kaum glauben: "Das ist eine bemerkenswerte Wandlung", schreibt der Forscher Trond Larsen in der Zeitschrift Biology Letters der Royal Society (online). "Das ist die erste bekannte Art eines jagenden Mistkäfers." Sie hatten den Käfern auch normale Mistkäfer-Nahrung wie Pilze, Früchte und Dung angeboten, doch die Tiere wollten nur Tausendfüßer fressen. Dabei umschlangen sie die sich windende Beute mit ihren kräftigen Beinen und zerteilten sie mit der scharfen Kante ihrer Oberlippe. Mit seiner ungewöhnlichen Strategie hat der räuberische Mistkäfer wohl einen Vorteil gegenüber der aasfressenden Verwandtschaft: Er muss sich nicht mehr mit den vielen anderen Insekten um die gleiche Nahrung streiten. emm

Der Mistkäfer überwältigt die Beute mit seinen kräftigen Beinen. Larsen

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Spion im System

Kreditkartendaten ausgespäht

Bei dem amerikanischen Kreditkartendienstleister Heartland sind im Jahr 2008 offenbar Kreditkartendaten in größerem Umfang gestohlen worden. Heartland, das für 250 000 Firmen Kreditkartentransaktionen sowie Lohnzahlungen abwickelt, räumte am Tag der Amtseinführung des neuen Präsidenten Barack Obama ein, dass Computerforensiker in dem Rechnersystem der Firma eine Software gefunden hätten, die Kreditkartendaten ausspähen konnte. Wie viele Kunden betroffen sind und welche, steht Firmenangaben zufolge noch nicht fest. US-Medien vermuten, bei der Attacke könnte es sich um den größten Fall von Datendiebstahl überhaupt handeln. Die Kreditkartenunternehmen Visa und Mastercard hatten Heartland im Spätherbst auf eigenartige Transaktionen hingewiesen. Bei eigenen Untersuchungen kam aber zunächst nichts heraus. Erst als die Firma externe Forensiker beauftragte, wurde die Späh-Software auf den Rechnern der Firma schließlich entdeckt. In dem Fall, den Heartland als möglichen Teil eines großgeanlegten internationalen Online-Betrugs bezeichnet, ermitteln der Secret Service und das US-Justizministerium. Von dem Datenklau könnten auch deutsche Kartenbesitzer betroffen sein, wenn sie in der fraglichen Zeit in den USA waren und dort mit ihrer Kreditkarte bezahlt haben. ma

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Söder als Friedensengel

München - Die Befürchtung vieler Fachärzte, wegen der neu geregelten Honorarverteilung bald ihre Praxen schließen zu müssen, scheint vom Tisch zu sein. Am Montag einigten sich die bayerischen Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung auf eine gemeinsame Erklärung. Demnach werde dank Ausgleichszahlungen "kein Arzt in Bayern mehr als fünf Prozent verlieren", versprach Gesundheitsminister Markus Söder (CSU), auf dessen Druck hin die Vereinbarung zustande kam. Es werde "keine Praxisschließungen" geben. Individuelle Härtefälle einzelner Ärzte sollten von einer Kommission geprüft werden. Auch hätten Kassen- wie Ärztevertreter zugesagt, weiterhin Sonderhonorare für Hausbesuche oder Bereitschaftsdienste zum Beispiel zu zahlen, sagte Söder. Die AOK als größte Kasse wolle zudem mit den Kinder- und Jugendärzten einen eigenen Vertrag abschließen - analog zu jenem, den sie mit den Hausärzten verhandeln und der diesen ein deutliches Einnahmeplus bescheren wird. Wegen der seit drei Wochen geltenden bundesweit einheitlichen Neuverteilung hatten diverse Facharztgruppen Einnahmeausfälle von bis zu 30 Prozent befürchtet - obwohl Bayerns niedergelassene Ärzte in diesem Jahr insgesamt 280 Millionen Euro mehr als bislang von den Kassen überwiesen bekommen. Unter anderem auf Druck Bayerns hatte der Einheitliche Bewertungsausschuss in Berlin mehr regionale Verteilungsspielräume genehmigt. Wie es in der Erklärung heißt, soll sie der "Vermeidung von erheblichen Honorarverwerfungen" dienen. Sie konkretisiert, wie diese Spielräume in Bayern genutzt werden sollen. "Es muss Frieden in die Praxen einziehen", forderte Söder. Der Streit der Ärzte über die Verteilung der Honorare dürfe nicht auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden. Dass dieser mit der Erklärung gänzlich beendet sei, wollte Söder indes nicht versprechen. Kassian Stroh

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Mitten in Augsburg

Dem Humor auf der Spur

Sie kamen im Herbst als Germanistik-Gaststudenten aus dem fernen China und wussten nicht, was auf sie zukommt. Inzwischen haben sie die Herzen der Augsburger und danach das Rathaus erobert. Zaixin Zhang und Chao Jiang sind das Regentenpaar des Augsburger Carneval Vereins. Die beiden 21-Jährigen aus Augsburgs Partnerstadt Jinan wollen in Schwaben Sprache und Brauchtum kennen lernen - und tun dies mit Haut und Haaren: Er schreibt eine wissenschaftliche Arbeit über das deutsche Vereinswesen, sie über traditionelle Feste und Sitten. Was lag da näher, als sich von Oberbürgermeister Kurt Gribl als närrisches Regentenpaar inthronisieren zu lassen?

Das Projekt ist ein Paradebeispiel für ernsthafteste Feldforschung, an der sich mancher deutsche Student ein Vorbild nehmen könnte. So fuhren Zaixin Zhang und seine Regentin Chao Jiang also durch die Maximilianstraße. Im Streitwagen gezogen von zwei edlen Rössern, stets dem Augsburger Humor auf der Spur. Ein ehrgeiziges Unterfangen. Aber sie sind nach eigenen Angaben wirklich fündig geworden.

Allerdings nicht sofort. Denn die ersten verkleideten Wesen, die sie trafen, waren die wilden Klausen von Oberstdorf. Das war weniger lustig, aber umso schmerzhafter. Und beinahe wäre es zum diplomatischen GAU gekommen. Denn nach der ersten Attacke der prügelnden Horde scharte Augustus Zhang vier Mitstudenten um sich - und startete nach allen Regeln der asiatischen Kampfkunst einen Gegenangriff. Hätten die anwesenden Kommunalpolitiker nicht ihr ganzes Talent zur Völkerverständigung eingebracht, das Treiben wäre wohl eskaliert. Diesen Abend, so heißt es, werden weder die Klausen noch die Chinesen vergessen.

Auch bei Augsburgs Bürgern hinterlässt das Forscherduo aus der Provinz Shandong einen bleibenden Eindruck. "Die Augsburger brauchen ja mindestens ein Gläschen, bevor sie aus sich herausgehen", sagt Vereins-Präsident Andreas Albrecht, "aber die Chinesen sind auch ohne einen Tropfen Alkohol lustig." Zudem beherrscht das Regentenpaar nicht nur den Schlachtruf "Datschiburg hoi hoi." Sondern, so Albrecht, noch viel mehr: "Die sprechen besser Deutsch als es mancher eingefleischte Augsburger je könnte." Stefan Mayr

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Mespelbrunn - von der Filmkulisse zum Tatort

Ein Dorf sucht einen Mörder

Aus dem lustigen Räuber vom Spessart wurde ein Mordverdächtiger - nun geht die Angst um im Wald

Von Olaf Przybilla

Mespelbrunn - Alexander Renz ist dringend verdächtig, eine Mutter von drei Kindern ermordet zu haben. Am 25. Juli 2008 soll er auf dem Parkplatz des Schlosshotels in Mespelbrunn die 25 Jahre alte Carmen S. erstochen haben. Die verheiratete Frau war eine Kollegin von Renz, gemeinsam arbeitete man in dem Hotel, das sich in Mespelbrunn auch unter dem Namen "Wirtshaus im Spessart" einen Namen gemacht hat. Renz, 36, soll aus verschmähter Liebe gehandelt haben. Seit der Tat ist er flüchtig.

Vor zwei Wochen wollen mehrere Augenzeugen gesehen haben, wie der mutmaßliche Mörder durch die Spessartgemeinde spaziert ist. Die Ermittler lösten eine Großfahndung aus. Der Spessartwald wurde durchforstet, sogar der Mespelbrunner Bürgermeister Erich Schäfer beteiligte sich am Einsatz. Weil er einen Allradwagen besitzt und der Wald tief verschneit war, habe man gemeinsam die Jägerhütten im Dickicht abgeklappert, erklärt Schneider. Bislang vergeblich.

Renz soll sich sehr gut auskennen im Spessart. Er gilt als passionierter Mountainbike-Fahrer. Und verdingte sich seit acht Jahren im Wald als Spessarträuber. Das ist kein schlechter Scherz, sagt der Sparkassenangestellte Günther Köstler. Vor 20 Jahren glaubten er und einige Mitstreiter aus den Dörfern rings um das Wasserschloss erkannt zu haben, dass "wir die Geschichte mit Lilo Pulver touristisch einfach nicht richtig nutzen".

Köstler spielt an auf einen 1957 im Mespelbrunner Wasserschloss gedrehten Film. Nach einer Erzählung von Wilhelm Hauff trifft dort eine Comtesse, sie wird gespielt von Liselotte Pulver, auf allerlei Spessarträuber. Es sei schon merkwürdig, berichtet Köstler, aber Mespelbrunn und sein Wirtshaus im Spessart kenne man beinahe überall. Seine Idee von den Räubern auf Bestellung erwies sich als Erfolg. Touristenbusse werden seither an einen finsteren Ort im Wald gefahren. Dort von einem Baumstamm gestoppt. Und dann werden die Insassen überfallen und gefesselt. Zur Aufheiterung gibt es Schnaps aus Franken und Lieder aus dem Pulver-Film. Nicht jedermanns Sache vielleicht, aber "im Grunde völlig harmlos", sagt Köstler. Renz machte gerne mit bei den Räubern. "Das ist das Schlimme jetzt für uns", sagt Köstler. "Die Leute denken plötzlich: Was für eine verwegene Sache." Dabei hätte Renz "genauso gut Mitglied im Kirchenchor oder Kegelverein sein können".

Christel Niederstenschee kann das bestätigen. Sie ist Künstlerische Leiterin der Festspielgemeinschaft Mespelbrunn, die im Rhythmus von fünf Jahren das "Wirtshaus im Spessart" vor der Schlosskulisse auf die Bühne bringt. Mehr als hundert Laienspieler aus den umliegenden Dörfern wirken mit, und einer davon war bislang Alexander Renz. Ein verschlossener Mensch sei das, erzählt Niederstenschee. Aber auch einer, der nie negativ aufgefallen sei. Renz hat früher Informatik studiert. Im Ort erzählt man sich, er falle durch die Art auf, seine Worte bewusst zu setzen. Eine schwere Kindheit soll er gehabt haben, das wussten viele. Dass er aber zu einem solchen Verbrechen in der Lage sein könnte, "das will mir nicht in den Kopf", sagt Niederstenschee. Selbst im benachbarten Heimbuchenthal, dem Heimatort von Renz, haben nur wenige gewusst, dass er im Jahr 1993 als Student seine ehemalige Freundin nach Spanien entführt hat. Das hat sich erst nach der Tat herumgesprochen.

Seit dem Donnerstag vor zwei Wochen ist in Mespelbrunn nichts mehr, wie es war. Wer sich im Dorf umhört, stößt immer wieder auf die gleichen Fragen. Warum ist Renz in den Spessart zurückgekehrt? Wo hält er sich seither versteckt? Und warum ist er den Fahndern bislang nicht ins Netz gegangen? Ein Dorfbewohner erzählt, er schließe nun jede Nacht die Fensterläden, sperre seine Haustür mehrfach ab. Und es gebe nur wenige in Mespelbrunn, die das anders machen. "Vielleicht ist das irrational", sagt der Mann - weil Renz ja offenkundig eine Beziehungstat verübt hat. "Aber die Angst bekommt man momentan nicht mehr aus den Klamotten."

Polizei stürmt falschen Ort

Vor zehn Tagen glaubten sich die Ermittler für kurze Zeit am Ziel. In der Nacht stürmte ein Spezialeinsatzkommando das Haus von Gerhard Ehser im angrenzenden Dorf Leidersbach. Ehser, 49, erzählt von einem Albtraum. Mitten im Schlaf habe er plötzlich grelles Licht gesehen. Zu Bewusstsein sei er erst wieder am Boden gekommen, gefesselt. Ehser erlitt eine Nasenverletzung, ein Blutfleck auf dem Holzboden dokumentiert das noch zehn Tage danach. Ehser sagt, er habe eine Stunde lang frierend auf dem Boden gelegen, das Knie eines Beamten im Rücken. Die Polizei widerspricht seiner Darstellung. Höchstens eine halbe Stunde lang soll Ehser gefesselt gewesen sein, eingehüllt in eine Decke. Man habe damit rechnen müssen, dass mindestens Renz im Besitz von Waffen sei. Es habe konkrete Hinweise gegeben, dass sich Renz in der Wohnung aufhalte.

Renz aber war nicht in der Wohnung. Und Ehser - der Strafanzeige wegen Körperverletzung gestellt hat - sagt, er kenne diesen Renz eigentlich gar nicht. Nur einmal will er ihn beiläufig wahrgenommen haben, vor zwei Jahren bei der Aufführung der Festspielgemeinschaft. Ehser gab einen der Soldaten, Renz war Räuber. Allerdings nur drei von 29 Aufführungen lang. Dann erlitt er eine Verletzung des Innenohrs, durch einen zu lauten Knall aus einer Räuberpistole.

Am Tag, an dem Alexander Renz wieder in Mespelbrunn gesehen wurde, lag das Wasserschloss in Schnee verhüllt. In Sichtweite entfernt ist der Tatort.

Im Feuerwehrgerätehaus von Mespelbrunn haben Ermittler eine Einsatzzentrale eingerichtet - bislang ohne Erfolg. Fotos: dpa

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Leiche mit Stichwunden vor Wohnhaus entdeckt

Passau - In Passau ist ein Mann möglicherweise Opfer eines Gewaltverbrechens geworden. Die Polizei schließt aber nach ersten Ermittlungen auch einen Selbstmord nicht aus. Die Leiche war mit mehreren Stichverletzungen vor einem Mehrfamilienhaus gefunden worden. Der Mann könnte auf sich selbst eingestochen haben und dann aus dem Fenster gesprungen sein, sagte ein Polizeisprecher. Der Tote sollte noch am Mittwochmittag von Gerichtsmedizinern obduziert werden. dpa

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U-Bahn-Schubser muss ins Gefängnis

Zwei Jahre und neun Monate für Rentner - Eltern des Opfers sind enttäuscht von "niedriger Strafe"

Von Alexander Krug

München - Der sogenannte U-Bahn-Schubser muss für zwei Jahre und neun Monate hinter Gitter. Das Schwurgericht befand den Rentner Ludwig D., 70, am Mittwoch der gefährlichen Körperverletzung für schuldig. Die ursprüngliche Anklage hatte noch auf versuchten Mord gelautet. Der Richter nannte die Entscheidung einen "Grenzfall".

Mit erstarrter Miene nahm Ludwig D. das Urteil auf, das durchaus überraschend kam. Denn Staatsanwalt Laurent Lafleur hatte in seinem Plädoyer noch eine fünfjährige Haftstrafe wegen versuchten Mordes gefordert. Richter Manfred Götzl machte denn auch gleich zu Beginn seiner Begründung deutlich, dass für ein "derartiges Verhalten" grundsätzlich ein Tötungsvorsatz anzunehmen sei. Nur die "Gesamtwürdigung aller Umstände" hätten die Kammer bewogen, einen bedingten Tötungsvorsatz auszuschließen und die Tat nur als gefährliche Körperverletzung zu bewerten. Der Strafrahmen dafür liegt deutlich niedriger.

Am 2. Juni vorigen Jahres hatte der Angeklagte am U-Bahnhof Petuelring ein 13-jähriges Mädchen gegen einen einfahrenden Zug gestoßen. Die Attacke wurde von einer Videokamera aufgezeichnet. "Das war ein kräftiger Stoß, kein leichter Schubser", so Götzl. Ludwig D. hatte sich damit verteidigt, er habe sich von den herumalbernden Kindern bedrängt gefühlt und in einer Art Reflex gehandelt. Diese Darstellung wiesen die Richter als unglaubwürdig zurück. Die Erklärung sei vielmehr in der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten zu suchen. Ludwig D. sei "stark an gesellschaftlichen Normen" orientiert und erwarte dies auch von anderen. Die umherspringenden Kinder hätten ihn erbost.

"Sie waren nicht in Bedrängnis, sondern haben sich darüber geärgert, dass sich die Kinder nicht an die Regeln hielten", warf Götzl dem "selbstgerechten und wenig selbstkritischen" Angeklagten vor. Er habe die Kinder auf dem Bahnsteig als "Belästigung" empfunden. Als ihn ein Schüler beim Vorbeilaufen gestreift habe, habe er dem nächstbesten Kind, in diesem Fall eben dem 13-jährige Mädchen, einen kräftigen Stoß gegeben. Das Kind fiel in die Spalt zwischen zwei Waggons, wurde aber durch glückliche Umstände wieder herausgeschleudert und kam mit leichten Prellungen davon. "Das war ein enormer Glücksfall", machte Götzl dem Angeklagten deutlich.

Ein Tötungsvorsatz sei letztlich aber nicht nachweisbar, da Ludwig D. aus seiner subjektiven Sicht den Tod des Mädchens nicht billigend in Kauf genommen habe. Der Stoß sei gegen die langsam fahrende U-Bahn erfolgt und nicht vor sie: "Er hat darauf vertraut, dass die Geschädigte nicht zu Tode kommt." Auch sei der Stoß spontan erfolgt und nicht lange geplant.

Nach dem Ende der Urteilsbegründung löste sich die Anspannung bei Ludwig D., und er brach in Tränen aus. Sein Anwalt Peter Guttmann zeigte sich mit dem Urteil zufrieden. "Ich denke, wir werden die Entscheidung akzeptieren", meinte er. Aufgrund seines hohen Alters kann Ludwig D. damit rechnen, nur die Hälfte seiner Strafe verbüßen zu müssen. Da er bereits seit fast neun Monaten in Untersuchungshaft sitzt, könnte er bis zum Ende des Jahres wieder in Freiheit kommen, vorausgesetzt die Ankläger legen keine Rechtsmittel ein. Staatsanwalt Lafleur wollte noch keine Erklärung abgeben, doch eine Revision scheint wenig wahrscheinlich. Deutlich unzufrieden mit dem Urteil zeigten sich die Eltern des Opfers. "Sie haben eine härtere Strafe erwartet", meinte ihr Anwalt Dominik Matschl. Er machte indes auch deutlich, dass die Schülerin selbst nie besonderen Wert auf eine besonders hohe Strafe gelegt habe: "Sie möchte ihren Frieden haben. Für sie ist es wichtig, dass die Sache abgeschlossen ist."

Versteckt sich hinter einer Zeitung: Der "U-Bahn-Schubser" Ludwig D. muss für zwei Jahre und neun Monate hinter Gitter. Foto: AP

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19 Euro für ein Haus im Grünen

Seit er seine Idee ins Internet gestellt hat, ist Volker Stiny ein viel gefragter Mann: Zeitungen, Radiosender und Fernsehanstalten wollen über den Münchner berichten. Denn der 52-Jährige hat eine ungewöhnliche Methode gefunden, um sein Haus im Vorort Baldham gewinnbringend zu veräußern: eine Verlosung. Es ist die erste Hausverlosung in Deutschland und dem Gewinner winkt eine Doppelhaushälfte mit 156 Quadratmetern Wohnfläche und fast fünfhundert Quadratmetern Grundstück - das alles für nur 19 Euro. So viel kostet ein Los. 48 000 davon will der Münchner insgesamt verkaufen.

Auf die Idee ist Stiny gekommen, weil er ein Jahr lang vergeblich einen Käufer gesucht hat. "Es ist eine Verzweiflungstat", sagt der Bankkaufmann. Seine Mutter, die nach dem Tod ihres Mannes allein in dem Haus lebt, wolle mit ihren 86 Jahren in ein Pflegeheim umziehen, erklärt der Münchner, der selbst zur Miete wohnt. Doch weder durch Anzeigen noch mit Hilfe von Maklern ist die 35 Jahre alte Immobilie bisher an den Mann zu bringen gewesen. "Es gab zwar Interessenten, aber wegen der zurückhaltenden Kreditvergabe der Banken hat keiner eine Finanzierung zustande bekommen."

Ein Zeitungsartikel brachte Volker Stiny schließlich auf die ungewöhnliche Idee: In der SZ hatte er gelesen, dass immer mehr Amerikaner versuchen, ihre Häuser über Glücksspiele zu Geld zu machen, um ihre Schulden zu tilgen. Auch in England und Österreich werden mittlerweile Häuser verlost. Doch anders als im Nachbarland, wo die Behörden ein Auge zudrücken, braucht man hierzulande für eine Lotterie wegen des staatlichen Glücksspielmonopols eine Erlaubnis. Die erteilen die Behörden aber nur, wenn eine Ausspielung gemeinnützig ist und keinen wirtschaftlichen Zweck erfüllt. Einem Passauer wurde daher unlängst die Verlosung seines Hauses untersagt.

Stiny lässt sich davon jedoch nicht beirren. Zwei Anwälte hat er nach eigenen Worten "verschlissen", erst der dritte habe ihm "einen Weg aufgezeigt": So wurde die Verlosung als Quiz konzipiert. Auf diese Weise glaubt der Hausbesitzer das Gesetz umgehen zu können: Denn anders als beim verbotenen Glücksspiel können Spieler dabei den Spielausgang beeinflussen und ihre Gewinnchancen erhöhen. Das ist dann im Grunde nichts anderes wie die bekannten Quizsendungen im Fernsehen. Nur wer die Fragen zum Allgemeinwissen richtig beantwortet, nimmt an der Verlosung teil.

Dennoch: Wer ein Los kauft, geht das Risiko ein, an einem möglicherweise verbotenen Gewinnspiel teilzunehmen. Die Behörden haben der Verlosung bisher keine Erlaubnis erteilt. Der Fall werde noch geprüft, sagt Ruth Kronau-Neef von der zuständigen Bezirksregierung. Auch der Gewinner geht Risiken ein, bekommt er doch quasi die Katze im Sack: Ist das Haus lastenfrei oder sind Grundschulden auf dem Grundstück? Wie macht der Gewinner seinen Anspruch geltend? Wie erfolgt der Eigentumsübertrag? Werden Steuern fällig? "Da sind viele Unbekannte", gibt der Ebersberger Notar Hubert Frauhammer zu bedenken. Er hält die Verlosung zumindest für "rechtlich problematisch".

Für Stiny jedenfalls dürfte sie sich lohnen. Auch wenn er neben dem Haus nach eigenen Angaben 99 weitere Preise verlost, könnte ihm am Ende doch eine schöne Summe Geld bleiben: Bei 48 000 Losen zu je 19 Euro würde er 912 000 Euro einnehmen - deutlich mehr, als das Haus wert ist.Lars Brunckhorst

Hauptgewinn: Dieses Haus soll verlost werden. Foto: oh

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Brandstifter zu sechs Jahren Haft verurteilt

München - Wegen Brandstiftung hat das Landgericht am Mittwoch den Feuerwehrmann Manuel S. zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der 26-Jährige hatte gestanden, im Zeitraum von Februar 2007 bis April 2008 insgesamt 14 Brände in Augsburg und München gelegt zu haben. Als Motiv hatte der in der Pasinger Feuerwache beschäftigte Angeklagte vor allem Beziehungsfrust angegeben. Er habe sich mit den Bränden "ablenken" wollen, hatte er behauptet. Die Kammer nahm ihm diese Angaben nicht ab, zumal Manuel S. eingeräumt hatte, in vielen Fällen als erster selbst am Brandort gewesen zu sein, um zu löschen. Die Richterin sprach von einem "ausgeprägtem Geltungsbedürfnis" des "narzisstisch" veranlagten Angeklagten. "Er wollte zeigen, dass er der Tüchtigste ist", so die Richterin.alek

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Die Wende in Sicht

Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung: Die Talfahrt endet im Frühsommer. Wirtschaftsminister Glos warnt vor einer "Politik des leichten Geldes"

Von Claus Hulverscheidt

Berlin - Die Bundesregierung rechnet nach dem stärksten Konjunktureinbruch der Nachkriegsgeschichte für den Frühsommer mit einem Ende des Abschwungs in Deutschland. Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) sagte am Mittwoch bei der Vorstellung seines Jahreswirtschaftsberichts, er sehe für das zweite Halbjahr eine "Wende zum Besseren". Wegen der derzeit noch anhaltenden konjunkturellen Talfahrt werde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr im Vergleich zu 2008 aber um zweieinviertel Prozent schrumpfen. Die Zahl der Arbeitslosen werde bis zum Jahresende voraussichtlich um rund 500 000 auf dann 3,5 Millionen steigen.

Glos begründete seinen vorsichtigen Optimismus mit den Konjunkturprogrammen, die die Regierungen in aller Welt beschlossen hätten und von denen Deutschland als Exportweltmeister profitieren könne. Er mahnte in diesem Zusammenhang, das von der großen Koalition verabschiedete zweite nationale Hilfspaket rasch und ohne nennenswerte Änderungen in Kraft zu setzen. Insgesamt stellten Bund, Länder und Gemeinden damit 80 Milliarden Euro zur Stützung der Konjunktur bereit. Dies könne im Zusammenspiel mit den kräftig gesunkenen Preisen etwa für Benzin und Diesel den privaten Konsum beleben. Allein der niedrigere Ölpreis entlaste die Bürger um rund 20 Milliarden Euro. Beim Export rechnet die Bundesregierung dagegen nach teils zweistelligen Zuwachsraten in den Vorjahren für 2009 mit einem Einbruch um 8,9 Prozent. Die Ausrüstungsinvestitionen dürften im Vergleich zum Vorjahr um 11,9 Prozent sinken.

Der Minister forderte die großen Zentralbanken der Welt zu einer vorsichtigeren Zinspolitik nach dem Ende der Finanz- und Wirtschaftskrise auf. Ohne die US-Notenbank (Fed) namentlich zu nennen, sagte er, es dürfe nicht erneut zu einer "Politik des leichten Geldes" und damit zur Bildung von Spekulationsblasen kommen. Nach Meinung vieler Experten hat die Fed die jüngste Krise zumindest mitverschuldet: Im Bemühen, die Konjunktur in den Vereinigten Staaten am Laufen zu halten, hielt sie die Leitzinsen so niedrig, dass die Finanzbranche förmlich mit Geld überschwemmt wurde. Dies trug dazu bei, dass die Preise für Immobilien, kaum durchschaubare Wertpapiere und andere Anlagen jahrelang ungebremst in die Höhe schnellten.

Glos zufolge sind die Bankenturbulenzen in Deutschland und den anderen Industrieländern noch nicht ausgestanden - eine Einschätzung, die auch Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) teilt. Eine Kreditklemme für kleine und mittlere Betriebe sehe er aber nicht, betonte der Wirtschaftsminister. Große Unternehmen hätten dagegen zunehmend Schwierigkeiten, Darlehen zu bekommen oder Anleihen am Markt zu platzieren. Für Staatshilfen an deutsche Auto-Konzerne sieht Glos keinen Anlass. An einer möglichen Opel-Bürgschaft werde aber weiter gearbeitet. Der CSU-Politiker verwies zudem auf die bisherigen Maßnahmen der Regierung wie den Kfz-Steuerbonus, die "Verschrottungsprämie" für Altfahrzeuge sowie günstige Kredite zur Technologieentwicklung in Auto-Konzernen. "Wir brauchen uns nicht vor anderen Ländern zu verstecken", sagte er.

Die Oppositionsparteien im Bundestag werteten den Jahreswirtschaftsbericht dagegen als Beweis dafür, dass zusätzliche Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft nötig sind. FDP-Chef Guido Westerwelle sagte, der Bericht offenbare, dass die Bürger dringend Entlastungen bei Steuern, Abgaben und Bürokratie benötigten. Die Chance, dies schon bei den beiden Konjunkturpaketen der Regierung zu erreichen, sei aber leichtfertig verspielt worden. Die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Kerstin Andreae, erklärte, die Koalition habe Strukturreformen in der vergangenen guten konjunkturellen Lage versäumt. Jetzt seien Investitionen in den Klimaschutz, in Bildung und für soziale Gerechtigkeit notwendig. Nur sie würden nachhaltige Wirkungen entfalten. Als "einzige Enttäuschung" und "Bankrotterklärung" bezeichnete der Chef der Linkspartei, Oskar Lafontaine, den Jahreswirtschaftsbericht. Die Regierung stelle damit amtlich fest, dass ihre Konjunkturpakete ihr Ziel verfehlten. Es seien viel höhere öffentliche Investitionen notwendig, um den drohenden Anstieg der Arbeitslosigkeit zu bremsen.

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) verlangte von der Regierung "mehr Mut bei öffentlichen Investitionen". Vorstandsmitglied Claus Matecki sagte, angesichts der Wirtschaftskrise sei es sehr optimistisch, mit einer Zunahme der Arbeitslosigkeit um lediglich 500 000 Menschen zu rechnen. Der Industrie- und der Arbeitgeberverband erklärten in einer gemeinsamen Stellungnahme, die Konjunkturpakete der Regierung wiesen in der Summe in die richtige Richtung. Dagegen sei es falsch, in dieser schwierigen Lage einen gesetzlichen Mindestlohn für Zeitarbeiter einzuführen. "Diese Maßnahme macht Deutschland nicht stärker, sondern belastet Wachstumspotenzial und Beschäftigung", so die Verbände. (Kommentare)

Allein der niedrigere

Ölpreis entlastet

die Bürger um

20 Milliarden Euro.

Gewerkschaft rechnet

mit einem stärkeren

Anstieg der

Arbeitslosenzahl.

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"Projekt Eichhörnchen"

Die Bahn soll Mitarbeiter und Ehepartner ausspioniert haben

Was den Kampf gegen Korruption angeht, hat Wolfgang Schaupensteiner einen großen Namen. Der "Chief Compliance Officer" der Bahn soll dafür sorgen, dass der Konzern nicht von eigenen Leuten hintergangen wird. Etwa, indem sie Scheinfirmen gründen, die dann seltsamerweise an lukrative Aufträge kommen. Auf der Suche nach schwarzen Schafen griff die Bahn in der Vergangenheit allerdings auch zu unkonventionellen Mitteln: Sie beauftragte Detektive, möglichen "Nebentätigkeiten" nachzugehen, und das auch beim Führungspersonal. Beauftragt war pikanterweise die Detektei Network Deutschland - also jene Firma, die auch im Auftrag der Deutschen Telekom Journalisten und Aufsichtsräte bespitzelte. Im vergangenen Juni hatte die Bahn diese Verbindung eingestanden. Zwischen 1998 und 2007 hatte sie rund 800 000 Euro an Network gezahlt, für "Recherchen" in 43 Fällen.

Interne Dokumente, die der Stern am Mittwoch vorgelegt hat, zeigen nun das Ausmaß der Nachforschungen. So hatten die Ermittler beim "Projekt Eichhörnchen" die Aufgabe, die "Top-Tausend-Führungskräfte" der Bahn zu untersuchen. 774 Mitarbeiter und 500 Ehepartner seien unter die Lupe genommen worden. "Ziel der Überprüfung war es, das wirtschaftliche Engagement dieses Personenkreises außerhalb der Bahn zu überprüfen", zitiert die Zeitschrift. Auch die Datenschützer sind nun auf dem Plan. "Wir haben schon erhebliche Anhaltspunkte für datenschutzrechtliche Verstöße", sagt Thomas Petri, stellvertretender Datenschutzbeauftragter in Berlin.

Die Bahn selbst will von Verstößen nichts wissen. "Es wurden keine Telefone abgehört, keine Konten eingesehen, keine Journalisten abgehört", sagte Schaupensteiner bei einer Telefonkonferenz am Mittwoch. "Die Bahn hat dafür zu sorgen, dass das Unternehmensvermögen nicht beschädigt wird." Deshalb seien die Daten mit denen von Auftragnehmern "abgeglichen" worden, um Betrügereien aufzudecken. Rechtlich sehe die Bahn keine Probleme, sagt Schaupensteiner - Oberstaatsanwalt a.D. Michael Bauchmüller

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Transrapid-Technik soll offenbar an China gehen

Düsseldorf - Thyssen-Krupp will nach Medienberichten Teile der Transrapid-Technologie an China verkaufen. Auf diese Weise wolle der Industriekonzern dem Land die seit langem angestrebte Verlängerung der weltweit einzigen kommerziellen Magnetbahnstrecke in Shanghai schmackhaft machen, berichtet das Handelsblatt unter Berufung auf industrienahe Kreise. Eine entsprechende Vereinbarung solle kommende Woche beim Berlin-Besuch des chinesischen Premiers Wen Jiabao unterzeichnet werden. Eine Konzernsprecherin bestätigte, dass es Gespräche mit China gebe, betonte jedoch, dass nicht an einen Ausverkauf der Technologie gedacht sei: "Die Kerntechnologie behalten wir." Denkbar sei etwa die Vergabe von Lizenzen. Transrapid-Partner Siemens hat dagegen keine Verkaufsabsichten. Das Bundesverkehrsministerium teilte mit, dass der Bund als Förderer der Transrapid-Technik nicht nur ein Mitspracherecht bei der Veräußerung habe, sondern auch an Einnahmen eines Lizenzverkaufs beteiligt werden müsste. Eine Sprecherin erklärte, der Bund habe einen Anspruch auf bis zu 100 Millionen Euro Rückzahlung für seine aus Steuergeldern geleistete Hilfe. AP

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Ericsson wächst dank neuer Netze

Telekom-Ausrüster verdient gut - und streicht 5000 Stellen

Von Gunnar Herrmann

Stockholm - Der weltweit größte Telekom-Ausrüster Ericsson hat in Stockholm angesichts der Finanzkrise eine überraschend positive Bilanz für das letzte Quartal des Jahres 2008 vorgelegt. Das Unternehmen konnte seinen Umsatz stark steigern. "Wir haben 2008 eine solide Vorstellung geboten", sagte Konzernchef Carl-Henric Svanberg. Dennoch will Ericsson sparen: Konzernweit sollen 5000 Stellen gestrichen werden. Die größten Zuwächse verbuchten die Schweden in Asien.

Svanberg zufolge profitiert Ericsson insbesondere davon, dass große Länder wie China damit beginnen, in Breitband-Mobilfunk zu investieren. Svanberg sprach von einem "Durchbruchsjahr" für die neue Technik. In Indien stehe demnächst eine wichtige Entscheidung über den Aufbau eines neuen Netzwerks an, sagte er. Auch die anderen Märkte entwickelten sich positiv: Auf allen Kontinenten konnte Ericsson im Schlussquartal seinen Umsatz steigern. Ein Teil dieses Erfolges ist jedoch auf günstige Wechselkurse zurückzuführen. Ericsson rechnet in schwedischen Kronen, deren derzeitige Schwäche wirkt sich auch positiv auf die Bilanz aus. Dem Unternehmen zufolge wäre aber auch ohne Währungseffekt ein deutliches Plus zu verbuchen gewesen.

Minus bei Handys

Der Umsatz stieg im vierten Quartal im Vergleich zum Vorjahr um 23 Prozent auf umgerechnet 6,2 Milliarden Euro. Der Gewinn schrumpfte um 31 Prozent. Mit knapp 370 Millionen Euro war er dennoch höher, als von den meisten Anlegern erhofft. Ericssons Aktienkurs stieg am Mittwoch um mehr als zwölf Prozent an. Grund für den Gewinnrückgang ist ein Unternehmensumbau. Außerdem hatte die Tochterfirma Sony-Ericsson - sie produziert Mobiltelefone - das Quartal mit Verlust beendet.

Dem Unternehmen gehe es besser als der Konkurrenz, der Stellenabbau sei darum "sehr schwer zu verstehen", kritisierte ein Gewerkschafter in der Zeitung Dagens Industri. Svanberg sagte, Ericsson müsse konkurrenzfähig bleiben. Er erwartet, dass sich die Finanzkrise 2009 negativ auf das Geschäft auswirkt. "Aber ich glaube, dass unsere Branche weniger betroffen sein wird als andere", so Svanberg im schwedischen Rundfunk.

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Lufthansa-Partner United verliert Milliarden

Frankfurt - Der Lufthansa-Partner United Airlines baut angesichts hoher Verluste im Jahr 2008 weitere Arbeitsplätze ab. Die drittgrößte amerikanische Fluggesellschaft will bis Jahresende 1000 Stellen zusätzlich streichen. In der Verwaltung und im Management muss fast jeder dritte Mitarbeiter gehen. United Airlines gab am Mittwoch für das Geschäftsjahr 2008 einen Verlust von 5,3 Milliarden Dollar bekannt, im Vorjahr hatte der Konzern noch einen Gewinn von 400 Millionen Dollar erwirtschaftet. Der große Verlust ist vor allem auf die im ersten Halbjahr hohen Treibstoffkosten zurückzuführen - United Airlines musste 2,7 Milliarden Dollar mehr für Kerosin ausgeben als 2007. Außerdem hat sich das Unternehmen bei seinen Treibstoffsicherungs-Geschäften böse verspekuliert - allein im vierten Quartal bedeutete dies eine Belastung von 936 Millionen Dollar. Immerhin blieb der Jahresumsatz bei 20,2 Milliarden Dollar nahezu stabil. Die amerikanische Billig-Airline Southwest berichtet an diesem Donnerstag. Analysten erwarten für den US-Airlinesektor einen Gesamtverlust von 1,5 Milliarden Dollar im vierten Quartal. jfl

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IBM kennt vorerst keine Krise

Das vierte Quartal fällt bei dem IT-Konzern überraschend erfreulich aus. Vorstandschef Palmisano hat für schwere Zeiten vorgesorgt

Von Thorsten Riedl

München - Die harte Arbeit zahlt sich nun in schwieriger Zeit aus für Sam Palmisano. Der IBM-Chef hat in den vergangenen Jahren keinen Stein auf dem anderen gelassen: Die Computersparte von IBM hat er an die Chinesen verkauft, den Druckerbereich an die Japaner. Im Gegenzug hat er Softwarefirmen und Dienstleister übernommen. In diesen Bereichen sind die Gewinnmargen höher. Die Stellung als weltweit größter Konzern der Informationstechnologie (IT) hat IBM zwischenzeitlich an Hewlett-Packard abgeben. Doch an einer Position hält der 57-Jährige fest: Kein Unternehmen in der IT-Industrie verdient so gut wie IBM. Das Verblüffende: Auch in wirtschaftlich unsicheren Zeiten bildet der Konzern einen sicheren Hafen. Die Anleger zeigten sich am Mittwoch erfreut, nachdem der Konzern die Bilanz für das abgelaufene Quartal vorgelegt hat.

Chiphersteller Intel hatte erst vergangene Woche ernüchternde Zahlen präsentiert. Google, lange der Überflieger bei den IT-Firmen, stellt im Angesicht der Wirtschaftskrise viele Dienste ein und hat erstmals in der Firmengeschichte Entlassungen angekündigt. Selbst bei Quasi-Monopolist Microsoft halten sich hartnäckig die Gerüchte, der Softwarekonzern leide unter dem Wirtschaftsabschwung und werde bei Vorlage der Quartalszahlen an diesem Donnerstagabend Sparmaßnahmen verkünden. Unter diesen Vorzeichen hatte niemand mit der Überraschung von IBM gerechnet. "Ein Seufzer der Erleichterung", titelte deshalb auch Maynard Um, Analyst der UBS, seine jüngste Studie.

Im März 2002 nahm Palmisano die Arbeit als Chef des damals weltweit größten IT-Konzerns auf. Zu dieser Zeit litt das Unternehmen mit Hauptsitz in Armonk bei New York noch unter den Folgen der letzten Wirtschaftskrise nach dem Platzen der Dotcom-Blase. Eine seiner ersten Amtshandlungen war trotzdem ein Zukauf: Palmisano übernahm die Beratungssparte des Wirtschaftsprüfers Pricewaterhouse Coopers (PwC) für 3,5 Milliarden Dollar - die bis dato größte Akquisition des Unternehmens, dessen Wurzeln bis ins Ende des 19. Jahrhunderts reichen. Konsequent hat der IBM-Chef den IT-Konzern weiter in Richtung Dienstleistungen und Software getrimmt und beide Bereiche geschickt verwoben. Allein im vergangenen Jahr hat er dazu sechs Softwarefirmen gekauft.

Der Kurs macht sich nun bezahlt. Im abgelaufenen Quartal verdiente IBM zwölf Prozent mehr mit 4,4 Milliarden Dollar - und das bei sinkenden Umsätzen. Die Erlöse gingen von Oktober bis Dezember um sechs Prozent auf 27 Milliarden Dollar zurück. Das lag unter den Erwartungen der Investoren, doch die konnte Palmisano mit einem guten Ausblick für das laufende Jahr versöhnen. Die Aktie stieg am Mittwoch deutlich.

Ganz ohne Schrammen kommt aber auch IBM nicht davon in der derzeitigen Wirtschaftslage, in der viele Geschäftskunden ihr IT-Budget kappen. Das Umfeld sei "extrem schwierig", hieß es zur Bekanntgabe der Zahlen auch von IBM. So fielen die Umsätze im verbleibenden Hardwaregeschäft bei IBM im vierten Quartal um 20 Prozent auf 5,4 Milliarden Dollar. Das Unternehmen ist aber lange nicht mehr so abhängig vom Geräteverkauf wie zu den Zeiten vor Sam Palmisano. Die Umsätze mit Software und Services konnten die Delle ausgleichen. Das Geschäft mit Computerprogrammen verbesserte sich um drei Prozent auf 6,4 Milliarden Dollar. Die Erlöse mit Dienstleistungen fielen zwar um vier Prozent auf 14,3 Milliarden Dollar. Zugleich berichtete IBM-Finanzchef Mark Loughridge aber von gut gefüllten Auftragsbüchern. "Bei den Services haben wir ein Gewinnwachstum von 30 Prozent erzielt und Neugeschäft in Höhe von mehr als 57 Milliarden Dollar gewonnen. Ich sage das nochmal: 57 Milliarden Dollar", erklärte er bei einer Telefonkonferenz. Der Auftragsrückstand betrug zum Jahresende 117 Milliarden Dollar. "Das sollte eine Hilfe für 2009 sein", sagte Analyst Um.

Von bis zu 10 000 Stellenstreichungen bei IBM war im Vorfeld der Quartalsbilanz gemunkelt worden. Diese Gerüchte sind verflogen. Jobabbau laute auch nicht die Strategie des Konzerns, schrieb Palmisano in einer E-Mail an seine Mitarbeiter. "Viele Firmen drosseln oder kürzen drastisch ihre Ausgaben und Investitionen, sogar in Gebieten, die wichtig sind für ihre Zukunft. Wir wählen einen anderen Ansatz, nicht nur weil wir die finanzielle Stärke dazu haben, sondern auch weil wir uns dafür entschieden haben, IBM auf langfristigen Erfolg auszurichten", schreibt der erste Mann des Konzerns in seiner Nachricht an die weltweit annähernd 370 000 Beschäftigten.

"Wir haben uns entschieden, den Betrieb auf langfristigen

Erfolg auszurichten."

Medizintechnik ist ein neues Feld für IBM - auf dem Bild die Präsentation eines Geräts bei einer Messe: Der amerikanische Konzern hat jetzt mit überraschend guten Zahlen aufgewartet. Foto: Reuters

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Die Politiker und das Porzellan

Der Staat will dem angeschlagenen Hersteller Rosenthal helfen - doch das reicht nicht

Von Uwe Ritzer

Selb - Fast scheint es, als hätten bayerische Politiker in diesen Tagen eine neue Pilgerstätte für sich entdeckt. Seit die traditionsreiche Porzellanmanufaktur Rosenthal AG vor knapp zwei Wochen Insolvenz anmeldete, geben sich die Abgeordneten am Firmensitz im oberfränkischen Selb sprichwörtlich die Klinke in die Hand. Umgehend besichtigten Abordnungen von CSU und SPD das Rosenthal-Werk in Speichersdorf bei Bayreuth. Von SPD-Bundestagsfraktionschef Peter Struck bis zu Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) reicht die Front der unaufgeforderten Unterstützer. In der Firmenzentrale wundern sich die Mitarbeiter, "dass Hilfsangebote noch und nöcher einlaufen, obwohl wir noch gar nicht um Hilfe gebeten haben", wie es einer beschreibt. Im Wahljahr 2009 möchten offenbar viele gerne Rosenthal-Retter werden.

Dass Rosenthal zum Überleben zumindest vorläufig unter einen staatlichen Schutzschirm kriechen muss, wird aber tatsächlich immer wahrscheinlicher. "Wir werden noch in dieser Woche mit dem bayerischen Wirtschaftsministerium das persönliche Gespräch suchen", sagte der vorläufige Insolvenzverwalter Volker Böhm der Süddeutschen Zeitung. Bislang gab es lediglich informelle Kontakte. Nun gehe es darum, konkret "den Liquiditätsbedarf von Rosenthal abzusichern". In Frage käme eine entsprechende Bürgschaft, mehr aber noch ein staatlicher Überbrückungskredit. Der vorläufige Insolvenzverwalter ließ offen, wie viel Geld Rosenthal akut benötigt. "Wir ermitteln im Moment noch, wie groß unser Finanzbedarf ist", sagte Böhm. Berichte, wonach ein kurzfristiger Bedarf von 30 Millionen Euro im Raum steht, ließ er unkommentiert.

Dass Rosenthal bei Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) auf offene Ohren stoßen dürfte, gilt als ausgemacht. Die Politik wird den Patienten jedoch allenfalls am Leben erhalten, nicht aber durchgreifend kurieren können. Ob Rosenthal, die eigentlich glamouröse, in den vergangenen Jahren aber arg gebeutelte Porzellanmarke, überhaupt eine Zukunft hat, steht noch in den Sternen. Bereits vor der Insolvenz hieß es, die Gespräche mit einem möglichen Käufer stünden kurz vor dem Abschluss. Nach außen ist davon allerdings immer noch nichts zu erkennen. Der vorläufige Insolvenzverwalter ließ auf Nachfrage am Mittwoch offen, ob und wann mit einem Abschluss gerechnet werden kann.

Als Favorit unter den angeblich 20 Interessenten gilt die italienische Sambonet-Gruppe, die mit Rosenthal ihre bisherige Produktpalette aus hochwertigem Besteck, Töpfen und Schüsseln aus Edelstahl um Porzellangeschirr erweitern würde. Vor endgültigen Übernahmegesprächen müssten jedoch erst bei Rosenthal "Strukturen für solche Gespräche geschaffen werden", sagte Böhm. Näher erläutern wollte der vorläufige Insolvenzverwalter dies nicht. Die Gefechtslage ist obendrein unübersichtlich. In Rosenthal-Kreisen wird gefürchtet, dass eine Übernahme auch am Veto des irisch-britischen Mutterkonzerns Waterford Wedgwood scheitern könnte. Er hält etwa 90 Prozent der Rosenthal-Anteile und ging fünf Tage vor Rosenthal finanziell in die Knie. Die US-Kapitalgesellschaft KPS Capital Partners zeigt Interesse an einer Übernahme von Waterford Wedgwood. Angeblich am liebsten inklusive Rosenthal.

In Selb fürchten nun manche, der Insolvenzverwalter von Waterford Wedgwood könnte sich deshalb gegen einen isolierten Verkauf von Rosenthal wehren. Durch den eigenständigen Insolvenzantrag der Franken ist das allerdings juristisch schwieriger geworden. Böhm sagt, bislang gebe es für ein Veto des Mutterkonzerns keine Anzeichen. "In erster Linie wird es darauf ankommen, mit der Bank of America zu einer Lösung für Rosenthal zu kommen", erklärt der vorläufige Insolvenzverwalter. Wer immer Rosenthal übernehmen will, muss nicht nur für den Kauf viel Geld haben. Auf mindestens 60 bis 70 Millionen Euro schätzt man in der Branche allein die Verbindlichkeiten des Porzellanherstellers. Böhm sagte dazu nichts.

Der äußere Anlass für die Rosenthal-Insolvenz mag die Pleite von Waterford Wedgwood gewesen sein. Rosenthal ist jedoch keineswegs ein Opfer der Finanzkrise. Tatsächlich krebst Rosenthal wirtschaftlich seit Jahren vor sich hin. Seit 2002 hat das Unternehmen 33 Millionen Euro Jahresumsatz verloren. Im abgelaufenen Geschäftsjahr, das am 31. März 2008 endete, lag der Umsatz bei 162,6 Millionen Euro. Der Verlust vor Ertragssteuern (EBT) summierte sich auf den traurigen Rekord von 22,7 Millionen Euro. Selbst wenn man diesen Wert um die Sondereffekte aus dem laufenden Firmenumbau bereinigt, liegt der Verlust noch bei 12,9 Millionen Euro.

Auch andere Kennzahlen zeigen, wie dünn bei den Finanzen das Eis ist, auf dem sich Rosenthal bewegt. Trotz einer Kapitalerhöhung im vergangenen Geschäftsjahr ist das Eigenkapital auf 7,9 Millionen Euro abgesackt. Die Eigenkapitalquote lag damit bei gerade noch 5,4 Prozent. Und auch im ersten Halbjahr des laufenden Geschäftsjahrs deutete nichts auf eine durchgreifende Besserung hin. Der Umsatz sackte um weitere 5,9 Prozent ab, und der EBT-Verlust betrug 10,2 Millionen Euro. Dem steht gegenüber, dass Rosenthal eine der weltweit bekanntesten und glamourösesten deutschen Marken überhaupt ist. Das, sagen Branchenexperten, sei das größte Kapital und damit das beste Verkaufsargument für das Unternehmen. Ein neuer Eigentümer müsste diesen glänzenden Ruf allerdings auch besser nutzen, als dies in der Vergangenheit der Fall war.

Der irisch-britische

Mutterkonzern könnte einen

Verkauf blockieren.

Firmenschild vor dem Rosenthal-Hauptgebäude in Selb: Das Unternehmen hat seit 2002 dramatisch an Umsatz verloren. Foto: AP

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Schlechte Zeiten für Übernahmen

Finanzkrise bremst einer Studie zufolge Fusionen in der Energiebranche

Düsseldorf - Die Finanzkrise hat den langjährigen Trend zu Übernahmen und Fusionen in der Strom- und Gasindustrie abrupt gebremst. Dies berichtet die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PwC). Weltweit gab es 2008 nach PwC-Erhebungen mehr Fusionen und Übernahmen in der internationalen Energiewirtschaft, doch brach das Volumen der Transaktionen um 41 Prozent auf 220 Milliarden Dollar ein. PwC registrierte nur drei Übernahmen im Wert von mehr als zehn Milliarden Dollar gegenüber jeweils neun Geschäften mit diesem Volumen in den beiden Jahren davor.

"Bis sich die Kreditmärkte normalisiert haben, werden Versorger vor allem kleinere Übernahmeziele ins Visier nehmen", schätzt Michael Wiegand, der bei PwC für die Versorgungsbranche verantwortlich ist. Eine Belebung sei auch davon abhängig, wie schnell die Klimapolitik in den USA nach dem Amtsantritt von Präsident Barack Obama an Konturen gewinnt und welche Marschrichtung sich für den UN-Klimagipfel im Dezember abzeichnet. Die erste große Transaktion seit längerer Zeit könnte die geplante Übernahme des niederländischen Versorgers Essent durch den RWE-Konzern werden, die ein Volumen von neun Milliarden Euro hätte. RWE hatte sich mit Übernahmen in der Vergangenheit zurückgehalten und den Schuldenberg abgetragen. Anders als nun bei RWE ist die Verschuldung in der Branche hoch und dämpft Expansionsgelüste. hwb

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OTTO

Gutes Weihnachtsgeschäft

Hamburg - Der Hamburger Otto-Versand hat in der Konjunkturkrise den Gewinn gesteigert und geht "verhalten optimistisch" in das Jahr 2009. Der Umsatz der Gesellschaft für das Geschäftsjahr 2008/09, das am 28. Februar endet, wird auf dem Vorjahresniveau von 1,73 Milliarden Euro liegen, wie Otto-Vorstandsmitglied Rainer Hillebrand am Mittwoch berichtete. Beim nicht genau bezifferten Ertrag werde ein leichtes Wachstum erwartet. Otto erwirtschaftete zum ersten Mal mehr als die Hälfte des Umsatzes über das Internet. Das Weihnachtsgeschäft sei gut gewesen, erklärte Deutschland-Chef Hillebrand. AP

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MAN

Erfolg gegen Busplagiat

Peking - Der Nutzfahrzeugbauer MAN hat in China einen Plagiatsstreit um seinen Luxus-Reisebus "Starliner" gewonnen. Ein Gericht in Peking verurteilte den chinesischen Hersteller Zhongwei Passenger Bus zu einer Schadenersatzzahlung von 20 Millionen Yuan, also 2,3 Millionen Euro, wie ein Sprecher der Nutzfahrzeugsparte von MAN in München sagte. Zhongwei kündigte an, Rechtsmittel einzulegen. Nach Ansicht von MAN kupferte Zhongwei beim Bau seines "A9" genannten Busses ab, etwa bei der kantigen Form oder der Anordnung der Scheinwerfer. Reuters

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BHP BILLITON

Mine geschlossen

Melbourne - Der australisch-britische Minenkonzern BHP Billiton streicht wegen des Wirtschaftsabschwungs 6000 Stellen und hat hohe Abschreibungen angekündigt. BHP schreibe wegen entmutigender Aussichten auf dem Nickelmarkt zusätzlich 1,2 Milliarden Dollar auf die australische Nickelmine Ravensthorpe ab, berichtete das Unternehmen. Die Nickelproduktion dort soll sofort gestoppt werden. Die australische Mine Yabulu werde sich auf die Produktion von Erz beschränken. Es könnten noch mehr Minen geschlossen werden, sagte Finanzvorstand Alex Vanselow. dpa

Eisenerz-Mine von BHP Billiton: Der Konzern streicht wegen der schwachen Nachfrage Stellen. AFP

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SCHLECKER

Freundlicher Ausblick

Düsseldorf - Die größte deutsche Drogeriekette Schlecker hat im abgelaufenen Jahr den Umsatz um sechs Prozent gesteigert und sieht sich für 2009 gut gerüstet.

"Die aktuelle Geschäftslage und der Ausblick auf das Geschäftsjahr 2009 sind bei Schlecker ungeachtet der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ungetrübt", teilte das Unternehmen im schwäbischen Ehingen mit. 2008 setzte Schlecker 7,42 Milliarden Euro um. Das Unternehmen ist in 13 europäischen Ländern aktiv. Anfang 2008 hatte Schlecker seine Marktführerschaft mit der Übernahme von Ihr Platz gefestigt. Reuters

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Toyota überholt General Motors

Japaner verkaufen 620 000 Autos mehr als die Amerikaner

Von Michael Kuntz

München - Das Kopf-an-Kopf-Rennen ist entschieden: Der japanische Autohersteller Toyota hat im vergangenen Jahr 620 000 Autos mehr verkauft als sein amerikanischer Konkurrent General Motors (GM). Toyota löst damit GM nach 77 Jahren als größten Autohersteller der Welt ab. Beide Konzerne bekamen aber die weltweite Absatzkrise zu spüren und brachten 2008 weniger Fahrzeuge an die Kundschaft als ein Jahr zuvor.

Toyota verkaufte weltweit 8,972 Millionen Autos. Das waren vier Prozent weniger als im Jahr 2007, hatte das Unternehmen am Dienstag in Tokio bekannt gegeben. Einen Tag später teilte GM in Detroit mit, die Verkäufe seien um elf Prozent auf 8,35 Millionen Fahrzeuge zurückgefallen. Gegen Ende des Jahres beschleunigte sich die Talfahrt dramatisch: Im vierten Quartal brach der Absatz um 26 Prozent auf 1,7 Millionen Autos ein.

GM hat sich inzwischen stärker internationalisiert und ist nicht mehr so abhängig vom US-Markt wie früher. Fast zwei Drittel seiner Autos verkauft der größte amerikanische Hersteller außerhalb der Vereinigten Staaten. Ohne diese Entwicklung wäre der Einbruch noch heftiger gewesen. GM setzte in Europa vor allem über die Marken Opel und Vauxhall mit 2,04 Millionen Stück fast sieben Prozent weniger Autos ab. Im letzten Quartal 2008 fielen die Verkäufe um 21 Prozent auf 420 000 Fahrzeuge, also etwas langsamer als im weltweiten Schnitt.

GM-Vize Fritz Henderson spielte in Detroit die Bedeutung der Nachricht herunter, dass Toyota nun die Nummer eins der Autoindustrie ist: Er konzentriere sich auf die künftigen Geschäfte und die Anstrengungen, General Motors wieder erfolgreich zu machen. In der Tat ist zur Zeit die Größe von Autokonzernen kein Indiz für ihren Erfolg. Sowohl Toyota als auch General Motors schreiben rote Zahlen, und die Amerikaner könnten ohne Hilfen der Regierung nicht überleben.

Es war schon länger erwartet worden, dass Toyota General Motors als Branchenführer ablösen wird, die Frage war nur, wann dies geschehen würde. 2007 war der Wettlauf äußerst knapp ausgegangen. Damals stellten sowohl Toyota als auch GM jeweils 9,3 Millionen Fahrzeuge her. Nach wochenlangem Hin und Her stand schließlich fest: GM konnte mit einem Abstand von 3000 Autos seinen Rang als die Nummer eins noch einmal knapp verteidigen. (Kommentare)

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Viel Geschnatter, kein Gewinn

In 140 Zeichen informieren Twitter-Nutzer die Welt, aber die Webseite sucht ein Geschäftsmodell

Von Thorsten Riedl

München - "Ich gehe jetzt zu Whole Foods", schreibt Jack auf seiner Webseite. Eine Stunde später ist der Einkauf erledigt. "Die Stadthalle schaut phantastisch aus heute Abend", teilt er der Welt wenig später mit. Doch wen interessiert das? Immerhin mehr als 16 000 Leser. Es handelt sich nicht um irgendeinen Jack. Hier lässt Jack Dorsey an seinem Privatleben teilhaben. Der 30-Jährige hat den Internetdienst Twitter gegründet, eine Art SMS-Dienst im Netz, derzeit stark umjubelt. Am Dienstagabend erst war Twitter gefragt, als bei der Amtseinführung von US-Präsident Barack Obama unzählige Twitter-Nutzer live von dem Moment berichteten. Doch auf die wichtigste Frage jedes Unternehmens hat das kalifornische Start-up noch keine Antwort: Wie wollen wir einmal Geld verdienen? Drei Jahre nach dem Start macht Twitter weder Umsatz noch Gewinn. Den Investoren war das bis dato egal.

Twitter wiederholt im Internet den Erfolg von SMS-Kurznachrichten in Mobilfunknetzen: Auf 140 Zeichen - also kaum kürzer als in einer SMS auf dem Handy - können Twitter-Nutzer mitteilen, was sie momentan machen. Genau diese Frage - Was unternehmen die Freunde gerade? - war für Dorsey der Anlass, die Internetseite Twitter ins Netz zu stellen. Innerhalb von zwei Wochen war im März 2006 ein Prototyp programmiert. Im August ging das Projekt Twitter für alle online. Gezwitscher oder Geschnatter heißt der Firmenname ins Deutsche übersetzt - und genau darum geht es auf der Seite. Alle plappern durcheinander, und doch ist Twitter mehr als ein Sammelsurium an Belanglosigkeiten.

Ob bei den Terroranschlägen in Indien, den Protesten in Griechenland oder zuletzt beim Flugzeugabsturz in den Hudson: Stets waren es Nutzer von Twitter, die als Erste vor Ort sind und die Weltöffentlichkeit informiert haben. "Da ist ein Flugzeug im Hudson. Ich bin auf einer Fähre, um die Leute aufzusammeln. Verrückt", schreibt Janis Krums am vergangenen Freitag um genau 12 Uhr 36 Ortszeit. Mit dieser Kurzmitteilung wurde er weltberühmt, denn Krums war der Erste, der ein Bild mit seinem iPhone-Handy geschossen und es in seinen Twitter-Nachrichten gespeichert hat, anzuschauen von jedermann.

Solche spektakulären Vorfälle sorgen für viel Zulauf bei dem Internetdienst. Schätzungen zufolge sollen weltweit bis zu fünf Millionen Menschen Twitter nutzen. Genaue Zahlen stellt das Unternehmen nicht zur Verfügung. Fünf Millionen sind eigentlich erschreckend wenig - etwa im Vergleich zu Handys, die mit ihrer SMS-Funktion ähnliche Möglichkeiten bieten. Drei Milliarden Geräte gibt es. Auch andere soziale Netze wie Facebook mit 150 Millionen Nutzern schlagen Twitter um Längen. Der Vorteil des neuen Dienstes liegt aber in seiner Einfachheit: Nirgendwo anders lassen sich so schnell die Massen in Kurzmitteilungen informieren - oder auch zum Beantworten von Fragen animieren. Unternehmen wie Jetblue, General Motors oder Dell nutzen Twitter, um Kundenanfragen zu beantworten oder ihre Marke zu pflegen. "Es hat das Zeug dazu, nützlich fürs Geschäft zu sein", sagt ein Analyst des IT-Marktforschungsinstituts Gartner.

Für Twitter hat sich die Euphorie noch nicht ausgezahlt. Es existiert kein tragfähiges Geschäftsmodell - folglich verdient die Firma nichts. Es gebe "viele reizvolle Möglichkeiten", Umsatz zu generieren, heißt es auf der Twitter-Webseite. Man zögere aber noch: "Wir wollen uns bei wichtigeren Dingen nicht aus dem Konzept bringen lassen." Es gehe jetzt erst einmal darum, den Dienst weiterzuentwickeln. Schön, wer sich solche Zurückhaltung leisten kann.

Bei der letzten Finanzierungsrunde im Frühjahr standen die Investoren dennoch Schlange. 15 Millionen Dollar soll es gegeben haben. Wenig später fanden Übernahmegespräche mit Facebook statt. Ein Angebot von 500 Millionen Dollar hat Twitter ausgeschlagen. "Wir haben das geprüft", sagte Evan Williams, Chef von Twitter, im Dezember: "Es war nicht die richtige Zeit." Die Einstellung hat sich schnell geändert. "Es ist Zeit fürs Geschäft", steht nun im Firmen-Blog von Twitter. Kevin Thau sei als erster Verantwortlicher für Geschäftsentwicklung und Partnerschaften eingestellt worden. Und, so heißt es weiter, es gebe noch offene Stellen in dem Bereich.

"Da ist ein Flugzeug im Hudson." Bei Twitter lief die Meldung über die Notwasserung zuerst. Foto: Reuters

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Jetzt kommt Schröder

Der Altkanzler und Ministerpräsident Christian Wulff greifen in den Streit zwischen Continental und Schaeffler ein

Von Martin Hesse und Meite Thiede

Hamburg/Frankfurt - Die Auseinandersetzung zwischen Continental und Schaeffler gewinnt an Schärfe und kann offenbar nur noch mit Hilfe externer Vermittler geschlichtet werden. Sowohl Altbundeskanzler Gerhard Schröder als auch Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff stehen im Kontakt mit allen Beteiligten und drängen darauf, dass die Investorenvereinbarung, in der bestimmte Regeln für die Übernahme Contis durch Schaeffler festgelegt sind, eingehalten wird. Das bestätigten Sprecher der beiden Politiker am Mittwoch.

Am Samstag trifft sich der Conti-Aufsichtsrat kurzfristig zu einer Sondersitzung, um die jüngsten Vorwürfe Schaefflers zu diskutieren. Ein Sprecher des Herzogenauracher Familienkonzerns hatte Anfang der Woche den Conti-Aufsichtsratschef Hubertus von Grünberg heftig attackiert: Das Vertrauen ihn in sei zerstört, er sabotiere gemeinsame Lösungen und verfolge eigene Interessen. Bei Schaeffler ist die Verärgerung groß. "Wir sind als Großaktionär dauernd angegriffen worden. Bisher haben wir uns zurückgehalten, aber jetzt ist es genug. Jetzt müssen wir uns wehren", sagte ein Sprecher.

Schaeffler will möglichst schnell zehn Sitze im Aufsichtsrat besetzen, Conti bietet höchstens vier an und verweist auf die Investorenvereinbarung, die das vorschreibe. Die Amtszeit aller Mitglieder endet erst mit der Hauptversammlung am 23. April. In Bankenkreisen gilt es als wahrscheinlich, dass Vertreter der Privatbanken Sal. Oppenheim und Metzler in das Aufsichtsgremium einziehen, sollte Schaeffler zehn Plätze besetzen wollen. Bei Oppenheim und Metzler hat Schaeffler jeweils knapp 20 Prozent der Continental-Aktien geparkt - jene Anteile, die die Familie nicht annehmen konnte, ohne die vereinbarte Schwelle von 50 Prozent zu überschreiten.

Conti-Vorstandschef Karl-Thomas Neumann trifft der Groll Schaefflers nach wie vor nicht. "Neumann ist unsere Wahl", bestätigte der Sprecher. Neumann solle weiterhin Conti und auch eine angestrebte gemeinsame Autozulieferer-Gruppe führen. Schaeffler will nun abwarten, wie der Aufsichtsrat sich am Samstag verhält und ob Grünberg wie gefordert zurücktritt.

Die öffentlichen Attacken und "medialen Kampagnen" verärgern zunehmend nicht nur Aufsichtsratsmitglieder, sondern auch - so heißt es in Kreisen der Landesregierung - Ministerpräsident Wulff. Während sich die Arbeitnehmerseite am Mittwoch hinter von Grünberg stellte und auch die Conti-Führungskräfte Schaeffler kritisierten, sind die Töne auf der Kapitalseite abwartender. "Es gibt keinen Dissens, alle stehen geschlossen zusammen", sagte ein Vertreter der Kapitalseite der SZ. Von Grünberg kämpfe für die Investorenvereinbarung. Dieses im August zwischen Schaeffler und Conti geschlossene Vertrag müsse eingehalten werden. "Vertrag ist Vertrag. Wir leben doch nicht in einer Bananenrepublik", sagte der Aufseher. Allerdings räumte er ein, dass es angesichts des öffentlichen Schlagabtausches Informations- und Gesprächsbedarf gebe.

Immer lauter wird der Ruf nach einer aktiveren Rolle der Banken in dem verfahrenen Streit um die Macht bei Continental. Ohne die Banken könnte das Ziel, aus Conti und Schaeffler einen starken Zulieferkonzern zu bauen, gar nicht erreicht werden. Commerzbank und Dresdner Bank, Hypo-Vereinsbank, Landesbank Baden-Württemberg sowie Royal Bank of Scotland und Schweizer UBS hatten 16 Milliarden Euro an Krediten für die Übernahme zur Verfügung gestellt. Zwölf Milliarden davon soll Schaeffler in Anspruch genommen haben.

In Bankenkreisen heißt es, das Eigenkapital von Schaeffler sei weniger wert, sodass faktisch die Gläubigerbanken das Sagen hätten. Am stärksten ist nach der Übernahme der Dresdner Bank die Commerzbank im Risiko. "Deshalb wäre sie als Vermittler gut", heißt es aus Konsortialkreisen. Auch Conti ist mit etwa zwölf Milliarden Euro verschuldet, an diesem Mittwoch sollte eine Umschuldung mit den rund 50 Gläubigerbanken unterzeichnet werden, die dem Konzern etwas mehr Luft verschafft. Diese Vereinbarung könnten die Banken aber wieder aufschnüren, sollte Schaeffler Continental doch noch ganz übernehmen. Ein Abfindungsangebot an die zehn Prozent freien Aktionäre gilt aber in Bankenkreisen als unwahrscheinlich, zumal Schaeffler ja faktisch bereits 90 Prozent kontrolliert: "Das ist derzeit nicht machbar."

Außerdem ändere dies wenig an dem Grundproblem, dass beide Konzerne zu hohe Schulden beziehungsweise zu wenig Kapital hätten. Daran würde sich nach Angaben aus dem Kreise der Schaeffler-Gläubiger auch nichts ändern, wenn der Familienkonzern einen Teil seiner Schulden in ein Joint Venture für die Automotive-Sparte mit Conti einbrächte. "All das Verschieben bringt nichts." Man muss beide Konzerne möglichst rasch als einen betrachten. Dazu müssten die Streitigkeiten beigelegt werden, nur so ließen sich mittelfristig auch neue Kapitalgeber finden.

Ein Schild aus der Conti-Hauptverwaltung: Im Streit zwischen dem Reifenkonzern und dem neuen Großaktionär Schaeffler soll nun an diesem Samstag der Aufsichtsrat nach Lösungen suchen. Foto: dpa

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Chinas nächste Mitte

In den Familienunternehmen des Landes steht der erste Generationswechsel an. Auf die in der Staatswirtschaft groß gewordenen Gründer folgen die Söhne und Töchter mit akademischer Ausbildung

Von Janis Vougioukas

Peking - Der Lan-Club liegt im vierten Stock eines Einkaufszentrums mitten in Peking. Es ist dunkel, schon am späten Vormittag weht Technomusik durch die Luft. "Wir wollen unseren Gästen nicht nur Essen servieren. Ein Besuch im Lan soll eine 360-Grad-Erfahrung sein", sagt Wang Xiaofei, der Chef. Vor zweieinhalb Jahren hat er den ersten Club eröffnet. Er hat ihn nach seiner Mutter Zhang Lan benannt, Chefin der Restaurantkette South Beauty. Lan heißt übersetzt Orchidee. Die Clubs sollen noch stärker als die Restaurants der Mutter neue Standards in der Pekinger Gastronomie setzen. Wenn Wang Besucher durch den Club führt, ist er noch genauso stolz wie am Tag der Eröffnung. Der 27-Jährige kleidet sich westlich: schwarzer Anzug, weißes Hemd, Manschettenknöpfe, dazu eine schwarze Krawatte.

Der Club nimmt die ganze vierte Etage des Einkaufszentrums ein, fast 6000 Quadratmeter. Der französische Stardesigner Philippe Starck hat die Inneneinrichtung entworfen. Wie ein Sternenhimmel schmücken Ölgemälde die Decke. Dazwischen schweben wuchtige Kronleuchter, die sich in den schwarz lackierten Tischplatten spiegeln. An den Wänden stehen breite Sofas, bespannt mit Kuhfell. Mehr Schnörkel kann der Raum kaum verkraften. Zwischen den Möbeln tänzeln bildhübsche Kellnerinnen in traditionellen chinesischen Kostümen.

Mit Bauchgefühl

200 Angestellte arbeiten im Lan. Während der Olympischen Spiele kamen an manchen Abenden mehr als 2000 Gäste: Politiker wie Tony Blair und Schimon Peres, Schauspieler Keanu Reeves, das Model Cindy Crawford und der Fußballer David Beckham. Bald will Wang einen Lan-Club in London eröffnen. Er führt die Clubs im Auftrag seiner Mutter Zhang Lan. Zu ihrer Gastronomiegruppe South Beauty gehören inzwischen im ganzen Land 50 Restaurants, ein Konzern mit 7000 Mitarbeitern. Bald will das Unternehmen an die Börse.

South Beauty ist eines der bekanntesten Familienunternehmen Chinas. Und Wangs Mutter gehört zu den einflussreichsten Unternehmerinnen des Landes mit einem geschätzten Vermögen von rund 180 Millionen Dollar. Kenner der Pekinger Restaurantszene gehen davon aus, dass Wang im Lan Erfahrung sammeln soll, um eines Tages die Nachfolge seiner Mutter anzutreten. Wang selbst äußert sich dazu nicht.

Im South Beauty hat der Generationswechsel schon begonnen, der in den kommenden Jahren in den meisten chinesischen Privatbetrieben ansteht. Es wird kein sanfter Übergang, sondern ein Bruch. Gründerin Zhang Lan hat ihre Karriere noch bei einem staatlichen Baukonzern begonnen, ihre unternehmerischen Entscheidungen traf und trifft sie vor allem aus dem Bauch heraus. Der Sohn hat das Gastgewerbe im Ausland gelernt. "Unser Führungsstil ist ganz anders", sagt er. "Meine Mutter ist stark und dominant. Ich arbeite gern im Team."

Vor neun Jahren hat sie das

erste South-Beauty-Restaurant eröffnet. Wang studierte damals in Frankreich. Eines Tages kam seine Mutter zu Besuch. Die Chinesen lieben Essen, und Wang wollte ihr eine neue kulinarische Welt zeigen. Er führte sie in die besten Restaurants des Landes. "Meine Mutter war sehr beeindruckt vom Essen und dem perfekt arrangierten Umfeld und fragte immer wieder, warum es in China keine schönen Restaurants gibt." Kurz nach ihrer Rückkehr nach Peking gründete sie das erste Restaurant mit gehobener chinesischer Küche, serviert wird in moderner Atmosphäre. Die Idee war neu.

"South Beauty ist eine Erfolgsgeschichte, auch weil Zhang Lans Sohn Wang Xiaofei so talentiert ist", sagt der Unternehmensberater Pan Yifan von Alliance PKU Management Consultants. Er verfolgt die Entwicklung chinesischer Familienunternehmer seit Jahren. "Es ist eine Zeit großer Veränderungen", sagt der Berater. In Chinas Privatwirtschaft steht der erste Generationswechsel an.

Ende 1978 begann der große Reformer Deng Xiaoping mit der vorsichtigen Öffnung der Wirtschaft. Und plötzlich schossen im ganzen Land private Unternehmen aus dem Boden: Restaurants, Geschäfte, Hinterhoffabriken und Schneidereien. 2005 kam eine Studie des Brokerhauses CLSA zu dem Ergebnis, dass der private Sektor bereits drei Viertel der chinesischen Waren produziert und drei von vier Arbeitnehmern beschäftigt. Auch der Arbeitgeberverband All-China Federation of Industry and Commerce bezeichnet die private Wirtschaft als wichtigsten Motor des Aufschwungs. Dennoch gibt es kaum Daten über die Unternehmer. Nicht einmal die genaue Zahl der privaten Firmen ist bekannt. Im oft unsicheren politischen und rechtlichen Umfeld der Volksrepublik ist Diskretion eines der goldenen Geschäftsprinzipien. "Zu Beginn der Öffnungspolitik in den achtziger Jahren war es leicht, mit einer Firmengründung Erfolg zu haben. Wer genug Mut und Antrieb hatte, wurde auch dafür belohnt", sagt Berater Pan. "Damals haben fast alle Unternehmer die Gesetze gebrochen, denn anders hatten sie gar keine Chance." Die Mehrheit der chinesischen Unternehmer hat ihre Firmen mit den eigenen Händen und einem gesunden Bauchgefühl aufgebaut, und viele von ihnen haben nicht einmal studiert. "Die Firmengründer von einst sind inzwischen 50, 60 Jahre alt geworden", sagt Pan.

Begrenzte Auswahl

Er erwartet, dass die meisten Unternehmer der ersten Stunde großen Wert darauf legen, dass die Führung der Firma auch nach dem Generationswechsel in den Händen der Familie bleibt - auch wenn das in vielen anderen Ländern als ein sicheres Rezept für den Niedergang des Unternehmens gilt. "Es gibt den Beruf des professionellen Managers in China noch nicht lange. Und es gibt nur wenige wirklich hochqualifizierte Führungskräfte auf dem Arbeitsmarkt. Die Gründer werden deshalb davon ausgehen, dass die Risiken für das Unternehmen kleiner sind, wenn die Führung an die Kinder übergeben wird", sagt Pan.

Der Kreis möglicher Nachfolger ist noch kleiner als bei vielen Familienunternehmen im Westen, wo die großen Familienunternehmen oft genug ganzen Clans gehören. In China haben viele Familienbetriebe nur ein oder zwei Eigentümer. Die Ein-Kind-Politik hat die Zahl potentieller Nachfolger zusätzlich begrenzt. Und ihren Töchtern trauen die chinesischen Unternehmer weniger zu als den Söhnen, ergab eine Umfrage der Tageszeitung Qianjiang Evening News. Berater Pan glaubt, dass der Generationswechsel Chinas private Betriebe weiter professionalisieren wird. "Aber es wird einige Jahre dauern, bis man abschließend sagen kann, ob die zweite Generation Erfolg hatte", sagt er.

Mittelstand & Familienunternehmen

Ganz genau kennt niemand ihre Zahl. Selbst Behörden geben zu Chinas Familienunternehmen nur ungern Auskunft. Zur Wirtschaftsleistung des Landes dürften sie 50 bis 75 Prozent beitragen, schätzt Rupert Hoogewerf. Der 38-jährige Verleger veröffentlicht jährlich den Hurun Report, die Rangliste der reichsten Chinesen. 2008 führte Huang Guangyu, Chef des Mischkonzerns Pengrun, mit einem Vermögen von 6,3 Milliarden Dollar die Liste an. Der 39-Jährige muss sich noch nicht um seine Nachfolge sorgen. In vielen anderen Familienunternehmen steht aber jetzt der erste Generationswechsel an.

E-Mail:

familienunternehmen@sueddeutsche.de

Internet:

www.sueddeutsche.de/

familienunternehmen

Generationswechsel Illustration: h1-daxl.de

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"Vor 20 Jahren galt als korrupt, wer einen Mercedes besaß"

Der Verleger Rupert Hoogewerf über die neuen Reichen Chinas

Kaum jemand kennt Chinas Privatwirtschaft so gut wie der britische Unternehmer Rupert Hoogewerf aus Shanghai. Der 38-jährige Verleger veröffentlicht die Liste der erfolgreichsten und wohlhabendsten Unternehmer des Landes - und ist damit selbst zu einer Galionsfigur des Wirtschaftsaufschwungs geworden.

SZ: Herr Hoogewerf, wie lautet das Erfolgsmuster reicher Chinesen?

Hoogewerf: Die Reichsten haben alle gemeinsam, dass sie ihre Firma selbst gegründet haben. In England, Italien, Frankreich und Deutschland gibt es sehr traditionsreiche Familienunternehmen. In China ist alles neu. Vor 30 Jahren war es nicht einmal erlaubt, ein Konto zu eröffnen. Als die ersten Millionäre auftauchten, war der größte Geldschein die Zehn-Yuan-Noten, umgerechnet etwa 90 Cent. Viele haben ihr Vermögen in Tonkrügen zuhause aufbewahrt. Unter diesen Umständen war es ein kleines Wunder, ausreichend Startkapital zu sammeln. Der Zugang zu Kapital ist noch immer einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren in China, das ist genauso wichtig wie eine gute Geschäftsidee.

SZ: Welche Folgen hat die Krise für Chinas Privatwirtschaft?

Hoogewerf: Unsere jährliche Millionärsliste haben wir im Oktober veröffentlicht. Einen Monat später mussten wir die Liste aktualisieren. Die 20 reichsten Unternehmer hatten fast die Hälfte ihres Vermögens verloren. Seitdem dürfte der Verlust noch gestiegen sein. Natürlich haben viele chinesische Firmen heute weniger Geld. Aber man braucht hier auch nicht so viel, um eine gute Idee umzusetzen.

SZ: Wie hat sich das Umfeld für Firmengründer verändert?

Hoogewerf: Die Erfolgsregeln sind eigentlich immer und überall die gleichen. Doch heute müssen chinesische Firmen innovativer sein. Es stimmt nicht mehr, dass in China nur kopiert wird. Bisher gibt es zwar keine chinesische Marke, die auf dem Weltmarkt wirklich Erfolg hat. Aber ich wäre überrascht, wenn wir nicht bald ein paar sehr kreative Firmen kennenlernen würden. Mit großer Sicherheit werden es Dienstleister sein. Der wirtschaftliche Aufstieg Amerikashat eine riesige Mittelschicht hervorgebracht. Im Gefolge sind Tausende Firmen entstanden, die die Bedürfnisse der Mittelschicht bedienen. In China entsteht die Mittelschicht gerade erst und mit ihr viele, viele neue Firmen, die um diese Kunden kämpfen.

SZ: Im Ausland sind vor allem die Staatsbetriebe bekannt. Wie wichtig ist die Privatwirtschaft in China heute?

Hoogewerf: Vor drei Jahren hat das Nationale Amt für Statistik die Wirtschaftsleistung neu berechnet. Auf einen Schlag war das Bruttoinlandsprodukt fast ein Fünftel höher als zuvor. Der Großteil des Wachstums war damals der Dienstleistungsbranche zu verdanken, wo die meisten Transaktionen mit Bargeld abgewickelt werden und häufig keine Steuern gezahlt werden. Die ganze private Dienstleistungsbranche ist statistisch kaum zu erfassen. Man kann daher nur schätzen, wie groß der Beitrag der Privatwirtschaft zur Wirtschaftsleistung ist - ich gehe von 50 bis 75 Prozent aus.

SZ: Welchen Status haben Unternehmer in der chinesischen Gesellschaft?

Hoogewerf: In der chinesischen Geschichte war die soziale Stellung von Geschäftsleuten immer sehr niedrig. Der Kaiser besaß und verwaltete quasi das gesamte Vermögen des Landes. Auch Gelehrte und die kaiserlichen Mandarine genossen ein deutlich höheres Ansehen als Kaufleute. Vor 20 Jahren galt man noch als korrupt, wenn man einen Mercedes besaß. Man hatte sein Geld zwangsläufig durch Kontakte zu Armee, Partei oder Zoll verdient. Heute muss Reichtum nicht mehr versteckt werden, der Imagewandel ist enorm. Damit stieg auch das Selbstbewusstsein der Unternehmer.

SZ: Trotzdem gehören Unternehmer noch nicht zur Elite des Landes . . .

Hoogewerf: In den vergangenen Jahren ist der innere Führungszirkel der Regierung zur neuen Aristokratie geworden: die Familien, die ihre Vertrauenswürdigkeit unter Beweis gestellt haben. Die meisten haben einen revolutionären Hintergrund und haben ihre Loyalität in den vergangenen drei oder vier Generationen unter Beweis gestellt. Dazu gehört zum Beispiel auch Xi Jinping, der wahrscheinlich der nächste Präsident wird. Das ist der wirklich innere Führungszirkel. So weit sind die privaten Unternehmer noch nicht. Aber sie haben sich mehr Respekt erarbeitet. Sie schaffen in einigen Provinzen neun von zehn neuen Arbeitsplätzen, sie zahlen über die Hälfte der Steuern. Viele sitzen inzwischen im Nationalen Volkskongress.

SZ: Hat die soziale Aufwertung der Unternehmer auch das Geschäftsklima verändert?

Hoogewerf: Viele Firmen planen heute langfristiger. Früher haben viele Unternehmer ihr Geld so schnell wie möglich aus dem Land geschafft. Es gab ein großes Misstrauen gegenüber dem politischen System und der Entwicklung der Volkswirtschaft. Damals haben sich die Regeln ständig geändert, man war der Willkür der Regierungsbeamten ausgeliefert. Heute planen die Unternehmer langfristig. Die meisten haben nicht mehr vor, das Land zu verlassen.

SZ: Muss man in China bestechen, um geschäftlichen Erfolg zu haben?

Hoogewerf: Es hat sich viel gebessert. Bauland wird seit einigen Jahren versteigert. Davor hat das durchschnittliche Stück Land neun Mal den Besitzer gewechselt, bevor die Bauarbeiten begannen. Dabei ist viel unter dem Tisch passiert. Die Reform war sehr positiv für die Entwicklung der Wirtschaft und furchtbar für die kleinen Regierungsbeamten, die in der Immobilienbranche "Mr. Zehn Prozent" genannt werden. Auch in der Gründerzeit Ende der neunziger Jahre waren nicht alle Geschäfte korrupt; als Unternehmer musste man Vertrauen gewinnen können. Heute schauen die lokalen Regierungen und Geschäftspartner auf den unternehmerischen Erfolg.

Die Langfassung im Internet

Interview: Janis Vougioukas

Foto: oh

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Wacker Chemie führt Kurzarbeit ein

München - Nach der Chemiefirma BASF will nun der Wacker-Chemie-Konzern Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken. "Auch wir spüren die Auswirkungen der Rezession", sagte ein Firmensprecher am Mittwoch in München. Geplant sei Kurzarbeit sowohl im Halbleitergeschäft als auch in der Chemiesparte. Wie viele Mitarbeiter betroffen sind, lasse sich derzeit noch nicht sagen. Weltweit beschäftigt der Konzern 15000 Menschen, davon 10000 am größten Standort Burghausen in Oberbayern. Noch im November hatte Wacker über florierende Geschäfte berichtet. Nach kräftigen Zuwächsen im dritten Quartal 2008 erwartete das Unternehmen für das Gesamtjahr einen Anstieg des Umsatzes von 3,78 Milliarden Euro im Vorjahr um deutlich mehr als zehn Prozent. dpa

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Gut vernetzt im Netz

Online-Gemeinschaften sind beliebt - trotz Datenschutzproblemen

Gut zwei Drittel der deutschen Internetnutzer sind Mitglied in einem Online-Netzwerk. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Kölner Marktforschungsinstituts Psychonomics. Die meisten Mitglieder hat StayFriends, ein Portal, über das man mit seinen alten Klassenkameraden in Kontakt bleiben kann - 6,6 Millionen Menschen haben hier ein virtuelles Profil eingerichtet. Die Anbieter StudiVZ und MySpace belegen bei deutschen Nutzern den zweiten und dritten Rang.

Als Motiv für ihre Mitgliedschaft bei einer Online-Gemeinschaft nannten die meisten Befragten den Wunsch, mit Freunden und Bekannten in Kontakt zu bleiben. Einen Partner oder einen neuen Job zu finden, spielte für die Nutzer nur eine untergeordnete Rolle.

Die Sicherheit ihrer Daten bei den untersuchten Portalen schätzen die Befragten als nicht sehr hoch ein - trotzdem benutzt die Mehrheit in ihren Online-Profilen den richtigen eigenen Namen anstatt eines Pseudonyms. Einige geben auch sehr persönliche Daten wie Telefonnummern oder sexuelle Vorlieben an. Der Mangel an Datenschutz ist für immerhin ein Drittel der Internetnutzer ein Grund, Web-Gemeinschaften ganz fernzubleiben. sila

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Britisches Pfund stark unter Druck

Analysten sorgen sich um die Kreditwürdigkeit Großbritanniens

Von Andreas Oldag

London - Trotz des milliardenschweren Rettungspakets für die britischen Banken haben internationale Investoren offenbar Sorge um die Kreditwürdigkeit Großbritanniens. Das britische Pfund geriet am Mittwoch vor allem gegenüber dem amerikanischen Dollar unter Druck und sackte zeitweise auf einen Wert von 1,37 Dollar ab. Das ist der tiefste Stand seit 2001. Auch gegenüber dem japanischen Yen fiel das Pfund. Nur gegenüber dem Euro behauptete es sich. Finanzanalysten befürchten, dass Großbritannien aufgrund der teuren Bankenrettung seine Top-Bonitätsnote verlieren könnte.

Gleichzeitig werden die Rufe nach einer vollständigen Verstaatlichung der angeschlagenen Großbanken Royal Bank of Scotland (RBS) und Lloyds Group immer lauter. Nach Meinung des Vorsitzenden des Finanzausschusses im Unterhaus, John McFall, gebe es kaum Alternativen zu einem noch größeren Engagement des Staats. "Wenn es passiert, dann so bald wie möglich", schrieb McFall gemeinsam mit Jon Moulton, dem Chef der Beteiligungsgesellschaft Alchemy Partners, in einem Zeitungsartikel.

Anfang der Woche hatte die Labour-Regierung ihr zweites Hilfspaket für die Banken beschlossen. Gegen eine Gebühr sichert der Staat bis zu 90 Prozent des Ausfallsrisikos von faulen Krediten ab. London hofft darauf, dass die Banken wieder stärker Geld verleihen und das Kreditgeschäft ankurbeln. Experten schätzen das Ausfallrisiko, für das der Steuerzahler bei der Banken einsteht, auf insgesamt bis zu 200 Milliarden Pfund (etwa 220 Millarden Euro).

RBS musste mit mehr als 20 Milliarden Pfund den größten Jahresverlust eines Unternehmens in der britischen Wirtschaftsgeschichte bekannt geben. Die Regierung stockte ihren Anteil an der Bank auf 70 Prozent auf. An der fusionierten Bank Lloyds TSB/HBOS hat der Staat bereits einen Anteil von 43 Prozent.

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Manchester United ohne Sponsor

London - Der angeschlagene US-Versicherungskonzern AIG zieht sich als Sponsor des britischen Fußballclubs Manchester United zurück. Wegen des Sparkurses infolge der Finanzkrise werde man den im nächstes Jahr auslaufenden Vertrag mit dem Champions-League-Sieger nicht verlängern, erklärte AIG am Mittwoch. Außerdem verhandle AIG mit dem Verein über eine Überarbeitung des laufenden, 100 Millionen Dollar schweren Sponsor-Vertrags. Der Tabellenführer der Premier League ist bereits auf der Suche nach Nachfolgern. Einer von zahlreichen Interessenten sei die indische Finanzfirma Sahara.

Die US-Regierung hat AIG mit Finanzspritzen von insgesamt 152 Milliarden Dollar zweimal vor dem Aus gerettet. Der einst weltweit größte Versicherer stand wegen Hypothekenpapieren vor dem Kollaps, die infolge der Finanzkrise stark an Wert verloren und mittlerweile unverkäuflich sind. Um die Kredite zurückzahlen zu können, hat AIG mit dem Verkauf von Unternehmensteilen begonnen und ein Sparprogramm aufgelegt, in dessen Rahmen auch die Werbekosten drastisch zurückgefahren werden sollen. Zahlreiche Sportvereine leiden unter fallenden Werbeerlösen infolge der Finanzkrise. Manchester-United-Konkurrent West Ham spielte monatelang ohne Trikot-Werbung auf der Brust, weil sein Sponsor XL Holidays Pleite ging. Englische Fußballclubs, die oft in Besitz von ausländischen Investoren sind, leiden Experten zufolge bisher stärker als die deutsche Bundesliga unter der Krise.

Viele Club-Eigentümer haben wegen der Krise bereits Milliardenverluste gemacht. So zögert sich unter anderem der Bau des neuen Stadions des FC Liverpool hinaus. Im Motorsport mussten Formel-1-Teams ihre Budgets um 30 Prozent zusammenstreichen, Honda kündigte sogar seinen vollständigen Rückzug aus der Rennserie an. Reuters

Manchester Uniteds Fußballstar Cristiano Ronaldo wird bald mit neuem Trikot auflaufen. Foto: AP

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Weiterer Immofonds bleibt geschlossen

München - Die Anbieter offener Immobilienfonds sind vorsichtig. Mittlerweile haben drei Gesellschaften angekündigt, dass ihre Fonds vorerst doch geschlossen bleiben. Am Mittwoch wurde bekannt, dass auch der TMW Immobilien Weltfonds bis zu neun Monate keine Anteile mehr zurücknehmen will. Anleger, die einen Auszahlplan bei diesem Fonds haben, bekommen trotzdem ihr Geld. Die Auszahlpläne würden ab sofort wieder ausgeführt, heißt es in einer Pressemitteilung. Die erforderlichen Mittel entnehme man dem Vermögen der Kapitalanlagegesellschaft und nicht des Fonds, betont Sebastian Lohmer, Geschäftsführer für das Portfoliomanagement. Letzteres sei von der Finanzaufsicht Bafin untersagt worden. In der Branche hatte es zuvor einen Streit über die Auszahlpläne gegeben. Einige Anbieter hatten die Zahlungen nach der Schließung eingestellt, andere nicht.

Auch beim offenen Immobilienfonds Morgan Stanley P2 Value und CS Euroreal von der Credit Suisse wurden die Öffnungen erst einmal aufgeschoben. Für die Anleger ist das bitter, denn eigentlich nimmt ein offener Immobilienfonds täglich Anteile zurück. Im September und Oktober flüchteten aber derartig viele Kunden aus den Fonds, dass die Gesellschaften zwölf Fonds für drei Monate schlossen. Diese Frist läuft bei den einzelnen Fonds nun ab. "Die meisten werden bei der Schließung bleiben", sagt ein Branchenexperte. "Die Entscheidung trifft jede Gesellschaft selbst", erklärt eine Sprecherin des Branchenverbandes BVI. Die Tendenz sei positiv. Das bedeutet, die Kunden kommen zurück und investieren wieder Geld in die Fonds. Die Gesellschaften sind aber offensichtlich trotzdem vorsichtig. groe

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Zwei Männer im Streit

Der Finanzminister setzt sich regelmäßig über Urteile des obersten deutschen Steuergerichts hinweg. Das ärgert dessen Präsidenten

Von Marco Völklein

München - Wenn Wolfgang Spindler seinen Jahresbericht vorlegt, dann trägt er in der Regel Zahlen vor. Wie viele Verfahren am Bundesfinanzhof (BFH) anhängig sind (aktuell: 2943). Und wie lange im Durchschnitt ein Verfahren dauert (acht Monate). Am Mittwoch aber funktionierte BFH-Präsident Spindler die Vorlage seines Zahlenwerks gegen Ende zu einer Art Rechtsvorlesung um. Inhalt: Gewaltenteilung, Entscheidungsbefugnisse der Gerichte, Rechtschutz für die Bürger.

Spindler ärgert sich schon seit Jahren darüber, dass sich Bundesfinanzminister Peer Steinbrück über die Entscheidungen des BFH einfach hinwegsetzt. Möglich macht das ein Kniff, den es so nur im Steuerrecht gibt. Der sperrige Juristenbegriff lautet "Nichtanwendungserlass". Aber der hat es in sich.

Fällen die BFH-Richter in einem Fall ein Grundsatzurteil, hat das Bundesfinanzministerium im Zusammenspiel mit den Finanzministerien der Länder die Möglichkeit, über diesen Erlass festzulegen, dass das Urteil nur auf den vor dem BFH verhandelten Fall anzuwenden ist - auf ähnlich gelagerte Fälle anderer Steuerzahler ist das Urteil nicht anzuwenden. Sie profitieren also nicht von dem Urteil aus Spindlers Haus. "In den meisten Fällen", sagt er, greifen Steinbrück und seine Länderkollegen zum Nichtanwendungserlass genau dann, wenn der BFH-Spruch für den Staat besonders teuer wird - und somit größere Löcher in den Haushalten drohen.

Hinweis an die Steuerzahler

Spindler rattert Zahlen runter: 2007 haben seine Mitarbeiter 15 Nichtanwendungserlasse gezählt - 13 davon gingen zu Lasten der Steuerpflichtigen. 2008 schickten Steinbrücks Beamte acht Nichtanwendungserlasse raus; sieben davon gingen ebenfalls zu Lasten der Steuerzahler. "Bei 100 bis 150 Grundsatzentscheidungen pro Jahr sind 15 Nichtanwendungserlasse eine maßgebende Größenordnung", schimpft Spindler.

Im vergangenen April entschied der Bundesfinanzhof, dass Fahrten mit dem Dienstwagen zwischen Wohnung und Arbeitsplatz nicht komplett versteuert werden müssen (Az. VI R 85/04 und VI R 68/05). Doch freuen durfte sich über diese Entscheidung nur der Pendler, der in München geklagt hatte. Alle anderen gehen leer aus. "Die Rechtsgrundsätze der Urteile werden von den obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder nicht geteilt", beschied ein Unterabteilungsleiter aus Steinbrücks Ministerium. Das Urteil "ist nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden".

Wenn sich der Bund regelmäßig über BFH-Urteile hinwegsetzt, sei dies ein Eingriff in die Gewaltenteilung, so Spindler. Verfassungsrechtlich gesehen dürfe "die Verwaltung nicht aus rein fiskalischen Gründen korrigierend eingreifen". Wenn dem Gesetzgeber "die Rechtsprechung dieses Hauses nicht zusagt, kann er ja darauf durch eine Gesetzesänderung reagieren". Diese könnten die Bürger wieder vor Gericht überprüfen lassen. Gegen Nichtanwendungserlasse aber gibt es so gut wie keine Handhabe.

Im Herbst hatten sich BFH-Vertreter und Beamte des Finanzministeriums getroffen und die Sache besprochen. Das Ergebnis fiel ernüchternd aus: "We agree to disagree", sagt Spindler - man war sich einig, uneinig zu sein. Das Finanzministerium findet, allein Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe binden den Gesetzgeber. Bis auf weiteres bleibt der Disput zwischen Gericht und Ministerium also ungelöst.

Damit dies nicht zu Lasten der Steuerzahler geht, schlägt Spindler folgendes vor: Die Finanzämter sollten in den Steuerbescheiden vermerken, dass der BFH zu einem bestimmten Sachverhalt schon mal anders entschieden hat. Dann könnte der Bürger zumindest selbst dagegen klagen. "Unter allgemeinen rechtsstaatlichen Aspekten ist diese Forderung berechtigt", findet Spindler. Doch Steinbrücks Ministerium will bislang von diesem Vorschlag nichts wissen. Vermutlich aus gutem Grund: In der Vergangenheit hob das Finanzministerium einen Nichtanwendungserlass wieder auf, sobald der BFH in einem ähnlich gelagerten Fall seine Rechtsauffassung bestätigt hatte. Doch das kann dauern - auch weil die Bürger keine weiteren Klagen einreichen. Würden sie nun auf BFH-Entscheidungen hingewiesen und in der Folge öfter klagen, käme "Schwung in die Sache", heißt es bei Steuerexperten - und Steinbrück würde wohl so manchen Nichtanwendungserlass kassieren.

Sie streiten, ob Steuerurteile des Bundesfinanzhofs (BFH) nur Einzelfälle betreffen - oder für alle Bürger gleichermaßen gelten: BFH-Präsident Wolfgang Spindler (li.) und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. Fotos: Imago/Sven Simon, dpa

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Roland, Kölner Dom, Neuschwanstein

Deutschland gibt neue Zwei-Euro-Münzen heraus. Jetzt steht das Design der Geldstücke fest

Von Marco Völklein

München - Das Geheimnis ist gelüftet: Das Design

für die nächsten Zwei-Euro-Gedenkmünzen aus Deutschland steht fest. Klar war schon länger, dass der Bremer Roland, der Kölner Dom und Schloss Neuschwanstein auf den Münzen abgebildet werden. Wie die Abbildungen aber genau aussehen werden, war bislang offen. Nun hat das für den Münzdesignwettbewerb zuständige Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Abbildungen der Entwürfe freigegeben (alle Fotos: www.zwei-euro.com). Die Sammler können sich darauf freuen.

Seit dem Jahr 2004 können die Euro-Teilnehmerstaaten jedes Jahr eine Zwei-Euro-Münze mit einem speziellen nationalen Motiv gestalten. Diese Zwei-Euro-Gedenkmünzen sind bei Gelegenheits- wie Profisammlern beliebt. Die Euro-Staaten haben insgesamt bereits mehr als 40 Motive ausgegeben - und jedes Jahr kommen neue hinzu. Deutschland ist als eines der wichtigsten Euro-Länder ganz vorne mit dabei: Noch bis zum Jahr 2021 stellt sich jedes Jahr eines der 16 deutschen Bundesländer auf den Münzrückseiten dar. Am 6. Februar wird die diesjährige Münze in Umlauf gebracht, die die Ludwigskirche in Saarbrücken zeigt, so das Bundesfinanzministerium. Das Design dieser Münze ist schon lange bekannt. Neu sind die Abbildungen für die nächsten Jahre.

2010 wird auf den deutschen Zwei-Euro-Gedenkmünzen das Bremer Rathaus und das Ritterstandbild Roland zu sehen sein, das Wahrzeichen der Stadt, das auf dem Platz vor dem Rathaus der Weserstadt steht. Entworfen wurde die Münze vom Berliner Münzgraveur Bodo Broschat. Ritterstandbilder gibt es in einigen Städten Norddeutschlands; sie wurden dort im Mittelalter als Zeichen bürgerlicher Freiheit aufgestellt. Der Bremer Roland aus hellem Elmkalkstein wurde 1404 errichtet. Exakt 600 Jahre nach seiner Errichtung nahm die Unesco den Bremer Roland im Jahr 2004 zusammen mit dem Bremer Rathaus in ihre Liste als Weltkulturerbe auf.

Im Jahr 2011 ist dann Nordrhein-Westfalen auf der Zwei-Euro-Gedenkmünze dran - der Kölner Dom wird das Land repräsentieren. Der Entwurf stammt vom Berliner Münzdesigner Heinz Hoyer. Auch der Kölner Dom steht auf der Unesco-Liste des Weltkulturerbes. Im Jahr 2012 folgt schließlich Bayern, das sich mit dem Motiv von Schloss Neuschwanstein auf den Geldstücken vorstellen wird. Der Entwurf stammt von Erich Ott. Jede deutsche Zwei-Euro-Gedenkmünze erscheint in einer Auflage von rund 30 Millionen Stück und geht nicht nur an Münzsammler, sondern auch in den normalen Geldkreislauf. "Die Münzen finden sich dann auch bei Penny in der Kasse", sagt Florian Dyballa, der einen "Zwei-Euro-Münzenkatalog" herausgebracht hat. Die Zwei-Euro-Gedenkstücke sind nämlich auch offizielles Zahlungsmittel.

Die Reihenfolge der Bundesländer auf den Zwei-Euro-Gedenkmünzen ist genau festgelegt: Gezeigt wird immer das Land, das im jeweiligen Jahr den Vorsitz im Bundesrat inne hat. Dafür existiert ein fester Turnus. Im Jahr 2013 führt Baden-Württemberg den Vorsitz in der Länderkammer - auf der Münze wird das Kloster Maulbronn zu sehen sein. Die mittelalterliche Anlage steht seit 1993 auf der Unesco-Weltkulturerbe-Liste. Im Jahr 2014 folgt das Land Niedersachsen, als Motiv steht bereits die St. Michaeliskirche in Hildesheim fest - auch sie ein Unesco-Weltkulturerbe.

Im Jahr 2015 wird sich Hessen mit der Frankfurter Paulskirche auf der Münze präsentieren. In dem klassizistischen Rundbau tagte in den Jahren 1848 und 1849 die erste frei gewählte Volksvertretung Deutschlands. Die durch Bombenangriffe stark beschädigte Kirche wurde nach dem Krieg wiedererrichtet.

Für die Gedenkmünzen, die von 2013 an erscheinen werden, liegen noch keine endgültigen Designs vor - auch diese werden in einem Wettbewerb festgelegt.

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Mischen impossible (Forts.)

in Deutschland. Im Schwarzen Bock, einem der ältesten Hotels Deutschlands, gab es sogar ein Thermalbad für Pferde. Die Tiere durften nach der anstrengenden Reise in ihrer eigenen Wellness-Abteilung entspannen. Nur eine Hufiküre fehlte.

Der Nassauer Hof, ein klassisches Grandhotel mit Blick auf den Kurpark und die Spielbank, besitzt Wasserrechte für eine der Thermalquellen. Im 1500 Quadratmeter großen Wellnessbereich trifft man zum Glück keine Pferde, dafür aber manchmal Leute wie den Dalai Lama, der schon viermal zu Gast war in dem wilhelminischen Prachtbau. Das Wasser im Hotelpool hoch über den Dächern der Stadt ist 32 Grad warm, enthält viel Natriumchlorid und wenig Schwefel, wirkt entspannend, entschlackend und hautreinigend. Könige, Fürsten und Herzöge wählten das Grandhotel zu ihrem Domizil in Wiesbaden, später folgten Kurgäste und Politiker wie Angela Merkel und Wladimir Putin. Arabische und russische Familien residieren gerne in den geräumigen Suiten des Hotels, oft für einen kombinierten Shopping- und Gesundheitsurlaub. Wobei es sich beim Nassauer Hof nicht um ein Sanatorium handele, wie Geschäftsführer Karl Nüser betont: "Es geht eher darum, Gesunde noch gesünder zu machen." Dabei helfen möglicherweise auch 1200 erlesene Weinsorten und die aufbauende Kost im Gourmetrestaurant Ente.

Früher waren einzelne Suiten im Nassauer Hof mit eigenen Thermalbädern ausgestattet, aber das mineralhaltige Wasser griff die Leitungen so stark an, dass sie nach zehn Jahren ruiniert waren. Ebenfalls ruiniert war ein berühmter Gast des Nassauer Hofs innerhalb noch kürzerer Zeit: Fjodor Dostojewski. Von 1863 bis 1871 spielte der russische Schriftsteller im Wiesbadener Kasino. Spielpausen nutzte er dazu, in Bad Homburg und Baden-Baden weiterzuspielen. Angeblich recherchierte er für seinen Roman "Der Spieler", in Wirklichkeit aber war er spielsüchtig und verplemperte seine Tantiemen im großen Stil. Der Roman spielt in einem fiktiven Kurort namens "Roulettenburg", es geht um eine unglückliche Liebe und um einen bankrotten Russen, der an Spielsucht leidet. Der Roulette-Kessel, an dem Dostojewski unter großer persönlicher Aufopferung recherchierte, steht immer noch im Kasino. Die wenigsten Gäste lassen sich allerdings davon abschrecken.

An einem gut besuchten Samstagabend kommen 800 bis 1000 Besucher in die Spielbank, das Publikum ist gemischt: 18-jährige Schüler, die sich zum ersten Mal eine Krawatte umgebunden haben, Stammgäste mit Kennermiene, Theaterbesucher, die nach der Vorstellung noch ihr Glück versuchen, chinesische und indische Touristen. Die Stimmung ist festlich, die vornehm gewandeten Gäste zocken ziemlich gediegen vor sich hin und werden beim Geldverschwenden feierlich umrahmt von den goldenen Friesen, den edlen Hölzern, den kunstvoll verzierten Säulen und den neo-klassizistischen Möbeln im Saal.

Anfänger benehmen sich in der Spielbank entweder übervorsichtig oder übermütig. Die Übermütigen gehen an den nächstbesten Spieltisch, hauen den Grundeinsatz auf die grüne Filzmatte, wundern sich, dass der Mindesteinsatz an manchen Tischen bei 20 Euro liegt, verlieren nach sieben Sekunden, wiederholen das Ganze ein paar Mal und sind binnen Minuten pleite. Die Übervorsichtigen gehen unentschlossen zum Wechselschalter, zögern, fummeln an einem 20-Euro-Schein herum, bis der Kassier mit halbspöttischem Blick zehn Zwei-Euro-Chips hinwirft. Zwei Euro! Peanuts! Stammspieler setzen nicht solche Pipi-Beträge, sondern stapelweise Zehner, Fünfziger oder gleich Hunderter.

100 Croupiers achten darauf, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Sie sind nicht angestellt, weil in Deutschland niemand außer dem Staat am Glücksspiel verdienen darf; sie leben vom Trinkgeld der Spieler. Bei jedem größeren Gewinn geht ein Anteil an die Bank, das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Croupiers sind darauf geschult, spielbegeisterte Menschen von spielsüchtigen Menschen zu unterscheiden. "Verdächtige Gäste sind oft fahrig, stehen wie gebannt am Spieltisch und schauen stundenlang nur zu", sagt Friedrich Becker, Erster Saalchef der Spielbank.

Unter Paragraph sechs ("Spielverbote") heißt es, dass "Personen, deren wirtschaftliche Verhältnisse einer Beteiligung am Spiel erkennbar nicht angemessen scheinen" vom Spiel auszuschließen seien. Fjodor Dostojewski hätte unter diesem Gesichtspunkt keine Chance gehabt. Es ist paradox: Einerseits soll die Spielsucht nicht gefördert werden, andererseits profitieren Wiesbaden und das Land Hessen ganz gut vom Spieltrieb der Besucher. Im vergangenen Jahr erzielte das Casino einen Brutto-Erlös von 40 Millionen Euro, 27,8 Millionen davon gingen an das Land Hessen. "Da man weiß, dass der Mensch spielen will, aber das Glücksspiel verboten ist, gibt man uns die Lizenz zum Glücksspiel", erklärt Saalchef Becker, und dem Zuhörer wird schwindlig. Ist es diese Logik, sind es die rotierenden Roulettekugeln, sind es Folgen des heißen Thermalwassers?

Vielleicht ist es langsam an der Zeit, sich in die Gemächer des Nassauer Hofs zurückzuziehen, wo der Dalai Lama so gerne meditiert und im Bad eine Dampfsauna installiert ist. Andererseits: Sollte man nicht doch noch sein Glück versuchen und alles auf die 18 setzen? Neulich hat wieder ein Gelegenheitsspieler den Jackpot geknackt und um exakt 2.53 Uhr genau 676 690 Euro gewonnen, wie die Nachrichtenagentur dpa meldete. In so einem Fall wird die Stimmung im gediegenen Saal der Wiesbadener Spielbank wohl fast explodiert sein. Kontrolliertes Ausrasten ist übrigens offiziell erlaubt. "Sie dürfen gerne während des Spiels das Sakko ausziehen und über den Stuhl hängen", steht auf einem Messingschild am Pokertisch. So viel Spaß muss sein. TITUS ARNU

Dostojewski verspielte hier seine Tantiemen und holte sich gleichzeitig Inspiration

Informationen

Unterkunft: Hotel Nassauer Hof, Kaiser-

Friedrich-Platz 3-4, 65183 Wiesbaden,

Tel.: 06 11 / 13 30, Fax: 06 11 / 13 36 32,

www.nassauer-hof.de;

Doppelzimmer ab 270 Euro in Einzel-,

ab 320 Euro in Doppelbelegung,

Wochenendraten sind günstiger.

Weitere Auskünfte: Tourist Information Wiesbaden, Marktplatz 1, 65183 Wiesbaden,

Tel.: 0611/172 97 80, Fax: 0611/172 97 97

E-Mail: tourist-service@wiesbaden.de,

www.wiesbaden.de

Der Kochbrunnen führt 15 heiße Quellen zusammen. Das natriumchloridhaltige Wasser gilt als heilbringend, aber nicht besonders wohlschmeckend. Wer lieber darin badet, kann das etwa in der Kaiser-Friedrich-Therme tun. Fotos: Wiesbaden Marketing, Xenia Drebes

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"Die USA haben Recht gebrochen"

Der Präsident und Guantanamo

Der Völkerrechts-Professor Andreas Paulus von der Universität Göttingen beschäftigt sich seit Jahren mit den Gefangenen von Guantanamo. Er hofft, dass die USA nun wieder zu gerechten Prozessen finden.

SZ: Der neue US-Präsident Barack Obama hat die Tribunale im Gefangenenlager Guantanamo suspendiert. Darf er das?

Andreas Paulus: Ja. Denn das sind keine Gerichte im eigentlichen Sinn, sondern spezielle Militärtribunale, die der Präsident einrichten und wieder auflösen kann.

SZ: Kommt es da nicht zu einer Vermengung zwischen Justiz und Regierung?

Paulus: Das ist richtig, aber die Militärtribunale unterstehen der Befehlsgewalt des Präsidenten. Dafür besteht das Gericht ausschließlich aus Soldaten.

SZ: Warum?

Paulus: Weil sich das oft militärfreundlich auswirkt. Denken Sie an die Verfahren wegen Übergriffen von US-Soldaten im Irak. Die endeten oft wie das Hornberger Schießen.

SZ: Die Guantanamo-Häftlinge wurden dagegen alles andere als privilegiert behandelt. Was wird jetzt aus ihnen?

Paulus: Es ist noch nicht klar, wie die Regierung Obama vorgehen wird. Manche fordern ein neues Sonder-Verfahren mit einem besseren rechtsstaatlichen Schutz. Das wäre "Guantanamo light" - und würde das Ansehen Amerikas kaum heben. Andere verlangen, die Häftlinge entweder vor ordentliche Gerichte zu stellen oder freizulassen. Mir scheint, die Diskussion läuft in diese Richtung - aber vielleicht bin ich da zu optimistisch.

SZ: Was macht den Umgang mit den Guantanamo-Häftlingen so schwierig?

Paulus: Da gibt es solche Gefangenen, die die Amerikaner vor Gericht stellen wollen, weil sie zum Beispiel an Anschlägen beteiligt waren. Falls diese Häftlinge jedoch gefoltert wurden, wären ihre Aussagen vor einem normalen Gericht unverwertbar. Dann gibt es diejenigen, denen man mangels Beweisen nicht den Prozess machen kann. Man möchte sie aber auch nicht in ihre Heimat zurückschicken. Sei es, weil sie dort misshandelt würden, oder, weil sie sich wieder Terrorgruppen anschließen könnten.

SZ: Wie sollten die USA mit solchen Menschen umgehen?

Paulus: Es ist mit rechtsstaatlichen Gründen kaum vereinbar, solche Leute einfach wegzusperren. Deswegen sollte man sie in ihre Heimat zurückschicken und dafür sorgen, dass sie dort überwacht werden.

SZ: Haben die Vereinigten Staaten auf Guantanamo Völkerrecht gebrochen?

Paulus: Ohne Frage. Das gilt insbesondere für die Vernehmungs-Methoden und das Festhalten ohne Prozess. Außerdem waren die Sondergerichte nicht wirklich unabhängig.

SZ: Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele fordert,George W. Bush wegen Folter in Amerika den Prozess zu machen.

Paulus: Dies wäre grundsätzlich möglich. Zu erwarten ist es nicht.

Interview: Stefan Ulrich

Völkerrechtler Andreas Paulus ddp

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Barack Obamas erster Arbeitstag

Ernste Zeiten sind Zeiten der Bewährung. Und dass die Lage der Vereinigten Staaten so ernst ist wie selten zuvor, das ist dem neuen Präsidenten mehr als klar, daran hat seine Antrittsrede keinen Zweifel gelassen. Die desaströse wirtschaftliche Situation des Landes, die Lage im Irak und in Afghanistan, der Schandfleck Guantanamo - das sind nur drei Beispiele, die das schnelle und entschlossene Handeln Obamas erfordern. Und schon die ersten Stunden zeigen, dass er sich keine ruhige Eingewöhnungszeit im Weißen Haus gönnen will.

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Aktuelles Lexikon

Beast

Auf den ersten Meilen hielt es Barack Obama nicht in den Sitzen seines rollenden Bunkers, doch das lag sicher nicht am Wagen selbst: dem "Beast", wie die Amerikaner das neue First-Auto mit dem offiziellen Namen "2009 Cadillac Presidential Limousine" getauft haben. Obama stieg am Dienstag aus und ging ein Stück zu Fuß. Statt 15 Zentimeter dicker, schusssicherer Stahlkarosserie und Panzerglas umgab ihn nichts als Washingtoner Winterluft. Dabei hat der Secret Service zur präsidentialen Fortbewegung eigens das sicherste Vehikel der Welt erbauen lassen, das noch mit plattgeschossenen Reifen Angreifern davonfährt. Hinzu kommen Panzerglas und eine Innenkabine, die vor einem Anschlag mit chemischen Waffen schützen soll. Wie genau Obama in dem Gefährt mit der Nummer "USA-1" gegen Angriffe gewappnet ist, wird geheim gehalten. "Eines der technischen Details ist, dass wir nicht über technische Details reden", sagte David Caldwell, Sprecher von General Motors. Welcher Motor das Biest mit den großen Scheinwerfern und dem auffälligen Kühlergrill antreibt, ist unbekannt. Das Biest dürfte so viel wiegen wie ein Lkw und über mehr als 500 PS verfügen. Im Innern soll es mit feinsten Materialien ausgestattet sein, die von Hand gearbeitet sind. Das Biest ist ein Drilling: Zwei Lockvögel sollen Obamas Sicherheit zusätzlich erhöhen. Mehr Biester soll es aber nicht geben. kari

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Ausschlafen - und dann loslegen

Unter Barack Obama beginnt der Tag im Weißen Haus zwar etwas später, das Tempo danach aber ist viel höher als früher

Von Reymer Klüver

Sasha und Malia durften ausschlafen. Jedenfalls mussten sie am Mittwochmorgen nicht zur Schule. Die Inauguration war ja auch aufregend genug. Und außerdem waren am Abend, als Mom und Dad auf gleich zehn Bällen tanzen mussten, ein paar Freunde aus Chicago zu einer gemeinsamen Sleepover-Party gekommen, damit die erste Nacht im Weißen Haus nicht so einsam ist.

Ohne Zweifel wird es nicht nur gewaltige politische, sondern auch einige kulturelle Unterschiede zwischen der Bush-Administration und dem Weißen Haus unter Obama geben. Zum Beispiel was den Arbeitsbeginn angeht. Zwar brannte an diesem Mittwochmorgen um acht Uhr schon längst Licht in einigen Büros im Westwing der Regierungszentrale, wo die wichtigsten Mitarbeiter des Präsidenten ihre Büros haben - und Barack Obama selbst saß angeblich auch schon am Schreibtisch, obwohl er erst am frühen Morgen ins Bett gekommen war. Aber vor neun wurde offiziell von keinem Mitarbeiter erwartet, dass er an seinem Schreibtisch sitzt und sich mit der Bedienungsanleitung für das Computernetzwerk des Weißen Hauses vertraut macht. Nur David Axelrod, Obamas engster Berater, wurde schon früher gesichtet mit einer Tasche unter dem Arm, aus der ein Bilderrahmen und die historische Inaugurationsnummer der Zeitung ragte.

Das war früher anders. Unter George W. Bush summte der Westwing bereits um sieben Uhr morgens wie ein Bienenhaus. Und der Präsident liebte es, um diese Zeit seine ersten Termine zu legen, nachdem er bereits ausführlich vom CIA über die aktuellen Ereignisse unterrichtet worden war. So früh wird es unter Barack Obama wohl nicht losgehen.

Das sollte allerdings nicht täuschen. Obama hat versprochen, ein fleißiger Präsident zu sein. Und das sollte er an seinem ersten Arbeitstag unter Beweis stellen. Im Grunde ging es bereits am Dienstag los, als Washington noch in Feierlaune war. Obama ernannte offiziell die sieben seiner neuen Minister, die der Senat nach der Inauguration bereits bestätigt hatte. Und sein Stabschef Rahm Emanuel unterschrieb nur Stunden nach der Vereidigung ein Dekret, mit dem einige Anordnungen Präsident Bushs aus seinen letzten Amtstagen bis auf weiteres widerrufen werden.

So hatte Bush ein Dekret unterzeichnet, dass Besucher fortan in einigen Nationalparks Waffen tragen dürfen. Ein anderes verordnete, dass künftig Krankenhäuser keine Bundesmittel erhalten sollen, die Ärzten die Einstellung verweigern, weil sie aus religiösen Gründen keine Abtreibung vornehmen wollen. Derlei Dekrete gehören zum Kleinklein der Amtsübergaben. Bei Bill Clinton zum Beispiel war es nicht anders gewesen, als er Bush die Amtsgeschäfte übergab. Bush hatte einige Dekrete Clintons ebenfalls rückgängig zu machen versucht.

Politisch ungleich brisanter dürfte an Obamas erstem Arbeitstag Dreierlei sein. Zum einen hat er gleich nach einem morgendlichen Fürbittgottesdienst in der National Cathedral seinen engsten wirtschaftspolitischen Beraterkreis einberufen. Das ist natürlich eine symbolbefrachtete Handlung: Die Wirtschaftskrise des Landes ist die Nummer eins unter allen Themen. Sie hat für die neue Administration absolute Priorität. Darin steckt aber auch ein versteckter Hinweis in Richtung Kongress. Denn zweifelsohne wird im Zentrum der Beratungen im Weißen Haus sein, was zu tun ist, damit beide Kammern des Parlaments das geplante gigantische Konjunkturprogramm in den nächsten vier Wochen tatsächlich verabschieden - und zwar mehr oder minder so, wie der Präsident es wünscht.

Für den Nachmittag hat Obama die Stabschefs der Streitkräfte einbestellt. Und es besteht kein Zweifel, dass sie - im Ton verbindlich, aber in der Sache eindeutig - eine neue Marschorder bekommen: Der neue Oberbefehlshaber wünscht den Abzug aller Kampftruppen aus dem Irak innerhalb von 16 Monaten. Punkt. Einen Teil der Soldaten aber will er nach Afghanistan verlegen, weil er glaubt, dass der Kampf gegen al-Qaida dort von seinem Vorgänger sträflich vernachlässigt wurde.

Als Drittes wird Obama die Schließung des Internierungslagers in Guantanamo per Dekret anordnen. Allerdings war am Morgen noch nicht ganz klar, ob die Verordnung - juristisch wasserdicht - noch am Mittwoch unterschriftsreif auf seinem Schreibtisch im Oval Office landen würde. Auf den einen oder anderen Tag kommt es wohl aber auch gar nicht mehr an. Zu seinen ersten Amtshandlungen noch am Dienstag zählte nämlich, dass Obama - ebenfalls per Dekret - die Streitkräfte bat, die Verhandlungen der Militärtribunale gegen einige der in Guantanamo einsitzenden Häftlinge für 120 Tage auszusetzen.

Das Militär reagierte prompt: Ein für Mittwochmorgen geplanter Verhandlungstag gegen den Kanadier Omar Khadr wurde sofort abgesagt. Allerdings müssen die Militärrichter dem Dekret nicht unbedingt Folge leisten, das um einen Aufschub bis zum 20. Mai bat, "damit der neue Präsident und seine Administration den Prozess der Militärkommissionen im allgemeinen und die gegenwärtig vor den Militärkommissionen verhandelten Fälle im Besonderen begutachten können".

Im Verfahren gegen die mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001 war ebenfalls für Mittwoch eine Anhörung angesetzt. Der zuständige Militärstaatsanwalt hatte indes dafür bereits am Dienstag die Aussetzung des Verfahrens beantragt. Menschenrechtsorganisation begrüßten den ersten Schritt Obamas. Das Dekret deute darauf hin, "dass er spürt, wie dringend der zerstörerische Kurs der bisherigen Regierung im Kampf gegen den Terror umgekehrt werden muss", hieß es in einer Erklärung von Human Rights Watch. Allerdings wies die renommierteste Bürgerrechtsorganisation Amerikas, die ACLU, darauf hin, dass Obama "das in Misskredit geratene System" der militärischen Sondertribunale noch keineswegs beseitigt hat - was er theoretisch ebenfalls mit einem Federstrich könnte. Doch besteht kein Zweifel daran, dass die Verfahren in ihrer jetzigen Form kaum fortgesetzt werden dürften.

Auch weitere Dekrete sollten zumindest in dieser Woche noch auf Obamas Schreibtisch landen - wenn sie nicht bereits am Mittwoch unterschriftsfertig sein sollten. So dürfte Obama in einem Erlass die sogenannten "verschärften Verhörmethoden" der CIA bei Vernehmungen mutmaßlicher Terroristen außer Kraft setzen. In den vergangenen Wochen hatten weder er noch der künftige Justizminister Eric Holder Zweifel daran gelassen, dass sie zumindest einige der Verhörtechniken für Folter halten. In einem weiteren Dekret wollte Obama die Verhaltensregeln für die Mitarbeiter des Weißen Hauses verschärfen. An ihrem ersten Tag jedenfalls mussten sie bereits am Morgen zu einem zweistündigen Vortrag. Einziges Thema: ihre neuen Pflichten.

Auf dem Weg zu schweren Aufgaben: US-Präsident Barack Obama, hier ein Bild aus dem Kapitol vom Dezember 2007, als er noch Senator von Illinois war. Foto: laif

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Zeit ist Geld

Am Tag der Amtseinführung brachen die Kurse an der Wall Street ein - ein Zeichen dafür, dass der neue Präsident die Wirtschaft schnell stabilisieren muss

Von Nikolaus Piper

Es war ein scharfer Kontrast zu den schönen Bildern aus Washington. Während zwischen Kapitol und Lincoln Memorial mehr als eine Million Amerikaner den neuen Präsidenten feierten, brachen an der Wall Street die Aktienkurse ein. Der Dow-Jones-Index verlor 332 Punkte oder 4 Prozent, womit der 20. Januar 2009 börsenmäßig der schlechteste Amtseinführungstag der Geschichte wurde. (Als Franklin Roosevelt im März 1933 seinen Eid ablegte, war die Börse geschlossen). Eine neue Vertrauenskrise bei den großen Banken hatte den Kursrutsch ausgelöst. Die Bank of America zum Beispiel, die größte Bank der Vereinigten Staaten, geriet unter Druck, weil die Fusion mit der schwer angeschlagenen Investmentbank Merrill Lynch offenbar viel teurer wird als erwartet.

Klar ist, dass Barack Obama schnell handeln muss, um die Lage zu stabilisieren. Und nach allem, was aus seinem Team zu hören ist, wird er das auch tun, möglicherweise noch in dieser Woche. Die Modelle, die im Gespräch sind, reichen von der faktischen Verstaatlichung einiger Banken bis zur Schaffung einer staatlich gestützten "Bad Bank", also einem Institut, bei dem die anderen ihre faulen Kredite abladen können. Die Regierung könnte auch in großem Umfang sogenannte Wandelanleihen der Banken erwerben; das sind Schuldverschreibungen, die notfalls in Aktien umgewandelt werden können. Der Staat würde auf diese Weise die Institute mit Geld versorgen und sich gleichzeitig die Möglichkeit einer Verstaatlichung offenhalten. Würde Obama zu diesem letzten Mittel greifen, würden die Aktien wertlos. Bei den Aktionären nähren sich daher die Furcht vor neuen Verlusten und die Angst vor dem Eingreifen des Staates gegenseitig.

Relativ schnell dürfte der neue Präsident sich an die Neuregulierung der Finanzmärkte machen. Und was immer er da beschließen sollte, wird Auswirkungen über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus haben. Ohne Amerika wird es keine globale Reform geben, wenn Amerika Standards setzt, kommen die anderen an diesen kaum vorbei. Für diese Neuregulierung gibt es bereits ein Modell. Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit legte vorige Woche die "Gruppe der 30" in New York einen "Rahmenplan zur Finanzstabilität" vor. Die Gruppe ist eigentlich ein exklusiver Zirkel vorwiegend pensionierter Geld- und Währungsexperten; er wird vom früheren Präsidenten der israelischen Zentralbank, Jacob Frenkel, geleitet und äußert sich gelegentlich auf sehr akademischer Ebene zu Fragen der internationalen Wirtschaftspolitik. Was den neuen Plan der Gruppe interessant macht, ist sein Autor: Paul Volcker, 81, früherer Präsident der Notenbank Federal Reserve, und einer der engsten Berater von Präsident Obama. Mit Volcker hat Obama in den zweieinhalb Monaten des Amtsübergangs seine Äußerungen zur Finanzkrise abgestimmt. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass vieles aus dem 70-seitigen Bericht demnächst Gesetz wird.

Das Risiko des Scheiterns

Der Plan sieht einige sehr weitgehende Vorschriften vor; sie werden das Geschäft mit dem Geld weniger riskant, aber auch weniger profitabel machen. Im Prinzip teilt Volcker die Finanzinstitute - Banken, Hedgefonds, Versicherungen und andere - in zwei Gruppen ein: In solche, die wegen ihrer Größe und Struktur die Stabilität des Finanzsystems gefährden können und solche bei denen das nicht der Fall ist. Letztere können im Wesentlichen tun und lassen was sie wollen; das Risiko des Scheiterns tragen Eigentümer, Kreditgeber und Kunden. Alle anderen jedoch werden umfassend und wesentlich systematischer als bisher reguliert. Am weitesten reicht vermutlich diese Vorschrift: Große Banken sollen nur noch in sehr begrenztem Umfang Risiken im Eigenhandel eingehen dürfen. Dieser Handel, also Finanzgeschäfte, die nicht im Auftrag von Kunden abgewickelt werden, haben in Boom-Jahren bei Instituten wie Goldman Sachs, Merrill Lynch und der Deutschen Bank für außerordentliche Gewinne gesorgt - aus denen in der Krise dramatische und systemgefährdende Verluste wurden. Hochriskante Hedgefonds sollen große Banken überhaupt nicht mehr betreiben dürfen.

Mit Blick auf die Risiken will Volcker auch den Marktanteil von Banken beschränken. Das dürfte für die USA und Deutschland mit ihren vielen regionalen Banken und Sparkassen irrelevant sein, nicht aber in vielen kleineren europäischen Ländern. Auch das Geschäft der Hedgefonds wird nach dem Volcker-Plan stark eingeschränkt. Wenn Fonds eine bestimmte Größe überschreiten, müssen sich deren Manager registrieren lassen. Die Behörden sollen erstmals Mindestvorschriften für Kapital und Liquidität der Fonds erlassen in den Ländern, in denen diese arbeiten, nicht dort, wo sie den Firmensitz haben. Damit wird die Flucht der Fonds in regulierungsfreie Oasen wie die Cayman-Inseln gestoppt.

Die USA sollen die beiden staatlich unterstützten Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac grundlegend umbauen. Die beiden Banken hatten, mit einer impliziten Staatsgarantie im Rücken, durch fahrlässige Kredite den Immobilienboom angeheizt und so zur Finanzkrise beigetragen. Staatliche Wohnungsbauförderung und privates Finanzgeschäft müssen streng getrennt werden, heißt es im Volcker-Bericht. Paul Volcker hat die Chance, seine Ideen unmittelbar umzusetzen. Er amtiert seit Dienstag als Vorsitzender eines "Beraterstabs für die wirtschaftliche Erholung", der dem Präsidenten Expertisen unterbreitet.

Den Banken wird immer weniger Vertrauen entgegengebracht, das ließ die Kurse an den Börsen abrutschen. Paul Volcker (u.), der frühere Chef der US-Notenbank, soll nun im Auftrag von Obama neue Regeln für die Finanzwelt finden. AP/AFP

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Heute bei

Festspiele der Natur

Die längste Sonnenfinsternis des Jahrhunderts, Vogelinvasionen und der spektakulärste Liebesakt der Welt: Naturereignisse als Reiseziele 2009.

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Pädagogik: mangelhaft

In Deutschland fehlen 20 000 Lehrer, pro Woche fallen eine Million Stunden aus. Die Bundesländer überbieten sich mit bizarren Rekrutierungsversuchen. www.sueddeutsche.de/mangel

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Seine Krawatte, sein Auto, sein Bär

Das Geschäft mit Erinnerungsstücken an den Rechtspolitiker Jörg Haider blüht - der Unfallwagen ist seiner Partei 40 000 Euro wert

Von Angelika Slavik

Es gibt Ausgaben, um die kommt eine politische Partei nicht herum. Gelegentlich müssen Plakate gedruckt und ein paar werbetaugliche Kugelschreiber bestellt werden, und manchmal, da muss eine Partei eben auch 40 000 Euro für den Kauf eines Autowracks locker machen, zumindest in Österreich.

Dort hat das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) jetzt angekündigt, einen völlig zerstörten VW Phaeton von einer Leasingfirma erwerben zu wollen - die Überreste jenes Wagens, mit dem der Rechtspopulist und BZÖ-Chef Jörg Haider Anfang Oktober einen tödlichen Autounfall hatte. Das sei "eine politisch-menschliche Entscheidung", sagt Haiders Nachfolger als Kärntner Regierungschef, Gerhard Dörfler, und hat auch schon eine Reihe guter Vorschläge parat, was man mit dem geschichtsträchtigen Altmetall so anfangen könnte: Bestimmt gebe es Kunstschaffende, die sich mit dem Unfall "künstlerisch auseinandersetzen" wollten, ist sich Dörfler sicher. Aber auch eine Versteigerung könne er sich vorstellen, "zugunsten einer sozialen Einrichtung".

Tatsächlich scheint die Idee, dass es neben seinen Parteifreunden auch noch andere Interessenten für Haiders schrottreifen Dienstwagen geben könnte, gar nicht so abwegig. Denn der Handel mit skurrilen Haider-Devotionalien blüht, vor allem im Internet. Dort gibt es Shirts und Pullover mit Haiders Foto und dem Aufdruck "Wir werden Dich nie vergessen", eine angeblich von ihm getragene Krawatte, dazu Kappen, Kaffeebecher, Spielkarten und "Jörgi"-Stoffbären. Ein Exemplar von Haiders Taschenbuch "Die Freiheit, die ich meine" wurde vor kurzem für 73 Euro versteigert - das Sechsfache des Ladenpreises. Für Haider-Autogramme werden mehr als 30 Euro geboten.

Sogar die öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt ORF bietet ihre Übertragung vom Begräbnis des Politikers auf DVD an: Barocke Inszenierung und schwülstige Trauerreden zum Immer-Wieder-Anschauen, zu haben für 22,90 Euro inklusive Versand. Der größte Zeitschriftenverlag des Landes, die Verlagsgruppe News, beglückte die Haider-Fans sogar mit einem Erinnerungskalender: Haider in Tracht, Haider am Berg, Haider mit nacktem Oberkörper an einem Kärntner See. Der Kalender war wenige Tage nach dem Verkaufsstart vergriffen.

"Haiders Karriere war voller Höhen und Tiefen, sein Unfalltod war spektakulär. Das trägt natürlich zur Mythenbildung bei", sagt der Wiener Politikwissenschaftler Peter Filzmaier. Der Kaufrausch der Haider-Fans sei vergleichbar mit der Aufregung, die ein getragenes T-Shirt von Sänger Justin Timberlake bei dessen Anhängern auslöse: "Das ist ein Popstar-Phänomen, und in vielerlei Hinsicht wurde Jörg Haider schon zu Lebzeiten wie ein Popstar verehrt, zumindest von seiner Klientel."

Dass Haider mit 1,8 Promille Alkohol im Blut und deutlich überhöhter Geschwindigkeit verunglückte, schreckt seine Fans nicht. Sie kaufen eifrig ein, unter anderem auch bei einem Teleshopping-Anbieter, der eine eigene "Dr. Jörg Haider In Memoriam Collection" anbietet. Darin enthalten: Ein "Megaposter", eine DVD und eine CD, auf der Haider - mit Lederhose, vor Alpenpanorama - Kärntner Lieder singt. Bloß die Titel sind vielleicht ein wenig unglücklich gewählt: Eines der Lieder heißt "I trink hiatz kan Schnaps mehr".

"Alle Trümpfe": Haider-Spielkarten oh

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Schauspieler mit Millionengage

Die Anklageschrift im Fall Klatten zeichnet den mutmaßlichen Erpresser Sgarbi als skrupellosen Hochstapler

Von Hans Holzhaider

München - Für den ersten Verhandlungstag am 9. März hat die 8. Strafkammer des Landgerichts München den Saal A 101 reserviert, den sogenannten Schwurgerichtssaal, den größten im Gerichtsgebäude an der Nymphenburger Straße. 136 Zuschauer finden hier Platz, aber trotzdem werden an diesem Tag viele vor der Tür bleiben müssen. Das Publikumsinteresse wird enorm sein, vergleichbar höchstens mit dem Ansturm beim Steuerprozess gegen den Tennisspieler Boris Becker im Oktober 2002. Zum Aufruf kommt die Strafsache gegen Helg Sgarbi, 44 Jahre alt, gebürtig aus Zürich, von Beruf Übersetzer. Sgarbi wird beschuldigt, im September 2007 die Unternehmerin Susanne Klatten, 46, um sieben Millionen Euro betrogen und danach versucht zu haben, weitere 49 Millionen Euro von der Milliardärin zu erpressen, die als reichste Frau Deutschlands gilt. Nach seiner Verhaftung im Januar 2008 stellte sich her- aus, dass Sgarbi mutmaßlich auch drei weitere Frauen betrogen und dabei insgesamt 2,4 Millionen Euro erbeutet hat.

Die Anklageschrift gegen Helg Sgarbi macht deutlich, mit welcher Hartnäckigkeit und Skrupellosigkeit der Schweizer bei den mutmaßlichen Erpressungen vorgegangensein soll. Im Juli 2007 soll Sgarbi sich in einem Gesundheitszentrum bei Innsbruck etwa gezielt an Susanne Klatten herangemacht und vorgetäuscht haben, er habe sich in sie verliebt. Klatten ließ ihn jedoch zunächst abblitzen und war auch nach weiteren Kontaktversuchen per Telefon und SMS nicht zu einem Treffen bereit. Sgarbi soll einige Wochen später unangemeldet im Ferienort Klattens in Südfrankreich aufgetaucht sein. Am 20. August kam es schließlich zu einem Treffen Sgarbis mit Klatten in einem Münchner Hotel. Dort soll Sgarbi heimlich Videoaufzeichnungen von Intimitäten zwischen ihm und der Milliardärin gemacht haben. Sgarbi soll sich als Sonderberater der Schweizer Regierung ausgegeben haben, der oft in politischen Krisengebieten unterwegs sei und gleich anschließend in die USA reisen müsse.

14 000 Scheine à 500 Euro

Wenige Tage nach diesem Treffen meldete sich Sgarbi telefonisch und bat dringend um eine weitere Verabredung. In einem Hotel in der Nähe des Münchner Flughafens log er Klatten vor, er habe in den USA einen Verkehrsunfall verschuldet, bei dem ein Kind schwer verletzt worden sei. Er müsse sieben Millionen Euro aufbringen, um das querschnittsgelähmte Mädchen zu unterstützen. Susanne Klatten glaubte ihm das und übergab Sgarbi am 11. September sieben Millionen Euro in 500-Euro-Scheinen. Sgarbi soll versprochen haben, das Geld später mit Zinsen zurückzuzahlen. Bei einer weiteren Begegnung Anfang Oktober soll Sgarbi Susanne Klatten aufgefordert haben, sich von ihrem Mann zu trennen und mit ihm zusammenzuleben. Dazu solle sie 290 Millionen Euro in eine Stiftung einbringen, um den Lebensunterhalt des Paares zu sichern. Diesmal lehnte Susanne Klatten rundweg ab.

Fünf Tage später erklärte die Milliardärin die Beziehung mit Sgarbi für beendet, mit dem Erfolg, dass Sgarbi sich jetzt als Erpresser zu erkennen gab. Per Post schickte er ihr zwei der von ihm heimlich angefertigten Videoprints. Er soll 49 Millionen Euro gefordert und damit gedroht haben, die Videos an Susanne Klattens Ehemann, an die Vorstände der Unternehmen, an denen Klatten beteiligt ist, und an die Presse zu schicken. In einem weitern Brief reduzierte Sgarbi seine Forderung auf 14 Millionen Euro und setzte für die Zahlung eine Frist zum 15. Januar 2008. Einen Tag vor Ablauf der Frist wurde er in Vomp in Tirol festgenommen. Susanne Klatten hatte sich der Erpressung nicht gebeugt und hatte die Staatsanwaltschaft informiert.

Schweigegeld für die Mafia

Im Zuge der Ermittlungen wurden drei weitere Betrugs- und Erpressungsfälle bekannt, die alle nach ähnlichem Muster abgelaufen sein sollen. Das erste Opfer hatte Sgarbi der Anklage zufolge im Dezember 2005 in einem Luxushotel im Schweizer Kanton St. Gallen kennengelernt. Auch dieser Frau erzählte er von einem Unfall, den er in den USA verursacht habe. Die Frau übergab ihm daraufhin 600 000 Euro, wobei sie 380 000 Euro als Kredit aufnehmen musste. Später erklärte er ihr, er habe auf seinem Laptop Fotos von intimen Treffen gespeichert. Dieser Laptop sei ihm in Rom gestohlen worden, nun drohe die Mafia mit der Veröffentlichung der Fotos, wenn er nicht 1,5 Millionen Euro zahle. Die Frau nahm daraufhin einen Kredit über diese Summe auf und gab Sgarbi das Geld. Im November 2007 soll Sgarbi noch einmal mit der Veröffentlichung der Fotos gedroht und weitere zwei Millionen Euro gefordert haben. Daraufhin beauftragte die Frau einen Rechtsanwalt, der mit Sgarbi Kontakt aufnahm, was diesen dazu bewog, sein Vorhaben aufzugeben.

In einem weiteren Fall soll Sgarbi, wieder unter dem Vorwand, er habe einen Unfall verursacht und werde von der Mafia erpresst, 300 000 Euro ergaunert haben. Ein vierter Betrugsversuch scheiterte: Die Frau weigerte sich zu zahlen.

Für den Prozess gegen Helg Sgarbi hat das Gericht nur vier Verhandlungstage angesetzt. Das könnte darauf hindeuten, dass Sgarbi zu einem Geständnis bereit ist und es deshalb zu keiner langwierigen Beweisaufnahme kommen muss.

Umgarntes Opfer: Die Milliardärin Susanne Klatten, deren mutmaßlicher Erpresser Helg Sgarbi vom 9. März an in München vor Gericht stehen wird. Foto: dpa

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Bundesweite Razzia wegen Kinderpornos

Kassel - Mit einer bundesweiten Razzia sind Polizei und Staatsanwaltschaft gegen den Tausch von Kinderpornographie vorgegangen. Ab Dienstag wurden die Wohnungen von insgesamt 470 Beschuldigten durchsucht, wie die Staatsanwaltschaft Kassel am Mittwoch mitteilte. Die Polizeiaktion dauerte am Mittwoch noch an. Ausgangspunkt des Ermittlungsverfahrens ist ein 33-jähriger Mann aus dem nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis. Er stehe im Verdacht der Beschaffung, des Besitzes und der Verbreitung von kinderpornographischem Material, teilten die Staatsanwälte mit. Bislang gebe es 470 Tatverdächtige in ganz Deutschland, die Kinderpornos per Handy getauscht haben sollen. Allein in Nordrhein-Westfalen sollen bei 75 Beschuldigten Computer, Speichermedien und Handys beschlagnahmt worden sein. Die Staatsanwaltschaft wollte am Mittwoch dazu nicht Stellung nehmen. Über das Ergebnis der Durchsuchungsaktion wollen sich die Ermittler erst am Freitag äußern. AP

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Zappa-Witwe scheitert mit Klage gegen Fanclub

Düsseldorf - Die Witwe des Musikers Frank Zappa ist bei einem Rechtsstreit gegen einen deutschen Fanclub des Künstlers gescheitert. Das Landgericht Düsseldorf wies ihre Klage um Markenrechte am Mittwoch ab, wie eine Sprecherin mitteilte. Gail Zappa wollte dem Club verbieten, sein jährliches Musikfestival im mecklenburgischen Bad Doberan "Zappanale" zu nennen. Auch T-Shirts mit einem stilisierten Zappa-Bart als Logo sollten verboten werden. Gail Zappa sah ihre Rechte aus der Gemeinschaftswortmarke "Zappa" durch die Bezeichnung "Zappanale" verletzt. Das Landgericht befand jedoch, es sei der Klägerin nicht gelungen darzulegen, dass sie die Wortmarke in Deutschland überhaupt ernsthaft verwende. AP

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"Bread & Butter" verlässt Barcelona

Madrid - Erst am Mittwoch ist in Barcelona die Modemesse "Bread & Butter" eröffnet worden, und durch die Messehallen weht bereits ein Hauch von Abschied. Verschiedenen Medienberichten zufolge verlässt die Messe Barcelona nach knapp vier Jahren und kehrt schon in diesem Sommer nach Berlin zurück. Nachdem die Geschäftsführung Angeboten aus Istanbul und Moskau widerstanden hatte, habe Berlin nun eine "unwiderstehliche Offerte" vorgelegt, berichtete etwa La Vanguardia. Das ultimative Argument sei gewesen, den stillgelegten Flughafen in Tempelhof als Kulisse nutzen zu können. Die Stadträtin Gemma Mumbrú bestätigte den Umzug, Branchenkreise ebenso - PR-Sprecher aller beteiligten Parteien eierten jedoch reichlich herum. "Bread & Butter"-Geschäftsführer Karl-Heinz Müller ließ sich ebenfalls nicht festnageln: Er bezeichnete die Umzugs-Meldungen in der spanischen Presse als bloße "Spekulation" und verwies auf eine für Freitag angesetzte Pressekonferenz. jc

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DIE FRAGE

Wie schaffen Politiker ein 16-Stunden-Programm?

Barack Obama absolvierte zur Amtseinführung ein Marathon-Programm von früh morgens bis spät in die Nacht: Gottesdienst, Vereidigung, Ansprachen, Händeschütteln, anschließend zehn Festbälle.

Gabriele Hermani, Sprecherin des Bundesinnenministeriums: "Sechszehnstündige Arbeitstage sind bei Politikern nicht ungewöhnlich. Sie unterscheiden sich davon auch nicht von anderen Berufsgruppen wie etwa berufstätigen Müttern von mehreren Kindern ohne Haushaltshilfe. Ob ein Politiker derartig lange Arbeitstage aushält, hängt natürlich auch von der persönlichen Physis und Kondition ab. Bei der Erstellung von Programmen wird darauf grundsätzlich Rücksicht genommen. So achtet das staatliche Protokoll beispielsweise bei mehrtägigen Konferenzen darauf, dass es zwischendurch freie Zeit zum Kleidungswechsel oder Zeit für kurze Ruhephasen gibt, und dass die Fußwege oder Stehzeiten nicht unangemessen lang sind. Darüber hinaus gibt es bereits im Vorfeld von Freiluftprogrammen Hinweise auf anzuratende Kleidung, wie beispielsweise temperatur- und witterungsangepasste Kleidung sowie entsprechendes Schuhwerk bei Stadtrundgängen über schwieriges Kopfsteinpflaster. Bei längeren Veranstaltungen werden nach Möglichkeit Transportmittel und Sitzgelegenheiten bereit gestellt."

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LEUTE

Koji Matsuzaki, Bürgermeister der Kleinstadt Obama in Japan, hat mit seinen Bürgern den Amtsantritt von Barack Obama bejubelt. Die japanische Hafenstadt feierte den neuen US-Präsidenten mit Tempelglocken und der Hula-Tanzgruppe "Obama Girls", die am Dienstag den eisigen Temperaturen trotzte. "Seit den Vorwahlen der Demokratischen Partei haben wir auf diesen Tag gewartet, um uns mit Ihnen freuen zu können", sagte Matsuzaki an den Präsidenten gerichtet. Er lud Obama ein, bei einem möglichen Japan-Besuch auch in seiner Namensvetter-Stadt Station zu machen.

Bernd das Brot, Trickfilmfigur, ist von Hausbesetzern entführt worden. Die Zwei-Meter-Plastik wurde von ihrem Platz am Erfurter Rathaus entfernt. Das griesgrämige Kastenbrot wirbt für den Sender Ki.Ka, der in Erfurt seinen Sitz hat. Die Stadt hatte zuvor erfolglos versucht, den Hausbesetzern eine alternative Immobilie anzubieten, was diese ablehnten. In einem Schreiben der Entführer hieß es, "Bernd das Brot" werde "zu gegebener Zeit" wiederkommen. Foto: ddp

Giulia Siegel, 34, Ex-Model, hat nach der Ablehnung durch ihre Mitbewohner im Dschungelcamp zweifelhafte Schützenhilfe von ihrer Mutter Dunja Siegel erhalten.

Giulia habe die Fähigkeit, Deutschlands bedeutendste Showmasterin zu werden, sagte Dunja Siegel der Illustrierten Bunte. Sie sei "blond, attraktiv, mehrsprachig und schlagfertig. Schon deshalb ist sie für mich die ideale Nachfolgerin für Thomas Gottschalk bei ,Wetten dass?'."

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17-Jährige verklagt Klinikum Oldenburg

Oldenburg - Eine 17 Jahre alte Frau soll am Klinikum Oldenburg ihr Kind ohne medizinische Begleitung auf einer Toilette zur Welt gebracht haben. Ihr Anwalt Uwe Schliedermann hat eine Strafanzeige gegen die Klinik gestellt. Das Kind, ein 690 Gramm leichter Junge, habe keine körperlichen Schäden erlitten. Er wurde nach der Geburt auf der Intensivstation betreut. Die im sechsten Monat schwangere Frau war dem Anwalt zufolge am 7. Januar mit Beschwerden in das Krankenhaus gekommen. Sie sei nur an einen Wehenschreiber angeschlossen worden, sonst habe sich zwei Stunden lang keiner um sie gekümmert. "Sie ist immer wieder vertröstet worden", so Schliedermann. Eine Klinik-Sprecherin erklärte, die junge Frau sei untersucht und betreut worden, aber zur Toilette gegangen, ohne dem Personal Bescheid zu sagen. dpa

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"Das rasche Verbot ist richtig"

Der Suchtmediziner Michael Musalek über die Modedroge Spice, die von diesem Donnerstag an in Deutschland illegal ist

Die Modedroge "Spice" ist per Eilverordnung durch das Bundesgesundheitsministerium verboten worden. Damit ist jede Form der Herstellung, des Handels und des Besitzes nach dem Betäubungsmittelgesetz untersagt. Michael Musalek leitet das Anton-Proksch-Institut in Wien, die größte Suchtklinik Europas, und hat sich intensiv mit Spice befasst.

SZ: Herr Musalek, Spice ist von nun an in Deutschland eine verbotene Substanz, das Bundeskriminalamt warnt eindringlich vor der Droge. Wie schätzen Sie die Gefahr ein?

Musalek: Sehr hoch, darum ist das rasche Verbot auch der richtige Weg. In Spice befinden sich Substanzen, die psychoaktiv sind, also Veränderungen der Psyche und des Bewusstseins zur Folge haben. Vom Wirkprofil ist es wie eine Mischung aus einem Opioid und einem Cannabinoid. Erst wirkt Spice euphorisierend und nach kurzer Zeit schon sedierend, wie das bei Cannabis erst in sehr hohen Dosierungen auftritt. Ein Joint mit Spice wirkt fünf- bis zehnmal stärker als einer mit der gleichen Menge Marihuana.

SZ: Wissenschaftler der Universität Freiburg haben bereits herausgefunden, dass Spice ein hochwirksames synthetisches Cannabinoid enthält. Lässt sich mit dieser Erkenntnis die Droge eher in den Griff kriegen?

Musalek: Dieser Wirkstoff ist zwar jetzt bekannt, aber Spice bleibt eine Black Box, man weiß also nicht genau, was sich dahinter verbirgt. Das große Problem ist, dass man es bei so einer Kräutermischung mit vielen Interaktionen einzelner Substanzen zu tun hat, die völlig unabsehbar auf den jeweiligen Körper wirken. Zudem weiß man nicht, mit welchen chemischen Stoffen die Mischung noch versetzt wird. Schon bevor klar war, was sich hinter Spice verbirgt, wussten wir: Es muss etwas Hochwirksames sein.

SZ: Spielt Spice auf den Stationen Ihrer Suchtklinik eine Rolle?

Musalek: Die Droge ist gerade mal ein Jahr auf dem Markt, es gibt noch keine Studien zum Suchtpotenzial, Abhängigkeitsfälle sind bislang nicht bekannt. Wir haben in unseren Drogenambulanzen eine Umfrage gemacht, wer von den Drogenabhängigen Spice nimmt - wir haben keinen gefunden. Opiat- und Kokainabhängige nehmen es nicht zusätzlich.

SZ: Wer konsumiert Spice dann?

Musalek: Es sind vor allem Jugendliche, die sonst keine Drogen zu sich nehmen. Die glauben, dass alles, was in der Natur vorkommt, gesund ist. Dass es also gesunde, biogene Drogen gibt. Viele der Konsumenten sagen, sie würden niemals Cannabis nehmen, da würden sie mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Das ist das Gefährliche an Spice: Es wird ein komplett neuer Sektor von Konsumenten aufgemacht. Damit wird eine Droge, die von der psychoaktiven Wirkung her als gefährlich einzustufen ist, bagatellisiert.

SZ: Bislang griffen manche Konsumenten zu Spice, weil man das per Bluttest nicht nachweisen konnte. Man riskierte also nicht seinen Führerschein.

Musalek: Da man nun dieses Cannabinoid gefunden hat, kann man es mit einem Bluttest nachweisen. Wenn man allerdings die Zusammensetzung von Spice geringfügig verändert, ist es nicht mehr nachweisbar - und auch nicht verboten. Dieses Problem kennt man vom Doping - man läuft immer einen Schritt hinterher.

SZ: Kann ein Verbot eine Modedroge wie Spice eindämmen?

Musalek: Wenn es europaweit durchgesetzt wird, gehe ich davon aus, das es Wirkung zeigt. Dann werden die professionellen Händler sich etwas anderes suchen. So gut ist die Substanz nicht, dass sie eine Chance am Schwarzmarkt hätte.

Interview: Claudia Fromme

Michael Musalek. Foto: oh

Illegales Kraut: Die Modedroge Spice ist fortan verboten. Foto: dpa

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Kälte hinter der "Bilderbuchfassade"

Anklage fordert elf Jahre Haft für die Pflegemutter der getöteten Talea

Wuppertal - In dem Prozess um den gewaltsamen Tod der fünfjährigen Talea hat die Staatsanwaltschaft für die angeklagte Pflegemutter eine elfjährige Freiheitsstrafe wegen Totschlags beantragt. Nach 14 Verhandlungstagen vor dem Wuppertaler Schwurgericht hielt Staatsanwalt Heribert Kaune-Gebhardt die 38-jährige Angeklagte Kaja G. aufgrund einer Vielzahl belastender Indizien für überführt, am 18. März 2008 ihre Pflegetochter getötet zu haben.

Vermutlich als Bestrafung für das Einnässen habe die Angeklagte das Mädchen kalt abgeduscht und ihr dabei Mund und Nase zugehalten, um die Schreie zu ersticken, erklärte der Ankläger am Mittwoch. Anschließend habe die Pflegemutter die reglose Talea in die Badewanne mit dem kalten Duschwasser gelegt. Dort ist das Kind nach Feststellung der Gutachter schließlich an Unterkühlung gestorben. Staatsanwalt Kaune-Gebhardt sieht bei der Pflegemutter "keinen direkten, aber einen bedingten Tötungsvorsatz", weil sie den Tod von Talea "billigend in Kauf genommen" habe. Damit habe sich Kaja G. eindeutig des Totschlags schuldig gemacht. Für einen Mord habe die Beweisaufnahme aber keine Hinweise erbracht.

Bei der Erziehung ihres Pflegekindes, aber auch ihrer beiden leiblichen Kinder ist die Angeklagte nach Erkenntnis der Staatsanwaltschaft häufiger gewalttätig geworden. Zeugen hätten die Pflegemutter als "gefühlskalt, aufbrausend und aggressiv" geschildert. Kaja G. sei es bis zu ihrer Festnahme gelungen, um ihre Person "eine Bilderbuchfassade" zu errichten, sagte der Staatsanwalt. "Dieser Scheinwelt" sei offenbar aus das Jugendamt erlegen gewesen. Dessen Mitarbeitern seien bei der Auswahl von Taleas Pflegemutter keine Fehler anzulasten.

Dagegen warf die Nebenklägerin, die die leiblichen Eltern Taleas vertritt, dem Jugendamt vor, bei Hausbesuchen der Pflegemutter nicht intensiv genug "geprüft und nachgeforscht" zu haben. Die Nebenklage beantragte eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren. Dagegen hält die Verteidigung die Angeklagte für unschuldig. Der Tod Taleas sei durch "ein Unfallgeschehen" verursacht worden.

Johannes Nitschmann

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HEUTE

FEUILLETON

Dada kommt noch wer!

Michael Lentz' Phantasiestück "Warum wir also hier sind" Seite 11

FILM

Meister der tickenden Uhr

Mit "Operation Walküre" zeigt Hollywood sein Recht auf Geschichte Seite 10

LITERATUR

Der Ernst der Revolution

Edmundo Desnoes' Roman "Erinnerungen an die Unterentwicklung" Seite 12

MEDIEN

"Die Autotür öffnet sich"

Barack Obamas Amtseinführung im deutschen Fernsehen. Seite 13

WISSEN

Blüten der Forschung

Startet das umstrittene Algen-Experiment im Südpolarmeer doch? Seite 14

www.sueddeutsche.de/kultur

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Schweizer Rankingschmiede

Die ETH Zürich erstellt (k)eine Liste der besten Gymnasien

Der mathematische Fetisch der Moderne ist die Statistik, deren erfolgreichste Unterarten wiederum die Tabelle oder das Ranking, also die kompetitive Statistik ist. Schicksale ganzer Universitäten können heute davon abhängen, auf welchem Platz sie im jährlichen Shanghai-Ranking landen. Wer das Shanghai-Ranking noch nicht kennen sollte: Die Universität Jiaotong in Shanghai hatte vor 10 Jahren die Idee, eine Liste der 500 weltweit besten Universitäten aufzustellen. Für das Shanghai-Ranking werden alle Publikationen aller Fakultäten in einen Mixer geworfen, mit dem durchschnittlichen Betreuungsverhältnis gemischt und dann mit der Anzahl der Nobelpreise der Professoren verrechnet, kein Witz. Auf Rang eins landet meist die Harvard University. Dabei ist das erste, was man als Student in Harvard lernt: Belege nie einen Kurs bei einem Nobelpreisträger, die müssen dauernd auf CNN die Weltlage kommentieren, bei David Letterman ihr neues Buch promoten oder in Stockholm ihren Preis abholen.

Mittlerweile gibt es hunderte verschiedener Universitätsrankings und -statistiken, auf deren Ergebnisse Politiker und Rektoren so ängstlich starren wie das Kaninchen auf die Schlange. Wen wundert's, wer oben ist, bekommt mehr Geld, mehr Reputation, bessere Leute. Dass deshalb freilich "Rankings erst die Wirklichkeit erschaffen, die sie zu untersuchen vorgeben", wie der Bamberger Soziologe Richard Münch es ausdrückt, ficht kaum jemanden an.

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Unter den deutschsprachigen Universitäten führt seit Jahren die Eidgenössiche Technische Hochschule (ETH) Zürich die Rankings an, zwar torkelt sie, je nach Bewertungsschlüssel der verschiedenen Listen, auf dem internationalen Parkett zwischen den Plätzen 4 und Platz 60 umher, im Durchschnitt aber steht sie klar und unangefochten vor der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität da, die meist den zweiten Platz belegt.

Ebendiese ETH geht nun einen Schritt weiter und gibt den mit jedem Ranking verbundenen Image-Druck weiter an die Gymnasien: Lange schon regen sich Vertreter der ETH darüber auf, dass sie, anders als die amerikanischen Elite-Universitäten, die so schwere wie undurchschaubare Aufnahmeverfahren veranstalten, jeden Abiturienten annehmen müssen, der sich bei ihnen einschreibt. Dazu muss man wissen, dass in der Schweiz jeder Abiturient studieren kann, wo und was er will. Den Universitäten passt das lange schon nicht, sie sieben in den ersten Semestern stark aus.

Die ETH untersuchte nun, welche Faktoren einen Studienerfolg an der ETH positiv beeinflussen. Dafür wurde der Zusammenhang zwischen Abitur- und Zwischenprüfung nach Gymnasien aufgeschlüsselt. Die ETH-Rektorin Heidi Wunderli-Allenspach betonte zwar bei der Präsentation, dass diese Studie kein Ranking darstelle, erklärte aber gleichzeitig, dass der Erfolg an der ETH stark "von der gymnasialen Herkunft" abhänge und präsentierte die Ergebnisse in Form einer Tabelle, in der die Schulen in einer Reihenfolge aufgelistet werden, die erfolgreichsten oben, die erfolglosesten zuletzt. Die NZZ schrieb am Tag nach der Präsentation, im Saal habe sich in Windeseile "Ranking-Stimmung" breitgemacht. Ranking-Stimmung, ein düsterauratisches Kompositum, das hat was von Lynch-Justiz oder Panik-Verkäufen.

Besagte Stimmung muss dann über Nacht durch die ganze Schweiz geschwappt sein: Dass die Liste auf absurd dünnen Beinen steht (es wurden nur die Schulen gelistet, von denen 30 oder mehr Schüler in den letzten vier Jahren zur Basisprüfung der ETH angetreten sind), ging fast überall unter, die meisten Medien stellten die Untersuchung schlicht als "Liste der besten Gymnasien" (Sonntagszeitung) vor - und viele verschreckte Rektoren können sich nun kaum noch retten vor Anrufen panischer Eltern, die fragen, warum die Schule ihres Kindes nur auf Rang 40 stehe. ALEX RÜHLE

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Das Lied von Erneuerung und Buße

Der von Obama beschworene Neuanfang ist das Leitmotiv der amerikanischen Geschichte

Es ist noch viel zu früh, um Barack Obamas Antrittsrede ihren Platz in der Geschichte zuzuweisen. Ihre Wucht und Eloquenz wird nur zählen, wenn Präsident Obama seine Worte mit Taten untermauert. Eines bliebt jedoch von dieser Rede - es ist das Erlösermotiv von der Erneuerung, das die Buße und die Reinwaschung von allen Sünden in sich birgt. Denn dies ist das Leitmotiv der amerikanischen Geschichte, der heilige Bund, der die ersten protestantischen Siedler der Neuen Welt gemäß ihres Dogmas zu Gottes Auserwählten machte, die in der Erneuerung sein Werk vollenden wollten. Es war schon immer ein großes Versprechen. Ein Versprechen, das Amerika zur Projektionsfläche machte für Ambitionen, Sehnsüchte und Träume von Menschen in und aus aller Welt.

Bisher hat das ganz gut funktioniert. Keine Gesellschaft hat sich so oft gewandelt wie die amerikanische Nation. Es war das historisch einmalige Zusammenspiel aus der gleichzeitigen Wandlung von außen und innen. Es war der stete Zustrom der Einwanderern, die ihre neue Heimat nach eigenen Vorstellungen gestalteten. Es war aber vor allem der Wandel von innen, der nach dem Credo der Calvinisten und Puritaner nach der Auserwählung der Dreieinigkeit nur vom Sünder selbst herbeigeführt werden kann. Es ist dieser aktive Weg der Buße durch Handeln, der jenem Unternehmergeist zu Grunde liegt, für den die Welt Amerika so bewundert.

Viele Beispiele findet man in der Geschichte Amerikas, die belegen, dass sich die Nation immer wieder von ihren Sünden befreit hat. Es waren of t schmerzhafte Prozesse. Der größte Makel der Nation, die Verschleppung der Sklaven aus Afrika und ihre Ausbeutung, wurde in einem Bürgerkrieg getilgt, der von 1861 bis 1864 über eine halbe Million Menschenleben kostete und die junge Nation fast gänzlich zerstört hätte. Die Last des europäischen Erbes warf Amerika ab, als es in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts als Sieger hervorging. Die Sünden der Industrialisierung bezahlte Amerika mit dem Kraftakt von Franklin D. Roosevelts "New Deal". Aus den Wirren und dem Chaos der Bürgerrechtsära tat die amerikanische Gesellschaft Riesenschritte, auf denen ihnen der Rest der Welt folgte. Selbst der technologische Kraftakt der Mondfahrten wurde so zum Akt der Erlösung, den die Fernsehserie Raumschiff Enterprise dann mit dem Leitspruch ihrer Sternenflotte aufnahm: "Per aspera ad astra". Durch das Raue zu den Sternen.

Letztlich war die nun schon seit 1968 andauernde Herrschaft der konservativen Kräfte in den Augen ihrer Anhänger auch nichts anderes, als eine gewaltige Erneuerungsbewegung. George W. Bushs Chefstratege Karl Rove hatte das ganz deutlich gesagt. Das historische Vorbild der Republikaner sei Franklin D. Roosevelt, hatte er gesagt, ein Präsident, der die amerikanische Gesellschaft von Grund auf verändert und der die Macht seiner Partei auf über drei Jahrzehnte zementierte. Roosevelt hatte die Regierung zu einem Zeitpunkt übernommen, als Amerika auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise fast die Hoffnung verlor. Auch Roosevelt verstand es meisterlich, das Erlösungsmoment zu beschwören. In seinen "Fireside Chats", den Kamingesprächen im Radio, erklärte er den Bürgern nicht nur die komplexen Maßnahmen seines Krisenmanagements, sondern appellierte auch an ihren Willen zur Erneuerung.

Für die konservative Revolution, die ihren ersten Anfang in Nixons Wahl 1968 nahm, war der Sündenfall der Nachkriegszeit die Entfesselung all jener Kräfte, die mit dem Sozialstaat, der sexuellen Befreiung und der legalen Abtreibung ein Regime der Hölle auf Erden installierten. Roosevelts New Deal, Kennedys Bürgerrechtsgesetze und Johnsons Great Society wollten sie revidieren. Da passte selbst der traumatische 11. September ins Bild der Erneuerung. Bush inszenierte sich auf den rauchenden Trümmern als Phoenix aus der Asche und erklärte seine Kriege zur Feuertaufe.

Doch hier geriet die Erneuerung zum neuen Sündenfall. Eine ganze Litanei sprach Obama in seiner Rede an - den Abbau der Bürgerrechte, die Folter, die Angriffskriege, die menschenverachtende Ignoranz nach dem Hurrikan Katrina. All diese Sünden, so belehrte Obama seine Bürger, könnten nur sie selbst tilgen, um die Nation wieder zu jener Größe zu führen, die sie verdient und die sie zum Führer einer freien Welt macht.

Ein so offenes Bekenntnis zu Buße und Erneuerung ist ungewöhnlich für einen Präsidenten, der erst Minuten vorher seinen Amtseid geschworen hat. Es zeigt, in welch tiefer Krise sich Amerika befindet, dass Obamas Worte die Menschen zu Tränen rührten. Er hat nun den Weg aufgezeigt, die großen Selbstzweifel der letzten Jahre und Monate zu überwinden und sich über den Sündenpfuhl einer zutiefst korrupten Regierung zu erheben.

Doch noch ein Motiv der christlich gefärbten amerikanischen Mythologie schwingt hier mit. Es ist die Erlösung nicht nur von den Sünden, sondern auch vom Leid. Das aber ist ein afroamerikanisches Motiv, das seine Wurzeln im Abolitionismus findet, jener Befreiungsbewegung, die die Quäker anstießen. Da hört man nicht nur die wortgewaltigen Prediger der amerikanischen Jahrhunderte in Obamas Worten, sondern jene Klage, die der Reggae-Sänger Bob Marley auf den Punkt brachte, als er seinen "Redemption Song" dichtete, sein Lied von der Buße, in dem er die Befreiung von der Sklaverei als Allegorie für die Befreiung des menschlichen Geistes benutzte.

Ähnlich wie Bob Marley bediente sich Obama bei seiner Antrittsrede einer altmodischen, historisierenden Sprache. Ein großer Anspruch steckt hinter solchen Gesten. Der Zeitpunkt wäre günstig, denn auch in Amerika schwingt das Pendel der Geschichte viel zu langsam und schwerfällig, als dass ein Mann alleine die Richtung schon ändern könnte. Doch das Pendel hat schon gebremst. Den Umschwung aber kann gerade ein Präsident beschleunigen, den seine Bürger schon als Erlöser von historischer Konsequenz akzeptiert haben.

ANDRIAN KREYE

Durch das Raue zu den Sternen - selbst in der Raumfahrt findet sich das Motiv der Erneuerung durch Buße. Foto: Nasa, Getty Images

Schon im Wahlkampf zündete das Bild vom Erlöser Obama. Bild: flickr

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"Tiefer geht's nicht mehr"

Der Theatermacher Hubsi Kramar will in Wien den Fall Fritzl auf die Bühne bringen und stößt deshalb auf Empörung

"Skandal!", ruft es in Wien aus allen Ecken, und dass dieser Hubsi Kramar dringend gestoppt werden müsse, ein Theatermacher, der vor politischen Provokationen nicht zurückschreckt und deshalb schon lange als schwarzes Schaf der Wiener Theaterszene dem Establishment zum roten Tuch wurde.

Kramar? Der war doch im Jahr 2000 beim Opernball in Hitler-Maske aufgetreten und verhaftet worden! Und dieser Provokateur verspricht jetzt in seinem gering subventionierten "3raum-Anatomietheater" mit dem Stück "Pension Fritzl" für Ende Februar eine Satire über jenen Mann, der seine Tochter im niederösterreichischen Amstetten 24 Jahre lang in einem Keller gefangen hielt, sie vergewaltigte und dabei sieben Kinder zeugte. Der Titel des Abends bringt die Taten des Monsters in Schwanknähe, gleich neben die beliebte "Pension Schöller". Und dann der Untertitel! "Im Keller unterm Teppich: Tiefer geht's nicht mehr. Einfach: Nieder-Österreich". "Besudelung" und "Ekel" ruft es aus allen Ecken, und schon haben die Skandalblätter einen neuen Fall: den Fall Hubsi Kramar, der angeblich ständig mit einem Skandal Kasse machen will. Und vermutlich auch noch Österreich beschimpfen wird. Ein Fall für die Wiener Revolverpresse, die sofort zur Jagd ansetzt.

Zunächst muss klar gemacht werden, dass dieser Theatermacher nicht mehr zu uns Bürgern gehört, weshalb man Herrn Kramar als "Herrn" Kramar in Anführungszeichen auftreten lässt. In seinem Theater, heißt es, werde ein "Ekel-Camp" installiert. Außerdem sei dieser "Herr" ein "Schmierenkomödiant", der nur "aus den Niederungen seines bedeutungslosen schauspielerischen Unvermögens" auszubrechen versuche.

"Sie sind ekelhaft"

"Nein, ,Herr' Kramar", dröhnt ein gewisser Jeannée, früher Klatschreporter - und in Sachen Theater unzuständig -, in der Kronenzeitung, "Sie sind kein Ekel, Sie sind ekelhaft." In seiner Kolumne "Post von Jeannée", die der "Post von Wagner" in der Bild-Zeitung vergeblich nacheifert, wird der angebliche Besudeler besudelt, nach dem Motto: Was du kannst, können mir scho' lang! Solche Selbstentblößungen Wiener Journalisten gehören in solchen Fällen zur Regel und werden zum eigentlichen Skandal.

Denn das Merkwürdige an dem verheerenden Gezeter, in das vor allem auch die Wiener Gratiszeitung heute einstimmt, ist, dass niemand dieses so unerhört unanständige Stück kennt. Es kann auch keiner kennen, weil der Text, wie Hubsi Kramars PR-Vertretung mitteilt, noch gar nicht existiert. Kramar wird den Abend in den nächsten Wochen mit seinen Schauspielern erarbeiten. Es sind also nichts als Vorurteile, die zu einer Vorverurteilung führen. Jeannée wirft mit faulen Eiern ins Leere. Während er Kramar als "ekelhaft" und irgendwie gescheitert hinstellt, wird derselbe im Guardian als "Harvard-educated artist" bezeichnet, was nun ausnahmsweise einmal der Wahrheit entspricht. Man verstand Wiener Künstler im Ausland schon immer besser als vor Ort, was auch in diesem Fall zu beweisen sein wird, denn das Medienecho reicht bis nach Australien.

Auch der Wiener Kulturstadtrat Mailath-Pokorny wird schon wegen der 150 000 Euro Subvention für Kramars Theater angegriffen, die rechte FPÖ will im Grunde Kramars Theater schließen, und Leserbriefschreiber fordern die Rettung Österreichs. Wer "Hubsi", wie ihn seine Fans nennen, kennt, sieht erschüttert, was da für Stroh gedroschen und welches Blech geredet wird. Hubsi Kramar ist ein politisch engagierter Theatermann, der unserer zeitgenössischen Glatze keine Locken dreht. Ihn interessiert kein Berliner Theatertreffen und kein großes Geld. Er will noch immer politisches Theater machen, ist aber kein Fanatiker, sondern der absolut Unmögliche: ein Aufrechter in Wien, ein Arbeiter gegen das österreichische Verdrängen

Wer Kramars Arbeit kennt, weiß, dass ihn am Amstettener Fall nur die Opfer interessieren und vor allem der Umgang der Medien mit ihnen. Man darf davon ausgehen, dass es ihm bei "Pension Fritzl" um Medienkritik geht. Und da ist es dann im Grunde ganz hervorragend, dass die Jeannées sich erneut entblößen: Sie selber schreiben Kramars Stück. Denn wenn irgendwer den Fall Fritzl ohne Ende ausgeschlachtet hat, dann waren es die Medien. Obwohl es das Stück also noch nicht wirklich gibt, darf man sagen: Der erste Akt ist spektakulär gelungen. HELMUT SCHÖDEL

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Die große Chance beim Bauen

Das neue Konjunkturprogramm könnte auch die Bildung fördern

Lünen an der Lippe könnte man zum Ruhrgebiet zählen. Und auch zum Münsterland. Aber als Hauptstadt Skandinaviens war Lünen bislang unbekannt. Obwohl das, wenn schon nicht in geographischer, so doch in pädagogisch-architektonischer Hinsicht durchaus denkbar wäre. Denn in Lünen gibt es die Geschwister-Scholl-Gesamtschule, entworfen vom Architekten Hans Scharoun (1893 - 1972). Diese Schule, die etwa 50 Jahre alt und entsprechend sanierungsbedürftig ist, gehört zu den wenigen deutschen Schulen, die aus Gründen der Architektur für den Pisa-Schock nicht haftbar zu machen sind. Im Gegenteil: Die Schule, die sich fast organisch um kleine, überlegt situierte Plätze, Höfe oder gassenartig ausgebildete Verkehrsachsen gruppiert, gehört zu den beispielhaften Pädagogik-Bauwerken Deutschlands.

Der Bau, der statt öden Klassenzimmern intime, identitätsstiftende Klassenwohnräume beherbergt, ist in Deutschland im Fach "Architektur des Wissens" vermutlich der Klassenprimus. Wenn es stimmt, dass die skandinavischen Länder auch deshalb die besseren Schüler haben, weil sie motiviertere Lehrer und Schüler kennen, dann sollte man sich neben dem Schulsystem auch die Schulen als Lern-Gebäude betrachten. In einem schwedischen Sprichwort ist von den drei zur schulischen Ausbildung nötigen "Lehrern" die Rede. Der erste Lehrer, das seien die Mitschüler; der zweite Lehrer, das sei der eigentliche Lehrer; der dritte Lehrer aber, das sei der Raum. Der dritte Lehrer ist also die Kunst, eine Schule so zu gestalten, dass darin in idealer Weise gelehrt und gelernt werden kann. Es ist nicht zuletzt auch die Architektur, welche die Wissensgesellschaft der Zukunft konstituiert.

Lünen tut deshalb gut daran, dass die Geschwister-Scholl-Gesamtschule demnächst für etliche Millionen Euro ertüchtigt wird. Zu danken ist das der Stadt, dem Land - aber vor allem der Wüstenrot-Stiftung, die dafür einen Millionenbetrag zur Verfügung stellt. Dabei ist es reiner Irrsinn, dass eine solch zeichenhafte, nicht nach Normen, sondern in pädagogischer Absicht erbaute Schule auf privatwirtschaftliche Zuwendungen angewiesen ist. Beziehungsweise: es war reiner Irrsinn, denn nun zielt ein nicht geringer Teil des aktuellen Konjunkturpakets der Bundesregierung auf die vielerorts überfällige Sanierung der Kindergärten und Tagesstätten, der Schulen und Universitäten. Und anders als bei der verfehlten Abwrackprämie, die alte, umweltdumme Motoren zur Schrottpresse begleitet, damit die gleichen umweltdummen Motoren neu gekauft werden können, zielt die Sanierung von Lernorten auf die Zukunftsfähigkeit Deutschlands.

Räume verändern Menschen

Es sei denn: Man fummelt nur an den Wärmedurchgangskoeffizienten maroder Fenster oder an den hygienischen Bedingungen moosiger Aulen herum. Anders gesagt: Wenn, wie geplant, nur die Verbesserung der Energieeffizienz berücksichtigt werden soll, um der darniederliegenden Bauwirtschaft und dem Handwerk auf die Beine zu helfen, dann bliebe eine große Chance auf dem Boden. Die Möglichkeit nämlich, aus den falschen, überlasteten Grundrissen, die aus Kindergärten, Schulen und Hochschulen bürokratisch optimierte Aufbewahranstalten gemacht haben, Orte der Zukunft zu schälen. Das Konjunkturprogramm sollte auf dem Terrain der Infrastrukturmaßnahmen mehr sein als eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme: Es sollte baukulturell ehrgeizig sein und versuchen, alte Fehler mit neuen architektonischen Mitteln zu heilen. Es geht also nicht nur um das sehr wichtige Ziel der Energieeffizienz, sondern um das gleichrangige Ziel der angemessenen, humanistisch ausstrahlenden Räume. Erst baut der Mensch Räume, heißt es, dann bauen Räume Menschen. Das Konjunkturprogramm, das solches ernst nimmt, darf sich nicht allein für Wärmedämmverbundsysteme interessieren - sondern muss die Architektur bemühen.

Das Konjunkturprogramm ist deshalb auch eine einmalige Chance für die seit Jahren mit ihrer eigenen Krise befasste Architektenschaft. Zur Erinnerung: Während die Arbeitslosigkeit für Akademiker in den vergangenen Jahren stets zwischen drei und vier Prozent lag, waren schon vor neun Jahren 12,2 Prozent der Architekten arbeitslos, 2003 waren es 16,1 Prozent - und 2005 gar 16,6 Prozent. Hier liegt etwas brach, was die Gesellschaft für sich nutzen könnte. Zum Beispiel zur Beantwortung der Frage, wie sich aus einem Land der verödeten öffentlichen Räume ein Lebensraum gewinnen lässt, in dem es sich lohnt, gegen Krisen anzudenken und anzuarbeiten.

Der BDA, Bund Deutscher Architekten, ist daher im Recht, wenn er nun in einem öffentlichen Aufruf fordert, das "Konjunkturprogramm für eine Bildungsoffensive zu nutzen", indem man die gestalterische Aufwertung von Schulen und Hochschulen betreibt. Und auch die Bundesstiftung Baukultur verbindet mit dem Konjunkturpaket der Bundesregierung die "Mahnung, bei den anstehenden Baumaßnahmen die baukulturelle Qualität nicht aus den Augen zu verlieren". Würde man das ernst nehmen, dann ginge nicht nur die Architektur aus der Krise gestärkt hervor - sondern womöglich auch die Zukunft selbst: in Form jener Lernenden und ihrer Kindeskinder, die die Kosten des Konjunkturprogramms erst noch erwirtschaften müssen. GERHARD MATZIG

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Google scheitert offline

Der Internetriese Google ist bei dem Versuch, seine Dominanz bei der Online-Werbung auf den Printbereich auszuweiten gescheitert. Vom 28. Februar an wird das Unternehmen keine Print-Anzeigen für US-Zeitungen mehr verkaufen, wie der verantwortliche Direktor Spencer Spinell am Dienstag in einem Internet-Blog erklärte. Als Grund nannte er ausbleibenden Erfolg. Das Projekt, bei dem Werbekunden online auf noch nicht vergebene Anzeigenplätze in den beteiligten Blättern bieten, war im Jahr 2006 mit 50 Partnerzeitungen gestartet. Aktuell umfasst das Anzeigennetzwerk rund 800 US-Zeitungen, darunter die New York Times und die Washington Post. SZ

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Völlig egal

An dem Streik von Sat-1 am Berliner Standort, der Mitternacht an diesem Mittwoch endete, sollen sich circa 300 Mitarbeiter (von 1000) beteiligt haben. Sie protestierten gegen Stellenabbau und den Umzug nach München. Nur N24 und die ehemalige Zentralredaktion bleiben in der Hauptstadt. Auswirkungen aufs Programm habe es keine gegeben, sagte Sat-1-Sprecherin Kristina Fassler - die Wetterkarte im Frühstücks-TV ausgenommen, die fehlte. Das, so Fassler, sei " völlig egal". Einen Wetterbericht habe es gegeben sowie die üblichen Live-Elemente, das Gewinnspiel etwa. SZ

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Vereint für die Kultur

Das Goethe-Institut und die Deutsche Welle wollen strategisch zusammenarbeiten. In regelmäßigen Treffen sollen gemeinsame Themen und geeignete Formate für die Präsentation der auswärtigen Kulturpolitik gefunden werden. Es gebe "keine Konkurrenzsituation", hieß es in einer Mitteilung beider Häuser. dpa

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Vereint im Kummer

Die Nachtgestalten Kai Diekmann und Henryk M. Broder

Der eine ist smart, trägt gute Anzüge zu gegelten Haaren, stand stets eher rechts von der Mitte und kann mit 44 Jahren noch Hoffnung auf weitere Karriereschritte hegen. Der andere ist klein, untersetzt, legt auf Kleidung augenscheinlich keinen großen Wert, nennt sich "links" und will mit 62 nicht mehr groß etwas werden.

Aufs Erste also eine prima Idee des Kultursenders Arte, für seine Reihe "Durch die Nacht mit. . ." den Bild-Chefredakteur Kai Diekmann mit dem Spiegel-Reporter Henryk M. Broder zu paaren. Der Gegensatz könnte mächtig Funken schlagen. Was am Ende aber bleibt, ist der Eindruck schaler Inszenierungen, die brechen.

Der Job von Journalisten ist es, andere zu befragen und zu beschreiben. Wenn sie selbst die Hauptrolle spielen, neigen sie jedoch zur Überperfektion in Wortwahl und Gestus, weil sie ja zu wissen glauben, was beim Publikum ankommt. Das macht eine TV-Nacht mit Spitzenleuten der Branche zur fortgesetzten Spiegelfechterei um das beste Drehbuch und die richtige Pointe.

Verblüffenderweise schneidet der Mann von Bild dabei besser ab. Sicher, die permanenten Controletti-Anrufe in der Redaktion ("Zu Minu gibt's noch mehr Text") mit dem roten Diensthandy machen ihn nicht sympathischer, und der Gag im Restaurant - die Wurst auf dem Teller gilt als "Pferdepimmel mit Gleitcreme" - verträgt keine Lacher. Aber es ist auch viel Nachdenklichkeit zu erkennen über die Themen von Bild: "Man muss nicht alles tun, was erlaubt ist." Als sich Diekmann angesichts des Wortschwalls seines Gesprächspartners beim ungewohnten U-Bahn-Fahren ins Schweigen rettet, wirkt er ausgesprochen menschlich.

Henryk M. Broder dagegen spielt seine Rolle als Provokateur vom Dienst mit der Manie eines Schulmeisters. In den Sechzigern hat er gegen Axel Springer demonstriert, jetzt sitzt er in der dicken Dienstlimousine des Verlagshauses und freut sich königlich. Für den Abend hat er ein Sortiment lustiger Kopfbedeckungen gewählt, etwa eine arabische Mütze, die er passend zur Lage einsetzt. Wie gehabt stichelt der Autor gegen Israel-Feindlichkeit, Gutmenschen und Political Correctness - und bringt immerhin den Witz ein, dass Diekmann bei seiner Papst-Audienz statt der "Volksbibel" vielleicht doch besser "die Mädchen von Seite eins" überreicht hätte.

Das wäre mal etwas gewesen, besser jedenfalls als das alte, etwas muffige West-Berlin, das die beiden Journalisten vorführen. Im Übrigen sind sie vereint im Kummer über die Entpolitisierung, die "Irren" im Internet, den "langweiligen Stern", die Sozialdemokratisierung fast aller Parteien - und natürlich die bösen 68er.

Am Ende der Soiree ist es gespensterleer, als das ungleich gleiche Duo durch das Druckhaus Berlin-Spandau wandelt, wo druckfrische Bild-Ausgaben über die Bänder laufen. Hier wirkt Diekmann wie die Inkarnation des Verlegers, der sagt, Zeitungsdruck zu erleben, das mache demütig. Der Polemiker an seiner Seite kann dann nur noch nicken und verabschiedet sich mit "Verehrung". Eine Kolumne auf Bild wird dem Spiegel-Mann auch nach diesem netten Abend versagt bleiben - es gibt da keinen Bedarf. "Ich hab auch meinen Broder", sagt Diekmann, "und der heißt Franz Josef Wagner." HANS-JÜRGEN JAKOBS

Durch die Nacht mit Henryk M. Broder und Kai Diekmann, Arte, 23.40 Uhr.

"Bild"-Chef Kai Diekmann (r.) liest im Blog des "Spiegel"-Reporters Henryk M. Broder, dass beide gerade durch die Nacht reisen. Foto: avanti media

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Festliche "Zeit"

An diesem Donnerstag enden für die Zeit die Feierlichkeiten zum 90. Geburtstag des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt. Der Herausgeber wird noch einmal mit einem Festakt beehrt. Da passt es der Hamburger Wochenzeitschrift (Holtzbrinck) gut, dass sie festliche Zahlen verkünden kann: Um 18 Prozent steigerte sie im Fünfjahresvergleich die Auflage auf den Höchststand von 501 394 Exemplaren (viertes Quartal 2008). Gleichzeitig nahm der Anzeigenumsatz, 49 Millionen Euro, seit 2003 um 70 Prozent zu, bei einem Gesamtumsatz in 2008 von 122 Millionen. SZ

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Lebedew kauft "Standard"

Der frühere KGB-Spion Alexander Lebedew übernimmt wie erwartet die kriselnde Londoner Zeitung Evening Standard für den symbolischen Preis von einem Pfund. Der russische Oligarch erwerbe 75,1 Prozent der Anteile des Blattes, teilte der bisherige Eigentümer Daily Mail & General Trust am Mittwoch mit. SZ

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Fernseherfolg Obama

Barack Obamas Amtseinführung haben am Dienstag in Deutschland über elf Millionen Menschen live im Fernsehen verfolgt. Die ARD erreichte zwischen 17 und 19 Uhr mit 5,08 Millionen Zuschauern den größten Marktanteil. Die zeitgleiche Livesendung im ZDF sahen 4,08 Millionen. Das RTL-Spezial schalteten 1,63 Millionen Zuschauer ein. Weitere 800 000 verfolgten Obamas Eid bei n-tv, Phoenix und N24. SZ

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Verantwortlich: Christopher Keil

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"Die Autotür öffnet sich"

Es ist vollbracht: Barack Obamas Amtseinführung im deutschen Fernsehen

Die Amerikaner gehören natürlich zu den glühendsten Verehrern des Barack Obama, aber mit den Deutschen kommen sie doch nicht ganz mit. Schon gar nicht mit jenen Deutschen, die Fernsehen machen. Und schon überhaupt gar nicht mit Dennenesch Zoudé. Für das ZDF hat sich die aus Äthiopien stammende Schauspielerin unter die jubelnde Menge auf der Washingtoner Mall gemischt. Um die Gefahr journalistischer Distanz von vornherein zu bannen, hat sie sich eine rote Obama-Fan-Kappe aufgesetzt. Die soll sie wohl auch wappnen gegen all die Begeisterungsbeben und Euphoriewellen, die sie halbminütlich an den Rand des Kollaps bringen. "Es ist vollbracht", schreit irgendwer neben ihr, als Obama den Eid geleistet hat. Zoudé bemüht sich eher zaghaft um Einordnung: "Es ist vollbracht", schreit auch sie und zeigt auf ihre Mütze.

Gut zehn Stunden ist das deutsche Fernsehen am Dienstag damit beschäftigt, den 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten ins Amt zu begleiten. Historisch ist der Anlass und entsprechend üppig die Ergriffenheit. Das Vorspiel freilich zieht sich. N-tv meldet um 16.35 Uhr "Breaking News": "U-Bahn-Züge in Washington überfüllt". Bei Phoenix spielt der Moderator mit einem Wackel-Barack. N24 verlautbart: Linken-Chef Gysi hat Obama postalisch darauf hingewiesen, seine Inauguration könne ein "Jahrtausendereignis" werden. CNN kündigt unterdessen mal wieder eine grandiose technische Neuerung an - vorübergehend ist zu befürchten, dass sich Wolf Blitzer als Hologramm auf Michelle Obamas Schoß projizieren lässt. Dann ist es doch nur ein Satellitenbild der Mall.

Verschiedene Sender erbringen den Nachweis, dass spontane Stimmungsinterviews auf der Straße verzichtbar sind. Florian Bahrdt von der ARD fragt eine schwarze Frau mit Obama-Glitzer-Hut, ob dieser Tag für sie eine "historische Dimension" habe. Die Frau teilt mit, das sei der Fall. Die Zeremonie beginnt. Die deutschen Sender trauen - im Gegensatz zu CNN - ihren Bildern nicht, dabei hat das ZDF sogar eigene. Die Kommentatoren wollen künstliche Erhabenheit herbeireden, und quatschen die echte damit kaputt. Angenehm fällt auf, wer die Stimme nicht in Dauervibrato versetzt: Steffen Seibert beim ZDF, Tom Buhrow bei der ARD. Letzterer tut sich auch mit Sachkenntnis hervor, während sich ARD-Kollegin Hanni Hüsch beim Einzug der Verfassungsrichter über "prominente US-Stars" auf der Tribüne freut. Peter Kloeppel hat sich in der guten Stunde, die RTL dem Spektakel widmet, offenbar Zurückhaltung auferlegt. Er brummt wie ein Braunbär mit Halsentzündung. Man kann gar nicht genug haben von diesem Kloeppel-Brummen.

Kurz vor sieben. Die Obamas stehen winkend auf den Stufen an der Rückseite des Kapitols, die Bushs steigen in den Hubschrauber Marine One - es ist ein großer Moment, die Nahtstelle zweier Epochen. Genau jetzt schalten die Öffentlich-Rechtlichen weg. Die ARD zeigt Die Bräuteschule, es geht um Hauswirtschaftsunterricht in den Fünfzigern. Bei CNN entschwebt der unbeliebteste US-Präsident aller Zeiten am Horizont. Bei der ARD mahnt eine gestrenge Lehrerin: "Kochen Sie stets mit Fantasie!"

Das Heute-Journal, live aus Washington. Bisher haben alle gut verborgen, dass sie frieren bei minus acht Grad. Marietta Slomka tut das nicht. Heute muss man sagen dürfen, dass sie unterkühlt wirkt. Auf ihrem Pult stehen Obama-Tassen, das ist Kinderfasching gegen den Wackel-Barack. Im Heute-Journal - und auch bei den Tagesthemen - kommt die frenetische Berichterstattung, die bis dahin von Minimalereignis zu Minimalereignis ("Die Autotür öffnet sich!") hetzte, endlich wieder zu Atem. Es gibt Auszüge aus Obamas Rede, in frischer Übersetzung, die dem Rhythmus und Ausdruck des Präsidenten gerecht wird. Und es gibt bedachte Beiträge: ZDF-Reporter Peter Kranz etwa hat inmitten des Washingtoner Wahnsinns tatsächlich intime Momente eingefangen. Frau Slomka sagt dann noch, dass die Welt wegen Obama nicht stehen bleibe.

ARD und ZDF beschließen den Abend mit viertelstündigen Zusammenfassungen. Die im Ersten heißt Obama!!!, ist aber trotzdem recht nüchtern. Die Nachrichtensender bleiben dran, beobachten die große Parade. Die Kommentatoren schlagen sich bei der Vertonung der öden Angelegenheit wacker, auch wenn sie in ihrem Übermut die eine oder andere Wissenslücke offenbaren. So zelebriert n-tv mit einigem Pathos den Moment, in dem die Obamas die Schwelle des Weißen Hauses überschreiten. Es handelt sich nur leider um die Schwelle zu dem Plastikpavillon, in dem die First Family die Parade guckt.

Frieren mit Frau Slomka

Es ist spät geworden. Beim N24-Talk Links-Rechts wird Obama mit Jürgen Klinsmann verglichen, was den Studiogast und niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff nur kurz aus dem Konzept bringt. Danach tut N24, was schon den ganzen Tag über zu erwarten war: Der Sender zeigt eine Dokumentation über Kampfflugzeuge. Es ist jetzt Mitternacht vorbei in Deutschland, und Paradenzuschauerin Michelle Obama hat sichtlich Mühe, beim Vorüberzug der hundertsten High-School-Marschkapelle Begeisterung vorzuschützen.

Solche Probleme kennen Professor Thomas Jäger und Brian Thomas bei Phoenix nicht: Seit 14.45 Uhr sind der Politkwissenschaftler und der Deutsche- Welle-Mann auf Sendung. Um 0.55 Uhr diskutieren sie immer noch mit einer Wonne, als hätten sie just in diesem Augenblick das erste Mal ein Mikro unter der Nase. Irgendwann, ein Resümee ist gefragt, sagt Jäger: "Einen grundlegenden Wandel wird es auch mit Obama nicht geben." Wohl ein Defätist. Der Professor sollte sich den wahren Stand der Dinge rasch von Dennenesch Zoudé erklären lassen. ROMAN DEININGER

Obama im Blick: Der Arbeitsbeginn des 44. US-Präsidenten war ein TV-Großereignis; hier ein Geschäft in Seoul. Foto: AP

Brummig, aber ruhig: Am Tag der Amtsübernahme wahrte RTL-Anchor Peter Kloeppel die Form. Foto: RTL

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Das Ende der Fiesta

Spaniens Traditionsblatt "El Pais" steht vor der Zersplitterung

Vor gut zehn Jahren veröffentlichte Juan Luis Cebrißn, Gründungschefredakteur der spanischen Zeitung El País, "Briefe an einen jungen Journalisten". In seinem Büchlein setzte sich Cebrißn auch mit dem Einfluss der neuen Technologien auf Medien auseinander, gestand seine "absolute Unwissenheit" über zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten ein und kam doch zu einer optimistischen Schlussfolgerung: "Es werden weiterhin fundamentale Barrieren existieren, die eine Ersetzung der diversen Funktionen verhindert, die eine Zeitung erfüllt." Gemessen an einem zweistündigen Monolog, den Cebrißn, mittlerweile 64-jähriger Vorstandschef des País-Mutterkonzerns Grupo Prisa, vor der Redaktion des Blattes in Madrid hielt, sind diese Barrieren auf immer hinweggefegt. Am Mittwoch fasste El País Cebrißns Sicht der Lage zusammen, der Einstiegssatz las sich wie eine Art Nachruf: "Die Zeitungsindustrie, die im XIX. Jahrhundert an der Hand der industriellen Revolution geboren wurde, ist am Ende."

In fünf Jahren werde es "mit absoluter Sicherheit", in zehn Jahren "wahrscheinlich" noch Zeitungen geben. Aber in 15 Jahren? "Die Sterblichkeitsrate der Zeitungen ist enorm hoch. Die Fiesta ist vorbei, für alle", so Cebrißn.

Die Beschreibung der Apokalypse dürfte auch als Disziplinierungsmittel gedacht sein. Denn der Mediengigant Prisa, dem unter anderem der Buchverlag Santilla, der Radiosender Ser oder die Sportzeitung As gehören, wackelt gewaltig. 2007 kaufte Prisa 100 Prozent der Aktien der TV-Plattform Sogecable auf, mittlerweile gilt das als gravierender Managementfehler. Der Weiterverkauf Sogecables zieht sich hin, die Schulden Prisas sind auf 5,5 Milliarden Euro angeschwollen, im März werden ebenfalls milliardenschwere Kredite fällig. Auch wegen dieser Lage gärt es bei der El País, denn sie war bei stabiler Auflage (440 000 Exemplare) auch im Krisenjahr 2008 profitabel. Nach den ersten drei Quartalen wies Prisa für El País einen Vorsteuergewinn von 43 Millionen Euro aus. Dennoch wurden mehr als 70 Arbeitsplätze abgebaut, soll die Zeitung selbst zersplittert werden.

Unter anderem kündigte Cebrißn die Fusion der Print- und Online-Redaktionen von El País an. Ein Konzept für die am 1. März beginnende Zusammenarbeit wurde allerdings nicht erläutert. Verwaltung und Druckereien wiederum werden in zwei neue Firmen ausgegliedert, unter dem Dach der Prisa-Gruppe. Die Belegschaft fürchtet, dies sei nur ein Schritt, um leichter betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen, als Vorstufe eines möglichen Verkaufs. Nach einem Streik im Dezember sind auch für Februar neuerliche Ausstände einberufen worden.

Restrukturierung sei der einzige Überlebensplan, sagt Cebrißn. Der Streik sei ihm weitgehend einerlei. Zumal die Zeitung immer weniger zum Prisa-Ergebnis beitragen werde. Subtext: Ein bislang für ausgeschlossen gehaltener Verkauf des Flagschiffs dürfte immer leichter fallen. Interessenten für das angebliche Verfallsprodukt hat es bereits gegeben. Vor ein paar Monaten soll der mexikanische Milliardär Carlos Slim aufgemerkt haben, der sich gerade bei der New York Times engagiert. JAVIER CÁCERES

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Testwerte bleiben geheim

Armstrongs Furcht

Als gläserner Athlet werde er zurückkehren, das hatte Lance Armstrong im Herbst versprochen, als der Rekordsieger der Tour de France sein Comeback bestätigte. Doch von dem Vorhaben ist, nicht ganz unerwartet, wenig übrig geblieben. Zunächst hatte sich der Texaner ja geweigert, seine 2005 nachträglich analysierten Positivtests auf Epo von der Tour 1999 erneut kontrollieren zu lassen. Seine sehr spezielle Begründung lieferte er jetzt übrigens nach, dem Tourblatt L'Equipe (das den Vorgang 2005 publizierte, Armstrong jetzt aber hofiert) antwortete er auf die Frage nach seiner Weigerung: "Weil ich nie betrogen habe, nicht 1999, 2000, 2005 oder 2009."

Ziemlich einleuchtend also, für ihn jedenfalls, und plötzlich steht für ihn auch nicht mehr wirklich zur Debatte, seine aktuellen Testerresultate ins Internet zu stellen, wie er es angekündigt hatte. "Was soll man da veröffentlichen?", entgegnete er am Rande der Tour Down Under in Adelaide, schließlich könnten nach längerem Höhentraining oder Krankheiten seine Hämatokritwerte markant differieren. "Und vielleicht nicht jeder, aber doch einige würden dann sagen: ,Er ist hoch von 41 auf 46, das ist nicht normal!'". Die - in dem Fall ja wissenschaftlich leicht zu widerlegende - Nachrede einiger weniger hält den 37-Jährigen demnach davon ab, wenigstens etwas Vertrauen des Publikums zurückzugewinnen. Als erster Radprofi hat der deutsche Kronzeuge Patrik Sinkewitz seine Werte ins Netz gestellt, der frühere Fuentes-Kunde Ivan Basso zog nun nach. Armstrong? Fürchtet sich.

Entwertet ist die als unabhängig titulierte Kontrollarbeit des US-Wissenschaftlers Don Catlin, der Armstrong angeblich ständig testet. Ohnehin wirkt Catlin wie ein industrieller Massendienstleistler, sein Institut ADSI kontrolliert neben Armstrong die Teams Columbia und Garmin. Kontrollierte bezahlen den Kontrolleur: das klingt nur logisch. abur

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Falscher WM-Teilnehmer?

Streit um Australien

Varazdin (dpa) - Bei der WM in Kroatien ist Australien wieder nur Punktelieferant, in Funktionärskreisen aber liefert der Handball-Exot Zündstoff. Am Rande des Weltturniers sind Diskussionen über die Teilnahme der Mannschaft entbrannt. Anlass ist der Ausschluss Ozeaniens als Kontinentalverband aus dem Weltverband IHF im Oktober auf der Ratssitzung in Herzogenaurach. Laut IHF-Generalsekretär Peter Mühlematter ist dies ein Verstoß gegen die Satzung, weil nur der Kongress eine solche Entscheidung hätte treffen können. Die Australier haben in den ersten drei WM-Partien in der Vorrundengruppe A in Osijek 130 Gegentore kassiert. Nun wird darüber diskutiert, ob der Meister eines nicht anerkannten Kontinentalverbandes überhaupt hätte teilnehmen dürfen. "Ungültig ist die WM sicher nicht", erklärt Mühlematter vorauseilend.

Hintergrund für die Kontroversen ist der unberechtigte Ausschluss Ozeaniens durch den IHF-Rat. Begründet wurde dies damit, dass Ozeanien nur noch vier statt der geforderten fünf Mitglieder hat (Australien, Neuseeland, Samoa, Cook Inseln und Vanuatu sowie den assoziierten Mitgliedern Neukaledonien, Tahiti sowie Wallis und Futuna). Der Weltverband beruft sich dabei darauf, dass in Neuseeland ein konkurrierender Verband zum bisher zuständigen unter der Leitung von Vernon Winitana gegründet wurde. Mühlematter vermutet nun, dass Ozeanien einem Ränkespiel wegen Winitanas kritischer Haltung zum Führungsstil des ägyptischen IHF-Präsidenten Hassan Moustafa zum Opfer gefallen ist. "Ich werde das Gefühl nicht los, dass man, statt dort zu helfen, einfach meinen Kollegen Vernon Winitana ins Visier genommen hat", sagte Mühlematter.

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Rhein-Neckar Löwen gegen Kiel

Debatte über Karabatic

Mannheim (dpa) - Manager Thorsten Storm vom Handball-Bundesligisten Rhein-Neckar Löwen hat die Kritik des Kieler Trainers Alfred Gislason zurückgewiesen. Gislason hatte dem Ligarivalen vorgeworfen, dem THW Kiel gezielt Top-Spieler wie den Franzosen Nikola Karabatic abwerben zu wollen. Auch THW-Rechtsaußen Vic Kavticnik und Kiels Rückraumspieler Filip Jicha sollen Angebote aus Mannheim vorliegen. "Wenn Spieler oder deren Berater mit uns das Gespräch suchen, sprechen wir auch mit ihnen. Gerade bei Topleuten wie Karabatic wäre es fahrlässig, dies nicht zu tun", sagte Storm.

Die Norddeutschen hätten in der Vergangenheit selbst Spieler wie Jicha, Karabatic oder Torwart Thierry Omeyer aus laufenden Verträgen herausgekauft, betonte Storm: "Das war schon immer so - und das wird auch immer so bleiben." Mehrere THW-Asse waren zuletzt mit den Rhein-Neckar Löwen in Verbindung gebracht worden, nachdem der frühere Kieler Trainer Zvonimir Serdarusic zur kommenden Saison bei den Badenern tätig wird. "Thorsten Storm wedelt mit Fußball-Verträgen. Ob der Verein die Gehälter auch bezahlen kann, ist eine andere Frage", schimpfte Gislason. Karabatic soll eng mit seinem einstigen Trainer Serdarusic befreundet sein.

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"Das Land ist unser Benzin"

Kroatien unternimmt sehr viel, um den Traum vom Titelgewinn bei der Heim-WM zu verwirklichen

Varazdin - Ivano Balic ist geschmolzen. Die ersten Tage der Handball-WM stand er, zwei Meter groß und weiß, vor der "Bar Martin" in Varazdinske Toplice, dem Kurort nahe Varazdin. Ivano Balic bestand aus zwei großen Schneekugeln und einer kleinen. Erst bestand er auch noch aus einem Schneestab, der sich steil vom Körper streckte, doch der wurde aus Gründen der Pietät entfernt. In die kleine Kugel war Balic' Gesicht modelliert, sein Bart bestand aus vielen Klümpchen Erde, seine langen Haare waren Geäst, doch dann schlug das Wetter um. Aus fünf Grad minus wurden fünf Grad plus, erst verschwand der Kopf, dann verschwand der Körper. Am Mittwoch war vom stolzen Balic nur eine Pfütze geblieben, und wer an Zeichen glaubt, der könnte hier eins erkennen: Viel braucht es nicht, dann ist der kroatische Traum vom Titel bei der Heim-WM dahin.

Sie haben es bereits im Eröffnungsspiel gemerkt, als die Mannschaft um Regisseur Ivano Balic nicht ins Rollen kam und Südkorea mühsam 27:26 besiegte. Wenn ein, zwei Situationen anders gelaufen wären - dann hätte Südkorea gewonnen. Das wäre zwar noch längst nicht das Aus gewesen, aber ein herber Dämpfer. Es ist gerade nochmal gutgegangen, und so schwang sich die Zeitung 24 Sport vor lauter Freude zu einem besonders gewagten Wortspiel auf: "Don't Vori!" titelte sie, zusammengebaut ist das aus dem englischen "Don't worry" (Sorge dich nicht) und dem Nachnamen des kroatischen Kreisläufers Igor Vori.

Außer als Schneemann und in persona war und ist Balic auf Plakaten, Bannern und Postern im ganzen Land zu sehen, und natürlich im Fernsehen. Fürs Eröffnungsspiel meldete der übertragende Sender RTL Hrvatska, dass 70 Prozent aller Kroaten zugesehen hätten, also mehr als drei Millionen. Das kleine Land ist sportverrückt im Allgemeinen und handballverrückt im Besonderen. Der ehemalige Nationaltorwart Vlado Sola sagt: "Handball ist für uns mehr als nur eine Sportart. Handball ist für uns eine Möglichkeit, Emotionen auszuleben und der ganzen Welt zu zeigen, wer wir sind." 2003 ist der Mann mit den stets gefärbten Haaren im Finale gegen die Deutschen Weltmeister geworden, 2004 ist er Olympiasieger geworden, wieder im Finale gegen die Deutschen. Vor acht Monaten hat er seine Karriere beendet, er arbeitet nun als Experte für RTL Hrvatska, und als solcher sagt er: "Das Land ist unser Benzin. Das treibt die Mannschaft an. Ganz Kroatien ist eine Handball-Nationalmannschaft." Und wenn die Mannschaft tatsächlich gewinnt? "Wenn wir wieder Weltmeister werden, feiert das ganze Land ein halbes Jahr lang Party", sagt Sola. Der Stellenwert des Sports im Land ist so hoch, dass die Handballer tatsächlich Prominente in Kroatien sind; Vlado Sola zum Beispiel bekommt demnächst seine eigene Fernsehshow: "Schlag den Sola" wird die kroatische Version von "Schlag den Raab".

Einstweilen aber ist die große Sorge, dass jemand die Kroaten schlägt. Schließlich hat das Land enorme Anstrengungen für dieses Turnier unternommen. Sechs der sieben Hallen wurden neu gebaut, darunter eine 15 000 Zuschauer fassende Arena in Zagreb. Es gab angesichts dieser Bauwut auch kritische Stimmen, weil das Land in einer Rezession steckt und sich viele fragen, ob man all die großen Hallen tatsächlich braucht, wenn die WM vorbei ist. Nun aber, da das Turnier läuft, ist viel wichtiger als künftige Hallennutzung, wie sich Ivano Balic' Rücken macht. Der genialische Spielmacher leidet an den Folgen eines Bandscheibenvorfalls. Er ist nicht zu ersetzen fürs Team, und derzeit scheint es, als käme er ganz gut ins Turnier. Das ist wichtig für die Mannschaft, weil der Druck immens ist. Jeder erwartet den Titel, allen voran Sandi Sola, der Präsident des kroatischen Handballverbandes. Er sagt: "Wir werden Weltmeister. Wenn wir vom Verletzungspech verschont bleiben, sehe ich niemanden, der uns gefährlich werden kann."

Kreisläufer Igor Vori hingegen sagt: "Der Schlüssel zum Erfolg ist, realistisch zu bleiben." Wie Balic spielt er bei RK Croatia Zagreb, wo Nationaltrainer Lino Cervar auch als Vereinscoach wirkt. So sehr ist diese WM eine nationale Angelegenheit, dass einige Starspieler von den Topklubs aus dem Ausland zurückkamen nach Zagreb, um sich unter Cervar gemeinsam fürs Turnier einzuspielen. Allerdings mochten nicht alle so viel opfern, der Hamburger Blazenko Lackovic oder der Nordhorner Goran Sprem blieben lieber in der Bundesliga.

Im Laufe des Mittwochs begann es in Varazdinske Toplice übrigens so stark zu regnen, dass die Pfütze, die einmal Balic war, in einem See von Pfützen verschwand. Christian Zaschke

Alles steht und fällt mit diesem Mann: Kroatiens Hoffnungen bei der Handball-WM sind eng mit dem genialischen Regisseur Ivano Balic verknüpft. Foto: AFP

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Hitzköpfe ärgern die Tennisprofis

Im Publikum des Turniers von Melbourne inszenieren Serben und Kroaten fern der Heimat ihre politischen Konflikte

Melbourne - Marin Cilic hatte genug Schimpfworte gehört, er war heilfroh, dass ihm der fünfte Satz erspart blieb. "Die Stimmung war angespannt und es gab viele Provokationen, vor allem als es spannend wurde. Vor solchen Fans zu spielen, ist hart" , sagte der Kroate. Sein Gegner, der Serbe Janko Tipsarevic, sah es genauso. Als er Cilic am Netz zu dessen 6:2, 6:3, 4:6, 6:3-Erfolg gratulierte, sagte er: "Spaß gemacht hat das heute wirklich nicht."

Die Begegnung zwischen der Nummer 46 der Weltrangliste und dem aufstrebenden Cilic bei den Australian Open war gespannt erwartet worden. Weniger aus sportlichen Gründen, vielmehr aus politischen. In Australiens zweitgrößter Stadt leben viele Kroaten und viele Serben - und nicht immer geht es friedlich zu, wenn die sich am Sportplatz begegnen. Als die Wasserball-Nationalteams beider Länder vor zwei Jahren im WM-Halbfinale gegeneinander antraten, rückte die Melbourner Polizei mit einer Hundertschaft an. Die verfeindeten Gruppen steigerten sich mit Beschimpfungen gegenseitig so hoch, dass sechs Randalierer aus dem Schwimmbad abgeführt wurden. Nach dem überraschenden 10:7-Erfolg der Kroaten wurde eine Straße gesperrt, um die Grüppchen auseinander zu halten und die Situation nicht eskalieren zu lassen. Die Länder liegen in einer tiefen Abneigung zueinander, seit sie Anfang der neunziger Jahre gegeneinander Krieg führten.

Dostojewski auf dem Arm

Marin Cilic wurde 1988 in Medjugorje geboren, er wohnt in Zagreb. Janko Tipsarevic stammt aus Belgrad. Der 24-Jährige ist ein nachdenklicher Athlet. Auf seinen linken Arm hat er sich einen Spruch von Dostojewski tätowieren lassen: "Die Schönheit wird die Welt erlösen." Als feststand, dass er in der zweiten Runde auf Cilic treffen würde, hatte Tipsarevic die Turnierverantwortlichen um ein Gespräch gebeten und ihnen einige Geschichten erzählt wie die vom Wasserball. Sein Ziel: Sein Duell mit Cilic sollte auf einem großen Platz angesetzt werden. "Es gibt auf beiden Seiten viele Hitzköpfe", sagt Tipsarevic: "Wenn die aneinandergeraten, kann es gefährlich werden. Auf einem großen Platz ist das fast ausgeschlossen." Die Warnung kam an. Tipsarevic und Cilic durften als erste auf den Show Court Nummer zwei, um elf Uhr am Morgen, wenn die Bierstände auf der Anlage noch nicht lange offen sind. Der Alkohol heizt die Rauffreudigkeit an. In diesem Jahr darf jeder deshalb nur zwei Becher auf einmal kaufen.

Es ging laut zu auf den Rängen. Cilic wurde von den Serben beleidigt, Tipsarevic von den Kroaten. Immer wieder rief der Schiedsrichter die Gruppen zur Ordnung, einmal mit dem Hinweis: "Jungs, wir haben hier zwei Kerle, die ein wirklich schönes Spiel zeigen wollen. Lasst sie das doch bitte tun!" Im Januar sind Schulferien in Australien. Das schöne Sommer-Wetter sorgt für Picknick-Stimmung. Lange galt das Turnier deshalb als "Happy Slam". Seit drei Jahren muss es um diesen Ruf fürchten. Damals gerieten vor der großen Videowand am Eingang kroatische, serbische und griechische Zuschauer aneinander. Flaschen und Fäuste flogen, Flaggen brannten. 150 Rabauken wurden schließlich hinausgeschmissen. Im vergangenen Jahr war die Polizei daraufhin so nervös, dass sie einem griechischen Schreihals, der keine Ruhe geben wollte, gleich mit Pfefferspray begegnete. Der aggressive Nebel trieb allerdings auch unbeteiligten Zuschauer die Tränen in die Augen. Panik brach aus. Damit Ähnliches dieses Mal nicht wieder passiert, kündigte der Polizeichef schon vor dem ersten Aufschlag an: Wer sich daneben benimmt, muss mit einem Bußgeld von 100 Euro rechnen oder gar mit Arrest. Gänzlich konnte das die nationalistisch gestimmten Minderheiten jedoch nicht einschüchtern.

Am Montag gerieten auf einem der Außenplätze vor der Partie des Spaniers Alberto Martin Anhänger des Serben Viktor Troicki mit einer Gruppe Kroaten aneinander, die zufällig vorbeikam. "Das Kosovo ist das Herz Serbiens!", schrien die einen. "Das gibt es gar nicht mehr!", gaben die anderen zurück, bis Sicherheitskräfte dazwischengingen. Am gleichen Tag gab es auch auf Platz fünf Unruhe. Bosnische Fans beschimpften beim Spiel ihres Landsmannes Amer Delic den US-Amerikaner Taylor Dent so vehement, dass der sich fünfmal beim Schiedsrichter beschwerte. "Sie haben Taylor bei seinen Aufschlägen gestört und es gab sogar während der Ballwechsel Sprechchöre. Das war zu viel. So etwas würde nirgendwo sonst toleriert", zürnte Dents Vater Phil. Der ehemalige Davis-Cup-Spieler warnt: "Wenn das so weitergeht, gibt es bald Krawalle."

Schlägereien als Werbemittel

Die Stimmung wird in jedem Fall rauer - und das ausgerechnet dort, wo die meisten Konflikte so weit entfernt scheinen. 15 400 Kilometer liegen zwischen Melbourne und Belgrad. Trotzdem gibt es in der australischen Stadt eine umtriebige Gruppe, die sich über das Internet zu politischen Demonstrationen ebenso verabredet wie zum Besuch von Sportveranstaltungen. Bilder von Schlägereien mit Andersdenkenden werden auf der Homepage gerne als Werbung eingestellt. Die meisten zeigen Jugendliche, welche die nach 1992 aus dem zerfallenden Jugoslawien hervorgegangene Republik kaum kennen dürften. "Es gibt auch in Österreich, Deutschland oder der Schweiz viele Serben", sagt der nachdenkliche Janko Tipsarevic, "aber die können sich ins Flugzeug setzen, sind in zwei Stunden in Belgrad und können sich das anschauen. Hier ist das schwieriger. Manchmal habe ich das Gefühl, je weiter und länger Menschen von ihrer Heimat entfernt sind, desto stärker pflegen sie die Nostalgie."René Hofmann

Es geht auch anders: Der Serbe Janko Tipsarevic (links) und der Kroate Marin Cilic geben ihren Landsleuten ein Beispiel guten Umgangs miteinander. AFP

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Kohlschreiber beleidigt Bezwinger

Alles so anstrengend

Melbourne - Fabrice Santoro humpelte vom Platz. Der linke Oberschenkel schmerzte so sehr, dass der Franzose sich sofort setzen musste. Seine Mütze und seinen Schläger ließ er dafür fallen. Sie blieben auf dem vom Flutlicht erleuchteten Platz zurück. Arbeitsgeräte, die nicht mehr benötigt wurden. Vier Stunden lang Tennis zu spielen, ist anstrengend. Erst recht für einen 36-Jährigen. Die Australian Open 2009 sind das 66. Grand-Slam-Turnier, bei dem Santoro antritt. Seit seinem Heimspiel vor elf Jahren in Paris hat er keines der großen Turniere verpasst. Einen Gegner so sehr geärgert wie an diesem Mittwoch in Melbourne hat er aber schon lange nicht mehr. In fünf Sätzen rang er in Runde zwei den elf Jahre jüngeren Philipp Kohlschreiber nieder. 5:7, 7:5, 3:6, 7:5, 6:3. "Den muss man einfach runterarbeiten", hatte Kohlschreiber vorher gesagt. Das gelang ihm nicht. Am Ende warf Santoro ihn aus dem Turnier, was der Nummer 34 der Weltrangliste gar nicht gefiel.

"Ich hätte nicht verlieren müssen", grollte Kohlschreiber, der vor allem mit seinem Aufschlag haderte: "Ich bekomme zu wenige freie Punkte. So lange das so ist, kann ich ganz oben nicht mitspielen." Für seinen Gegner fand er alles andere als anerkennende Worte: "Er hat sich heute durchgebissen, aber ich traue ihm nichts zu. Er ist platt. Nach den fünf Sätzen wird er gnadenlos untergehen, egal gegen wen er kommt." Einmal am Hadern, steigerte sich Kohlschreiber in eine generelle Systemkritik: "Ich finde es eine Qual, hier immer Best-of-five-Matches zu spielen." Dass bei den Grand-Slam-Turnieren wie im Davis Cup für einen Sieg drei gewonnene Sätze nötig sind, findet Kohlschreiber ungerecht. Das bevorteile die gesetzten Spieler, "weil die sich in den ersten Runden viel leichter tun. Ein Federer spielt heute 80 Minuten und lacht sich kaputt." Über die vierte Runde ist Kohlschreiber noch bei keinem wichtigen Turnier hinausgekommen. Damit sich das vielleicht einmal ändert, würde er künftig gerne nur noch so viel arbeiten wie die Frauen: maximal drei Sätze lang.

Eine Einstellung, die Florian Mayer teilt, aber weit weniger forsch formuliert. "Wegen mir muss man das nicht ändern", sagte der Bayreuther, nachdem sein Melbourne-Tripp mit einem 1:6, 5:7, 2:6 gegen Juan Martin Del Potro zu Ende gegangen war. Der Argentinier ist aktuell die Nummer sechs der Weltrangliste, weshalb Mayer mit der Niederlage leben kann. "Bis auf den Aufschlag habe ich mitgehalten", fand er. Ähnliches konnte Andrea Petkovic nicht von sich behaupten. Sie unterlag der Französin Alizé Cornet 1:6, 0:6, weinte auf dem Platz und wollte "nur noch weg". Die deutschen Aussetzer ereigneten sich an einem Tag, an dem 63 557 Zuschauer in den Melbourne Park strömten - das ist ein neuer Grand-Slam-Rekord.hof

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Scheitern in der Masse

Von René Hofmann

Das fängt ja gut an. Das Männer-Turnier am Hamburger Rothenbaum: ab diesem Jahr nur noch eine zweitklassige Veranstaltung. Der Deutsche Tennis-Bund: in einen existenzbedrohenden Streit mit der Männertennistour verwickelt. Das Frauenturnier in Berlin: ab sofort nicht mehr existent, weil die Scheichs, denen die Veranstaltung schon lange gehört, plötzlich die Rechnungen nicht mehr bezahlen.

In dieser Woche hätten die Protagonisten selbst in Melbourne die Chance gehabt, das schlechte Bild, das der Tennissport hierzulande derzeit abgibt, etwas zu korrigieren. Elf deutsche Männer und neun deutsche Frauen traten zur ersten Runde der Australian Open an. Das waren so viele wie schon lange nicht mehr. Statt großer Klasse viel Masse. Mehr Profis sandten lediglich drei Länder ins erste Grand-Slam-Turnier 2009: Frankreich, Spanien, Russland.

Inzwischen haben sich die Reihen down under schon gelichtet, und es steht fest: Die Charme-Offensive ist mächtig schiefgegangen. Nicht nur, weil die Deutschen in Massen scheiterten, vor allem die Klasse, mit der sie aus der Veranstaltungen gingen, erschreckte. Philipp Kohlschreiber, 25: verliert in fünf Sätzen gegen den 36 Jahre alten Fabrice Santoro und nennt diesen daraufhin einen müden Nichtskönner. Rainer Schüttler, 32: stiehlt sich nach der Niederlage gegen einen Qualifikanten kommentarlos davon. Anna-Lena Grönefeld, 23: wirkt unfit und deshalb schon im Vergleich mit einer Gegnerin von Weltranglistenplatz 134 überfordert. Julia Görges, 20: erschrickt beim Anblick eines Platzes, an dem 10 000 Menschen sitzen. Andrea Petkovic, 21: vergisst beim ersten Match bei blendendem Sonnenschein ihre Schildkappe und bricht angesichts des 1:6 und 0:6 im zweiten Spiel in Tränen aus. Florian Mayer, 25: entdeckt nach sechs Profi-Jahren, dass es ein Vorteil ist, ordentlich Ausdauer trainiert zu haben.

Sechs Beispiele. Alle so passiert. Nichts dazu erfunden. Ähnlich offensichtlich dilettantisch bewegt sich keine andere Nation durch die Szene. Niemand erwartet, dass eine der deutschen Tennis-Größen demnächst einen Grand-Slam-Titel gewinnt. Aber ein bisschen mehr Professionalität dürfte es schon sein.

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Versöhnliche Botschaft mit hartem Kern

In seiner Antrittsrede skizziert US-Präsident Barack Obama eine Wende in der Außenpolitik hin zu mehr Diplomatie

Von Christian Wernicke

Washington - Es ließ sich sehr genau beobachten, wie der Amtsvorgänger auf die Rede von Amerikas neuem Oberbefehlshaber reagierte: Betont wohlwollend, mit mildem Lächeln im Mundwinkel und einem durch dicke schwarze Handschuhe gedämpften Applaus würdigte George W. Bush das politische Antritts-Oratorium des Barack Obama. Eine Passage in der Rede des 44. Präsidenten jedoch löste regelrecht Begeisterung aus bei No. 43. Das war, als Obama sich an jene finsteren Mächte wandte: "Allen, die ihre Ziele mit Terror verfolgen und Unschuldige umbringen, sagen wir: Unser Wille ist stärker und kann nicht gebrochen werden!", rief der neue Präsident.

Da strahlte George W. Bush. Denn das klang so martialisch, als solle sich nicht viel ändern an Amerikas Außen- und Sicherheitspolitik. Und vermutlich wollte Obama genau diesen Eindruck auch erzeugen: Seit mindestens vier Jahrzehnten leidet jeder Demokrat im Weißen Haus unter dem Vorurteil, er sei eher ein Weichei denn ein hartgesottener Krieger. Härte als Hüter nationaler Sicherheit kommt an beim Volk. Auch die zwei Millionen Menschen auf der Mall bejubelten lauthals Obamas Willen zum Besiegen.

Nur ließ ebenso aufhorchen, was Obama nicht sagte: Der zerschundene Begriff vom "Krieg gegen Terror" tauchte nirgendwo mehr auf, auch die Scheidung der Welt in Gut und Böse - die zentralen Kategorien für Denken und Handeln des George W. Bush - sie scheinen passé zu sein. Zumindest will dieses Weiße Haus nicht mehr frivol damit kokettieren, die Wirklichkeit ließe sich derartig simpel über einen Leisten schlagen.

Zugleich erneuerte Obama aber auch Amerikas Anspruch auf globale Führung. Trotz Finanz- und Wirtschaftskrise, trotz Rekordverschuldung und Massenkonkurs: Unbeirrt sieht Obama seine Nation - wie einst im Kampf gegen Faschismus und Kommunismus - ausdrücklich dazu berufen, bis in die kleinste afrikanische Hütte Hoffnung zu verbreiten: "Amerika ist ein Freund jeder Nation, jedes Mannes, jeder Frau, jedes Kindes, die nach einer Zukunft in Frieden und Würde suchen. Wir sind bereit, die Führung einmal mehr zu übernehmen."

Solche Töne stehen in der Tradition eines liberalen Internationalismus, wie ihn auch Obamas Vorvorgänger im Amt, Bill Clinton, pflegte. Die Kluft zur Bush-Ära - jedenfalls zu den militärischen Abenteuern des Präsidenten, den Alleingängen und Koalitionen der Willigen in den ersten vier Jahren - tut sich auf, wenn Obama von Macht und Gewalt spricht. Nicht einfach mit Raketen und Panzern, sondern "mit starken Allianzen und festen Überzeugungen" habe Amerika frühere Konflikte gewonnen: "Unsere Macht allein kann uns nicht beschützen, noch erlaubt sie uns, zu tun was wir wollen." Nur der "kluge Gebrauch" aller Macht rechtfertige letztlich Amerikas Führungsrolle in der Welt. Politikwissenschaftler haben dafür den Begriff der "smart power" erfunden, der intelligenten Machtausübung, die sich mit allen Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit, der Diplomatie und - nur notfalls - des Militärs Respekt verschafft. Und Obamas Außenministerin Hillary Clinton ihn gleich mehrmals zum Schlüsselwort erhoben in ihrer Anhörung im Senat.

Obamas internationale Prosa vom Dienstag blieb meist vage. Sehr konkret war nur sein Versprechen, nun "verantwortungsvoll den Irak verlassen" zu wollen. Im selben Satz sprach der neue Präsident davon, er wolle "einen hart verdienten Frieden in Afghanistan schmieden". Er weiß, dass er den dafür nötigen Willen bei seinen europäischen Alliierten erst durch harte Überzeugungsarbeit neu wecken muss.

Ein klares Zeichen setzte Obama, da er der muslimischen Welt Amerikas Respekt versicherte. Ja, er wolle "einen neuen Weg vorwärts" suchen. Der Präsident nannte keine Namen. Aber alle Botschafter auf den Klappstühlen der Mall dachten an die Mullahs in Teheran, da er fast poetisch seinen Willen zu Verhandlungen auch mit Gegnern versicherte: "Wir werden unsere Hand ausstrecken, wenn Ihr bereit seid, Eure Faust zu lösen." Die Demonstrationen in Teheran bedeuten Obama, dass in dieser Region länger und noch vieler Worte brauchen wird, das Erbe seines Vorgängers hinter sich zu lassen.

Radikale Studenten in Teheran zerreißen Obama-Bilder. Foto: dpa

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Personalie mit Symbolkraft

George Mitchell wird als Nahost-Gesandter gehandelt - ein Zeichen, dass sich die USA in den Konflikt einschalten

Von Christian Wernicke

Washington - Der Ex-Senator und international erfahrene Krisenexperte George J. Mitchell soll US-Präsident Barack Obama offenbar als Sondergesandter für den Nahen Osten dienen. Das meldeten mehrere US-Medien unter Berufung auf Quellen im Weißen Haus. Mitchells Berufung wäre ein Signal an Israelis wie Palästinenser, dass die Obama-Regierung sich deutlich mehr als zuletzt die Bush-Administration um eine auch von außen moderierte Friedenslösung im Nahen Osten bemühen will.

Mitchell, der von 1980 bis 1995 demokratischer US-Senator war, erwarb sich 1998 weltweit hohen Respekt als erfolgreicher Vermittler im nordirischen Friedensprozess. Der Sohn einer libanesischen Mutter und eines Vaters irischer Abstammung, der als Waisenkind in einer US-libanesischen Familie aufwuchs, zählt bis heute zu den prominentesten Politikern arabischer Herkunft.

Mit dem Nahost-Konflikt beschäftigte sich der inzwischen 75 Jahre alte Demokrat eingehend, als er im Frühjahr 2001 eine noch vom scheidenden US-Präsidenten Bill Clinton in Auftrag gegebene Studie über die Konfliktursachen im Nahen Osten verfasste. Der sogenannte Mitchell-Report verlangte von Israelis wie Palästinensern einen strikten Gewaltverzicht und forderte zudem, die Regierung in Jerusalem solle sofort den Bau neuer Siedlungen stoppen. Die Ergebnisse des Reports flossen auch ein in die bis heute offiziell fortdauernden Versuche der internationalen Gemeinschaft, mit Hilfe der sogenannten Roadmap, einem mehrstufigen Plan, einen Weg zum Frieden zu ebnen.

Washingtoner Nahostexperten werteten Mitchells wahrscheinliche Ernennung als Zeichen, dass Präsident Obama die künftige Nahostpolitik nicht allein seiner Außenministerin Hillary Clinton überlassen will. Mitchell soll als Sondergesandter auch direkten Zugang zum Oval Office haben. Aaron David Miller vom Woodrow Wilson Center in Washington deutete Mitchells Rolle zudem als klare politische Kurskorrektur: "Obama will sich befreien aus der exklusiven Beziehung, die wir bisher mit den Israelis hatten." In ersten, noch inoffiziellen Reaktionen äußerten sich vor allem arabische Diplomaten in Washington positiv zu einer Berufung von Mitchell.

Während der jüngsten Gewalteskalation im Gaza-Streifen hatte Obama sich strikt geweigert, zum Nahostkonflikt Stellung zu beziehen, immer mit dem Verweis, es gebe nur eine amtierende Regierung. In außenpolitischen Kreisen hatte jedoch ein Appell von Zbigniew Brzezinski, dem nationalen Sicherheitsberater von Präsident Jimmy Carter, Aufsehen erregt, die USA müssten "endlich zurückkehren in den Nahen Osten" und eine "aktive Vermittlerrolle" übernehmen. Die beiden Konfliktparteien selbst seien "unfähig, allein einen Frieden zu finden", sagte der Demokrat dem Kabelsender MSNBC. Brzezinski ist zwar nicht Mitglied des engsten Beraterstabs von Obama, gilt aber als eine sicherheitspolitische Autorität, auf die auch der neue US-Präsident hört.

Als Autor des nach ihm benannten Reports kennt sich George J. Mitchell im Nahen Osten bestens aus. Offenbar soll er dort künftig Obamas Politik vertreten. Foto: AFP

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Amtspflichten der angenehmen Art

Als Beyoncé den Jazz-Klassiker "At Last" schmetterte und das Paar des Abends das Parkett betrat, da sah es fast so aus, als schaute man zwei Frischvermählten beim Hochzeitstanz zu: der soeben vereidigte Präsident mit Smoking und weißer Fliege, die First Lady in einer blendend weißen Chiffon-Robe des Designers Jason Wu, ein einzelner Träger schräg über den nackten Schultern. "Wie gut sieht meine Frau aus?", hatte Barack Obama vor diesem ersten Tanz beim ersten Ball des Abends gefragt, und die Antwort musste selbstverständlich lauten: Sie sah super aus. Obama trat dann sehr viele Male auf den glitzernden Rocksaum seiner Michelle, und Beobachter scherzten, auf dem Basketball-Court mache der Mann eine deutlich bessere Figur.

Um neun Uhr abends hatte das Paar bereits einen Tag hinter sich, der die meisten Menschen locker niederstrecken würde. Nicht weniger als zehn offizielle Bälle, verteilt über ganz Washington, standen da noch aus, und die Obamas mit Vize Joe Biden und dessen Frau Jill besuchten sie alle. Es begann mit dem Neighborhood Ball, einem Fest für die einfachen Leute; 25 Dollar kostete der Eintritt. Auf Beyoncé folgte Stevie Wonder mit der Wahl-Hymne "Signed, Sealed, Delivered", Obama hielt eine kurze Rede auf die gute Nachbarschaft, 2000 Zuhörer jubelten - und nach ein paar Minuten waren die Ehrengäste schon wieder enteilt, zum Obama Home States Ball der Einwohner von Illinois und Hawaii. "Aloha!", rief der nimmermüde Präsident dort ins Mikrofon, "what's going on?" Die Sicherheitsvorkehrungen waren auch am späten Abend noch gewaltig und hatten unter anderem zur Folge, dass geladene Gäste wie Leonardo DiCaprio und Demi Moore in der Kälte warten mussten, bevor die Türen für sie aufgingen.

Erst am frühen Morgen traf das Präsidentenpaar im Weißen Haus ein. Die Töchter Malia und Sasha lagen da schon längst im Bett. Schließlich müssen sie am Donnerstag wieder in die Schule. tar

Von Ball zu Ball zog das Präsidentenpaar, und Barack Obama trapste seiner Gattin das ein oder andere Mal beim Tanz aufs Kleid. Die Gäste des Neighborhood Ball waren dennoch begeistert (oben). Im kalifonischen Carlsbad hat man den historischen Moment mit Lego-Steinen festgehalten(rechts). Die Reaktionen in der arabischen Welt auf den neuen US-Präsidenten fielen verhalten aus. Reuters, action press, AP

Ein letzter Blick zurück auf das Kapitol: Ex-Präsident George W. Bush flog direkt nach der Amtseinführung seines Nachfolgers zur Andrews Airforce Base und dann weiter in seine Heimat Texas. Foto: Reuters

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Machtwechsel im Internet

Auf WhiteHouse.gov können Bürger Vorschläge machen

München - In der Sekunde, in der Barack Obama das Amt als 44. US-Präsident übernahm, hat sich der Machtwechsel auch im Internet vollzogen. Seit Dienstag exakt 12 Uhr hat die offizielle Präsidentenseite www.WhiteHouse.gov ein neues Gesicht - und neue Inhalte. Fette Buchstaben verkünden: "Change has come to WhiteHouse.gov." Die Webpräsenz des neuen Präsidenten soll an Transparenz und Bürgerbeteiligung alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen, versprechen die Programmierer. "Das Weiße Haus wird ein sehr aufregender Ort", prophezeit gar Obamas Direktor für Neue Medien, Macon Phillips.

Es sind vor allem die neuen interaktiven Features, die Bürgernähe von höchster Stelle demonstrieren sollen. Im sogenannten Briefing Room haben die Bürger das Wort: Sie können politische Vorschläge einreichen und die Anregungen anderer Mitbürger bewerten. Ideen, die auf besonders viel Beifall stoßen, sollten bis an die Regierungsspitze herangetragen werden, heißt es. Außerdem will die Regierung Mitschriften von Beratungen mit Interessengruppen und Lobbyisten auf der Seite veröffentlichen.

Zudem hat die neue Seite auch ein eigenes Blog - das aber zumindest bislang der Präsident nicht persönlich schreibt. Die ersten Einträge hat Macon Phillips verfasst. Anders als üblich bei diesem Format gibt es hier jedoch keinerlei Kommentarfunktion für die Leser. Offenbar fürchtet das Weiße Haus unerwünschte Werbenachrichtenoder gar beleidigende Kommentare. Der neue Präsident wird sich künftig in einer wöchentlichen Videoansprache an die US-Bürger wenden.Mirjam Hauck

Abschied und Neuanfang: die Internetseite des US-Präsidenten. Foto: oH

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Senator Kennedy geht es wieder besser

Washington - Dem demokratischen US-Senator Edward Kennedy geht es nach seinem Zusammenbruch während des Gala-Mittagessen für den neuen Präsidenten Barack Obama bereits wieder besser. Laut einem Krankenhaus-Sprecher sollte er bereits am Mittwoch wieder nach Hause entlassen werden. Kennedy hatte einen schweren Krampfanfall erlitten. Das hatte die Sorge ausgelöst, der Zustand des 76-Jährigen könnte sich dramatisch verschlechtert haben. Der populäre Politiker leidet an einem bösartigen Gehirntumor. Laut den Ärzten ist der Anfall bei dem Essen, an dem Obama selbst teilnahm, aber schlicht auf Übermüdung zurückzuführen. Demnach hatte sich Kennedy mit seiner Anwesenheit bei den Feiern zu viel zugemutet. Edward Kennedy, genannt Ted, ist ein Bruder des ermordeten Präsidenten John F. Kennedy.dpa

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Bestätigung für neuen Finanzminister erwartet

Washington - Vor der Anhörung des als US-Finanzminister nominierten Timothy F. Geithner im Senat hat sich am Mittwoch abgezeichnet, dass die Republikaner den Kandidaten von Präsident Barack Obama nicht blockieren werden. Der führende Republikaner im Finanzausschuss, Charles Grassley, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, er sehe keine Neigung im US-Senat, dem wegen einer Steueraffäre umstrittenen Geithner die Bestätigung zu verweigern. Es wurde erwartet, dass der Senat bereits an diesem Donnerstag über seine Ernennung abstimmen könnte. Wegen der Wirtschaftskrise hätte eine Ablehnung Geithners weitreichende Folgen.SZ

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Präsident Nummer 43 oder 44?

München - "44 Amerikaner haben nun den Eid des Präsidenten abgelegt", so sagte es Barack Obama in seiner Rede zur Amtseinführung. Das ist richtig, zugleich aber auch falsch. Nach der offiziellen Zählweise des Weißen Hauses ist er in der Tat der 44. Amtsinhaber. Diese Rechnung birgt jedoch eine Besonderheit: Präsident Grover Cleveland wird zweimal gezählt. Er amtierte von 1885 bis 1889 und von 1893 bis 1897 und ist damit der einzige US-Präsident, der nach einer Unterbrechung von vier Jahren ins Weiße Haus zurückkehrte. Alle anderen Präsidenten, die mehrere Amtszeiten ausübten, taten dies direkt nacheinander. Somit wäre Barack Obama erst der 43. Präsident. Eingefleischte Südstaatler könnten jedoch Jefferson Davis hinzuzählen, der von 1861 bis 1865 Präsident der Konföderierten Staaten von Amerika war und damit Führer der Südstaaten im Sezessionskrieg gegen den Norden. Dann wäre Obama wieder Nummer 44. ws

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EU rügt Jugendämter

Brüssel - Der Petitionsausschuss des Europaparlaments hat die Bundesregierung aufgefordert, die Arbeit der deutschen Jugendämter besser zu kontrollieren. Das könne etwa über die Parlamente geschehen, meinte der Vorsitzende Marcin Libicki. Das EU-Parlament hatte in den vergangenen zwei Jahren 250 Petitionen von Eltern erhalten, die sich über Eingriffe der Jugendämter in ihre Familien beschwerten. "Es steht fest, dass Rechte verletzt wurden", sagte Libicki. So sei ausländischen Eltern das Recht verweigert worden, mit ihren Kindern in der Muttersprache zu sprechen. Bedenklich sei auch, dass die Jugendämter einerseits die Urteile der Familiengerichte vollstreckten, andererseits aber auch die Gutachten für diese Urteile erstellten. cob

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Parlament belagert

Reykjavik - Angesichts der Finanzkrise haben sich die Proteste auf Island mit einer nächtlichen Belagerung des Parlaments in Reykjavik verschärft. Laut Polizei wurden am Mittwoch 20 Demonstranten festgenommen, die in der Nacht zuvor Feuer vor dem "Althing" entzündet hatten. Etwa tausend Protestierende konnten erst morgens mit Tränengas und Schlagstockeinsatz zum Rückzug bewegt werden. Dennoch zeichnete sich erstmals ab, dass die seit November immer wieder vor dem Parlament versammelten Demonstranten Erfolg mit ihrer Forderung haben könnten: Der Vizechef der mitregierenden Sozialdemokraten, August Olafur Augustsson, sagte, vorzeitige Neuwahlen im Frühjahr "könnten eine gute Idee sein". dpa

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Zurück zum Atom

Bulgarien will nach der Gaskrise zwei Anlagen reaktivieren, die die EU für unsicher hält

Von Klaus Brill

Prag - Der Schock der jüngsten Gaskrise hat in Bulgarien eine breite Bewegung ausgelöst, die fordert, zwei stillgelegte Reaktoren eines umstrittenen Atomkraftwerks wieder in Betrieb zu nehmen. Nach dem Staatspräsidenten, dem Ministerpräsidenten und anderen führenden Politikern sprach sich jetzt auch der Energie-Ausschuss im Parlament dafür aus, über dieses Thema Gespräche mit der EU-Kommission zu führen. Gleichzeitig demonstrierten am Mittwoch erneut mehrere tausend Menschen gegen die Notlage, in die das Land durch den zweiwöchigen Stopp der Gaslieferungen und die Weltfinanzkrise geraten ist. Die Versorgung mit Gas kam inzwischen nach der Einigung zwischen Russland und der Ukraine wieder in Gang, die Notstandsmaßnahmen wurden ausgesetzt.

Das Interesse konzentriert sich jetzt bei Bürgern und Politikern auf das Atomkraftwerk von Kosloduj an der Donau, das rund 200 Kilometer nördlich von Sofia an der Grenze zu Rumänien liegt. Es ist bisher die einzige solche Anlage in Bulgarien, sie wurde seit den 70er Jahren mit sechs Druckwasserreaktoren sowjetischer Bauart betrieben, von denen heute nur noch zwei in Betrieb sind. Auf Verlangen der EU-Kommission mussten die vier älteren Kraftwerksblöcke Ende 2002 und Ende 2006 stillgelegt werden, obwohl die Anlagen aufwändig mit modernen Teilen nachgerüstet worden waren. Der Grund waren Sicherheitsbedenken, die von einer großen Mehrheit der Bulgaren freilich nicht geteilt werden.

Die Stilllegung war eine Vorbedingung für Bulgariens Aufnahme in die EU und kann laut Beitrittsvertrag nur im Falle "dauerhafter Schwierigkeiten" auf dem Energiesektor überprüft werden. Eine solche Situation sehen viele bulgarische Bürger und Politiker jetzt als gegeben an, nachdem die Gaskrise zu schweren Einschränkungen des Verbrauchs und der Schließung von Firmen geführt hatte. Insgesamt erlitt die bulgarische Wirtschaft nach Angaben von Energieminister Petar Dimitrow Verluste in Höhe von rund 90 Millionen Euro.

Wie der Minister weiter sagte, will die Regierung jetzt der EU-Kommission einen Antrag auf Wiederinbetriebnahme der Blöcke 3 und 4 in Kosloduj vorlegen, über die binnen fünf Tagen zu entscheiden sei. Einen Beschluss dieses Inhalts fasste der Energie-Ausschuss mit zehn gegen zwei Stimmen. Ministerpräsident Sergej Stanischew hatte ein solches Vorgehen vor einigen Tagen ebenfalls befürwortet. Allerdings betonte er, eine Veränderung sei nur mit Zustimmung der EU möglich. Bulgarien wolle seine Partner nicht vor den Kopf stoßen.

In der Bevölkerung findet das Vorhaben breite Unterstützung, ähnlich wie in der Slowakei, wo die Regierung wegen der Gaskrise erwägt, eine stillgelegte Atomanlage zu reaktivieren. In Sofia hatten erst am vergangenen Wochenende 8000 bis 10 000 Demonstranten aus dem ganzen Land gefordert, zwei weitere Reaktoren in Kosloduj wieder anzuschalten. Zu der Kundgebung hatten die Gewerkschaften und kleine Parteien aufgerufen. Neben der Anlage in Kosloduj ist derzeit in Bulgarien ein zweites Atomkraftwerk in Belene, ebenfalls im Norden an der Donau, geplant. Der Bauauftrag wurde an die russische Gesellschaft Atomstrojexport vergeben, allerdings ist auch der deutsche Energiekonzern RWE an dem Projekt beteiligt.

Soziale Not

Im Zentrum von Sofia versammelten sich am Mittwoch erneut Tausende von Demonstranten. Diesmal stand allerdings weniger die Energiepolitik als die soziale Not vieler Menschen im Fokus. Aufgerufen hatte zu der Protestaktion, die am Mittwoch der nächsten Woche wiederholt werden soll, eine bunte Koalition gesellschaftlicher Gruppen. Zu ihnen gehören die Verbände der Bauern, der Studenten und der bulgarischen Mütter. Sie werfen der Regierung vor, zu wenig gegen die wirtschaftlichen Probleme der Menschen und gegen die grassierende Korruption zu tun. Ferner verlangen sie Wahlrechtsreformen mit dem Ziel direkter Einflussnahme der Bürger und die Einführung von Volksbegehren auf verschiedenen Ebenen.

Bei einer ähnlichen Demonstration vor einer Woche war es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen. An ihnen waren nach Angaben der Veranstalter Hunderte von Fußball-Rowdies beteiligt, die sich als Provokateure betätigt haben sollen. Bulgarische Milch- und Getreidebauern haben schon seit Monaten aus Protest gegen ihre ökonomischen Bedingungen immer wieder im ganzen Land den Verkehr blockiert.

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Die Gaza-Offensive der Menschenrechtler

Internationale Organisationen erheben Vorwürfe wegen Israels Kriegsführung / Debatte um Phosphorgranaten

Von Thorsten Schmitz und Paul-Anton Krüger

Tel Aviv - Die israelische Armee hat erstmals indirekt zugegeben, bei der dreiwöchigen Militäroffensive im Gaza-Streifen auch Phosphorgranaten eingesetzt zu haben. Einem Bericht der Tageszeitung Haaretz zufolge hat die Armee-Spitze eine interne Untersuchung eingeleitet, mit deren Hilfe herausgefunden werden soll, weshalb eine Fallschirmjägereinheit von Reservisten etwa 20 Phosphorgranaten in einem bewohnten Gebiet im Norden des Gaza-Streifens eingesetzt habe. Ein Sprecher der Armee bestätigte der Süddeutschen Zeitung, dass der Einsatz von Phosphorgranaten geprüft werde. Es handle sich jedoch um keine offizielle Untersuchung, sondern um eine Armee-interne.

Dem Zeitungsbericht zufolge soll die Armee Artillerie-Rauchgranaten mit niedriger und Mörsergranaten mit hoher Phosphorkonzentration eingesetzt haben. Sie seien auf Beit Lahija im Norden des Gaza-Streifens abgeschossen worden. Ihr Einsatz ist zwar offiziell nicht verboten, dennoch regelt die Waffenkonvention von 1980, dass sie nicht auf Zivilisten und bewohnte Gebiete abgeschossen werden dürfen. Bereits während des Gaza-Kriegs hatte die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch behauptet, die Armee habe wie im Libanonkrieg vor drei Jahren Phosphorgranaten eingesetzt.

Im Krieg werden diese Geschosse üblicherweise zur Desorientierung des Gegners eingesetzt. Der Rauch macht den Feind blind, zusätzlich fügen ihm die Brandsätze, wenn sie auf Hautstellen auftreffen, schwere Wunden zu. Besonders bei Bodenoffensiven werden Phosphorgranaten eingesetzt, auch von britischen und amerikanischen Truppen in Irak. Ärzte aus dem Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt berichteten von auffälligen Brandwunden. Nafiz Abu Schaban, der seit 15 Jahren dort die spezielle dermatologische Abteilung leitet, äußerte sich in jüngster Zeit oft "erstaunt über ungewöhnliche Brandverletzungen". Die Wunden mancher Patienten hätten stundenlang gebrannt, aus manchen sei Rauch aufgestiegen. Selbst Patienten, deren Haut nur zu 15 Prozent verbrannt gewesen sei, seien "plötzlich gestorben". Der Arzt hat Hautproben gesammelt und will sie nun prüfen lassen.

"Nicht verhältnismäßig"

Acht israelische Menschenrechtsgruppen, darunter Betselem, Jesch Din und Gischa, haben am Mittwoch Generalstaatsanwalt Menachem Masus aufgefordert, eine regierungsunabhängige Untersuchungskommission zum Gaza-Krieg einzusetzen. Die acht Gruppen verdächtigen die Armee, international gültige Regeln der Kriegführung missachtet zu haben. Die Anwältin der Gruppe, Limor Jehuda, sagte, die Zahl der getöteten palästinensischen Frauen und Kinder sei "erschreckend hoch". Etwa 410 Kinder und Jugendliche seien getötet worden. Nach palästinensischen Angaben wurden mehr als 1300 Palästinenser getötet und etwa 5300 verletzt. Der Verdacht liege nahe, so die Anwältin, dass die Armee nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterschieden und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht befolgt habe. Amnesty International hat ein Ermittlerteam in den Gaza-Streifen entsandt. Die Menschenrechtsorganisation wirft Israel vor, im Gaza-Streifen Kriegsverbrechen verübt zu haben.

Der saudische Botschafter übermittelte der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien am Mittwoch eine offizielle Note arabischer Staaten, in der Israel beschuldigt wird, es habe im Gaza-Streifen auch uranhaltige Munition verwendet. In palästinensischen Opfern seien Uranspuren gefunden worden. IAEA-Sprecherin Melissa Fleming sagte, die Behörde werde die Sache untersuchen, "soweit es uns möglich ist". Über das weitere Vorgehen sei aber noch nicht entschieden. Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums bezeichnete den Vorwurf als "üble Propaganda".

Abgereichertes Uran wird wegen seiner hohen Dichte in panzerbrechenden Geschossen als Kern verwendet, da es aufgrund seiner hohen kinetischen Energie Panzerungen durchschlagen kann. Neben seiner Radioaktivität ist Uran auch als Schwermetall giftig. Es gilt als gesichert, dass ein Krebs- und Vergiftungsrisiko besteht, wenn der Staub, der beim Aufprall der Geschosse entsteht, eingeatmet oder mit dem Körper in Kontakt gebracht wird. In Bosnien hatte es im Umfeld der Einsatzgebiete der Munition eine Häufung von Krebsfällen gegeben, die Kritiker darauf zurückführten, dass die Menschen Uran-Spuren über die Nahrungskette oder das Grundwasser aufgenommen hätten. Eine Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation WHO fand dafür aber keine Belege.

Die sogenannte DU-Munition wurde bislang von den USA auf dem Balkan, im Irak und in Afghanistan eingesetzt. Die Verwendung im Gaza-Streifen halten Militärexperten für unwahrscheinlich, da es dort kaum gepanzerte Ziele gegeben habe. Israel besitzt Panzer und Kampfhubschrauber, die uranhaltige Munition verschießen können. Es ist unklar, ob die USA Israel solche Munition geliefert haben. Israel dürfte diese aber auch selber herstellen können. Nach dem Libanon-Krieg 2006 war der gleiche Vorwurf erhoben worden. Die UN-Umweltorganisation Unep fand bei einer Untersuchung aber keine Belege, dass Israel die Munition verwendet haben könnte.

Aufräumen nach dem Abzug: Die israelischen Soldaten haben den Gaza-Streifen verlassen - das ganze Ausmaß der Zerstörungen wird sichtbar. In dem Flüchtlingslager Dschabalia blieb kaum ein Stein auf dem anderen. Foto: Getty Images

Auch das Al-Quds-Klinikum in Gaza-Stadt stand unter Beschuss. AFP

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Wilders muss vor Gericht

Amsterdam - Die niederländische Staatsanwaltschaft muss die islamkritischen Äußerungen des rechtspopulistischen Abgeordneten Geert Wilders doch strafrechtlich verfolgen. Ein Berufungsgericht in Amsterdam entschied am Mittwoch, Wilders solle wegen Volksverhetzung angeklagt werden. Seine Aussagen seien nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Wilders sprach von einem "schwarzen Tag für mich und für die Meinungsfreiheit". Die Staatsanwaltschaft hatte im vergangenen Jahr eine Anklage abgelehnt mit der Begründung, Wilders' Kurzfilm "Fitna" und seine Äußerungen in den Medien seien zwar herabwürdigend gegenüber Muslimen, aber nicht strafbar. "Fitna" hatte im März 2008 weltweit für Aufsehen und für Empörung in der muslimischen Welt gesorgt. In der Zeitung De Volkskrant hatte Wilders geschrieben, er habe genug vom Islam in den Niederlanden: "Lasst keinen einzigen Muslim mehr einwandern", erklärte er und nannte den Koran ein "faschistisches Buch". AP

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Aufrüstung in Afghanistan

Nato fordert mehr Soldaten gegen zunehmenden Terror

Brüssel - Die USA drängen ihre europäischen Verbündeten, die Zahl der Nato-Soldaten in Afghanistan deutlich und schnell zu erhöhen. Noch vor seiner Vereidigung hatte der neue amerikanische Präsident Barack Obama keine Zweifel daran gelassen, dass er nicht nur mehr amerikanische Soldaten schicken werde, sondern dass er Vergleichbares von den anderen Bündnisländer erwarte. Der US-General und Nato-Oberbefehlshaber Bantz Craddock fordert eine Aufstockung der von der Nato geführten internationalen Schutztruppe Isaf um 40 Prozent: von 55 000 auf 75 000 Soldaten.

Warum Washington und die Nato-Führung dies verlangen, zeigt die Bilanz der Allianz für das abgelaufene Jahr. Danach war 2008 ein schlechtes Jahr. Der Chef des Nato-Stabes, der deutsche General Karl-Heinz Lather, spricht zwar vorsichtig davon, dass die "Rahmenbedingungen des Einsatzes weiterhin schwierig" sind. Aber die Zahlen, die er am Mittwoch präsentierte, zeigen, dass die Allianz in Afghanistan einen zunehmend gefährlichen Kampf kämpft. Im Vergleich zu 2007 ist die Zahl von Gefechten mit Taliban, Stammesmilizen oder Drogenbanden um 33 Prozent gestiegen. Es gab um 27 Prozent mehr Anschläge mit Sprengfallen. Die Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte haben sich mehr als verdoppelt. Und es hat mehr Opfer gegeben. So ist nach Angaben der Nato die Zahl der getöteten Zivilisten um bis zu 46 Prozent und die der gefallenen Isaf-Soldaten um 35 Prozent gestiegen. Das Bündnis macht keine Angaben über die absolute Zahl der eigenen Opfer. In Afghanistan gibt es nach Lathers Angaben aber auch positive Entwicklungen. So habe die afghanische Armee dreizehn weitere Bataillone auf die Beine gestellt, und eine immer größere Zahl dieser Einheiten sei "in der Lage, eigenständige Operationen durchzuführen".

Neben der dauerhaften Verstärkung der Truppen braucht die Nato in diesem Jahr aber zusätzlich eine zeitweise Aufstockung von voraussichtlich 10 000 Soldaten, um die Wahlen in Afghanistan zu schützen. Die Verstärkung der Streitmacht in Afghanistan wird die Verteidigungsminister der Allianz bei ihrem Treffen Mitte Februar im polnischen Krakau beschäftigen. Dann wird es auch darum gehen, ob Luftüberwachungsflugzeuge vom Typ Awacs, wie von der militärischen Führung der Nato schon länger gewünscht, am Hindukusch eingesetzt werden können. Die militärischen Planungen für ihre Mission sind nach Angaben von Lather schon so weit gediehen, dass sie im Frühjahr beginnen könnte. Doch eine politische Einigung über ihren Einsatz steht immer noch aus. Bislang lehnt Frankreich den Einsatz ab, weil es nicht bereit ist, seinen Anteil von 100 Millionen Euro zu tragen.

Sollte Paris seinen Widerstand im Februar oder aber auf dem Nato-Gipfel Anfang April in Baden-Baden und Straßburg aufgeben, dann muss sich der Bundestag damit beschäftigen. Denn Deutschland stellt einen großen Teil der Awacs-Besatzungen. Es ist die Rede von 200 bis 250 Soldaten. In der Bilanz der Nato finden sich zumindest einige positive Zahlen über die Sicherheitslage. So hätten die "Vorfälle" in der Hauptstadt Kabul und in der Region Gamsir um fast die Hälfte nachgelassen. Dass der generelle Trend in eine andere Richtung geht, mag aber an etwas liegen, was die Nato auch registriert hat: Die Aufständischen bedienen sich "zunehmend asymmetrischer", also terroristischer Methoden, gegen die es konventionelle Armeen schwer haben. Martin Winter

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Augenzeugen abgetaucht

Noch keine Spur des Doppelmörders von Moskau

Von Sonja Zekri

Moskau - Die russischen Behörden haben noch keine näheren Hinweise auf den Mörder des Menschenrechtsanwalts Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasia Baburowa. Trotz Videoaufnahmen der Tat in Moskau konnte die Staatsanwaltschaft kein Phantombild des Täters erstellen. "Man sieht einen jungen schmalen Mann, etwa 1,80 Meter groß, der eine Mütze mit Augenschlitzen über das Gesicht gezogen hat", sagte der Moskauer Polizeichef Wladimir Pronin am Mittwoch. "Daraus können wir kein Phantombild machen." Auch Augenzeugen haben sich bislang nicht gemeldet, dabei schoss der Täter Markelow und Baburowa vor Dutzenden Menschen nieder, bevor er in der Metro verschwand. Die EU-Kommission forderte die "umgehende" Aufklärung des Falles. Der Chefredakteur der Zeitung Nowaja Gaseta, bei der die Journalistin beschäftigt war, sprach von einem "politischen Verbrechen" Wenn sie wolle, könne die Staatsmacht den Fall lösen, sagte Dmitrij Muratow bei einem Besuch in Berlin.

Unterdessen analysieren russische Medien, von denen viele das Bild des toten Anwalts auf der ersten Seite druckten, mögliche Tatmotive. Markelow wurde schon früher überfallen. Im April 2004 griffen ihn fünf Skinheads an, was im Zusammenhang mit der Verteidigung Alexej Olesinows gesehen wurde, Mitglied einer russischen Antifa-Gruppe. Und er wurde bedroht, vor allem wegen seiner Arbeit für die Familie Elsa Kungajewas, einer Tschetschenin, die der russische Offizier Jurij Budanow ermordet hatte. Nach der Begnadigung Budanows vor wenigen Tagen bekam Markelow eine SMS: "Du hirnloses Tier", hieß es darin, "was machst du dir wieder mit der Budanow-Sache zu schaffen? Kennst du keine bessere Art, Selbstmord zu begehen? Oder möglichst schnell in der Abteilung für Transplantationen zu landen? Dann wären wenigstens deine Organe noch jemandem nützlich." Die Zeitung Iswestija vermutete sogar, Markelow könnte in Tschetschenien den Namen des Mörders der Reporterin Anna Politkowskaja erfahren haben. Natalja Estemirowa von der Menschenrechtsorganisation "Memorial" in Tschetschenien vermutet hinter der Tat die Vorgesetzten eines Polizisten, der wegen Misshandlungen und Verschleppungen in Tschetschenien verurteilt wurde.

Mit den Fotos von Kriegsopfern und der Forderung "Wir wollen Gerechtigkeit" wurde in Grosny gegen die Ermordung Markelows demonstriert, der sich auch für die tschetschenische Sache eingesetzt hatte. Foto: Reuters

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EU-kritische Partei in Tschechien gegründet

Prag - An der Europawahl im Juni will sich in Tschechien eine zweite EU-kritische Partei beteiligen, die sich einer vertieften Zusammenarbeit in der Union widersetzt. Wie die Zeitung Lidove noviny am Mittwoch meldete, hat der unabhängige bisherige Europa-Abgeordnete Vladimir Zelezny, ein früherer Fernsehdirektor, beim Innenministerium in Prag die Gruppierung Libertas.cz registrieren lassen. Sie versteht sich offenkundig als Teil der Bewegung Libertas des irischen Multimillionärs Declan Ganley, der vor einem halben Jahr beim Referendum in Irland über die EU-Reform eine führende Rolle spielte. Er hatte eine erfolgreiche Kampagne gegen den Lissabonner Vertrag geführt und damit die Unterstützung der Mehrheit für eine Blockade des Reformprozesses gewonnen.

Erst vor einer Woche hatte auch eine neue Organisation namens Partei Freier Bürger (SSO), die ebenfalls die Ablehnung des Lissabonner Vertrags als eines ihrer Hauptanliegen betrachtet, ihre Kandidatur zur Europawahl angekündigt. Zu ihren Gründern gehören mehrere Vertraute sowie die beiden Söhne des EU-kritischen Staatspräsidenten Vaclav Klaus. Als Sprecher tritt der junge Ökonom Petr Mach auf, der ein von Klaus gegründetes privates Forschungsinstitut leitet.

Offen war zunächst, ob und wie die beiden neuen Gruppierungen gegen einander konkurrieren oder zusammenarbeiten wollen. Allem Anschein nach kam eine verbindliche Absprache bisher noch nicht zustande. Mach hatte vorige Woche lediglich erklärt, seine Organisation sei für eine Zusammenarbeit mit Declan Ganleys Bewegung in Irland offen. Eine Sprecherin Ganleys wiederum erklärte am Mittwoch, der Abgeordnete Zelezny habe seinen Antrag mit Wissen und im Auftrag der europäischen Bewegung Libertas gestellt. Kb.

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Kurze Debatten in Paris

Paris - In der französischen Nationalversammlung hat es einen Eklat wegen der von Staatspräsident Nicolas Sarkozy geforderten zeitlichen Begrenzung von Parlamentsdebatten gegeben. Linke Abgeordnete sehen darin einen Versuch, die Opposition mundtot zu machen. Die Maßnahme ist ein zentrales Element von Sarkozys Verfassungsreform. Kern des Streits ist der neue Artikel 13. Er sieht Zeitkonten für die Fraktionen vor. Sind diese erschöpft, soll ohne weitere Debatte über einen Gesetzestext abgestimmt werden können. Vor der Abstimmung über die Änderung in der Nacht zum Mittwoch sangen die Linken die Marseillaise, anschließend verließen sie demonstrativ den Plenarsaal. Die konservative Mehrheit verabschiedete Artikel 13 am frühen Morgen dann ohne Gegenstimmen. AP

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Grüne wählen Kandidaten

Berlin - Der frühere Grünen-Chef Reinhard Bütikofer will für seine Partei ins Europaparlament einziehen. Zusammen mit der Europaabgeordneten Rebecca Harms bewirbt er sich beim am Freitag beginnenden Parteitag in Dortmund um die Spitzenkandidatur für die Europawahl im Juni. Um weitere Listenplätze bemühen sich unter anderen der Attac-Mitbegründer Sven Giegold und Barbara Lochbihler, die Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International. Mit der Kandidatur der beiden prominenten Vertreter außerparlamentarischer Gruppen wollen die Grünen neue Wählergruppen ansprechen. "Ich gehe davon aus, dass sie auf den vorderen Listenplätzen nominiert werden", sagte Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke am Mittwoch. Bei der Europawahl 2004 hatten die deutschen Grünen 11,9 Prozent erreicht. dbr

Barbara Lochbihler will ins Europaparlament Foto: AP

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Transparente Absprachen

Berlin - Die umstrittenen Absprachen in Strafprozessen sollen transparenter werden. Hierzu beschloss die Bundesregierung am Mittwoch einen Gesetzentwurf aus dem Haus von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD). Bei den sogenannten Deals verständigen sich Gericht und Staatsanwalt mit dem Angeklagten und seinem Verteidiger auf einen Strafrabatt als Belohnung für ein Geständnis. Deals sind sehr umstritten, zumal sie meist außerhalb der Hauptverhandlung vereinbart werden. "Wir wollen die Absprachen aus den Hinterzimmern holen", sagte Zypries. In Zukunft müssten alle Deal-Gespräche in der Hauptverhandlung mitgeteilt und protokolliert werden. Zudem dürfe es lediglich Absprachen über das Strafmaß geben, nicht über den Schuldspruch. (Seite 4) dku

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Kabinett schützt Kinder

Berlin - Die Bundesregierung will Kinder und Jugendliche besser schützen. Das Kabinett beschloss am Mittwoch, dass Ärzte künftig nicht mehr an ihre Schweigepflicht gebunden sein sollen, wenn sie Anzeichen für Misshandlungen oder Unterernährung sehen. Auf Vorschlag von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) soll es künftig zudem ein erweitertes Führungszeugnis geben, in dem bereits kleinere Verurteilungen wegen Sexualdelikten enthalten sind. "Also keine Verschonung mehr bei Exhibitionismus", sagte Zypries. Alle Arbeitgeber oder Vereine, die jemanden für die Arbeit mit Kindern einstellten, sollten sich dieses erweiterte Führungszeugnis vorlegen lassen, riet Zypries. Das normale Führungszeugnis dagegen enthält keine Delikte mit geringen Strafen. dku

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Ende einer vergnüglichen Tradition

Im "Lustreisen"-Prozess verteidigen sich die Lokalpolitiker mit der früher gängigen Praxis der Energiebranche - und zeigen Reue

Von Johannes Nitschmann

Gummersbach - Das katholische Pfarrheim St. Franziskus im oberbergischen Gummersbach ist seit Tagen zum Gerichtssaal umfunktioniert - von jeher ein klassischer Ort der Buße. Im benachbarten Amtsgericht hatte der Platz für die 14 Angeklagten samt ihrer 18 Strafverteidiger nicht ausgereicht. Nun sitzen Bürgermeister, Ratsmitglieder, Beigeordnete und Manager örtlicher Energieunternehmen in dem schlecht beheizten Pfarrsaal auf der Anklagebank. Die lokale Polit-Prominenz soll auf Kosten von Versorgern - zum Teil mit ihren Ehefrauen - teure Luxusreisen unternommen und sich damit nach Auffassung der Staatsanwaltschaft "dem Anschein der Käuflichkeit" ausgesetzt haben. Den Angeklagten wird Vorteilsannahme, Vorteilsgewährung und Untreue zur Last gelegt.

Bundesweit hat die Kölner Staatsanwaltschaft seit 2005 in 150 "Lustreise"-Verfahren gegen fast 1300 Beschuldigte ermittelt. Zu einem rechtskräftigen Urteil kam es bisher nur in einem einzigen Fall, fast 95 Prozent der Verfahren dagegen sind inzwischen gegen Zahlung von Bußgeld eingestellt worden. Doch die Gummersbacher Amtsrichter widersetzten sich dieser gängigen Praxis. "Man kann nicht alles unter den Teppich kehren", erklärte der stellvertretende Amtsgerichtsdirektor Albert Bartz. Das erweiterte Gummersbacher Schöffengericht inszenierte die Hauptverhandlung als öffentlichen Canossa-Gang für die örtlichen Spitzenpolitiker.

Erst nach Verlesung der in weiten Teilen einem Reisebericht gleichenden Anklageschrift und von Reue getragenen Einlassungen aller 14 Angeklagten lenkte der Vorsitzende Richter Ulrich Neef am dritten Verhandlungstag ein: "Wir können darüber reden, dieses Verfahren anders zu erledigen als durch Urteil." Der Anwalt Hans-Jörg Odenthal, der den Wiehler Bürgermeister Werner Becker-Blonigen (FDP) vertritt, beantragte die Einstellung wegen "geringer Schuld" und "fehlendem Interesse der Öffentlichkeit an weiterer Strafverfolgung". Die übrigen Anwälte schlossen sich an. Die Staatsanwaltschaft stimmte bei zehn der 14 Angeklagten einer Einstellung zu. Daraufhin setzte das Gericht Bußgelder in Höhe von 1500 bis 18 000 Euro fest. Die Kommunalpolitiker, darunter vier amtierende und zwei ehemalige Bürgermeister, gelten damit als nicht vorbestraft. Den formellen Einstellungsbeschluss will das Gericht an diesem Freitag verkünden.

Gegen zwei Geschäftsführer und zwei Aufsichtsratsvorsitzende oberbergischer Energiegesellschaften wird der Prozess jedoch fortgesetzt. In diesen Fällen lehnte es die Staatsanwaltschaft ab, die Verfahren einzustellen. Die Anklagebehörde wirft den Politikern vor, auf Einladung ihrer örtlichen Energiegesellschaften "ohne erkennbaren fachlichen Anlass" Luxusreisen nach Rom, Amsterdam, Danzig, zur Documenta nach Kassel, in das Elsass oder auf norwegische Bohrinseln unternommen zu haben. Alleine die von dem Reisebüro "Dream-Collection" im Juni 2000 organisierte Aufsichtsratstour "Rom de luxe - Dolce vita in der ewigen Stadt" schlug pro Teilnehmer mit 3325 Mark zu Buche. Für die elfminütige Aufsichtsratsitzung während der Rom-Reise kassierten die Aufsichtsräte sogar noch ein "Sitzungsgeld" in Höhe von jeweils 200 Mark. Die Gremienreisen wurden größtenteils von den Gaslieferanten Thyssengas und Ruhrgas gesponsert, die zum Teil sogar eigene Reisebüros für die Politiker-Events unterhielten.

Solche Aufsichtsratsreisen seien seinerzeit "branchenüblich" und "seit Jahrzehnten Tradition" gewesen, betonten die Verteidiger. Zu den Aufgaben eines Lokalpolitikers gehörten die Wahrnehmung "vergnüglicher und weniger vergnüglicher" Veranstaltungen, sagte der Kölner Strafverteidiger Odenthal und fuhr fort: "Die Rom-Reise gehörte zu den vergnüglichen. Es war eine Lustreise." Bis zur Einleitung der Strafermittlungen hätten sich die Angeklagten "nicht vorstellen können", dass sie sich mit ihrer Teilnahme "dem Anschein der Käuflichkeit" aussetzten, so Odenthal. Alle 14 Angeklagte versicherten, dass sie "aus heutiger Sicht" die Kosten für die Luxusreisen für "unangemessen" hielten und "nicht noch einmal teilnehmen" würden.

Nicht zuletzt durch das über dreijährige Ermittlungsverfahren seien sie dafür "sensibilisiert worden". Nach der Kölner Müllaffäre, dem Mannesmann-Prozess und dem Auffliegen der auf Firmenkosten finanzierten Bordellbesuche von VW-Betriebsräten haben die angeklagten Kommunalpolitiker laut ihrer Anwälte "ein ablehnendes gesellschaftliches Klima" gegenüber gesponserten Reisen verspürt. Von den Energiekonzernen seien Reisen zur politischen Landschaftspflege inzwischen eingestellt worden, so Odenthal. "Die Zeiten und die sozialen Wertvorstellungen ändern sich."

Eine Luxusreise führte die angeklagten Lokalpolitiker auch zu den Ausstellungen der Documenta in Kassel. Foto: dpa

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Beweislast beim Vermieter

Karlsruhe - Vermieter müssen sich künftig besser als bisher absichern, wenn sie die Abrechnung von Betriebskosten knapp vor Ablauf der Jahresfrist verschicken. Die Versendung auf dem Postweg reiche im Streitfall nicht aus, entschied der Bundesgerichtshof (BGH). Dies sei "kein Anscheinsbeweis für den Zugang der Sendung" bei den Mietern. Damit müssen Vermieter künftig Abrechnungen etwa mit Einschreiben per Rückschein zustellen. Im konkreten Fall hatten Mieter als einzige von 16 Parteien eines Hauses in Berlin bestritten, sie hätten eine am 21. Dezember 2005 abgeschickte Nebenkosten-Abrechnung für 2004 erhalten. Sie verweigerten deshalb die Nachzahlung von rund 270 Euro. Nach dem Gesetz muss die Abrechnung binnen Jahresfrist vorliegen. Damit sollten Mieter vor zu spät geltend gemachten Forderungen geschützt werden, erklärte der BGH. (Az: VIII ZR 107/08) ker.

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Religion zum Thema gemacht

Kirchen sind zufrieden mit Volksbegehren in Berlin

Berlin - Das Volksbegehren "Pro Reli", das Religion zum Wahlpflichtfach an Berliner Schulen machen will, ist aus Sicht der christlichen Kirchen schon jetzt ein politischer Erfolg. Es werde in der ganzen Stadt wieder intensiv über den Religionsunterricht gesprochen, erklärte der evangelische Landesbischof Wolfgang Huber gemeinsam mit dem katholischen Berliner Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky. Am Mittwoch endete die Unterschriftensammlung, bei der mindestens 170 000 Stimmen zusammenkommen mussten, um einen Volksentscheid durchzusetzen. Nach Angaben von "Pro Reli" haben sich weit mehr als 200 000 Berliner für die Initiative ausgesprochen.

"Pro Reli" setzt sich dafür ein, dass Berliner Schüler von der 1. Klasse an zwischen Religionsunterricht und Ethik wählen können. Bisher ist das anders. Vor einigen Jahren wurde in der Stadt ein obligatorischer Ethikunterricht ab der 7. Klasse eingeführt. Er muss von Schülern aller Religionsgruppen besucht werden und dient der gemeinsamen Diskussion von Weltreligionen und Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Die Initiative "Pro Reli" will das Pflichtfach Ethik abschaffen und die Schüler zwischen Religion und Ethik wählen lassen. Der Berliner Senat lehnt dies weiterhin ab. "Wir sind überzeugt von unserem Fach Ethik für alle", sagte Senatssprecher Richard Meng am Mittwoch. In Berlin gebe es nur eine Million christlich gebundene Bürger und 50 Prozent Migrantenkinder. "Ich sehe da keine Mehrheit für die Forderungen der Initiative."

Das Berliner Abgeordnetenhaus will womöglich schon nächste Woche über das Thema diskutieren. Lehnt es eine Gesetzesänderung ab, was zu erwarten ist, kommt es zum Volksentscheid. Mindestens 610 000 Wahlberechtigte müssten dann für die Bürgerinitiative stimmen, wenn sie Erfolg haben soll. Dies gilt als unwahrscheinlich. "Pro Reli" aber zeigt sich kämpferisch. "Es ist eine große Herausforderung, aber machbar ist es", sagte der Initiator des Volksbegehrens, Christoph Lehrmann. Er hofft auf einen Volksentscheid am 7. Juni, wenn die Europawahl stattfindet. (Seite 4) lion

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Lehrerlaubnis verloren

München - Der Freiburger Erzbischof und Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, hat dem Freiburger Religionspädagogen Werner Tzscheetzsch die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen. Tzscheetzsch, einer der führenden katholischen Religionspädagogik-Professoren in Deutschland, hatte sich an Zollitsch gewandt und gesagt, dass er "den kirchlichen Erwartungen an einen Hochschullehrer der katholischen Theologie" nicht mehr entsprechen könne und wolle. Der Erzbischof, so teilt seine Pressestelle mit, habe den Professor daraufhin informiert, dass dies den Entzug der Lehrerlaubnis zur Folge habe. "Es gab kein Lehrbeanstandungsverfahren in Rom, es gab auch von uns aus keinen Anlass, das zu kritisieren, was Professor Tzscheetzsch lehrte", sagte ein Sprecher des Erzbistums. Deshalb bedaure man den Schritt des Religionspädagogen sehr. In Kirchenkreisen werden private Gründe für den Schritt Tzscheetzschs genannt, der ein verheirateter Laientheologe ist. Tzscheetzsch selbst hat bislang öffentlich seinen Schritt nicht erklärt. Nach den Regeln der katholischen Kirche muss auch die Lebensführung ihrer Lehrenden katholischen Grundsätzen folgen. mad

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Vereint gegen Westerwelle

Bundesrats-Pläne der FDP bringen SPD und Grüne näher

Von Daniel Brössler, Nico Fried und Susanne Höll

Berlin - Das Gerangel um eine Zustimmung des Bundesrates zum Konjunkturpaket der Bundesregierung hat zu einer Wiederannäherung der früheren Koalitionspartner SPD und Grüne geführt. Die Sozialdemokraten äußerten sich am Mittwoch erfreut darüber, dass die Grünen über die Landesregierungen von Hamburg und Bremen, an denen sie beteiligt sind, dem Konjunkturprogramm zustimmen wollen. Derweil traf sich FDP-Chef Guido Westerwelle zu einem seit längerer Zeit vereinbarten Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Westerwelle bekräftigte dabei nach eigenen Angaben seine Forderung nach weiteren Entlastungen für die Bürger.

Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, zeigte sich zufrieden, dass nach der angekündigten Zustimmung von Hamburg und Bremen eine Mehrheit in der Länderkammer nicht mehr von der FDP abhängig sei, obwohl diese nach der bevorstehenden schwarz-gelben Regierungsbildung in Hessen in fünf großen Bundesländern mitregiert. "Da hat die FDP in der Euphorie des hessischen Wahlsieges die Kräfte wohl leicht überschätzt", sagte der SPD-Politiker. "Die gefühlte Kraft war stärker als die tatsächliche." Die von CDU und SPD allein oder gemeinsam regierten Länder kämen zusammen mit Hamburg und Bremen auf insgesamt 36 Stimmen. Die notwendige Mehrheit in der Länderkammer liegt bei 35 Stimmen.

Oppermann begrüßte auch die von der schwarz-grünen Landesregierung in Hamburg erhobene Bedingung, die Modalitäten der sogenannten Abwrackprämie zu verändern. Sie soll so gestaltet werden, dass sie einen größeren Effekt für den Umweltschutz erzielt. "Auch bei uns ist der Ehrgeiz vorhanden, die Abwrackprämie ökologisch zu gestalten", sagte Oppermann. Bei der Abwrackprämie sollen Käufer von Neuwagen für ihr altes Fahrzeug unter bestimmten Bedingungen 2500 Euro erhalten, und zwar rückwirkend zum 14. Januar. Oppermann sicherte für den Fall von Änderungen Vertrauensschutz für die Autokäufer zu, die bereits jetzt einen Neuwagen zu den ursprünglich geplanten Konditionen bestellt hätten.

Die SPD-Führung hatte sich bereits am Montag, dem Tag nach der Hessen-Wahl, für den Versuch entschieden, die Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin, wo die SPD mit der Linken regiert, zur Zustimmung im Bundesrat zu bewegen. In der Vorbesprechung zur SPD-Präsidiumssitzung wurde nach Informationen der Süddeutschen Zeitung beschlossen, dies mit Hilfe des sozialdemokratischen Bremer Regierungschefs Jens Böhrnsen (SPD) zu bewerkstelligen. Der habe seinerseits mit dem Hamburger Bürgermeister Ole von Beust (CDU) Kontakt aufgenommen. Bei den Grünen soll Fraktions-Vize Jürgen Trittin ähnliche Überlegungen verfolgt haben.

In der Bundes-SPD sei man sich deshalb schon am Montag relativ sicher gewesen, dass das Konjunkturpaket auch im Bundesrat eine Mehrheit bekomme. Die Entscheidung der beiden Stadtstaaten führt man in der Bundes-SPD im Wesentlichen auf das Interesse an den geplanten Infrastrukturprogrammen für Kommunen in Milliardenhöhe zurück. Trittin selbst bestätigte, dass es den Grünen auch darum gegangen sei, die FDP in die Schranken zu verweisen.

FDP-Chef Guido Westerwelle wertete die Ankündigung Hamburgs und Bremens als "Umfallen" der an diesen Regierungen beteiligten Grünen. Ihnen sei Taktik wichtiger als Inhalt gewesen, sagte Westerwelle. Noch vor einer Woche hatten die Grünen im Bundestag vehement gegen das Konjunkturpaket der Bundesregierung argumentiert. Fraktionschef Fritz Kuhn, der in der Parlamentsdebatte für die Grünen gesprochen hatte, sieht darin jedoch keinen Widerspruch zum Verhalten der Grünen in Hamburg und Bremen. "Wir verhindern, dass aus Murks jetzt Murks im Quadrat wird", sagte Kuhn der SZ. Unverändert sei die Haltung der Grünen auf Bundesebene, dass das Paket falsch sei. Entscheidend sei nun aber, die von FDP-Chef Guido Westerwelle verlangten zusätzlichen Steuersenkungen zu verhindern. "Wir bestreiten, dass es konjunkturell gut wäre, jetzt die Steuern stärker zu senken", sagte Kuhn. "Gerecht wäre es auch nicht." Die Ablehnung im Bundestag und die Zustimmung im Bundesrat sei daher den Wählern erklärbar. "Diesen Zusammenhang können wir jederzeit vermitteln", sagte Kuhn.

Mittlerweile ist auch eine Zustimmung der Landesregierung in Berlin offenbar nicht mehr ausgeschlossen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), aber auch sein Koalitionspartner Linkspartei, lehnen das Konjunkturpaket nicht grundsätzlich ab, haben allerdings Bedenken bei einzelnen Regelungen. Der Sprecher der Bundesregierung, Ulrich Wilhelm, verwies am Mittwoch jedoch ausdrücklich auf "ermutigende Stellungnahmen von allen Parteien, die an Länderregierungen beteiligt sind".

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Kritik an hohen Hürden

Schwarz-grüner Entwurf zur Patientenverfügung stößt im Bundestag auf Widerspruch

Von Laura Weißmüller

Berlin - Sich in der Parlamentsdebatte über die Patientenverfügung als letztes ans Rednerpult zu begeben, hat sich für den Bundestagsabgeordneten Wolfgang Bosbach (CDU) ausgezahlt. So konnte er auf jede zuvor geäußerte Kritik an seinem Gesetzesentwurf, den er mit Katrin Göring-Eckardt (Grüne) ausgearbeitet hat, Stellungnehmen. Gerade bei seinem Entwurf fiel diese reichlich aus: Zu hoch seien hier die Hürden für Patientenverfügungen, hieß es mehrfach.

Auch Göring-Eckart hält bei den Verfügungen einen Gang zum Notar für "unentbehrlich", wenn der Kranke Aussicht auf Heilung hat. Sei die Krankheit dagegen unheilbar, so blieben bereits bestehende Patientenverfügungen auch ohne Notar gültig. Diese Unterscheidung sei wichtig: "Die komplexe Thematik rechtfertigt eine Lösung, die differenziert. Und wo es um Leben und Tod geht, ist die Selbstbestimmung zu achten, aber auch ein Gesetz zu formulieren, nach dem im Zweifel für das Leben entschieden wird. Das ist nicht falsch verstandener Paternalismus, das ist Verantwortung des Gesetzgebers", sagte sie.

Nach dem Entwurf von Hans Georg Faust (CDU) und Wolfgang Zöller (CSU) gilt bereits eine mündliche Erklärung. Der Entwurf räumt der Patientenverfügung eine hohe Verbindlichkeit ein, gleichzeitig sollen auch Angehörige und Ärzte in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. Faust, der selbst Arzt ist, hält den Willen des Patienten dabei für das höchste Gebot. Das gelte nicht nur bei wachen, sondern auch bei entscheidungsunfähigen Patienten. Gleichwohl müssten die individuellen Umstände berücksichtigt werden: "Die Ermittlung und Umsetzung des Patientenwillens ist ein Prozess, kein Suchen in verschiedenen Schubladen eines Gesetzesschrankes, in dem man die Patientenverfügung je nach Form, Ausgestaltung und Krankheit gelegt hat." Vielmehr sollen auch die Angehörigen, der Betreuer, der Arzt und in Konfliktfällen das Vormundschaftgericht in den Entscheidungsprozess miteinbezogen werden. Je genauer die Patientenverfügung sei, "desto mehr verdichtet sich in diesem Prozess die Gewissheit, was zu tun ist", sagte Faust.

Auch Wolfgang Zöller betont die Notwendigkeit von Fall zu Fall zu unterscheiden. Die Vielfalt der denkbaren Situationen am Lebensende entziehe sich einer pauschalen Betrachtung und lasse sich nicht bis ins Detail regeln. "Sterben ist nicht normierbar. Eine gesetzliche Regelung darf deshalb keinen Automatismus in Gang setzen, der auf ein bloßes buchstabengetreues Ausführen der Patientenverfügung gerichtet ist."

Obwohl der Entwurf des SPD-Rechtsexperten Joachim Stünker, der einen schriftlich festgelegten Patientenwillen absoluten Vorrang einräumte, mit 206 Unterschriften bislang die meisten Befürworter gefunden hat, wurde die Vorlage in der Parlamentsdebatte kaum diskutiert. Die bayerische Justizministerin Beat Merk (CSU) befürwortet den Gesetzesentwurf von Zöller, die deutsche Hospizstiftung sprach sich dagegen für den Entwurf von Wolfgang Bosbach und Katrin Göring-Eckardt aus.

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Hoffnung auf die Liberalen

CDU-Wirtschaftsflügel will Mindestlöhne noch verhindern

Berlin - Trotz der Einigung der großen Koalition in Berlin bei den Mindestlöhnen könnte das Thema ein Fall für den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat werden. Vertreter des Wirtschaftsflügels der Union dringen darauf, die Mindestlohngesetze mit Hilfe der schwarz-gelben Länderregierungen im Bundesrat zu kippen. Gelingt dies, müsste sich der Vermittlungsausschuss auf einen neuen Kompromiss einigen.

Die Wirtschaftspolitiker der Union mussten wegen der Finanzkrise zuletzt viele Kröten schlucken. Sie nickten den Rettungsschirm für Unternehmen ab, stimmten möglichen Teilverstaatlichungen zu und befürworteten eine Rekordverschuldung des Staates. Nach dem Sieg der FDP bei der Hessen-Wahl ist der Wirtschaftsflügel erst recht besorgt um das Image der Union. So war es wohl kein Zufall, dass der Unmut, den einige Abgeordnete schon immer beim Thema Mindestlöhne bewegte, bei der jüngsten Fraktionssitzung offen ausbrach. Vor allem Laurenz Meyer, der wirtschaftspolitische Sprecher der Union, und der CDU-Mittelständler Michael Fuchs begehrten auf. "Ich habe 16 Jahre Tarifpolitik gemacht und halte es für grundfalsch, wenn sich die Politik in die Tarifautonomie einmischt", sagt Fuchs. Grund für den Aufstand ist das Mindestarbeitsbedingungen-Gesetz, über das an diesem Donnerstag im Bundestag abgestimmt wird. Es sieht vor, dass in Branchen, in denen weniger als 50 Prozent der Arbeitnehmer tarifgebunden beschäftigt sind, die Bundesregierung Mindestlöhne festsetzen kann. In Frage kommt dies etwa in der Fleischindustrie oder in der Gastronomie, wo teilweise Dumping-Löhne gezahlt werden. Zwar bleiben Tarifverträge, die bis 16. Juli 2008 abgeschlossen waren, weiter gültig. Setzt die Bundesregierung aber für bestimmte Branchen Lohnuntergrenzen fest, macht sie damit Vorgaben für künftige Tarifverträge. Das passt Wirtschaftspolitikern wie Laurenz Meyer überhaupt nicht. Er kritisiert, dass der Vorrang von tarifvertraglichen Lösungen im neu gefassten Gesetz nicht mehr vorhanden sei.

Die Länder hatten ebenfalls darauf gepocht, den Tarifvorrang nicht anzutasten. Der CDU-Wirtschaftsrat hofft deshalb, dass das Gesetz am 12. Februar im Bundesrat verhindert wird. Dies könnten aber die in Bremen und in Hamburg an den Regierungen beteiligten Grünen verhindern, wenn sie in der Länderkammer die Mindestlohngesetze befürworten. Der stellvertretende SPD-Fraktionschef Ludwig Stiegler gibt sich jedenfalls siegesgewiss: "Es werden genügend Länder zustimmen." Thomas Öchsner

Unterstützung für die Industrie in Sicht: Die Chancen des Konjunkturpakets, den Bundesrat zu passieren, sind weiter gestiegen. Inzwischen erwägt sogar das rot-rot regierte Berlin, den Plänen der großen Koalition zuzustimmen. Foto: AP

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Erst mal nur ein Sechser

Nach dem Wechsel de Jongs haushaltet der HSV mit dem Erlös

Hamburg - Am Mittwochmorgen bestieg Nigel de Jong, 24, ein Flugzeug nach England, Gesundheitscheck und Vertragsunterzeichnung des niederländischen Fußball-Nationalspielers bei Manchester City standen auf dem Programm. Damit war der seit Tagen angekündigte, bisher größte Transfer des Hamburger SV perfekt. Rund 20 Millionen Euro wird der Wechsel dem HSV bringen, der vor drei Jahren noch 1,5 Millionen Euro an Ajax Amsterdam bezahlt hatte. Es ist der dritte große Zahltag der Hamburger in dieser Saison. Im August 2008 war erst Rafael van der Vaart für 15 Millionen Euro zu Real Madrid abgewandert und dann Vincent Kompany für neun Millionen Euro zu Manchester City, wo nun eine kleine HSV-Fraktion entsteht.

4,5 Millionen Euro Gehalt

De Jong unterschrieb einen Vertrag bis Juni 2013 und kassiert angeblich 4,5 Millionen Euro Gehalt pro Jahr. So ein Entgeld kann der kleinere Klub in Manchester nur finanzieren, weil die Ölquellen des neuen City-Besitzers Scheich Mansour bin Zayed al Nayan aus Abu Dhabi nicht zu sprudeln aufhören, nur weil ansonsten weltweit das Kapital knapp ist. Gerade erst wurde das Angebot für den Spielmacher des AC Mailand, Kakà, über 120 Millionen Euro aus Italien zurückgewiesen. Dennoch wird der derzeitige Tabellenelfte der englischen Premier League weiter nach namhaften Profis fahnden - um alsbald mit dem großen Lokalrivalen Manchester United auf Augenhöhe zu spielen.

Der HSV wiederum wird auch wegen des Finanzdilemmas anders als im August, als er selbst für 28 Millionen Euro die vier Spieler Mladen Petric, Marcell Jansen, Alex Silva und Thiago Neves verpflichtete, nicht alles sofort wieder ausgeben. Womöglich kommt erst einmal nur ein Sechser - einer, der die Position von de Jong vor der Abwehr spielen kann. Jemand wie Demy de Zeeuw (AZ Alkmaar), Steven Defour (Standard Lüttich) oder Stephane Mbia (Stade Rennes).

Den Rest will Vorstandschef Bernd Hoffmann wohl erst im Sommer ausgeben. Weil dann, wie er vermutet, die globale Krise wohl auch bei manchem Fußballklub angekommen ist - und diese dann verkaufen müssen. Als sicher gilt freilich, dass der 27-jährige Stürmer Milan Jovanovic, ebenfalls in Lüttich beschäftigt, als Nachfolger für den zum FC Bayern München wechselnden Ivica Olic auf dem HSV-Zettel steht. Landsmann Olic selber hat dem serbischen Kollegen seinen aktuellen Arbeitgeber angeblich empfohlen.

Beim Hamburger SV ist von einer Krise noch keine Spur. Gerade hat man den Vertrag mit einer in Dubai beheimateten Fluggesellschaft bis 2012 verlängert; künftig soll es statt fünf nun 7,5 Millionen Euro pro Jahr geben. Wie die Finanzmittel für de Jong kommt also auch dieses Geld aus der Wüste. Derzeit gibt es wohl für einen Fußballklubs keine bessere Kapitalquelle. jöma

Die teuersten Transfers der Bundesliga

Jahr Spieler alter/neuer Verein Summe*

2007 Owen Hargreaves FC Bayern München/Manch.United 25 Mio.

2009 Nigel de Jong Hamburger SV/Manchester City 20 Mio.

2000 Emerson Bayer 04 Leverkusen/AS Rom 20 Mio.

2001 Evanilson Borussia Dortmund/AC Parma 17 Mio.

2006 Dimitar Berbatow B. Leverkusen/Tottenham Hotspur 16 Mio.

2008 Rafael van der Vaart Hamburger SV/Real Madrid 15 Mio.

2005 Alexander Hleb VfB Stuttgart/Arsenal London 15 Mio.

2007 Miroslav Klose Werder Bremen/Bayern München 12-15 Mio.

2006 Khalid Boulahrouz Hamburger SV/FC Chelsea 13 Mio.

1998 Jörg Heinrich Borussia Dortmund/AC Florenz 12,5 Mio.

2004 Lúcio Bayer 04 Leverkusen/Bayern München 12 Mio.

2007 Marcell Jansen B. M'gladbach/Bayern München 11-12 Mio.

(* Summen zumeist Schätzungen)

Nigel de Jong Foto: Getty

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Kuriose Krise bei Feyenoord

Beenhakker, hilf!

Roy Makaay hatte das getan, was er am besten kann. Er hatte sich nicht übermäßig viel bewegt, er hatte darauf vertraut, dass der Ball irgendwann mal bei ihm vorbeischauen würde, und als der Ball kam, traf Makaay ihn derart mächtig, dass das Tornetz schwere Beulen davontrug. Es war das 1:1 für Feyenoord Rotterdam, und Makaay schlug den einzigen Laufweg ein, auf den man sich bei ihm verlassen kann: Er rannte zu den Fans, um sich feiern zu lassen. Auf die Fans aber war diesmal kein Verlass: Sie schwiegen. Und als das Spiel in Heerenveen zu Ende und 1:3 verloren war, schwiegen sie immer noch.

Es ist gerade nicht leicht, Spieler bei Feyenoord Rotterdam zu sein. Als sich Feyenoord und Heerenveen am Dienstag im Pokal-Achtelfinale erneut begegneten, diesmal in Rotterdam, war auch auf Makaay kein Verlass mehr. Das Spiel endete 0:3.

In der Tabelle der Eredivisie belegt Feyenoord zurzeit nur den 12. Platz, mit vier Punkten Vorsprung auf die Abstiegsränge und 25 Punkten Rückstand auf Tabellenführer Alkmaar. Es ist mehr als eine handelsübliche Krise, denn ein paar nicht sehr handelsübliche Begleiterscheinungen haben aus der Krise ein kurioses Spektakel gemacht. So entließ die Klubführung vorigen Mittwoch Trainer Gertjan Verbeek, obwohl sie ihn gar nicht entlassen wollte; aber die Spieler hatten sich in einer Abstimmung mit großer Mehrheit gegen den Coach ausgesprochen und das Ergebnis der Abstimmung sicherheitshalber auch den Medien mitgeteilt. Kurz darauf trat Verbeek vor die Kameras und legte "wegen mangelnden Vertrauens" die Arbeit nieder - ein von den Profis erzwungener Rücktritt, den die Anhänger mit dem schweigenden Liebesentzug konterten. Verbeek steht im Ruf, eine Art Holland-Magath zu sein, und während die Fans des Arbeiterklubs den disziplin- und fitnessfanatischen Coach als einen der Ihren verehren, lehnten weitgereiste Profis wie Makaay oder Giovanni van Bronckhorst die Härten des Trainings ebenso ab wie ständige Lebenswandel-Predigten - zumal sie in der Vorsaison die lässige Führung des ehemaligen Dortmunder Coaches Bert van Marwijk genießen durften, der Fitness für überschätzt hält.

Bei Feyenoord wissen sie, dass niemand den Klub besser versöhnen kann als Leo Beenhakker, der alte Rotterdamer. Er soll am besten sofort übernehmen, als Übergangstrainer, und im Sommer soll er dann Sportdirektor werden. Zurzeit ist er allerdings noch als Nationaltrainer und Volksheld in Polen beschäftigt, aber es sieht so aus, als würde es den polnischen Fans demnächst ähnlich ergehen wie den Fans von Feyenoord: Wahrscheinlich verlieren sie bald ihren Lieblingstrainer.Christof Kneer

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Milan mit Verlust

Der AC Mailand hat im Geschäftsjahr 2007/08 einen Verlust von 30 Millionen Euro gemacht. In der Saison zuvor waren es 17 Millionen Euro gewesen. Nach Angaben der Mailänder Wirtschaftszeitung Sole 24 Ore sind die Personalausgaben um 20 Prozent gestiegen, diese machten 63,9 Prozent des Umsatzes des Klubs aus, der bei 259,8 Millionen Euro stabil ist. Durch einen Verkauf von Kakà an Manchester City, das 125 Millionen Euro Ablöse für den Brasilianer geboten hatte, hätte sich die finanzielle Lage des Klubs stark verbessert - Kakà aber sagte Anfang der Woche ab. Milan bezahlt 50 Fußballer, 39 Trainer bzw. Fachleute sowie acht Manager. Für das Personal wurden im letzten Geschäftsjahr 166 Millionen Euro aufgewendet. Die Milan-Verluste werden in der Regel vom Hauptaktionär, der Medienholding Fininvest unter Kontrolle von Milan-Chef und Ministerpräsident Silvio Berlusconi, aufgefangen.sid

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Mit Lahm und Ribéry

Der deutsche Nationalspieler Philipp Lahm und der Franzose Franck Ribéry, beide vom FC Bayern, sind auf der Internetseite der Europäischen Fußball-Union (Uefa) in die Elf 2008 gewählt worden. Zuvor waren beide auch in die Elf 2008 des Weltverbandes Fifa berufen worden. Das Gerüst der von 256 000 Lesern gewählten Uefa-Elf stellen sechs spanische Europameister (Casillas, Ramos, Puyol, Xavi, Fabregas, Torres). Zudem gehören Portugals Ronaldo, Argentiniens Messi und Englands John Terry der Auswahl an. Als Trainer gewählt: Sir Alex Ferguson von Manchester United. sid

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Ibisevic entlassen

Stürmer Vedad Ibisevic, 24, vom Bundesliga-Tabellenführer 1899 Hoffenheim, ist am Mittwoch nach seiner Knie-Operation aus dem St.-Elisabeth-Krankenhaus in Heidelberg entlassen worden. Der mit 18 Treffern erfolgreichste Schütze der Hinrunde hatte sich in einem Testspiel einen Kreuzbandriss zugezogen und fällt für die Rückrunde aus. sid

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Tendenz zum Revier

Der Deutsche Fußball-Bund will bis März über den Standort des geplanten "Nationalen Fußballmuseums" entscheiden. Bereits am Freitag wird DFB-Schatzmeister Horst R. Schmidt das Präsidium des Verbandes über seine Gespräche mit den Bewerberstädten Dortmund und Gelsenkirchen informieren. Zu Spekulationen, wonach auch Köln noch nicht aus dem Rennen sei, erklärte DFB-Sprecher Harald Stenger: "Es gilt derzeit der Präsidiumsbeschluss vom 14. November, wonach es eine Tendenz zu Dortmund oder Gelsenkirchen gibt." sid

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ManU sucht Sponsor

Sportlich läuft es für Manchester United nach Plan, doch nun wird der 17-malige englische Meister stark mit den Folgen der Wirtschaftskrise konfrontiert. Am Tag nach dem Einzug ins Ligapokalfinale, das der Tabellenführer der Premier League durch ein 4:2 (Hinspiel: 0:1) gegen das zweitklassige Derby County erreichte, teilte der bisherige Trikotsponsor AIG mit, dass er sein bis 2010 laufendes Engagement nicht verlängt. Die American International Group Inc. (AIG), ein Versicherungskonzern mit Hauptsitz in New York, zahlte rund 15 Millionen Euro jährlich für Trikotwerbung. Das Finanzinstitut musste aber im November von der US-Regierung mit einer Finanzspritze von rund 150 Milliarden US-Dollar gerettet werden. Wie der Vertrag bis zum Laufzeitende fortgesetzt wird, ist offen. Vor allem in Asien hält ManU Ausschau nach einem neuen Partner. sid

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Alle tippen auf Bayern

Die Meisterschale wird nach Meinung der 18 Bundesliga-Trainer auch 2009 beim FC Bayern landen. In einer dpa-Umfrage legten sich alle Trainer auf den Rekordmeister fest. Auch wenn die glanzvolle Hinrunde von Aufsteiger 1899 Hoffenheim den Fußball-Lehrern Respekt abnötigt, trauen sie der Elf die Meisterschaft nicht zu. "Der FC Bayern wird sich durchsetzen. Die Mannschaft verfügt über den stärksten Kader und die größte Erfahrung", sagte nicht nur Wolfsburgs Trainer Felix Magath. dpa

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Raus aus dem Frust

Der Frauenausschuss des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) geht in die Offensive und fordert die Verlegung des Pokal-Finales, doch DFB-Boss Theo Zwanziger warnt vor einem Schnellschuss: "Man muss überlegen, wie hoch man die Messlatte legt. Denn es ist wahnsinnig schwer, für die Frauen eine Kulisse zu schaffen, die ihrem DFB-Pokal-Finale den richtigen Rahmen gibt." Grundsätzlich bestätigte er aber Überlegungen, das Frauen-Finale nach 25 Jahren in 2009 letztmals als Vorspiel des Männer-Endspiels in Berlin stattfinden zu lassen. Als Quartiere für 2010 brachte der DFB-Präsident die Stadien in Schalke, Frankfurt und Duisburg ins Gespräch: "Das Finale in Berlin ist zwar für die Vereine finanziell attraktiv, für die Spielerinnen allerdings äußerst frustrierend." Offenbar sind einige Präsidiumsmitglieder des DFB verärgert darüber, dass die für Frauenfußball zuständige Vizepräsidentin Hannelore Ratzeburg jüngst den möglichen Umzug ausgeplaudert hatte. sid

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Weiter geht die Abwehrlotterie

Mönchengladbachs vier Neue für die Defensive signalisieren Hilfsbereitschaft - mehr noch nicht

Mönchengladbach - Mit einer bunten Revue aus den spektakulärsten Nummern der misslungenen Hinrunde sind in diesem Winter die tapsigen Fußballartisten von Borussia Mönchengladbach auf Tournee. Nach unterhaltsamen Pannenshows in Israel und Spanien sind sie nun erstmals im neuen Jahr auch im heimischen Varieté namens Borussia-Park aufgetreten und erhielten nach dem 2:4 gegen Borussia Dortmund jene akustische Resonanz, die sie gut kennen. Mit Pfiffen bewerteten 6000 Gladbacher Fans nach einer trüben Vorführung jene Niederlage, die sich trotz der Hoffnung stiftenden Zugänge in Tor (Logan Bailly), Abwehr (Paul Stalteri) und Mittelfeld (Tomas Galasek) als Reprise einer unfrohen Halbserie entpuppte. "Eigentlich war heute alles wie in der Hinrunde", sagte der Sportdirektor Max Eberl über das fehleranfällige Spiel und kreierte mühsam neue Hoffnung: "Wenn Dante erst mitspielt, wird es sicher besser!" Der Innenverteidiger und vierte Neue ist verletzt.

Es bleibt viel Platz für Projektion. Fünf Millionen Euro haben die Gladbacher in der Winterpause für vier neue Spieler ausgegeben, aber von einer guten Investition kann bislang keine Rede sein. Sie verloren 1:2 gegen den Regionalligisten Paderborn, 0:3 gegen den ukrainischen Champions-League-Teilnehmer Donezk und 2:4 gegen den Ligakonkurrenten Dortmund. Gegen Grasshopper Zürich gab es zwar ein 4:2, aber wieder zwei Gegentore, und es ist nun mal die fragile Torverhinderung, die Gladbach bei 35 Gegentreffern in 17 Bundesligaspielen zur schwächsten Abwehr der Liga degradierte und die Klubleitung überzeugte, dass Geld für vier defensive Facharbeiter zu investieren sei. Mit Mittelfeldmann Galasek, 36, und Außenverteidiger Stalteri, 31, schlugen sie auf der Jagd nach Abwehrspezialisten UND Routiniers zwei Fliegen mit einer Klappe, allerdings mühten sich gegen Dortmund beide noch um Akklimatisierung und ihrem ab Februar unter ultimativem Erfolgsdruck stehenden Trainer Hans Meyer allenfalls grundsätzliche Komplimente ab: "Wir wissen, was wir an ihnen haben!"

Je sechs Rechtsverteidiger, Innenverteidiger und zentral-defensive Mittelfeldspieler sowie drei Torhüter waren in Gladbachs Abwehrlotterie in der Hinrunde zum Einsatz gekommen, aber statt zu einer Entscheidung im wochenlangen Selektionsprozess gerieten Trainer und Klubleitung zu der kostspieligen Erkenntnis, dass es auf diesen Stellen gänzlich neuen Personals bedarf. Folglich erwarb man aus Belgien vom RC Genk den Torwart Logan Bailly und von Standard Lüttich den brasilianischen Innenverteidiger Dante sowie aus Tschechien von Banik Ostrava den früheren Nürnberger Tomas Galasek und vom Londoner Vorortklub Tottenham Hotspur den früheren Bremer Paul Stalteri. Vier von sieben zur Torverhinderung prädestinierte Positionen sind so zur Rückrunde neu besetzt.

Bislang haben die vier Neuen aber bloß Hilfsbereitschaft signalisieren können, so dass der Trainer Meyer sie bereits mit einem Lächeln unter Druck setzen muss. "Sie dürfen sich sicher nicht ein Jahr Zeit lassen wie zum Beispiel der Ailton damals in Bremen", sagte Meyer über die Dringlichkeit einer zügigen Integration. Zugleich beteuerte er die Richtigkeit seiner Akquisitionen, als er nach dem 2:4 gegen Dortmund befand: "Ich liege nicht so falsch!" Am kommenden Samstag besteht daheim gegen den tschechischen Erstliga-Zweiten FK Mlada Boleslav die letzte Chance zur Formfindung, bevor eine Woche später mit dem Gastspiel beim VfB Stuttgart jene Rückrunde beginnt, die für die Gladbacher mit Hoffenheim und Bremen dann gleich zwei weitere starke Kontrahenten bereit hält.

Kommende Woche könnte es noch zu Ausmusterungen kommen, denn nach den Akquisitionen soll der Kader entrümpelt werden. Drei Spieler sind bereits in die zweite Liga gewechselt: Alexander Voigt zur SpVgg Greuther Fürth, Sascha Rösler zu 1860 München und Sebastian Svärd zu Hansa Rostock. Sharbel Touma und Soumaila Coulibaly haben noch keinen Verein gefunden, Uwe Gospodarek ist bei Bayer Leverkusen im Gespräch, Marcel Ndjeng beim Hamburger SV.

Auch der robuste Verteidiger Steve Gohouri wähnt sich von der Borussia ausgemustert, das dementiert Sportchef Max Eberl allerdings. "Wenn Steve sich nicht mit Borussia identifizieren und auf den Abstiegskampf konzentrieren kann, dann muss er einen Verein bringen, der für ihn eine adäquate Ablöse bezahlt." Es soll Interessenten aus England geben, und weil auf der Insel noch nicht jeder Penny zweimal herumgedreht wird, erhoffen sich die Gladbacher für Gohouri offenbar eine Ablöse, die die investierten fünf Millionen Euro zumindest teilweise wieder ausgleicht. Ulrich Hartmann

Neuer Ordner: Der belgische Torhüter Logan Bailly soll nun Mönchengladbachs fragile Abwehr zusammenhalten. Foto: Getty

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Nummer 35 aus dem Füllhorn

Der VfL Wolfsburg kauft weiter ein und glaubt, dass diese Politik langfristig auch beim Autoverkauf hilft

Wolfsburg - Die Nachricht des Dienstages war in Wolfsburg mal wieder keine gute. 61 000 Mitarbeiter der Volkswagen AG werden demnächst in Kurzarbeit gehen, 16 000 davon allein in der niedersächsischen VW-Stadt. Natürlich versucht der Konzern, die Autokrise für das Personal so gut abzufedern wie möglich. Das ist Tradition. Doch am Tag danach wurde auch deutlich, dass man an einem anderen Ende auf keinen Fall sparen will. Die VW-Tochter VfL Wolfsburg, der vielleicht inzwischen beste Werbeträger neben dem Klassiker Golf, machte so weiter wie seit dem Dienstantritt des Trainermanagers Felix Magath im Sommer 2007. Er verpflichtete in dem slowakischen Nationalspieler Peter Pekarik, 22, den 35. Profi in anderthalb Jahren.

Und natürlich hat der vom MSK Zilina für 1,5 Millionen Euro Ablöse geholte Rechtsverteidiger auch etwas gesagt, was in der Autobranche derzeit nur wenige sagen können. Es sei "ein Traum und ein großer Karriereschritt", nach Wolfsburg zu kommen. In diese "Stadt, in der alles auf einem sehr hohen Niveau ist". Das wird wohl trotz aller Wirtschaftskrisen zumindest für Fußballprofis vorerst so bleiben. "Das Füllhorn wird nicht versiegen", sagte Klaus Fuchs, Leiter der Sportkommunikation von VW. Es werde "kein ,No go' oder Stopp geben". Magaths Aktivitäten würden im Unternehmen "außerordentlich hoch eingestuft", sagte er noch. Ein loyales Urteil, denn Fuchs selbst wurde ja als VfL-Manager von Magath abgelöst, was nicht ohne Schrammen ablief.

Auch künftig werde es kein begrenztes Budget für den VfL geben. Im Prinzip müsse Magath, der Vertraute von VW-Boss Martin Winterkorn, nur mit Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch reden, um neues Geld für Transfers zu bekommen. Allein in dieser Saison hat der VfL fast 34 Millionen Euro für 15 Profis ausgegeben. Mehr als in der vergangenen Spielzeit, als Wolfsburgs wichtigster Fußballangestellter mit 29 Millionen Euro begann, das komplette Team auszutauschen, wobei damals immerhin über 14 Millionen aus Verkäufen zurückflossen.

Zwei Dinge haben neben dem guten Verhältnis zu Winterkorn dazu geführt, dass Magaths Ansehen sogar noch gestiegen ist. Unter seinen Einkäufen gab es kaum Flops, sondern fast nur Spieler, die dem Wolfsburger Anspruch einen Schub geben, künftig dauerhaft international mitzuspielen. Ob das nun Torhüter Diego Benaglio, Abwehrchef Andrea Barzagli, Neu-Nationalspieler Marcel Schäfer, die Mittelfeldspezialisten Josuè und Zvezdan Misimovic oder die Angreifer Grafite oder Edin Dzeko sind.

Zudem spielt Magath durchaus Doppelpass mit dem Konzern. Das nächste Wintertrainingslager will er kurz vor der WM 2010 in Südafrika abhalten. Eine prima Marketing-Idee. Im VW-Werk Uitenhagen arbeiten 5000 Mitarbeiter, zudem ist man Sponsor der beiden Erstligaklubs Moroka Swallows und Bay United. Zudem ist der VfL neben dem FC Bayern München der einzige Bundesligaklub, der inzwischen zwei Italiener unter Vertrag hat. Auch das kommt gut an im Unternehmen, immerhin leben in Wolfsburg 6000 Italiener, die meisten arbeiten natürlich bei VW. Und auch mit dem zweiten japanischen Profi nach Makoto Hasebe will Magath sowohl dem Konzern als auch seiner Fußballmannschaft helfen, die in Japan gegen die dortige Autokonkurrenz antritt.

Es ist der Stürmer Yoshito Okubo, 26, der kurz vor dem Trainingslager im spanischen Jerez de la Frontera als 34. Spieler der Magath-Ära für zwei Millionen Euro verpflichtet wurde. Auch da ist der Trainer ziemlich sicher, dass dieser Profi der Mannschaft weiterhelfen kann - nicht nur, weil ihn die neuen Kollegen schon "Yoshi" rufen und er in den Testspielen gegen Mainz und Greuther Fürth bereits die ersten Tore erzielte. "Man merkt gar nicht, dass er ein Neuer ist", sagte Magath nach der Vorbereitung. Dieser Kämpfertyp sei auch "fußballerisch eine Bereicherung".

Okubo selbst hat vielleicht schon den schwierigsten Teil der Umschulung hinter sich. Er weiß jetzt, warum Felix Magath in Deutschland den Spitznamen "Quälix" trägt. In sein Fitnessprogramm hat der Coach natürlich auch wieder die hügelige spanischen Landschaft eingebaut, indem er die Profis die kleinen Erhebungen hinaufächzen ließ. Es war, sagte Okubo, die härteste Vorbereitung, die er in seiner Karriere mitgemacht habe.

Nun fehlt nur noch, dass der inzwischen als Spitzenteam wahrgenommene VfL Wolfsburg auch so viele Punkte erkämpft wie ein Spitzenteam. Vorerst fehlen dem Tabellenneunten sechs Zähler bis zum Fünften, dem Uefa-Cup-Anwärter Bayer Leverkusen. Holt man die nicht auf, gäbe es erstmals in der Magath-Zeit auch im Fußball wieder schlechte Nachrichten aus Wolfsburg. Jörg Marwedel

Soll in Japan für Fußball, Wolfsburg und Volkswagen werben: Yoshito Okubo, die 34. Verpflichtung der jungen Ära des Teammanagers Felix Magath, in einem Testspiel gegen Pascal Matthias (rechts) vom 1. FC Magdeburg. Foto: Fishing4

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Heute in der SZ

Der Geist ist willig, das Geld knapp

An der Universität Witten/Herdecke suchen Studenten nach Wegen, der Pleite zu entgehen. Von Tanjev Schultz 3

Die Trümmer von Gaza

Das Verhältnis zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn ist vergiftet. Leitartikel von Rudolph Chimelli 4

Schauspieler mit Millionengage

Die Anklageschrift im Fall Klatten zeichnet den mutmaßlichen Erpresser Sgarbi als skrupellosen Hochstapler. 8

Die große Chance beim Bauen

Das neue Konjunkturprogramm könnte auch die Bildung fördern.

Von Gerhard Matzig 9

Die Antarktis holt auf

Alle Teile des Kontinents am Südpol erwärmen sich offenbar. 14

Wertloser Müll statt kostbarer Rohstoff

Die Preise für Altpapier sind um 90 Prozent eingebrochen. 16

Hitzköpfe ärgern die Tennisprofis

Im Publikum des Turniers von Melbourne inszenieren Serben und Kroaten ihre politischen Konflikte. 35

TV- und Radioprogramm 40

München · Bayern 38

Reise 29 - 34

Forum, Rätsel 39, 13

Familienanzeigen 24

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Ungleich verteilt

Studie: Wachsende Kluft zwischen Arm und Reich

Berlin - Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sind die Reichen in Deutschland seit dem Jahr 2002 reicher und die weniger Wohlhabenden und Armen ärmer geworden. So verfügte das wohlhabendste Zehntel der erwachsenen Bevölkerung 2007 über 61,1 Prozent des privaten Vermögens, 2002 waren es noch 57,9 Prozent. Allein das reichste Hundertstel hielt 2007 knapp 23 Prozent des Nettovermögens. Dagegen besaßen die weniger wohlhabenden 70 Prozent der Erwachsenen nur knapp neun Prozent des gesamten Nettovermögens. 2002 befand sich Deutschland am Rand einer Rezession. 2007 ging es dagegen mit der Wirtschaft noch aufwärts. Die große Mehrheit der Bevölkerung konnte davon aber nicht profitieren. (Wirtschaft) tö

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Bahn ließ Mitarbeiter ausforschen

Berlin - Wegen Nachprüfungen bei eigenen Mitarbeitern gerät die Bahn erneut in die Kritik. Nach einem Bericht des Magazins Stern werfen Datenschützer der Bahn vor, unzulässig in der Privatsphäre ihrer Beschäftigten geforscht zu haben. Die Bahn wies die Vorwürfe zurück. Zwar habe sie Detektive mit Nachforschungen beauftragt. Ziel sei aber gewesen, Geschäfte zu Lasten des Konzerns zu verhindern. (Wirtschaft) miba

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Israelische Truppen räumen Gaza-Streifen

Tel Aviv - Drei Tage nach Beginn einer Waffenruhe hat die israelische Armee ihre Truppen vollständig aus dem Gaza-Streifen abgezogen. Die letzten Truppen verließen das Palästinensergebiet am Mittelmeer am frühen Mittwochmorgen, wie eine israelische Armeesprecherin mitteilte. Ein Teil der Truppen wurde an den Rand des Gaza-Streifens verlegt und blieb in erhöhter Alarmbereitschaft. Die EU forderte freien Zugang für humanitäre Hilfe. (Seiten 4 und 7) dpa

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Hypo Real Estate vor der Verstaatlichung

Berlin - Der angeschlagene Münchener Konzern Hypo Real Estate (HRE) wird aller Voraussicht nach als erstes deutsches Finanzinstitut verstaatlicht. Wie aus Verhandlungskreisen verlautete, ist der Einstieg des Bundes praktisch beschlossene Sache. Wahrscheinlichste Option sei eine Mehrheitsübernahme, hieß es. Am Ende könne die "geordnete Abwicklung" der HRE stehen. (Wirtschaft) hul

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Polio-Virus soll ausgerottet werden

New York - Nach zahlreichen Rückschlägen im Kampf gegen die Kinderlähmung soll das Polio-Virus nun endgültig vom Erdball verschwinden. Eine internationale Koalition mit deutscher Beteiligung hat für die Ausrottung des Erregers 630 Millionen Dollar (488 Millionen Euro) zugesagt. 255 Millionen Dollar kommen von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, 100 Millionen Euro aus Deutschland und 100 Millionen Pfund aus Großbritannien. (Wissen) dpa

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Regierung verbietet Droge "Spice"

Berlin - Die bei vielen Jugendlichen beliebte Modedroge "Spice" ist von diesem Donnerstag an wegen erheblicher Gesundheitsrisiken in Deutschland verboten. Herstellung, Handel und Besitz werden per Eilverordnung unter Strafe gestellt, teilte das Bundesgesundheitsministerium mit. Das als Kräutermischung verkaufte "Spice" enthält synthetische Stoffe, die ähnlich wie Cannabis wirken, nur stärker und aggressiver. (Panorama)dpa

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Das Streiflicht

(SZ) Man kennt das ja. Alle Augen sind auf einen gerichtet, der Erwartungsdruck ist immens, jetzt bloß keinen Fehler machen. Die anderen warten doch nur darauf, dass sie einen als Nestroyschen Hochstapler entlarven können, als einen Titus Feuerfuchs, der in der vornehmen Gesellschaft nichts zu suchen hat. Siehste, er kann es einfach nicht! Das hab ich doch immer schon gesagt! Oh, wie dieser Druck selbst beim Verfassen dieser 72 schlappen Zeilchen spürbar wird. Es steht ja so viel auf dem Spiel. Besonders, wenn man noch nicht fett im Sattel sitzt. Fett? Jedenfalls hat man sich da ganz schön was eingehalst. Eingehalst? Entschuldigung. Ein Hänger. Jetzt ist aber alles aus.

Bei Barack Obama waren es 36 Wörter, die die Welt fehlerfrei von ihm erwartete. Und diese Wörter wurden ihm sogar vom Obersten Richter des Landes vorgesprochen. Aber dann verhaspelte sich Obama. Gut, da muss man hier nicht drumherum reden: In der Kirche wäre so eine Amtseinführung ungültig. Denn "nur aus einem gültigen Eid erwächst die Pflicht der Erfüllung" (Lexikon der christlichen Moral, Sp. 313-319). Auch im Sport, man denke nur an den völlig verstotterten olympischen Schwur der Ski-Hoffnung Bojan Krizaj 1984 in Sarajevo, hat ein Hänger Folgen. Krizaj, fortan in jeder Hinsicht verunsichert, wurde in Sarajevo nur Neunter. Auch später schaffte er es auf kaum ein wichtiges Treppchen und beendete seine Karriere 1988 beim Weltcup in Saalbach-Hinterglemm, indem er sich kurz vor der Ziellinie seine Skier abschnallte und zu Fuß weiterging. Was für ein Drama. Im Showbusiness immerhin tragen Hänger und Versprecher zur Freude des Publikums bei. So sprach die ehemalige Tagesschau-Dame Dagmar Berghoff einmal vom WC-Tennisturnier statt vom WCT-Turnier. Riesenbrüller. Berghoffs anschließender Lachanfall hatte zwar verheerende Auswirkungen auf die Verkündung der Lottozahlen, beschied ihr jedoch mehr Aufmerksamkeit als jeder Bambi. Als politisch problematisch darf der Versprecher der deutschen Kanzlerin gelten, die in einer Rede versehentlich von Hessens CDU-Chef "Kotz-Koch" sprach.

Glücklicherweise gibt es den vollkommen stotterfreien Claus Kleber, der seinen Zuschauern im Inaugurations-Live-aus-Washington-Heute-Journal umgehend erklärte, dass die Schuld für den verhaspelten Eid natürlich nicht bei Obama, sondern allein beim Richter zu suchen sei. Auch andere Experten heben hervor, dass es der Richter war, der das Wort "getreulich" - aus Absicht? - falsch platzierte und Obama irritierte. Fortan, das legen wir jetzt einfach mal fest, darf also nur noch geschrieben werden: "Der Richter und sein Hänger." Obama und die Welt scheinen damit gerettet zu sein. Und nun zu den Lottozahlen.

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Obama bricht mit dem System Guantanamo

Präsident fordert Militärrichter auf, Verfahren auszusetzen / Berlin streitet über Aufnahme von Häftlingen

Von Stefan Kornelius und Peter Blechschmidt

München/Berlin - US-Präsident Barack Obama hat in seiner ersten Amtshandlung Militär-Staatsanwälte angewiesen, eine Aussetzung der laufenden Guantanamo-Verfahren für die Dauer von 120 Tagen zu beantragen. Die neue Regierung will in dieser Zeit Klarheit über ihren Weg zur Schließung des Straflagers gewinnen. Obama vollzog damit einen symbolischen Bruch mit der Politik seines Vorgängers. In Deutschland wurde sogleich über eine mögliche Aufnahme ehemaliger Häftlinge gestritten.

Die Weisung der Obama-Regierung ging noch am Abend der Amtsübernahme am Militärgerichtshof in Guantanamo ein. Die Staatsanwälte wurden darin ersucht, bei den Vorsitzenden Richtern eine Verfahrenspause bis zum 20. Mai zu erwirken. In einem ersten Verfahren entsprach der Richter der Bitte und setzte die Verhandlung am Mittwoch aus. Ob weitere Richter Obamas Ansinnen nachkommen werden, ist unklar, da sie nicht weisungsgebunden sind. Außerdem können die Angeklagten selbst darauf bestehen, dass die Verfahren gegen sie fortgesetzt werden. Auch dann wäre Obamas Weisung wirkungslos.

Beobachter sprachen von einer symbolischen Entscheidung, mit der Obama klar macht, dass er das Gefangenenlager und die außerhalb der üblichen Rechtswege laufenden Verfahren mit höchster Priorität behandelt und eine Rückführung der Prozesse in das amerikanische Rechtssystem wünscht. Damit bricht er deutlich mit der Politik der Bush-Regierung. Diese hatte sich bemüht, ein System der Militärgerichtsbarkeit mit geheimen Verfahren zu installieren.

Obama hatte vor seinem Amtsantritt klar gemacht, dass er Guantanamo schließen wird. Allerdings ist unklar, was mit den verbliebenen etwa 250 Gefangenen geschieht. In der von Obama beantragten Frist könnte nun geprüft werden, ob ein Teil der Gefangenen vor ordentlichen Gerichten in regulären Verfahren angeklagt würden. Nachweislich unschuldig Inhaftierte könnten entlassen werden. Bei einer dritten Gruppe ist das Verfahren kompliziert: Diese Inhaftierten gelten als gefährlich, aber die Beweise gegen sie sind entweder rechtsstaatlich nicht verwertbar oder würden Geheimdienststrukturen enttarnen.

Die Aufnahme von unschuldigen Häftlingen aus Guantanamo bleibt in Deutschland umstritten. Es geht um 50 bis 60 Menschen, die seit Jahren in Guantanamo festgehalten werden, gegen die aber auch nach US- Angaben kein Terrorverdacht mehr besteht. Diese Personen können nicht in ihre Heimatländer abgeschoben werden, weil ihnen auch dort Verfolgung droht. Die USA wollen sie aber auch nicht behalten.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) beharrt darauf, die mögliche Schließung des Lagers nicht daran scheitern zu lassen, dass sich für solche Häftlinge kein Aufnahmeland finde, Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) bekräftigte seine Ablehnung. Unterstützung erhielt er von FDP-Chef Guido Westerwelle, während die bayerische FDP-Landesvorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sich für die Prüfung im Einzelfall einsetzte. Grüne und Linke sind für die Aufnahme. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sagte, Bundeskanzlerin Angela Merkel wolle die Pläne der neuen US-Regierung abwarten. (Seiten 2, 4, 5 und Feuilleton)

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Tanzend ins neue Amt

Barack und Michelle Obama haben nach der Amtseinführung in Washington zehn Bälle besucht, die zu ihren Ehren gegeben wurden. "Wie gut sieht

meine Frau aus?", fragte der 44. Präsident der USA während der ersten Veranstaltung - die Menge antwortete mit Jubel. Dass er der First Lady im Laufe des Abends einige Male aufs Kleid trat, nahm sie eher belustigt zur Kenntnis. "Heute feiern wir, morgen fängt die Arbeit an", sagte Obama. Allerdings wies der Präsident noch vor den Feierlichkeiten Militär-Staatsanwälte an, die Verfahren gegen Gefangene in Guantanamo auszusetzen. (Bericht unten). Foto: laif

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Totes Meer

Umweltschützer wollen bedrohte Fische vom Speiseplan tilgen

Auch wenn es noch so verlockend erscheint: Spaghetti mit Scampi kommen bei Karoline Schacht nicht mehr auf den Tisch. Schollenfilet in Weißweinsoße verschmäht sie ebenfalls, Dornhai-Schillerlocken und Rotbarsch sind ohnehin tabu. Die Fisch-Expertin der Umweltorganisation World Wild Fund of Nature (WWF) gönnt sich allenfalls einen teuren Wildlachs aus Alaska - nicht nur, weil er besser schmeckt als Zuchtlachs. Sondern vor allem deshalb, weil er mit dem blauen Logo des Marine Stewardship Council (MSC) ausgezeichnet worden ist, das für nachhaltige Fischerei steht. "Wir müssen Seefisch wieder wie eine Delikatesse behandeln", fordert Karoline Schacht.

Der WWF hofft, dass immer mehr Verbraucher dem Beispiel folgen. Deshalb präsentiert die Organisation an diesem Donnerstag eine neue Auflage ihres Einkaufsratgebers, in dem die gängigen Speisefische nach Herkunft und Gefährdung aufgeführt sind. Die Zusammenschau wirkt alles andere als appetitanregend: Ein Großteil der kommerziell genutzten Arten ist stark überfischt und sollte daher entweder ganz vom Speiseplan gestrichen oder wenigstens streng nach Fanggebiet ausgewählt werden. Das gilt mittlerweile selbst für Allerweltsarten wie Kabeljau und Thunfisch. Obwohl sie vom Aussterben bedroht sind, werden beispielsweise lebend gefangene Blauflossen-Thunfische im Mittelmeer in Aquafarmen gemästet und schließlich vor allem in Japan zu Sushi verarbeitet. Um ein einziges Kilo Thunfischfleisch herzustellen, benötigen die Züchter allerdings etwa 20 Kilo Futterfische.

Ähnlich schlecht sieht die Umweltbilanz der Garnelenzucht aus: Auf ein Kilo Shrimps kommen hier 2,5 bis fünf Kilo Wildfische; für die Zuchtteiche werden überdies Mangrovenwälder entlang der tropischen Küsten abgeholzt. Aber auch der Fang wildlebender Garnelen, Schollen und Seezungen hat für Ökosysteme verheerende Folgen: Große Schiffe pflügen den empfindlichen Meeresboden mit ihren Grundschleppnetzen regelrecht um. Darin verfangen sich alle möglichen Tiere - von Haien bis zu Walen und Meeresschildkröten. Sie gelten als unerwünschter Beifang und werden tot oder schwer verletzt über Bord geworfen. Nach Angaben des WWF wird allein in der Nordsee jedes Jahr eine Million Tonnen Fisch auf diese Weise vergeudet - bei einer angelandeten Fangmenge von insgesamt zwei Millionen Tonnen.

Mittlerweile hat auch die Europäische Union dieses Problem erkannt, zumal da Fischer für jeden verkauften Kabeljau einen über Bord schmeißen, nur weil er nicht die gewünschte Größe hat. Zumindest diese Praxis wurde nun verboten. Bis 2012 will die EU mit der Reform ihrer Fischereipolitik den Rückwurf sogar ganz untersagen und neue Fangmethoden vorschreiben.

Immerhin, ein paar Fischarten können noch bedenkenlos konsumiert werden: Hierzu zählt der Pangasius aus Vietnam, der im Mekongdelta lebt und schonend gezüchtet werden kann, weil er ein Allesfresser ist. Auch Seelachs und Heringe sind unproblematisch, wobei es aber auch hier auf das Fanggebiet ankommt. Von Heringen aus der westlichen Ostsee rät der WWF ab, weil diese Bestände überfischt sind. Auf den Packungen in den Tiefkühltruhen sind die Fanggebiete oft noch unzureichend ausgewiesen. So bleiben für diejenigen, die ganz sichergehen wollen, nur die zertifizierte MSC-Ware oder heimische Fluss- und Seefische. Denn im Geschmackstest kann ein Zander in Weißwein locker mit einer Scholle mithalten. Sebastian Beck

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Das Wetter

München - Mal Sonnenschein, mal dichte Wolken und zunächst trocken. Bis zum Abend von Schleswig-Holstein bis zur Kölner Bucht zunehmend bewölkt, anfangs etwas Schneefall, dann Regen. Zwei bis sieben Grad. (Seite 39)

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Vorschlag des Finanzministeriums

Bund will Kfz-Steuer für große Autos senken

Steinbrück plant Entlastungen für Pkw mit viel Hubraum / Umweltminister Gabriel sieht Klimaschutz-Ziele in Gefahr

Von Michael Bauchmüller und Claus Hulverscheidt

Berlin - Die Bundesregierung will die Fahrer großer Autos bei der geplanten Kfz-Steuerreform begünstigen. Das Finanzministerium schlägt vor, dass ausgerechnet große Spritschlucker künftig weniger Kraftfahrzeug-Steuer zahlen müssten als bisher. Dies läuft den Klimaschutz-Zielen der Bundesregierung zuwider.

Ursprünglich sollte die Steuerreform das Gegenteil bewirken. Die Ausrichtung an den Kohlendioxid-Emissionen sollte dazu führen, dass Autos mit hohem Verbrauch im Vergleich zu sauberen Fahrzeugen wesentlich teurer werden. Doch internen Berechnungen der Bundesregierung zufolge, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, würde eine Luxuslimousine vom Typ Audi A 8 - mit 4,1-Liter-Maschine und einem Kohlendioxid-Ausstoß von 249 Gramm je Kilometer - vom 1. Juli an nicht mehr 648 Euro Steuern zahlen, sondern nur noch 558 Euro. Das Ziel der Steuerreform wäre damit ins Gegenteil verkehrt.

Grund für die Erleichterung ist die geplante Konstruktion der Steuer, die künftig nach der CO2-Emission und dem Hubraum berechnet werden soll. Demnach sollen zwar alle Neuwagen künftig je nach CO2-Ausstoß besteuert werden, sodass Besitzer von Autos mit hohem Verbrauch mehr zahlen als solche, die Autos mit geringem Verbrauch fahren. Oberhalb eines Ausstoßes von 120 Gramm je Kilometer kostet jedes Gramm zwei Euro Steuern. Ein Teil der Steuer soll sich aber auch nach dem Hubraum richten. Je 100 Kubikzentimeter Hubraum sollen für Autos mit Otto-Motor zwei Euro gezahlt werden, für Diesel-Fahrzeuge zehn Euro - aber nur bis zu einer Grenze. Wer einen Benziner mit mehr als 2,5 Litern Hubraum fährt, zahlt nicht mehr als 50 Euro Hubraum-Anteil. Ähnliches gilt für Diesel-Autos: Ab drei Litern Hubraum steigt die Steuer nicht mehr. Ob ein Motor drei Liter Hubraum hat oder sechs, zählt dann nicht. Allerdings verbraucht ein Auto um so mehr, je größer sein Hubraum ist.

Berechnungen der Bundesregierung zufolge spart zum Beispiel der Fahrer eines Audi Quattro Q 7 mit knapp sechs Litern Hubraum dadurch künftig fast 300 Euro. Statt 926 Euro zahlt er nur noch 656 Euro. Dagegen ermäßigt sich die Steuer eines vergleichsweise sauberen VW Golf mit 1,4-Liter-Ottomotor nur um bescheidene acht Euro - von 94 auf 86 Euro.

Nach SZ-Informationen sind die Pläne auf Regierungsebene schon weit gediehen. Eine Staatssekretärsrunde segnete sie Anfang der Woche ab - allerdings in Abwesenheit des Bundesumweltministeriums. "Der Entwurf ist im Endstadium", hieß es. Große Veränderungen seien nicht mehr zu erwarten. Das Finanzministerium selbst wollte sich nicht äußern. "Es gibt noch keine endgültig abgestimmte Regierungsposition", sagte ein Ministeriumssprecher. Innerhalb der Regierung allerdings droht ein Eklat. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) will den Koalitionskompromiss so nicht mittragen. Die Entscheidung in Abwesenheit des Umweltministeriums sieht Gabriel als Affront. Damit allerdings müsste er sich auch gegen seine Parteifreunde Peer Steinbrück und Wolfgang Tiefensee stellen. Der Finanz- und der Verkehrsminister tragen den Entwurf mit.

Auch in der SPD-Fraktion regt sich Widerstand. "Das eine umweltorientierte CO2-Steuer zu nennen, wäre lächerlich", sagte SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber der SZ. Stattdessen könnte etwa der Steuersatz für den CO2-Ausstoß ab einer bestimmten Grenze steigen. Die Bundesregierung ringt schon seit drei Jahren um eine Reform der Kfz-Steuer.

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Aktuelles in Zahlen

Basketball

NBA

Chicago - Atlanta 102:105, San Antonio - Indiana 99:81, Denver - Sacramento 118:99, Utah - Minnesota 112:107.

Männer, BBL-Pokal, Viertelfinale

Braunschweig - Frankfurt 58:68 (31:29).

Eishockey

NHL

San Jose - Vancouver 2:1 n.V., Ottawa - Washington 3:2, Pittsburgh - Carolina 1:2, Phoenix - Detroit 6:3, Minnesota - Los Angeles 2:5, Edmonton - Columbus 4:3, New York Rangers - Anaheim 4:2, Atlanta - Montreal 4:2.

DEL, 42. Spieltag

Hannover - Ingolstadt 4:3 (3:0, 1:2, 0:1)

1:0 Dolak (01:23), 2:0 Kathan (01:50), 3:0 Schneider (04:18), 3:1 Waginger (23:54), 4:1 Blank (29:58), 4:2 Greilinger (32:02), 4:3 Goodall (55:59). - Zus.: 3791. - Strafmin.: 8 - 14.

Nürnberg - Frankfurt 1:0 (1:0, 0:0, 0:0)

1:0 Periard (8:54). - Zuschauer: 2921. - Strafminuten: 8 - 16.

Hamburg - Wolfsburg 6:3 (1:2, 1:1, 4:0)

0:1 Rekis (05:52), 1:1 Aab (13:15), 1:2 Johnson (17:43), 2:2 Tripp (27:18), 2:3 Ulmer (39:39), 3:3 Aab (43), 4:3 Aab (45:21), 5:3 Mueller (49:12), 6:3 Fortier (55:04). - Zuschauer: 9463. - Strafminuten: 20+10 (Tripp) - 8.

Kassel - Düsseldorf n. P. 4:3 (1:2, 0:1, 2:0)

0:1 Reimer (1:29), 0:2 Tutschek (1:41), 1:2 Schmidt (19:04), 1:3 Reimer (32:38), 2:3 Pellegrims (41:02), 3:3 Leavitt (54:35), 4:3 McNeil (Penalty). - Zuschauer: 3143. - Strafminuten: 17+10 Disziplinar + Matchstrafe (Hauser) - 24.

Berlin - Duisburg 2:4 (0:1, 0:0, 2:3)

0:1 Cox (15:59), 1:1 Mulock (44:33), 1:2 Seliwanow (48:21), 1:3 Grand-Pierre (51:59), 2:3 Felsik (55:36), 2:4 Mann (58:29). - Zuschauer: 13 000. - Strafminuten: 6 - 16.

1 Hannover Scorpions 42 140:112 85
2 Eisbären Berlin 42 156:116 78
3 Adler Mannheim 41 115:89 73
4 Frankfurt Lions 42 123:118 72
5 Krefeld Pinguine 42 136:107 70
6 DEG Metro Stars 41 127:109 70
7 Augsburger Panther 41 127:140 66
8 Nürnberg Ice Tigers 40 114:104 65
9 Grizzly Wolfsburg 43 150:122 64
10 Iserlohn Roosters 41 137:139 64
11 Hamburg Freezers 42 116:123 58
12 ERC Ingolstadt 41 109:120 53
13 Kassel Huskies 42 120:137 52
14 Straubing Tigers 42 116:136 52
15 Kölner Haie 42 112:133 48
16 Füchse Duisburg 42 88:181 29

Eiskunstlaufen

Europameisterschaften in Helsinki

Paarlauf, nach dem Kurzprogramm: 1. Muchortowa/Trankow (Russland) 69,62 Pkt, 2. Savchenko/Szolkowy (Chemnitz) 66,64, 3. Kawaguchi/Smirnow (Russland) 65,38, 4. Wolososchar/Morosow (Ukraine) 56,20, 5. Iljuschechkina/Maisuradse (Russland) 52,42, 6. Kemp/King (Großbritannien) 47,98, 7. Canac/Coia (Frankreich) 45,90, 8. della Monica/Kocon (Italien) 45,50, 9. Hausch/Wende (Oberstdorf/Essen) 45,20, 10. Risseeuw/ Paxton (England) 44,28.

Männer, nach dem Kurzprogramm: 1. Joubert (Frankreich) 86,90 Pkt.; 2. Verner (Tschechien) 81,45; 3. Contesti (Italien) 75,95; 4. van der Perren (Belgien) 75,80; 5. Preaubert (Frankreich) 73,50; 6. Woronow (Russland) 71,29; 7. Berntsson (Schweden) 68,19; 8. Lutai (Russland) 67,75; 14. P. Liebers (Berlin) 62,19; 22. Brummer (Berlin) 53,47.

Fußball

Testspiele

1. FC Nürnberg - FC Viktoria Pilsen 3:1, Karlsruher SC - VfR Aalen 5:0, 1. FC Köln - Vaduz 1:0, Hertha Berlin - Young Boys Bern 2:2, Lech Posen - Werder Bremen 2:3, VfB Stuttgart - SC Freiburg 2:2, Hamburger SV - Hansa Rostock 3:0, Bor. M'gladbach - Bor. Dortmund 2:4.

England, Ligapokal, Halbfinale

Rückspiel: Manchester United - Derby County 4:2; Hinspiel: 0:1, Manchester im Finale.

Niederlande, Pokal, Achtelfinale

Feyenoord Rotterdam - SC Heerenveen 0:3, FC Dordrecht - De Graafschap Doetinchen 0:1.

Handball

Männer, WM in Kroatien, 4. Spieltag

Gruppe A in Osjek

Australien - Rumänien 20:40 (9:21)

Ungarn - Argentinien

Slowakei - Frankreich

1. Frankreich* 3 3 0 0 106: 58 6:0

2. Slowakei 3 2 1 0 98: 61 5:1

3. Ungarn 3 2 1 0 95: 68 5:1

4. Rumänien 4 2 0 2 118:107 4:4

5. Argentinien 3 0 0 3 77: 90 0:6

6. Australien 4 0 0 4 60:170 0:8

Letzter Spieltag (Donnerstag): Argentinien - Australien, Slowakei - Rumänien, Frankreich - Ungarn.

Gruppe B in Split

Kuba - Südkorea

Schweden - Kuwait

Spanien - Kroatien

1. Kroatien* 3 3 0 0 108: 67 6:0

2. Schweden* 3 3 0 0 106: 69 6:0

3. Spanien 3 2 0 1 122: 71 4:2

4. Südkorea 3 1 0 2 85: 77 2:4

5. Kuwait 3 0 0 3 57:121 0:6

6. Kuba 3 0 0 3 54:127 0:6

Letzter Spieltag (Donnerstag): Kuwait - Kuba, Spanien - Südkorea, Kroatien - Schweden.

Gruppe C in Varazdin

Algerien - Russland

Mazedonien - Deutschland

Polen - Tunesien

1. Deutschland 3 2 1 0 84: 70 5:1

2. Polen 3 2 0 1 92: 74 4:2

3. Mazedonien 3 2 0 1 86: 73 4:2

4. Russland 3 1 1 1 84: 81 3:3

5. Tunesien 3 1 0 2 80: 86 2:4

6. Algerien 3 0 0 3 61:103 0:6

Letzter Spieltag (Donnerstag): Mazedonien - Russland (15.30 Uhr), Deutschland - Polen (17.30 Uhr), Tunesien - Algerien (19.30 Uhr).

Gruppe D in Porec

Saudi-Arabien - Brasilien

Norwegen - Serbien

Ägypten - Dänemark

1. Norwegen 3 3 0 0 108: 64 6:0

2. Dänemark 3 3 0 0 109: 76 6:0

3. Serbien 3 1 0 2 96: 91 2:4

4. Ägypten 3 1 0 2 68: 78 2:4

5. Brasilien 3 1 0 2 80:109 2:4

6. Saudi-Arabien 3 0 0 3 54: 97 0:6

Letzter Spieltag (Donnerstag): Serbien - Saudi-Arabien, Ägypten - Brasilien, Dänemark - Norwegen.

Die mit einem Stern (*) gekennzeichneten Teams sind für die Hauptrunde qualifiziert.

Radsport

Tour Down Under in Australien

2. Etappe, Hahndorf - Stirling (145 km): 1. Davis (Australien/Quick Step) 3:46:25 Std.; 2. Brown (Australien/Rabobank) gleiche Zeit; 3. Elmiger (Schweiz/AG2R) 2 Sek. zur.; 4. O'Grady (Australien/Saxo Bank) gleiche Zeit; 5. Hincapie (USA/Columbia) 4 Sek. zur.; 6. Rojas (Spanien/Caisse D'Epargne); 10. Greipel (Hürth/Columbia) beide gleiche Zeit; 23. Knees (Euskirchen/Milram) 8 Sek.; 45. Armstrong (USA/Astana) 13 Sek.; 52. Voigt (Berlin/Saxo Bank); 53. Müller (Berlin/Milram) beide gleiche Zeit; 82. Scholz (Herrenberg/Milram) 47 Sek.

Stand: 1. Davis 7:31:42 Std.; 2. Greipel 3 Sek. zur.; 3. Brown 4 Sek.; 4. O'Grady 8 Sek.; 5. Cooke (Australien/Unisa); 6. Elmiger beide gleiche Zeit; 21. Knees 18 Sek.; 48. Müller 23 Sek.; 62. Voigt; 68. Armstrong beide gleiche Zeit; 81. Scholz 57 Sek.

Snowboard

Weltmeisterschaft in Gangwon/Südkorea

Männer, Parallel-Slalom: 1. Karl (Österreich); 2. Dufour (Frankreich); 3. Bussler (Aschheim); 4. Flander (Slowenien); 5. S. Schoch (Schweiz); 6. Anderson (Kanada); 7. Prommegger (Österreich); 8. Morison (Kanada); 31. Hafner (Berchtesgaden).

Frauen, Parallel-Slalom: 1. Mägert-Kohli (Schweiz); 2. Günther (Österreich); 3. Tudegeschewa (Russland); 4. Neururer (Österreich); 5. Riegler (Österreich); 6. Yanetani (Japan); 7. Kreiner (Österreich); 8. Loo (Kanada); 9. Jörg (Sonthofen); 29. Karstens (Bischofswiesen); 31. Kober (Miesbach).

Tennis

97. Australian Open in Melbourne

(12,02 Mio. Euro)

Männer

Einzel, 2. Runde: Del Potro (Argentinien/8) - Mayer (Bayreuth) 6:1, 7:5, 6:2; Santoro (Frankreich) - Kohlschreiber (Augsburg/32) 5:7, 7:5, 3:6, 7:5, 6:3; Federer (Schweiz/2) - Korolew (Russland) 6:2, 6:3, 6:1; Djokovic (Serbien/3) - Chardy (Frankreich) 7:5, 6:1, 6:3; Roddick (USA/7) - Malisse (Belgien) 4:6, 6:2, 7:6 (1), 6:2; Yen-Hsun (Taiwan) - Nalbandian (Argentinien/10) 6:4, 5:7, 4:6, 6:4, 6:2; Ferrer (Spanien/11) - Hrbaty (Slowakei) 6:2, 6:2, 6:1; Wawrinka (Schweiz/15) - Klein (Australien) 6:3, 6:4, 6:4; Baghdatis (Zypern) - Söderling (Schweden/16) 3:6, 7:5, 6:3, 6:3; Cilic (Kroatien/19) - Tipsarevic (Serbien) 6:2, 6:3, 4:6, 6:3; Berdych (Tschechien/20) - Dabul (Argentinien) 6:1, 6:1, 6:3; Robredo (Spanien/21) - Troicki (Serbien) 6:1, 6:3, 6:0; Fish (USA/23) - Bolelli (Italien) 6:4, 6:1, 7:5; Safin (Russland/26) - Garcia-Lopez (Spanien) 7:5, 6:2, 6:2; Delic (USA) - Mathieu (Frankreich/28) 1:6, 3:6, 6:3, 7:6 (3), 9:7.

Doppel, 1. Runde: Kas/Wassen (Trostberg/Niederlande/13) - Haggard/Querrey (Südafrika/USA) 6:4, 7:5; Petzschner/Peya (Bayreuth/Österreich) - Clement/Gicquel (Frankreich/12) 7:6 (3), 7:6 (9).

Frauen

Einzel, 2. Runde: Cornet (Frankreich/15) - Petkovic (Darmstadt) 6:1, 6:0; Jankovic (Serbien/1) - Flipkens (Belgien) 6:4, 7:5; Safina (Russland/3) - Makarowa (Russland) 6:7 (3), 6:3, 6:0; Ivanovic (Serbien/5) - Brianti (Italien) 6:3, 6:2; Swonarewa (Russland/7) - Gallovits (Rumänien) 6:0, 6:0; Petrowa (Russland/10) - Mirza (Indien) 6:3, 6:2; Wozniacki (Dänemark/11) - Ruano-Pascual (Spanien) 6:3, 6:3; Bartoli (Frankreich/16) - Pironkowa (Bulgarien) 7:5, 6:2; Dokic (Australien) - Tschakwetadse (Russland/17) 6:4, 6:7 (4), 6:3; Hantuchova (Slowakei/19) - Johansson (Frankreich) 6:3, 4:6, 6:3; Kanepi (Estland/25) - Mayr (Österreich) 6:3, 6:1; Sugiyama (Japan/26) - Dechy (Frankreich) 1:6, 6:1, 6:3; ; Klejbanowa (Russland/29) - Cohen-Aloro (Frankreich) 6:1, 3:6, 6:2; Safarova (Tschechien) - Erakovic (Neuseeland) 6:1, 3:6, 9:7; Woskobojewa (Russland) - Knapp (Italien) 6:4, 6:1; Errani (Italien) - Niculescu (Rumänien) 6:2, 6:3.

Doppel, 1. Runde: Grönefeld/Schnyder (Nordhorn/Schweiz) - Barrois/Garbin (Stuttgart/Italien) 6:2, 6:1; Müller/Morita (Hannover/Japan) - Kvitova/Rybarikova (Tschechien/Slowakei) 6:4, 7:6 (5).

Volleyball

Frauen, CEV-Pokal, Viertelfinale

Rückspiel: Vilsbiburg - Schaffhausen 3:0 (17, 16, 21); Hinspiel 2:3, Vilsbiburg im Halbfinale.

Sport im Fernsehen

Donnerstag, 22. Januar

9.30 - 14.15 Uhr, Eurosport: Tennis, Australian Open in Melbourne.

14.05 - 16.00 Uhr, ZDF/Eurosport: Biathlon, Weltcup in Antholz, 7,5-km-Sprint der Frauen.

15.45 - 16.30 Uhr, Eurosport: Motorsport, Rallye Monte Carlo.

17.30 - 19.00 Uhr, RTL: Handball, Männer-WM in Kroatien, Gruppe C, Deutschland - Polen.

18.55 - 22.15 Uhr, DSF: Handball, Männer-WM in Kroatien, Gruppe A, Frankreich - Ungarn sowie Gruppe B, Kroatien - Schweden.

19.15 - 21.55 Uhr, Eurosport: Eiskunstlaufen, EM in Helsinki, Kür der Männer.

20.15 - 22.15 Uhr, SWR: Fußball, Benefizspiel für den Mainzer Dom, FSV Mainz 05 - Bayern München.

Freitag, 23. Januar

1.00 - 9.30 Uhr, Eurosport: Tennis, Australian Open in Melbourne.

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Trainerberuf in der Krise

Prämien für die Busfahrer

Berlin - "Eins muss klar sein", sagte Jürgen Mallow am Ende seiner Ausführungen vor dem Bundestags-Sportausschuss: "Mangel kann man nicht mit Mangel beseitigen." Damit hatte der Sportdirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) die Ausschuss-Debatte zum "Stellenwert der deutschen Trainer im Spitzensport" auf eine griffige Formel gebracht: die Forderung nach mehr Geld. Ganz im Sinne der ersten repräsentativen Studie über den Trainerberuf in Deutschland, die vergangenen Herbst von Wissenschaftlern der Universität Tübingen vorgestellt wurde.

Deren Ergebnisse sind alarmierend: "Manche Honorartrainer verdienen gerade mal 400 Euro im Monat, sollen aber eine wesentliche Rolle beim Produzieren von Olympiasiegern spielen", sagte der Tübinger Professor Ansgar Thiel am Mittwoch in Berlin. Wegen "großen Drucks, Unsicherheit und oft problematischer Anstellungsverhältnisse" sei der Trainerberuf frustrierend und wenig attraktiv. Außerdem bleibe kaum Zeit, sich fortzubilden. Claudia Bokel, Athletenvertreterin in DOSB und IOC, erläuterte, welcher Spagat von Trainern erwartet werde: fachliche Spezialisierung auf ihre jeweilige Disziplin, aber auch Kenntnisse in Feldern wie Biomechanik, Medizin, Psychologie usw. "Aber oft ist der Trainer auch Busfahrer", sagte die Fechterin, "und er muss das Hotel aussuchen."

Das Trainerproblem hat längst Negativ-Auswirkungen auf den Erfolg bei Olympischen Spielen, heißt es in der Studie. Doch in Berlin wurden am Mittwoch keine große Lösung, nur viele kleine Stellschrauben aufgezeigt. Bokel schlug "eine Art Trainee-Programm" vor, um schon aktive Sportler an den Trainerberuf heranzuführen. Joachim Meester (Sporthochschule Köln) mahnte eine Weiterbildungs-Offensive an. Und DOSB-Generaldirektor Michael Vesper brachte - unter anderem - ein umstrittenes Instrument wieder ins Gespräch: Erfolgsprämien für Trainer von Olympiasiegern. 50 000 Euro könnte es für eine Goldmedaille geben, "aufgeteilt unter all jenen, die an der Karriere beteiligt waren". Was Dagmar Freitag (SPD) zu der Frage brachte, wo überall diese "Beteiligten" gefunden werden sollten: "Ist da auch die Lehrerin dabei, die früher mal gesagt hat: ,Du hast Talent, geh' in einen Verein?'" ("Ja, und die Hebamme", witzelten Vertreter der Bundesregierung.) Doch solche Leistungsanreize sind umstritten, weil sie Trainer zu übertriebenem Ehrgeiz verleiten könnten. Oder zu unerlaubten Methoden. Ansgar Thiel mahnte deshalb, "nicht nur kurzfristigen Erfolg, sondern auch Bemühungen bei der Weiterbildung zu prämieren".

Im Bundeshaushalt 2008 hatte es letztmals mehr Geld für den Spitzensport gegeben, prompt war die Zahl der hauptamtlichen Bundestrainer um 40 gestiegen. Ihr Gehalt konnte zudem um sieben Prozent angehoben werden - erstmals seit 1997. "Wir haben das Parlament gebeten, da 2010 nochmal nachzulegen", sagte Vesper nun. Doch auch der DOSB-Mann dürfte ahnen, wofür die Politik derzeit Geld auszugeben bereit ist - und wofür nicht. Claudio Catuogno

Claudia Bokel Foto: dpa

Jürgen Mallow Foto: dpa

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Kurz gemeldet

Bernhard Kohl, 27, österreichischer Radprofi, hat seine Zweijahressperre bis Juli 2010 akzeptiert. Dem Drittplatzierten der Tour de France 2008 war die Einnahme des Epo-Präparats Cera nachgewiesen worden, woraufhin er Doping gestand. Hintermänner wolle er jedoch nicht nennen, äußerte Kohl: "Die Benennung der Person, die mir das Dopingpräparat übergab, hätte weder einen Doping-Ring aufgedeckt, noch ein Doping anderer Sportler zu Tage gebracht."

Michael Haaß, 25, Handball-Nationalspieler, wechselt im Sommer vom Bundesligisten GWD Minden zum Ligakonkurrenten Frisch Auf Göppingen. Der Spielmacher unterschrieb einen Vertrag bis zum Sommer 2011.

Der TSV Dormagen, Handball-Bundesligist, hat Sebastian Linder von der SG Wallau verpflichtet. Der 25-Jährige, der im Rückraum und am Kreis eingesetzt werden kann, unterschrieb einen Vertrag bis Juni 2011.

Michael Walchhofer, österreichischer Skirennfahrer, ist beim ersten Training für die Weltcup-Abfahrt in Kitzbühel die Bestzeit gefahren. In 1:59,68 Minuten war der Führende im Abfahrts-Weltcup bei dem wegen dichtem Nebel mehrmals unterbrochenen Training auf der Streif am Mittwoch 0,82 Sekunden schneller als Vorjahressieger Didier Cuche (Schweiz). Bester Deutscher war Stephan Keppler aus Ebingen mit 4,46 Sekunden Rückstand auf Rang 29.

Die deutschen Langläufer müssen ohne René Sommerfeldt zum Weltcup nach Otepää in Estland reisen. Der Oberwiesenthaler knickte beim Volleyball um und zog sich eine Bänderblessuren Sprunggelenk zu. Für Sommerfeldt hat Bundestrainer Jochen Behle bereits Benjamin Seifert nachnominiert.

Laure Manaudou, französische Doppel-Weltmeisterin im Schwimmen, hat wegen mentaler Probleme und Verletzungen ihren Rückzug für diese Saison bekannt gegeben. Die 22-Jährige will eine Wettkampfpause einlegen, die Karriere allerdings noch nicht beenden.

Die Roten Raben Vilsbiburg, deutscher Meister im Frauen-Volleyball, möchten nach dem überraschenden Einzug in das Final Four des CEV-Pokals, die Europacup-Endrunde (13. bis 15. März) austragen. Nach einer 2:3-Hinspielniederlage hatte sich der bayerische Klub mit dem 3:0 über das Schweizer Spitzenteam Schaffhausen qualifiziert.

Der VfB Stuttgart, Fußball-Bundesligist, hat die Verträge seiner Jungprofis Julian Schieber, 19, Christian Träsch, 22, und Daniel Didavi, 19, verlängert. Schieber unterschrieb bis 2011, Träsch sowie Didavi bleiben bis 2012.

Die Deutsche Fußball Liga plant für die Saison 2010/2011 die Einführung eines einheitlichen Balls. "Wir schreiben einen Ballsponsor aus", bestätigte DFL-Geschäftsführer Christian Seifert.

Rot-Weiß Ahlen, Fußball-Zweitligist, hat den bosnischen Innenverteidiger Dino Djulbic, 25, vom australischen Erstligisten Perth Glory bis 2010 verpflichtet.

Abwehrspieler Ralph Gunesch hat seinen Vertrag beim Fußball-Zweitligisten FC St. Pauli bis 2011 verlängert.

Der Wuppertaler SV, Fußball-Drittligist, und Manager Carsten Pröpper trennen sich zum Ende dieses Monats. Pröpper, 41, habe aus gesundheitlichen Gründen um die Auflösung seines Vertrages gebeten, hieß es.

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Kombinierer Ronny Ackermann

Der Puls ist zu hoch

Leipzig (sid) - Der viermalige Weltmeister Ronny Ackermann plagt sich einen Monat vor Beginn der Nordischen Ski-WM in Liberec (18. Februar bis 1. März) mit überhöhten Pulswerten herum. "Mein Ruhepuls ist um 20 bis 30 Schläge zu hoch. Dementsprechend komme ich bei harten Trainingseinheiten zu schnell an den Maximalpuls", sagte der nordische Kombinierer und bestätigte entsprechende Informationen der Bild-Zeitung.

Beim Thüringer vom WSV Dermbach war zuletzt ein Virus im Blut festgestellt worden, eingehende Untersuchungen hatten aber keine Infektionen wie Pfeiffersches Drüsenfieber ergeben, unter dem Ackermann früher schon einmal litt. "Die Blutwerte sind wieder in Ordnung. Ich bin zuversichtlich, dass sich der Puls auch normalisiert und ich noch rechtzeitig vor der WM in Form komme", sagte Ackermann. Trotz der Probleme ist Bundestrainer Hermann Weinbuch sicher, dass "die Zeit reicht, um Ronny in Form zu bringen". Ackermann bestritt von den letzten acht Weltcups nur drei und verzichtete auch auf die Reise zu den vorolympischen Wettbewerben nach Vancouver. Dafür hatte er in den zurückliegenden Tagen mit Eric Frenzel (Oberwiesenthal) und Olympiasieger Georg Hettich (Schonach) ein fünftägiges Spezialtraining in Predazzo absolviert.

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Rudertrainerin Lau nach China

Frostiger Abschied

Potsdam/Düsseldorf (dpa) - Der Deutsche Ruderverband (DRV) steuert fünf Monate nach der Schlappe von Peking weiter in schwerem Fahrwasser. Aus Frust über ihren schwindenden Einfluss im Zuge der Neuausrichtung des Verbandes schlug Erfolgstrainerin Jutta Lau, 53, ein Angebot zu einer Vertragsverlängerung aus und entschloss sich zu einem Wechsel nach China. "Wir bedauern diesen Schritt. Sie war ohne Wenn und Aber unsere beste Trainerin", kommentierte der DRV-Vorsitzende Siegfried Kaidel die schmerzliche Trennung.

Das Ende der einstigen Musterehe verlief wenig harmonisch. Kurz vor der Scheidung äußerte die ehemalige Weltklasse-Ruderin, deren Athleten von 1988 bis 2004 jeweils mindestens einmal olympisches Gold und in Peking 2008 mit Silber und Bronze das einzige DRV-Edelmetall gewannen, ihren Unmut über den Kurswechsel. "Der Ruderverband hat mir nur Steine in den Weg gelegt. Kreativität ist dort nicht gefragt. Meine Erfolge zählen nicht mehr", klagte Lau in der Märkischen Allgemeinen Zeitung.

Nach der Berufung von Hartmut Buschbacher zum DRV-Cheftrainer war für Lau kein Platz mehr als verantwortliche Disziplin-Trainerin. Ihr Angebot, neben dem Skull- auch den Bereich Frauen-Riemen zu übernehmen, wurde mit Hinweis auf Buschbachers Führungsrolle abgelehnt. Auf den ehemaligen DDR-Nationaltrainer war Lau schlecht zu sprechen, weil der ihr Vorwürfe wegen der in Peking ausgebliebenen Goldmedaille gemacht haben soll. "Herr Buschbacher erklärte bei unserem ersten Aufeinandertreffen, er werde mir mal zeigen, wie man das macht", sagte Lau.

Für Laus Kritik an der Strukturreform, die der DRV als Reaktion auf die erste olympische Regatta seit 52 Jahren ohne Gold eingeleitet hatte, brachte Kaidel wenig Verständnis auf. "Ich habe ihr keine Steine in den Weg gelegt. Außerdem hätte sie sich als Cheftrainerin bewerben können." Wer Laus Nachfolge in Potsdam antreten soll, ließ der DRV-Vorsitzende offen. Die ehemalige Lau-Schülerin Kathrin Boron, die den Stützpunkt künftig leiten soll, wird in die Suche eingebunden. Im Februar beginnt für die 2001 vom Weltverband FISA als "Coach of the year" ausgezeichnete Lau eine neue Herausforderung. Nach kurzer Arbeit als Provinz-Trainerin wird sie von 2010 an für die chinesische Frauen-Nationalmannschaft zuständig sein.

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Bronze für Bussler

Patrick Bussler aus Aschheim hat den Snowboard Verband Deutschland (SVD) vor einer Nullnummer bei den Weltmeisterschaften in Gangwon/Südkorea bewahrt. Der 24-Jährige (Foto: AFP) gewann im Parallelslalom Bronze. Damit erreichte der SVD wenigstens sein Minimalziel, nachdem die große Hoffnungsträgerin Amelie Kober (Miesbach) erneut enttäuschte. Die Olympia-Zweite belegte nach Platz zehn im Parallel-Riesenslalom nach einem Sturz nur den 31. Rang. Bussler landete hinter dem neuen Weltmeister Benjamin Karl aus Österreich und dem Franzosen Sylvain Dufour auf dem dritten Rang, Maximilian Hafner (Berchtesgaden) musste sich mit Rang 31 zufriedengeben. Bei den Frauen holte die Schweizerin Fränzi Mägert-Kohli den Titel. Beste SVD-Snowboarderin wurde Selina Jörg aus Sonthofen als Neunte. Trotz der Bronzemedaille für Bussler fiel das Fazit von SVD-Geschäftsführer Timm Stade nach den alpinen Wettbewerben nicht gerade positiv aus. "Wir sind unter unseren Möglichkeiten geblieben. Wir müssen sehr schnell und knallhart eine Analyse treffen, sonst wird es bei Olympia ähnlich hart für uns", sagte Stade, der vor allem die fehlende Wettkampfhärte seiner Snowboarder bemängelte: "Bei anderen Nationen war der Wille zum Sieg deutlicher erkennbar." sid

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"Der Teufel schläft nicht"

Der ehemalige Ski-Weltstar Toni Sailer über Reiz und Risiken der Kitzbüheler Hahnenkamm-Abfahrt

Toni Sailer, 78, genannt "der Blitz von Kitz", ist einer der bekanntesten Skirennfahrer der Sportgeschichte. Der Österreicher war dreimal Olympiasieger und dreimal Weltmeister, später unter anderem Renndirektor des Weltcup-Rennens in seinem Heimatort Kitzbühel. Ein Gespräch über das an diesem Wochenende zum 69. Mal stattfindende Hahnenkamm-Rennen, über Eigenverantwortung und vereiste Strohballen.

SZ: Herr Sailer, der Italiener Roland Thöni hat einmal über den Ski-Weltcup auf der Streif gesagt: "Du stehst am Start, schaust runter, und fühlst dich, als wärst du ein Turmspringer." Hatten Sie dieses Gefühl auch schon mal?

Sailer: Wenn man zum Starthaus geht, dann fühlt man sich noch gut. Aber sobald man oben steht, also da hat's schon einigen den Magen verdreht, sie sind umgekehrt und waren auf der Streif nie mehr wieder gesehen. Zu meiner Zeit waren 90 Leute auf der Rennliste, aber gefahren sind vielleicht 60.

SZ: Wie war es für Sie, da oben zu stehen?

Sailer: Man wusste: Da darf nichts passieren. Wenn etwas passiert, dann werde ich wahrscheinlich nicht einmal noch das Krankenhaus sehen. Früher gab's ja keine Netze, sondern höchstens Strohballen. Aber ich hab mir immer gedacht: Ein angeregneter, vereister Strohballen ist immer noch besser als die Rinde eines Baumes.

SZ: Haben Sie je erwägt, umzudrehen?

Sailer: Nein, nie. Aber wenn ich sagen würde, ich hätte nie Angst gehabt, würde ich lügen. Jeder, der behauptet, er hat auf der Streif keine Angst, lügt. Ich weiß noch, wie wir immer gesagt haben: Wenn die Eltern zu Hause wüssten, dass wir solche Angst haben, die würden uns da nie runterfahren lassen. Aber Angst ist ja keine Feigheit, sondern Klugheit, ein Warnsignal für die Gefahr.

SZ: Ist der Weltcup auf der Streif noch gefährlicher geworden in all den Jahren? Die Strecke wird vorher völlig vereist.

Sailer: Eine eisige Piste ist sicherer als eine, auf der man einbricht. Mein Vater hat in den vierziger und fünfziger Jahren mit zwei Lehrbuben und einem Gesellen die Piste nur mit einer Schaufel präpariert. Da können Sie sich vorstellen, wie die Strecke damals war. Allerdings: Die Sicherheitsnetze heute verführen. Mit ihnen ist die Eigenverantwortung immer weniger geworden. Wenn da ein Netz ist, sagen die Fahrer: Da kann ich ja dann einfach reinfahren. Eben nicht! Es kann einen auch trotz Netz zerreißen!

SZ: Wie man letztes Jahr bei Scott Macartney gesehen hat, der beim Zielsprung stürzte und bewusstlos liegen blieb.

Sailer: Mal ehrlich: Macartney war von der Geschwindigkeit sicher überfordert. Und er ist nicht der beste Springer, das hat man jetzt auch beim Weltcup in Wengen vergangene Woche gesehen (Macartney stürzte nach einem Sprung und verletzte sich am Knie, diesmal fehlt er ebenfalls wegen einer in Wengen erlittenen Knieverletzung, d. Red.). Ich kenne das: Wenn man einmal Probleme beim Sprung hat, dann kriegt man das nicht mehr raus. Was glauben Sie, was der beim nächsten Mal für einen Ballast im Kopf mitführt, wenn er auf die Kante zufährt?

SZ: Macartneys Sturz vergangenes Jahr hat zu einer Verschärfung der Sicherheitsdiskussion beigetragen. Manche sind der Meinung, man sollte Abfahrtsrennen wie Kitzbühel entschärfen.

Sailer: Ich finde, die Streif ist nach dem neuesten Stand perfekt mit A- und B-Netzen abgesichert. Als Vorsitzender des FIS-Alpinkomitees beschäftige ich mich sehr viel mit Sicherheit. Und ich sage: Wenn ich ein Seil 30 Meter über dem Flussbett spanne, ohne Netz, was glauben Sie, wie viele da drüber gehen - aber wenn ich ein Netz drunter mache, dann gehen alle drüber.

SZ: Aber kann man wirklich von einem Rennfahrer verlangen, gerade bei den prestigeträchtigsten Rennen nicht zu starten?

Sailer: Es gibt ja einige, die nicht fahren, bei denen auch der Trainer sagt: Junge, das bringt nichts. Diejenigen, die damals am Starthaus umgekehrt sind, verdienen jedenfalls Respekt.

SZ: Was macht denn den Reiz der Streif aus?

Sailer: Tradition. Begeisterung. Die Menschenmenge im Ziel, das Hallo auf der Strecke. Die ehemaligen Hahnenkammsieger kommen fast alle immer wieder, jeder hat ja eine eigene Gondel. Wenn du das Hahnenkammrennen gewinnst, hast du etwas ganz Großes gewonnen.

SZ: Trägt nicht auch gerade der Nervenkitzel zur Begeisterung bei? Etwa dann, wenn die Fahrer durch die berühmte "Mausefalle" schießen?

Sailer: Das auch. Der Ausdruck "Mausefalle" stammt übrigens von meinem Vater. Mausefalle deshalb: Wenn eine Maus in die Falle hineingeht, dann kommt sie nicht mehr heraus. Genau so ist das auf der Streif: Wenn du in die Mausefalle hineinschießt, da musst du durchschießen, da kannst du nicht drinnen herumfahren. Und wenn du 50 Meter springst - du musst es tun.

SZ: Wenn Sie nun am Wochenende zuschauen - spüren Sie da immer noch ein Kribbeln, so wie früher?

Sailer: Man hat immer dieses Kribbeln. Aber das hat auch mit einer gewissen Angst zu tun, dass etwas passieren könnte - trotz aller Sicherheitsvorkehrungen. Der Teufel schläft nicht.

Interview: Michael Neudecker

"Angst ist keine Feigheit, sondern ein Warnsignal": Toni Sailer Foto: dpa

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Karikatur

Einzug SZ-Zeichnung: Gottscheber

Obama, Barack Feierlichkeiten zur Amtseinführung von Barack Obama SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Kommentare

Da waren es nur noch sechs

Nicht alle Autokonzerne werden überleben - trotz Staatshilfen

Von Michael Kuntz

Nur sechs der heute zwei Dutzend bedeutenden Autokonzerne werden überleben. Es werden je ein japanischer, ein amerikanischer, ein deutscher, ein europäisch-japanischer, ein chinesischer und ein noch unbekannter sein. Dieses Bild von der Zukunft einer Schlüsselindustrie zeichnete Fiat-Chef Sergio Marchionne kurz vor Weihnachten. Das Bemerkenswerte war die Offenheit, mit der der vormals erfolgreiche Sanierer konstatierte: Sein Konzern allein ist nicht überlebensfähig. Fiat stellt nur zwei Millionen Autos pro Jahr her, und das ist zu wenig, um im Wettbewerb mit Toyota oder General Motors mithalten zu können, die in der Neun-Millionen-Liga spielen - was sie aber auch nicht davor bewahrt, gegenwärtig in Schwierigkeiten zu stecken.

Marchionne ging also auf Partnersuche. Gespräche mit BMW und PSA Citroën wurden bestätigt, waren aber offenkundig nicht sonderlich erfolgreich. Sonst hätte der Fiat-Mann wohl kaum nach dem Strohhalm Chrysler gegriffen, dessen amerikanische Händler nun angeblich nur darauf warten, möglichst viele Cinquecentos und andere italienische Kleinwagen zu verkaufen. Offensichtlich sind die Amerikaner ja ganz scharf auf kleine, sparsame und umweltfreundliche Autos, wie man in jüngster Vergangenheit daran sehen konnte, dass sich das BMW-Kultauto Mini und der Daimler-Kleinstwagen Smart in Nordamerika ausgesprochen gut verkauften.

Dabei wird übersehen, dass die Stückzahlen ähnlich klein sind wie diese Autos. Denn der Amerikaner an sich bewegt sich auf den achtspurigen Highways und von Ranch zu Ranch doch lieber im geräumigen Geländewagen oder mit der Pick-up-Pritsche. Beide vermitteln diese landesspezifische Mischung aus Größe und Geborgenheit.

Angesichts des binnen sechs Monaten halbierten Benzinpreises sind die gesellschaftlich vorübergehend geächteten Riesenteile für mehr Autofahrer wieder erschwinglich. Das anerkannte Prognoseinstitut Global Insight rechnet sogar damit, dass in den USA im Jahr 2016 wieder so viele Light Trucks, also Personenwagen im XXL-Format, verkauft werden wie vor der Krise.

Doch solche marktwirtschaftlichen Überlegungen sind derzeit nicht in Mode. Denn Staatshilfen hebeln das Gesetz von Angebot und Nachfrage aus. Amerikas Chrysler-Fahrer bezahlen ihre Karossen als Steuerzahler ein zweites Mal. Sie wenden damit eine politische Katastrophe ab, die droht, weil sehr viele Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Die Regierung in Washington verzögert damit das Ende von Konzernen, die außer ihren Arbeitnehmern niemand mehr braucht. Doch verhindern kann auch der neue Präsident Barack Obama die Neuordnung der globalen Autoindustrie nicht.

Langfristig wird die Nachfrage nach Autos wieder steigen, darin sind sich die Manager der Industrie einig. Sie unternehmen derzeit alles, um ihre ohnehin in den vergangenen Jahren ausgedünnten Belegschaften zu halten und so für die Zeit nach der Krise gerüstet zu sein. Gefragt sein werden die neuen kleinen Autos wie der Tata Nano in Indien. Also überdachte Plastikrikschas für Menschen, die Frau und Kinder bisher auf dem Motorrad durch tropische Regengüsse transportieren mussten. Sie werden sich nicht davon überzeugen lassen, dass ihre Rückkehr aufs Fahrrad der ökologisch sinnvollste Weg wäre.

Gute Chancen am anderen Ende des Angebotes werden die luxuriösen Autos haben, auf die sich große Teile der deutschen Industrie spezialisiert haben. Am stärksten unter Druck geraten die Produzenten belangloser Massenautos, die heute in vergleichbarer Qualität praktisch überall auf der Welt herzustellen sind. Da es sich dabei um weitgehend austauschbare Erzeugnisse mit ähnlichem Nutzen handelt, sind hier die Käufer beim Preis am sensibelsten.

Diese Zusammenhänge treten heute in den Hintergrund angesichts des Wettlaufes aller Staaten, ihren Autoherstellern helfen zu dürfen. Doch langfristig wird der Markt es richten. Es werden viele weitere Bündnisse kommen wie das von Fiat und Chrysler. Denn noch gibt es deutlich mehr als sechs Autohersteller. (Seite 18)

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Im Blickpunkt

Der Großaktionär greift durch

Der Immobilienkonzern IVG wechselt den Finanzvorstand aus

Der Mann übernimmt einen schwierigen Job: Wenn Wolfgang Schäfers Anfang Februar beim Immobilienkonzern IVG als Finanzvorstand einsteigt, dann muss er sich schnell in die Finanzierung der Bauobjekte einarbeiten. Das Thema Refinanzierung beschäftigt die ganze Branche. Seit dem Platzen der Immobilienblase sind Finanzierungen bei Banken schwieriger und teurer geworden. Die Immobilienbranche spürt die Kreditklemme.

Spätestens bei der nächsten Aufsichtsratssitzung am 28. Januar soll nach Informationen der Süddeutschen Zeitung die Entscheidung für Schäfers fallen. Der Platz des Finanzvorstands wird bei der IVG frei, weil Bernd Kottmann das Handtuch wirft. Kottmann ist schon seit dem Jahr 2001 im Vorstand des auf europäische Büroimmobilien spezialisierten Unternehmens, seit 2007 zuständig für Finanzen. Schäfers leitet bislang bei der Luxemburger Privatbank Sal. Oppenheim das Investmentbanking für Immobilienkunden und hat an der Universität Regensburg den Lehrstuhl für Immobilienmanagement inne. Er gilt als versierter Kenner der Immobilienmärkte. Ein Sprecher der IVG wollte die Information nicht kommentieren.

Mit Schäfers schickt das Bankhaus Oppenheim nun einen ihrer eigenen Männer zur IVG, an deren Gedeihen sie angesichts eines Aktienpakets von 20 Prozent plus einer Aktie höchst interessiert sein muss. Die Finanzkrise hat bei der IVG tiefe Spuren hinterlassen: Deswegen musste der Vorstand seine Jahresziele drastisch kappen und erwartet für das abgelaufene Jahr 2008 nur noch einen Gewinn von 50 bis 60 Millionen Euro nach einem Rekordgewinn von 301 Millionen im Jahr zuvor. Der Aktienkurs hat binnen eines Jahres mehr als 80 Prozent verloren.

Die ehemals staatliche Industrieverwaltungsgesellschaft wurde im Jahre 1993 privatisiert und an die Börse gebracht, seit 1997 konzentriert sie sich auf Gewerbeimmobilien in Europa. In den vergangenen Jahren waren die Preise in vielen europäischen Immobilienmärkten wie England oder Spanien stark geklettert.

Erst im November hatte die IVG mit dem ehemaligen Telekom-Manager Gerhard Niesslein einen neuen Vorstandschef bekommen. Vorgänger Wolfhard Leichnitz hatte im September überraschend das Handtuch geworfen, knapp drei Jahre vor Ablauf seines Vertrages. Analysten hatten dem Management vorgeworfen, Immobilien zu teuer eingekauft zu haben. Entsprechend schmerzhaft waren die Abwertungen, welche die IVG vornehmen musste. Damals galt Oppenheim als treibende Kraft hinter dem Wechsel bei dem Bonner Konzern. Die Bank ist gleich doppelt im Aufsichtsrat vertreten, mit Bankchef Matthias Graf von Krockow und Detlef Bierbaum, der das Kontrollgremium leitet.

Kottmann hatte dem Vernehmen nach selbst Ambitionen auf den Chefposten, ging dann allerdings zum zweiten Mal bei der IVG leer aus. Deswegen habe er sich selbst für einen Rücktritt entschieden. Noch bis Ende Mai soll Kottmann an Bord bleiben. Caspar Dohmen

Erste Wahl: Wolfgang Schäfers. F: Universität Regensburg

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Milliarden umsonst

Die Hypo Real Estate ist ein Fass ohne Boden

Von Thomas Fromm

Und noch ein Garantierahmen für die Hypo Real Estate - diesmal in Höhe von zwölf Milliarden Euro. Zusammen mit bereits bestehenden Garantien erhöht sich die Summe, mit der der Steuerzahler für die Rückzahlung von durch den Immobilienfinanzierer emittierte Wertpapiere geradesteht, auf 42 Milliarden Euro. Ach ja, und dann waren da noch die 50 Milliarden Euro, die im Herbst vergangenen Jahres dem Konzern über Nacht zugeschossen werden mussten. Eine Hilfe von Bund und Banken, ohne die der Konzern den darauffolgenden Morgen wohl nicht mehr erlebt hätte. Macht insgesamt 92 Milliarden Euro. 92 Milliarden Euro für einen Konzern, der an der Börse weniger als eine halbe Milliarde Euro wert ist. Und bei dem jetzt schon einigermaßen klar ist, wo die Reise vermutlich hinführt: ins Nichts.

Es ist mehr als fraglich, ob der Konzern das viele Geld jemals wieder einspielen wird. Die Wahrscheinlichkeit tendiert gegen null: Das Neugeschäft des Instituts soll brachliegen, gleichzeitig wird der Finanzkonzern unter seinem neuen Management zu einem kleinen Unternehmen zusammengeschrumpft, um noch Schlimmeres zu verhindern.

Man sollte sich keinen Illusionen hingeben: Es geht bei der HRE nicht darum, einen notleidenden Konzern wieder auf Vordermann zu bringen - oder, wie im Fall von Commerzbank und Dresdner, eine wackelige Bankenfusion abzusichern. Bei der HRE geht es nur noch darum, ihren ungeordneten Zusammenbruch und dessen Folgen für die gesamte Finanzwirtschaft zu vermeiden. Tragisch ist, dass dies Jahre, vielleicht Jahrzehnte dauern wird. Und noch tragischer ist es, dass es am Ende wohl weit mehr als 92 Milliarden Euro kosten wird. (Seite 21)

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Ostdeutschland verarmt

Wohlstand für wenige

Studie: Die Mehrheit der Deutschen konnte vom vergangenen Aufschwung nicht profitieren. Risiko von Altersarmut steigt

Von Thomas Öchsner

Berlin- Seit 2002 sind die Reichen in Deutschland reicher geworden und die weniger Wohlhabenden und Armen ärmer geworden. Das ist das Ergebnis einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Danach wird die Ungleichheit bei der Vermögensverteilung immer größer - und Ostdeutschland verarmt zunehmend.

2002 befand sich Deutschland am Rand einer Rezession. 2007 ging es dagegen mit der Wirtschaft noch aufwärts, das Bruttoinlandsprodukt wuchs um 2,5 Prozent. Die große Mehrheit der Bevölkerung konnte davon aber nicht profitieren, rechnen die Wissenschaftler des DIW vor: Das Vermögen (Geldbesitz, Immobilien, Versicherungen, nach Abzug von Verbindlichkeiten) konzentriert sich immer mehr bei den reicheren Gruppen der Bevölkerung.

So verfügte das wohlhabendste Zehntel der erwachsenen Bevölkerung 2007 über 61,1 Prozent des privaten Vermögens. 2002 waren es noch 57,9 Prozent. Allein das reichste Hundertstel hielt 2007 knapp 23 Prozent des Nettovermögens. Dagegen besaßen die weniger wohlhabenden 70 Prozent der Erwachsenen nur knapp neun Prozent des gesamten Nettovermögens. Auch dieser Anteil ist in dem Vergleichszeitraum von fünf Jahren leicht geschrumpft.

Die Berliner Forscher stützen ihre Untersuchung auf die jüngsten verfügbaren Daten aus dem sozioökonomischen Panel (SOEP), einer repräsentativen Befragung von etwa 23 000 Personen in Privathaushalten ab 17 Jahren. Die Studie, die das DIW an diesem Mittwoch vorstellte, wurde von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gefördert. Das DIW hatte bereits im November 2007 eine ähnliche Untersuchung vorgelegt.

Mit der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich folgt die Entwicklung einem weltweiten Trend. Seit den frühen neunziger Jahren steigen die Einkommen der Spitzenverdiener auf allen Kontinenten erheblich schneller als die Gehälter von Geringverdienern. Die deutschen Zahlen sind deshalb im internationalen Vergleich nicht ungewöhnlich. Deutschland stehe hier mit seinen Zahlen "noch moderat" da, sagte Markus Grabka, einer der Autoren der Studie.

Hohe Freibeträge für Reiche

Die Berliner Wissenschaftler rechnen damit, dass sich die Schere bei der Vermögensverteilung in den nächsten Jahren weiter öffnet. Auf der einen Seite profitierten Wohlhabende von hohen Freibeträgen bei der reformierten Erbschaftsteuer und von der neuen Abgeltungsteuer in Höhe von 25 Prozent auf Kapitalerträge, sagte der DIW-Experte Grabka. Auf der anderen Seite gehe - sofern überhaupt vorhanden - das Vermögen von Arbeitslosen zurück, da die Einführung von Hartz IV dazu beigetragen habe, dass diese ihre Ersparnisse auflösen. Schließlich müssten Erwerbslose erst eigenes Vermögen weitgehend aufzehren, bevor diese staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen könnten. Nach Ansicht der Forscher wächst deshalb in Deutschland das Risiko von Altersarmut, besonders in den neuen Bundesländern.

Insgesamt belief sich das private Bruttovermögen (ohne Autos und Hausrat) in Deutschland auf etwa 8,055 Billionen Euro. Den größten Anteil daran hatten Grund- und Immobilienbesitz mit 5,3 Billionen Euro. Dem standen Schulden der Privathaushalte von gut 1,4 Billionen Euro gegenüber. Im Durchschnitt verfügte damit jeder Erwachsene über ein individuelles Vermögen von gut 88 000 Euro - knapp 8000 Euro mehr als 2002.

Wie wenig die Zahlen über die reale Verteilung des Wohlstandes aussagen, zeigt ein Blick auf die einzelnen Bevölkerungsgruppen. Nach den Berechnungen des DIW wuchs das durchschnittliche Nettovermögen im wohlhabendsten Zehntel der Bevölkerung von gut 208 000 auf mehr als 222 000 Euro. Die Angehörigen des reichsten Prozents besaßen sogar mehr als 817 000 Euro. Zum Vergleich: Facharbeiter oder Angestellte mit einfacher Tätigkeit kommen auf knapp 46 000 Euro, Beamte des einfachen und mittleren Dienstes auf 63 000 Euro und Rentner und Pensionäre auf gut 113 000 Euro. Menschen ohne Vermögen und mit mehr Schulden als Besitz sind bei Angelernten und Arbeitslosen mit Abstand am häufigsten.

Auffällig ist die Entwicklung in Ostdeutschland: Während im Westen die Nettovermögen zwischen 2002 und 2007 von durchschnittlich knapp 91 000 auf gut 101 000 Euro stiegen, sank der Mittelwert im Osten von 34 000 auf 31 000 Euro. Die Forscher des DIW nannten dafür zwei Gründe: Die Preise für Immobilien sind in vielen ostdeutschen Regionen eingebrochen. Außerdem hat die hohe Arbeitslosigkeit dazu beigetragen, dass in den Altersgruppen zwischen 35 und 65 Jahren die durchschnittlichen Vermögen in den fünf Jahren um mehr als zehn Prozent gesunken sind. Dieser Schwund, heißt es in der Untersuchung, sei "sozialpolitisch besorgniserregend".

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Mutige Prognose

Die Bundesregierung sieht Deutschland am Ende der Rezession

Von Claus Hulverscheidt

Die interessanteste Information des Jahreswirtschaftsberichts findet sich erst auf Seite 68. Dort ist eine Grafik abgebildet, die darüber Auskunft gibt, wie sich nach Einschätzung der Bundesregierung das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Vierteljahresrhythmus entwickeln wird. Die Botschaft ist eindeutig und für Laien sicher überraschend: Nach einem erneuten kräftigen Einbruch der Wirtschaftsleistung im laufenden ersten Quartal 2009 wird das BIP in den drei Folgequartalen wieder kontinuierlich wachsen - schwach zwar, aber immerhin.

Rein technisch betrachtet hieße das, dass Deutschland entgegen manch hysterischer Untergangsszenarien nicht am Beginn, sondern am Ende der Rezession steht. Dass die Regierung im Vergleich der Gesamtjahre 2008 und 2009 dennoch einen BIP-Rückgang um zweieinviertel Prozent und damit den stärksten Konjunktureinbruch seit Kriegsende erwartet, steht dazu nicht im Widerspruch. Vielmehr ist das BIP seit dem letzten Frühjahr bereits so stark geschrumpft, dass selbst bei einer Trendwende in diesem Mai oder Juni das Niveau des Vorjahres unerreichbar bleiben wird.

Die Prognose der Regierung ist damit optimistischer, als sie auf den ersten Blick erscheint. Das ist mutig, aber nicht gänzlich unrealistisch, denn die in aller Welt beschlossenen Konjunkturprogramme werden schon aufgrund ihrer schieren Größe im Laufe des Jahres Wirkung zeigen. Das heißt mitnichten, dass die Politik die Hände in den Schoß legen könnte, denn eine einzige neue Horrormeldung vor allem aus der Finanzbranche könnte das fragile Gebilde Aufschwung sofort wieder zum Einsturz bringen. Es bedeutet aber auch nicht, dass es Grund zur Resignation gibt. (Seite 17)

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INHALT

PERSONALIEN

Plötzlich im Rampenlicht

Die Ankläger im Fall Zumwinkel wurden kurzfristig ausgewechselt. Seite 16

POLITIK UND MARKT

Die Wende in Sicht

Laut Jahreswirtschaftsbericht endet die Krise im Frühsommer. Seite 17

UNTERNEHMEN

Viel Geschnatter

Der Internetdienst Twitter hat Erfolg, aber kein Geschäftsmodell. Seite 18

MITTELSTAND

Chinas nächste Mitte

Die Familienunternehmen vor dem ersten Generationswechsel. Seite 20

GELD

Bankenkrise verschärft sich

Trotz neuer Milliardenhilfen stürzen die Aktien ab. Seite 21

Kursteil Seiten 25 und 26

Fondsseiten Seiten 26 und 27

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Kurse des Tages

Für eine der seltenen positiven Überraschungen hat am Mittwoch IBM gesorgt. Nach einem Gewinnsprung zum Jahresende erwartet der US-Konzern auch für 2009 ein Rekordergebnis. 2008 verdiente IBM 12,3 Milliarden Dollar, gut 18 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Börse honorierte die gute Nachricht mit deutlichen Kursaufschlägen. (Seite 19)

Mit deutlichen Kursgewinnen konnte sich am Mittwoch die Aktie der Société Générale vom Branchentrend absetzen. Im vergangenen Jahr verdiente die französische Bank trotz der Finanzkrise rund zwei Milliarden Euro. Dagegen mussten viele andere Finanztitel wie Banco Santander oder Aegon weitere Verluste einstecken. (Seite 21)

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Anfang einer Abwicklung

Beim Einstieg des Staates bei der Hypo Real Estate geht es nur noch um die Höhe der Beteiligung

Von Thomas Fromm und Claus Hulverscheidt

Berlin - Der schwer angeschlagene Münchner Konzern Hypo Real Estate (HRE) wird aller Voraussicht nach als erstes deutsches Finanzinstitut im Zuge der Weltwirtschaftskrise verstaatlicht. Wie aus Verhandlungskreisen verlautete, ist der Einstieg des Bundes praktisch beschlossene Sache. Offen sei nur noch die künftige strategische Ausrichtung der HRE und die Höhe des Staatsanteils. Alles spreche aber für eine Mehrheitsbeteiligung. Am Ende eines möglicherweise jahrelangen Prozesses könne die "geordnete Abwicklung" des Instituts stehen.

Die Hypo Real Estate hatte bereits im letzten Jahr zweimal mit Hilfe staatlicher Bürgschaften vor dem Zusammenbruch gerettet werden müssen. Am späten Dienstagabend hatte das Institut mitgeteilt, dass der Garantierahmen um weitere zwölf Milliarden auf 42 Milliarden Euro aufgestockt worden sei. Damit erhält die HRE inzwischen Hilfen von insgesamt 92 Milliarden Euro. In Schieflage geraten war die HRE unter anderem durch ihre irische Tochter Depfa, die langfristige Kredite vergibt und sich dies durch die Aufnahme kurzfristiger Darlehen finanziert. Das Konzept scheiterte, weil sich Banken im Zuge der Finanzkrise kaum noch Geld leihen. "Dreh- und Angelpunkt aller Erwägungen ist die Depfa", hieß es in Finanzkreisen. Sie sei der "Mühlstein am Hals der HRE".

Damit der Bund die Mehrheit an dem Konzern übernehmen kann, müssten dessen Grundkapital verdoppelt und das Finanzmarkt-Stabilisierungsgesetz geändert werden. Es beschränkt Kapitalbeteiligungen des staatlichen Bankenrettungsfonds Soffin bislang auf maximal 33 Prozent. Es ist deshalb denkbar, dass der Bund zunächst nur 25 Prozent plus eine Aktie und erst in einem zweiten Schritt die Mehrheit erwirbt.

Für einen solchen Schritt spricht nach Angaben aus den Kreisen, dass die HRE als Staatsunternehmen eine deutlich höhere Bonität genießen würde und damit zu erheblich günstigeren Konditionen Kredite aufnehmen könnte. Zudem wäre sichergestellt, dass ein ausländischer Konkurrent die Bank nicht einfach übernehmen könnte und damit womöglich Zugriff auf deutsche Steuergelder erhielte. Aus dem gleichen Grund hatte sich der Soffin eine gut 25-prozentige Sperrminorität bei der Commerzbank gesichert.

Offen ist noch, ob der bisherige HRE-Großaktionär, der Finanzinvestor Christopher Flowers, bei einer Kapitalerhöhung mitspielen würde. Sein Anteil von rund 25 Prozent würde bei einer Verdopplung des Grundkapitals auf die Hälfte zusammenschrumpfen. Aus Finanzkreisen verlautete, Flowers sei vor allem daran gelegen, einen Teil seines Einsatzes zu retten. Er hatte im Frühjahr 2008 mehr als eine Milliarde Euro für seinen Anteil ausgegeben und sich dabei kräftig verspekuliert: Heute ist der ganze Konzern an der Börse nur noch 400 Millionen Euro wert. "Sollte es zu einem Übernahmeangebot kommen, wäre alles eine Preisfrage", hieß es in den Kreisen.

Um Druck auf den Finanzinvestor auszuüben, wurde in den Verhandlungen zwischen dem Soffin, der Regierung und Flowers auch die Möglichkeit einer Gesetzesänderung erörtert. Danach wären Kapitalerhöhungen künftig auch ohne Zustimmung der Altaktionäre möglich, wenn ein Unternehmen plötzlich in eine existenzbedrohende Schieflage gerät. Angst vor einer Enteignungsdebatte hat man nach eigenem Bekunden in der Regierung nicht, da andere Länder wie etwa Großbritannien den gleichen Weg gegangen seien. Die Verhandlungen mit der HRE und Flowers werden sich dem Vernehmen nach allerdings womöglich noch Wochen hinziehen.

Vom bisherigen Bürgschaftsrahmen in Höhe von 80 Milliarden Euro hat die HRE noch keinen Cent gebraucht. Das gelte auch für alle anderen Banken, für die der Soffin Bürgschaften übernommen habe. "Es gibt bislang keinen einzigen Schadensfall", hieß es in Regierungskreisen. Die Gründung einer sogenannten Bad Bank, an die die deutschen Kreditinstitute faule Wertpapiere abtreten könnten, lehnt die Regierung weiter ab. Wirtschaftsminister Michael Glos sagte, mit einer solchen Bank würden die Probleme nur vordergründig gelöst. Der Anreiz für die Kreditwirtschaft, ihre Schwierigkeiten zu überwinden, sei größer, wenn sie die Wertpapiere in ihren Bilanzen behalten müsste. In dieser Frage seien er und Finanzminister Peer Steinbrück "wie Zwillingsbrüder". Nach einem Bericht der Frankfurter Rundschau bereitet die Bundesbank allerdings die Gründung einer Bad Bank vor, um für den Fall eines Meinungswechsels gewappnet zu sein. (Kommentare)

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Wechsel bei Hannover Rück

Die Hannover Rückversicherung hat zum 1. Juli Ulrich Wallin zum neuen Vorstandschef bestellt. Wallin trete die Nachfolge von Wilhelm Zeller an, der nach Vollendung seines 65. Lebensjahres in den Ruhestand trete, teilte das Unternehmen mit. Wallin wird gleichzeitig Chef der E+S Rückversicherung. Der Jurist gehört den Vorständen der Hannover Rück und E+S Rück seit 2001 an. Zudem löst Roland Vogel Elke König als Finanzvorstand der Hannover Rück und E+S Rück ab. Frau König scheide im besten Einvernehmen aus den Vorständen der beiden Unternehmen aus, um sich neuen beruflichen Herausforderungen zu stellen, hieß es. dpa-AFX

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Anklage gegen Schumacher

Der ehemalige Infineon-Chef Ulrich Schumacher muss sich nun doch wegen des Vorwurfs der Bestechlichkeit und Untreue vor Gericht verantworten. Wie die Staatsanwaltschaft in München mitteilte, hat sie bereits am 19. Dezember Anklage gegen den 50-Jährigen erhoben, der derzeit in Schanghai arbeitet. AP

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Von der Dresdner zu Bain

Der ehemalige HVB- und Dresdner-Bank-Vorstand Franz Herrlein wird künftig als Unternehmensberater andere Banken bei Fusionen und Umstrukturierungen begleiten. Der 41-Jährige wird zum 1. März Mitglied der Geschäftsführung der Beratungsgesellschaft Bain & Company, wie diese mitteilte. Herrlein ist - wie alle seine Vorstandskollegen - der Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank zum Opfer gefallen. Reuters

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Gärtner und Bankier

Böse Zungen meinten, der britische Bankier Edmund de Rothschild sei eher Hobbygärtner als Banker gewesen. Er selbst nahm so etwas mit Humor. Tatsächlich liebte "Eddy" seinen Garten über alles. Für seine Azaleen- und Rhododendron-Pflanzungen erhielt er Auszeichnungen der königlichen Gartenbaugesellschaft. Nun ist Rothschild im Alter von 93 Jahren gestorben, wie seine Familie mitteilte. Er kämpfte im Zweiten Weltkrieg in einer neu gegründeten jüdischen Infanterie-Brigade. Nach dem Krieg folgte er der Familientradition und wurde Bankier. Er leitete schließlich die Investmentbank NM Rothschild & Sons. Dabei machte er sich einen Namen als Investor, der schon frühzeitig Umweltstandards setzte. Edmund de Rothschild war der älteste Sohn von Lionel de Rothschild und Nachfahre von Nathan Mayer Rothschild, der den englischen Zweig der Familie gründete. old

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Plötzlich im Rampenlicht

Nach internen Querelen wurden die Vertreter der Anklage im Fall Zumwinkel kurzfristig ausgewechselt - die neuen bleiben diskret

Von Hans Leyendecker

Es gibt ein Foto von der Heimsuchung Klaus Zumwinkels durch die Bochumer Staatsanwaltschaft, das sich eingebrannt hat. Es zeigt die Gruppe beim Verlassen des Hauses - im Vordergrund der Anwalt Hanns Feigen, dahinter der frühere Postchef und die Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen; hinten an der Haustür steht eine junge Frau im Trenchcoat. Sie könnte die Tochter des Hauses sein, aber ihr Name ist Daniela Wolters. Sie ist 34 Jahre alt und von Beruf Staatsanwältin.

Fast ein Jahr nach der Aktion in Köln hat die Strafverfolgerin an diesem Donnerstag vor der Zwölften Großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bochum ihren bislang größten Auftritt. Gemeinsam mit dem Bochumer Oberstaatsanwalt Gerrit Gabriel, 39, vertritt sie die Anklage im Prozess gegen den früheren Chef der Deutschen Post. Dem 65 Jahre alten Zumwinkel wird vorgeworfen, von 2002 bis 2007 mit Hilfe der Stiftung "Devotion Family Foundation" bei der Liechtensteiner LGT-Bank Steuern in Höhe von knapp einer Million Euro hinterzogen zu haben.

Dass die junge Strafverfolgerin und der neue Leiter der Wirtschaftsabteilung 35 der Bochumer Staatsanwaltschaft gemeinsam die Anklage vertreten werden, war noch vor zwei Monaten nicht abzusehen. Damals schien sicher, dass die Staatsanwältin Lichtinghagen anklagen würde, und die Öffentlichkeit hätte sich vermutlich kaum dafür interessiert, wer neben ihr sitzen würde. Der Prozess sollte, wie Lichtinghagen Journalisten erzählt haben soll, ihre "Krönungsmesse" sein. Daraus ist wegen der Querelen im Haus und der Aufregungen um die in eine Affäre verstrickte Staatsanwältin Lichtinghagen nichts geworden. Sie ist als Richterin zum Amtsgericht Essen gewechselt, aber derzeit krankgeschrieben.

Anrufe beim Vater

Daniela Wolters, die seit November 2004 Staatsanwältin ist, hat in den vergangenen zwölf Monaten quasi ihr drittes Staatsexamen absolviert. Erst im Januar 2008 war sie von der Staatsanwaltschaft Köln zur Bochumer Behörde abgeordnet worden, um die Strafverfolger aus dem Revier bei den Steuerermittlungen in der Causa LGT zu unterstützen. Rund 780 ungelöste Fälle sollten erledigt werden. Alles war neu und aufregend. So wurde Zumwinkel in einer Akte mit den Listen der Namen vieler Verdächtiger unter Pseudonym eingetragen, damit niemand von der bevorstehenden Aktion in Köln Wind bekommen konnte.

Dann kam alles anders. Als Daniela Wolters frühmorgens gemeinsam mit Staatsanwältin Lichtinghagen zum Haus von Zumwinkel in Köln-Marienburg marschierte, wartete schon das ZDF auf die Ermittler. Die junge Staatsanwältin, die so etwas noch nicht erlebt hatte, dachte zunächst, ein Fotoreporter wolle sein Bildchen machen. Im Verlauf der Durchsuchung wurde aus der Presse die Meute, und Daniela Wolters staunte immer mehr. Dass sie bei der Durchsuchung zugegen war, hing auch damit zusammen, dass sie in Köln wohnt.

Seit den Februartagen des vergangenen Jahres hat sie das große Einmaleins der Steuerstrafverfahren gepaukt. Da waren die gemeinsamen Sitzungen mit der Steuerfahndung Wuppertal, die auf der Seite des Fiskus die Aktionen koordiniert. Geleitet wurden die Treffen von einem alten Steuerfuchs, der schon viele Großverfahren hinter sich hat. Er kaut gewöhnlich die Worte, ist sehr spröde, was für Frischlinge irritierend sein kann, gilt aber als absoluter Profi. Daniela Wolters hat von ihm eine Menge gelernt.

Aus Duisburg war Anfang 2008 noch ein weiterer junger Kollege zur Schwerpunktabteilung in Bochum abgeordnet worden. Er ist erst seit drei Jahren Staatsanwalt und hat in seiner Heimatbehörde zumeist kleinere Wirtschaftsstrafsachen bearbeitet. Im ersten Bochumer Liechtenstein-Prozess im Juli vergangenen Jahres trug er den Anklagesatz vor. Er war dennoch nur Statist an der Seite der Star-Staatsanwältin. Die Anklage hatte er vorher nicht mal gelesen. Er möchte seinen Namen derzeit nicht in der Zeitung lesen. Auch Daniela Wolters tut sich mit einigen Journalisten mittlerweile schwer. Eine Reporterin eines Magazins rief in diesen Tagen ihren Vater, einen Arzt, in der Praxis an, um sich zu erkundigen, was die Tochter so treibt. Es kann nicht ganz einfach gewesen sein, den Internisten ausfindig zu machen. Ihr Geburtsname ist nicht Wolters.

Der Vorfall ließ in Bochum die Alarmglocken schrillen. In der Staatsanwaltschaft liegen ohnehin seit Beginn der Lichtinghagen-Affäre die Nerven blank. Dass das Düsseldorfer Justizministerium zeitweise erwog, die im Clinch mit der Behördenleitung liegende Margrit Lichtinghagen nach Köln zu versetzen und ihr gleichzeitig alle verbliebenen Liechtenstein-Verfahren mitzugeben, hat für Verbitterung gesorgt. Daniela Wolters und der aus Duisburg abgeordnete Kollege wurden gefragt, ob sie unter diesen Umständen in Bochum bleiben wollten - sie sind geblieben.

Abteilungsleiter Gerrit Gabriel, der seit 1998 Staatsanwalt ist, hat nicht nur eine glänzende, sehr fixe Karriere hingelegt, sondern ist erfahren in Wirtschaftsstrafsachen. Der Beamte, der ein Jahr Beisitzer einer Schwurgerichtskammer in Hagen war, hat als Staatsanwalt im Bereich der organisierten Kriminalität und im Rotlichtmilieu ermittelt. Tankkarten-Fälschungen in großem Stil hat er aufgeklärt, und er war auch in einigen LGT-Fällen im Einsatz. Ein Foto, das ihn bei seiner Berufsausübung zeigt, gibt es dennoch nicht. Das wird sich am Donnerstag ändern.

Der Prozess

Im Saal 240 C des Bochumer Landgerichts beginnt am Donnerstag gegen 11.30 Uhr der Prozess gegen Klaus Zumwinkel. Dem 65-Jährigen wird vorgeworfen, knapp eine Million Euro Steuern hinterzogen zu haben. Voraussichtlich wird bereits kommenden Montag das Urteil verkündet. Obwohl die Prozessbeteiligten keinen Deal vereinbart haben, gilt es als sehr wahrscheinlich, dass Zumwinkel nicht in Haft muss. Mit einer Bewährungsstrafe zwischen einem Jahr und sechs Monaten und zwei Jahren ist zu rechnen. Dass das Gericht wegen Verjährung einen Teil der Anklage nicht zugelassen hat, spielt bei der Strafzumessung keine Rolle. Strafmildernd wird vermutlich berücksichtigt, dass Zumwinkel als Steuersünder öffentlich vorverurteilt wurde. ley

Im Hintergrund: Daniela Wolters (hinten links) bei der Durchsuchung im Hause Zumwinkel. Foto: dpa

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Ein Tod gibt Rätsel auf

Die Finanzkrise fordert offenbar ein weiteres Opfer: Der irische Immobilieninvestor Patrick Rocca hat sich das Leben genommen

Patrick Rocca hatte es geschafft. Der hundertfache Millionär, Spross einer italienischen Einwandererfamilie, war fester Bestandteil der irischen Gesellschaft: Mit Tony Blair parlierte er bei Gala-Dinners und mit Bill Clinton spielte er Golf. Auch seine Schwester Michelle sorgte für Schlagzeilen: Die ehemalige Miss Irland ist mit Musikerlegende Van Morrison liiert.

Doch am Montagmorgen ist die schöne Welt des Immobilienspekulanten endgültig zu Bruch gegangen. Da sahen ihn Nachbarn in Dublin im Schlafanzug herumlaufen - kurze Zeit später war er tot. Alles deute auf Selbstmord hin, teilte die irische Polizei mit. Rocca sei einer Schusswunde im Kopf erlegen.

Die Zahl der Selbstmorde, die in Zusammenhang mit der Finanzkrise gebracht werden können, steigt damit fast schon im Wochenrythmus: Nach dem neuseeländisch-britischen Finanzinvestor Kirk Stephenson, dem französischen Fondsmanager René-Thierry Magon de la Villehuchet und dem schwäbischen Milliardär Adolf Merckle hielt nun offenbar auch Rocca dem Druck nicht mehr stand.

Welche Gründe Rocca in den Suizid getrieben haben könnten, ist zunächst aber unklar. Die Familie äußerte sich nicht. Dem Vater dreier Kinder habe der finanzielle Ruin gedroht, vertraute ein namentlich nicht genannter Freund irischen Zeitungen an. Offenbar habe sich Rocca mit einem Engagement bei der Großbank Anglo Irish verhoben, hieß es in der irischen Presse weiter. Das Institut war am Freitag durch Verstaatlichung vor dem Kollaps gerettet worden.

Mit dem Freitod des 42-Jährigen bekommt die Geschichte der Familie Rocca erstmals dunkle Schattierungen; bislang galt sie als extrem erfolgreich. Patricks Großvater war in den 1920er Jahren als Steinmetz nach Irland gekommen, der Vater gründete 30 Jahre später den Baustoffhändler Rocca Tiles, Irlands mittlerweile führenden Importeur für Marmor- und Ziegelsteine. 1995 übernahm Patrick Rocca die operative Führung. Fünf Jahre später wurde das Unternehmen mehrheitlich an eine Investorengruppe verkauft und Patrick stieg ins Immobiliengeschäft ein. Die Geschäfte liefen gut, Folge auch des rasanten Wirtschaftsaufschwungs in Irland: Im Jahr 2007 wurde Roccas Vermögen auf 500 Millionen Euro geschätzt, seine Firma war an zahlreichen Grundstücks- und Immobiliengeschäften beteiligt. Darunter waren namhafte Aufträge: die Lloyds Chambers in Londons Finanzdistrikt, der Crystal Court am Londoner Flughafen und das Norwich Union House in Sheffield sowie zwei Bürokomplexe an Londons Flughafen Gatwick. Im vergangenen Jahr wechselte der Unternehmer schließlich auch ins Mediengeschäft und erwarb einen 12,5-Prozent-Anteil am irischen Magazin-Verlag Progressive News & Media, zu dessen Titeln auch das Klatschmagazin RSVP zählt. Paul Katzenberger

Patrick Rocca, hier mit seiner Frau Annette. Foto: oh

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Alles für die Tonne

Die Preise für Altpapier sind um 90 Prozent eingebrochen. Viele Recyclingfirmen bringt das in finanzielle Nöte, am Ende müssen auch die Verbraucher draufzahlen

Von Silvia Liebrich

München - Noch vor einem halben Jahr haben sich Kommunen und private Abfallentsorger einen erbitterten Kampf um alte Zeitungen und andere Papierabfälle geliefert. Irritierte Bürger ärgerten sich über blaue Mülltonnen, die ohne ihr Zutun vor dem Haus aufgestellt wurden und die Wege blockierten. In einigen Gemeinden und Städten kochten die Emotionen so hoch, dass Gerichte einschreiten mussten, um die Müll-Streitereien zu schlichten. Inzwischen haben sich die Vorzeichen geändert. Seit vergangenem Sommer sind die Altpapierpreise dramatisch gefallen. Aus dem lukrativen Handel mit Papierabfall wurde in kürzester Zeit ein Verlustgeschäft. Einige Entsorger, die noch vor kurzem nicht genug von dem Rohstoff an sich raffen konnten, dürften ihr Engagement heute bedauern.

Seit Oktober 2008 brachen die Preise für gemischtes Altpapier nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um knapp 90 Prozent ein. Bekamen die Entsorger noch vor einigen Monaten bis zu 100 Euro für eine Tonne, so werden derzeit von den Abnehmern fünf Euro und weniger gezahlt. In einigen Städten wie im baden-württembergischen Tuttlingen wurde der kostenlose Abholdienst für Altpapier bereits teilweise eingestellt. Einzelhändler und Gewerbetreibende müssen seit Jahresanfang für den Containerdienst eine Gebühr entrichten oder den Papiermüll selbst wegbringen.

Schuld an der Misere ist wie in anderen Branchen die Finanzkrise und der damit verbundene Konjunktureinbruch. Es wird weniger produziert und damit auch weniger verpackt. Viele Verarbeiter bringt das in Schwierigkeiten. "Sehr viele Betriebe haben das vierte Quartal 2008 mit roten Zahlen abgeschlossen", sagte am Mittwoch Werner Templin, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft Papierrohstoffe (IG Paro). Seit Oktober seien die Auftragseingänge drastisch zurückgegangen. Die Lager quellen über. "Vor allem der Export ist beinahe vollständig weggebrochen", ergänzte Templin. Der größte Abnehmer von Altpapier, China, habe von heute auf morgen die Annahme neuer Ware verweigert, so dass einige volle Containerschiffe aus Europa unverrichteter Dinge wieder die Heimreise antreten mussten. Auch China leidet unter dem weltweiten Konjunktureinbruch und hat seine Produktion von Industrie-und Konsumgütern deutlich zurückgefahren. Damit sinkt auch der Bedarf an Verpackungsmaterial. Zudem hat die Volksrepublik in den vergangenen Jahren riesige Lagerbestände angehäuft, die nun sukzessive abgebaut werden können, ohne dass Nachschub geordert werden muss. "Die überschüssige Ware drängt nun zurück auf den europäischen Markt, so dass wir jetzt ein Überangebot haben, das die Preis drückt", sagte Templin weiter. Hinzu kommt auch ein heftige Einbruch im Inlandsgeschäft.

Etwa 15 Millionen Tonnen Altpapier werden nach Branchenangaben jährlich in Deutschland wiederverwertet. Die Recyclingquote liegt bei 70 Prozent und ist so hoch wie kaum in einem anderen Land. In den Ausbau der Maschinenkapazitäten wurde in den vergangenen Jahren stark investiert, so dass Deutschland zuletzt mehr Altpapier importierte als exportierte, um die Kapazitäten auch nur annähernd auszulasten. Zu schaffen machen vielen Recyclingunternehmen auch die langfristigen Verträge mit Kommunen, in denen meist für fünf bis sechs Jahre eine fester Abnahmepreise garantiert wird, der deutlich über dem aktuellen Marktwert liegt. Einen Gewinn erwirtschaften die meisten erst bei einem Preis von 25 bis 35 Euro je Tonne Altpapier.

Auch bei Melosch in Hamburg, einem mittelständischen Recyclingunternehmen mit 250 Beschäftigten, verfolgt man die Entwicklung mit Sorge. Gut 70 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet die Firma nach eigenen Angaben pro Jahr. "Der Preisverfall bringt uns in Not", sagt ein Firmensprecher. Nicht nur Altpapier habe deutlich an Wert verloren, sondern auch andere Recyclingrohstoffe wie Schrott. Preisschwankungen habe es zwar schon immer gegeben, "dass ein Preisverfall aber so schnell kommt, ist ungewöhnlich", ergänzt er. Eine erste Konsequenz aus dem Niedergang am Rohstoffmarkt hat Melosch bereits gezogen: 20 Mitarbeiter verloren ihre Stelle.

Deutsche Privathaushalte bekommen von der Krise der Altpapierindustrie bislang kaum etwas zu spüren, auch dank langfristiger Abnahmeverträge, die die meisten Kommunen mit ihren Abnehmern geschlossen haben. Erholen sich die Preise jedoch mittelfristig nicht, werden nach Einschätzung der Interessengemeinschaft Papierrohstoffe am Ende auch die Verbraucher draufzahlen müssen, wenn sie ihren Papiermüll los werden wollen.

Noch vor kurzem galt Altpapier als wertvoller Rohstoff. Doch ein drastischer Preisverfall hat dem Recyclingboom vorerst ein Ende gesetzt. Wie auf diesem Abfallwirtschaftshof in Kiel wachsen inzwischen auch anderenorts die Papierstapel in den Himmel. Foto: AP

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Die Bankenkrise erreicht einen weiteren Höhepunkt: Neue Milliardenverluste, neue Milliardenhilfen

Auf schwankendem Boden

Trotz zusätzlicher Staatsgarantien sehen Fachleute kein Ende des Kursverfalls bei Kreditinstituten

Von Martin Hesse und Markus Zydra

Frankfurt - Die Situation wirkt beängstigend. Weltweit geben Regierungen ihren angeschlagenen Großbanken Garantien, sie leihen Kapital, sie kaufen Anteile - und dennoch fallen die Aktienkurse der Finanzinstitute immer weiter. Am Montag brachen die Kurse deutscher Kreditinstitute zeitweise erneut um bis zu sieben Prozent ein, ehe sie sich am Nachmittag erholten. In Großbritannien wird über eine Verstaatlichung der Großbank Barclays spekuliert, mit weiteren Hiobsbotschaften rechnen die Börsen offenbar auch in Deutschland.

Die jüngste Umfrage der Finanzaufsicht Bafin und Bundesbank ergab, dass von den gut 320 Milliarden Euro, die in jetzt notleidenden Wertpapieren investiert sind, erst ein Viertel abgeschrieben worden ist. "Wenn das so ist, kann man davon ausgehen, dass alle befragten 20 Banken in Deutschland pleite sind und verstaatlicht werden müssen", sagt Dieter Hein, Partner des unabhängigen Analysehauses Fairesearch. Dass die Regierungen große Insolvenzen nach der Lehman-Pleite nicht mehr zulassen werden, gilt als sicher. "Das ist gut für Anleiheninvestoren - aber nicht unbedingt für Aktionäre", sagt Andreas Weese, Bankenanalyst bei Unicredit. Die Beispiele von Teil- oder Komplettverstaatlichungen in Großbritannien zeigten, dass Aktionäre dabei weitgehend enteignet werden können. "Bei der Commerzbank wurde der Kurs durch die Beteiligung des Staates verwässert, außerdem wird das Ergebnis der Bank auf Jahre hinaus unter den hohen Zinsen leiden, die auf die stille Einlage des Bundes gezahlt werden müssen."

Kein Wunder also, dass es weiter abwärts geht. Aktien der Commerzbank und der Deutschen Bank notieren auf dem Stand der frühen 90er Jahre. Die Commerzbank war am Mittwoch nur noch 2,1 Milliarden Euro wert. Bei der Deutschen Bank ist die Marktkapitalisierung auf 9,7 Milliarden Euro geschrumpft (siehe Grafik). Doch der Wertverlust scheint berechtigt. "Die Kreditausfälle der Privat- und Geschäftskunden kommen ja erst noch, nun im Zuge der Rezession", sagt Martin Stürner, Vorstand der Vermögensverwaltung PEH Wertpapier. Darunter könnte vor allem die Commerzbank mit ihrem großen Firmenkundengeschäft leiden, meint Weese. Und niemand wisse genau, wie hoch die Risiken in der Dresdner noch sind.

"Die Finanzbranche wird in einigen Jahren durch Fusionen und Staatsübernahmen ein völlig anderes Gesicht haben", sagt Stürner. Diese Neustrukturierung muss nach Ansicht von Experten gesteuert werden. "Wenn die Staaten schon die Großbanken stützen, dann sollten sie die Institute auch auf Größen zurechtstutzen, die passend zu den nationalen Volkswirtschaften sind", fordert Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank. Nur so könne eine Bank künftig auch pleite gehen, ohne dass das Finanzsystem wackelt. "Wir brauchen keine Bankenaristokratie, sondern viele kleine Institute, die konkurrieren."

Einigermaßen rätselhaft mutet an, dass die Banken ihre Verluste aus toxischen Wertpapieren seit 18 Monaten nur häppchenweise ausweisen. Blicken sie selbst nicht durch? "Die Risikosteuerung der Banken ist problematisch. Ich habe einmal den Vorstand einer großen Bank gebeten, mir eine Liste zu erstellen, welche Kredite der Bank erstrangig, welche nachrangig sind, und wieviel Cash als Sicherheit unterlegt ist", erinnert sich Hein. "Die Antwort war, das sei nicht erfassbar." Alle problematischen Vermögenswerte auf Null abzuschreiben, geht auch nicht. "Bei der Deutschen Bank wären das 92 Milliarden Euro bei einem Eigenkapital von 35 Milliarden Euro", so Hein. Eine dreifache Pleite.

Die Deutsche Bank selbst hatte vergangene Woche dargelegt, sie habe ihre Risiken so weit reduziert, dass sie keine weiteren materiellen Verluste erwarte. Anleger bezweifeln das offenbar. Analyst Weese schildert das Szenario, das die Börse derzeit für möglich hält. "Selbst wenn die Deutsche Bank 2009 hypothetisch unter dem Strich zehn Milliarden Euro Verlust macht und der Staat mit einer stillen Einlage einspringen würde, um die Kernkapitalquote bei zehn Prozent zu halten, hat sie nach meinen Berechnungen noch einen Nettobuchwert von etwa 16 bis 17 Euro je Aktie." Weese rechnet allerdings derzeit mit einem Jahresgewinn von 2,7 Milliarden Euro.

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Kerviels Arbeitgeber überrascht

Société Générale verdiente 2008 zwei Milliarden Euro

Von Michael Kläsgen

Paris - Genau ein Jahr nach dem Milliardenverlust durch den Händler Jérôme Kerviel hat die Société Générale (SocGen) am Mittwoch mit einer positiven Nachricht aufgewartet: Trotz der Finanzkrise erwirtschaftete die Bank 2008 schätzungsweise einen Nettogewinn von zwei Milliarden Euro. Der Kurs der Aktie stieg nach der Mitteilung zeitweise steil an, und zwar gegen den Trend. Weltweit verloren Bankaktien am Mittwoch weiter an Wert.

Analysten waren sich darüber einig, dass das Ergebnis von SocGen, das die Bank am 18. Februar bei der Bilanzvorlage offiziell bestätigen muss, nicht überragend ist. Es zeige aber, dass Banken auch in Krisenzeiten Geld verdienen können, und das sogar im besonders schwierigen vierten Quartal 2008. Die SocGen tat dies vor allem im Privatkundengeschäft. Die Vermögensverwaltung und das Investmentbanking litten wie überall.

SocGen erhält vom Staat weitere 1,7 Milliarden Euro, wodurch sie ihre Eigenkapitalquote von 8,5 auf "knapp neun Prozent" steigern kann. Fünf andere führende französische Banken bekommen ebenfalls zusätzliche Staatshilfe aus einem weiteren Topf im Wert von 10,5 Milliarden Euro. Der Umfang der Pakete von 21 Milliarden Euro zeigt, das sich die französischen Banken relativ gut aus der Affäre ziehen, worauf auch die Regierung hinwies.

Diese knüpfte die Vergabe des Geldes an den Verzicht der Führungskräfte auf ihr variables Gehalt. Am Dienstagabend erklärten sich alle Top-Bankiers, darunter auch SocGen-Chef Frédéric Oudéa, nach zeitweiligem Widerstand dazu bereit. Die Regierung will nun auch einen Verzicht der Top-Manager in der Autoindustrie erreichen. Einen Zeitungsbericht, wonach SocGen seine Vermögensverwaltung mit der von Crédit Agricole verschmelzen wolle, kommentierten Bankensprecher nicht.

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Katerstimmung an der Wall Street

Während die Amerikaner den Regierungswechsel feiern, sorgen die verschärften Probleme der Geldhäuser für sinkende Aktienkurse

Von Moritz Koch

Washington - Auf der Mall, der Prachtmeile Washingtons, lagen sich die Menschen in den Armen und auch durch die Hochhausschluchten von Manhattan hallten Jubelschreie. Nur die Wall Street ließ sich am Dienstag nicht von dem nationalen Freudentaumel anstecken. Während die meisten Amerikaner enorme Erwartungen an den frisch vereidigten US-Präsidenten Barack Obama knüpfen, sind viele Anleger in Sorge. Sie befürchten, dass die Finanzkrise inzwischen so dramatisch ist, dass sich die neue Regierung nur noch mit der Verstaatlichung der wichtigsten Banken des Landes behelfen kann. Den Preis dafür müssten die Eigentümer zahlen, also die Aktionäre.

Die Börsenkurse brachen am Tag von Obamas Amtsantritt ein, der Dow Jones Index verlor vier Prozent. Die Aktien der Citigroup, einst die größte Bank der Welt, fielen auf den niedrigsten Stand in der Konzerngeschichte. Wells-Fargo-Anteile stürzten um 24 Prozent ab, die Papiere der Bank of America gar um 29 Prozent. Am Mittwoch erholten sich die Kurse leicht. Der Dow Jones war zu Handelsbeginn ein Prozent im Plus.

Die Regierung von Ex-Präsident George W. Bush hat dem akut einsturzgefährdeten Finanzsystem zwar schon mehr als 300 Milliarden Dollar zugeführt, sich aber mit dem Kauf von stimmrechtslosen Vorzugsaktien begnügt. So schonte sie das Vermögen der Aktionäre. Zudem hat sie den Banken allzu scharfe Auflagen bezüglich der Kreditvergabe erspart. Noch ist offen, wie die Finanzpolitik der Obama-Regierung aussehen wird. Offenbar stellen sich die Anleger aber auf das für sie schlechteste Szenario ein. Demnach würde die Regierung die Kontrolle über die Finanzinstitute an sich reißen, die Aktionäre faktisch enteignen und den Banken vorschreiben, wie sie ihr Geld zu verwenden haben.

Die von Obamas Wirtschaftsberatern diskutierten Pläne, Kreditderivate und andere Schrottpapiere aufzukaufen, die immer tiefere Löcher in die Bilanzen der Banken reißen, beruhigen die Anleger kaum. Schon die Bush-Regierung spielte mit dieser Idee, verwarf sie aber, weil es fast unmöglich ist, den wahren Wert der komplexen, häufig aus der Vielzahl einzelner Hypotheken oder Konsumenten-krediten zusammengesetzten Anlagen zu ermitteln.

Neue Sorgen machten sich unter Investoren über State Street breit - eine Bank, die von der Krise bisher weitgehend verschont geblieben schien. Am Dienstag meldete das Institut völlig unerwartet einen Gewinneinbruch von 71 Prozent im vierten Quartal. Die Aktie verlor fast zwei Drittel ihres Wertes. State Street spielt eine wichtige Rolle für Finanzierung von großen Unternehmen und hat sich mit eigenen Investments am Kapitalmarkt verspekuliert.

Die bisherige Bilanzsaison war für die amerikanischen Finanzkonzerne desaströs. An der Wall Street konnte sich allein JP Morgan Chase mit Hilfe von Sondereffekten in die Gewinnzone retten. Die Citigroup meldete Milliardenverluste, ebenso die Bank of America. Noch im September schien es, als habe Bank-of-America-Chef Kenneth Lewis mit der Übernahme der gestrauchelten Investmentbank Merrill Lynch ein Schnäppchen geschlagen. Vergangene Woche musste er sich aber neue Milliardenhilfen aus Washington sichern. Merrill Lynch entpuppt sich als schwere Belastung. Anleger befürchten nun, dass auch Wells Fargo, eine Bank aus San Francisco, die im Herbst den kollabierten Konkurrenten Wachovia gekauft hat, die Übernahme aus eigener Kraft nicht stemmen kann. Selbst um den Branchenführer JP Morgen sorgen sich die Investoren, weil die Bank im September die Reste der an faulen Krediten gescheiterten Sparkasse Washington Mutual an sich gerissen hat. Die Citigroup will nun die Dividende für ihre Aktionäre zusammenstreichen - so wie es der Staat verlangt.

Der Gewinn von State Street brach im vierten Quartal drastisch ein. Foto: oh

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"Bitte die Aktie meiden"

Hypo Real Estate in der Dauerkrise

Von Thomas Fromm

München - Es kam, wie es kommen musste. Am Morgen, nachdem der Bund seinen Garantierahmen für den taumelnden Hypothekenfinanzierer Hypo Real Estate (HRE) um weitere zwölf Milliarden Euro erhöht hatte, rauschte die Aktie erst einmal um fast zehn Prozent in die Tiefe. 1,82 Euro war die Aktie zwischendurch noch wert - Mitte 2007 mussten die Aktionäre noch 50 Euro für das HRE-Papier auf den Tisch legen. Doch inzwischen ist nicht nur klar, dass der Finanzkonzern ein Sanierungsfall ist, der zurzeit Hilfen von insgesamt 92 Milliarden Euro braucht, obwohl er nur noch knapp 400 Millionen Euro an der Börse wert ist. Klar ist auch, dass es schwer sein wird, diesen Zustand in absehbarer Zeit zu verändern. Die Immobilienbank dürfte ein Problemfall bleiben - und noch weitere Milliarden benötigen, bis dann irgendwann in den kommen Tagen oder Wochen der Bund einsteigen dürfte.

Für die Aktionäre eine harte Wahrheit. "Wir erneuern unsere pessimistische Sicht bezüglich der Aussichten für die Aktionäre des Konzerns", schrieben Analysten der Landesbank Baden-Württemberg daher am Mittwoch. Zu den bereits bekannten Problemen des Konzerns am Kapitalmarkt und mit der Pfandbrieftochter Depfa kämen nun auch noch neue Unsicherheiten auf die HRE zu: Zum einen würden Zinsen für die stillen Hilfen des Staates in den kommenden Jahren auf den Gewinn drücken; zusätzlich dürften auf den Konzern, der gerade 1000 seiner 1800 Arbeitsplätze streicht, hohe Umbaukosten zukommen. "Bitte die Aktie weiter meiden", lautet die Empfehlung der Analysten - ein schwerer Schlag für den ohnehin schwer gebeutelten Konzern. "Die Frage ist, ob der Konzern jemals wieder auf die Füße kommt", hieß es aus Finanzkreisen. Zwar arbeite der neue HRE-Chef Axel Wieandt an einer Sanierung des Konzerns, bei der unter anderem die Bilanzsumme um die Hälfte gekappt werden soll. Fraglich ist allerdings, ob am Ende eine neue erfolgreiche HRE steht oder ein Institut, dass lediglich geordnet abgewickelt und zerschlagen wird, ohne dabei das Finanzsystem in Mitleidenschaft zu ziehen. "Eigentlich läuft alles darauf hinaus, dass der Konzern geordnet zurückgestutzt wird", sagt ein Banker. Die Frage sei nur, wie lange dies am Ende dauere.

In Finanzkreisen gilt der neueste Garantierahmen von 12 Milliarden Euro daher nur als eine Überbrückung. So lange, bis in Berlin eine endgültige Entscheidung über eine Mehrheitsübernahme durch den Bund getroffen ist. Zurzeit, heißt es aus Bankenkreisen, werde auf allen Seiten verhandelt - vor allem über die Frage, wie mit der Pfandbrief- und Staatsfinanzierungstochter Depfa verfahren werden soll. Die Depfa hatte den Beinahe-Zusammenbruch des Konzerns im vergangenen Jahr ausgelöst und braucht dringend Geld, um langlaufende Kredite gegenzufinanzieren. In Bankenkreisen würde man es daher wohl gerne sehen, wenn die Staatsfinanzierungs- und Pfandbrieftochter Depfa einfach an den Bund weitergereicht werden würde. Gerade dies ist jedoch politisch äußerst umstritten, denn es käme de facto der Gründung einer sogenannten "Bad bank"zum Aufkauf fauler Kredite und riskanter Wertpapiere gleich. Eine weitere Option: Der Staat könnte die Finanzierung der Depfa-Kredite gleich selbst übernehmen. Dies wiederum wäre ohne einen Mehrheitseinstieg bei der HRE aber öffentlich kaum durchsetzbar.

Nur eines ist klar: Es wird weitere Hilfen geben. Finanz- und Parlamentskreisen zufolge wird der Staat mindestens zehn Milliarden Euro an Kapital zur Verfügung stellen und damit voraussichtlich Mehrheitseigentümer bei der HRE werden. Nur wann, in welcher Form und unter welchen Bedingungen das Geld fließt, muss noch geklärt werden. Über die Modalitäten einer Verstaatlichung hält man sich in München bedeckt. Die HRE teilte lediglich mit, die Gespräche über längerfristige Hilfen dauerten an.

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Volksbank ruft nach Soffin

Kapitalbedarf der DZ Bank beschäftigt die Genossen

Von Helga Einecke

Frankfurt - Der Kapitalbedarf der DZ Bank von mindestens einer Milliarde Euro löst bei den Genossenschaftsbanken heftige Diskussionen aus. Hans-Joachim Tonnellier, Chef der Frankfurter Volksbank, stellte die Frage, ob es sich die Volks- und Raiffeisenbanken leisten könnten, nicht den staatlichen Rettungsfonds Soffin in Anspruch zu nehmen. Andere Wettbewerber wie Autobanken oder Sparkassen würden direkt oder durch Landesregierungen von Risiken und Haftungen freigestellt. Dies könne die Strukturen des deutschen Banksystems verzerren und dem fairen Wettbewerb schaden. Die DZ Bank hatte selbst nicht ausgeschlossen, unter den Rettungsschirm zu gehen, wenn das erste Quartal 2009 so schlecht ausfällt wie das letzte von 2008.

Tonnellier zeigte sich über die Höhe der Abschreibungen, Verluste und des Kapitalbedarfs der DZ Bank überrascht. Gemäß ihrem Kapitalanteil müsste die Frankfurter Volksbank 17 bis 20 Millionen Euro beisteuern, was deren Vorstandsvorsitzender aber in Frage stellte. Dabei forderte er ein starkes Spitzeninstitut. Die Fusion zwischen DZ Bank und WGZ Bank müsse im fünften Anlauf endlich kommen. Bei der Ausstattung der gesamten Gruppe mit Kapital stehe die Frage nach der Zukunft im Vordergrund. Die Genossenschaftsbanken müssten sich Zukäufe leisten können, wie beispielsweise die Raiffeisen Bankengruppe in Österreich, die in Osteuropa stark gewachsen ist.

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Hacker stehlen US-Kreditkarten

Princeton - Datenklau bei einem der größten Dienstleister für Kreditkartenzahlungen in den USA: Computerhacker verschafften sich Zugang zu den Datenbanken eines Unternehmens in Princeton (New Jersey), das jeden Monat 100 Millionen Zahlungen abwickelt. Experten schätzen laut US-Medienberichten, dass viele Millionen Kunden betroffen sein könnten. Einige sprechen sogar vom womöglich größten Fall von US-Kreditkarten-Datenmissbrauch.

Den Computerhackern gelang es nach Angaben des betroffenen Dienstleisters Heartland Payment Systems, sich Kartennummern, Namen und Gültigkeitsdaten zu verschaffen. Ausmaß und Schaden seien noch nicht zu beziffern. Das Unternehmen arbeitet für 175 000 vor allem kleinere Läden und Restaurants in den USA. Die Daten auf dem Magnetstreifen seien eigentlich codiert, müssten aber zur Abfrage kurzzeitig entschlüsselt werden, so der Dienstleister. An dieser Stelle hätten die Angreifer die Daten abgegriffen. Visa und Mastercard hatten Heartland auf ungewöhnliche Zahlungsvorgänge aufmerksam gemacht. dpa

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Massengutfrachter in Schieflage

2008 war kein gutes Jahr für Aktienfonds. Selbst die größten und bekanntesten gerieten unter Wasser

Von Catherine Hoffmann

München - Anlageberater verkaufen ihren Kunden gerne Anteile an besonders großen Aktienfonds, denn schließlich kennt die jeder. Dabei lässt sich mit den Riesen keineswegs viel Geld verdienen. "Die schweren Fonds schneiden recht bescheiden ab", sagt Christian Michel vom Analysehaus Feri. Sie heißen Ari Deka, Industria oder Templeton Growth Fonds, verwalten mindestens eine Milliarde Euro und wurden von den Bankberatern jahrelang wärmstens empfohlen. Doch wer 2008 in die Massengutfrachter der Fondsindustrie investierte, muss heute feststellen: Die aktiv gemanagten Schwergewichte sind ihr Geld nur selten wert. Auch die größten und beliebtesten Aktienfonds blieben von der Finanzkrise nicht verschont, egal ob sie das Geld ihrer Kunden auf der ganzen Welt oder allein in Europa anlegen.

Der flotteste Tanker auf dem europäischen Aktienmarkt - Uni Global Minimum Variance Europa - schnitt im vergangenen Jahr 14 Prozentpunkte besser ab als der Durchschnitt. In einem gewöhnlichen Börsenjahr hätten die Anleger wohl gejubelt über den stattlichen Vorsprung vor der Konkurrenz. Aber 2008 war kein gewöhnliches Jahr. Die schlimmste Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren löste einen Crash an den Börsen aus. Die Kurse europäischer Standardwerte stürzten um 43,0 Prozent ab; der durchschnittliche Europafonds büßte sogar 44,6 Prozent ein. Und so hat der beste Manager eben nur ein paar Prozentpunkte weniger Verlust gemacht als alle anderen - das Kapital der Anleger schmolz trotzdem um ein Drittel.

Nur Verlierer

Keiner der Aktienfonds, die auf europäische Unternehmen setzen, brachte in der Jahresbilanz von Feri Euro Rating Services eine positive Wertentwicklung zustande. Die Zahlen sind ernüchternd: Selbst auf Sicht von drei Jahren hat kein einziger großer Fonds einen Gewinn erwirtschaftet, im Durchschnitt verloren sie sogar 12,9 Prozent im Jahr. Erst wer seit wenigstens fünf Jahren dabei ist, kommt plus-minus Null aus seinem Investment. Das Horrorjahr 2008 hat alle Gewinne ausgelöscht, die in den vier vorangegangenen Jahren des Kursaufschwungs erwirtschaftet wurden.

Besonders verheerend ist die Bilanz von einstigen Publikumslieblingen wie dem Ari-Deka der Sparkassen, dem Fidelity European Growth Fonds oder dem Industria aus dem Hause Allianz Global Investors. Sie alle liegen im vergangenen Jahr weit abgeschlagen hinter den Wettbewerbern. Die Wertentwicklung des Industria reicht 2008 nur noch für Platz 347 unter 403 ausgewerteten Europa-Fonds. Damit setzten die drei die Negativ-Bilanz der vergangenen Jahre fort. Sie rangieren fortgesetzt in der unteren Hälfte der Tabelle.

Die traurigen Zahlen haben System: Große Fonds sind wie Ozeandampfer - sie ändern ihren Kurs nur schwer und fahren mit dem großen Strom. Tobt über dem Aktienmarkt der Sturm, wüten die zerstörerischen Kräfte auch in ihren Depots. Die besten europäischen Aktienfonds kommen deshalb nicht aus großen Häusern, sie werden in kleinen Boutiquen gemacht: in der unabhängigen Portfolio-Management-Gesellschaft Comgest, bei Vitruvius oder in der Fondsmanufaktur von Jens Ehrhardt.

Die Anleger haben das längst erkannt und die Flucht ergriffen - aus dem Ari Deka etwa, jahrzehntelang Aushängeschild der Sparkassen. Fünf Milliarden Euro hatten die Kunden dem Ari noch im Dezember 2006 anvertraut, nun sind es zwei Milliarden. So wie der Deka erging es vielen Anbietern, die ihre Kundschaft enttäuschten. 2008 entpuppte sich als das schlechteste Jahr in der Geschichte der deutschen Fondsbranche: Die Gesellschaften mussten hohe Mittelabflüsse hinnehmen: 13,0 Milliarden Euro bis November, davon allein 5,2 Milliarden aus Aktienfonds.

Eine enttäuschende Legende

Während die Bilanz der Europa-Fonds katastrophal ist, machten die Lenker großer Aktienfonds, die weltweit ihr Geld investieren, einen besseren Job. Im Durchschnitt versenkten aber auch sie 40,3 Prozent des Kapitals - deutlich mehr als ein Index für globale Standardwerte (minus 36,9 Prozent). Die Hoffnung der Anleger auf schöne Erträge konnte in dem turbulenten Umfeld kein Fondsmanager erfüllen. Immerhin finden sich hier aber fünf Kapitäne, die nicht nur 2008, sondern auch auf Sicht von fünf Jahren ein glückliches Händchen hatten. Darunter sind alte Bekannte: Carmignac Investissement, DWS Vermögensbildungsfonds I, DWS Akkumula, Uni Global und DWS Top Dividende. Freilich brachten auch sie ihren Anlegern Verluste von bis zu 35,5 Prozent.

Immerhin bieten sie, was Sparer von einem Flaggschiff erwarten dürfen: In schlechten Zeiten geraten die schweren Fonds nicht so tief unter Wasser wie die Konkurrenz, in guten Zeiten segeln sie vorne mit, wenn auch nicht an der Spitze. Dass Erfolge in der Vergangenheit aber keine Garantie für die Zukunft bieten, demonstriert der Templeton Growth Fonds, einer der ältesten überhaupt. "In der Vergangenheit hat er sich in schwierigen Marktphasen immer gut behauptet, im Moment kann er seine alte Stärke aber nicht ausspielen", sagt Feri-Experte Michel. In den zurückliegenden drei Jahren erlitten Anleger zehn Verlustmonate, der Index kommt lediglich auf fünf. Auch bei Templeton stimmten die Fondsbesitzer mit den Füßen ab und verkauften massenhaft ihre Anteile - ohne Rücksicht auf Verluste.

Selbst bisher gewinnbringende Fonds können Opfer ihres Erfolgs oder eines Börsencrashs werden. Für Anleger heißt es deshalb, beim Fondskauf nicht nur ein Auge auf das Volumen und die Marke zu werfen. Wer stabile Renditen sucht, sollte sich nicht von schierer Größe beeindrucken lassen.

Vom Meer umtost: Die Peene Ore von der Rostocker Reederei F. Laeisz ist der zweitgrößte Massengutfrachter der Welt: Die Dickschiffe der Fondsbranche befanden sich 2008 in ähnlich rauer See. Foto: ddp

FondsWKNVolumen in Mio. EuroWertentwicklung in Prozent p.a. 2008 Rang * 5 Jahre Rang ** Managem.- Gebühr in ProzentRating ***
Aktienfonds Welt
Carmignac InvestissementA0DP5W 2290,06-29,88467,1151,50(A)
DWS Vermoegensbildungsfonds I8476523713,31-31,4161-0,01611,45(B)
DWS Akkumula8474022309,9-31,94691,56261,45(A)
Uni Global8491053512,13-35,1997-0,01621,20(A)
DWS Top Dividende9848112220,08-35,511083,25191,45(A)
Robeco9702593642,65-39,28199-2,831931,00(C)
Templeton Growth Fund9710259373,77-40,20236-8,473900,57(E)
Templeton Growth (Euro)9410343438,82-40,33240-4,993201,00(D)
M&G Global Basics7977352670,22-44,004125,22111,75(B)
Alliance Bernstein-Global Equity BlendA0DK7R 1751,72-49,65507-6,613671,60(E)
Durchschnitt aller Welt-Aktienfonds -40,34 -3,28
MSCI World Standard Core Index -36,89 -1,92
Aktienfonds Europa
Uni Global Minimum Variance EuropeA0DQZK 1136,82-30,5511--1,50-
Franklin Mutual European9342243242,43-37,04412,55191,00(A)
Vanguard European Stock Index Inv8117691507,15-43,44168-0,65900,29(B)
Ari Deka8474512081,68-45,42235-3,302151,25(D)
Fidelity European Growth9732706552,75-45,572390,17671,50(B)
Pioneer European Research5804751615,06-45,59240-2,901941,50(D)
Pioneer Top European Players5804781185,2-45,97255-3,982401,50(D)
Alken European Opportunities-RA0H06Q 994,67-47,63306--1,50-
JPM Europe Strategic Value9339131567,71-49,55344-2,991991,50(C)
Industria847502955,74-49,79347-3,092031,35(D)
Durchschnitt aller Europa-Aktienfonds -44,60 -2,05
MSCI Europe Standard Core Index -42,96 0,07
*) unter 548 Welt-Fonds beziehungsweise 403 Europa-Fonds; **) unter 401 Welt-Fonds beziehungsweise 278 Europa-Fonds; ***) A=sehr gut, B=gut, C=befriedigend, D=ausreichend, E=mangelhaft Stand: 31.12.2008. Quelle: Feri Euro Rating Services AG
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Der Euro hat sich am Mittwoch über der Marke von 1,29 Dollar stabilisiert. Gegen 16 Uhr notierte die europäische Gemeinschaftswährung bei 1,2935 (Dienstag: 1,2884) Dollar. Dagegen setzte das britische Pfund seine Talfahrt fort und fiel zeitweise auf 1,3713 Dollar. Das ist der tiefste Stand seit Juni 2001. "Die Wirtschaft befindet sich tief in der Rezession mit einem angeschlagenen Bankensektor", bemerkten Devisenexperten. Die Notenbank habe ihr Pulver weitgehend verschossen, und auch der Haushalt befinde sich in einem desaströsen Zustand. Auch zum Euro gab die britische Währung weiter nach und notierte zuletzt bei 0,9376 (0,9363) Pfund je Euro.

Zum Londoner Nachmittagsfixing lag der Goldpreis bei 849,25 (853,25) Dollar je Feinunze. SZ/Reuters/dpa

Devisen und Rohstoffe: Euro stabilisiert sich

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Deutsche Börse Dax dreht ins Plus

Die Entwicklung an den US-Börsen hat den deutschen Aktienmarkt am Mittwochnachmittag mehrheitlich ins Plus drehen lassen. Der Leitindex Dax stieg zuletzt um 0,7 Prozent auf 4269 Punkte. Der MDax der mittelgroßen Werte gewann 0,1 Prozent auf 4919 Punkte. Beim TecDax sorgten mehrheitlich schwache Solarwerte indes für ein Minus von 0,7 Prozent auf 461 Zähler.

Fundamental habe sich nichts zum Positiven verändert, sagte Fidel Helmer, Leiter des Wertpapierhandels bei Hauck & Aufhäuser. Er verwies auf negative Nachrichten wie den neuen Finanzbedarf bei der Hypo Real Estate. Positive Neuigkeiten wie die erfreuliche Bilanz von IBM würden nur sehr verhalten aufgenommen. "Nach zehn schlechten Börsentagen kann es jetzt aber durchaus mal eine technische Erholung geben", sagte der Experte. Deutsche Bank stiegen zuletzt um 5,4 Prozent auf 17,90 Euro, nachdem sie zeitweise bis auf ein historisches Tief von 15,38 Euro gefallen waren. Aktien von SAP legten um 2,3 Prozent auf 26,55 Euro zu. Händler führten die Entwicklung auf die guten IBM-Zahlen zurück. Thyssen-Krupp-Aktien gewannen lediglich 0,9 Prozent auf 16,87 Euro. Im MDax stiegen Krones angesichts eines Aktienrückkaufprogramms auf bis zu 27,10 Euro.

Am Rentenmarkt stieg der Bund-Future auf 125,16 (Vortag: 124,76).

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Marktdaten 21.1.09Vortag Änd.
MDax(16 Uhr)4941,384913,00 + 0,58 %
TecDax(16 Uhr)459,69464,10 - 0,95 %
Euro Stoxx 50(16 Uhr)2207,002200,80 + 0,28 %
Dow Jones(16 Uhr)8067,057949,09 + 1,48 %
Euro Interbanken(16 Uhr)1,29371,2884 +0,0053 $
Gold je Feinunze * 849,25853,25 -4,00 $
Brent-Öl je Barrel(16 Uhr)43,6543,62 + 0,03 $
10j. Bundesanl.(16 Uhr)3,012,99 + 0,02**
10j. US-Staatsanl.(16 Uhr)2,472,37 + 0,10**
* Londoner Nachmittagsfixing ** Prozentpunkte
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Weltbörsen: IBM macht Anlegern Mut

Gute Unternehmensnachrichten haben den US-Börsen am Mittwoch einen positiven Start beschert. Mit Spannung warteten Händler auf die ersten Maßnahmen des neuen US-Präsidenten Barack Obama gegen die Wirtschaftskrise. Der Dow Jones notierte nach 30 Handelsminuten um 1,7 Prozent höher bei 8076 Punkten. Der S&P 500 stieg um 2,1 Prozent auf 822 Zähler und der Nasdaq-Composite gewann 2,3 Prozent auf 1478 Punkte. Mut machte den Anlegern, dass der Technologiekonzern IBM die Wirtschaftskrise bisher ohne größere Probleme wegsteckt. Der weltweit größte IT-Dienstleister vermeldete einen unerwartet deutlichen Gewinn und äußerte sich überraschend zuversichtlich zu seinen Geschäftsaussichten. Die Aktie stieg um 7,8 Prozent.

In Europa drehte der Euro Stoxx 50 im Handelsverlauf ins Plus und gewann 0,7 Prozent auf 2217 Punkte. Dagegen rutschte an der Börse in Tokio der Nikkei 225 um zwei Prozent auf 7902 Punkte ab.

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