Großmessen

Fröhlich unter Druck

Der aktuellen Wirtschaftskrise zum Trotz konnten viele Messegesellschaften im vergangenen Jahr noch kräftig zulegen

Von Ruth Vierbuchen

Messemanager zu sein zählt in schwierigen Zeiten wie diesen bestimmt nicht zu den schlimmsten Jobs. Durch ihr Bauchladengeschäft mit unterschiedlichsten Veranstaltungen sind sie zwar mit sehr vielen Branchen verbandelt, aber eben auch nicht von einer einzigen allein abhängig. Wenn zu Hause ein Bereich schwächelt, ergeben sich andere Möglichkeiten weltweit.

So können die deutschen Messechefs tatsächlich auf ein ausgesprochen erfolgreiches Messejahr 2008 zurückblicken. So sieht man der Umsatzstatistik der elf größten deutschen Messeveranstalter mit eigenem Gelände denn auch kaum an, dass bereits im vergangenen Jahr der Weltwirtschaft die größte Krise seit den zwanziger Jahren ins Haus stand. Der weit überwiegende Teil der Gesellschaften konnte - teilweise sogar kräftig - zulegen. Lediglich im Bereich der "Big Seven", die in der Gemeinschaft Deutscher Großmessen e. V. (GDG) zusammengeschlossen sind, zeigt sich ein gemischteres Bild: Während Frankfurt, Düsseldorf, Berlin und Nürnberg ihre Umsätze steigern konnten, mussten München und Köln Erlösrückgänge hinnehmen, die nicht nur programmbedingt waren. So kamen im vergangenen Jahr zu Veranstaltungen der Koelnmesse wie Domotechnica (Hausgeräte), Spoga+Gafa (Sport, Camping und Lifestile im Garten) oder der Fahrradmesse Ifma deutlich weniger Aussteller und Besucher, in München schwächelten die Handwerksmesse sowie die Computermesse Systems.

Dass es der Branche insgesamt aber noch ganz passabel geht, zeigen die Kennzahlen für 2008. So verzeichneten die 153 überregionalen Messen nach Berechnungen des Ausstellungs- und Messe-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft (Auma) etwa zwei Prozent mehr Aussteller und Besucher als die jeweiligen Vorveranstaltungen; die vermietete Fläche wuchs um 1,5 Prozent. "Das ist zwar weniger Wachstum als im Vorjahr, aber wir können angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen zufrieden sein", sagt Hans-Joachim Boekstegers, Vorsitzender des Auma. In Umsatzzahlen ausgedrückt, beziffert der Verband das Messe-Marktvolumen für 2008 mit etwa 2,75 Milliarden Euro (Vorjahr 2,6). Dabei verleibten sich die "Big Seven" der Messegesellschaften mit einem Gesamterlös von etwa 1,93 Milliarden Euro (Vorjahr: 1,83) - entsprechend einem Marktanteil von 70 Prozent - das größte Stück vom Messekuchen ein.

Sich erst einmal gemütlich zurücklehnen dürfen die Messechefs aber dennoch nicht. Nach Auffassung von Experten ist die Branche vor dem Hintergrund der Rezession jetzt erst recht gefordert, mit Innovationen, Kooperationen sowie einer Internationalisierungsstrategie ihr Geschäft für die Zukunft abzusichern. "Den Messen ist klar, dass internationale Märkte auch in Zukunft große Chancen für ein umsatzstarkes Wachstum eröffnen", sagt Wolf M. Spryß, Leiter des Messe-Instituts in Laubenheim.

Daher setzen vor allem die Großmessen auf das Ausland als Wachstumsmotor. So erzielte die Messe Düsseldorf in den letzten drei Jahren im Schnitt ein Drittel ihres Umsatzes im Ausland, das entspricht für 2008 einem Volumen von etwa 150 Millionen Euro. Hauptumsatzbringer ist die Tochtergesellschaft in Brünn. Darüber hinaus zahlt sich der langjährige Einsatz in Russland aus. Auch die Messe Frankfurt hat in den letzten Jahren einen wachsenden Umsatz-Anteil in anderen Ländern erwirtschaftet. Inzwischen entfallen vom 2008er Konzernumsatz der Hessen (436 Milliarden Euro) mit 104 Milliarden Euro rund ein Viertel der Erlöse auf Veranstaltungen jenseits der Grenzen.

Auch die Nürnberg-Messe will zu den Gewinnern der Globalisierung gehören und ihren Auslandsumsatz bis 2020 von zuletzt gut fünf auf 50 Millionen Euro vervielfachen. Dazu werde "es notwendig sein, Tochtergesellschaften in allen wichtigen Weltwirtschaftsregionen zu gründen und weltweit Messen und Messegesellschaften zu kaufen", sagt Bernd A. Diederichs, Geschäftsführer der Nürnberg-Messe-Group.

Derart breit aufgestellt zeigen sich die Messelenker den düsteren Konjunkturprognosen zum Trotz zuversichtlich im neuen Messejahr. Natürlich werde die Finanzkrise am Messewesen nicht spurlos vorübergehen, sind sich viele Messechefs einig. "Dennoch erwarten wir kurzfristig keine größeren Beeinträchtigungen." Da Düsseldorf, so Werner M. Dornscheidt, nach dem umsatzstarken Jahr 2008 in 2009 ein turnusgemäß schwächeres Messejahr ohne große Industriemessen zu verzeichnen habe, würden die negativen Konjunktureffekte abgeschwächt. Für 2010 - wieder ein stärkeres Messejahr - seien die Prognosen für die Messeveranstaltungen wieder stabiler.

Leipzig-Messechef Wolfgang Marzin weist darauf hin, dass das deutsche Messewesen sich bisher als sehr robust gegenüber den aktuellen wirtschaftlichen Turbulenzen gezeigt habe. Die Messe Leipzig rechne mit weiterem Wachstum vor allem in den Themenfeldern Maschinenbau, Medizin und Gesundheit sowie im Kongressbereich. Auch Gerald Böse von der Koelnmesse zeigt sich optimistisch. Selbst wenn einige Wirtschaftszweige ihre Prognosen herunterschrauben sollten, würden sie nicht auf das Marketinginstrument Messe verzichten, das ihnen gerade in Zeiten schwieriger gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen am schnellsten helfen könne.

Doch es gibt auch skeptische Stimmen. Michael von Zitzewitz von der Messe Frankfurt hält die Entwicklungen einzelner Branchen im Detail für nicht absehbar. Feststehe, dass der globale Nachfrageeinbruch auch die deutsche Industrie bereits erfasst habe, die Automobilwirtschaft zähle zu den deutlichsten Beispielen. Die historische Bankenkrise werde an keiner Branche spurlos vorüberziehen. Für Horst Penzkofer, wissenschaftlicher Referent am Münchner Ifo- Institut für Wirtschaftsforschung, ist klar: Wenn die gesamtwirtschaftliche Großwetterlage zu wünschen übrig lasse, seien auch bei den Messen Einbußen zu erwarten. Werner Delfmann, Vorstand des Kölner Instituts für Messewirtschaft und Distributionsforschung, schließt Kriseneinflüsse ebenfalls nicht aus, denn: "Messeveranstaltungen sind die Spiegel ihrer Märkte, sie werden als Branchenbarometer und als Katalysatoren verstanden."

Salomonischer klingt da die Einschätzung von Auma-Chef Boekstegers. Er hält die meisten Firmen für "klug genug", die Messepräsenz nicht wesentlich einzuschränken - denn es gehe ja gerade darum, das Geschäft durch Bindung der bestehenden Kunden und durch neue Kunden zu stabilisieren. Die bisherige Entwicklung zeige, dass die Messekonjunktur relativ robust sei und auf das ganze Jahr 2009 gerechnet ein konstantes Ergebnis erreichbar sein dürfte. Fazit für Ökonomen und Messemanager: Was immer auch an Ungemach kommt, Einknicken ist nicht erlaubt.

Die Großwetterlage bleibt schwierig vorherzusagen - Auswirkungen noch offen

Zu früh gefreut? Diese Frage beantworten viele Messen klar mit Nein. Foto: dpa

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Professionelle Weiterbildung

Ein neues Fortbildungsangebot wendet sich gezielt an Personen, die bereits in der Veranstaltungswirtschaft arbeiten und ihr fachspezifisches Knowhow vertiefen möchten. Das Programm mit dem Abschluss "Geprüfter Veranstaltungsfachwirt / Geprüfte Veranstaltungsfachwirtin" umfasst 660 Stunden und endet mit der Prüfung vor der Industrie- und Handelskammer (IHK). Da in der Regel eine kaufmännische Ausbildung und Berufserfahrungen in der Veranstaltungswirtschaft vorausgesetzt werden, erhalten die Absolventen einen Abschluss, der im nicht-akademischen Bereich mit dem Bachelor vergleichbar ist.

Die neue Weiterbildung ist in zwei Teile untergliedert: Ein allgemeiner Teil vermittelt zunächst grundlegende wirtschaftliche Qualifikationen aus den Bereichen Volks- und Betriebswirtschaft, Recht und Steuern, Unternehmensführung und Rechnungswesen. Fach- und branchenspezifische Kenntnisse erwerben die Teilnehmer im zweiten, umfangreicheren Teil, darunter Marktanalyse, das Konzipieren sowie Planen, Durchführen und Nachbereiten von Veranstaltungen und die Akquisition von Kunden. Der Veranstaltungsfachwirt ersetzt den bisherigen Fachwirt für die Messe-, Tagungs- und Kongresswirtschaft. Der neue Abschluss wird bundesweit mit gleichen Inhalten angeboten und auch einheitlich geprüft. Die Einsatzmöglichkeiten sind zahlreich: etwa bei Messen und Ausstellungen, aber auch bei Kunst-, Kultur- oder Sportveranstaltungen.SZ

MESSEWIRTSCHAFT

Verantwortlich: Werner Schmidt

Redaktion: Friederike Nagel

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Interview

"Dienstleistungen beeinflussen"

Wolfgang Marzin, Vorsitzender der Geschäftsführung der Leipziger Messe, erklärt, woran die Branche dieses Jahr arbeiten muss.

SZ: Sie haben im vergangenen Jahr Ihren Umsatz weiter steigern können. Wo lief es gut, wo lagen die Knackpunkte?

Marzin: Wir sind mit dem Jahr 2008 rundum zufrieden. Es war das sechste Rekordjahr in Folge. Unsere Fach- und Publikumsmessen, das Kongressgeschäft sowie die Tochtergesellschaften entwickelten sich kontinuierlich. Beispielsweise die Veranstaltungen Auto Mobil International, GC-Games Convention und Leipziger Buchmesse liefen sehr gut.

SZ: Wie viel Umsatz erwarten Sie für 2009 und wie viel investieren Sie?

Marzin: Das Jahr 2009 ist aus bekannten Gründen schwer zu prognostizieren, wir rechnen aber mit weiterem Wachstum vor allem in den Themenfeldern Maschinenbau, Umwelt und Energie, Medizin und Gesundheit sowie im Kongressbereich. Mit allem Vorbehalt erwarten wir etwa die Umsatzgröße des Vorjahres. Wir werden rund zwei bis drei Millionen Euro investieren, um die Rahmenbedingungen zu verbessern. Eine Studie zur Innovationskraft deutscher Messegesellschaften kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass vor allem die Zusammenarbeit mit inländischen Wettbewerbern noch nicht sehr weit fortgeschritten ist.

SZ: Können Sie sich denn Kooperationen vorstellen ?

Marzin: Die standortgebundenen Messegesellschaften tun sich naturgemäß schwer mit Kooperationen im Inland. Dagegen stehen die Interessen ihrer Eigentümer und Gesellschafter. Im Ausland ist es wesentlich einfacher, auf Augenhöhe und zum gegenseitigen Vorteil zusammenzuarbeiten. Dennoch findet ja auf vielen Ebenen Kooperation statt. Wir arbeiten eng mit der Messe Stuttgart zusammen, ebenso intensiv kooperieren wir mit privaten Messeveranstaltern. Bedarf für eine engere Abstimmung gibt es sicher bei Messegesellschaften aus einem Bundesland.

SZ: In der Studie heißt es ferner, dass die Umsetzung völlig neuer Messekonzepte aufgrund des hohen Risikos bisher eher zaghaft angegangen wird. Muss die Branche innovationsfreudiger werden ?

Marzin: Wir müssen uns an den Bedürfnissen der ausstellenden Branchen orientieren. Dienstleistungen sind das Einzige, was wir aktiv beeinflussen können. Hier ist das deutsche Messewesen in den letzten Jahren sehr flexibel und innovativ gewesen. Nur ein Beispiel ist die Messe GC (Games Convention). Hier haben wir für eine neue Branche ein neues und überaus erfolgreiches Messekonzept entwickelt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Interview: Ruth Vierbuchen

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Hohe Ziele

Fränkische Aufholjagd

Nürnberg setzt auf spezielle Fachmessen und gezielte Zukäufe

Markus Söder ist bestens gelaunt an diesem Vormittag. Einstmals als CSU-Generalsekretär der Lautsprecher seiner Partei, ist der Nürnberger seit Herbst vorigen Jahres als bayerischer Umweltminister ins seriöse politische Fach gewechselt. Damit verbunden übernahm er den Aufsichtsratsvorsitz der Nürnberg-Messe. Seinen Ehrgeiz hat sich Söder jedoch bewahrt. Was er bei seinem ersten öffentlichen Auftritt als Aufsichtsratschef diplomatisch-zurückhaltend als "Weiterentwicklung Schritt für Schritt" bezeichnet, ist nicht weniger als eine unverhohlene Kampfansage an deutlich größere Städte wie Köln und Berlin.

Nürnberg, die fränkische Halbmillionenstadt, will nicht zuletzt mit Hilfe des Freistaates Bayern umsatzmäßig in die deutsche und damit auch in die Weltspitze des Messewesens aufsteigen. Es ist ein ehrgeiziges Programm, welches Söder und Messechef Bernd Diederichs an diesem Vormittag vor zahlreichen Medienvertretern verkünden. Nach einem Rekordjahr mit einem Umsatzplus von 20 Prozent auf 150 Millionen Euro will die Nürnberg-Messe bis 2020 ihren Jahresumsatz auf 300 Millionen Euro verdoppeln.

Der Auslandsumsatz soll sich im selben Zeitraum sogar auf 50 Millionen Euro versechsfachen. Aus momentan zehn Messen im Ausland sollen 40 werden. Und um all diese Ziele zu erreichen, wird kräftig investiert. 300 Millionen Euro stehen bis 2020 zur Verfügung um den Messe- und Kongressplatz Nürnberg auszubauen, vor allem aber, um im In- und Ausland Messen hinzuzukaufen. Es gehe nicht zuvörderst darum, neue Ausstellungsflächen zu schaffen und weitere Hallen zu bauen, sagen Söder und Diederichs. Denn spätestens die Finanzkrise habe gelehrt, "dass nicht automatisch der Größte, sondern der am besten Sortierte am Ende erfolgreich ist", sagt Söder. Momentan liegen die Franken unter Deutschlands Messeplätzen was den Umsatz angeht auf Rang sieben.

Hier wollen die Franken weiter aufholen. Und zwar mit der Fortführung des speziellen Nürnberger Messekonzeptes. Man konzentriert sich auf überschaubare, jedoch hoch spezialisierte Fachmessen. An diese angebunden ist in der Regel ein stark fachspezifisches Kongress-, Tagungs- und Seminarprogramm. Die Internationalität ist dabei nicht nur hoch, sondern quasi Prinzip. Jeder zweite Aussteller und fast 40 Prozent der Besucher kommen aus dem Ausland. Tendenz steigend.

Ein Paradebeispiel dafür ist die Bio-Fach. Als Öko-Regionalschau ist sie vor genau 20 Jahren gestartet und peu a peu zur größten und wichtigsten Messe für Bioprodukte weltweit geworden. Erfolgreich haben die Nürnberger Ableger in China, Japan, USA und Brasilien etabliert; 2009 kommt die erste Bio-Fach in Indien dazu. Es hat etwas gedauert, bis die Franken Sinn und Zweck solcher Auslandsaktivitäten erkannten. Nürnberg traute sich später als andere Messegesellschaften über die Landesgrenzen.

Künftig allerdings soll ein gerüttelt Maß des Geschäftes im Ausland generiert werden. "Wir wollen nicht nur eigene Messen exportieren, sondern auch Zukäufe tätigen", sagt Bernd Diederichs. "Letztendlich werden wir dahin gehen, wo unsere Kunden es wollen." Im Visier sind Nordamerika, Asien und der Mittlere Osten. In China und neuerdings in den USA hat man eigene Auslandsgesellschaften gegründet. "Wir können nur dorthin gehen, wo die Volkswirtschaft bereits stark ausdifferenziert ist", sagt Diederichs. Denn spezielle Fachmessen setzen voraus, dass es auf den regionalen Märkten auch entsprechende Spezialisten gibt.

Die 300 Millionen Euro, welche sie investieren will, wird die Nürnberg-Messe nach eigenem Bekunden zu einem Großteil selbst erwirtschaften. Jeweils die Hälfte des Betrages soll in Zukäufe von Messen und Messegesellschaften im In- und Ausland ausgegeben werden, die anderen 150 Millionen Euro will man in die Modernisierung des Nürnberger Messegeländes investieren. Uwe Ritzer

Dahin gehen wohin die

Kunden wollen - mit dieser Losung will man wachsen

Alles ess- und trinkbare in Bioqualität: Das ist das Kerngeschäft der Nürnberger Biofach-Messe. Diese Jahr öffnet eine Ableger erstmals seine Tore in Indien. Foto: Biofach

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Wie lange kann sich der Dollar als Leitwährung noch halten, fragt der 68 Jahre alte Gouverneur der brasilianischen Zentralbank, Henrique de Campos Meirelles.

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Die verlorene Mittelschicht

Die Theke aus Edelstahl ist leer. Aber Gabriel Barrios lässt den Fisch in der Kühltruhe. Argentinier essen ohnehin viel lieber Fleisch, obwohl das südamerikanische Land neben gewaltigen Viehweiden auch Tausende Kilometer Küste besitzt. Außerdem ist es Januar und heiß in Buenos Aires, Ferienzeit - wer es sich leisten kann, verbringt den Tag am Strand. Der kleine Fischladen mit dem Namen "Hafen Golf" im Viertel Palermo verkauft da noch weniger als sonst. "Die Geschäfte laufen ohnehin von Tag zu Tag schlechter", sagt Fischhändler Barrios. Wenn überhaupt, dann greifen seine Kunden eher zu Dorsch als zu chilenischem Lachs. Dorsch ist billiger. Bislang trotzt Barrios' Heimat dem internationalen Finanzdebakel zwar besser als andere Länder Südamerikas. Seit der Pleite vor sieben Jahren haben die Investoren das Land gemieden. Das erweist sich nun als Segen. Leute wie Barrios wissen nur zu gut, wie sich eine Krise anfühlt.

In 40 Lebensjahren hat er viele erlebt, die letzte 2001/2002. Zuvor hatten die Dollarbindung des Peso, Kredite und ungezügelte Privatisierungen wie die der Fluglinie Aerolineas Argentinas unter dem damaligen Präsidenten Carlos Menem dem Land eine trügerische Fiesta beschert. Manche von Barrios' Landsleuten flogen übers Wochenende nach Miami, einfach so - bis die Party auf Pump in den legendären Staatsbankrott mündete. Wie Hunderttausende Demonstranten trommelte Barrios auf Kochtöpfe, um Präsident Fernando de la Rúa zu verjagen. Aus Angst vor Plünderungen ließ er die Jalousien vor seinem Schaufenster herunter und flüchtete in seine Heimatstadt Mar del Plata. Seinem Bruder wurden von der Regierung wie Millionen Betroffenen die Bankguthaben eingefroren, als der Peso dann im Verhältnis eins zu drei zum Dollar abgewertet wurde.

Seither profitierten einige von der boomenden Nachfrage nach Soja. Aber Durchschnittsbürger wie Barrios haben sich nie von der Krise richtig erholt. Sie leiden unter der hohen Inflation, manchen Fortschritt empfinden sie bloß als Last. "Die Mittelschicht ist verloren", sagt Barrios. Früher war sie das Fundament einer reichen Nation gewesen. Heute kann man Tag für Tag zusehen, wie die Elendsviertel am Stadtrand wachsen und die wohlhabende Minderheit versteckt sich hinter Mauern. Dabei gilt das wechselhafte Land am Rio de la Plata immer noch als eine Art Labor für weltweite Entwicklung, auch wenn die Reichen immer reicher und die Armen ärmer werden. Die Basis ist gut, es gibt viele gut ausgebildete und kreative Menschen.

Gabriel Barrios schimpft auf rasant gestiegene Preise. Strom, Wasser, Gas, alles wird immer teurer. Die Preise für manche Produkte haben sich binnen weniger Jahre vervielfacht. Ein Liter Milch kostet umgerechnet 75 Cent, einfaches Sonnenblumenöl kostet im Supermarkt fast zwei Euro - viel für ein Land, in dem das durchschnittliche Jahreseinkommen unter 10 000 Euro liegt. Der Einkaufspreis für Seehecht, Merluza, ist auf 11,80 Pesos emporgeschnellt, 2,60 Euro, auch der Südatlantik ist von Jägern aus allen möglichen Gegenden zunehmend überfischt. Die Ladenmiete beträgt 5000 Pesos, 1100 Euro. Barrios kommt über die Runden, ohne Auto oder Urlaub. "Viele Träume habe ich nicht", sagt er, "Globalisierung und Kapitalismus unterwerfen dich."

Die Medien berichten von Überfällen und Dürre und wettern gegen die launische Präsidentin. Barrios spritzt jeden Morgen ein wenig Essig auf den Boden. Soll Glück bringen. Peter Burghardt

Gabriel Barrios betreibt einen Fischladen in Buenos Aires. Aber die Geschäfte laufen schlecht. Foto: Burghardt

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Der Scheck bleibt weg

Eine ganze Weile glaubten der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und andere Staatenführer in Lateinamerika, der Kontinent werde schon glimpflich davonkommen. Sie haben sich geirrt. Die Globalisierung verschont kein Land und keine Region. Von Peter Burghardt

Die Kurse an den Börsen in New York, London, Paris und Tokio befanden sich bereits im freien Fall, da gaben sich die lateinamerikanischen Staatenführer noch selbstbewusst. "Welche Krise?", fragte Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, als er Anfang Oktober nach den Folgen des Finanzdesasters an der Wall Street für seine Heimat gefragt wurde. Da solle man sich in Washington erkundigen, dort sei dies ein Tsunami. "Hier wird es, wenn überhaupt, dann nur eine schwache Welle sein", beruhigte der frühere Dreher und Gewerkschaftsführer aus der Arbeiterpartei seine Landsleute. Argentiniens Präsidentin Cristina de Fernández sprach spöttisch vom "Jazz-Effekt" der Turbulenzen in den USA, eine Paraphrase auf den "Tango-Effekt" und "Tequila-Effekt" früherer argentinischer und mexikanischer Krisen. Auch Venezuelas Hugo Chávez wiegelte ab, sein Land werde es nicht so schlimm erwischen.

Die meisten von ihnen mussten inzwischen ein Stück zurückrudern, denn die Erschütterungen erreichen auch ihre Nationen. In Brasilien stürzten die Aktienkurse so stark ab, dass in São Paulo zeitweise der Handel ausgesetzt werden musste. Die Landeswährung Real, seit ihrer Einführung vor zehn Jahren eine Erfolgsgeschichte, verlor ein Fünftel ihres Wertes, obwohl die Zentralbank intervenierte. Strauchelnde Banken mussten vom Staat gestützt werden. Nun rollen die Wellen der Entlassungen heran. Mehr als 600 000 Brasilianer verloren im Dezember 2008 ihren Job. Für die kommenden Monate befürchten Gewerkschaften bis zu drei Millionen Kündigungen. Autofirmen wie General Motors tragen ihre Schwierigkeiten bis zu ihren ausländischen Standorten. Brasilien, das als Bric-Staat wie China, Russland und Indien als eine Macht der Zukunft gilt, wird in seinem Aufstieg zumindest gebremst. Lula gab gerade zu, er sei beunruhigt.

Dort wie anderswo braucht das niemanden zu wundern, denn der Dämpfer hat grundsätzlich ähnliche Gründe wie der zuvor phantastische Aufschwung: die zunehmende Vernetzung auf dem Globus und die Abhängigkeit von Ressourcen. Brasilien ist weltweit größter Exporteur von Soja, Stahl, Fleisch, Kaffee, Zucker und anderen Roh- und Grundstoffen. Der vormalige Pleitestaat Argentinien überwand seinen historischen Bankrott vor allem durch hohe Gewinne aus Soja, Getreide und anderen Naturprodukten. Peru und Chile profitierten vom Interesse an ihren Mineralien wie Kupfer und Gold. Venezuela und auch Mexiko flossen dank ihrer gewaltigen Vorkommen und horrender Preise für Erdöl Milliarden in die Kassen.

Mancherorts erreichten die Wachstumsraten chinesische Ausmaße, nicht zuletzt dank der hungrigen Abnehmer aus Fernost. Nach Mexiko und Chile erhielten auch Brasilien und Peru ein gutes Rating von Agenturen wie Standard & Poor's und Moody's. Nun endet der Boom jäh, weil die Nachfrage nach Rohstoffen einbricht. Viele Anleger flüchten aus den nationalen Währungen in Dollar oder Euro, ein gewohnter Reflex. Gleichzeitig werden in vielen Familien die Dollars und Euros rar, weil die in die USA oder nach Spanien ausgewanderten Mexikaner, Bolivianer oder Kubaner weniger für ihre daheimgebliebenen Verwandten übrig haben. Länder wie Kuba, El Salvador, Nicaragua und Ecuador leben nicht zuletzt von den Geldsendungen der Immigranten. Im Falle Mexikos führt die Nähe zu den USA zu abstrusen Entwicklungen. Beide sind seit 1994 durch ein Freihandelsabkommen verbunden und werden bald von einer Mauer getrennt. Millionen Mexikaner schleichen sich illegal über die Grenze und schicken Geld nach Hause. Der mexikanische Unternehmer Carlos Slim wiederum brachte es dank seiner lokalen und weltweiten Geschäfte in der Telekommunikation zum mindestens zweitreichsten Menschen der Erde und will nun trotz zuletzt milliardenschwerer Aktienverluste die New York Times retten. Der Betonkonzern Cemex, ein Symbol der Globalisierung, gerät dagegen in Schieflage, weil die Firma durch Investitionen hohe Schulden gemacht hat und bei den klammen Banken kaum mehr Kredite erhält.

Die Zustände nähren die Wut vieler Lateinamerikaner auf den wilden Kapitalismus. Die sozialen Ungleichheiten hatten südlich des Rio Grande bereits vorher linke und unorthodoxe Politiker an die Regierung gespült: den ehemaligen Fallschirmjäger Hugo Chávez in Venezuela, den früheren Kokabauern Evo Morales in Bolivien, den vormaligen Bischof und Befreiungstheologen Fernando Lugo in Paraguay. Sie alle und auch der frühere Streikführer Lula und die Argentinierin Fernández schimpfen jetzt noch mehr auf Institutionen wie den Internationalen Währungsfonds. Der IWF habe sie mit seinen Rezepten einst in die Malaise geführt und versage nun weltweit. "Der IWF soll sich auflösen", wetterte Chávez. Er erprobt wie Morales ein etwas diffuses Projekt namens "Sozialismus des 21. Jahrhunderts", allerdings lebt und leidet sein Öl-Imperium weitgehend nach kapitalistischen Gesetzen. Nach sagenhaften Gewinnen brechen die Einnahmen ein, der Schmierstoff für Sozialausgaben und Petro-Diplomatie wird knapp.

Dennoch sind die Länder südlich des Rio Grande besser auf solche Notlagen vorbereitet als früher und streben seit dem Debakel der Ära Bush nach größerer Unabhängigkeit von den USA. Selbst Argentinien besitzt mittlerweile umfangreiche Devisenreserven, die Inflation ist deutlich geringer als in schlimmsten Zeiten und die Haushaltsführung stabiler. Brasilien hat eine eigene Industrie aufgebaut, wird als Global Player wahrgenommen und profiliert sich als lateinamerikanische Führungsmacht mit dem umschwärmten Lula als Stimme.

Venezuelas Chávez gibt den Lautsprecher der Linken und pumpt Dollars in die Wirtschaft. Staatenbündnisse wie Mercosur und Unasur üben nachbarschaftliche Kooperation à la Europa, es entstand eine "Bank des Südens". Auch werden die Schätze der Region wieder gefragt sein und teurer werden. Optimist Lula glaubt, der neue amerikanische Präsident Barack Obama werde die Symptome lindern und die Krise sei im nächsten Jahr wieder vorbei.

"Der Internationale Währungsfonds soll sich auflösen."

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Synchroner Absturz

Wie sich die Bilder gleichen. Aufgeregte Händler am brasilianischen Markt für Derivate und Termingeschäfte. Die Wetten auf die Zukunft sind verloren. Rund um den Globus müssen Börsianer hilflos zusehen, wie die Aktienkurse fallen und fallen, sich Milliardenwerte scheinbar in Luft auflösen. Foto: dpa

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Klaus Franz muss vermitteln

Im November vergangenen Jahres wurde Klaus Franz wieder einmal seinem Ruf als Co-Manager gerecht. Er schlug vor, sich bei der Bundesregierung für eine Milliardenbürgschaft starkzumachen, um dem Rüsselsheimer Autohersteller Opel aus der Krise zu helfen. Franz ist Vorsitzender des Opel-Betriebsrats und seit 2003 stellvertretender Aufsichtsratschef des Unternehmens. "Ich sehe mein Amt als ein Gestaltungsamt an", sagt Franz. Betriebsräte sollten nicht nur reagieren, sondern vor allem in Krisenzeiten Vorschläge zur Sicherung von Arbeitsplätzen machen. Derzeit sorgt sich Franz angesichts der Krise der amerikanischen Muttergesellschaft General Motors (GM) um Opel mit seinen insgesamt knapp 29000 Mitarbeitern, zu denen Franz selbst seit mehr als 30 Jahren gehört. Er hat Manager kommen und gehen sehen. Franz ist einer der wenigen Konstanten bei Opel. Durch die staatliche Bürgschaft soll sich die deutsche Tochterfirma für den Fall einer Insolvenz von GM absichern. "Opel ist das produktivste Autounternehmen in Europa und absolut konkurrenzfähig", so Franz. Die Autoindustrie spüre die Kreditknappheit wegen der Finanzkrise. "Wir brauchen Darlehen, um in Entwicklungsleistungen zu investieren", erklärt der oberste Arbeitnehmer. Er rechnet damit, dass spätestens Ende März die Staatsbürgschaft genehmigt wird, auf deren Basis Opel bei Kreditinstituten Geld aufnehmen könne.

Mitte Januar haben sich Franz und seine Betriebsratskollegen mit dem Management von General Motors Europe zudem auf Mindeststandards bei Arbeitszeitverkürzungen für die europäischen Standorte geeinigt. "Dies ist die erste europäische Vereinbarung über Mindeststandards bei Arbeitszeitanpassungen", sagt Franz. Die Rahmenvereinbarung gelte von sofort an und so lange, wie die Krise dauere, betont er. So wolle GM Europe die staatlich geförderte Kurzarbeit oder Arbeitszeitverkürzungen bezuschussen. Während der Zeit seien betriebsbedingte Kündigungen und Werksschließungen ausgeschlossen.

Der 56-Jährige sieht sich als Vermittler zwischen dem Management und den Mitarbeitern. Er gilt als diplomatisch und dennoch als einer, der weiß, was er will. Der Mann mit dem Schnauzer ist für sein klares Wort bekannt, wird aber selten verletzend. Mit Carl-Peter Forster, dem Europa-Präsidenten von GM, hält Franz guten Kontakt. "Wir sind in engem Austausch", nennt er das.

Der gebürtige Stuttgarter Franz kam nach einer Drogisten- und Fotografen-Lehre 1975 als Autolackierer zu Opel. "Opel war damals der Schmelztiegel der Revoluzzer. Es war eine Art proletarische Exkursion", erklärt er. Er sei dort "hängengeblieben" und machte später an der Fachhochschule Frankfurt am Main den externen Abschluss als Diplom-Sozialarbeiter. 1981 wurde Franz erstmals in den Opel-Betriebsrat gewählt. Seit Juli 2000 ist er Vorsitzender des Betriebsrats. Franz ist Mitglied der IG Metall, jedoch anders als viele Gewerkschaftskollegen parteilos. Für ihn ist das eine "Frage der Unabhängigkeit", sagt Franz. Er ist ein Pragmatiker, in vielerlei Hinsicht. Sibylle Haas

"Opel ist das produktivste Autounternehmen in Europa."

Klaus Franz leitet den Gesamtbetriebsrat von Opel - ein Mann zwischen den Fronten. Foto: dpa

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Sir Martin Sorrell, 64, ist Präsident und Gründer des britischen Medienkonzerns WPP. Er diskutiert die Wirtschaftskrise und die Lehren, die aus ihr zu ziehen sind.

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Ausgebrannt

Verhängnisvoll hängt das Wohl Russlands von den Energieexporten ab. Der Preisverfall von Öl und Gas setzt dem einseitigen Boom ein jähes Ende. Nun versuchen Wladimir Putin und Dmitrij Medwedjew umzusteuern - auch, um ihre Karrieren zu retten. Von Frank Nienhuysen

Vor ein paar Tagen brachte jemand einen Brillanten im Wert von 35 000 Euro in ein Moskauer Pfandhaus. Firmen kündigen ihre Büros in den Bestlagen der Innenstadt, und das Bolschoi-Theater sagte in Erwartung schwieriger Zeiten gerade die Premiere von "Othello" ab. Die Varianten der Wirtschaftskrise füllen die Zeitungen des Landes problemlos. Der russischen Führung macht vor allem eine Konstante zu schaffen - der Verfall des Ölpreises. Ministerpräsident Wladimir Putin muss deshalb für dieses Jahr einen Nachtragshaushalt vorlegen, der nur noch auf einem Ölpreis von 41 Dollar pro Barrel beruht und nicht wie bislang auf 95 Dollar.

Verhängnisvoll ist Russlands Wohl an die Ausfuhr seiner Energie gekoppelt. Jetzt rächt sich, was noch in den vergangenen Jahren das Land zu einem auftrumpfenden Boomstaat gemacht hat. Etwa die Hälfte der für 2009 geplanten staatlichen Einnahmen von 250 Milliarden Euro sollen aus dem Export von Öl und Gas stammen, dabei ist im vergangenen Jahr zum ersten Mal seit zehn Jahren die Ölförderung zurückgegangen. Kaum ein anderes Land leidet deshalb so sehr unter der internationalen Wirtschaftskrise wie Russland. Die Kollateralschäden sind enorm. Kapital fließt ins Ausland. Der Rubel, den Präsident Dmitrij Medwedjew im Spätherbst noch zu einer der Leitwährungen der Welt machen wollte, ist auf dem niedrigsten Stand seit der Finanzkrise 1998. Die Russen, besorgt wegen der zweistelligen Inflationsrate, setzen derzeit mehr auf Dollar und Euro.

Der Energiestandort Russland ist keineswegs gefährdet, zu gewaltig sind die Reserven an Öl und Gas, zu deutlich ist die Dominanz in Europa. Aber Freundschaftspreise wie früher, das hat der Gasstreit mit der Ukraine gezeigt, kann sich auch Gazprom und mit ihm der russische Staat nicht mehr leisten.

Russland ist wie fast alle Staaten unverschuldet in den Sog der Krise geraten. Zum Verhängnis wird sie durch einige landeseigene Besonderheiten. "Gemeinsam aus der Krise herauskommen", heißt zwar der ermutigende Titel eines Beitrags, den Michail Gorbatschow, der Milliardär Alexander Lebedew und einige andere Autoren für die Zeitung Wedomosti verfasst haben. Tatsächlich aber lesen sie der russischen Führung die Leviten. So habe diese in den vergangenen Jahren den Umbau der Wirtschaft versäumt, die von der Energiemacht beherrscht werde. Der Staat stärke seine eigene Rolle, während private Initiativen zunehmend unterdrückt und ausländische Direktinvestitionen beschränkt würden, kritisieren die Autoren.

Tapfer versuchen Medwedjew und Putin nun, sich gegen den Trend zu stemmen und Lehren aus der bedrohlichen Krise zu ziehen. Dass das Vermögen der russischen Oligarchen auf überschaubare Summen geschrumpft ist, wird sie kaum beunruhigen. Die stetig wachsende Zahl der Arbeitslosen macht ihnen jedoch große Sorgen. Die Opposition ist zwar nicht kraftvoll genug, um Massenproteste zu organisieren und die Regierung ernsthaft zu bedrängen. Aber Putin, der als Regierungschef für die Wirtschaft verantwortlich ist, darf sich langfristig keine schlechten Statistiken vorhalten lassen, wenn er noch einmal in das Präsidentenamt zurückkehren will.

Moskau strebt nun neue Strukturen an, fördert mittlere und kleinere Betriebe stärker als bisher und will so dazu beitragen, dass auch in Russland konkurrenzfähige Lebensmittel, Autos oder Elektrogeräte hergestellt werden. Made in Russia - das gilt derzeit vor allem für Öl, Gas, Metalle und Matrjoschkas. "Zur Modernisierung", sagt Josif Diskin, Vorsitzender des Rates für nationale Strategien, "gibt es keine Alternative."

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Ärger auf Island

Wochenlang haben enttäuschte und wütende Einwohner protestiert - gegen Bankmanager und Regierung. Sein schönes Image als Reiseziel mit Gletschern, Wüsten, Vulkanen und heißen Quellen hat Island verloren. Der Inselstaat leidet gewaltig unter der Finanzkrise. Den Staatsbankrott konnte nur ein milliardenschwerer Kredit des Internationalen Währungsfonds verhindern. Die größten Banken des Landes mussten verstaatlicht werden. Am Freitag hielt Ministerpräsident Geir Haarde dem Druck nicht mehr stand und gab sein Amt auf. Am Montag zerbrach auch die Koalitionsregierung. Die Europäer tun sich schwer, einen gemeinsamen Weg aus der Finanzkrise zu finden. Für ihre riesigen Rettungsschirme und Konjunkturprogramme müssen sie Schulden aufnehmen. Nun will sie die EU-Kommission zur Haushaltsdisziplin zwingen. "Der Euro-Stabilitätspakt wird nicht auf Eis gelegt, auch wenn die EU-Staaten im Kampf gegen Wirtschafts- und Finanzkrise Milliardenbeträge zur Schadensbegrenzung und zum Ankurbeln der Konjunktur in die Hand nehmen müssen", kündigte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso an. "Der Euro kann ohne den Stabilitätspakt nicht existieren." Foto: AP

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"Marx war kein Prophet"

Der argentinische Soziologe Atilio Borón über die Folgen der Finanzkrise für Lateinamerika, die Wiedererstarkung der Linken, Karl Marx, den gescheiterten Neoliberalismus, den selbstzerstörerischen Charakter des Kapitalismus und das Weltsozialforum. Von Peter Burghardt

Der argentinische Politikwissenschaftler und Soziologe Atilio Borón gehört zu den renommiertesten Kapitalismus-Kritikern Südamerikas. Der 65-Jährige hat in Harvard promoviert und lehrt unter anderem an der Universität von Buenos Aires.

SZ: Herr Borón, in Lateinamerika gibt es schon lange Zweifel am wilden Kapitalismus. Nun übernehmen immer häufiger mehr oder weniger linke Regierungen die Macht. Ist das die neue Avantgarde?

Borón: Hier waren die zerstörerischen Effekte des Neoliberalismus früher und stärker zu spüren als in Europa oder den USA, deshalb suchen große Teile der Gesellschaft Alternativen. Jetzt setzen auch regionale Integrationsversuche der erdrückenden US-Politik Grenzen. Interessante Bewegungen.

SZ: Dabei gehen die einen behutsamer vor, die anderen radikaler.

Borón: In Brasilien und Chile ist noch viel vom neoliberalen Vermächtnis der Privatisierung geblieben. Es kann dort auch wieder eine Wende in die konservative Richtung geben.

SZ: Venezuelas Präsident Hugo Chavez spricht viel von Sozialismus und verstaatlicht Firmen, lebt aber von kapitalistischen Ölpreisen und seinem Hauptabnehmer, den Vereinigten Staaten. Das passt doch nicht zusammen?

Borón: In Venezuela, Bolivien oder Ecuador hat sich der Staat die Fähigkeit zurückerobert, seine Märkte zu kontrollieren und hat die öffentliche Politik erweitert. Chavez hat eine Revolution geschafft, erstmals darf sich auch der vorher missachtete Teil der Bevölkerung als venezolanisch fühlen. Mehr ging noch nicht, weil der Widerstand enorm ist. Außerdem zeigen die gefallenen Rohstoffpreise natürlich ihre Wirkung.

SZ: Der lateinamerikanische Boom mit chinesischen Wachstumsraten ist jedenfalls vorbei. Ist Südamerika nicht zu abhängig von Ressourcen wie Soja, Kupfer und Öl mit schwankenden Preisen? Borón: Leider. Lateinamerika wurde während der Höhepunkte neoliberaler Ideen deindustrialisiert. Mexiko zum Beispiel war eine kleine Industriemacht. Jetzt exportiert Mexiko Arbeitskräfte, Gas, Öl, Gemüse und montiert an der US-Grenze Elektrogeräte. Für die Mexikaner ist der Zusammenbruch des US-Marktes brutal.

SZ: Und der mexikanische Unternehmer Carlos Slim ist einer der reichsten Männer der Welt.

Borón: Das ist das Paradoxe. Lateinamerika hat einen der reichsten Menschen und die ungerechteste Einkommensverteilung des Planeten.

SZ: Hat das Weltsozialforum, das in dieser Woche in Belém am Amazonas tagt, nicht trotzdem an Kraft verloren als Gegenveranstaltung zu Davos?

Borón: Schade, dass das Sozialforum in Belém stattfindet, die Reise wird vielen zu teuer. Das Sozialforum ist wichtig, aber wir bräuchten eine Art internationales Sekretariat für den sozialen Kampf. Wir haben in Davos einen übermächtigen Gegner, so kommen wir nicht weit.

SZ: Was denkt ein erklärter Marxist mit Doktortitel aus Harvard wie Sie über das globale Finanzdesaster?

Borón: Ich habe einen Satz auf Plakaten von Demonstranten an der Wall Street gesehen: Marx was right. Marx war kein Prophet, aber er hilft uns, viel von dem zu verstehen, was in dieser Welt passiert. Die Krise bestätigt den widersprüchlichen und selbstzerstörerischen Charakter des Kapitalismus. Keine Gesellschaft kann ohne klare Grenzen für den Markt funktionieren. Die

Gefräßigkeit und Unverantwortlichkeit der Kapitalisten hat ein gigantisches Debakel produziert. Fast 50 Prozent des weltweiten Kapitals wurden schon zerstört. Die Krise wird nicht den Kollaps des Kapitalismus provozieren, aber eine sehr lange Rezession, es geht noch weiter runter.

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Paulo Coelho, 61, ist der meistübersetzte Schriftsteller der Welt. In Davos spricht der Brasilianer darüber, wie Unternehmen von Online-Netzwerken profitieren können.

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Sergio Foguel, Aufsichtsrat des brasilianischen Firmenkonglomerats Odebrecht, wird erklären, wie das Vertrauen in Unternehmen wiederhergestellt werden kann.

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Javier Santiso ist bei der OECD für Wirtschaftsentwicklung und Schwellenländer zuständig. In Davos moderiert er die Diskussion über den Zustand Lateinamerikas.

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Auch der Präsident der Inter-American Development Bank, Luis A. Moreno, spricht zur Zukunft Südamerikas. Der 55-Jährige ist außerdem ein preisgekrönter Journalist.

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Der Ex-Außenhandelsminister Brasiliens, Luiz F. Furlan, 62, führt in Davos den Vorsitz des Global Agenda Council Südamerika. Er ist Aufsichtsrat der Investmentgruppe GALF.

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Yvo de Boer nimmt als Klimachef der Vereinten Nationen an der Konferenz teil. Der 54-Jährige ist Diplomatensohn, daher lernte er schon früh viele Länder kennen.

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Der Präsident von Guyana, Bharrat Jagdeo, 45, hat zu Hause andere Sorgen: Dort sorgte er für einen öffentlichen Skandal, als er seine Ex-Gattin vor die Tür setzte.

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Wladimir Putin, russischer Ministerpräsident, hält am Mittwoch eine der Eröffnungsreden. Von 2000 bis 2008 war der heute 56-Jährige Präsident seines Landes.

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Gemeinsam gescheitert

Für die Europäer schlug im Herbst die Stunde der Wahrheit. Wie stark ist die Wirtschaftsmacht Europa wirklich? Nicht sehr, wie sich zeigte. Nationale Reflexe behindern immer noch europäisches Handeln. Ohne gemeinsame Wirtschaftspolitik bleibt die Union begrenzt handlungsfähig. Von Martin Winter

Kleine Gemeinheiten können in der Politik große Wirkung entfalten. Als sich der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy im Herbst angesichts der heraufziehenden Wirtschaftskrise in Gegenwart der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel zu der Bemerkung verstieg, Frankreich handle, während Deutschland nachdenke, da war der Welt klar, dass sie vergeblich auf eine europäische Antwort auf die globale Rezession warten würde.

Nun vermag auch heute niemand zu sagen, ob das hastige Verprassenvon Milliarden aus den Staatskassen die bessere Reaktion auf den Einbruch der Weltwirtschaft war als das ruhige Nachdenken über die richtigen Hebelpunkte für Konjunkturhilfen. Doch eines wissen Amerikaner, Chinesen, Inder, Brasilianer oder Russen, allesamt Mitwettbewerber Europas um politische und wirtschaftliche Spitzenplätze, von jetzt an: Der europäische Markt ist groß, der Euro ist stark, aber der politische Wille der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist zu schwach, um mit diesen Pfunden zum gemeinsamen Nutzen zu wuchern.

Auf ihren Gipfeltreffen Mitte Oktober und Mitte Dezember versuchten die Europäer zwar, den Eindruck gemeinsamen Handelns zu erwecken. Doch es wurde nur abgenickt, was sich zuvor auf chaotische und meist strittige Weise entwickelt hatte. Von einem "koordinierten" Vorgehen, dessen die Europäische Union sich dann rühmte, konnte keine Rede sein.

Als die Finanzkrise mit dem Untergang von Lehman Brothers voll ausbrach, wurden die Europäer kalt erwischt. Und sie reagierten nach dem Motto: Rette sich, wer kann. Den Anfang machte Irland, das über Nacht ohne Rücksprache mit seinen Partnern eine Staatsgarantie für seine Banken abgab. Die Briten reagierten darauf umgehend mit einem ähnlichen Programm und einer Teilverstaatlichung von Banken. Großbritannien musste, wie andere Länder auch, fürchten, dass Kapital von seinen unsicheren Banken Zuflucht bei den staatlich gesicherten in Irland suchen würde.

Anstatt die anderen Regierungschefs umgehend zu einem Krisentreffen zu laden, um eine gemeinsame Reaktion auf die nach Europa schwappende Bankenkrise auszuarbeiten, verhedderte sich Sarkozy, damals EU-Präsident. Erst holte er die vier europäischen Mitglieder der G 8 zusammen. Merkel kam nur widerwillig und mit der Botschaft, die deutschen Finanzhäuser brauchten keinen Rettungsfonds. Als kaum 24 Stunden später die Hypo Real Estate über der Kanzlerin zusammenbrach, folgte Berlin dem irischen und britischen Vorbild. Wenig später rief Sarkozy die Eurogruppe zu sich und als Gast den britischen Premier Gordon Brown. Der Rest der Europäischen Union durfte zusehen und warten, was die anderen beschließen.

Wie wenig die Union auf Krisen dieser Art vorbereitet ist, räumte der Gipfel Mitte Oktober unfreiwillig ein. Dort wurde unter anderem beschlossen, einen - allerdings nur informellen - "Mechanismus zur Frühwarnung, zum Informationsaustausch und zur Evaluierung (der Krisenstab für den Finanzmarkt)" einzurichten. Nicht einmal darüber verfügte die Europäische Union bislang. Da wundert es kaum, dass sie vom Bankrott ihrer Mitglieder Ungarn und Lettland Ende des Jahres ziemlich überrascht wurde.

Dass die Europäer in dieser Krise auseinanderliefen, hat viele Gründe. Zwei aber stechen heraus: Misstrauen und kurzsichtiger Eigennutz. Auch wenn die beiden großen Wirtschaftsnationen Frankreich und Deutschland politisch so eng zusammenarbeiten wie sonst keiner in der Europäischen Union, trauen sie sich doch wirtschaftlich nicht über den Weg. Kaum spielte Paris mit der Idee, die Staats- und Regierungschefs der Eurogruppe als eine Art "europäische Wirtschaftsregierung" zu etablieren, ging Berlin in Abwehrstellung. Dort glaubt man seit jeher, dass Frankreich von der Wirtschaft nichts versteht und dass es nur seine staatsinterventionistische Politik auf ganz Europa ausdehnen wolle - natürlich zum eigenen Nutzen. Paris hält die Deutschen dagegen für unflexibel. Die seien auch dann noch von der Angst vor einer Inflation besessen, wenn es die weit und breit nicht gebe.

Wenn sich Deutschland und Frankreich aber wirtschaftspolitisch belauern, dann kann es keine europäische Einheit geben. Und dann gibt es auch keine Solidarität. So wiesen die Deutschen den italienischen Vorschlag zurück, die Konjunkturprogramme über europäische Anleihen zu finanzieren, anstatt dass jeder Staat seine nationalen Papiere auf den Markt bringt. Natürlich erhoffte sich Rom davon einen Vorteil: Es könnte von der Bonität der Deutschen und anderer stabiler Volkswirtschaften in Europa profitieren. Eigene Staatsanleihen kämen Italien teurer, weil es hohe Zinsen bieten muss, um sie loszuwerden. Deutschland käme auf der anderen Seite eine Verschuldung über Europaanleihen teurer, weil diese die durchschnittliche Bonität der Union spiegeln würden.

Kurzfristig spart Berlin jetzt Geld. Aber langfristig kann das teuer werden. Dann nämlich, wenn einige Länder viel Geld in die Hand nehmen müssen, um sich Kapital zu besorgen. Das könnte zu Verschuldungen führen, an deren Ende die Zahlungsunfähigkeit steht. In Brüssel wird bereits über Griechenland und Irland geredet. Wenn sie pleitegehen, dann müssen die anderen Länder ihnen mit sehr viel Geld aushelfen. Europa scheint gegenwärtig nicht in der Lage und auch nicht willens, aus den schmerzhaften Erfahrungen mit der Finanz- und Wirtschaftskrise gemeinsame Lehren zum gemeinsamen Nutzen zu ziehen.

Wirtschaftlich trauen sich Deutschland und Frankreich nicht über den Weg.

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Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann, ist weltbekannt. Der 60-Jährige leitet die Diskussionsrunde über die europäische Wirtschaftspolitik.

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Siemens-Chef Peter Löscher, 51, spricht in Davos über die Führung von Gemeinschaften in der Wirtschaftskrise. Er steht seinem Konzern seit Juli 2007 vor.

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Einen Vortrag über die Zukunft Afrikas hält der Präsident Senegals, Abdoulaye Wade. Der 82-Jährige verteidigt den laizistischen Staatsaufbau seines Landes.

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Sanyus Traum

Sanyu Nakalanda hat sich selbständig gemacht, aus eigener Kraft. Darauf ist sie unendlich stolz. Die alleinerziehende Mutter arbeitet in Ugandas Hauptstadt Kampala als Schneiderin. Sie ist eine fröhliche Frau, die vor Zuversicht und Energie sprüht. Obwohl sie aus armen Verhältnissen stammt, hat sie nie Hilfe von außen angenommen. Das Schneidern hat sie in Kursen gelernt, die sie von ihrem kargen Lohn als Köchin bezahlte. Erst nach einem harten Arbeitstag in der Küche konnte sie abends an ihrer Nähmaschine üben. Aber sie hat sich durchgebissen. Und nun hat sie ihr eigenes Geschäft in einem quirligen Viertel Kampalas. Sie ist froh, unabhängig zu sein, auch wenn sie Tag für Tag nach Aufträgen jagen muss.

Viel Geld kann die 35-Jährige nicht auf die Seite legen. Ihre elfjährige Tochter Joanita soll zur Schule gehen. Die Gebühren sind hoch, und der Vater zahlt nichts dazu. Eine kleine Summe hat Nakalanda gespart. "Das mit der Finanzkrise verwirrt mich, ich habe keine Ahnung, was das für uns hier in Kampala bedeutet", sagt sie. "Soll ich mein Geld jetzt vom Konto abheben, damit es nicht verloren geht?" Aber sie verwirft diesen Gedanken schnell wieder, denn es wäre ihr zu riskant, das Geld bei sich zu Hause aufzubewahren.

Sanyu Nakalanda träumt davon, eine kleine Schneider-Schule aufzumachen und junge Leute auszubilden. Doch dafür braucht sie Kapital, sie müsste einen Kredit aufnehmen. "Ich scheue die hohen Zinsen", sagt sie. "Was, wenn das Geschäft mal nicht so gut läuft und ich nichts zurückzahlen kann?" Es gibt einige Mikrofinanz-Institute in Uganda, aber sie war noch nicht dort, weil sie nicht genau weiß, was sie erwartet. Lieber wären ihr private Investoren. Aber auch das ist nicht einfach und zudem riskant. Nicht selten geraten Kreditnehmer in die Hände von Wucherern, die astronomische Zinssätze verlangen.

Nakalanda möchte mit ihrer Schneiderei umziehen, an die Hauptstraße, damit sie mehr Kunden anlocken kann. Aber dort kostet die Miete im Monat umgerechnet 100 Euro und mehr, und das könne sie sich nicht leisten, sagt sie. Billigimporte aus Asien und der florierende Handel mit gebrauchten Markenartikeln aus Amerika und Europa machen es einheimischen Schneidern in Uganda schwer. Nakalanda aber schneidert nach Maß, und sie ist kreativ genug, um ausgefallene Stücke zu fertigen - von der Kinderkleidung bis hin zu festlichen Kostümen für die betuchten Menschen der Stadt. Mit solchen Aufträgen sichert sie sich ein Einkommen, das sie und ihre Tochter ernähren kann.

Die ständigen Stromausfälle in der Stadt behindern die Arbeit der Schneiderin. Und die Steuereintreiber der Behörden machen ihr das Leben schwer. Sie kann die Beträge oft nicht nachvollziehen und vermutet Willkür. Am meisten sorgt sie sich aber, dass die Preise für die Stoffe steigen. Das liegt an den hohen Transport- und Spritpreisen in Uganda, die kaum sinken, obgleich der Ölpreis fällt. Arne Perras

Sanyu Nakalanda hat es aus eigener Kraft geschafft. Sie hat eine kleine Schneiderei in Kampala. Foto: perr

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Subprimefrei in die Wirtschaftskrise

Sinkende Erlöse für Rohstoffe treffen viele afrikanische Volkswirtschaften hart. Ihr Aufschwung wurde vor allem vom Export der Bodenschätze getragen. Anders als die Industrienationen dürfen sich viele Entwicklungsländer in der Rezession nicht in großem Maß verschulden. Von Judith Raupp

Zuerst waren die Afrikaner einfach nur erstaunt. Wie konnten sich die Banker in den USA derart verzockt haben? Beunruhigen ließen sie sich aber nicht. Afrikas Banken sind mit dem weltweiten Kapitalmarkt kaum vernetzt. Sie verdienen gut mit den Krediten, die sie an heimische Regierungen und Investoren vergeben, deshalb haben sie bisher die Finger von komplizierten internationalen Geschäften gelassen. Ausnahmsweise, so glaubten viele zu Beginn der Krise, zahle es sich aus, abseits der Weltwirtschaft zu stehen.

Dann aber purzelten die Preise für Rohstoffe weltweit. Und da wurde klar: Die amerikanischen Finanzhäuser würden andere Branchen und andere Regionen der Welt mit in die Tiefe reißen, auch Afrika. Ein anschauliches Beispiel dafür liefert Angola. Der Finanzminister des größten afrikanischen Ölexporteurs, Eduardo Leopoldo Severim de Morais, erklärte noch im Oktober: "Ich sorge mich nur ein klein wenig um unsere Wirtschaft." Der Ölpreis war damals schon von seinem Höchststand von 150 Dollar pro Barrel im Sommer 2008 auf weniger als die Hälfte gesunken. Das war aber noch genug, um das 42 Milliarden teure Infrastrukturprogramm zu stemmen. Dafür braucht das ehemalige Bürgerkriegsland einen Erlös von 55 Dollar pro Barrel. Nun aber liegt der Preis deutlich niedriger. Angola hat deshalb die tägliche Fördermenge von zwei Millionen Barrel auf 1,5 Millionen Barrel gedrückt und hofft, so den Preis zu stabilisieren.

Sinkende Erlöse für Öl und andere Rohstoffe treffen viele afrikanische Volkswirtschaften hart, weil ihr Aufschwung vor allem vom Export der Bodenschätze getragen wurde. Afrika verzeichnete in den vergangenen Jahren im Durchschnitt Wachstumsraten von fünf bis sechs Prozent, manche Länder wie Angola sogar 17 Prozent. Heiner Flassbeck, Chefökonom bei der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung, Unctad, sagt, in diesem Jahr lägen für Afrika nicht einmal vier Prozent drin "und das wird sich so schnell nicht ändern". Zudem sei angesichts der niedrigen Rohstoffpreise zu befürchten, dass internationale Öl- und Minenkonzerne Projekte in Afrika auf Eis legten, weil sie nicht mehr die ursprünglich geplante Rendite versprechen. Die ausländischen Direktinvestitionen auf dem Kontinent waren in den beiden vergangenen Jahrzehnten von 2,5 Milliarden Dollar pro Jahr auf zuletzt 35 Milliarden Dollar gestiegen. China und Indien engagierten sich zunehmend und trugen so zum Wirtschaftsaufschwung bei. Nun werde etwa ein Drittel weniger Kapital nach Afrika fließen, erwartet das Institute of International Finance.

Reinhard Hermle von der Hilfsorganisation Oxfam sorgt sich um eine andere Finanzierungsquelle. "Einige Industrieländer halten ihre Zusagen für die Entwicklungshilfe schon jetzt nicht ein. Da sie künftig die Rettungspakete für ihre eigene Wirtschaft bezahlen müssen, werden sie die armen Länder noch schneller vergessen", sagt er. Tatsächlich sind die weltweiten Ausgaben der größten Industriestaaten für Entwicklungshilfe 2007 um 8,4 Prozent auf 104 Milliarden Dollar gesunken. Im vergangenen Jahr dürfte der Abwärtstrend angehalten haben, obwohl die reichen Staaten auf verschiedenen Konferenzen versprachen, mehr Entwicklungshilfe zu bezahlen. Nach Angaben der Konferenz afrikanischer Finanzminister sind die Industrieländer mit ihren Zusagen, die sie 2005 auf dem G-8-Gipfel in Gleneagles gemacht haben, insgesamt mit 240 Milliarden Dollar im Rückstand.

Etwa das Dreifache der offiziellen Entwicklungshilfe überweisen jedes Jahr die Arbeits-Emigranten an ihre Familien in den armen Ländern auf der ganzen Welt. Eine genaue Statistik darüber existiert zwar nicht. Schätzungen zufolge machen diese Zahlungen aber für einige afrikanische Staaten bis zu einem Viertel des Bruttosozialprodukts aus. Oxfam-Experte Hermle sieht angesichts der Wirtschaftskrise die Jobs der Afrikaner in Europa, den USA oder in den Golfstaaten gefährdet. Sie könnten schnell entlassen werden, weil viele illegal im Land seien und somit keine einklagbaren Rechte hätten. Dies träfe die Ärmsten der Armen am meisten, sagt er.

Die Hälfte der 750 Millionen Menschen, die südlich der Sahara wohnen, lebt im Elend, weil die Bevölkerung schneller wächst als die Nahrungsmittelproduktion und weil sich mancherorts verantwortungslose Regierungen nicht um das Wohl der Menschen scheren. Die meisten Länder im südlichen Afrika werden die Millenniumsziele der Vereinten Nationen nicht erreichen. Unter anderem hatte sich die Weltgemeinschaft dazu verpflichtet, die Zahl der hungernden und in Armut lebenden Menschen von 1990 bis 2015 zu halbieren. Das wird mit der Wirtschaftskrise noch schwieriger. Ein Prozentpunkt weniger Wachstum in den Entwicklungsländern, so hat die Weltbank ausgerechnet, bedeute 20 Millionen mehr arme Menschen.

Die Afrikanische Entwicklungsbank will dem Abschwung mit einem Hilfsfonds von 2,5 Milliarden Dollar entgegenwirken. Er soll verhindern, dass Entwicklungsprojekte mangels Geld zusammenbrechen und er soll den Warenhandel mit Krediten stützen. Verglichen mit den Notpaketen der Industrieländer ist dies ein bescheidener Betrag. In Afrika staunen viele darüber, wie schnell die Industrieländer riesige Summen für ihre Banken und Unternehmen zusammenbekommen und jegliche Haushaltsdisziplin über den Haufen geworfen haben. Der südafrikanische Finanzminister Trevor Manuel sagte vor kurzem mit Blick auf die strenge Haushaltsdisziplin, die die Geldgeber den Entwicklungsländern normalerweise abverlangen: "Unsere Bevölkerung findet es komisch, dass wir keine derartigen Staatsdefizite haben dürfen wie die reichen Länder, obwohl wir gerade jetzt noch mehr Mittel zum Überleben brauchen."

Manuel kritisierte auch den zunehmenden Protektionismus, mit dem sich die Industrieländer aus der Krise winden wollten. Afrika müsse in der Weltwirtschaft mehr Einfluss bekommen, fordert er: "Wir wollen keine Almosen, wir wollen nur faire Regeln."

"Wir fordern keine Almosen, wir wollen nur faire Regeln."

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Thema Davos

Redaktion: Marc Beise, Elisabeth Dostert

Art Direction: Stefan Dimitrov

Bildredaktion: Jörg Buschmann,

Silke Frigge, Petra Payer

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Perskys neuer Job

Es gibt noch Menschen, die in diesen Tagen in New York einen Job finden. Einer davon heißt Joshua Persky. Der 48-jährige Absolvent des Massachusetts Institute of Technology (MIT) fing am 1. Dezember in Manhattan bei der großen Wirtschaftsprüfungsfirma Weiser LLP als Senior Manager an. Persky war fast ein Jahr lang arbeitslos, eines der ersten Opfer der Finanzkrise. "Ich bin froh, dass die lange Suche ein Ende hat," sagt er heute. "Mir gefällt es sehr gut in der Firma."

Perskys Fall ist außergewöhnlich, nicht nur, weil er zeigt, dass es auch in Zeiten von Massenentlassungen und Rekordverlusten an der Wall Street noch neue Jobmöglichkeiten gibt, selbst für Menschen, die nach den Standards der Branche als alt gelten. Joshua Persky ist eine Berühmtheit, weil er seine Jobsuche öffentlich gemacht hat. Bis Ende 2007 arbeitete er bei der Investmentfirma Houlihan Lokey an der vornehmen Park Avenue in Manhattan und wurde gut bezahlt dafür. Houlihan Lokey gehört zu jenen Wall-Street-Firmen, über die die Medien kaum berichten, deren Einfluss aber nicht zu unterschätzen ist; so gilt Houlihan als Marktführer bei der Abwicklung kleinerer Firmenzusammenschlüsse.

Am 1. Januar 2008 wurde Persky entlassen und machte sich auf die Jobsuche, zunächst durchaus in guter Stimmung. Doch die Bewerbungen blieben erfolglos.

Nach einem knappen halben Jahr probierte Persky dann etwas völlig anderes: Eines Morgens im Juni stellte er sich als Sandwich-Mann mit je einem Plakat vor dem Bauch und vor dem Rücken auf die vornehme Park Avenue. "Erfahrener MIT-Absolvent sucht Job", stand darauf. Passanten drückte er seinen Lebenslauf in die Hand. Auf diese Weise werben in New York sonst Nachtclubs und neu eröffnete Restaurants um Kunden. In der Weltwirtschaftskrise suchten Arbeitslose als Sandwich-Männer Gelegenheitsjobs.

Der MIT-Absolvent machte aber noch mehr. Er startete im Internet einen Blog (www.oracleofny.com) und machte seinen Fall damit vollends zum Medienereignis. Journalisten aus der ganzen Welt berichteten über seine Geschichte, es kamen interessante Kontakte zustande. Einmal im vergangenen Herbst rief ihn der Chef eines internationalen Möbelherstellers aus Dubai an, ohne dass daraus ein Arbeitsvertrag geworden wäre. Die Suche zehrte an den Nerven und belastete seine Familie. Er musste seine Wohnung in einem vornehmen Hochhaus mit Türsteher und Swimmingpool an der Upper East Side aufgeben. Seine Frau zog mit den Kindern zu ihrer Mutter nach Omaha (Nebraska), er selbst lebt bei seiner Schwester in Westchester County vor den Toren der Stadt.

Schließlich hatte seine Aktion Erfolg, wobei sein Wechsel in eine andere Branche durchaus symptomatisch ist. Die Wall Street im eigentlichen Sinne gibt es nicht mehr. Viele der hochbezahlten Experten aus den Finanzfirmen müssen in andere Branchen wechseln, einige auch in andere Städte. Da hat es Persky mit einem angesehenen Wirtschaftsprüfer und einem Büro nicht weit entfernt vom Rockefeller Center in Manhattan gar nicht schlecht erwischt. Nikolaus Piper

Joshua Persky auf der Jobsuche in New York. Er war eines der ersten Opfer der Finanzkrise. Foto: Getty

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Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz, 65, fordert Stimmrechtsänderungen beim Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, um Entwicklungsländer zu stärken.

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Nach der Absage von Obamas Wirtschaftsberater Lawrence Summers ist er nun der prominenteste Teilnehmer aus den USA: Ex-Präsident Bill Clinton, 62.

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Das verlorene Heim

Eine Zeltstadt für Obdachlose am Rande von Reno im US-Bundesstaat Nevada. Die Stadt kämpft mit einer der höchsten Arbeitslosenraten des Landes. Billiges Geld sollte dafür sorgen, dass sich jeder ein eigenes Haus leisten kann, selbst Menschen mit geringen Einkommen. Durch die Finanzkrise haben viele Arbeit und Zuhause verloren. Sie hoffen darauf, dass der neue Präsident Barack Obama Amerika aus einer der größten Krisen seiner Geschichte herausführt. Foto: Getty

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"Wir verwechseln Schnelligkeit mit Intelligenz, und das ist eine Katastrophe."

Irren und lernen

Entscheidungen von Führungskräften haben Folgen für Menschen und Märkte. Manager müssen mitunter schnell handeln und daher ständig lernen, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein. In der Hektik vergessen viele Bosse, ihren Leuten richtig zuzuhören. Das kann teuer werden. Von Grit Beecken

Am 14. September 2008 musste Henry Paulson, Finanzminister der Vereinigten Staaten, in kürzester Zeit viele Entscheidungen von großer Tragweite treffen. Damals stand die viertgrößte US-Investmentbank Lehman Brothers vor der Insolvenz. Paulson und seine Kollegen verhandelten bis zum späten Abend mit Vertretern von Wall-Street-Banken über mögliche Kapitalspritzen. Doch Paulson wollte nicht erneut Steuermilliarden zur Übernahme der Risiken zur Verfügung stellen, und die Banker waren nicht bereit, ohne staatliche Rückendeckung einzusteigen. Die Insolvenz am Montag danach führte zum Kollaps der Finanzmärkte rund um den Globus. Die Entscheidung war nicht mehr rückgängig zu machen, weil sich die Nachricht über die weltweit vernetzten Computersysteme in Windeseile verbreitete und die Akteure so reagierten, wie sie es in Theorie und Praxis der Finanzmärkte jahrelang gelernt hatten.

"Die Basis für erfolgreiches Lernen ist ein gutes Maß an Selbstorganisation", sagt Weert Kramer, Managementtrainer in Kiel. Zu dieser Selbstorganisation gehören für ihn neben der Priorisierung von Aufgaben und Konzentrationsvermögen auch ein gesunder Umgang mit den eigenen Gefühlen. Denn in einer gesunden Atmosphäre lerne es sich am besten. Menschen lernen vor allem durch Wiederholungen. Laut Kramer ist es wichtig, diese Erfahrungen anschließend auch auszuwerten - in einer möglichst kooperativen und freundlichen Umgebung.

Was so blumig klingt, hat in Unternehmen und Institutionen meist keinen Platz. Viele Führungskräfte beklagen, man gestehe ihnen keine Fehler zu. Wer immer perfekt funktionieren muss, für den ist das Lernen schwerer. Doch akzeptieren wir die Fehler, die Investmentbanker oder Finanzminister machen? Wenn ihre Fehlentscheidungen die Märkte in die Knie zwingen?

"Ja", sagt der Hirnforscher Ernst Pöppel. "Wenn jemand einen Fehler eingesteht und dadurch Transparenz schafft, dann verzeihen ihm die Leute." Doch bislang haben nur wenige Bankmanager gestanden, fahrlässig mit Risiken umgegangen zu sein. Alan Greenspan hingegen, der ehemalige Chef der US-Notenbank Fed, hat inzwischen eingeräumt, in Teilen zum Entstehen der Finanzkrise beigetragen zu haben. Er scheint dazugelernt zu haben. Dieses Dazulernen ist für die Wirtschaft von großer Bedeutung, daher interessieren sich inzwischen auch die Organisatoren des Weltwirtschaftsforums in Davos und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für das Thema.

Wenn Pöppel nach dem Lernverhalten von Managern gefragt wird, dann sprudeln die Worte: "Die Menschen müssen sich ihrer potentiellen Fehlerquellen bewusst sein." Wer nicht wisse, dass beispielsweise Vorurteile und Emotionen die Entscheidungen beeinflussen, der mache Fehler, die zu vermeiden wären.

Einer dieser Fehler ist laut Pöppel das "endlose Quasseln" in Vorstandssitzungen. "Wir brauchen wieder mehr Respekt, und zwar unabhängig von Hierarchieebenen." Nur in einem guten Miteinander könne man nachhaltig Wissen schaffen. Von einer weit verbreiteten Überzeugung müsse sich jeder Manager verabschieden: vom "Mythos Schnelligkeit". Pöppel beklagt: "Wir verwechseln Schnelligkeit mit Intelligenz, und das ist eine Katastrophe." Wichtiger sei es, Entscheidungen zu treffen, hinter denen der Manager auch emotional steht. Die aber brauchen Zeit: "Viele Entscheidungen kann man nicht erzwingen, die Gedanken müssen eine Weile gären." Da das Gehirn pausenlos denkt, folge früher oder später ein Ergebnis.

Das sagt auch Praktiker Kramer: Man könne nicht nicht lernen. Aber man kann besser oder schlechter lernen. Gemeinsam mit ihren Leuten lernen Manager besser - wenn sie offen sind für deren Anregungen und Meinungen und diese auch einfordern. Richard Fuld, Chef von Lehman Brothers, hingegen gilt als stur. Bis zum bitteren Ende behauptete er, alles sei unter Kontrolle.

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Die große Wende

Der neue amerikanische Präsident Barack Obama soll in kurzer Zeit alles geraderücken, was in den vergangenen Jahren falsch gelaufen ist - im eigenen Land und in der Welt im Allgemeinen. Ein Land zwischen Freudentaumel und Schockstarre Von Nikolaus Piper

Für Amerikaner liegen in diesen Tagen Furcht und Hoffnung dicht beieinander. Am 20. Januar feierten eine Million Menschen die Amtseinführung des ersten schwarzen Präsidenten. Die Erwartungen an ihn sind, nicht nur in den Vereinigten Staaten, übergroß: Barack Obama soll alles korrigieren, was in den vergangenen acht Jahren schiefgelaufen ist, er soll Amerika von Grund auf erneuern, das Land versöhnen, den Absturz der Weltwirtschaft stoppen und den Friedensprozess im Nahen Osten wieder in Gang bringen.

"Es wird erst schlechter werden, ehe es besser wird" - die Warnung Obamas, mehrfach wiederholt, ist bitter nötig, um Erwartungen und Realität in Einklang zu bringen: Noch während er seinen Amtseid ablegte, brachen wieder einmal die Börsenkurse ein. Der Dow Jones schloss mit einem Minus von 332 Punkten oder 4,01 Prozent, Obamas Amtseinführung war damit börsenmäßig die schlechteste in der Geschichte. Und es war nicht nur die Börse - aus der ganzen Wirtschaft kamen Horrorzahlen. Der Elektronikhändler Circuit City kündigte an, sämtliche Läden zu schließen, 30 000 Mitarbeiter werden ihren Job verlieren, die bisher größte Massenentlassung dieser Rezession. Der Chip-Hersteller AMD will 1100 Stellen streichen, Conoco Philips 1350, Pfizer 2400, der Autovermieter Hertz 4000, selbst Microsoft und Intel setzen Mitarbeiter auf die Straße. AMD kündigte an, die Gehälter um fünf bis 20 Prozent zu kürzen - alarmierendes Vorzeichen einer drohenden Deflation. Zum Beginn der Ära Obama befindet sich die US-Wirtschaft in der Schockstarre. 589 000 Amerikaner meldeten sich in der Woche vor dem Amtsantritt arbeitslos, die höchste Zahl seit November 1982. Noch nie seit Einführung der entsprechenden Statistik 1959 wurden in den USA so wenig neue Einfamilienhäuser gebaut wie im vergangenen Dezember. Und die Immobilienpreise sinken weiter.

Manche Analysten behaupten, Amerika befinde sich gar nicht mehr in einer Rezession, sondern schon in einer Depression. Das ist Auslegungssache, denn der Begriff "Depression" ist nirgendwo definiert. Auch die größten Pessimisten behaupten nicht, dass die Arbeitslosigkeit die Dimensionen der Großen Depression - 25 Prozent und mehr - erreichen wird. Aber allein das Wort nährt die Angst.

Die Hoffnungen der gesamten Wirtschaft ruhen jetzt auf dem Präsidenten und damit - auf dem Staat. Die Rückkehr des Staates ins Zentrum der Ökonomie gehört wahrscheinlich zu den bleibenden Folgen der Wirtschaftskrise. Es ist ein Paradigmenwechsel, wie er in Amerika alle paar Generationen einmal vorkommt. Paradoxerweise wurde die Wende gar nicht vom neuen Präsidenten selbst eingeleitet, sondern vom konservativen Vorgänger George W. Bush. Unter ihm wuchsen die Staatsausgaben unkontrolliert, er sah zu, wie sein Finanzminister die Banken unter seine Kontrolle nehmen musste. Obama erbte, wie der Wirtschaftswissenschaftler Nouriel Roubini von der New York University spottete, die "Vereinigten Sozialistischen Staaten von Amerika".

In Obamas Antrittsrede gibt es einen Schlüsselsatz: "Die Zyniker verstehen nicht, dass der Boden unter ihnen schwankt - dass die abgestandenen politischen Argumente, die uns so lange aufgezehrt haben, nicht mehr greifen. Heute fragen wir nicht, ob unser Staat zu groß oder zu klein ist, sondern ob er funktioniert." Mit dem Satz knüpft Obama, vermutlich absichtsvoll, an eine andere Rede an, eine Rede, die vor 28 Jahren einen Paradigmenwechsel einleitete. Am 20. Januar 1981 sagte Präsident Ronald Reagan bei seinem Amtsantritt: "In der gegenwärtigen Krise ist der Staat nicht die Lösung unseres Problems, er ist selbst das Problem." Der Satz war das Leitmotiv von "Reaganomics", für die Revitalisierung des amerikanischen Kapitalismus, für Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung in den achtziger Jahren. "Reaganomics" ist unter George Bush de facto zu Ende gegangen. Obama setzt nun einen neuen Grundton.

Der Staat wird sich wieder einmischen wie in früheren Phasen der amerikanischen Geschichte: Unter Präsident Theodore Roosevelt zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Beispiel, oder später, im Gefolge der Weltwirtschaftskrise, von Franklin D. Roosevelts New Deal bis zu Jimmy Carter, der in den späten siebziger Jahren die Wirtschaftsprobleme Amerikas nicht in den Griff bekam und dafür mit einer verheerenden Wahlniederlage bestraft wurde. Obamas Paradigmenwechsel könnte leicht als Abkehr vom Kapitalismus missverstanden werden. Aber anders als in Deutschland ist die Debatte in Amerika kein bisschen antikapitalistisch. In seinem ganzen Wahlkampf war Obama zwar gelegentlich protektionistisch, er stellte jedoch nie den Markt oder das Unternehmertum in Frage. Sein Wirtschaftsteam setzt sich aus Leuten zusammen, die in der Regierung von Bill Clinton Karriere gemacht haben und eher dem rechten Flügel der Demokratischen Partei nahestehen.

Es wird daher ein sehr pragmatisch agierender Staat sein, den die Amerikaner in den kommenden vier Jahren erleben werden: Er wird nochmals viel Geld in die Banken pumpen, er wird Straßen und Brücken renovieren und den Bürgern Zuschüsse gewähren, wenn sie ihre Häuser isolieren oder Windräder auf ihre Grundstücke stellen, und er wird ihnen eine rudimentäre Krankenversicherung anbieten.

Vor allem setzt Obama auf einen Zug der amerikanischen Gesellschaft, den viele Europäer gerne übersehen: die Bereitschaft der Bürger, für die Gemeinschaft Opfer zu bringen. Zu Recht berühmt geworden ist der Satz aus der Antrittsrede von John F. Kennedy: "Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, frage, was du für dein Land tun kannst." Obama beschwor diesen Opfergeist am 20. Januar immer wieder. Er erinnerte an den Durchhaltewillen George Washingtons im Unabhängigkeitskrieg, er sagte den Amerikanern, dass sie Verantwortung trügen - "gegenüber sich selbst, gegenüber unserer Nation und der Welt".

Die Verbindung von Kapitalismus und Gemeinsinn prägt Amerika, und sie kann durchaus ihre amüsanten Seiten haben. Der Kaffeekonzern Starbucks begrüßte den neuen Präsidenten in Fernsehspots mit einem Rap unter dem Titel "Ich mache mit" und rief eine "Graswurzel-Bewegung" aus. Kern der Bewegung: Wer in einen Starbucks-Laden kommt und sich zu fünf Stunden Arbeit für eine gemeinnützige Organisation bereiterklärt, bekommt einen großen Becher Kaffee umsonst.

Allein das Wort Depression schürt die Angst

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Der Gründer des Online-Netzwerkes LinkedIn, Reid Hoffman, engangiert sich als Business Angel. In Davos diskutiert der 41-Jährige die Probleme des Datenschutzes.

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Paul Rice ist Präsident

der gemeinnützigen Organisation Transfair. Er lebte elf Jahre lang in Nicaragua

und arbeitete dort mit

Kaffeebauern zusammen.

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Gespaltener Kontinent

Bilder von Dürren, Bürgerkriegen und Diktaturen prägen das öffentliche Bild Afrikas in weiten Teilen der Welt. Dabei haben viele Länder in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht, Staaten wie Ghana oder Botswana. Dennoch bleiben viele auf Unterstützung angewiesen. An Katastrophenhilfe wie Nahrungsmittellieferungen oder technischem Gerät in akuten Notfällen werden die reichen Staaten trotz Wirtschaftskrise kaum sparen. Allerdings fürchten die Afrikaner, dass sich die Geberländer nicht an ihre Zusagen für die Entwicklungshilfe halten werden. Vom erklärten Ziel des Westens, 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe auszugeben, sind die meisten Industrieländer ohnehin weit entfernt. Vor allem aber verhindert der Protektionismus der reichen Länder den Aufbau starker Heimatmärkte in Afrika. Foto: laif

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Kassandras zornige Jünger

Die Finanzkrise hat Kapitalismus und Globalisierung in ihren Grundfesten erschüttert. Kritiker wie das Bündnis Attac sehen sich nun bestätigt - und stehen vor neuen Herausforderungen: Kritik am System reicht nicht mehr. Konzepte müssen her. Von Michael Bauchmüller

Wie es ihm geht? Peter Wahl muss nicht lange nachdenken: "Großartig! Kassandra hat recht behalten, wie soll es mir da schlecht gehen?" So wie Wahl geht es vielen der langjährigen Globalisierungskritiker - einerseits. Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise ist der Kapitalismus, ist die Globalisierung in ihren Grundfesten erschüttert. Andererseits: In den Strudel des Abschwungs geraten nun immer mehr einfache Leute, und das freut auch einen wie Peter Wahl nicht. "Da ,ätsch' zu sagen, wäre jetzt sicherlich der falsche Reflex", sagt Wahl. "Jetzt geht es darum, die richtige Antwort zu finden."

Im Jahr acht nach seiner Gründung geht es für das globalisierungskritische Bündnis Attac um alles. Jahrelang hatten sie mit teils spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam gemacht. Sie haben für eine Steuer auf Kapitaltransaktionen gekämpft, gegen den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan, für Gleichberechtigung und gegen Umweltzerstörung. Als Zehntausende 2007 gegen das Treffen der Industriestaaten in Heiligendamm demonstrierten, war Attac vorne mit dabei. Noch im vorigen Oktober seilten sie in der Frankfurter Börse ein Transparent ab, Aufschrift: "Finanzmärkte entwaffnen! Mensch und Umwelt vor Shareholder Value!".

Und jetzt? "Es gibt im Augenblick wenig Bedarf, den Leuten zu sagen, dass es so nicht weitergeht", erklärt eine Attac-Sprecherin nüchtern. "Dafür ist es zu offensichtlich." Es gibt jetzt viel mehr zu tun: Die Bedenkenträger der Globalisierung, die über den Protest leicht ihr Profil schärfen konnten, müssen nun konkrete Angebote vorlegen. "Wir kommen jetzt in eine neue Phase", sagt Wahl, einer der Mitbegründer von Attac Deutschland. Jetzt geht es nicht mehr nur um Kritik, es geht um Konzepte. Es ist eine Art Realitätstest für die Bewegung.

Die Nachfrage nach Alternativen ist offenbar gewachsen, rein statistisch zumindest. In der Frankfurter Zentrale des Netzwerkes fertigen sie seit Jahren Tabellen und Grafiken über die Mitgliederzahlen, und im Oktober, als die Finanzkrise nach Europa schwappte, riss die Kurve plötzlich aus. Weniger als 100 neue Mitglieder hatte Attac in den Vormonaten jeweils gewonnen - und im Oktober fast 300. "Wir werden jetzt gebraucht", sagt Wahl. Gleichzeitig hat Attac mit der Konkurrenz der Linkspartei zu kämpfen, und die internen Debatten sind nicht immer einfach. All das könnte von der Finanzkrise übertüncht werden.

Diese Woche, parallel zum Wirtschaftstreffen in Davos, treffen sich die Kritiker des Wirtschaftssystems im brasilianischen Belem zum "Weltsozialgipfel". Das Treffen ist inzwischen eine Art Institution der Gegenbewegung. Hauptthema, klar: die globale Finanzkrise. Einige Gruppen wollen nun mit neuer Wucht die "K-Frage" stehen, wobei "K" diesmal nicht für irgendeinen Kanzlerkandidaten, sondern für den Kapitalismus steht. Abermals begeben sich rund 80 000 Globalisierungskritiker damit in den Basar der Ideen - woraus nicht zwangsläufig konkrete Konzepte entstehen müssen. Darin liegt der Charme, aber auch die Schwäche der Bewegung.

"Wir haben einen ganz breiten Fächer von Themen" gesteht auch Detlev von Larcher, Finanzexperte bei Attac. "Wir wollen das nicht einschränken, aber die Gewichte verschieben sich." Und je mehr die Finanzkrise bei den Bürgern ankomme, desto mehr Gehör könnten sich auch Globalisierungskritiker verschaffen. Ende März, wenn die Staats- und Regierungschefs der 20 großer Industrienationen und Schwellenländer nach London kommen, will Attac europaweit Lärm machen. Davos dagegen spielt in den Planungen keine große Rolle. Das Treffen der Wirtschaftselite, sagt Larcher, sei doch ohnehin eher eine Veranstaltung von Verlierern.

"Wir kommen jetzt in eine neue Phase."

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Donald Kaberuka, Präsident der African Development Bank, stammt aus Ruanda. Seinen Doktortitel der Wirtschaftswissenschaft erwarb der 57-Jährige in Glasgow.

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Die Nigerian Stock Exchange ist eine der wichtigsten Börsen Afrikas. Ihre Präsidentin Ndi Okereke-Onyiuke spricht über unternehmerisches Handeln in der Krise.

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Phuti Malabie, 37, ist Direktorin von Shanduka Energy in Südafrika. Malabie hat in New Jersey, USA, und an der De Montfort University im englischen Leicester studiert.

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Über das "unbekannte Afrika" spricht der Südafrikaner Michael Solomon,Vorstand von Wesizwe Platinum. Von 1993 bis 1994 saß er im African National Congress.

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Wendy Luhabe ist

Vorsitzende der Organisation für industrielle Entwicklung

in Südafrika. Zuvor führte

die 51-Jährige die Universität Johannesburg.

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Michel Kazatchkine ist Direktor der African Medical and Research Foundation in Kenia. Er spricht über die Möglichkeit, Wohlstand durch Gesundheit zu schaffen.

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Der südafrikanische Finanzminister Trevor Manuel hält seinen Posten seit 1996. In Davos diskutiert der 53-Jährige die Frage, ob der Washington Consensus am Ende ist.

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Über Teamwork spricht

Benjamin Zander, Dirigent der Bostoner Philharmoniker.

Der 69-Jährige ist berühmt für seine Interpretation der

Werke Gustav Mahlers.

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US-Nationalökonom Nouriel Roubini, 50, war vor seiner Professur an der Stern School of Business in New York

Berater des US-Finanzministeriums.

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Laura D. Tyson ist Dekanin der London Business School und Professorin in Berkeley. Die 61-Jährige spricht über die Schwierigkeiten, die besten Mitarbeiter zu finden.

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Indra Nooyi, 53, steht Pepsico vor. Als sie in Yale promovierte, gehörte sie noch zu den ärmsten Studenten. Heute zählt Nooyi zu den mächtigsten Frauen in den USA.

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Die Wall Street im eigentlichen Sinne gibt es nicht mehr

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China im Fokus: Bundeskanzlerin Angela Merkel, 54, trifft sich nach dem Weltwirtschaftsforum in Berlin mit dem chinesischen Premierminister Wen Jiabao.

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Jean-Claude Trichet ist seit 2003 Präsident der EZB. Davor war der 66-Jährige Chef der französischen Nationalbank. Er skizziert Szenarien des Weltfinanzsystems.

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Stephen King leitet bei der Großbank HSBC die Bereiche Volkswirtschaft und Strategie. Der Brite warnte bereits 1999 vor Überbewertungen an den Finanzmärkten.

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Über die Krisen der Welt spricht Gareth Evans, Präsident der International Crisis Group. Der 64-Jährige war von 1988 bis 1996 Außenminister Australiens.

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Hohe Belastungen durch Rezession, Landesbank und Konjunkturpaket

Das Ringen um die schwarze Null

Im Etatentwurf 2009/10 stecken viele Risiken, doch Finanzminister Fahrenschon ist zuversichtlich

Von Kassian Stroh

München - Es war einst das hehre Ziel der Landespolitik, es war 2003 der Wahlkampfschlager der CSU: keine neuen Schulden mehr zu machen. Seit 2006 ist es dem Freistaat gesetzlich verboten, neue Kredite aufzunehmen, von extremen Notsituationen einmal abgesehen. Doch still und leise bereitet man sich im Landtag auf den Abschied von diesem Ziel vor. Im nächsten Jahr werde der Freistaat infolge der Wirtschaftskrise wohl wieder Schulden machen müssen, heißt es sogar in der CSU. Dann werde die Staatskasse "ganz erhebliche Probleme" bekommen, mutmaßt ein Haushaltsexperte der CSU-Fraktion. Ihr oberster Haushaltspolitiker, Georg Winter, sagt, für 2009 sei er "zuversichtlich", ohne neue Schulden über die Runden kommen zu können. "Für 2010 kann ich keine Prognose abgeben."

An diesem Dienstag bringt Finanzminister Georg Fahrenschon (CSU) seinen Entwurf für den Etat der Jahre 2009 und 2010 in den Landtag ein. Und selten dürfte unsicherer gewesen sein, ob die Annahmen, die diesem Zahlenwerk zugrunde liegen, Bestand haben werden. Der Grünen-Haushaltspolitiker Thomas Mütze jedenfalls nennt den Etat bereits jetzt überholt. Fahrenschon könne ihn "so, wie er ist, in die Tonne treten".

In der Tat sind zentrale Fragen offen. Da ist zum einen das Dauerrisiko Landesbank, von der niemand weiß, welche Belastungen für den Staatshaushalt sie noch bringt. Die Meldung vom vergangenen Freitag, sie habe 2008 fünf Milliarden Euro Verlust gemacht, beunruhigt die Zuständigen noch nicht: Auf Grundlage eben dieser Zahlen sei der Zehn-Milliarden-Euro-Zuschuss an die BayernLB berechnet worden, den der Landtag noch im Dezember genehmigt hatte, sagt der CSU-Abgeordnete Ernst Weidenbusch. "Daraus resultiert kein neuer Bedarf." Zwar gibt es derzeit keine Anzeichen dafür, dass die Bank neue Zuschüsse des Freistaats benötigt. Doch gänzlich auszuschließen ist das nicht.

Problematischer für den Finanzminister ist das Konjunkturpaket, auf das sich die Bundesregierung vor zwei Wochen geeinigt hat. Die darin vorgesehenen Steuersenkungen kosten Bayern in diesem Jahr 250 Millionen Euro, im kommenden Jahr 450 Millionen. Zudem muss Bayern 480 Millionen Euro aufbringen, als seinen Kofinanzierungsanteil am Investitionsprogramm. Mit diesem will der Bund die Kommunen zum Beispiel bei der Sanierung von Schulen unterstützen, die Länder müssen sich anteilig beteiligen. Doch hier plant Bayern offenbar bereits einen Kunstgriff, um Mehrausgaben zu verhindern: Da schon bisher im Etat hohe Investitionen in diese Bereiche vorgesehen seien, heißt es in der CSU, widme man diese einfach um und bestreite damit den Kofinanzierungsanteil.

Griff in die Rücklagen

Dramatischer ist die Lage bei den zu erwartenden Steuerausfällen infolge der Rezession: Der Etatentwurf basiert auf der Steuerschätzung vom November, die für 2009 noch ein leichtes Wirtschaftswachstum angenommen hatte. Mittlerweile erwartet selbst die Bundesregierung, dass die Wirtschaft um mehr als zwei Prozent schrumpft. Die Folge: Spätestens in der zweiten Jahreshälfte dürften die Steuereinnahmen deutlich hinter den Erwartungen zurückbleiben.

Fahrenschon jedoch beteuert weiter, bis Ende 2010 ohne neue Schulden auskommen zu wollen. Er will dafür sein noch milliardenschweres Schatzkästchen der "Kassenverstärkungsrücklage" angreifen. Dort hinein flossen die Mehreinnahmen vergangener Jahre. Wie viel genau, bleibt Fahrenschons Geheimnis; in der CSU ist die Rede von gut drei Milliarden Euro. Doch viel Spielraum hat der Minister nicht mehr: Von den Rücklagen hat er bereits eine Milliarde verplant, um Stellen für neue Lehrer- oder Polizisten zahlen zu können. Weitere 650 Millionen Euro braucht er, um die Zinsen für die Kredite zur Stützung der Landesbank zu zahlen. Dazu kommen die Kosten des Konjunkturpakets (mindestens 700 Millionen Euro) und die Steuerausfälle, die sich in ähnlichen Größenordnungen bewegen könnten.

Dass die Rücklagen dafür reichen, glaubt Mütze nicht: "Die schwarze Null ist obsolet", stellt er fest. Seine SPD-Kollegin Adelheid Rupp hingegen fordert sogar das Ende der "Keine-Schulden-Politik", um ein eigenes bayerisches Konjunkturprogramm mit Investitionen in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro bezahlen zu können. Schließlich sei nicht zu vertreten, am schuldenfreien Etat festzuhalten, wenn zugleich Arbeitsplätze vernichtet würden.

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Das Kreuz des Südens

Der Gipfel der Zugspitze soll wieder erstrahlen

Die drei Männer kauern an der höchsten Stelle Deutschlands, auf dem 2962 hohen Gipfel der Zugspitze. Über ihnen schwebt ein Helikopter. Einer der Männer dirigiert ihn, ein anderer bindet ein Seil um das Gipfelkreuz und hängt es vorsichtig in den vom Hubschrauber herab baumelnden Karabiner. Der Helikopter steigt langsam hoch, das Seil um das Gipfelkreuz spannt sich. Langsam, damit sich es nicht im Strahlenkranz des Kreuzes verfängt. Ein kurzer Ruck nach oben löst die 300 Kilo schwere Last aus der Verankerung. Einige Male dreht sich das Kreuz um sich selbst, dann bringt es der Hubschrauber hinab in die Werkstätten der Zugspitzbahn.

Nach knapp 16 Jahren auf dem Gipfel braucht das vielfotografierte Kreuz eine neue Goldbeschichtung. "Es wirkt jetzt wie sandgestrahlt und ist damit weit entfernt, die Bedeutung des Berges widerzuspiegeln", sagt Peter Huber, Vorstand der Zugspitzbahn. An Ostern soll das Symbol wieder golden auf dem Gipfel glänzen. Dafür wird der Lenggrieser Restaurator Gerhard Eiblmeier in seinem Atelier sorgen. "100 Gramm Blattgold kommen da drauf, nach einem traditionellen Verfahren, weiterentwickelt für die Zugspitze", sagt Eiblmeier. Eisige Temperaturen und Schneestürme mit bis zu 200 Kilometern Geschwindigkeit haben das Kreuz schwer mitgenommen. "Das sind fast polare Bedingungen."

Das aktuelle Gipelkreuz ist das zweite auf der Zugspitze. Das erste wurde im Jahr 1851 aufgestellt. 29 Männer trugen damals die Teile des 150 Kilo schweren Kreuzes auf den Westgipfel. Von dort wurde es 31 Jahre später auf den Ostgipfel versetzt, um einem Unterkunftshaus Platz zu machen. 111 Jahre danach, 1993, musste es endgültig abmontiert werden. Das raue Wetter und Freudenschüsse amerikanischer Soldaten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs hatten nicht mehr reparable Schäden angerichtet. Heiner Effern

Bestes Flugwetter für das Gipfelkreuz der Zugspitze. Fotos: ddp, KNA

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Skepsis bei Bayerns Gastwirten

Nürnberg - Die Lockerung des Nichtraucherschutzes in Bayerns Kneipen hat bei vielen Gastwirten Skepsis ausgelöst. "Die Regierung hätte es bei dem strikten Rauchverbot belassen sollen - das hatte man akzeptiert und sich daran gewöhnt", erklärte Oliver Kirschner von der Kreisstelle Nürnberg des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes (BHG). Statt neue Vorschriften hätten die Wirte mehr Entscheidungsfreiheit gebraucht. Zudem herrsche bei den Gastronomen große Verunsicherung, weil niemand genau wisse, was künftig erlaubt sein soll und was nicht. "Wir haben bis heute als Verband keine schriftliche Information, wie genau die Eckpunkte des neuen Gesetzes aussehen sollen", sagte Kirschner. "Es wäre dringend notwendig, dass die Politik sich äußert." Den Plänen der Staatsregierung zufolge soll ab 1. August das Rauchen in kleinen Einraum-Gasthäusern sowie Nebenräumen von Gaststätten wieder erlaubt sein. Zu den Ausnahmen gehört etwa die Vorschrift, dass in den Raucherräumen nur "kalte oder einfach zubereitete warme Speisen" serviert werden dürfen. Insgesamt hält Kirschner die Lockerung für unnötig, da die EU in naher Zukunft ohnehin ein striktes Rauchverbot plane. "In zwei Jahren kassiert die EU das Nichtraucherschutzgesetz eh wieder ein. Dann müssen alle Arbeitsplätze rauchfrei sein." Die Staatsregierung solle daher besser vorausschauend handeln. dpa

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Zu früh von Bord gegangen

Verlorener Tag berechtigt nicht zum Reiserücktritt

München - Wer allzu forsch eine Pauschalreise abbricht, weil etwas nicht so klappt, wie erhofft, bleibt mitunter auf einem beträchtlichen Teil der Kosten sitzen. Kündigt der Kunde bereits wegen einer erheblichen Verspätung des Anschlussflugs seine gesamte Pauschalreise, kann er nicht den ganzen Pauschalpreis vom Reiseveranstalter zurückverlangen. Das hat das Amtsgericht München entschieden, und dieses Urteil wurde inzwischen vom Bundesgerichtshof auch so bestätigt.

Ein Tourist buchte bei einem Münchner Reiseveranstalter eine Studienreise nach Island, einschließlich Flug und Transferleistungen. In Amsterdam sollte er in ein Flugzeug nach Reykjavik umsteigen. Doch die Maschine konnte nicht wie geplant starten, da erst ein durch Vogelschlag verursachter Defekt behoben werden musste. Verärgert machte der Reisende auf der Stelle kehrt, flog zurück nach Hause und informierte die Reiseleiterin in Island telefonisch, dass er an der Rundreise nicht teilnehme.

Das Reiseunternehmen bot ihm zweimal an, mit einem anderen Flug neu zu starten und sich der Reisegruppe anzuschließen - doch der Mann wollte nicht. Vielmehr forderte er nun den gesamten Reisepreis zurück, plus 311 Euro für seinen Rückflug. Er sei zum Abbruch der Reise berechtigt gewesen, meinte er: Denn auf Grund der verspäteten Ankunft und der verkürzten Nachtruhe wäre er nicht mehr in der Lage gewesen, die am ersten Reisetag gebuchten Reiseleistungen in Anspruch zu nehmen. Der Veranstalter erstattete aber nur 2200 Euro: Da bloß ein Reisetag beeinträchtigt gewesen wäre, sei die Kündigung nicht gerechtfertigt. Daraufhin ging der Urlauber vor das Amtsgericht. Die Richterin wies seine Klage jedoch ab: Ein Urlauber könne eine Reise nur kündigen, wenn diese wegen eines Mangels zumindest "erheblich beeinträchtigt" oder dem Reisenden "gar nicht mehr zumutbar" sei. In diesem Fall sei der Flug nach Reykjavik zwar mit neun Stunden Verspätung gestartet - dadurch wäre der Gesamtwert der Reise aber nicht erheblich beeinträchtigt worden, meinte die Richterin. Natürlich wären durch diese Verspätung die Nachtruhe des Klägers stark verkürzt und der erste Rundreisetag beeinträchtigt worden. "Aber auf die restlichen 13 Tage der Rundreise hätte die Flugverspätung keine Auswirkungen gehabt", stellte die Richterin fest (Aktenzeichen: 275 C 10632/07).

Der Urlauber gab nicht auf und klagte sich durch die Instanzen bis nach Karlsruhe. Denn nach europäischem Recht haben Fluggäste bei Verspätungen ab fünf Stunden einen Anspruch auf vollständige Erstattung der Flugscheinkosten, gegebenenfalls auf einen kostenlosen Rückflug zum Abflugort.

Der Bundesgerichtshof kam aber zu der Auffassung, dass diese Verordnung keine Ansprüche gegen den Reiseveranstalter begründet: "Da Pauschalreisen komplexe Leistungen des Reiseveranstalters zum Gegenstand haben, kommt einer Flugverspätung dort nicht zwangsläufig das gleiche Gewicht zu."

Ob ein Reisender sich aus dem gesamten Reisevertrag lösen könne, hänge davon ab, ob die Reise erheblich beeinträchtigt und die Kündigung des Reisevertrages deshalb gerechtfertigt sei. Dies sei angesichts der Tatsache, dass der klagende Tourist von der zweiwöchigen Reise einen oder maximal zwei Tage verpasst hätte, zu verneinen (Az.: X ZR 37/08).Ekkehard Müller-Jentsch

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Kinder retten Buben aus dem Eis

München - Mehrere Kinder haben am Sonntagabend einen neunjährigen Jungen in der Messestadt Riem aus einem eiskalten See gerettet. Der Junge war nach Angaben der Feuerwehr am Sonntag mit seinem Bruder und zwei Freunden zum Spielen nach draußen gegangen. Offenbar wollten die Kinder am Messe-See auf dem Eis herumschlittern. Dabei brach der Junge durch die dünne Eisdecke des Sees ein.

Dem Bruder und seinen Freunden gelang es in einer dramatischen Rettungsaktion, den Bub, der bereits bis zum Kopf ins Wasser gesunken war, herauszuziehen. Sie brachten ihn in ein nahe gelegenes Lokal im Sperrengeschoss des U-Bahnhofs Messestadt West, wo der Junge erst einmal in warme Decken gepackt wurde. Ein Spaziergänger, der die Kinder aus der Ferne gesehen hatte, alarmierte sofort die Rettungskräfte. Als die Feuerwehr eintraf, war der Junge jedoch schon ans Ufer gelangt. Nach einer ärztlichen Untersuchung konnte der Neunjährige unverletzt zu seinen Eltern gebracht werden. mai

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Luxusheimat für Krisenbank?

Hypo Real Estate überprüft Umzug in neue Zentrale

Von Alfred Dürr

München - Für die krisengeschüttelte Münchner Immobilienbank Hypo Real Estate ist ein neues Problem aufgetaucht: Die Frage ist, ob der für Mitte Februar geplante Umzug in die neue, aufwändig renovierte Konzernzentrale im Münchner Stadtteil Lehel angesichts der Finanzturbulenzen überhaupt noch möglich ist.

Bei der Krisen-Bank, die für ihr Überleben mehr staatliche Hilfe als jedes andere Geldinstitut in Deutschland braucht, gibt man sich im Zusammenhang mit dem schon lange geplanten Umzug extrem zugeknöpft. Offizielle Stellungnahmen sind nicht zu erhalten. Ein Sprecher teilte auf Anfrage lediglich mit, bei der Umstrukturierung der Bank komme jedes Großprojekt auf den Prüfstand. Dazu gehöre eben auch die künftige Konzernzentrale im sogenannten Lehel Carré. Eine endgültige Entscheidung sei allerdings noch nicht gefallen.

Dabei geht es nicht zuletzt auch um die Frage, in welcher Höhe der Steuerzahler für den neuen Komplex in der Innenstadt aufkommen muss. Noch im Herbst vergangenen Jahres und vor dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise schien alles klar zu sein: Die Hypo Real Estate wollte als einer der größten europäischen Anbieter von Immobilienfinanzierungen mit rund 600 Mitarbeitern in das Büroquartier zwischen Stern-, Gewürzmühl-, Tattenbach- und Robert-Koch-Straße im Lehel einziehen. Damit sollten die fünf über das Stadtgebiet verteilten Standorte in einem einzigen Gebäude, das sich auf dem modernsten Stand der Bürotechnik befindet, zusammengefasst werden.

Das Lehel Carré ist ein Renommierprojekt der Versicherungskammer Bayern. Das Unternehmen ist als der größte öffentliche Versicherer Deutschlands und als einer der bundesweit zehn größten Erstversicherer Eigentümer und Bauherr. Die verschiedenen Einzelgebäude, die Mitte der 1930er Jahre bis hinein in die 1960er Jahre neben dem historischen Stammsitz der damaligen Bayerischen Versicherungskammer errichtet wurden, hat man mit großer Umsicht renoviert sowie durch Um- und Neubauten ergänzt. Das Münchner Architektenbüro C+F Wilfried Claus und Günter Forster wollte neue Akzente in dem gewachsenen Stadtviertel setzen, dabei aber die alten Strukturen erhalten. Der riesige Komplex sollte nicht wie ein Fremdkörper wirken.

Neu ist ein großzügiger Eingangsbereich an der U-Bahnstation am Thierschplatz. Über den hellen Innenhof mit dem Casino spannt sich jetzt auch ein Querriegel mit einem repräsentativen Konferenzsaal. Ganz neu gestaltet ist die Fassade an der Sternstraße. Schließlich wurden die alten Verbindungsbrücken zum Stammhaus der Versicherungskammer abgebrochen. Sie prägten lange Zeit das Ortsbild. Nun soll demonstriert werden, dass das frisch renovierte Haus, das jetzt nahezu vollständig fertig ist und nur noch auf die Mieter wartet, eine eigenständige Einheit ist.

Immobilienfachleute gehen davon aus, dass es mit dem vorgesehenen Mieter wohl ziemlich schwierig werden könnte. Einesteils die Zahl der Mitarbeiter deutlich zu reduzieren und andererseits in große Flächen zu investieren - das lasse sich kaum zusammenbringen. Claudia Scheerer, die Sprecherin der Versicherungskammer, sagt, das Lehel Carré sei planmäßig fertig geworden. Eine Übergabe an die Hypo Real Estate könne wie vorgesehen Mitte Februar erfolgen. Auch Bernhard Donhauser, der Immobilienchef des Vermieters, beruft sich auf die Verträge. Man gehe davon aus, dass diese auch eingehalten würden.

Das Lehel Carré sollte die neue Zentrale der Hypo Real Estate werden. ales

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Gefängnisstrafe für Liebe zu Zwölfjähriger

Regensburg - Wegen einer Liebesaffäre mit einer Zwölfjährigen ist ein 19-Jähriger in Regensburg zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Das Gericht befand ihn des "schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern" für schuldig. Kennengelernt hatten sich die zwei am Bahnhof in Schwandorf. Er habe sie zunächst auf 16 Jahre geschätzt. Als er später erfuhr, dass sie eigentlich noch ein Kind war, seien die beiden schon mächtig verliebt gewesen, sagte der junge Mann. So sei es erst in einer Gartenlaube und dann in der Wohnung der Großmutter des Mädchens - mit deren Zustimmung - zum Geschlechtsverkehr gekommen. ddp

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"Wir haben noch nie Flüchtlinge abgewiesen"

Grüne und SPD wollen Uiguren aus Guantanamo in München aufnehmen

Sie waren vermutlich nur zur falschen Zeit am falschen Ort, die 17 Uiguren, die irgendwann nach dem 11. September 2001 in die Fänge der US-amerikanischen Terroristenjäger gerieten. Heute gehören sie zu jenen rund 50 Gefangenen in Guantanamo, die inzwischen auch die Amerikaner als unschuldig ansehen. Wenn alles gutgeht für die Uiguren, deren Heimat China ist, dann werden sie im Laufe des Jahres freigelassen, denn US-Präsident Barack Obama hat die Schließung des umstrittenen Lagers auf Kuba versprochen. Zurück in ihre Heimat aber können die Angehörigen der muslimischen Minderheit nicht, in China droht ihnen Unterdrückung und Folter, und die Aufnahme in den USA scheint aus formalen Gründen so gut wie ausgeschlossen. Womöglich werden die Männer dann versuchen, in München zurück ins Leben zu finden.

So zumindest wollen es die Grünen im Stadtrat. Sie haben den Antrag gestellt, die Uiguren in München aufzunehmen, kommende Woche soll der Sozialausschuss darüber entscheiden. Es soll ein Signal sein an die USA und die Welt. Voraussetzung sei natürlich, betont Grünen-Fraktionschef Siegfried Benker, dass sie tatsächlich unschuldig sind, aber das würden vor einer Aufnahme auch die deutschen Sicherheitsbehörden überprüfen.

In der Rathaus-SPD ist man zurückhaltender: "Das ist überhaupt keine kommunale Frage", sagt Fraktionschef Alexander Reissl, die Große Koalition in Berlin müsse entscheiden. Sollte Berlin für eine Aufnahme stimmen - die Münchner SPD würde sich dann bestimmt nicht quer stellen, so Reissl: "Wir würden das nicht ablehnen", München habe noch nie Flüchtlinge abgewiesen. Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) war am Montag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Doch selbst wenn der Stadtrat die Uiguren willkommen heißen sollte, die Berliner Politik streitet erst einmal weiter: Hier Außenminister Steinmeier (SPD), der eine Aufnahme befürwortet, dort Innenminister Schäuble (CDU), der das ablehnt. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bleibt im Gespräch mit der SZ bei seinem kategorischen Nein: "Für Guantanamo sind die USA verantwortlich." Zwar sei das Lager eine "indiskutable Einrichtung", und jeder Häftling habe das Recht auf einen ordentlichen Richter. Doch selbst wenn einem Häftling keine Mitwirkung an Terrorakten nachgewiesen werde, "heißt das noch lange nicht, dass er völlig unbedenklich ist". Man müsse bei Guantanamo-Häftlingen "von einer gewissen Verbindung zum Terrorismus" ausgehen, so Herrmann.

Dass München überhaupt als Zufluchtsort diskutiert wird, ist kein Zufall. An der Isar lebt die größte uigurische Gemeinde Europas, und auch der Weltkongress der Uiguren hat hier seinen Sitz. Asgar Can, Vize-Vorsitzender dieser Dachorganisation, schätzt die Zahl der Münchner Uiguren auf gut 500, an die 150 Familien seien es. Die ersten seien in den 80er Jahren nach München gekommen, zum Studieren, und so wuchs aus dieser Keimzelle eine stattliche ethnische Gemeinde. "Wir würden aus humanitären Gründen sehr begrüßen, wenn die Uiguren aus Guantanamo nach München kämen", sagt er. Mitglieder der Gemeinde würden sich um ihre Landsleute kümmern, diese hätten also beste Integrations-Voraussetzungen. Auch die nötigen therapeutischen Strukturen würden die Uiguren an der Isar vorfinden. Bei Refugio, dem Behandlungszentrum für Flüchtlinge, könnten die vermutlich psychisch schwer angeschlagenen Männer behandelt werden. Kein Problem, signalisiert Refugio-Chefin Anni Kammerlander, man habe schon Uiguren therapiert, habe Dolmetscher zur Hand und sei mit Themen wie Haft und Folter ohnehin vertraut. Bernd Kastner

17 Uiguren sitzen im Lager Guantanamo, obwohl sie als unschuldig gelten. Die Grünen wollen die Gefangenen in München aufnehmen. Foto: AP

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Im Blickpunkt

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Atomic-Anne muss kämpfen

Der Rückzug von Siemens bringt die Areva-Chefin in Bedrängnis

Anne Lauvergeon behauptet sich nun schon seit Jahrzehnten in der Macho-Welt der Wirtschaft und hat so manchen Gegner, der sich zu den Mächtigen der französischen Republik zählte, ausgebootet. Doch jetzt steht die Chefin des Areva-Konzerns, der unter ihrer Führung zum Weltchampion in der Nukleartechnik aufstieg, bis er von Toshiba überholt wurde, vor ihrer größten Niederlage. Denn mit dem geplanten Ausstieg von Siemens bei Areva ist auch ihre Position gefährdet. Lange hatte sich der Siemens-Konzern, der zu einem Drittel an Areva beteiligt ist, dagegen gesperrt, sich vom französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy und seinen Gehilfen hinausdrängen zu lassen. Anne Lauvergeon hatte auf die deutsche Karte gesetzt und ihr Einvernehmen mit Siemens-Chef Peter Löscher zuletzt immer betont. Der verdeckte Machtkampf mit Sarkozy könnte ihr nun zum Nachteil gereichen.

Auf der Liste der 100 einflussreichsten Frauen der Welt wurde Lauvergeon vom amerikanischen Magazin Forbes bislang auf einem der vorderen Plätze geführt - in Frankreich war sie unter vielen starken Frauen die Nummer eins. Wäre vorvergangenes Jahr die Sozialistin Ségolène Royal Präsidentin geworden, wäre "Atomic-Anne", wie sie einst von Amerikanern und Briten genannt wurde, das Wirtschaftsministerium zugefallen. Sie kennen sich aus der Zeit, als beide François Mitterrand dienten, die eine als Umweltministerin, die andere als Wirtschaftsberaterin. Auch Nicolas Sarkozy, dem Berührungsängste gegenüber Frauen fremd sind, hatte der Sozialistin Lauvergeon das Ministeramt angetragen. Dass sie sich erlaubt hat, die Offerte auszuschlagen, vergisst so einer nicht. Auch besinnt sich Sarkozy, der mehr Frauen in Politik und Wirtschaft befördert hat als seine Vorgänger, inzwischen wieder auf die alten Kumpelseilschaften.

Anne Lauvergeon hat sich durchaus für Frauen eingesetzt. Sie ist selbst Mutter von zwei Kindern, und in einer ihrer seltenen überlieferten privaten Äußerungen hat sie Bewunderung für Simone de Beauvoir eingeräumt. Unter ihrer Ägide verdoppelte sich der Frauenanteil bei Areva auf ein Fünftel. Eine ihrer ersten Taten war die Einrichtung von Kinderkrippen, um berufstätigen Müttern die Rückkehr zu erleichtern. Sie hat den Konzern, der aus der Fusion des Kraftwerksbauers Framatome und des Plutonium-Produzenten Cogema hervorging, vom Beamtenapparat zum Industriekonzern gewandelt. Da bislang die Zahlen stimmten, festigte sich ihre Macht.

Ob sie sich halten kann, ist fraglich. Der Chef des Anlagenbauers Alstom, Patrick Kron, hat sich schon als Nachfolger ins Gespräch gebracht. Für ihn spricht, dass der wichtigste Aktionär seines Unternehmens ein Spezi des Präsidenten ist. Aber erst einmal muss die resolute Lauvergeon wider Willen gut Wetter bei Sarkozy machen. Für bevorstehende Investitionen braucht ihr Konzern drei Milliarden Euro vom Staat, abgesehen von den zwei Milliarden Euro, die für den Siemens-Anteil fällig würden. Die Top-Managerin der Republik wird dieses Jahr fünfzig. Es dürfte ihr schwierigstes Jahr werden. Gerd Kröncke

Anne Lauvergeon Foto: AFP

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"Angst lähmt"

Rigider Personalabbau führt zum Verlust von Kreativität und Risikobereitschaft und schadet damit den Unternehmen. Vor allem sichere Arbeitsplätze stärken den privaten Konsum / Von Meinhard Knoche

In den Unternehmen läuten die Alarmglocken: Die Weltwirtschaftskrise hat im letzten Quartal 2008 auch Deutschland erfasst, und in diesem Jahr werden uns die Auswirkungen der schwersten Rezession der Nachkriegszeit voll treffen. Doch Angststarre oder Panik wären fatal. Die Weltwirtschaft befindet sich nicht "im Abbruch"; 2010 oder vielleicht auch erst 2011 wird sie wieder Fahrt aufnehmen. Unternehmen, die jetzt Arbeitsplätze sichern, stärken ihre Zukunftsfähigkeit und leisten zugleich einen Beitrag, die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Rezession abzumildern.

Deutschland erlebt nun die Schattenseiten eines Exportweltmeisters und wird von der Krise der Weltwirtschaft besonders hart getroffen. Die USA, die mit ihrer Subprime-Blase die Finanzmarktkrise auslösten, werden ihre Rolle als Motor der Weltkonjunktur erst einmal verlieren. Die Hoffnungen ruhen nun auf den Volkswirtschaften, die hohe Leistungsüberschüsse erwirtschafteten, wie China, Deutschland und Japan. Sie sollten auch den Konsum ankurbeln, um so die Weltwirtschaft wieder in Fahrt zu bringen.

Die deutschen Verbraucher nehmen die Krise bisher erstaunlich gelassen; noch läuft der Konsum. Die Verbraucher aber in Kauflaune zu halten und der spätestens im nächsten Winter drohenden Abschwächung des Konsums vorzubeugen, ist gar nicht einfach. Es setzt voraus, dass die Verbraucher sich dauerhaft finanziell gestärkt fühlen und die liquiden Mittel nicht aus Ungewissheit auf das Sparkonto legen. Wenn Politik und Wirtschaft, aber auch die Medien an einem Strang ziehen und die Verbraucher nicht verunsichern, kann die Konsumbereitschaft erhalten und gestärkt werden.

Die Bundesregierung hat gehandelt und im Rahmen des Konjunkturpakets II neben anderen Maßnahmen mehr als 20 Milliarden Euro bereitgestellt, die dem privaten Konsum zugute kommen sollen. Durch den Maßnahmenmix hat die große Koalition dafür gesorgt, dass die Verbraucher demnächst mehr Geld im Geldbeutel haben. Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen wird durch fallende Zinsen und niedrige Öl- und Kraftstoffpreise gefördert. Schätzungsweise 200000 vom Abbau bedrohte Arbeitsplätze können mit Hilfe des Konjunkturpakets II gesichert werden.

Nun sind die Unternehmen am Zug, damit es nicht zum Angstsparen kommt. Das passiert, wenn genügend Geld vorhanden ist, aber das Geld aus Angst vor der Zukunft auf die hohe Kante gelegt wird. Angst vor der Zukunft ist vor allem die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Arbeitsplatzsicherung durch die Unternehmen reduziert die Tendenz zum Angstsparen. Werden die Verbraucher dagegen von Nachrichten über Massenentlassungen überschwemmt, nimmt das Sicherheitsdenken zu, der private Konsum geht zurück und die Abwärtsspirale dreht sich immer schneller.

Im Umgang mit dem Schlüsselfaktor Personal ist deshalb auch in Zeiten wirtschaftlicher Schwäche Fingerspitzengefühl gefragt. Rigider Personalabbau, schon die schwelende Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, schadet den Unternehmen sowohl bei der Krisenbewältigung als auch mit Blick auf die langfristige Wettbewerbsfähigkeit: Es ist ein Irrglaube, dass die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes die Beschäftigten zu besonderem Eifer anspornt. Angst lähmt! Das Arbeitsklima wird frostig. Das Einzige, was kocht, ist die Gerüchteküche. Gleichzeitig schwinden das Vertrauen in das Management und die emotionale Bindung der Beschäftigten an die Firma. Wer keine Solidarität durch das Management spürt, verliert die Identifikation mit dem Unternehmen. Das alles geht zu Lasten der Schlagkraft, die die Unternehmen in Krisenzeiten in besonderer Weise benötigen. Wer dagegen jetzt seine Fach- und Führungskräfte an das Unternehmen bindet, hat einen Zeitvorsprung, wenn die Konjunktur wieder anzieht.

Doch welche Chance hat die Forderung nach einer nachhaltigen Personalpolitik? Die aktuelle Krise ist das Ergebnis von Geschäftspraktiken, die das Gegenstück zum nachhaltig orientierten Unternehmertum darstellen. Das gilt nicht nur für die um ein Haar abgestürzte Finanzwelt, sondern auch für einen großen Teil der Realwirtschaft. Auch dort war der "Short-Terminism", also das überzogene Interesse, kurzfristig Unternehmensgewinn, Aktienkurs und damit das eigene Einkommen zu steigern, weit verbreitet. Doch nichts verändert das Verhalten so stark wie existentielle Krisen. Die neuen Herausforderungen an die Unternehmen (schwierige Kapitalbeschaffung, Engpässe bei der Gewinnung von Fach- und Führungskräften, stärkere Verankerung in den Heimatmärkten, zunehmende umweltorientierte Gesetzgebung, wachsendes ökologisches Bewusstsein der Verbraucher, extreme Unsicherheiten) zwingen zur Neubesinnung.

Die letzte, erst wenige Jahre zurückliegende Schwächephase der deutschen Wirtschaft setzte einen enormen Lernprozess in Gang, auf den die Unternehmen bei der Bewältigung der aktuellen Krise aufbauen können. Damals wurden Fehler beim Personalabbau gemacht, aber auch gute Instrumente entwickelt und erprobt, um die Personalkosten intelligent zu reduzieren und die Fach- und Führungskräfte im Unternehmen zu halten.

Das Spektrum reicht vom flexiblen langfristigen Zeitmanagement über die (durch das Konjunkturpaket II neu geregelte) Kurzarbeit und Arbeitszeitreduzierung bis hin zu Verschiebungen bereits vereinbarter Erhöhungen der Tariflöhne sowie betrieblichen Bündnissen, um nur einige Instrumente zu nennen. Aus diesem Instrumentenkasten können sich die Unternehmensleitungen heute bedienen. Dabei werden sie in erheblichem Maß auf die Bereitschaft der Belegschaften, Betriebsräte und Gewerkschaften zählen können, vorübergehend Einschränkungen hinzunehmen, wenn auf diese Weise Arbeitsplätze gesichert werden können.

Fast so wichtig wie die richtige Maßnahme ist die richtige Kommunikation. Eine frühzeitige, offene und glaubhafte Information über das geplante Krisenmanagement verhindert lähmende Unsicherheit in der Belegschaft. Interne Kommunikation hat Vorrang vor externer Öffentlichkeitsarbeit. Wer meint, zunächst mit Pressemitteilungen Shareholder und Analysten mit geplanten Strategien beeindrucken zu müssen, hat das kleine Einmaleins des Krisenmanagements nicht verstanden.

Meinhard Knoche ist Vorstandsmitglied des Ifo-Instituts und Hochschuldozent für Personalführung. Foto: oh

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Mächtiges Gremium

Der Siemens-Gesamtbetriebsrat (GBR) gilt als eines der einflussreichsten Arbeitnehmergremien in Deutschland. Ihm war auch in der Aufarbeitung der Korruptionsaffäre eine zentrale Rolle zugefallen. Der inzwischen ausgeschiedene Ex-GBR-Chef Ralf Heckmann wurde Teil eines inneren Führungszirkels mit Chefkontrolleur Gerhard Cromme, Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann und IG-Metall-Chef Berthold Huber. Das Quartett baute im Management um und holte Peter Löscher an die Konzernspitze. mbal

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ING tauscht Führung aus

Als Konsequenz aus den neuerlichen hohen Verlusten wechselt der niederländische Finanzkonzern ING das Management aus. Wegen der außergewöhnlichen Entwicklungen der vergangenen Monate und aus persönlichen Gründen werde Vorstandschef Michel Tilmant mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zurücktreten, teilte ING mit. Bis zu seiner Pensionierung am 1. August werde er dem Institut als Berater zur Verfügung stehen. Nachfolger von Tilmant soll der bisherige Verwaltungsratspräsident Jan Hommen werden. Die Aktionäre sollen seine Ernennung auf der Hauptversammlung am 27. April bestätigen. Bis dahin werde Vorstandsmitglied Eric Boyer die Geschäfte des Vorstandsvorsitzenden übernehmen, Hommen werde aber bereits eng in das tägliche Geschäft eingebunden. Neuer Verwaltungsratspräsident wird vom Tag der Hauptversammlung an Peter Elverding. dpa-AFX

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Ex-Lehman Gratzer findet Job

Ein weiterer Manager der deutschen Tochter von Lehman Brothers taucht wieder auf. Stefan Gratzer (36) leitet künftig das Aktienemissionsgeschäft im deutschsprachigen Raum für Credit Suisse. Er löst Achim Schäcker ab. Gratzer hatte die gleiche Funktion bei Lehman. Davor machte er bereits bei Morgan Stanley und Goldman Sachs Station. Auch andere Lehman-Führungskräfte wie Michael Bonacker, Hans-Martin Bury, Patrick Schmitz-Morkramer, und Christian Spieler kamen nach der Lehman-Pleite rasch wieder in Spitzenjobs unter. mhs

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Klare Verhältnisse

Das Stühlerücken beim angeschlagenen Finanzkonzern Hypo Real Estate (HRE) geht weiter. Wie das Unternehmen am Montag mitteilte, nehmen die drei letzten verbliebenen Vorstände aus der Zeit vor der Krise ihren Hut. Neben Bettina von Österreich, die sich bisher um das Risikomanagement kümmerte, räumen auch Cyril Dunne und Robert Grassinger Ende Januar ihren Platz im Vorstand der Hypo Real Estate Holding. Dunne werde aber weiterhin die krisengeschüttelte Tochtergesellschaft Depfa in Irland führen, sagte ein Sprecher. Österreich ziehe sich aus persönlichen Gründen zurück, sie erwarte ein Kind, hieß es. Ihre Nachfolgerin wird die aus dem Haus kommende Managerin Manuela Better. Bereits nach Bekanntwerden der finanziellen Schieflage der HRE im Herbst vergangenen Jahres waren der damalige Vorstandschef Georg Funke und der Aufsichtsratsvorsitzende Kurt Viermetz ausgeschieden. Gehen mussten auch die Vorstände Bo Heide-Ottosen, Markus Fell und Frank Lamby. Zuletzt verließ Thomas Glynn den HRE-Vorstand, der heute vom früheren Deutsche-Bank-Manager Axel Wieandt geleitet wird. Gesucht werden noch ein neuer Finanzvorstand und ein Leiter des Immobiliengeschäfts. SZ/Reuters

Bettina von Österreich Foto: oh

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Wechsel bei Böwe

Der Vorstandsvorsitzende von Böwe Systec gibt - knapp zwei Monate nach seinem Abschied von der Muttergesellschaft Wanderer-Werke - auch die Leitung des Kuvertiermaschinenherstellers ab. Claus Gerckens werde das Augsburger Unternehmen Ende des Monats aus persönlichen Gründen verlassen, teilte Böwe mit. Nachfolger wird Oliver Bialowons. Der 40-Jährige hatte bereits Anfang Dezember Gerckens Nachfolge bei den Wanderer-Werken angetreten und war damals auch in den Böwe-Vorstand berufen worden. Er verantwortete seither das operative Geschäft. SZ

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Ein Herz für Hummel

Jörg Köster, Chef der Höchster Porzellanmanufaktur, will die berühmte Porzellanfigurenmarke reanimieren

Im vorigen Herbst schien alles vorbei zu sein. Ende Oktober stoppte die Porzellanmanufaktur Goebel aus Rödental bei Coburg nach einem drastischen Einbruch der Nachfrage die Produktion der weltberühmten Hummel-Figuren. Händler informierten Kunden in ihren Schaufenstern und Regalen mit Hinweisschildern über das Ende der kunsthandwerklich hergestellten Figuren mit dem liebreizend kindlichen Aussehen, die vor allem bei Sammlern in aller Welt begehrt waren. Goebel schloss auch die Club-Zentrale der Marke Hummel. Deren Mitglieder warten seither auf "neue Investoren", so Clubleiter William Nelson.

Doch nun scheint eine Rettung nahe, ein Investor gefunden, der die Marke wieder aufleben lassen will. Sein Name: Jörg Köster. Der 48 Jahre alte studierte Betriebswirt ist seit acht Jahren Geschäftsführer der traditionsreichen Höchster Porzellanmanufaktur - einst kurfürstlich-mainzische Manufaktur - und mit einem Anteil von 51 Prozent auch deren Mehrheitseigentümer. Die Übernahme von Goebel allerdings, sagt er, sei "eine reine Privatsache. Mit der Firma hat das nichts zu tun." Das ist ihm wichtig. Seine Mitgesellschafter bei der Höchster Porzellanmanufaktur, die Investitionsbank Hessen, die die restlichen 49 Prozent hält, seien über das Hummel-Vorhaben informiert, aber nicht daran beteiligt.

Köster, der im Rheinland geboren und aufgewachsen ist und über sich selbst sagt, er sei "ein fröhlicher Mensch", hat sich nämlich zuletzt mächtig geärgert. Denn es waren Meldungen verbreitet worden, die Höchster Porzellanmanufaktur mit 30 Beschäftigten und einem Umsatz von drei Millionen Euro würde die Hummel-Fertigung mit noch 340 Beschäftigten übernehmen. Der Manager stellt klar: "Das stimmt nicht. Ich persönlich bin der Investor." Noch sei auch nichts entschieden, die Verhandlungen liefen noch. Er hofft aber, dass in den nächsten Tagen "alles perfekt ist".

Was ihn an der Marke Hummel und den Figuren reizt? Es ist wohl die Mischung aus der Herausforderung und dem festen Glauben an die Rettung eines Geschäfts, das viele Jahrzehnte prächtig gelaufen war, aber stark unter dem Einbruch der Nachfrage nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington gelitten hat. "Wir haben die Höchster Porzellanmanufaktur wieder profitabel gemacht", sagt Köster. "Dieses Wissen und diese Erfahrung kann ich auch in Hummel investieren. Ich bin überzeugt, dass die Marke Hummel sehr viel Potential hat".

Marken haben es dem fröhlichen Rheinländer angetan. "Ich bin ein Marken-Mann", sagt er. Nach dem Studium an der Fachhochschule Düsseldorf hat er für Bayer, die Kosmetikfirma Revlon und das Modeunternehmen van Laack gearbeitet, bevor er bei der Porzellanmanufaktur landete. Über seine Pläne für Hummel möchte er noch nicht sprechen. Er will warten, bis die Tinte unter den Übernahmeverträgen trocken ist. Da gibt sich der Porzellan-Manager vorsichtig. Es ist aber wahrscheinlich, dass er die Fertigung der Figuren an deren Heimatort in Rödental belässt. Auch Nelsons Club-Zentrale hätte dann wieder eine Zukunft.Harald Schwarz

"Eine reine Privatsache": Die Übernahme will Jörg Köster als Privatmann stemmen. Foto: ddp

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Angriffslustig im Palais der Männer

Als erste Frau an der Spitze des Siemens-Gesamtbetriebsrats will Birgit Steinborn alte Traditionen im Unternehmen kippen

Von Markus Balser

Der Schritt in die erste Reihe wird zäh für Birgit Steinborn. Acht Stunden? Zehn Stunden? In der Siemens-Zentrale am Wittelsbacherplatz erwarten Konzernstrategen für diesen Dienstag erneut eine Marathon-Hauptversammlung. Erstmals wird Steinborn dann in der Münchner Olympiahalle als Siemens-Aufsichtsrätin vor weit mehr als 10 000 Aktionären auf dem Podium sitzen. Für die einflussreiche Arbeitnehmervertreterin ist dies nur der Anfang. Gerade zur Vizechefin des Siemens-Gesamtbetriebsrats gewählt, soll die 45-Jährige spätestens im nächsten Jahr erneut befördert werden - an die Spitze des Konzernbetriebsrats. Sie wäre damit die erste Frau, die in einem Dax-Konzern oberste Sprecherin der Arbeitnehmer wird. Daran müssen sich auch die Manager gewöhnen.

Vorstandschef Peter Löscher dürfte ahnen, dass der Burgfriede zwischen Managern und Beschäftigten bei Siemens, seit Beginn der Korruptionsaffäre Praxis, mit seiner neuen Nachbarin zu Ende geht. Denn die Soziologin aus Hamburg gilt als angriffslustig. Verlagerungen nach Prag? "Mit mir nicht", signalisierte Steinborn. Auch dem jüngsten Stoff für Zoff weicht sie nicht aus: Aufsichtsratschef Gerhard Cromme will auf der Hauptversammlung inmitten der schweren Wirtschaftskrise über höhere Bezüge für die Konzernspitze abstimmen lassen und ganz nebenbei auch sein eigenes Honorar verdoppeln. Siemens dürfe im Wettbewerb um kluge Köpfe zwar nicht den Kürzeren ziehen, sagt Steinborn. Aber Betriebsräte müssten das Auseinanderdriften von Managerbezügen und Arbeitnehmereinkommen angehen und mit guten Tarifabschlüssen die Einkommen der Beschäftigten endlich erhöhen.

Im Rücken des Vorstands

Steinborn spricht bedacht, lässt Worte statt Gesten sprechen. Erst Anfang Januar hat sie ihr neues Büro im Rücken des Siemens-Vorstands bezogen - in einem Nachbargebäude der noblen Konzernzentrale, dem Palais am Wittelsbacherplatz. Erst vor zwei Monaten war mit Barbara Kux erstmals seit 161 Jahren eine Frau in den Konzernvorstand eingezogen. Kollegen spüren, dass die Karrieren der Erfolgsfrauen im Industriekonzern mancherorts auf Skepsis stoßen. Steinborn wundert das nicht: "Gleichberechtigung ist noch immer nicht erreicht." Dass mit Angela Merkel erstmals eine Frau Bundeskanzlerin sei, setze Zeichen. Aber es gebe Nachholbedarf. "Auch Siemens ist noch immer ein konservativer Konzern", sagt Steinborn.

Während sich die Siemens-Führung um Konzernchef Peter Löscher und Aufsichtsrat Gerhard Cromme noch für den vergleichsweise glimpflichen Ausgang der Korruptionsermittlungen in den USA loben lässt, glaubt Steinborn, dass es nur ein kurzer Moment des Hochgefühls werden wird.

Je tiefer sich die Finanzkrise in die reale Wirtschaft hineinfrisst, je mehr Betriebe über rückläufige Aufträge klagen und je häufiger Unternehmen die Bänder für Wochen anhalten wollen, desto schwieriger wird auch die Arbeit der Betriebsräte. "Die Wirtschafts- und Finanzkrise stellt die Industrie vor gewaltige Probleme. Aber wir werden dafür kämpfen, dass die Mitarbeiterzahl in Deutschland nicht weiter zurückgeht." Die Gefahr weiterer Einschnitte sieht Steinborn auch nach dem offiziellen Abschluss des größten Umbaus in der Konzerngeschichte nicht gebannt: "Es wird weitere Veränderungen geben."

Steinborn sagt von sich selbst, sie sei keine ideologisch geprägte Klassenkämpferin. Sie zähle zur neuen Generation von Betriebsräten, die früh an Konzernentscheidungen beteiligt werden will. Mancher Manager habe zu stark auf die Kapitalmärkte und zu wenig auf langfristige Konzernziele geschaut, sagt Steinborn. Betriebsräte müssten vom Reagieren zum Agieren übergehen. "Wir müssen stärker in Managemententscheidungen einbezogen werden. Und wir werden dafür kämpfen, dass das passiert - notfalls auch mit juristischen Mitteln."

Steinborn hat fast ihr gesamtes Berufsleben bei Siemens verbracht. 1978 startete sie eine Lehre in Berlin, studierte später Soziologie und stieg im Vertrieb des Konzerns wieder ein. Seit 1990 ist sie Betriebsrätin bei Siemens in Hamburg. Was sich in der Konzernkultur seitdem zwischen Management und Mitarbeitern geändert hat? "Die Sozialpartnerschaft bröckelt", klagt die Betriebsrätin. "Der Umgang mit den Beschäftigten wird härter."Für Unternehmen könne das zum Problem werden. "Eine Firma wie Siemens lebt doch davon, dass sich die Mitarbeiter voll mit ihrem Konzern identifizieren."

Der Ärger über den Korruptionsskandal und die illegale Förderung der Betriebsräteorganisation AUB ist im Betriebsrat noch immer groß. Die Ansagen des neuen Managements seien zwar klar, sagt Steinborn: Der Aufbau einer Gegengewerkschaft werde verurteilt. "Aber bis zur letzten Führungskraft hat sich das noch nicht herumgesprochen. Der Kulturwandel ist noch nicht abgeschlossen." Steinborn will ihn weiter vorantreiben und dabei auch Konflikte mit dem Management riskieren. "Ich bin streitbar, nicht streitlustig."

"Ich bin streitbar, nicht streitlustig", sagt Birgit Steinborn. Foto: Alessandra Schellnegger

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FORUM

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Neue Sorgen für Sparer

Nach der Pleite der US-Bank Lehman im vergangenen September fragten sich viele Deutsche: Wie sicher ist mein Geld bei der Bank? Daraufhin gab Kanzlerin Angela Merkel eine Staatsgarantie auf alle Spareinlagen und die Frage trat in den Hintergrund. Doch inzwischen erschüttern das Finanzsystem neue Schockwellen: Banken melden weltweit weitere Milliarden-Verluste, die Staaten springen mit immer mehr Steuergeld ein. Daher besteht neuer Anlass zur Sorge: Wie lange können die Staaten diese Hilfe durchhalten? Und: Wie sicher ist das Geld bei der Bank, wenn sie es nicht mehr schaffen?

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Abwrackprämie: Regeln konkretisiert

München - Von diesem Dienstag an will das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) das Antragsformular für die Abwrackprämie ins Internet stellen (www.bafa.de). Zuvor wurden die Regeln für Jahreswagen konkretisiert. Zuerst hieß es, ein Jahreswagen komme in den Genuss der Förderung, wenn er längstens ein Jahr auf einen in Deutschland niedergelassenen Kfz-Händler oder -Hersteller zugelassen war. Nun schob das Bafa nach, diese Jahresfrist gelte "zurückgerechnet vom Zeitpunkt der Zulassung auf den Antragsteller". Neu ist außerdem, dass nun auch Jahreswagen gefördert werden, die auf Werksangehörige eines Herstellers oder auf eine Autobank zugelassen waren. mvö

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Eine Villa mit Meerblick für 100 Dollar

Mit der Pleite von Lehman Brothers löste Richard Fuld die Finanzkrise erst richtig aus. Jetzt überschrieb er ein 13 000-Quadratmeter-Anwesen an seine Frau

Von Alexander Hagelüken

München - Als Richard "Dick" Fuld im Oktober vor dem US-Kongress aussagen musste, gab sich der Vorstandschef von Lehman Brothers zerknirscht. Die Pleite seiner Bank hatte gerade sehr viele Menschen auf dem ganzen Globus verunsichert, die sich für Nachrichten von Banken sonst weniger interessieren. Aktienkurse kollabierten, Steuerzahler pumpten Milliarden in wackelnde Geldhäuser und eine Wirtschaftskrise zog herauf, die Millionen Arbeitsplätze kosten könnte.

"Ich wache jede Nacht auf und denke darüber nach, was ich falsch gemacht haben könnte", erklärte Richard "Dick" Fuld. So zerknirscht Fuld auch wirken wollte - "gemacht haben könnte" klingt kaum nach Reue. Der Ausschuss-Vorsitzende Henry Waxman stellte eine ganz einfache Frage. Er zählte die knapp 500 Millionen Dollar auf, die der 62-Jährige im Laufe der Jahre als Gehalt, Bonus oder Aktienoption von seiner Bank kassiert hatte. "Das ist für viele Menschen schwer zu verstehen", sagte Waxman. "Finden Sie das fair?"

"Das ist der älteste Trick"

Fuld wich der Frage aus. Er besitze ja nur noch 350 Millionen Dollar. Waxman zählte seine Besitztümer auf: Eine Residenz vor New York, ein Apartment in Manhattan, eine Skihütte in Idaho, eine Villa in Florida. Wie sich nun herausstellt, ist Richard "Dick" Fuld schwer darum besorgt, wenigstens ein einzelnes Individuum unter Millionen Betroffenen vor der Krise zu schützen: Sich selbst. Wenige Wochen nach der Aussage vor dem Kongress überschrieb er die Villa auf der Jupiter-Insel vor Florida voll an seine Frau. Die Luxusimmobilie mit Meeresblick hatten die beiden vor fünf Jahren für 13 Millionen Dollar erworben. Frau Kathleen bekam das gute Stück nun für 100 Dollar, wie offizielle Dokumente nahelegen.

"Das ist der älteste Trick von allen", sagt ein Anwalt in Florida. "Wenn Du Deine Gläubiger kommen hörst, übertrage Dein Vermögen an Deine Frau". Über Schulden Fulds ist zwar nichts bekannt, aber er fürchtet wohl, dass wegen der Pleite der 158 Jahre alten Investmentbank nach seinen Besitztümern getrachtet wird. Die amerikanischen Behörden ermitteln, ob Richard "Dick" Fuld die prekäre Lage seines Geldhauses vor der Pleite verschleiert hat. Anwälte dürften ihn mit Schadensersatzklagen überziehen. Dann könnte der ehemalige Lehman-Chef einen großen Teil seines Vermögens verlieren. Die Villa in Florida aber wäre vorerst sicher. "Wenn sie in Schwierigkeiten geraten, übertragen viele Leute alles an ihre Frau", erklärt ein Insolvenzanwalt in Florida.

Richard "Dick" Fuld weiß, dass er für viele Amerikaner das hässliche Gesicht der Finanzkrise darstellt. Bei seinem Auftritt vor dem Kongress schwenkten Demonstranten Transparente, auf denen "Schande" stand. Sie beschimpften den Banker und forderten seine Inhaftierung. Fuld ist seitdem aus der Öffentlichkeit verschwunden. Als seine Frau Kathleen über die Weihnachtstage bei der Nobel-Kette Hermès shoppen ging, verlangte sie unauffällige weiße Plastiktüten, um ihre Einkäufe geheim zu halten.

Wie die New York Times herausfand, ist es ungewiss, ob Fulds Villa-Trick wirklich aufgeht. Der Staat Florida hat äußerst großzügige Gesetze, die den Eigentümer selbst im Falle des Bankrotts davor schützen, sein kleineres oder größeres Eigenheim zu verlieren. Allerdings könnte Fulds Überschreibung als Betrug gewertet werden. Und der gesetzliche Schutz hilft den Fulds womöglich nicht, weil ihr Hauptwohnsitz die Residenz in Greenwich County vor den Toren New Yorks ist.

Als Richard "Dick" Fuld im Oktober vor dem Kongress aussagen musste, zog der Ausschussvorsitzende Henry Waxman anschließend ein skeptisches Fazit: "Sie scheinen nicht einzusehen, dass sie etwas falsch gemacht haben".

Ein schöner Platz: Auf der Jupiter-Inseln vor Florida (links) hat sich der ehemalige Lehman-Chef Richard Fuld für 13 Millionen Dollar eine Villa gekauft. Jetzt übertrug er den ganzen Besitz an seine Frau Kathy (oben) - für nur 100 Dollar. Fotos: Corbis/Abacausa

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Spanische Bank erwartet "glänzende Gewinne"

Hamburg - Anders als viele ihrer Konkurrenten in Europa rechnet die spanische Santander-Bank im abgelaufenen Jahr mit "glänzenden" Gewinnen. Auch für die kommenden Jahre sei die Santander "optimistisch", sagte Banken-Chef Emilio Botin am Montag auf einer außerordentlichen Hauptversammlung. Die Gewinnsumme für 2008 nannte Botin nicht; nach früheren Angaben der Bank rechnet sie mit einem Plus von zehn Milliarden Euro. Obwohl das Institut bisher keine Verluste machte, erlitten Kunden einen Verlust von bis zu 2,3 Millionen Euro, weil die Bank einen Hedgefonds des mutmaßlichen US-Milliardenbetrügers Bernard Madoff vertrieb. AFP

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"Lieber Aktionär"

Banken senden beruhigende Botschaften an ihre Eigentümer

Von Martin Hesse

Frankfurt - Ein offener Brief, ein Chefwechsel und positive Zahlen - so haben europäische Banken am Montag ihre Aktionäre beruhigt. Die Botschaft der britischen Barclays, der französischen BNP Paribas sowie der niederländischen ING Diba kam an. Barclays-Anteile verteuerten sich binnen Minuten um mehr als 75 Prozent, ehe der Kurs wieder etwas zurückfiel. Die Aktien der ING-Gruppe legten zeitweise um ein Viertel zu, BNP Paribas verbuchten immerhin ein Plus von mehr als 17 Prozent.

Die Barclays-Aktie hatte seit Anfang Januar nahezu drei Viertel ihres Wertes verloren. Angesichts dramatischer Zahlen der Royal Bank of Scotland (RBS) war an der Börse spekuliert worden, auch Barclays müsse sich frisches Kapital holen, zur Not wie die RBS vom Staat. Nun versicherten Barclays-Chef John Varley und Aufsichtsratschef Marcus Agius, die Bank brauche kein weiteres Kapital. Auch im Krisenjahr 2008 habe die Bank Rekorderträge erwirtschaftet. Dazu tragen nicht zuletzt Teile des Nordamerikageschäftes von Lehman Brothers bei, die Barclays nach der Pleite der Investmentbank übernommen hatte.

Obwohl auch Barclays im vierten Quartal umgerechnet 8,5 Milliarden Euro abschreiben musste, rechnet die Bank vor Steuern mit mehr als 5,6 Milliarden Euro Gewinn. Sie habe damit 18 Milliarden Euro Kapitalpuffer, schrieben die Chefs weiter. Sie wehren sich ähnlich wie Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann dagegen, Kapitalhilfe vom Staat in Anspruch zu nehmen. Allerdings wollen Varley und Agius das vergangene Woche vorgelegte Angebot der Regierung prüfen, bestimmte Wertpapiere gegen Ausfälle abzusichern.

Diba macht Gewinn

Anders als Barclays hat die ING-Gruppe bereits Staatshilfe angenommen. Im Oktober stärkte die niederländische Regierung ihr Kapital mit zehn Milliarden Euro. Jetzt hat ING weitere drastische Maßnahmen angekündigt, weil im vierten Quartal ein Verlust von 3,3 Milliarden Euro am Kapital der Bank zehrt. Vorstandschef Michel Tilmant wird von Jan Hommen abgelöst, der bislang den Aufsichtsrat anführte. Außerdem wird ING 7000 seiner 130 000 Stellen abbauen. Und auch der Staat greift dem Konzern noch einmal unter die Arme: Eine Bürgschaft von 27,7 Milliarden Euro soll 80 Prozent der Ramschhypotheken absichern, die ING in den Bilanzen hat.

Die deutsche Tochter ING Diba ist von den Maßnahmen nicht direkt betroffen, profitiert aber möglicherweise von der zusätzlichen Sicherheit, die der Staatseingriff bietet. Die Direktbank hat im vergangenen Jahr 412 Millionen Euro vor Steuern verdient, zwölf Prozent weniger als im Jahr zuvor. Einerseits fließt Diba, wie anderen Anbietern, von hoch verzinsten Tagesgeldkonten wegen der Krise noch mehr Geld zu. Die Kundeneinlagen erhöhten sich um zwei Milliarden auf 64 Milliarden Euro. Zum anderen verschärft sich der Wettbewerb um Kunden, die Gewinnmargen schrumpfen. Immerhin musste die Diba anders als ihre Mutter keine Abschreibungen auf Wertpapiere vornehmen, auch ihre Kapitalbasis ist stabil. Ein Stellenabbau sei nicht geplant, sagte Diba-Chef Ben Tellings.

Überraschend gut schlagen sich die französischen Banken in der Krise. Nach der Société Générale wies nun auch BNP Paribas einen Gewinn aus. Allerdings schrumpfte er um mehr als die Hälfte auf drei Milliarden Euro. Im vierten Quartal schrieb BNP rote Zahlen. Um Befürchtungen über eine zu dünne Kapitaldecke zu zerstreuen, will die Bank den Staat mit stimmrechtslosen Vorzugsaktien im Wert von 5,1 Milliarden Euro beteiligen.

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Wie sicher ist mein Geld?

Die Banken geraten immer mehr in Schieflage, die Staaten müssen eingreifen. Bei vielen Bürgern wachsen die Sorgen

Von Marco Völklein und Hannah Wilhelm

München - Wie bedrohlich für die Banken wird die derzeitige Finanzkrise noch? Die Negativnachrichten nehmen kein Ende - mehrere in- und ausländische Institute meldeten zuletzt Milliardenverluste. Immer lauter wird auch der Ruf nach einer staatlichen "Bad Bank", bei der die Geldinstitute ihre Schrottpapiere abladen möchten. Bundesbank-Präsident Axel Weber sagte der Bild-Zeitung, es sei noch nicht gelungen, die Krise an den Finanzmärkten einzudämmen: "Es gibt derzeit immer neue Verwerfungen, mehr betroffene Segmente und neue Verluste, die zu weiterem Abschreibungsbedarf führen." Immer mehr Sparer sorgen sich deshalb erneut um ihr Geld. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Ist mein Geld jetzt unsicherer

als im vergangenen Herbst?

Im Herbst bangten angesichts der Finanzkrise viele Sparer um ihre Einlagen. Dann gab Bundeskanzlerin Merkel die Zusage der Bundesregierung, im Notfall für die Einlagen der Bürger zu haften. Diese "Merkel-Garantie" gilt nach wie vor. Daher habe sich an der Lage grundsätzlich auch nichts geändert, beruhigt Arno Gottschalk von der Verbraucherzentrale Bremen. Allerdings gilt das Eingreifen des Staates nach wie vor als "ultima ratio", als letztes Mittel - zuvor sollen eigentlich andere Systeme die Sparer absichern. Doch diese Systeme geraten mehr und mehr unter Druck - besonders jenes der privaten Geldhäuser. Und auch der Staat ist nicht grenzenlos belastbar.

Wie sicher ist das Geld

bei den Privatbanken?

Der Verband der privaten Banken unterhält einen Feuerwehrfonds, der bei einer Bankenpleite die Anleger entschädigen soll. Zu dieser Gruppe von Instituten zählen zum Beispiel Deutsche Bank und Commerzbank, aber auch kleinere private Geldhäuser. Wegen des Zusammenbruchs der US-Bank Lehman Brothers muss der Feuerwehrfonds nun einspringen. Die deutsche Lehman-Tochter hatte nämlich bei institutionellen Anleger wie Krankenkassen und der deutschen Rentenversicherung schätzungsweise 6,5 Milliarden Euro eingesammelt. Diese müssen nun entschädigt werden. Doch den privaten Banken fehlt offenbar die Kraft, dies aus eigener Kraft zu schultern: Der staatliche Bankenrettungsfonds Soffin muss nun Garantien für eine Anleihe stellen, die der Bankenverband ausgibt, um Geld für die Entschädigung einzusammeln. Abnehmer der Anleihe sind die Mitgliedsbanken des Rettungsfonds - die wiedrum hinterlegen die staatlich garantierten Anleihen als Sicherheit bei der Bundesbank, von der das Geld kommt. Der Staat gibt sich quasi selbst seine Sicherheiten. "Das sieht in der Tat nicht sonderlich stabil aus", erklärt Verbraucherschützer Gottschalk. Und ein anderer Experte ergänzt: "Das System ist nur dafür geschaffen, kleinere Institute zu retten."

Wie sieht es bei Sparkassen

und Genossenschaftsbanken aus?

Diese beiden anderen Säulen des deutschen Kreditwesens stehen auf etwas festeren Fundamenten. Ihre Sicherungssysteme funktionieren auch nach einem anderen Prinzip: Sie sind darauf ausgelegt, angeschlagene Banken komplett zu stützen oder ganz zu übernehmen. Zudem gebe es Sicherungsmaßnahmen, die greifen, bevor eine Bank in Schieflage gerät. Fachleute weisen aber darauf hin, das die Sparkassen Miteigentümer der ebenfalls stark angeschlagenen Landesbanken sind. Die Landesregierungen seien auch deshalb so bemüht, ihre jeweiligen Landesbanken zu stabilisieren, um nicht auch noch die Sparkassen ins Trudeln zu bringen, heißt es.

Kann man der

Merkel-Garantie noch trauen?

Die Zusage der Bundeskanzlerin, im Notfall werde der Staat für die Einlagen der Bürger geradestehen, ist lediglich eine politische Absichtserklärung, keine juristisch einklagbare Zusage, betont Verbraucherschützer Gottschalk - und sie bezieht sich auch nur auf private Spareinlagen, nicht auf Unternehmenskonten. Aber ohne diese Zusage "hätten wir wirklich ein Problem", sagt Gottschalk. Sollte die Regierung dieses Versprechen aber im Notfall nicht einlösen, "wäre sie am nächsten Tag wohl eine Ex-Regierung".

Wie lange hält der

Staat das durch?

Eine Frage, die sich viele Menschen stellen. Ständig werden neue Rettungsprogramme für Branchen und Banken geschnürt, weitere Konjunkturpakete verabschiedet - das bringt ein Land irgendwann an seine Grenze (Beitrag unten). "Der Staat kann nicht unbegrenzt Schulden machen", sagt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. "Aber in Deutschland müssen wir uns weniger Sorgen machen als beispielsweise in Großbritannien."

Wie sicher sind Auslandsbanken?

Milliardenverluste der niederländischen Bank ING und der französischen BNP Paribas (Artikel rechts) können auch deutsche Kunden treffen. Beide Häuser haben deutsche Tochtergesellschaften, die Onlinebanken ING-Diba und Cortal-Consors. Allein ING-Diba verwaltet gut 60 Milliarden Euro von insgesamt 6,3 Millionen deutschen Kunden, bei Cortal-Consors liegen fünf Milliarden Euro von 600 000 Deutschen. Gibt es für sie Grund zur Sorge? Im Notfall ist das Geld dort genauso gesichert wie bei großen deutschen Banken. Die ING-Diba ist Mitglied im Feuerwehrfonds der deutschen Privatbanken. Bei einer Bankpleite würde zunächst die deutsche gesetzliche Sicherung haften, anschließend der Feuerwehrsfonds der Banken; ob dafür wieder eine staatliche Garantie nötig wäre, kann niemand verlässlich sagen.

Auch Cortal-Consors ist Mitglied des Feuerwehrfonds. Im Falle einer Insolvenz greift aber zunächst die von Frankreich gesetzlich vorgeschriebene Einlagensicherung: Für die ersten 70 000 Euro steht die gesetzliche Sicherung Frankreichs gerade. Wer mehr als diesen Betrag investiert hat, bekommt den Rest vom Sicherungsfonds ersetzt.

Dass bei ausländischen Banken der Teufel im Detail steckt, zeigt gerade der Fall der isländischen Kaupthing Bank: Dort geht der isländische Einlagensicherung das Geld aus, um deutsche Kunden zu entschädigen. "Aber Frankreich ist sicher nicht mit Island zu vergleichen", beruhigt Thomas Bieler von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. "Wir alle haben aus der Krise gelernt: Wenn man heute Tagesgeld anlegen will, sollte man sich detailliert über die Einlagensicherung und auch über die wirtschaftliche Lage des Landes informieren, in dem die Bank ansässig ist."

Der Fall Kaupthing zeige aber auch, dass die Zusage der Bundesregierung sehr wohl belastbar sei, ergänzt Achim Tiffe vom Hamburger Institut für Finanzdienstleistungen. Denn Deutschland hat dem Pleitestaat Island einen Kredit über 308 Millionen Euro eingeräumt, um die deutschen Sparer entschädigen zu können. Dass das Geld bislang noch nicht geflossen ist, liegt eher an der unklaren politischen Lage in Reykjavik als an nicht vorhandenen Mitteln.

Ist es sinnvoll, meine Einlagen auf verschiedene Banken zu streuen?

Manche Anleger beginnen angesichts der wachsenden Unsicherheit, ihr Geld auf verschiedene Tagesgeldkonten zu verteilen: Ein Drittel bei einer Sparkasse oder Genossenschaftsbank, ein Drittel bei einer Privatbank, ein Drittel bei einer ausländischen Bank. "Das kann durchaus sinnvoll sein", sagt Nauhauser. "So streut man die Risiken." Andererseits räumt er ein: "Wenn tatsächlich Deutschland jemals in Zahlungsschwierigkeiten kommen sollte, erwischt es wohl auch die anderen europäischen Länder."Anleger sollten deshalb auf jeden Fall ihr Geld in verschiedenen Anlageklassen streuen - also nicht nur auf Geld-, sondern auch auf Sachwerte setzen.

SZ-Collage / Fotos: dpa,ddp

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Schulden über Schulden

Die Regierungen springen mit unvorstellbaren Summen für Kreditinstitute und Konjunktur ein. Wenn sich Länder übernehmen, können sie bankrott gehen

Von Simone Boehringer

München - Unterhalb von zweistelligen Milliardenstützen vom Staat läuft in Europa so gut wie nichts mehr. In Amerika will Präsident Barack Obama sogar 800 Milliarden Dollar aufbringen, um die Wirtschaft vor dem Absturz zu bewahren. Solche Dimensionen sind bislang einmalig. Aber ein Ende der Interventionen ist nicht in Sicht und die Staaten müssen aufpassen, dass ihnen die Krise nicht selbst zum Verhängnis wird.

In Deutschland etwa soll die Höhe der Neuverschuldung im laufenden Jahr auf bis zu 50 Milliarden Euro steigen. Die Gesamtverschuldung des Landes beträgt schon jetzt knapp 1,6 Billionen Euro. Zum Vergleich: Die Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik liegt bei 2,5 Billionen Euro. Für die aufgelaufene Zinslast gibt der Bund jeden sechsten Euro aus.

Kanzlerin Angela Merkel stellte kürzlich fest: "Es gibt das Gerücht, dass Staaten nicht pleitegehen können. Dieses Gerücht stimmt nicht." Zwar ist die Bundesrepublik als einer der besten Schuldner der Welt von einer Schieflage noch weit entfernt. Doch zum einen agiert die Bundesregierung in der europäischen Währungsunion nicht alleine. Der Wert des Euro und die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) spiegelt die Wirtschaftskraft aller 15 Mitgliedsländer wider, zu denen auch klamme Kandidaten wie Spanien und Italien gehören. Andererseits gehört das Bankensystem in Deutschland mit einer Bilanzsumme von acht Billionen Euro zu den größten der Welt. Die vergebenen Kredite von Deutscher Bank und Co. machen mehr als das Dreifache der Wirtschaftsleistung aus. Zum Vergleich: In den USA belaufen sich die Forderungen der Kreditinstitute in etwa auf Höhe dessen, was die Amerikaner binnen eines Jahres erarbeiten. Das bedeutet: Dreht sich die Abwärtsspirale weiter nach unten, könnten die Verluste der Finanzbranche hierzulande ungleich stärker zu Buche schlagen als anderswo.

Dass die großen Industriestaaten überhaupt so hohe Schulden machen können, um die Krise zu bekämpfen, liegt an deren besonderen Gläubigerposition. Im Unterschied zu Privatpersonen oder Unternehmen können Regierungen Kredite aufnehmen, die erst Generationen später abbezahlt werden. Genaugenommen ist dies längst die Regel, selbst in normalen Zeiten. Schulden werden kaum zurückgeführt, sondern durch neue ersetzt.

Technisch funktioniert Staatsverschuldung, indem die jeweilige Regierung Anleihen herausgibt. Dies kann sie theoretisch unendlich oft machen, solange Investoren, meist Banken oder andere Länder, ihr die Papiere abkaufen. Mit steigender Verschuldung muss der Staat allerdings eine immer höhere Zinslast tragen, was den Spielraum für andere Aufgaben einschränkt. Finden sich am Kapitalmarkt nicht mehr genügend Käufer, kann sich eine Regierung auch bei der Notenbank verschulden.

Gibt etwa die EZB im Gegenzug für Anleihen zusätzliches Geld aus, kann dies je nach Umfang aber preistreibend wirken. Das bedeutet: Höhere Inflation. Eine Sonderstellung als Schuldner nehmen die USA ein. Als Herausgeber der Weltleitwährung konnten sie sich bislang problemlos im Ausland verschulden. Vor allem führende Länder in Asien wie China und Japan kauften bereitwillig US Treasuries in Billionenhöhe auf und finanzierten so ihre Warenexporte nach Amerika. Doch mit der jüngsten Leitzinssenkung auf null ist die Rendite auf US-Staatstitel uninteressant niedrig geworden. Bleibt die Federal Reserve: Sie kann dem Staat Dollarguthaben gegen Anleihen einräumen. Geschieht dies in großem Stil, dürfte es allerdings nur eine Frage der Zeit sein, bis der Dollar ins Bodenlose fällt. Wenn aber die Amerikaner ihre Konjunkturprogramme nicht mehr finanziert bekommen, hat die Welt ein Problem. Und Merkels Feststellung könnte sich erfüllen.

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Heute bei

Spielen Sie Klinsmann!

Waren Sie nicht schon immer der bessere Klinsmann? Helfen Sie dem Bayern-Trainer vor dem Pokal-Hit in Stuttgart - in unserem neuen Trainerspiel.

www.sueddeutsche.de/trainer

"Blut muss fließen!"

Martialisch und selbstherrlich, wutentbrannt und unfreiwillig witzig: Zitate von und über Wilhelm II. zum 150. Geburtstag des letzten deutschen Kaisers. www.sueddeutsche.de/wilhelm

Foto: ddp

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Foto: dpa

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Farbtupfer in der Krise

Nachdem die Designer in Mailand Molltöne angestimmt und dem Herrn für den kommenden Winter Schwarz und Grau verordnet haben, geht die Depression in Paris weiter. Wegen der Wirtschaftskrise wurden die Haute Couture-Schauen, die seit Montag laufen, deutlich abgespeckt: Statt wie bisher an vier Tagen finden sie nur noch an drei Tagen statt. Vertreten sind die großen Namen Dior, Chanel, Lacroix, Givenchy, Gaultier und Valentino, vor allem kleine Labels fehlen. Stellvertretend für sie erklärte die Designerin Anne Valerie Hash, sie können nicht teilnehmen, solang sie bangen müsse, ob sie ihre Angestellten bezahlen könne. Immerhin zum Auftakt zeigte sich Paris heiter: Franzose Stephane Rolland präsentierte ein raffiniert gebauschtes Kleid in Feuerrot. Foto: dpa

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Zwei Jugendliche sterben bei Amoklauf vor US-Club

Washington - Ein Amokläufer hat vor einer Diskothek in Portland im US-Staat Oregon zwei Mädchen erschossen und sieben weitere Menschen verletzt. Nach der Bluttat vom Samstag habe sich der 24-Jährige eine Kugel in den Kopf geschossen, aber schwer verletzt überlebt, berichtete die Seattle Times am Montag. Das Motiv ist noch unbekannt. "Auf den ersten Blick erscheint es wie ein wahlloser Akt der Gewalt", sagte Polizeichefin Rosie Sizer der Zeitung. Die meisten Opfer gehörten zu einer Gruppe Jugendlicher, die sich zu einer Geburtstagsfeier an der Disco getroffen hatten. Bei den Getöteten handelt es sich um ein 16-jähriges Mädchen aus Portland und eine 17-jährige Austauschschülerin aus Peru. dpa

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Weiterer Mordverdacht gegen Messerstecher

Brüssel - Der Messerstecher, der am Freitag in einer belgischen Kinderkrippe zwei Babys und eine Betreuerin ermordet hat, steht unter Verdacht, bereits eine Woche vor dem Blutbad eine 73-jährige Frau getötet zu haben. "Unsere Beweise sind eindeutig mehr als ausreichend", sagt Staatsanwalt Christian Du Four. Fahnder suchten am Montag den Tatort nach DNS-Spuren ab. Die Frau war in ihrer Wohnung erstochen worden, während ihr Mann bei Nachbarn zu Besuch war. Der Fall ließ die belgische Polizei ratlos zurück, weil es kein offensichtliches Motiv für die Tat gab. Auch zu dem Motiv für das Blutbad in der Kinderkrippe verweigerte der beschuldigte Kim De G. bis zum Montagnachmittag die Aussage. Da er sich außerdem weigert, zu essen und zu trinken, wird er im Gefängnis von Brügge künstlich ernährt.mkf

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Millionendiebstahl im KaDeWe

Berlin - Die Diebe wussten offenbar genau, wohin sie wollten. Sie kletterten auf ein Vordach an der Berliner Einkaufsmeile Tauentzien, stiegen über den ersten Stock in das Berliner Nobelkaufhaus KaDeWe ein und steuerten die Schmuck- und Uhrenabteilung im Erdgeschoss an. Dort hebelten Unbekannte am Wochenende mehrere Schränke der Juwelierfirma Christ auf, zertrümmerten Glasvitrinen und stahlen Uhren und Schmuck im Wert von etwa einer Million Euro. Die Polizei bestätigte den Diebstahl, den ein Sicherheitsmann am Montagmorgen gegen sechs Uhr gemeldet hatte. Offen blieb zunächst noch, ob die kostbaren Objekte und Vitrinen nicht mit einem elektronischen Alarm gesichert waren oder ob das Alarmsystem womöglich versagt hatte. "Das wird jetzt natürlich überprüft", sagte ein Polizeisprecher. Im KaDeWe wollte man keine Angaben zu den Sicherheitssystemen des Hauses machen. "Es gibt genug Sicherheit", hieß es hier nur. lion

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DIE FRAGE

Wie kommt ein Auto in ein Kirchendach?

Ungewöhnlicher Anblick für die sächsische Polizei: Bei einem Unfall in der Gemeinde Limbach-Oberfrohna in der Nacht zum Montag ist ein Skoda Oktavia im Dach der Stadtkirche gelandet.

Frank Fischer, Polizeidirektion Chemnitz-Erzgebirge: "Der Fahrer war mit stark überhöhter Geschwindigkeit unterwegs. An einer Abzweigung fuhr er einfach geradeaus, eine etwa einen Meter hohe Böschung hinauf. Die wirkte wie eine Sprungschanze: Der Wagen stieg sieben Meter hoch, flog 35 Meter weit durch die Luft und landete schließlich im Dach der Stadtkirche Limbach-Oberfrohna. Die Feuerwehr barg zunächst den schwer verletzten Fahrer, der Wagen wurde mit einem Kran aus dem Kirchendach geholt. Dort ist jetzt ein riesiges Loch. Wie hoch der Schaden ist, wissen wir noch nicht."

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LEUTE

Robbie Williams, 36, Sänger, kommt nicht zu Take That zurück. Das hat die Heilbronner Stimme von Bandmitglied Howard Donald erfahren. "Es gibt dafür keine Pläne", sagte der. Wenn überhaupt, könne er sich Gastauftritte von Williams vorstellen. Williams hatte Take That 1995 im Streit verlassen und lebt seit fünf Jahren in Kalifornien. Dort arbeiteten auch die vier verbliebenen Bandmitglieder an ihrem aktuellen Album. Dabei war es zu Treffen mit Williams gekommen, was die Spekulationen noch verstärkt hatte.

Chris Ogle, 29, Neuseeländer, hat vertrauliche Daten der US-Streitkräfte auf einem MP3-Player gefunden, den er für neun Dollar in einem Second-Hand-Shop in Oklahoma gekauft hatte. Auf dem Datenträger fand er ein 60-seitiges Dokument mit vertraulichen Daten von US-Soldaten und Angaben zu Lieferungen von Ausrüstung an Stützpunkte der Armee. "Je mehr ich mir die Datei angeguckt habe, umso klarer wurde mir, dass ich sie nicht hätte sehen dürfen", sagte Ogle.

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Von wegen Toleranz

Gerade in Berlin, das als Metropole für Homosexuelle gilt, nehmen Übergriffe auf Schwule und Lesben zu

Von Laura Weißmüller

Berlin - Der 23-Jährige hatte keine Chance. Fünf Männer schlugen auf ihn ein; selbst als er bereits bewusstlos auf der Straße lag und stark blutete, malträtierten ihn die unbekannten Täter mit Fußtritten weiter. Ein Freund, der dem Bewusstlosen zu Hilfe eilen wollte, wurde selbst angegriffen. Mit Schädelbruch, schweren Verletzungen im Gesicht und Hirnblutungen musste der junge Mann in einem Berliner Krankenhaus notoperiert werden.

Die Übergriffe auf Schwule und Lesben in der Stadt werden zahlreicher und brutaler. Manchmal reicht es auch schon, sich nur in der Nähe eines Schwulenlokals aufzuhalten, um zur Zielscheibe zu werden. So wie dem 23-jährigen Schwulen, der vergangene Woche im Berliner Bezirk Schöneberg verprügelt wurde, erging es im Herbst einem 33-Jährigen, der auf offener Straße von zwei jungen Männern in Kreuzberg angegriffen wurde und einen Kieferbruch erlitt. Kurz darauf wurde in Lichtenberg ein lesbisches Paar attackiert, Ende Dezember gab es einen Überfall auf eine Schwulenkneipe in Potsdam.

"Wir hatten eine ganze Serie von Übergriffen", sagt Kathrin Doumler vom Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD). Zusammen mit Maneo, dem Anti-Gewalt-Projekt in Berlin, hat der LSVD am Samstag eine Mahnwache am Tatort des aktuellsten Überfalls organisiert. Dass sich gerade in so traditionell liberalen Bezirken wie Kreuzberg und Schöneberg die homophoben Gewalttaten häufen, sei traurig - und auch logisch: "Schwule und Lesben sind gerade hier sichtbarer und damit ein leichter Angriffspunkt", sagt Doumler. Ein pauschales Täterprofil - männlich, jung, Migrationshintergrund - lehnt sie ab. Auch wenn gerade junge Männer mit einem arabisch-patriarchalisch ausgeprägten Wertesystem häufig Probleme mit Homosexualität haben.

Interne Statistiken der Berliner Polizei weisen ebenfalls auf einen Anstieg der Übergriffe hin: Zählte man 2005 hier noch 15 Fälle von Hasskriminalität aufgrund der sexuellen Orientierung des Opfers, waren es zwei Jahre später mit 43 fast dreimal soviel. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen: Wie die jetzt veröffentlichte Maneo-Umfrage unter 17 500 schwulen und bisexuellen Jugendlichen und Männern in Deutschland ergab, verständigen nur 11,7 Prozent der Opfer die Polizei, wenn ihnen Gewalt angetan wird.

"Übergriffe hat es schon immer gegeben", sagt Bastian Finke, Projektleiter von Maneo. Der Soziologe arbeitet seit mehr als 19 Jahren in dem Anti-Gewalt-Projekt, Homophobie ist Finkes Spezialgebiet. Doch der 48-Jährige formuliert seine Sätze vorsichtig, wenn es um die aktuellen Übergriffe geht. Zwar könne man eine Zunahme feststellen, die sich auch als "gefühlte Zunahme" in der homosexuellen Szene niederschlage, trotzdem möchte er nicht von einer Tendenz sprechen. Die Gewalt gegen Schwule und Lesben sei vielmehr anhaltend hoch, aber erst jetzt würden Politik und Medien sie ernst nehmen.

Die alltägliche Bedrohung

Wie ernst die Gefahr ist, dokumentiert Finke anhand von Fotos von Opfern: Fünffach gebrochene Kiefer, tiefe Schnittwunden im Gesicht und am Körper sind da zu sehen. "Die Bedrohung gehört zur Alltagserfahrung bei Schwulen und Lesben. Doch bis jetzt ist das immer untergegangen," sagt Finke. Das liegt auch daran, dass es keine offiziellen Zahlen gibt. Homophobe Gewalt taucht in Deutschland außerdem in keiner bundesweiten Kriminalstatistik auf. Anders ist es in den USA: Dort werden Straftaten gegen die sexuelle Orientierung, "Hate Crimes" genannt, gesondert erfasst.

Dabei muss das Ausmaß an Gewalt gegen Homosexuelle enorm sein: In der Maneo-Umfrage gaben mehr als 40 Prozent der Schwulen an, innerhalb der vergangenen zwölf Monate Gewalt erlebt zu haben. Am häufigsten betroffen sind junge Homosexuelle. In der sensiblen Phase der Pubertät, in der die Jugendlichen durch ihr Coming-out zusätzlich verletzbar sind, führt das oft zu schweren Traumatisierungen. Dazu kommt, dass Opfer vorurteilsmotivierter Hassgewalt stärker leiden: Die Täter greifen sie in ihrer Identität als Schwuler oder Lesbe an. "Das erschüttert den Betroffenen oft sehr viel mehr als ein Raubüberfall," sagt Finke. Wie schnell der Einzelne mit dem Gefühl der Ohnmacht fertig wird, hänge auch davon ab, wie das Umfeld reagiere.

Gerade deswegen sind Aufklärung und öffentliche Sensibilisierung so wichtig - und haben nicht zuletzt Erfolg: Ein Bremer Lehrer bemerkte auf seinem Schulhof viele schwulenfeindliche Ausfälle. Eine Befragung unter den Schülern ergab, dass 40 Prozent der muslimischen, 23 Prozent der katholischen und zwölf Prozent der evangelischen Jugendlichen Homosexualität für eine Krankheit hielten. Bei den Nichtgläubigen waren es knapp elf Prozent. Nachdem sich die Schüler ein halbes Jahr mit Homophobie beschäftigt hatten, fanden zwar viele Homo-Küsse immer noch "ekelhaft". Aber zumindest auf dem Schulhof wurden Lesben und Schwule nicht mehr angefeindet.

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Spätes Vaterglück für Brückenechse "Henry"

Wellington - Die Brückenechse Henry ist im Alter von 111 Jahren in Neuseeland erstmals Vater geworden. Im Museum von Invercargill schlüpften seit dem Wochenende elf Echsenbabys, berichteten Lokalmedien am Montag. Die Kleinen seien putzmunter, sagte Kurator Lindsay Hazley der Southland Times, den Vater halte man aber vorsichtshalber von ihnen fern. Das Tier ist mit seinen 111 Jahren auch im Echsenreich ein Methusalem - die grünlich-braunen Brückenechsen werden in freier Wildbahn etwa 60 Jahre alt. Henry lebt seit 1970 in dem Museum und galt lange als aggressiver Eigenbrötler, bis man ihm Mildred vorstellte. Die Echsendame, auch schon 70, verdrehte Henry offenbar den Kopf. dpa

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Die Toten von Trabzon

In der Türkei sind zehn Bergsteiger in einer Lawine gestorben, acht von ihnen kamen aus der Stadt am Schwarzen Meer

Von Kai Strittmatter

Istanbul - Unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit wurden am Montag in der Stadt Trabzon die tags zuvor von einer Lawine getöteten türkischen Bergsteiger zu Grabe getragen: Acht der zehn Toten stammten aus der Schwarzmeerstadt, die anderen werden an diesem Dienstag in Giresun begraben. Das Unglück beherrschte auch am Montag die Nachrichten in der Türkei; aus Ankara reisten Minister und Parlamentarier zur Beerdigung an. Eine der Trauerreden hielt der Gouverneur von Trabzon, der selbst Mitglied im Tennis-, Ski- und Bergsteigerklub der Stadt war, zu dem die Opfer gehörten.

Die Gruppe von 18 Bergsteigern war in die Zigana-Berge in der Provinz Gümüshane gereist, um dort zu wandern. Die Zigana-Berge trennen die Schwarzmeerküste vom Landesinneren, die Sportler aus Trabzon übernachteten in einem Hotel in 2200 Metern Höhe. Am Sonntagmorgen gegen neun Uhr brachen sie zu einer Tour auf, schon eine halbe Stunde später löste sich die Lawine. Sie riss einen großen Teil der Gruppe mit sich, zwei der Verschütteten konnten noch verletzt geborgen werden, die anderen nur noch tot. Nun wird über die Ursache des Unglücks debattiert. Einige machten das wärmere Wetter der letzten Tage verantwortlich.

Andere spekulierten, ob vielleicht der Schuss aus der Waffe eines Wilderers die Lawine ausgelöst haben könnte, was die meisten Experten jedoch für unwahrscheinlich halten. Der bekannte türkische Bergsteiger Nasuh Mahruki warf der Gruppe Fahrlässigkeit vor: "Anscheinend sind sie losgelaufen, ohne einen Schnee- und Lawinentest zu machen", sagte er: "Diese Lawine haben sie selbst ausgelöst."

In der türkischen Presse fand vor allem das Schicksal des getöteten Dozenten Erhan Terzi Beachtung, der Fremdsprachen an der Technischen Universität in Trabzon lehrte. Der begeisterte Bergsteiger Terzi hatte eine Tochter im Alter von anderthalb Jahren; auf seiner Facebook-Seite findet sich folgender Eintrag: "Die Berge rufen mich, aber meine Tochter will mich nicht gehen lassen." Er und seine Frau hatten die Tochter "Ilgaz" getauft, das ist der Name eines Berges in Ostanatolien.

Mit bloßen Händen graben Helfer nach den Verunglückten. Foto: AFP

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EIN ANRUF BEI . . .

Architekt Mark Aretz, der in Leipzig zum Archäologen wurde

Kürzlich besichtigte Architekt Mark Aretz, 44, mitten in Leipzig einen Altbau aus der Gründerzeit. Im Auftrag des Eigentümers sollte er ihn sanieren. Aretz traute seinen Augen nicht, als er in einer Wohnung des Hauses auf 40 Quadratmeter lupenreine DDR stieß. Seit dem offenbar überstürzten Auszug des Bewohners Heiko B. hatte diese Räume - seit der Wende - niemand mehr betreten.

SZ: Herr Aretz, welchen Monat zeigte denn der Wandkalender an?

Aretz: August 1988. Gut, die Wohnung machte uns nicht unbedingt den Eindruck, als wäre hier der Wandkalender regelmäßig umgedreht worden. Aber es sah ganz danach aus, dass hier jemand zu Zeiten der Wende alles stehen und liegen gelassen hatte. Wir waren die Ersten, die die Zimmer wieder betraten.

SZ: Passiert Ihnen so etwas öfter?

Aretz: Nein. Ich renoviere hier ja viele Wohnungen, aber die letzte, in der wirklich noch das Frühstück aus DDR-Zeiten auf dem Tisch stand, sah ich 1997.

SZ: Beschreiben Sie doch mal die Wohnung in der Crottendorfer Straße.

Aretz: Da lag Alubesteck und Plastikgeschirr herum, Vita-Cola, Marella-Delikatessmargarine, dazu halb zerfressene Brötchen im Dederon-Netz. Karo- und Juwel-Zigaretten, Rügener fischhaltige Paste, Elkadent-Zahncreme, Strumpffüßlinge von Esda. Auch eine leere Flasche Kristall Wodka stand rum. Interessant waren die Briefe und Dokumente.

SZ: Bitte? Die haben Sie sich auch angesehen?

Aretz: Ja. Ich fand einen Führerschein, eine Vorladung bei der Volkspolizei wegen "Klärung eines Sachverhalts", Durchsuchungsprotokolle, eine Bescheinigung über seine Haftentlassung und Zahlungsaufforderungen der Stromgesellschaft für die Zeit, während er einsaß. Ich fand auch einen Brief von seiner Schwester. Dort stand, er müsse alles, was er sich eingebrockt hat, nun auch selber auslöffeln: "Was willst Du denn schon wieder in Potsdam? Geht Deine Rumtreiberei wieder los? Dann melde Dir doch gleich eine neue Zelle an." So etwa.

SZ: Wie ist das zu interpretieren?

Aretz: Schwer zu sagen. In jedem Fall scheint Heiko B. zu den DDR-Bürgern gehört zu haben, die sich nicht einfügten. Und wer sich nicht einfügte, der bekam bekanntlich schnell mal Ärger. Herr B. war mindestens zweimal inhaftiert.

SZ: Herr Aretz, dürfen Sie das denn? Einfach so in Dokumenten wühlen? Als Architekt?

Aretz: Moment. Ich habe in Leipzig schon Tausende Wohnungen saniert. Das läuft immer gleich ab: Der Eigentümer gibt mir den Schlüssel, dann schaue ich mir alles an und rufe die Entrümpler. Aber wenn da Urkunden oder so rumliegen, so fällt es mir schon schwer, das wegzuwerfen. Das nehme ich dann mit. Natürlich kann B., sollte er einmal auftauchen, alles gerne wieder bei mir abholen.

SZ: Haben Sie denn schon versucht herauszufinden, wo B. heute wohnt?

Aretz: Nein. Das dürfte auch nicht leicht sein. Allein in Deutschland gibt es mindestens 65 Menschen, die seinen Namen tragen.

Interview: Martin Zips

Alles original DDR: Mark Aretz staunte über den Zustand der Leipziger Wohnung. oh

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Mit der Superkraft der sieben Feuer

Wo sind die Comichelden Arabiens? Es gibt sie nicht, stellte Suleiman Bakhit fest - und erfand welche

Von Karin ElMinawi

Auf die Idee mit den arabischen Superhelden kam Suleiman Bakhit ausgerechnet in der Heimat von Spiderman, Superman und Hulk. 18 Jahre war er alt, Sohn eines Politikers und späteren Premierministers von Jordanien, als er von Amman nach Minnesota zog, um dort Betriebswirtschaft zu studieren. Auf dem Campus war Suleiman Bakhit als einer bekannt, der sich für die Rechte von Ausländern einsetzte - nicht alle schätzten ihn dafür. Nach den Terroranschlägen aufs World Trade Center wurde er von vier betrunkenen Studenten zusammengeschlagen, er musste mit fast hundert Stichen wieder zusammengeflickt werden. Beirren ließ er sich dadurch nicht. Von da an tingelte Bakhit durch die Grundschulen, seine Botschaft: Nicht alle Araber sind wie Osama bin Laden, unsere Völker sind einander ähnlicher, als ihr glaubt. Eines Tages fragte eine Schülerin, ob es in seiner Heimat denn auch Superhelden gebe. Ihm fiel kein Einziger ein.

"Mir wurde bewusst, dass wir zwar mit amerikanischen und japanischen Superhelden aufwachsen, aber eigentlich dringend arabische Helden brauchen." Amman an einem kühlen Januartag, in Suleiman Bakhits Büro herrscht das Chaos: Überall liegen Bücher, Skizzen und Entwürfe herum, Bilder und Layouts bedecken die Wände. Er hat sein Masterprogramm schließlich abgebrochen und ist nach Jordanien zurückgekehrt, wo er 2006 seine Firma Aranim Media Factory gründete. "Es war entweder jetzt oder nie", sagt er. Seitdem bastelt er an seinen Superhelden - arabische Superhelden, die Comics, Trickfilme und Computerspiele bevölkern sollen. Fünf feste Mitarbeiter hat er in Jordanien und zehn Online-Mitarbeiter, die in Brasilien, Japan, China und auch in Deutschland leben. "Anfang März werden zuerst mal die Comics auf dem jordanischen Markt erscheinen", erzählt er stolz.

Den Grundschülern in Minnesota hat Suleiman Bakhit damals gesagt, dass auch nicht alle Araber lange Bärte und Wallegewänder tragen, und er selbst ist das beste Beispiel dafür: rasierte Glatze, Dreitagebart, T-Shirt. Am Nacken trägt der heute 30-Jährige eine großflächige Tätowierung. Das alt-arabische Design soll die Narben verdecken, die nach dem Angriff auf ihn geblieben sind.

Die Comics richten sich vor allem an Kinder und Jugendliche. "Es werden keine dunklen und geheimnisvollen Charaktere sein, auch keine Einzelgänger", sagt Bakhit. "Und hautenge Kostüme werden sie auf gar keinen Fall tragen." Da ist zum Beispiel "Naar", was auf Deutsch "Feuer" bedeutet: abgerissene Hose, Flip-Flops, wild gestylte Haare. In Bakhits Erzählwelt ist dieser Wildfang für die Rettung der arabischen Welt im Jahr 2050 verantwortlich. Er hat die Kräfte der sieben Feuer und muss sich mit seinen Freunden durchschlagen. Ohne Erwachsene. Und ohne Öl. Oder "Saaluk" ("Dieb"): der arabische Robin Hood, der übermenschliche Schnelligkeit besitzt und dafür sorgt, dass die Armen nicht nur Geld bekommen, sondern auch Mut und Hoffnung schöpfen. Das sind nur zwei von mehr als 50 Helden, die Bakhit inzwischen entwickelt hat. Einer nach dem anderen sollen sie nun auf den Markt kommen.

Das Schreiben und Zeichnen hat er sich selber beigebracht. Um seinen Helden historische Hintergründe zu geben, recherchierte er sechs Monate lang in arabischen Geschichts- und Archäologiebüchern. Zwei Jahre lang lernte er die hebräische Sprache, um die Schriftrollen des Toten Meeres zu verstehen. Aber die meisten Ideen holt sich Suleiman Bakhit von den Kindern in den Straßen Ammans. Und die wünschen sich neben den Superhelden eben hauptsächlich Geschichten über andere Kinder, die willensstark und furchtlos sind. "In den arabischen Gesellschaften werden Kinder nicht wahrgenommen. Bis sie mit einem Studium anfangen, haben sie meistens keine Stimme", sagt Bakhit. "Ich gebe ihnen eine. Das alleine ist für sie eine Superkraft, das inspiriert sie."

Kein Mord, kein Krieg

Politik und Religion will er aus seinen Comics heraushalten. Die Geschichten werden panarabische Plots haben, kulturelle und soziale Themen behandeln. Raub, Mord und Krieg werden ausgeschlossen, weil sie, so Bakhit, in der arabischen Welt nicht zum normalen Alltag gehören. Themen wie Familie, Freundschaft und Armut dagegen schon.

Auf schnellen Profit ist Suleiman Bakhit nicht aus: Die Comics werden in Jordanien zunächst einmal verschenkt. "Die Kinder könnten sie sich ja nicht leisten", sagt er. Für die Kostendeckung soll das Merchandising sorgen - die Werbung, das Spielzeug, die Computerspiele mit seinen Geschöpfen. Etwa 200 Millionen Jugendliche leben in den arabischen Ländern, Bakhits Zielgruppe ist also gewaltig. Zwar gibt es bereits Superhelden aus arabischen Produktionen, doch die sind seiner Meinung nach amerikanisiert, tragen nur arabische Namen und vielleicht mal einen Bart. Seine Figuren dagegen sehen eindeutig arabisch aus, und sie haben neben ihren Superkräften auch ganz menschliche Eigenschaften. "Sie machen Fehler, sie sind keine Perfektionisten wie die amerikanischen Helden. Alles andere würde auch gar nicht zum Nahen Osten passen", findet Bakhit.

"Ich gebe den Kindern eine Stimme": Suleiman Bakhit in seinem Büro in Amman. Foto: Aranim Media Factory/oh

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Die Last der Familie

Gavin O'Connors Polizeidrama "Das Gesetz der Ehre"

Die armen Polizisten. Darauf läuft es doch immer hinaus. So viel Loyalität sind sie so vielen schuldig. Ihren Kollegen beispielsweise. Ihrem Gewissen. Ihrem Bankkonto. Den Bürgern ihrer Stadt, und, richtig, dem Gesetz. Zu all diesen Verpflichtungen, die sich im normalen Polizeifilm schon aufeinanderstapeln, kommen in Gavin O'Connors "Das Gesetz der Ehre" noch ein paar mehr dazu: der Zusammenhalt in der Familie und der Stolz auf ein traditionelles Milieu, denn diese Familie ist irisch. Alter Cop-Stammbaum, Väter, Brüder, Schwiegersöhne - alle außerordentlich rechtschaffen irisch. Sie liefern das klassische Bild einer New Yorker Polizisten-Sippschaft, die sich im Beruf und im Privatleben miteinander arrangiert, oder andersherum, die das private Arrangement auch im Beruf nicht vernachlässigt.

So weit die eine Seite des Gesetzes. Die andere spricht Spanisch, hat Sex und legt ebenfalls Wert aufs Familiäre. Das wirkt insgesamt vielleicht ein wenig eindimensional, aber hier lässt sich jedes Verbrechen eben nur auf Spanisch aufklären, was will man machen. Spanisch wiederum kann nur jener Ire, der von Edward Norton verkörpert wird. Deshalb gilt der als Ass unter den Ermittlern, als Spezialist für Fälle im Drogenmilieu, wo er flüsternd den Zeugen die entscheidenden Informationen entlockt. Trotz dieses Vorsprungs durch Fremdsprachenkenntnisse ist Edward Norton nicht froh in seinem Beruf. Bei der Untersuchung eines Hinterhalts mit vier erschossenen Kollegen stößt er auf die Spur eines Korruptionsskandals. Umflort von Gewissenskonflikten ermittelt er direkt hinein in die eigene Familie - das kann dem Gemüt ja nicht förderlich sein.

Auch die anderen Familienmitglieder werden emotional bald schwer in Mitleidenschaft gezogen. Jon Voight muss zu viel trinken und zu laut reden. Colin Farrell weint nicht wie sonst erst kurz vor Schluss, sondern diesmal schon in den ersten zehn Minuten. Die Kamera zeigt immer dunklere Bilder, damit die Düsternis des Stoffes sichtbar wird. Nichts passiert, was auch nur ein wenig über die Klischees des Polizeifilms hinausginge. Irgendwann wünscht man sich, all diese Menschen würden etwas Unterhaltsames tun. Ganz kurz nur, ein Lied singen vielleicht, "Danny Boy" würde sich anbieten. Aber umsonst. DORIS KUHN

PRIDE AND GLORY, USA 2008 - Regie: Gavin O'Connor. Buch: Joe Carnahan, Gavin O'Connor. Kamera: Declan Quin. Darsteller: Edward Norton, Colin Farrell, Jon Voight. Verleih: Warner Bros, 125 Minuten.

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Heiter verharmlost

Christian Thielemann dirigiert den "Rosenkavalier" in Baden-Baden

Es war eine problematische Idee, Herbert Wernickes einstige Salzburger "Rosenkavalier"-Inszenierung von 1995 nun fürs Baden-Badener Festspielhaus (durch Alejandro Stadler) neu einstudieren zu lassen. Die Aufführung wirkte optisch und musikalisch uneinheitlich, inhomogen - teils überraffiniert mit ihren Spiegel-Effekten, teils auch forciert derb. So war Christian Thielemanns Hinweis im Programmheft, es sei gar keine schlechte Idee, Opern "nur noch konzertant" aufzuführen, durchaus ernst gemeint. . .

Bei der Premiere in Baden-Baden, die auch in Paris und in München konzertant wiederholt werden soll, interessierte die Rosenkavalier-Gemeinde hauptsächlich Folgendes: Wie meistern die opern-ungewohnten Münchner Philharmoniker unter ihrem genialischen Chef Thielemann die berühmte Strauss-Partitur? Und: Was macht die als größte Strauss-Sängerin der Gegenwart gefeierte Renée Fleming aus der Marschallin?

Thielemanns interpretatorischer Ansatz war überdeutlich: Er wollte die Komödie für Musik nicht wagnerianisch-wuchtig überfahren, sondern mozartisch anmutig verzaubern. Wunderbar wehmütige Übergänge betörten, zartes Verdämmern ließ sich erleben. Bereits die "stürmisch bewegte" Einleitung, also das Vorspiel, das "Agitato und sehr überschwänglich" vorgetragen werden soll, von Liebeslust vibrierend, hatte eine zartmeditative Aura. Erst beim ruhig expressiven Motiv der Marschallin schien die Musik ganz zu sich selbst gekommen zu sein. Der gelungenste, bewegend wunderschöne Augenblick des Abends war - was sonst oft so banal bleibt - die gläsern poetische Innigkeit, mit der im zweiten Akt die Überreichung der silbernen Rose stattfand (erlesen zart und vollkommen rein Diana Damrau als Sophie und auch Sophie Koch als Octavian). Sonst freilich kostete Thielemanns Diskretion manchmal ihren Preis: Man hatte oft das Gefühl, einer handfesten Schauspielkomödie mit bis zum Überdruss wohlbekannter Bühnenmusik beizuwohnen. Die notwendige symphonische Homogenität dürfte sich bei den folgenden Aufführungen noch herstellen.

Entscheidend wäre dabei, dass die Interpretation weit mehr Nachdruck zu legen versuchte auch auf die düstere Aura mancher Strauss'schen Eingebungen! Verächter des "Rosenkavalier"-Komponisten spötteln gern, er habe Hofmannsthals hoch poetischen Zartsinn derben fabelhaften Effekten geopfert. Aber - Leonard Bernstein führte es einst in Wien unvergesslich vor - beispielsweise das Motiv des Ochs von Lerchenau, eine scheinbar rätsellose 32stel-Girlande, kann auch abgründig dunkel klingen! Kann also der Figur eine Aura verleihen, die weit über Hofmannsthals Komödienintention hinausgeht.

Und die Marschallin? Gewiss nicht leicht zu gestalten, in ihrer Mischung aus Souveränität und amouröser Leichtfertigkeit, aus aristokratischem Selbstbewusstsein und Wiener Wehmut. Renée Fleming wirkte wunderbar jung, jugendlich, geradezu atemberaubend schön. Über der Figur, ihrer Präsenz, ihrer Stimme schien stets ein Lächeln zu liegen, wie es recht gut zur Vergänglichkeitswehmut passt. Es gab zarte, leise, zögernde Momente seelischer Stille. Und trotzdem hat (mich) Renée Flemings Marschallin enttäuscht. Immer nur lächeln, holdselig: Das genügt für eine solche Strauss-Rolle nicht. Der betörend süßen, lyrischen Stimme fehlt die eindringliche Christa- Ludwig-Fülle mannigfacher dunkler Farben, fehlt die dramatische Kraft jugendlich-weiblicher Passion. Hinzu kam, dass ihr Timbre demjenigen des Octavian manchmal bis zum Verwechseln ähnlich schien, was bei einer jugendlichen Hosenrolle und einer doch 20 Jahre älteren Liebhaberin zu einer gewissen Verwirrung führt.

Unerwarteterweise tendierte die Aufführung zu einer Nobilitierung des Ochs von Lerchenau (Franz Hawlata). Der war nie, so idiotisch wüst sich seine Begleiter auch aufführten, ein töricht-verbauerter Provinztrottel. Sondern er wirkte jung, fast elegant. Kein schlechter Kerl, aber auch nicht im mindesten komisch. Die Aufführung dauerte viereinhalb Stunden und erntete umfänglichen Beifall. Gleichwohl hat es nach großen "Rosenkavalier"-Premieren schon weitaus heftigere Ovationen gegeben. JOACHIM KAISER

Der selige Augenblick: Octavian (Sophie Koch) übergibt Sophie (Diana Damrau) die silberne Rose. Foto: Andrea Kemper

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Selbstversuch in Waffentechnik

Die Schau "Embedded Art" in Berlin lädt zu einer Geisterbahnfahrt der Inneren Sicherheit

Die schusssicheren Westen in zartem Seidenrosa hat der südafrikanische Künstler Jacques Coetzer entworfen. Die Sicherheitsleute der Akademie der Künste tragen sie seit diesem Freitag, die Waffenattrappe neckisch eingesteckt - und so scheuchen sie Besucher wortkarg auf videoüberwachten, zeitlimitierten Blitzführungen durch die düsteren Kellergeschosse der Akademie. Vorbei an Fotos, Videos, Gemälden und Installationen von 41 Künstlern, die sich mit Waffen- und Überwachungstechnik, mit Krieg und Kampf im Namen der Sicherheit, mit Polizeigewalt und Selbstmordattentäterinnen beschäftigen. Ausgedacht hat sich den Rundgang die kuratierende Künstlergruppe "BBM", "Beobachter der Bediener von Maschinen" - Gründungsmitglied Olaf Arndt sammelt Material zu nichttödlichen Waffensystemen.

Das klingt nach einer Geisterbahn der Inneren Sicherheit und fühlt sich auch so an. Dass es funktionieren kann, zeigt sich aber, wenn sich die Türen des Lastenaufzugs der Akademie im zweiten Kellergeschoss auf einen kargen Bunkerflur öffnen: Im Innern bleibt die Besuchergruppe dicht gedrängt - darf ja hier nicht jeder gucken wie er will! - von draußen knallt ihr Gruselpop entgegen, ein bonbonbunter LSD-Trip auf Leinwand, gemalt von Moritz Reichelt. Dazu die tonlose Stimme des Sicherheitsmanns, der die Kurzbiografie einer CIA-Beraterin von einer Tafel abliest: "Janet Morris: Ex-Hippie, Science Fiction Autorin, Waffenproduzentin und Pferdezüchterin". Und schon schließen sich Türen und Rezeptionsfenster wieder. Der Guide verschränkt die Arme vor Coetzers kugelsicherer rosa Blütenmuster-Weste.

So konsequent surrealistisch durchgeknallt und eigensinnig kann die Auseinandersetzung mit Sicherheitsparanoia aussehen - das biografische Material für seine "Peace Monsters", eine davon die CIA-Frau, hat Reichelt dem "BBM"-Archiv entnommen; Besucher können es im Erdgeschoss einsehen. Dort, im frei zugänglichen Teil der Schau, widmen sich die meisten Künstler jedoch leider eher der getreuen Dokumentation des sicherheitstechnischen Rüstungsstands: Das Duo Andrée Korpys und Markus Löffler hat eine Schulung der rheinland-pfälzischen Polizei zum Umgang mit einer neuen Elektroschockpistole gefilmt - einer nichttödlichen "Maximalschmerzwaffe", mit der etwa allzu renitente Demonstranten ausgeschaltet werden könnten; die deutschen Behörden bestreiten bislang jeden Einsatz. Im Film sieht man, wie die Beamten die Wirkung der Waffe am eigenen Körper erfahren, wie schmerzverkrümmte Körper stöhnend zu Boden sinken. Schockierend ist das, Rechercheleistung und Aufklärung allemal, für Freunde von Michel Foucaults "Überwachen und Strafen" ein Fest - enttäuscht werden jedoch alle, die sich von Kunst so etwas wie ein eigenes Idiom, eine eigene Sprache erhoffen.

Eher als gelungene Demonstration moderner Überwachungstechnologie denn als überraschendes Kunstwerk lassen sich auch die CCTV-Kontrollkameras von Zsolt Barat verstehen, die in den Kellergeschossen installiert sind und deren Aufnahmen in das Erdgeschoss übertragen werden - so dass man nie wissen kann, wer einen gerade beobachtet. Am schwächsten ist die Schau da, wo sie ihre Künstler als "Embedded Artists" an die Front schickt. Etwa, wenn man im Keller im Eiltempo durch Alexander Krohns Installation "Westbank" geschleust wird. Zwischen fingierten Betontrümmern und Blutlachen bahnt man sich im Halbdunkel einen Weg zu einem Bildschirm, über den der Dokumentarfilm "Jenin Jenin" des palästinensischen Regisseurs Mohammad Bakri flimmert, der den Überfall der israelischen Armee auf das Flüchtlingslager in Dschenin im Jahr 2002 zeigen will - dem aber nicht nur die Israelis, sondern auch ausländische Journalisten Bildmanipulationen vorwerfen. In der Ausstellung dazu kein Wort - so kann "Embedded Art" eben aussehen.

Ein Kellergeschoss weiter die Videoinstallation des Al Dschasira-Kameramanns Vassilios Georgiadis, der zwischen Aufnahmen von Explosionen, Leichen und den Schmuggeltunneln der Hamas eine palästinensische Selbstmordattentäterin allgemein-medienkritisch aus Adornos "Minima Moralia" rezitieren lässt. Es bleibt bei der plumpen Behauptung, weder werden die TV-Bilder en detail dekonstruiert, noch irgendwie künstlerisch überformt.

Dabei leuchtet die Idee der Ausstellungsmacher ein: Wo könnte man in Berlin das Aufrüsten des öffentlichen Raums zur Sicherheitszone besser kommentieren als am Pariser Platz - mit seinen Botschaftsbunkern, Banken und dem Hotel Adlon einer der bestüberwachten Plätze der Republik. So funktioniert die Schau weniger als Kunstschau denn als Sensibilisierungs- und Trainingscamp: In der Akademie lässt man sich filmen und mit waffentauglichem Infrasound beschallen, bestaunt den eigenen digitalen Fingerabdruck und informiert sich über neueste Mikrowellenwaffen. Um dann, wieder auf dem Pariser Platz, die Festungsfassaden nach den wirklich dezent angebrachten Kameras abzutasten - und sich zu fragen, welches strategische Arsenal dieses Zentrum der Macht eigentlich ganz konkret für Störenfriede bereit hält. ALEXANDRA MANGEL

"Embedded Art. Kunst im Namen der Sicherheit", Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin, bis 22. März. Begleitbuch 30 Euro (25 Euro in der Schau).

Im Keller versteckt: Christina Zücks Bild eines Schlafenden ("Defence Phase II Karachi") © Christina Zück 2008

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Nebulöse Exzentrik

Die Berliner Konferenz Club Transmediale musealisiert den Pop

In Berlin sind Popkulturwochen. "Es liegt wohl gerade was in der Luft", formulierte der Musikjournalist Tobias Rapp am Samstag treffend, als im Rahmen des seit 1999 jährlich stattfindenden Club Transmediale die Kuratoren von "Dancing With Myself", einer Tagung, die am vorvergangenen Wochenende angetreten war, den großen Zusammenhang von Musik, Geld und Gemeinschaft nach der Digitalisierung zu ergründen, ein Resümee zogen. "Dancing With Myself" hatte im Berliner Hebbel-Theater den Anfang des großen Status-Quo-Vadis-Rummels gemacht, der zehntägige Club Transmediale zieht seit vergangenen Donnerstag nach mit einem bewährt avancierten, gefühlvoll das Interessanteste an aktueller Independent-Popproduktion aufblätternden Musikprogramm sowie erstmalig einem Diskussionsprogramm zum Thema. Am zweiten Februarwochenende folgt als dritte tief auf den Grund schürfende Veranstaltung, die Konferenz "Audio Poverty" im Haus der Kulturen der Welt, wo man sich über Musik als einer neuen Arte povera den Kopf zerbrechen wird. Drei Mal also Bestandsaufnahme und Selbstverortung eines offensichtlich verunsicherten Teils des popkulturellen Felds, drei Mal genährt aus den Töpfen der öffentlichen Hand, drei Mal Kreisen um "die Krise der Musikindustrie", "Digitalisierung" und "Strukturwandel", Schlagworte, die augenscheinlich zur Zeit das Potenzial haben, ebenjene Töpfe spendabel zu machen.

Zunächst einmal sei das, was da so in der Luft liegt, "eine relativ komplizierte Gegenwart", konstatierten Ex-Spex-Chef Christoph Gurk und sein "Dancing With Myself"-Co-Kurator Tobi Müller am Samstag. Eine Gegenwart, die man aber anhand der Analyse von dem, was mit und in der Musik passiert, lesbar machen könne, prophezeie Musik doch anstehende gesellschaftliche Transformationen. Das Fazit auf dem Podium fiel in dieser Hinsicht allerdings eher pessimistisch aus. Popmusik sei dabei, in drei vollkommen voneinander abgekoppelte Bereiche zu zerfallen: die außerhalb jedes Marktgeschehens agierenden Hobbyisten, die Klingeltonkonsumenten und die High-End-Verbraucher, die sich geschmacksgebildet und finanzstark Musik weiterhin Deluxe-Box-Lifestyle leisten. Das alte klassenüberschreitende, universale Versprechen von Pop verschwinde. Was sich also in der Popmusik avant la lettre abzeichne, sei ein massiver sozialer Desintegrationsprozess.

Die Kraft der Arroganz

Dass der netzwerkende, partizipierende "Prosumer" eine vielversprechende Antwort auf diese Tendenz ist, wurde einhellig in Frage gestellt, immerhin sei der Imperativ des Kreativ-Seins schon bis auf niedere Angestelltenebenen gesickert und habe repressive Formen angenommen. Was von Gurk und Müller als einziger schmaler Hoffnungsstreif in Sachen popkultureller Handlungsmöglichkeiten gewertet wurde und als "Staffelstab" an den Club Transmediale weitergereicht wurde, bezog sich auf das, was der englische Postpunk-Musiker Mark Stewart bei "Dancing With Myself" eingefordert hatte: Wieder mehr auf die "Kraft der Arroganz" setzen, den Möglichkeitsraum der Exzentrik wieder beherzter ausschöpfen.

Das ist ein angemessen nebulöser Tip für eine ganze Kulturform in Auflösung, aber immerhin konnte der traditionell dem anpolitisierten Graswurzel-Schaffen zugewandte Club Transmediale hier gut anknüpfen. Er räumte am Sonntag dem von den Färöer-Inseln stammenden Musiker Goodiepal anderthalb Stunden ein, um in einem betörend exzentrischen Vortrag die "utopische Idee im Gebrauch der Technologie" mit Mickey Mouse, Apportierhunden und dem Vakuum zu beschwören. Bill Drummond, ehemals eine Hälfte des Projekts The KLF wurde deutlicher. Für ihn war klar: Die Zeit der Musik auf Tonträgern ist abgelaufen. Die Verfügbarkeit von sämtlicher jemals aufgenommener Musik im Netz stößt keine Bewusstseinstüren mehr auf. Nicht zuletzt deshalb tourt er seit zwei Jahren mit dem Projekt The 17, das die Zeit nach den Plattensammlungen, Festplatten, Kanonisierungen, Historisierungen und Nerdismen vorwegzunehmen versucht und für das Drummond Laiensänger den Klang seines Landrovermotors nachbrummen lässt. Drummonds Vision der Musik von morgen - die menschliche Stimme, die sich ausschließlich in actu gemeinschaftlich artikuliert und die nicht aufgezeichnet wird - war etwas seltsam essentialistisch einer Dogmatik des Unverstellten, Reinen verpflichtet.

Geradezu befreiend war da, was die Musik selbst entgegenzusetzen hatte: Beim Eröffnungsabend hetzten Musiker aus aller Herren Länder Baile Funk, Breakbeat, Arabesk, Cumbia, Reggaeton, Kwaito und Kuduro aufeinander. Sehr selbstverständlich verband sich kreolisierte Tanzbarkeit und ein wenig verbissener Hang zur Alter-Globalisierung zu einer erfrischenden Pop-Option. Ohne den Rahmen des Festivals allerdings würde man solcherlei an wenigen Tagen massiv verdichtete Perspektiven wohl nicht aufgezeigt bekommen. Das also wäre die Zwischenstandsmeldung von den Berliner Popkulturwochen: Hier inszeniert eine in die Jahre gekommene Pop-linke am Tropf der staatlichen Fonds ihre mal kritischeren, mal aktivistischeren Überbleibsel einer Gegenkultur, in der Pop noch mehr war als bloß Musik. Ob das so stimmt und ob diese Form der Musealisierung gut so ist, darüber wird man zum Glück noch weiter reden können.KIRSTEN RIESSELMANN

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Im Mädchenzauberland

Schimmelpfennigs "Alice" am Münchner Volkstheater

Natürlich könnte man den aktuellen Stand der inzwischen sehr kritischen Forschung erzählen. Man könnte das merkwürdige Leben des Charles Lutwidge Dodgson auf die Bühne bringen, die Diskrepanz zwischen seiner Tätigkeit als Dozent für Naturwissenschaften und seiner Faszination für junge Mädchen. Man könnte darauf hinweisen, auch ohne jede sexuelle Anspielung, dass der Mann, der als Lewis Carroll sein Glück in der Poesie suchte, nur dann froh war, wenn er seinen "childfriends" (es sollen an die 300 gewesen sein) Geschichten erzählen konnte. Weil er dann die Zeit anhalten, wieder selbst ein Kind werden konnte. Man könnte all dies erzählen, wenn man "Alice im Wunderland" inszeniert. Aber, ehrlich gesagt, wer wollte dies sehen?

Was man hingegen gern sehen will, ist die Inszenierung von Bettina Bruinier am Münchner Volkstheater. Als Textgrundlage nutzt sie die Fassung von Roland Schimmelpfennig, die einst, 2003, einem Musical als Basis diente. Geblieben ist davon die Grundstruktur von Theater mit eingeschobenen Songtexten und die leicht schnoddrige Sprache, die immer dann, wenn Schimmelpfennig sich nicht direkt des blühenden Unsinns Carrolls annimmt, eine grimmige Alltagstauglichkeit vorzuweisen versucht. Wie jede Dramatisierung ist auch diese nur ein Ausschnitt des am wenigsten kindgerechten Kinderbuches aller Zeiten; bei Schimmelpfennig fehlen einige der reizenden Tiere und auch das Krocketspiel.

Aber was fehlt, vermisst man nicht, weil das, was da ist, so schön ist. Bettina Bruiniers Theater ist eigentlich immer eine Reise in ein Wunderland, weil die junge Regisseurin (Jahrgang 1975) ohne viel Gedöns tatsächlich wundersame Zaubereien auf der Bühne entwickeln kann. Ihre Phantasie ist weit und im Bedarfsfall abgründig, deren Umsetzung so präzise, dass sie auch einfach die Dinge, die zufällig auf der Bühne herumliegen, in die Hand nehmen und dramatische Sensationen damit vollführen könnte.

In "Alice" fasziniert das Ensemble in Bruiniers Verwandlung; der verrückte Hutmacher (Nico Holonics) schaut aus wie aus einem Tim-Burton-Film und benimmt sich auch so, Diedeldum und Diedeldei (Xenia Tiling und Stefan Murr) exerzieren mit dem großen Ernst wahrer Komiker Carrolls Nonsens-Gedichte, Sophie Wendt ist eine kreischende Schmerzenskönigin. Krachend rutscht der Bühnenboden unter den Darstellern weg, die Band unter Oliver Urbanski spielt dazu erfrischende Polka-Rumpeleien. Die Darsteller singen und tanzen, als gäb's kein Morgen und überspielen so geschickt, dass die Inszenierung noch drei, vier Aufführungen braucht, um dem Zuschauer mit Wucht jede Möglichkeit des mäkelnden Nachdenkens zu rauben.

Doch die Schönste ist Alice, weil Barbara Romaner mit Trotz und Selbstbewusstsein durch diese Wunderwelt stapft, ohne sich selbst zu verlieren. Der Märzhase sagt zu ihr, ein Mädchen wie sie müsste jeden Sommer vorbeikommen. Damit sich die Wunderlandwesen wahrnehmen können. Alice, der lebendige, existenzverschaffende Spiegel, jedoch verschwindet. Und das ist so ergreifend traurig, wie es das Leben von Charles Lutwidge Dodgson vermutlich war. EGBERT THOLL

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Zwischenzeit

Goethes Lebenskunst

Wollte man Flauberts Lexikon der Gemeinplätze fortsetzen, müssten im Eintrag zu Goethe mindestens zwei Sätze stehen: "Über ihn ist alles schon gesagt." Und: "Über ihn ist noch längst nicht alles gesagt." Eine dritte, nicht so vollmundige Behauptung träfe wohl das Richtige: Vieles von dem, was über ihn gesagt wurde, ist wieder vergessen worden, obwohl es gut und richtig ist.

So bemüht sich die Goethe-Forschung in den letzten Jahren wieder darum, die reale Umwelt der Weimarer Klassik am herzoglichen Musenhof auszuleuchten. Goethe, der Hofmann und Geheimrat, der Verwaltungsbeamte und Bildungspolitiker, der Unterhaltungskünstler und Stratege im Literaturkampf - das sind neue, in gewichtigen Forschungsschwerpunkten untersuchte Themen. Doch wer sich ein Bild davon machen möchte, findet die farbigste und detailreichste Erzählung immer noch in der neun Bände zählenden, bis zum Jahre 1798 reichenden Goethe-Biographie, die der Schriftsteller Wilhelm Bode zu Anfang der zwanziger Jahre vorlegte.

Bode (1862-1922) war kein Professor, sondern ein unermüdlicher Sammler. Die Forschung benutzt bis heute dankbar die drei Bände "Goethe in vertraulichen Briefen seiner Zeitgenossen". Bodes Biographie von Goethes Sohn August wurde die wichtigste Quelle für Thomas Manns "Lotte in Weimar". Bode schreibt eine unangestrengte, immer sachhaltige Prosa, die nur bei der Darstellung von Goethes Liebesaffären einen allzu süßen Ton annimmt, wilhelminisches Rokoko. Da er aber zu einer Zeit lebte, in der die reichsstädtische und kleinhöfische Welt Goethes noch zu sehen war, ist er auf seine Weise ein unüberholbarer Zeuge. Verglichen mit ihm wirken die präzisen neuen Forschungen wie Google-Earth im Verhältnis zu Landschaftsmalerei.

Auch hält sich Bodes Biographie überraschend gut im Vergleich zu dem gleichzeitigen, so viel anspruchsvolleren Wälzer des George-Schülers Friedrich Gundolf von 1916. Der Germanist Gundolf, einer der besten Leser seiner Zunft, zeigt uns einen Geistestitanen im Weltschicksal, dessen Bahn der Deuter besser versteht als dieser selbst. Die konkrete Person verschwindet in einer fernblickenden Kantigkeit, als sei sie eine Kyffhäuser-Statue: grässlich, unerträglich.

Eins der erfolgreichsten Goethe-Bücher aller Zeiten war Bodes Brevier über "Goethes Lebenskunst" von 1899. Man befürchtet Schlimmes, aber wenn man es aufschlägt, findet man eine nach Themen geordnete Sammlung von Zitaten und Sachverhalten, die Goethe aus der Nähe zeigen, ohne sich anzumaßen, aus seinem Innersten zu sprechen. Wie war Goethes Einstellung zu seinen Feinden? Hierzu listet Bode ein paar Maximen aus den Werken auf, aber vor allem zeigt er, wie der Dichter sich praktisch verhielt. Den Schriftsteller August von Kotzebue beispielsweise konnte er nicht ausstehen. Aber er nutzte als Theaterdirektor, der den Spielplan füllen musste, doch das schnellfertige Talent eines Gegners, der ihm oft am Zeuge flickte: 84 Stücke Kotzebues ließ Goethe zwischen 1791 und 1817 an weit über 600 Abenden über die Bretter des Weimarer Hoftheaters gehen.

Feindschaften sind etwas Unpraktisches, sie verschwenden Energie. Dem Frankfurter Verwandten J.F.H. Schlosser, der einen Mitbürger öffentlich angegriffen hatte, schrieb Goethe 1816, wenn er bedenke, dass dieser nun mit dem Angegriffenen zeitlebens in einer Stadt, als Ratsherr gar in einem Kollegium zusammenleben müsse, "so stelle ich mir Ihre Lage so schrecklich vor, dass ich mich kaum darüber beruhigen kann". Denn der Hass, so Goethe in einem Vers, ist eine läst'ge Bürde, "und sie legt sich wie ein Grabstein schwer auf alle Freuden". Nebenbei begreift man, warum die Literaturkritik letzthin so nett geworden ist: Seit sich in Berlin alle treffen, Autoren, Kritiker, Verleger, müssen sich Feindschaften immer öfter von Angesicht zu Angesicht bewähren. Wer erträgt das schon? GUSTAV SEIBT

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Der Hans Dampf und die Liebesgöttin

Geheimniskrämerei statt Geheimnisse: Hans Christoph Buchs historische Variation "Sansibar Blues"

Sansibar - nicht wenige gebildete Deutsche dürften bei der Nennung dieses Namens zunächst an einen Romantitel von Alfred Andersch denken ("Sansibar oder der letzte Grund") und erst dann an eine ostafrikanische Insel. Dabei spielte diese in der deutschen Kolonialgeschichte eine wichtige Rolle. Es gibt den sogenannten Helgoland-Sansibar-Vertrag, mit dem das Deutsche Reich 1890 angeblich die ferne Insel den Briten abtrat, um die nahe Insel als Marine-Stützpunkt nutzen zu können. Tatsächlich war das Vertragswerk komplexer, denn Sansibar selbst hatte nie den Deutschen unterstanden. Die flüchtigen Besitzungen in "Deutsch-Ostafrika" hatten sich dagegen eine Weile mit Gebietsansprüchen des Sultanats Sansibar überschnitten.

Jetzt könnte man noch einmal genauer werden. Aber hier geht es ja gar nicht ums damalige Sansibar, heute ein Teil von Tansania, sondern um Hans Christoph Buchs "Sansibar Blues", einen Band aus der Anderen Bibliothek, der eine Art mehrstimmige historische Variation unternimmt über die Insel und den sehnsüchtigen Blick auf sie. Buch erzählt im Wesentlichen drei exotisch-abenteuerliche Lebensberichte nach, basierend auf wahren Begebenheiten. Der Autor schert sich dabei allerdings nur wenig um historische Korrektheit oder Faktentreue. Er nennt sein Arrangement einen "Roman". Das ist jedoch eher ein Trick als ein treffendes Wort. Mit der Gattungsbezeichnung schützt er sich in erster Linie vor lästigen Fragen. Das sagt er, etwas eleganter, in einer Nachbetrachtung selbst: "Das Offenlegen der Quellen ist kontraproduktiv, weil es das, was der Roman zur Einheit zusammenschweißt, wieder in seine Bestandteile zerlegt und so das Geheimnis des Texts zerstört, ohne seine Rätsel zu lösen." Ein schöner Satz, aber nur eine schwache Selbstrechtfertigung. Denn erstens ist "Sansibar Blues" beim besten Willen kein Roman; zweitens ist nichts darin zu einer Einheit zusammengeschweißt; und drittens besitzt das Buch keine Geheimnisse, sondern betreibt eher Geheimniskrämerei. Immer nämlich behalten die wahren Geschichten hinter ihrer Aufbereitung, behält die Suggestion des So-ist-es-gewesen vor der fiktionalen Garnitur die Oberhand. Statt in einen Erzählstrom zu finden, würde man deshalb als Leser oft lieber das erzählerische Gestrüpp beiseite schaffen, um endlich einen klaren Blick auf die Tatsachen zu bekommen.

Dieses Mehr ist ein Weniger

Das ist eines der großen Probleme von Hans Christoph Buch, der einmal als Dichter begann, später aber immer häufiger als Reporter unterwegs war: Wenn er die Reportage sein lässt und zu einer Art dichterischen Synthese eines Stoffes anhebt, also auf ein Mehr hinaus will, dann kommt dabei häufig ein Weniger heraus. Die formale Anstrengung ist nur begrenzt, und man wird das Gefühl nicht los, man wäre besser bedient mit einem Text ohne fiktionale Störgeräusche. Bei alldem bleibt der Stoff an sich meist interessant, denn die koloniale und postkoloniale Geschichte von Ländern wie Haiti, Ruanda oder Sansibar hält zweifellos reichlich, äh, Material bereit.

Im vorliegenden Fall führt Buch drei sehr unterschiedliche Figuren vor und lässt sie jeweils selbst erzählen. Zunächst ist da "Hans Dampf", der Anfang 1964 als DDR-Botschafter nach Sansibar reist, wo gerade ein scheinrevolutionäres Putschregime den dicken Mann markiert. Turbulent geht es zu, mit viel Waffengefuchtel, der junge Diplomat trifft auf den späteren US-Verteidigungsminister Frank Carlucci, auf Ryszard Kapuscinski, Che Guevara und eine sansibarische "Liebesgöttin", die in ihm das Bekenntnis provoziert: "Zum ersten Mal im Leben hatte ich richtigen Sex." Das zweite Schicksal handelt nicht nur von drei heißen Monaten, sondern fasst gleich 80 Jahre zusammen. So lange währte das Leben von Sayyida Salme, Prinzessin von Oman und Sansibar, die mit ihren Brüdern, den künftigen Inselherrschern, im Sultanspalast heranwuchs, bis sie 1866 mit 22 Jahren den Hamburger Kaufmann Heinrich Rudolph Ruete kennenlernte. Als sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion das Land verlässt, ist sie bereits schwanger. Sie tritt zum Christentum über, heißt nun Emily Ruete, zieht nach Deutschland, wo ihr Mann wenig später stirbt und sie jahrzehntelang mit zwei Kindern gegen Heimweh und andere widrige Umstände kämpft. Die (Ex-)Prinzessin veröffentlichte damals selbst eine Autobiographie. Aus der dürfte Buch vor allem geschöpft haben. Auch von der dritten Hauptfigur existiert ein Lebensbericht: Tippu Tip war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein mächtiger Elfenbein- und Sklavenhändler, auf Sansibar geboren, aber hauptsächlich auf dem Festland aktiv, bekannt mit Livingstone und Stanley, zeitweise Gouverneur der belgischen Krone, andererseits für Deutsch-Ostafrika tätig.

Eingerahmt werden die biographischen Berichte von sogenannten "Jet Lags", impressionistischen, etwas mutwillig delirierenden Skizzen des Autors auf Recherche-Reise. Schließlich folgt, "anstelle eines Nachworts", nicht nur die erwähnte Selbstrechtfertigung. Buch hängt außerdem noch ein paar seitenlange historische Fundstücke zur deutschen Kolonialgeschichte an, die er irgendwie nicht mehr untergebracht hat im "Roman", aber trotzdem gern drin haben wollte im Buch. Das alles gibt ein gehöriges Kuddelmuddel von Stimmen, Perspektiven und Zeiten, in dem man sich zwar leidlich zurechtfindet, mit dem man aber nie recht glücklich wird.

Selbstverständlich darf der Autor nach freiem Belieben zwischen wahren und erfundenen Begebenheiten hin und her hüpfen, darf mal Kolportage betreiben, mal realistisch erzählen, mal als Übervater kommentieren, zwischendurch kalauern oder den selbst etablierten biographischen Trott persiflieren. Er darf das auch alles "Roman" nennen und diesen Schritt für einen coolen Kunstgriff halten. Viele vor ihm, nicht zuletzt der Gründer der Anderen Bibliothek, Hans-Magnus Enzensberger, sind damit gut durchgekommen. Nur funktionieren muss es. Und bei Buch bleibt leider, was ein Kaleidoskop hätte werden sollen, als Scherbenhaufen liegen. Auch der funkelt immer noch verführerisch. Aber man kriegt ihn eben nie so vor die Augen, dass man durch ihn hindurch ins Licht sähe. MERTEN WORTHMANN

HANS CHRISTOPH BUCH: Sansibar Blues. Die Andere Bibliothek im Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2008. 241 Seiten, 28 Euro.

Fischer an der Küste von Sansibar Foto: Gruyaert/Magnum/Agentur Focus

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Trink den Rauschtrank

Judith Rostas und Manfred Singers "Kulturgeschichte des Alkohols"

In einem unvergesslichen Sketch tritt Gerhard Polt als Abgesandter der Hanns-Seidel-Stiftung vor ein afrikanisches Publikum, um diesem in sehr bajuwarischem Englisch die Demokratie zu erläutern. Ein wesentliches Element der Demokratie bayrischer Prägung sei das Freibier. "The idea of Freibier", erklärt Polt seinen exotischen Zuhörern, "in Bavaria is deeply religious: The more you drink, the more the idea of democrazy becomes visible." Ohne Freibier nämlich kriegt man keine "majority", und die ist für eine Demokratie unabdingbar.

Der Bierkonsum ist eben - das erklärt Polt implizit den schwarzen Wilden auf ihrem langen Weg in die Moderne - ein Moment der Zivilisation. Für Verfassungsrechtler mag das eine fragwürdige Auskunft sein, Zivilisationstheoretikern indes leuchtet es sofort ein. Erst wer über die Freiheit verfügt, den Rausch zu wählen, ist wahrhaft mündig. Schon im sumerischen Gilgamesch-Epos um 3000 vor Christus erwählt König Gilgamesch den Enkidu, ein Hybrid-Wesen zwischen Mensch und Tier, zu seinem Gefährten. Um Enkidus abschließende Menschwerdung zu vollenden, muss er Brot essen und Bier trinken: "Iß das Brot, Enkidu, das gehört zum Leben! / Trink den Rauschtrank, wie's Brauch ist im Lande." Wer nicht trinkt, dem hat man offensichtlich schon im Zweistromland nicht über den Weg getraut. Und die höchste Form der Rationalität ist es, diese gezielt auszusetzen.

Judith Rosta und Manfred Singer haben mit "Über die Kunst des rechten Alkoholgenusses" eine "kleine Kulturgeschichte des Alkohols" geschrieben (Shaker Verlag, 115 S., 19,80 Euro, mit zahlreichen Abb.) - und das ist immer zugleich eine Geschichte seiner Tabuisierung wie seiner Verherrlichung. Ein zwiegesichtiger Dämon, der den Menschen sowohl über sich erhebt, als auch ihn zugrunde richtet. Mit der Sesshaftwerdung der Menschen macht dieser Erfahrung mit der Fermentation - und seither sind Bier und Wein sein ständiger Begleiter. Und seither ist das rechte Maß zu finden eine kulturelle Leitmaxime.ijo

Nicht nur euphorisch hat Albert Anker 1868 den Trinker gemalt. Foto: Verlag

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Wie die Sonne

Clemens Kuhnerts Gedichtband "tina die teilzeitstewardess"

Die Geschichte, die Herausgeber Alexander Krohn aus Clemens Kuhnerts Gedichten gemacht hat, beginnt intensiv, hart am Neuköllner Pflaster, das Kuhnert seit Jahren kennt: "es schwanken platten aus granit im netz/ aus sandverfugtem pflaster, grauen wellen,/ um sockel, masten, grüne inseln treiben/ die kippen über teergeflickte stellen." Die doppelte Bedeutung, die die fließenden Zeilenübergänge der Enjambements offerieren, ist so wichtig wie die körnige Anschaulichkeit der Texte: "ich rate dir: zieh weg, hier wird nicht sommer/ hier fällt es schwer zu atmen, alle straßen// sind hier eng, kaum ein geschäft, kein kind/ das spielt, nur diese kneipe, früh am abend". Geschrieben wohl gerade noch bevor Nord-Neukölln zum Trend-Bezirk wurde.

Kuhnert, 1965 geboren, ist im Berliner Lyrikbetrieb nicht ganz unbekannt. Als Mitbegründer der Literaturzeitschrift lauter niemand, in der in den vergangenen zwölf Jahren viele debütierten, hat er den Weg anderer begleitet, daneben ab und an in Zeitschriften veröffentlicht. Jetzt gibt es "tina die teilzeitstewardess", ein erstes Bändchen mit eigenen Texten, dreiunddreißig, mal längeren, mal kurzen Gedichten, die der polnische Zeichner Tomasz Bohajedyn atmosphärisch genau und graphisch schön mit den Texten verflochten illustriert hat.

Manchmal spürt man das expressionistische Erbe ("durch Gitterroste atmen Schächte aus"), gelegentlich überbordet Kuhnerts Liebe zur Alliteration, aber immer wieder liest man Gedichte, die beinahe klassisch lakonisch und darin schon wieder neu wirken: "worauf es ankommt,/ was wir hier machen,// ist nicht unerschöpflich,/ nichts ist unerschöpflich.// wir können nicht sagen,/ dass wir es begreifen,/ so wie wir die sachen/ begreifen, wir machen// was sonnen machen,/ sonst machen wir nichts." HANS-PETER KUNISCH

CLEMENS KUHNERT: tina die teilzeitstewardess. Gedichte. Hrsg. v. Alexander Krohn. Mit Zeichnungen von Tomas Bohajedyn. Distillery Verlag, Berlin 2009. 34 Seiten, 7 Euro.

KURZKRITIK

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Unangepasste und "Judenforscher"

Neue Studien zur Münchner Universität in der NS-Zeit

Mit dem zweiten Band der Münchner Universitätsgeschichte im "Dritten Reich" gelangt ein höchst ambitioniertes Unternehmen zu seinem Abschluss. Die Herausgeberin hat zwar ihr Ziel, die immer noch zahlreichen Leerflächen auszumalen und das Bild der Universität in der Zeit des Nationalsozialismus fertig zu zeichnen, nicht ganz erreicht, aber sie hat im Verein mit ihren Mitstreitern viele weiße Flecken ausgefüllt. Nimmt man das hinzu, was in älteren Arbeiten bereits herausgearbeitet worden war oder noch im Entstehen begriffen ist, so bleiben nur wenige Disziplinen übrig, die bislang überhaupt keine Behandlung erfahren haben. In dem neuen zweiten Band werden aus dem Bereich der Philosophischen Fakultät Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte, Philosophie, "Indogermanische Geistesgeschichte" und Wissenschaft vom Judentum behandelt, aus den anderen Fakultäten Pathologie, Veterinärmedizin (Tierzucht) und Chemie.

Universitätsgeschichte betrifft im allgemeinen Institutionen, Personen und Fächer. Im Zentrum der Mehrheit der Beiträge dieses Bandes stehen die Professoren, die die entsprechenden Institute und Seminare geleitet und ihnen in der NS-Zeit in Forschung und Lehre ihren Stempel aufgedrückt haben. Auch im Nationalsozialismus wurde ihre Autorität nicht prinzipiell in Frage gestellt, doch wurde von ihnen ein politisches Engagement verlangt. Diejenigen Professoren, die bereits vor 1933 in Amt und Würden waren, wurden weniger gefordert als die Jungen, die sich ihren festen Platz noch erst erkämpfen mussten.

Antisemiten und "Weiße Rose"

Die wichtigste Aufgabe einer Sammlung von universitätsgeschichtlichen Beiträgen zum "Dritten Reich" besteht darin, nicht nur einer allgemeinen Wissensarchäologie zu dienen und quellengestützte Aussagen über einzelne Fächer und ihre Vertreter zu machen, sondern zu differenzieren und das Exemplarische und Typische herauszuarbeiten. Dies ist diesem Projekt gut gelungen, denn mit den Berufsantisemiten Wilhelm Grau, einem "Judenforscher", und Hans Alfred Grunsky, einem Philosophen, treten zwei Konjunkturritter in den Blick, denen mit dem Theaterprofessor Artur Kutscher, dem Kunsthistoriker Wilhelm Pinder und dem Altphilologen Richard Harder drei ganz anders geartete Gelehrte gegenübergestellt werden, die unbestrittene Fachleute ihrer Disziplinen waren.

Artur Kutscher war dem Wesen nach unangepasst und ließ sich, trotz gewisser Sympathien mit völkischem Gedankengut, nicht vom NS-Regime vereinnahmen. Er erregte den Unmut der NS-Studentenfunktionäre vor allem dadurch, dass er in seinen Seminaren darüber abstimmen ließ, wen die Studenten für den bedeutendsten Dichter der Gegenwart hielten, wobei Thomas Mann das Rennen machte. Wilhelm Pinder schwankte zwischen unverhohlener Mitarbeit und verhaltener Opposition und war so vermessen zu glauben, er könne durch distanzierte Teilnahme Herr des Geschehens bleiben.

Besonders komplex ist der Fall Richard Harders, der 1941 von Kiel nach München wechselte, um die Leitung eines von Alfred Rosenberg initiierten Instituts für "Indogermanische Geistesgeschichte" zu übernehmen. Dabei handelte es sich um eine Außenstelle der im Aufbau befindlichen "Hohen Schule", einer von Rosenberg erdachten nationalsozialistischen Musteruniversität. Im Februar 1943 beauftragte die Gestapo Harder, die Flugblätter der "Weißen Rose" philologisch zu begutachten, was er tat, ohne dass seine Ausführungen für die Abfassung von Anklage- wie Urteilsschrift relevant geworden wären. Als Lichtgestalt erscheint dem gegenüber der Chemie-Nobelpreisträger Heinrich Wieland, der seine starke Stellung als dem System unentbehrlicher Naturstoffchemiker dafür nutzte, "Halbjuden", die woanders keine Ausbildungsmöglichkeiten mehr hatten, in seinem Institut arbeiten zu lassen.

Kurzstudent Adolf Hitler

Andere Beiträge dieses Bandes gelten den Beziehungen der Universität zu staatlichen und privaten Einrichtungen wie der Deutschen Akademie, dem "Reichsinstitut für die Geschichte des Neuen Deutschlands", der Münchener Universitätsgesellschaft und, nach Kriegsende und Entnazifizierung, dem "Verband der nicht-amtierenden (amtsverdrängten) Hochschullehrer". Die letztgenannte Bezeichnung war ein Euphemismus für die durch den Nationalsozialismus belasteten Professoren.

Eingestimmt wird der Leser übrigens durch den ersten Beitrag dieses Sammelbandes, in dem Othmar Plöcking erklärt, was es mit Adolf Hitlers nebulöser Angabe im achten Kapitel von "Mein Kampf" auf sich hat, er habe im Sommersemester 1919 im Auftrag der Reichswehr an der Münchner Universität einen Kurs über die Grundlagen des staatsbürgerlichen Denkens besucht. München ist demnach die einzige deutsche Universität, die Hitler zu ihren ehemaligen Studenten zählen darf. FRANK-RUTGER HAUSMANN

ELISABETH KRAUS (Hrsg.) Die Universität München im Dritten Reich. Aufsätze, Teil II. Herbert Utz Verlag, München 2008 (Beiträge zur Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München, für das Universitätsarchiv hrsg. von Hans-Michael Körner, Bd. 4). 624 Seiten, broschiert 49, Hardcover 79 Euro.

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Geboren in der Transsibirischen Eisenbahn

Julie Kavanagh sichtet die Gipfelstürme und Abstürze des Jahrhunderttänzers Rudolf Nurejew

Die Bilder des Abschieds sind einfach und zärtlich. Die Filmkamera fängt zwei deformierte Füße ein, deren rot geäderte Überbeine beim Tanz-Exercice über den Boden schleifen, ein ausgemergeltes Gesicht unter schütter verfransten Haaren und schließlich einen nackten Mann, der, einsam inmitten der felsigen Landschaft, übers Mittelmeer schaut. Als Patricia Foy im Sommer 1991 diese Aufnahmen auf Li Galli dreht, einer Inselgruppe vor Positano, ist Rudolf Nurejew bereits todgeweiht. Eineinhalb Jahre werden ihm noch bleiben, dann hat AIDS ihn besiegt.

Mit Nurejews Tod begann das Schaulaufen der Biographen. Diane Solway, Otis Stuart, Clive Barnes, John Percival und etliche andere verwandelten den meistfotografierten Tänzer der Welt posthum in den meistporträtierten. Jetzt krönt die britische Journalistin Julie Kavanagh diesen Bücherturm mit einem tausendseitigen Konvolut - und nicht eine Zeile davon ist überflüssig.

Wer heute eine Aufzeichnung aus Nurejews besten Jahren sieht, begreift sofort, was sein Tanzen aus dem Rahmen hebt. Ob "Giselle", "Le Corsaire" oder "Schwanensee", jedes Mal zieht da ein unwiderstehlich schöner Mann alle Blicke auf sich. Die animalische Gewalt des Geschlechtlichen, die das Ballett normalerweise stilistisch sublimiert, hat Nurejew ausbuchstabiert. Publikum wie Kritiker der sechziger und siebziger Jahre lagen ihm dafür zu Füßen.

Statt die "Rudimania" und ihre Exzessse auszudeuten, bietet die Autorin vier Dutzend Augenzeugen auf, die eine schillernde Charakterstudie fertigen. Weg- und Bettgefährten, Geschäfts- und Bühnenpartner, Freunde und Feinde schildern Auf- und Abstieg eines Theaterjunkies, der das Gesicht seiner Profession verändert hat.

Zwei Wünsche stehen am Anfang dieser Revolution: Anders tanzen und anders lieben zu dürfen, als es unter der sowjetischen Fuchtel möglich ist. Nurejew, 1938 in der Transsibirischen Eisenbahn geboren, verfällt dem Ballett als Siebenjähriger. Relativ spät, mit 17 Jahren, erobert er einen Platz an der Kaderschmiede des Fachs, der Waganowa-Akademie in Leningrad. Die Lektionen seines Lieblingslehrers findet er nicht von ungefähr "sehr aromatisch, delikat". Diese Art sinnlicher Attraktion ist Nurejews Lebenselixier und der rote Faden in Kavanaghs Buch.

Die Arroganz der Götter

Umgekehrt fällt der Hochbegabte als "weiße Krähe" auf und macht als genialischer Rebell von sich reden. Nurejews tyrannisches Naturell wird später ganzen Heerscharen von Skandaljournalisten ständigen Nachrichten-Nachschub liefern. Vorerst aber sieht sich der Dreiundzwanzigjährige in einem aussichtslosen Dilemma gefangen: Das tänzerische Terrain beim Leningrader Kirow-Ballett hat er ruckzuck abgegrast, und seine homosexuellen Abenteuer könnten ihn nicht nur in die Bredouille, sondern in den GULag bringen.

So ergreift das Ausnahmetalent 1961 die Chance und setzt sich auf einer Tournee in den Westen ab. Was folgt, ist eine sagenhafte Karriere als leading dancer of the world. Trotz technischer Schwächen - "er platzte aus der Form", wie ein Kritiker festhielt - erliegen die Zuschauer rund um den Globus Nurejews Zauber. Die Kollegen allerdings charmiert der Exilierte weniger. "Er besaß das Charisma und die Einfachheit eines Erdenmenschen, dazu die unantastbare Arroganz der Götter," hieß es später in einem Nachruf. Was das im Alltag bedeutete, erzählen Kavanaghs Gesprächspartner mit Witz und großer Offenheit.

Für das Ballett markierte Nurejews Erscheinen eine epochale Zäsur. Legendär ist seine Zusammenarbeit mit der britischen Ballerina Margot Fonteyn, deren sinkenden Stern er in eine Supernova verwandelte. Legendär sind auch seine eigenen Inszenierungen, die das klassische Erbe behutsam erneuerten und gleichwohl, ob ihres "rudimanischen" Zuschnitts, ästhetisches Unwohlsein erzeugten. Nurejews eigentliches Verdienst aber ist eine zweifache Grenzüberschreitung (und hier lässt Kavanagh in ihrer Darstellung fast zu viel britisches Understatement walten): Dass der Bilderbuch-Ballerino die Scheuklappen ablegte und sich an modernen Bewegungsidiomen à la Martha Graham versuchte, riss Barrieren zwischen den Tanzdisziplinen ein; und seine entfesselte Leidenschaft widerlegte das Mantra, wonach Ballett "eine rein weibliche Angelegenheit" sei (George Balanchine). Nurejew setzte den Tänzer in sein Recht und vollendete, was mit Vaslav Nijinsky fünfzig Jahre früher begonnen hatte.

Ganz nebenbei erhellt Julie Kavanagh auch, warum Balanchine, der titanische Choreograph und Leiter des New York City Ballets, mit Nurejew nichts anzufangen wusste. "Die Bühne eliminiert den Sex", behauptete der Wahlamerikaner, während sein Antipode in jeder Vorstellung das Gegenteil unter Beweis stellte. Die Unvereinbarkeit ihrer Anschauungen sorgte dafür, dass beide, zu Nurejews tiefstem Bedauern, nur ein einziges Mal zusammenarbeiteten. Dennoch kniete Nurejew 1983 an George Balanchines Totenbett. Es war sein eigenes Schicksalsjahr, das Jahr seines letzten Triumphes und seiner tödlichen Diagnose. Im Frühjahr übernahm der Megastar das Ballett der Pariser Oper, das er trotz unzähliger Querelen zu neuer Blüte führte, während zugleich die Vorboten der AIDS-Infektion bei ihm sichtbar wurden.

Nurejews Liebhaber sind Legion und können seine Biographen zu unsäglichen Peinlichkeiten verführen. Julie Kavanagh behandelt die erotischen Eskapaden mit Fingerspitzengefühl, der richtigen Mischung aus Takt und Indiskretion. Sie lässt durchblicken, dass Nurejews sexueller Appetit zwar ziemlich unersättlich war und jede Menge aparter bis urkomischer Episoden produzierte. Gleichwohl sind es nur drei Männer, auf die es im Rückblick ankommt. Der wichtigste unter ihnen ist Erik Bruhn, der dänische danseur noble. "Er war mein Gott", hat Nurejew später bekannt, und die Briefe, die Kavanagh erstmals zitiert, erzählen ohne jede Larmoyanz vom Versiegen dieser tragischen Liebe, in der sich beide verzehrt und einander dennoch verfehlt haben.

Das Scheitern dieser Beziehung beantwortete Nurejew, indem er seine Gefühle auf Sparflamme drosselte - "damit sie mich nicht vom Tanzen ablenken". Er hielt sich fortan einen Harem hingebungsvoller Freundinnen, daneben zwei weitere Lebensabschnittspartner und konzentrierte sich ansonsten auf die "Bühne als Arena" (Violette Verdy). Als seine Löwenkräfte nachließen, ignorierte er das Naserümpfen der Kritiker. "Wirklich gelebt haben wir nur, wenn wir tanzten", so lautete sein Resümee der goldenen Ära mit Fonteyn. Wer Julie Kavanaghs umsichtige Würdigung dieses schwierigen Mannes gelesen hat, ahnt, wovon Rudolf Nurejew 1991 als sterbenskranker Inselbewohner noch geträumt hat: Tanzen, bis in alle Ewigkeit. DORION WEICKMANN

JULIE KAVANAGH: Nurejew. Die Biographie. Aus dem Englischen von Henning Thies. Propyläen Verlag, Berlin 2008. 990 Seiten, 29,90 Euro.

Rudimania! "Die Bühne eliminiert den Sex", behauptete sein Antipode - Nurejew stellte in jeder Vorstellung das Gegenteil unter Beweis. Foto: Getty Images

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Illustration: S. Dimitrov, E. Wolf, Foto: dpa

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Die neue Welt-Unordnung

Selten war das traditionelle Stelldichein der politischen und wirtschaftlichen Prominenz in Davos wichtiger als 2009 - dem Jahr, in dem viele Gewissheiten verloren gegangen sind. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Welt im Griff. Was in der amerikanischen Provinz mit unverantwortlichen Häuserkrediten für nicht zahlungsfähige Schuldner begonnen hat, rast längst um den Globus. In nur zwei Tagen im September 2008 gingen mehr als 450 Milliarden Euro an den Börsen verloren - und das war erst der Anfang. Banken straucheln und mit ihnen große Konzerne. Auch dem Mittelstand gehen Aufträge und Geld aus. Fieberhaft pumpen die Politiker immer neue Milliarden in die Wirtschaft. Wann und wie die Nothilfe wirkt, weiß niemand. Von Marc Beise

Natürlich wäre es schön gewesen, wenn sich in diesen Tagen noch maßgebliche Vertreter der neuen amerikanischen Präsidentschaft für das Weltwirtschaftsforum 2009 in Davos angekündigt hätten. Doch der Heilsbringer Barack Obama kann und wagt vieles, aber nicht alles. Noch sind die meisten seiner Minister gar nicht bestätigt, und der neue Präsident will so spontan nicht sein, wenige Tage nach seiner Vereidigung zu den in Davos versammelten Führern der Welt zu stoßen. So wird beim World Economic Forum (WEF) ausgerechnet die politische Elite der unverändert mächtigsten Nation der Erde weitgehend fehlen.

Dies ist aber der einzige Schönheitsfehler der Veranstaltung, die an diesem Mittwoch bezeichnenderweise vom russischen Premierminister Wladimir Putin eröffnet werden wird und bis Sonntag 2500 Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Medien zusammenführt. Russland hat soeben durch die Scharmützel mit der Ukraine um Gaslieferungen nach Westen auf sich aufmerksam gemacht. Dass die östliche Supermacht im Zeichen sinkender Energiepreise trotz ihrer riesigen Rohstoffvorkommen finanziell nicht mehr aus dem Vollen schöpfen kann, macht ihre Rolle in der Welt nicht berechenbarer. Putin kann sich deshalb größter Aufmerksamkeit sicher sein.

Davos steht für die Wechselhaftigkeit der Politik und auch solcher Veranstaltungen. Mit den Jahren war das Treffen fast schon zum Gespött geworden: eine Palaver-Veranstaltung mit Freizeitanstrich, eine pompöse Selbstbespiegelung. Mindestens einmal immerhin in den vergangenen Jahren hat die privat organisierte Veranstaltung des ehemaligen Managers Klaus Schwab, 70, ihren Wert bewiesen. Das war im Januar 2002, als der Polit-Zirkus ins New York des 11. September 2001 auswich und damit das Signal gab: Das Leben geht weiter. Und nun eben 2009, das erste Treffen nach dem Crash des Wall-Street-Kapitalismus.

Am Anfang eines jeden Davos-Jahres steht das Motto der Veranstaltung. Die Wortschöpfer in dem langgestreckten, terrassenförmig Gebäude aus grauem Stein in Coligny hoch über dem Genfer See, wo Schwabs Team rund ums Jahr diese und andere Veranstaltungen plant und organisiert, sind manchmal für ihre wolkigen Mottos belächelt worden: Wortungetüme auf Englisch, bei denen man häufig gar nicht so genau wusste, was eigentlich gemeint war. "The Shifting Power Equation" war solch ein Motto - vor zwei Jahren, als die frisch amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel das Davoser Treffen eröffnen durfte und sich in die Herzen der meist männlichen Davos-Teilnehmer charmierte. Die "sich verändernde Macht-Gleichung", was man darunter wohl verstehen sollte? In diesem Jahr allerdings ist die Sache klar: "Shaping the Post-Crisis World": Die Welt formen, die nach der Krise entsteht - die Aufgabe von Davos 2009 liegt auf der Hand. Es gilt, Orientierung zu finden in einer aus den Fugen geratenen Zeit. Sichtet man die Probleme, gilt es mehrere, sich teilweise überlappende Entwicklungen zu benennen - und sie alle werden in Davos verhandelt.

Erstens: Die aktuellste, besonders beängstigende Herausforderung könnte zugleich - so überraschend das klingen mag - die am leichtesten zu lösende sein: Die Weltfinanz- und Wirtschaftskrise beschäftigt im Moment jedermann, und das zu Recht. Erstmals ist nicht nur eine Region notleidend geworden, ist das Problem nicht so ohne weiteres eingrenzbar. Der Bazillus hat die ganze Welt infiziert. Im Kern geht es um die Finanzbeziehungen, das Schmiermittel einer modernen Wirtschaft. Die Krise ist deshalb viel gefährlicher, als wenn es sich (nur) um eine Auto- oder Textilkrise handelte. Längst mindert sich der Wohlstand weltweit, und die Probleme der großen Staaten schlagen auf die zunächst unbeteiligten und an der Situation gänzlich unschuldigen Entwicklungsländer durch.

Immerhin aber glauben die Politiker exakt zu wissen, wie sie reagieren sollen, und sie tun es - mehr oder weniger koordiniert - im großen Stil. Am Anfang standen Bürgschaften und Stützungsmaßnahmen für die Finanzinstitute; allein in Deutschland sind insgesamt 500 Milliarden Euro bereitgestellt worden. Eine Kernschmelze des Bankensystems konnte damit bisher verhindert werden.

Längst aber blicken die Politiker, zweitens, auf die Realwirtschaft. Zur Stützung der Konjunktur sind den Regierenden bisher vor allem Ausgabenprogramme eingefallen. 825 Milliarden Dollar (625 Milliarden Euro) will Barack Obama einsetzen. 32 Milliarden Euro hat die deutsche Regierung schon im Herbst 2008 benannt, weitere 50 Milliarden sollen jetzt dazukommen. Geld spielt plötzlich keine Rolle mehr: Warnungen, dass hier - natürlich gut gemeint - die Probleme von heute gelöst werden, indem noch größere für morgen geschaffen werden, schlagen kraftstrotzende Krisenmanager in den Wind: Seht her, lautet die Devise, wir retten die Welt.

Dringend notwendig sind, drittens, bessere Regeln für das internationale Finanzsystem. Das hat sich namentlich der neue amerikanische Präsident auf die Fahnen geschrieben, und er denkt dabei wesentlich weiter als sein Vorgänger Bush. Der Handel mit kritischen Finanzinstrumenten soll schärfer überwacht werden, und neue Regeln sollen für Großbanken, Hypothekenhändler und Hedgefonds gleichermaßen gelten. Selbst Ratingagenturen, die die Risiken von Fonds und Finanzderivaten völlig unterschätzt haben, könnten bald strenger beaufsichtigt werden. Eine Finanzkrise wie die gegenwärtige wird es dann nicht mehr geben können, doch eines ist gewiss: Andere Krisen werden kommen. Ein Dauerthema, das die Menschheit seit Jahren beschäftigt, ist, viertens, die Energie- und Umweltkrise. Der Energievorrat schrumpft, und zugleich zerstört die Menschheit ihre Lebensgrundlagen. Obwohl die Bedrohung unverändert real ist, ist sie derzeit seltsam unbeachtet ins politische Nirgendwo gedriftet.

Sozusagen quer zu diesen vier Hauptproblemfeldern liegen Grundfragen des internationalen Miteinanders. Das beginnt mit dem Verhältnis von Staat und Wirtschaft. Es ist unverkennbar und angesichts der Fehlentwicklungen in der Finanzbranche unvermeidbar, dass das Pendel wieder Richtung Staat ausschlägt - aber mit welcher Wucht! Diese Frage zu diskutieren ist nicht minder wichtig als das aktuelle Krisenmanagement, vermutlich wichtiger. Von den Antworten hängt der weitere Kurs der Wirtschaft ab. Mehr Staat soll sein - aber wie viel mehr?

Es scheint ja so einfach zu sein: Der Kapitalismus, ach was: die ganze Marktwirtschaft hat versagt - soll es doch der Staat richten. Aber stimmt diese Folgerung? Anders als von Systemkritikern vielfach behauptet, sind weder Kapitalismus noch Marktwirtschaft per se gescheitert. Nicht die Marktwirtschaft als Organisationsmodell der Wirtschaft ist am Ende, sondern es hat sich bitter gerächt, dass eben die Grundregeln dieser Ordnung nicht beachtet worden sind: Freiheit für die Marktteilnehmer, aber innerhalb fester Regeln. In Deutschland nennt man dieses Prinzip "Ordnungspolitik", und sie war die Basis des wirtschaftlichen Erfolgs nach 1945. Aber auch in den USA und in den meisten anderen Nationen ist anerkannt, dass der Staat den Rahmen setzen muss. Ausgerechnet in der Finanzwirtschaft ist das nicht geschehen. Die Regeln, die Obama nun vorbereiten lässt, zielen genau auf diese Versäumnisse. Werden sie geschickt implementiert, wird der Kapitalismus wieder funktionieren und der gegenwärtige Abschwung getreu den üblichen Zyklen wieder in einen neuen Aufschwung münden.

Noch grundsätzlicher ist die Verschiebung der geopolitischen Gewichte. Die europäisch-amerikanische Dominanz geht zu Ende. Langsamer vermutlich, als mache denken - und natürlich wird Obama einen guten Teil des Niedergangs, den George W. Bush betrieben hat, auffangen können. Natürlich ist Amerika immer noch eine überaus dynamische Nation. Längerfristig aber rückt Asien nach vorne, China hat bereits Deutschland als drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt hinter den USA und Japan abgelöst. Diese Entwicklung wird Folgen haben. Es reicht nicht, dass der amerikanische Präsident zu einem G-20-Gipfel ins Weiße Haus einlädt und Chinesen und Araber demonstrativ zu seiner Seite platziert. Stattdessen geht es um die völlige Neuausrichtung der internationalen Organisationen. Es geht sogar um den Alltag. Irgendwann müssen deutsche Bildungsbürger vielleicht damit beginnen, ihre Kinder nicht mehr bevorzugt in britische Internate oder auf amerikanische Highschools zu schicken, sondern sie besser mit chinesischen und russischen Lebensgewohnheiten vertraut machen. Diese Machtverschiebung ist, wie alle großen Veränderungen, ambivalent. Es waren chinesische Investoren, die Amerikas Finanzkrise abgefedert haben. Zugleich aber kann es die Welt nicht gleichgültig lassen, wenn sich die chinesische Wirtschaft derzeit dramatisch abkühlt, von Wachstumsraten weit über zehn auf womöglich nur noch sechs Prozent.

Ein Gut vor allem ist es, um das die Akteure in der Welt ringen müssen, wenn sie die angesprochenen Probleme lösen wollen. Keine politische, keine wirtschaftliche Maßnahme wird wirklich greifen ohne Vertrauen der Adressaten. Vertrauen aber ist in der aktuellen Krise spektakulär verloren gegangen. Dass die Banken sich kein Geld mehr leihen, ist nur der prägnanteste Ausdruck für dieses Problem. "Wir kommen nie aus der Krise, wenn wir nicht Vertrauen wiederherstellen können", sagt Klaus Schwab. Auch dafür eben ist Davos gut, als Ort für vertrauensbildende Maßnahmen.

Mehr Staat soll sein - aber wie viel mehr?

Es waren chinesische Investoren, die Amerikas Finanzkrise abgefedert haben.

Ein Luftkurort in der Schweiz hinter Stacheldraht. In dieser Woche ist es wieder so weit. In Davos diskutieren Politiker, Manager und Wissenschaftler die Krise der Weltwirtschaft. Foto: AP

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Das Versäumnis der Menschen von Davos

Von Ulrich Schäfer

Der Davos-Mensch weiß vieles, aber nicht alles. Er liebt es, die Welt zu erklären, aber manchmal begreift er sie nicht. Er hat alles gesehen, doch längst nicht alles verstanden. Die Finanzkrise zum Beispiel: Keiner der vielen Manager, die jedes Jahr zum großen Treffen in die Schweizer Berge reisen, hat dieses dramatische Ereignis vorausgesehen. Keiner konnte sich vorstellen, dass das schöne Gebäude der globalen Wirtschaft derart ins Wanken geraten würde.

Eine globale Rezession, ein schrumpfender Welthandel? Gar eine Weltwirtschaftskrise? Ach was. Schon vor einem Jahr, im Januar 2008, mussten die Davos-Menschen selbstkritisch einräumen, dass sie sich getäuscht hatten. Da war die Krise gerade mal ein Jahr alt und trug noch den Namen "Subprime-Krise". Subprime? Diesen Begriff habe beim Weltwirtschaftsforum 2007 "noch niemand von uns gekannt", räumte der

Nobelpreisträger Joseph Stiglitz beim letztjährigen Davos-Gipfel ein.

Subprime: Das waren jene Ramschkredite, die US-Hypothekenbanken zuhauf - und ohne große Prüfung - an mittellose Menschen vergeben hatten. Sie lieferten damit den Rohstoff für einen komplexen, globalen Handel mit Krediten, für Schuldenpakete, die immer wieder neu geschnürt und dann auf Reisen geschickt wurden. Und dieses Jahr? Da müssten die Davos-Menschen, wenn sie denn dazu bereit sind, eigentlich noch mehr Versäumnisse einräumen. Sie müssten gestehen, dass ihr unbedingter Glaube an die Rendite, an waghalsige Finanzgeschäfte die Welt an den Rand des Abgrunds geführt hat. Davos, einst ein Schauplatz der Eitel- und Überheblichkeiten, könnte so zu einem Ort der Selbstkritik werden. Der viel beschworene Geist von Davos, der von immerwährender Optimismus geprägt war, könnte einer neue Nachdenklichkeit weichen.

Die Kulisse dafür ist die gleiche wie eh und je: Ein mondänes, von Thomas

Mann in der Literatur verewigtes Bergstädtchen. Zwei Dutzend Hotels, vom

Steigenberger Belvedere, das für einige Tage zum Hauptquartier der weltgrößten Konzerne wird, zum Schauplatz unzähliger Parties, bis hin zur Schatzalp hoch oben auf dem Berg, einer vor allem von deutschen Davos-Besuchern geschätzten Herberge, die den Charme einer ein wenig angestaubten Kurklinik versprüht und die nur mit der Zahnradbahn erreichbar ist. Dazwischen wird ein wenig Weltpolitik gemacht, es kommen so viele Staats- und Regierungschefs wie noch nie. Sie werden zu den Managern reden, und vor allem auch miteinander, in den Hinterzimmern der Hotels, weit weg vom Kongresszentrum, in dem die Medienmeute den Geist von Davos zu erhaschen versucht.

Doch das wahre Davos findet man nicht in diesem mächtigen Betonklotz samt Atombunker. Die Podiumsdiskussionen und Seminare dort bieten nur den offiziellen Rahmen für das, was andernorts stattfindet: Frühstückstreffen in einem der Luxushotels, bei denen über milliardenschwere Geschäfte, über Allianzen und vielleicht auch Fusionen geredet wird. Mittagessen, die der Krise gewidmet sind. Literarische Abendessen. Danach der Besuch einer der Parties, eines dieser Empfänge, die davon leben, dass man in möglichst kurzer Zeit möglichst vielen Leuten "Hallo" sagt. Klaus Schwab, der Veranstalter, hätte in diesem Jahr gerne etwas weniger Party und etwas mehr Arbeit verordnet - aber sein Einfluss ist jenseits der offiziellen Davos-Events begrenzt. Bei einigen immerhin stieß er auf offene Ohren: Goldman Sachs hat seine traditionelle Glamour-Party abgesagt, die havarierte Investmentbank Lehman Brothers, früher immer mit großer Delegation vertreten, kommt in Davos gar nicht mehr vor.

Andere Veranstaltungen darf man weiterhin auf keinen Fall verpassen: das Focus-Fest von Hubert Burda zum Beispiel. Den Empfang der Deutschen Bank am Freitagabend, oder, wiederum auf Burdas Einladung, das Skirennen am Sonntag, bei dem sich Manager und Journalisten messen und das üblicherweise Alexander Dibelius gewinnt, der Deutschland-Chef von Goldman Sachs.

Fünf Tage bleiben dem Davos-Menschen, um dieses stramme Programm zu

absolvieren. Fünf Tage, in denen er neue Erfahrungen und neue Ideen aufsaugen kann, in denen er alte Kontakte pflegen und neue knüpfen kann. Der Davos-Mensch wird danach mehr wissen, aber immer noch nicht genug.

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Krise, Krise, und noch einmal Krise: Noch nie haben sich so viele Teilnehmer für das Weltwirtschaftsforum angekündigt, noch nie waren die Diskutanten so heterogen wie dieses Jahr. 43 Staats- und Regierungschefs sowie mehr als 2500 Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Kultur werden in der höchstgelegenen Stadt Europas erwartet, um nach Wegen aus der Depression zu suchen. Die Süddeutsche Zeitung stellt einige der Teilnehmer aus aller Welt vor. sila/bee

Fotos: AFP (9); Bloomberg (8); Reuters (5); ap (4); ddp (1);

dpa (1); Tony Rinaldo(1); oh (10)

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Molly Koh hat Angst

Es gab Zeiten, da trugen die Kunden von Molly Koh große Koffer mit Bargeld zum ersten Treffen. "Russen, Inder, vor allem Chinesen: Sie legten das Geld für die Anzahlung einfach auf den Tisch, kaum hatten sie die Immobilie gesehen", sagt sie und schüttelt den Kopf, als könne sie es noch immer nicht fassen. "Jetzt kommt gar niemand mehr. Niemand wagt zu investieren, die Nachfrage ist erlahmt." Das Verrückte ist, dass die guten Zeiten nur sechs Monate zurückliegen, Sommer 2008. Dazwischen liegt der steile Fall von Singapurs Immobilienmarkt. Minus 30 Prozent in sechs Monaten. "Und keiner weiß, wie viel tiefer der Markt noch fallen wird."

Molly Koh, 48 Jahre alt, Singapurerin, ist Immobilienmaklerin. Eine geborene Verkäuferin, charmant und beredt. Sie handelt mit Wohnungen und Häusern in den Distrikten 9 und 10 - beste Lage. Molly Koh verkauft an ausländische Investoren und an Singapurer Unternehmer "mit sehr tiefen Taschen". Und sie vermietet an "Expats", an Entsandte der Großbanken und Multinationalen also, die für einige Jahre im Finanzzentrum Singapur arbeiten, auf dieser modernen Handelsdrehscheibe zwischen Ost und West. Für die allermeisten ist Singapur nur ein Transit, die Firma bezahlt die Miete. Das macht die Arbeit der Makler einfacher. "Ja, das Geschäft war gut, sehr gut", sagt Molly Koh.

Früher hat sie für große italienische Modehäuser gearbeitet, vor sechs Jahren wechselte sie in die Immobilienbranche in der Hoffnung, sie habe so mehr Zeit für ihre Tochter. Auch damals herrschte eine große Krise: Die tödliche Infektionskrankheit Sars hatte den Markt in die Tiefe gezogen. "Zu Wohnungsbesichtigungen mussten wir Gesichtsmasken tragen, das war nicht schön, auch damals war die Stimmung im Land am Boden." Doch als Sars einmal ausgestanden war, wuchs die Branche nur noch. Sechs Jahre lang ging es aufwärts, ohne einen einzigen Einbruch. Die Wirtschaft wuchs mit schönen Raten, die internationalen Banken stockten ihre Belegschaften auf, einige verdoppelten sie gar. Der Anteil der "Expats" an der Gesamtbevölkerung wurde immer größer. Und so auch die Kundschaft von Molly Koh.

Sie würde ihre Familie als Mittelklasse beschreiben. Ihr Mann ist Werbefilmer. Sie besitzen ein Haus, das sie in einer teuren Marktphase gekauft hatten. Und sie machen sich Sorgen über die Zukunft. Vor allem sie. "Mein Mann beruhigt mich immer, doch ich will den Problemen vorbeugen." Sie überlegt sich, ob es nicht besser wäre, wenn sie eines ihrer beiden Autos abstoßen würden. "Damit könnten wir ein paar tausend Dollar im Monat sparen", sagt Molly Koh, "ich brauche den Wagen kaum, der Markt ist so flau. Und wenn wir wieder mehr Geld verdienen, legen wir uns wieder einen zweiten zu."

Früher kaufte sie das teure Olivenöl aus Italien, 35 Singapur Dollar für die Flasche. Jetzt holt sie sich das aus dem Billigmarkt. "Kostet nur 22 Dollar." Früher aßen sie oft im Restaurant, heute nur noch in den "Food Centers", diesen überdachten Zentren mit Imbissständen, wo man für zwei Euro eine gute Mahlzeit bekommt, Reis mit Huhn, eine Spezialität Singapurs. Und Ferien werden sie bis auf weiteres keine mehr machen. Oder nur in der Nähe. "Es gibt

Leute, die behaupten, die Krise berge auch Chancen", sagt Molly Koh, "aber wo zeichnet sich hier gerade eine Chance ab?" Oliver Meiler

Molly Koh ist Immobilienmaklerin in Singapur. Die Zeiten, in denen reiche Chinesen ihre Immobilie bar bezahlten, sind vorbei. Foto: Meiler

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Es war einmal in China

Die Zeiten des märchenhaften Wirtschaftswachstums sind erst einmal vorüber. Schneller und sehr viel stärker als von vielen Beobachtern erwartet, gerät China in den Sog des weltwirtschaftlichen Abschwungs. Das Land steht vor einer harten Bewährungsprobe. Von Henrik Bork

China ist kein Sonderfall. Auch hier gelten die Gesetze der Ökonomik. Diese Erkenntnis, so banal sie auch klingen mag, hat viele Menschen überrascht, die vom immerwährenden Aufschwung träumten. China kann sich der globalen Krise nicht entziehen, zu eng ist das Reich der Mitte mit den weltweiten Finanz- und Produktionsmärkten verwoben. Es gibt kein Entrinnen, das ist eine der ersten Lehren aus der Wirtschaftskrise. Schneller als von vielen Experten erwartet und auch viel schwerer hat die Krise China getroffen.

Von einer "harten Landung" im vierten Quartal des vergangenen Jahres sprechen die Analysten bereits. Da legte das Bruttoinlandsprodukt immerhin noch um 6,8 Prozent zu. Auf solch ein Wachstum mögen industrialisierte Länder auch in guten Zeiten neidisch schielen, für China gelten andere Dimensionen. Wer zweistellige Zuwachsraten gewöhnt ist, empfindet einstellige Werte schon als Flaute. Nach dem schwachen letzten Quartal haben die Auguren ihre Prognosen für 2009 auf neun Prozent korrigiert. Pessimisten rechnen nur mehr mit einem Wachstum von fünf Prozent. Für nächstes Jahr sieht es noch düsterer aus, bis es irgendwann wieder aufwärts geht.

Das Wohlergehen vieler asiatischer Volkswirtschaften hängt vom Export ab. Das gilt für China, aber auch für Länder wie Japan und Südkorea. Läuft die Wirtschaft in Europa und Amerika schlecht, bekommen sie das unmittelbar zu spüren, allen Jubelberichten vom asiatischen Wirtschaftswunder zum Trotz. Die ersten Ausläufer des Abschwungs machten sich schon im vergangenen Jahr bemerkbar. So gingen bis Ende 2008 allein in China 670 000 kleine Firmen pleite, fast über Nacht verschwanden 6,7 Millionen Arbeitsplätze. Und das sind bloß die offiziellen Zahlen, die in China bekanntlich das wirkliche Bild häufig schönen.

Die Regierung in Peking reagiert auf das Dilemma ähnlich hilflos wie Europäer und Amerikaner. Zwar beschloss die kommunistische Führung schon im November vergangenen Jahres aus Sorge um die politische Stabilität ein umfangreiches Konjunkturpaket im Volumen von umgerechnet 460 Milliarden Euro. Doch angesichts der Größe des Landes und seiner Probleme gibt es auch unter chinesischen Beobachtern durchaus geteilte Meinungen, ob das Paket viel helfen wird oder nicht. Wie andere Regierungen versucht auch die chinesische Staatsführung, den Binnenkonsum zu stimulieren. Mit manchmal schon unfreiwillig komisch wirkenden Mitteln werden die Bürger animiert, mehr Geld auszugeben.

Li Zhe, der Vizepräsident der Politischen Konsultativkonferenz, ein überregionales Beratergremium verdienter Parteifunktionäre, schlug vor kurzem eine "patriotische Konsumkampagne" vor. Privat und im Internet machen sich viele Chinesen darüber lustig. Der Direktor des Stadtplanungsamtes in Hefei rief in die Fernsehkameras: "Wohnungen kaufen heißt, das Vaterland zu lieben!" Als echtes Vorbild hat er sich selbst in aller Öffentlichkeit ein Apartment geleistet.

Ungerührt von solchem Aktionismus frisst sich die Krise immer weiter durch die verschiedenen Sektoren der Wirtschaft - von den exportabhängigen Fabriken über den Immobilienmarkt, die IT-Branche bis hin zur Autoindustrie. Überall ist derzeit die Stimmung schlecht. Die Probleme hätten bereits "von kleinen und mittleren Unternehmen auf die Großbetriebe, von den Ostprovinzen bis in Chinas Herzland" übergegriffen, berichtet Ma Jiantang, Chef des Nationalen Statistikamtes. Und Staats- und Parteichef Hu Jintao verordnete seinen Landsleuten eine Dosis Realismus, als er öffentlich erklärte, das Land werde "sein bisheriges Tempo der wirtschaftlichen Entwicklung" nicht mehr halten können.

Trotz all der Besonderheiten, die Chinas halb planwirtschaftliches, halb turbokapitalistisches System aufweist, gilt eben auch hier die einfache Regel, dass die in Boomjahren begangenen Sünden nicht über Nacht mit ein paar Konjunkturhilfen oder Appellen an die Bevölkerung zu beheben sind. Die Chinesen haben eine viel höhere Sparquote als Amerikaner und Europäer, weil sie viel mehr Geld für ihre Kranken- und Altersversicherung zurücklegen müssen. Nun rächt es sich, dass sich die korrupte Elite in den vergangenen Jahren bereichert hat, die Einkommen vor allem der Landbewohner und der Arbeiter aber nur vergleichsweise langsam gewachsen sind.

Aber nicht alle Nachrichten in China sind schlecht. So scheint gerade die Unvollständigkeit der chinesischen Wirtschaftsreformen in manchen Sektoren wie ein Schutzschirm vor den schlimmsten Auswirkungen der Krise zu wirken. Die noch unter starker staatlicher Kontrolle stehenden Banken etwa haben nicht ganz so unverschämt wie die Institute im Westen am Roulette auf den internationalen Finanzmärkten teilgenommen, nicht mit Derivaten und anderen "innovativen" Finanzinstrumenten gespielt. Deshalb ist Chinas Finanzsektor stabil. Es sieht zumindest so aus. Aber Vorsicht ist angebracht, denn wegen der mangelnden Transparenz des Systems lässt sich nur schwer abschätzen, wie viele Milliarden auch in China durch Spekulationen vernichtet worden sind. Gut möglich, dass solche Nachrichten erst nach und nach durchsickern.

Dennoch sind die Befürworter der Kommandowirtschaft derzeit wieder in der Offensive, während die Reformer mit dem Rücken zur Wand stehen. Mehr Staat und weniger Markt erscheint vielen Chinesen plötzlich wieder als das attraktivere Modell. Ist nicht der freie Markt, der Kapitalismus der Neoliberalen in den USA, gerade grandios gescheitert, fragen die Linken in den einschlägigen Magazinen.

Chinesische Ökonomen mit Weitblick aber warnen vor einem trügerischen Kurzschluss. Sie verweisen etwa darauf, dass das chinesische Bankensystem noch viel labiler sei als das in den USA. Nur weitere Reformen und generell ein Fortschreiten auf dem Weg der Privatisierung könne Chinas Wachstum langfristig sichern. Doch solche Stimmen haben es schwer im Moment.

Ministerpräsident Wen Jiabao, der mit einer riesigen Delegation nach Davos und zu Staatsbesuchen in die Schweiz, Deutschland und England reisen wird, verbreitet Zweckoptimismus. "Staatsführer sollten Vertrauen in den Fortschritt haben, die Unternehmen das Vertrauen für neue Investitionen und die Menschen Vertrauen in die Zukunft ihres Landes", ist eines der festen Versatzstücke seiner Reden, die er sicherlich auch in Europa wiederholen wird. Er klingt genauso hilflos wie die meisten Politiker im Westen.

Nicht nur China, ganz Asien hat derzeit zu kämpfen. Japans Exporte sind dramatisch eingebrochen, Vorzeigeunternehmen wie Toyota und Sony mussten hohe Verluste verkünden und Tausende Stellen streichen. Auch in Indien ist eine Abkühlung des jüngsten Booms zu spüren. Regierung, Wissenschaftler und Analysten haben ihre Prognose kräftig nach unten revidiert.

Nirgends in Asien ist der Abschwung bislang jedoch so dramatisch wie in China. Das plötzliche Absacken von 13 auf unter sieben Prozent Wachstum innerhalb weniger Monate lässt die Sorgen vor sozialen Unruhen wachsen. Eine ganze Generation junger Menschen, deren Lebensverhältnisse sich in den vergangenen drei Jahrzehnten stetig verbessert haben, muss nun erstmals den Gürtel enger schnallen. Schon mehren sich Demonstrationen und Streiks, und auch die Kriminalität ist in vielen Regionen sprunghaft angestiegen. Chinas politisches System, das trotz seiner autokratischen Züge bis vor kurzem bei manchen als modellfähig galt, steht plötzlich vor der größten Bewährungsprobe seit Jahrzehnten.

"Wer sein Vaterland liebt, kauft Wohnungen."

Die Befürworter der Kommandowirtschaft gewinnen an Stärke

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Harte Landung

Ein Mann in einem Werk der chinesischen Unternehmensgruppe Shenyang in der Provinz Liaoning im Nordosten Chinas. In ungeheurem Tempo hat das Land in den vergangenen Jahren Fabriken hochgezogen, um die Nachfrage aus dem Ausland zu bedienen. Chinas Bedarf an Rohstoffen und der wachsende Wohlstand ließ die Preise etwa für Stahl, Schrott und Öl in die Höhe schnellen. Der Boom ist nun zu Ende. Viele Staaten in Asien werden sich eine Weile mit bestenfalls einstelligen Wachstumsraten begnügen müssen. Fabriken werden geschlossen, und Millionen Menschen stehen ohne Arbeit auf der Straße. Foto: AP

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Die Landnehmer aus Fernost

Von Silvia Liebrich

Die Angst vor einer Knappheit an Nahrungsmitteln macht erfinderisch. Wer selbst nicht genügend produzieren kann, der schaut sich wie einige arabische Länder anderweitig um. Während in Mitteleuropa bis zu 40 Prozent der Landfläche für den Anbau von Feldfrüchten geeignet sind, gilt das auf der arabischen Halbinsel gerade einmal für ein Prozent - zu wenig, um die wachsende Bevölkerung dort zu ernähren. Mit

ihren Petro-Dollars im Gepäck sind die Scheichs gerngesehene Investoren in den armen Ländern Afrikas und Asiens, die genau das zu bieten haben, was ihnen so dringend fehlt: fruchtbares Ackerland.

Beinahe unter Ausschluss der Öffentlichkeit entstand hier in den vergangenen Jahren eine neue Form von Agrarkolonialismus. So erwarb ein Finanzunternehmen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten vor kurzem knapp 330 000 Hektar Ackerland in Pakistan - ein Vorgang, der an sich nicht weiter bemerkenswert wäre. Ungewöhnlich ist jedoch, dass der Investor alles, was dort wächst, auch ausführen darf, selbst wenn Pakistan, wie im vergangenen Jahr bei Reis, einen allgemeinen Exportstopp verhängt. Im Gegenzug gewähren die Emirate Pakistan großzügige Finanzhilfen. Auch China sichert sich seit einiger Zeit auf diesem Weg Anbauflächen, etwa in Südamerika oder Afrika.

Dies zeigt, welch hohe Priorität viele Länder inzwischen der Lebensmittelversorgung ihrer Bevölkerung einräumen. Eine Aufgabe, die angesichts der wachsenden Weltbevölkerung immer schwieriger wird. 6,75 Milliarden Menschen leben derzeit auf dieser Erde. 2025 werden es nach Einschätzung der Vereinten Nationen (UN) bereits mehr als acht Milliarden Menschen sein, 2050 über neun Milliarden. Erst für die Zeit danach rechnet die UN mit einem leichten Rückgang.

Die Zahl der Hungernden wächst. Knapp eine Milliarde Menschen gelten als unterernährt. Die Welternährungsorganisation FAO befürchtet, dass sich das Hungerproblem durch die weltweite Wirtschaftsrezession noch verschärfen wird. Auch weil Kapital, das für Investitionen im Agrarsektor vorgesehen war, nun in milliardenschwere Hilfsprogramme für die Finanz- und Autobranche umgeleitet wird. Vor allem die Hilfsmittel für ärmere Länder wurden deutlich zusammengestrichen. "Wir müssen mehr für die Förderung der Landwirtschaft in Entwicklungsländern tun," fordert Stefan Tangermann, bis vor kurzem Direktor für Handel und Landwirtschaft bei der OECD. Benötigt werde mehr Hilfe zur Selbsthilfe.

Schon heute können die landwirtschaftlichen Erzeuger rund um den Globus mit den wachsenden Ansprüchen der Konsumenten kaum noch Schritt halten. Im Schnitt wächst die weltweite Produktion nur um ein bis zwei Prozent jährlich. Mit dem steigenden Lebensstandard in Boomregionen wie China ändern sich auch die Ernährungsgewohnheiten. Die Nachfrage nach Fleisch und anderen hochwertigen Nahrungsmitteln nimmt zu und damit auch der Bedarf an Agrarrohstoffen - allein um ein Kilogramm Schweinefleisch zu erzeugen, müssen mehrere Kilogramm Mais, Weizen oder Soja verfüttert werden.

In der Agrarindustrie geht man davon aus, dass bereits in 20 Jahren doppelt so viel Nahrungsmittel gebraucht werden wie heute. Doch die dafür zur Verfügung stehenden Ackerflächen sind begrenzt und Wasser wird zunehmend knapp. Die Klimaerwärmung gefährdet zudem den Anbau in vielen Regionen. Noch produzieren die Bauern rund um den Globus genügend Nahrungsmittel. Dass trotzdem viele Menschen hungern, ist bislang vor allem ein Verteilungsproblem. Die große Herausforderung für die Landwirtschaft und die Ernährungsindustrie wird es in den nächsten Jahrzehnten jedoch sein, deutlich mehr zu produzieren als bisher. Als sicher gilt auch, dass Nahrungsmittel auf lange Sicht teurer werden. Die Zeiten hoher Überschüsse dürften vorerst vorbei sein.

Im Jahr 2025 werden mehr als acht Milliarden Menschen auf der Erde leben

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Mallika Sarabhai, 54, hat Ideen für eine bessere Welt. Die indische Tänzerin und Aktivistin entkam nur knapp dem Attentat auf das Taj-Mahal-Hotel in Mumbai 2008.

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Der chinesische Premierminister Wen Jiabao, 66, reist mit einem Tross an Begleitern in die Schweiz. Zehn Kabinettsmitglieder helfen ihm, Chinas Interessen zu vertreten.

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Der Bildungsminister und stellvertretende Premier Vietnams, Nguyen Thien Nhan, 55, kennt Deutschland gut: Seinen Doktortitel in Kybernetik hat er in der DDR gemacht.

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Der koreanische Autobauer Hyundai-Kia will 2009 die Kosten um ein Fünftel senken. Präsident Eui-Sun Chung, 38, hofft auf Impulse für die Automobilhersteller.

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Asien ist nicht entkoppelt vom Rest der Welt: Haruhiko Kuroda, 64, Präsident der Asian Development Bank, analysiert die wirtschaftlichen Perspektiven Asiens für 2009.

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Big Business: Der Chinese Calvin Chin ist Gründer von Qifang, einer Internetplattform, die Studentenkredite vergibt. Die Gelder sammelt er bei Investoren ein.

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Laura M. Cha, 56, ist Aufsichtsrätin bei HSBC Holdings. Als Expertin im Global Agenda Council diskutiert sie Maßnahmen für die Finanzwelt nach der Krise.

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West Ham holt Nsereko

Der englische Fußball-Klub West Ham United hat den deutschen U-19-Nationalspieler Savio Nsereko für elf Millionen Euro Ablöse vom italienischen Zweitligisten Brescia Calcio nach London geholt - soviel hat West Ham nie zuvor für einen Spieler ausgegeben. Nsereko soll den walisischen Nationalspieler Craig Bellamy ersetzen, der vorige Woche zu Manchester City gewechselt war. Bellamy war 2007 für den damaligen Klubrekord von fast elf Millionen Euro vom FC Liverpool gekommen. Der in Uganda geborene Nsereko ging 2005 von 1860 München nach Italien und wurde im vorigen Jahr beim EM-Sieg der deutschen U-19-Auswahl in Tschechien als bester Spieler des Turniers ausgezeichnet. sid

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Klage gegen Kartellamt

Im Streit um die Zentralvermarktung wird die Deutsche Fußball Liga (DFL) das Bundeskartellamt beim Oberlandesgericht Düsseldorf verklagen. "Wir können nicht zulassen, dass vom Kartellamt eine Rechtsmeinung geäußert wird, die den Profifußball auf Dauer behindert", sagte Ligaverbandspräsident Reinhard Rauball beim DFL-Neujahrsempfang. Das Bundeskartellamt hatte 2008 wegen angeblicher Sponsorenabsprachen zwischen Liga und DFB die Geschäftsräume der beiden Fachorganisationen durchsucht. Anschließend machte die Bonner Behörde massive Auflagen in Bezug auf die Zentralvermarktung, wodurch der TV-Milliardenvertrag mit der Kirch-Tochter Sirius scheiterte. sid

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Hinter dem Rücken des Leistungssports

Die wechselhafte Karriere des verstorbenen 800-Meter-Läufers und früheren Abonnementmeisters René Herms offenbart die Tücken der Spitzenleichtathletik

München - Für Stefanie Herms, die Witwe, für die Familie des verstorbenen Mittelstrecklers René Herms und für die engsten Freunde muss es am Montag auf dem Friedhof von Pirna wieder so gewesen sein, als gäbe es keine Antwort auf die Frage nach dem Warum. Da waren nur Trauer und Schmerz, und die Ratlosigkeit, von welcher der Trauerredner sprach, ehe die Urne mit der Asche des toten Läufers vor 200 Trauergästen beigesetzt wurde. Denn so tief reicht kein wissenschaftlicher Befund, dass man wirklich begreifen könnte, dass ein Mann von 26 Jahren, der vor kurzem noch so vital wirkte, auf einmal nicht mehr da ist.

Aber natürlich gibt es einen Befund: René Herms ist an den Folgen einer "beidseitigen, virusbedingten Herzmuskelentzündung" gestorben, das sagt der Obduktionsbericht, den die Staatsanwaltschaft Dresden am Freitag veröffentlicht hat. Welche Viren genau Herms' Herz so geschädigt haben, dass es am Abend des 9. Januar plötzlich aufhörte zu schlagen, ist demnach Spekulation. Sicher ist wohl immerhin, dass es ein Schicksalsschlag war, zu dem es keinen Schuldigen gibt. Allenfalls kann man sich fragen, ob Spitzenathleten sich nicht routinemäßig noch genaueren Herzuntersuchungen unterziehen sollten, als das Herms beim Institut für Angewandte Trainingswissenschaften in Leipzig ohnehin schon tat, um möglichen Herzrhythmusstörungen besser auf den Grund gehen zu können. Und unklar ist, ob Herms im Kampf um seine Form nach Krankheiten manchmal nicht doch zu früh wieder ins Training einstieg oder Symptome überging.

Die Tragödie rückt durchaus auch die Tücken des olympischen Leistungssports ins Bewusstsein, was vor allem daran liegt, dass Deutschlands früherer 800-Meter-Dominator René Herms nach zwei schwächeren Jahren mit seinen Finanzen zu kämpfen hatte und Stefanie Herms Schulden hinterlässt. In der Sächsischen Zeitung hat sie dazu ein Interview gegeben und darin die kalte Leistungsgesellschaft beklagt: "Solange René gut gerannt ist, da war er der tolle Sportler. Als er aber in Schwierigkeiten steckte (...), da wurde ihm der Rücken gekehrt." Beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV), den bei der Beerdigung am Montag nur Teammanager Siegfried Schonert vertrat, und bei Herms' Ausrüster Asics erregt sie damit natürlich Widerspruch. Und in der Tat ist die ganze Geschichte komplizierter.

2001 wurde René Herms mit 19 zum ersten Mal deutscher Meister bei den Senioren - und danach ging alles wie von allein. Er kam ins Nationalteam, nach dem Abitur 2003 in die Sportfördergruppe der Bundeswehr, und auch die Sportartikelfirma Asics sah in ihm eine gute Investition, sogar "ein Jahrhunderttalent", wie Matthias Kohls sagt, der Sponsoring-Leiter bei Asics. Bis 2006 wurde Herms sechs Mal nacheinander Meister, dazu kamen bis 2007 sechs Hallen-Titel, ohne Probleme qualifizierte er sich für die Saisonhöhepunkte und preschte vor Olympia 2004 in einem Länderkampf zu seiner beachtlichen Bestzeit von 1:44,14 Minuten. Herms verdiente gut damals. Leichtathletik-Profis wie er haben mehrere Einnahme-Quellen: den monatlichen Sold der Sportfördergruppe, Grundgehalt und Leistungsprämien vom Ausrüster, Zahlungen vom Verein, Gagen von Veranstaltern. Das bringt keine Millionen, aber eine Summe, die Wohlstand bedeutet für einen jungen Mann. Und Herms war weder geizig, noch sparsam, noch ein sehr gewiefter Geldanleger.

Dann kam das Tief. 2006 scheiterte er bei der EM in Göteborg in der ersten Runde, es gab Streit mit Trainer Klaus Müller beim LC Asics Pirna über seine Trainingsmoral. Trennung, Trainerwechsel, Vereinswechsel zur LG Braunschweig. Vor allem Letzteres gefiel Klub- und Herms-Sponsor Asics nicht gut. Herms bekam einen anderen Vertrag, weil "der Nutzen für uns nicht mehr der gleiche war wie in Pirna, wo der Firmenname bei seinen Starts mitkommuniziert wurde", sagt Kohls. Im Sommer 2007 wurde er nicht deutscher Meister, verpasste die WM-Qualifikation und verlor seinen Status als Sportsoldat. 2008 wurde er wieder nicht Meister, verpasste Olympia und verlor seinen B-Kader-Status. Es waren keine willkürlichen Härten. Herms lief schlicht langsamer als früher.

Hatten ihm alle den Rücken zugekehrt? Henning von Papen, DLV-Trainer für die Mittelstrecke, kann dazu eine Geschichte erzählen. Herms rief ihn zuletzt aus dem Trainingslager in Kienbaum an, um sich zu beschweren: Der Physiotherapeut im Leistungszentrum verweigere ihm den Dienst, weil er kein Kaderathlet mehr sei. Papen klärte den Physiotherapeuten über Herms auf: "Das ist immer noch ein Hoffnungsträger." Herms bekam seine Behandlung. Und so war es auch sonst: Herms wurde nicht rücksichtslos ins Abseits geschickt. Die Bundeswehr zahlte ihm 2008 noch zweimal 90 Tagessätze für Wehrübungen, als "Entgegenkommen", wie Papen sagt. Asics überwies weniger, aber ließ ihn nicht fallen. "Seit 2001 hat er im Schnitt 20 000 bis 25 000 Euro jährlich verdient", sagt Kohls. Und der Förderverein, der das Laufteam der LG Braunschweig finanziert, ist auch kein sportkapitalistisches Monstrum: Der zweite Vorsitzende Bernhard Bröger klingt väterlich, als er berichtet, wie genügsam Herms 2006 bei den Vertragsverhandlungen war. Auch Bröger klagt etwas über das brutale Sportgeschäft, ehe er stolz von den Erfolgsprämien seines Vereins erzählt, die er "sehr sozial gestaffelt" nennt; Herms bekam als Zweiter der deutschen Meisterschaft 600 Euro.

Aber gut verdiente Herms nicht mehr, er bekam die strengen Gesetzmäßigkeiten des nationalen Leichtathletikbetriebs zu spüren: Wer seine Normalform verliert und nur den Sport hat, kommt leicht in Finanznot. Um das Risiko zu mindern, gibt es im DLV die Idee, Vertragsmodelle für Athleten einzuführen, die Ausbildungsversicherungen umfassen und Möglichkeiten bieten, Rücklagen zu bilden. Aber letztlich müssen die Sportler die Wirklichkeit ihres Gewerbes selbst annehmen. "Man muss klipp und klar sagen", sagt Eike Emrich, der DLV-Vizepräsident Leistungssport, "den Fokus der Aufmerksamkeit müssen Athleten bei aller Bedeutung, die der Sport für sie hat, auf ihre berufliche Perspektive legen. Und redlicherweise muss man das den Athleten auch sagen."

Wolfram Müller, 27, 1500-Meter-Läufer, kennt die Mahnungen. Aber am Anfang, als er die Fachwelt verblüffte, Zweiter der Junioren-WM 2000 wurde, deutscher Meister 2001 usw., da schien der Sport doch genug zu sein zum Leben. "Manchmal geht halt alles sehr schnell. Von viel zu fast gar nichts mehr." Er und Herms haben ähnliche Karrieren gemacht. Beide stammen aus der Pirnaer Trainingsgruppe von Klaus Müller, beide sind Asics-Athleten, beide schieden mal im Streit aus Pirna, beide schlitterten ins Tief. Aber Wolfram Müller sagt nicht, dass ihm jemand den Rücken zugekehrt hätte. Seit zehn Jahren ist ihm Asics treu, auch ohne die Hilfe von Freunden, Familie, Verein hätte er längst aufgeben müssen. Das Leistungsprinzip findet er in Ordnung. Und ja, die Ausbildung geht ihm ab heute: "Ich habe es verpasst." Mittlerweile ist er verheiratet. 2008 war er immerhin Zweiter der deutschen Meisterschaften, und er sagt: "Ich kann froh sein für das, was ich hab'." Nur eines scheint ihn zu beklemmen. Dieser innere Druck nach Verletzungen oder Krankheiten. Klar, sagt Müller, "jeder Sportler ist bestrebt, möglichst schnell sein Training wieder aufzunehmen".

René Herms war zuletzt wieder sein Laufpartner. Herms hatte sein Pensum verschärft. Er hatte überhaupt sein Leben neu organisiert, eine Firma namens Wohntraum Lohmen gegründet, nach dem Aus bei der Bundeswehr ein Wirtschaftsfernstudium aufgenommen. Wolfram Müller sagt, im Trainingslager habe Herms nebenbei gelernt, und auf der Bahn sei er in guter Form gewesen. Auch beim DLV heißt es, der frühere Meister sei auf dem Weg zurück aus der Versenkung gewesen. Die Vorzeichen stimmten. René Herms musste aus seinen Rückschlägen gelernt haben. Thomas Hahn

René Herms? 800-Meter-Läufer, Junioren-Europameister 2001, deutscher Meister 2001 bis 2006, U-23-Europameister 2003, WM-Halbfinalist 2003, 2005, Olympia-Halbfinalist 2004. Foto: ddp

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Herdling zu Hoffenheim

Der Bundesliga-Tabellenführer 1899 Hoffenheim hat vor dem Auftakt der Rückrunde Kai Herdling, 24, verpflichtet. Der Stürmer kehrt vom Regionalligisten Waldhof Mannheim zurück zum Team von Trainer Ralf Rangnick. Der Vertrag soll in Kürze unterschrieben werden. Nach dem Ausfall von Torjäger Vedad Ibisevic soll Herdling eine Alternative in Hoffenheims Offensive sein. Herdling spielte bereits von 2002 bis 2008 bei Hoffenheim. Für Waldhof bestritt er in dieser Saison 14 Spiele und erzielte dabei zehn Tore. sid

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Muskelmann und dunkle Pferde

Favorit Andy Murray scheitert in Melbourne an Fernando Verdasco - die Australian Open sind erneut ein Turnier für Außenseiter

Melbourne - Zum Abschied hob Andy Murray müde die Hand und zeigte den Zuschauern in der Arena noch einmal die Akkreditierung, die er acht Tage lang stolz durch den Melbourne Park getragen hatte. Nach zwei Siegen gegen Roger Federer und dem Triumph beim Turnier in Doha war der Schotte bei den Australian Open als einer der Favoriten gehandelt worden. Nachdem er im vergangenen Jahr in Wimbledon das Viertelfinale erreicht hatte und bei den US Open das Finale, hatte der 21-Jährige in der Winterpause in Miami hart an sich gearbeitet. Schwimmen, sprinten, Fußball spielen, Hochsprung, Weitsprung, Yoga. Das Programm war umfassend. 24 Klimmzüge schafft der Schlacks inzwischen. Sein Ziel: 50. Vier Kilogramm Muskelmasse hat Murray seit Dezember zugelegt. Trainer, Krafttrainer, Konditionstrainer, Physiotherapeut, Berater - "seine Entourage ist größer als die der meisten US-Rapper", spottete die Zeitung Herald Sun - und ließ es sich dann doch nicht nehmen, Murray oben ohne in Bodybuilder-Pose auf seine Titelseite zu nehmen. Weil das wichtigste Turnier des Jahres immer noch in Großbritannien gespielt wird und die Briten seit sehr langer Zeit schon keinen großen Champion mehr hervorgebracht haben, war es ein ziemlicher Hype. Der endete am Montag.

Gestoppt hat ihn ein recht unauffälliger Spanier, der seit sieben Jahren mit der Tennistour um die Welt zieht, derzeit ganz ohne Trainer: Fernando Verdasco. Der 25-Jährige stand Murray im Achtelfinale drei Stunden und zwölf Minuten lang gegenüber und weigerte sich schlicht zu verlieren. Jeden Ball brachte Verdasco zurück, fünf Sätze lang. Als die Sonne langsam unterging, hieß es 2:6, 6:1, 1:6, 6:3, 6:4 für ihn. Murray schlich enttäuscht davon und konnte nur versprechen: "Ich werde an mir arbeiten und noch stärker zurückkommen." Für die Tennistour wäre das gut. In diesem Herbst steigt das Masters zum Saison- ende in London.

Verdasco hat im Winter ebenfalls hart an seiner Fitness gearbeitet. Zwei Wochen lang trainierte er in Las Vegas mit Gil Reyes, der einst Andre Agassi anleitete. Auch am 24. Dezember schuftete Verdasco im Kraftraum, als Agassi auf einen Plausch vorbeischaute, bevor er mit seiner Familie zum Skiurlaub aufbrach. "Ich fahre auch gerne Ski. Da war ich schon ein wenig neidisch", gab Verdasco in Melbourne zu. Der Erfolg gegen Murray entschädigte ihn für den Verzicht. "Das ist mein bisher größter Sieg", sagt Verdasco, der zwei Turniertitel in seiner Vita stehen hat: 2004 bekam er in Valencia die Siegertrophäe überreicht, 2008 in Umag. Mehr Aufsehen als seine Sandplatzerfolge erregte er allerdings, als er sich im vergangenen Jahr für die Cosmopolitan auszog, um Aufmerksamkeit auf eine Krebs-Vorsorge-Kampagne zu lenken. Ein Grand-Slam-Viertelfinale hat Verdasco noch nie erreicht. In Melbourne trifft er nun in der Runde der besten Acht auf Jo-Wilfried Tsonga.

Bei der ersten Grand-Slam-Veranstaltung des Jahres gibt es eine Tradition: Ungewöhnlich oft bringen es dort Außenseiter weit. Im vergangenen Jahr stürmte der Franzose Tsonga als Ungesetzter ins Finale, 2007 stand Roger Federer dort dem Chilenen Fernando Gonzalez gegenüber. 2006 lernte die Welt bei der gleichen Gelegenheit Marcos Baghdatis aus Limassol auf Zypern kennen. 2003 durfte im wichtigsten Match des Turniers überraschend Rainer Schüttler gegen Andre Agassi antreten, im Jahr zuvor war dem Schweden Thomas Johansson sein einziger Grand-Slam-Coup geglückt. Rafael Nadal, der es bei den Australian Open nie über das Halbfinale hinausbrachte, hat eine simple Erklärung. "Weil es noch früh in der Saison ist, sind noch nicht alle hundertprozentig fit. Deshalb haben mehr Spieler Siegchancen", glaubt der Weltranglisten-Erste.

"Dark horse" nennen die Australier Außenseiter, die sich unerwartet in Szene setzen - dunkle Pferde. Der Ausdruck stammt von Wetten auf Pferderennen. Unbekannte Galopper, auf die kaum einer gesetzt hatte, wurden so genannt. Fernando Verdasco hat gute Chancen, das dunkle Pferd 2009 zu werden. Bevor er im Achtelfinale Andy Murray gegenübertrat, hatte er den Tschechen Radek Stepanek, den Franzosen Arnaud Clément und dessen Landsmann Adrian Mannarino bezwungen und dabei gerade einmal zwölf Spiele abgegeben. So überzeugend ist noch nie einer in die vierte Runde marschiert. "Jetzt möchte ich das Turnier nur noch genießen", sagt Verdasco. Was er anschließend vorhat, weiß er schon: Es geht wieder für zwei Wochen nach Las Vegas, zu Gil Reyes in den Kraftraum.

Verdasco ist die größte Überraschung der ersten Turnierwoche bei den Männern, aber nicht die einzige. Das zweite dunkle Pferd kommt aus Nizza: Auch Gilles Simon hat nach 13 Anläufen zum ersten Mal ein Grand-Slam-Viertelfinale erreicht. Am Mittwoch darf er sich gegen Rafael Nadal versuchen. Der 24 Jahre alte Simon hat den Spanier Pablo Andujar aus dem Turnier geworfen, den Australier Chris Guccione und den Kroaten Mario Ancic. Obwohl er das Jahr 2008 als Weltranglisten-Siebter beendete, zog er als Außenseiter ins Achtelfinale gegen Gaël Monfils. Der 22-Jährige gilt als Wunderknabe - ein Ruf, den er 2008 untermauerte, als er bei den French Open ins Halbfinale vorstieß. Wie Murray hat Monfils sich in der Winterpause beeindruckend viele neue Muskeln zugelegt. Wie Murray musste er deren Demonstration in Melbourne am Montag jedoch früher als geplant beenden: Im dritten Satz gegen Simon verletzte er sich am Handgelenk und gab auf. René Hofmann

"Ich werde noch stärker zurückkommen": Andy Murray, besiegt in Melbourne Foto: Reuters

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"Klimaschutz ist bezahlbar"

McKinsey schätzt den Bedarf auf 810 Milliarden Euro

Von Cerstin Gammelin

Brüssel - Die Weltwirtschaft kann mit überschaubaren Kosten klimafreundlicher gemacht werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey, die am Montag in Brüssel vorgestellt wurde. "Klimaschutz ist machbar, und er ist bezahlbar", sagte McKinsey-Direktor Tomas Nauclér. Um die Erderwärmung zu bremsen, müssten bis zum Jahr 2030 weltweit 810 Milliarden Euro in neue Technologien investiert werden. Es dürfe keine Zeit verloren werden, sagte Nauclér.

McKinsey listet 200 Maßnahmen auf, mittels deren Umsetzung sich die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 senken lassen. Würden Industrie und Haushalte Energie effizient nutzen, würden die Emissionen um 40 Prozent sinken. Allerdings rufen Europas Energiekonzerne rufen auch beim Klimaschutz nach mehr politischer Führung.

Der Klimawandel könne nur gestoppt werden, wenn "alle Länder dieser Welt mitmachen und alle technologischen Reserven ausgeschöpft werden", sagte Lars G. Josefsson, Vorstandschefs des schwedischen Versorgers Vattenfall, der die Studie zusammen mit anderen Energiekonzernen und der Umweltorganisation WWF finanziert hat. Die Politik müsse "für alle Länder anspruchsvolle Emissionsgrenzen vorgeben", sagte Josefsson.

WWF-Direktor Jim Leape forderte die Politik auf, endlich anspruchsvolle Klimaziele zu vereinbaren. "Wir brauchen einen internationalen Deal", sagte Leape. Bis zum Jahr 2020 müssten die Klimagasemission in Europa und in den USA um mindestens 25 bis 40 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden. Bisher hat die EU lediglich eine Reduktion von 20 Prozent beschlossen. US-Präsident Barack Obama will die Emissionen bis 2020 auf dem Stand von 1990 einfrieren. Leape forderte die EU und die USA auf, nachzubessern. Zwei Drittel der Klimagasemissionen müssten in den Schwellenländern reduziert werden. Diese würden ein Abkommen unterschrieben, wenn die Industriestaaten mehr leisten. Er appellierte an die Industriestaaten, mit den angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise geschnürten Rettungspaketen Investitionen in nachhaltige Projekte zu fördern. "Die Konjunkturpakte sind der Schlüssel zum Klimaschutz", erklärte der WWF-Direktor. Nötig sei der Ausbau der Infrastruktur, der erneuerbaren Energien und effiziente Technologien.

Ende alter Anlagen: Das stillgelegte Bergwerk Walsum. Foto: AP

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Hartz-IV-Empfänger arbeiten oft in Teilzeit

Nürnberg - Nur ein geringer Teil der Berufstätigen, die zusätzlich auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind, hat eine Vollzeitstelle. Mehr als die Hälfte dieser sogenannten Aufstocker arbeiten weniger als 15 Stunden in der Woche. Eine Vollzeitbeschäftigung scheitere häufig an gesundheitlichen Problemen, mangelnder Berufsausbildung oder fehlender Kinderbetreuung, berichtete das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) am Montag in Nürnberg.

Insgesamt beziehen laut Institut rund 1,35 Millionen Erwerbstätige zusätzlich Arbeitslosengeld II. Sie verdienen in Westdeutschland im Schnitt sieben Euro pro Stunde brutto, in Ostdeutschland sechs Euro. Die Mehrheit der ostdeutschen Singles und Alleinerziehenden bekomme sogar weniger als fünf Euro. "Geringe Löhne sind aber nur selten die alleinige Ursache der Bedürftigkeit", berichtete das IAB aus einer Studie, für die mehr als 1000 Aufstocker befragt wurden. Beim überwiegenden Teil der Betroffenen sei die Arbeitszeit entscheidend. So arbeite nur jeder Fünfte mehr als 35 Stunden in der Woche.

Bei alleinerziehenden Frauen ist es nach IAB-Angaben vor allem die fehlende Kinderbetreuung, die eine Ausweitung der Arbeit unmöglich macht. "Das Defizit zeigt sich insbesondere bei der Nachmittagsbetreuung, die für mehr als drei Viertel der Schulkinder nicht gegeben ist", heißt es in der Studie. Bei Singles spielten dagegen vor allem gesundheitliche Einschränkungen eine Rolle; viele hätten eine amtlich anerkannte Behinderung.

Dabei legen die Befragten laut IAB-Studie eine große Arbeitsmotivation an den Tag: Rund 60 Prozent erklärten, sie würden auch dann gerne arbeiten, wenn sie nicht auf den Lohn angewiesen wären. Sie wiesen damit deutlich höhere Werte auf als der Durchschnitt der Erwerbsbevölkerung (40 Prozent).

Die IAB-Autoren folgern, dass vielfältige politische Bemühungen nötig seien, um die Gruppe der Aufstocker stärker am Arbeitsmarkt teilhaben zu lassen. So könne die Arbeitsmarktpolitik durch Qualifizierungsmaßnahmen oder befristete Lohnkostenzuschüsse wichtige Hilfen leisten. Aber auch in der Bildungs-, Gesundheits- und Familienpolitik seien weitere Anstrengungen nötig. dpa

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US-Unternehmen sehen schwarz

Washington - Das Geschäftsklima in der rezessionsgeplagten US-Wirtschaft ist einer Umfrage zufolge auf das niedrigste Niveau seit 27 Jahren gesunken. Fast die Hälfte der 105 befragten Mitglieder berichteten über eine rückläufige Nachfrage nach Dienstleistungen und Gütern in ihrer Branche oder Firma, wie aus einer am Montag veröffentlichten Studie des Ökonomen-Verbandes National Association for Business Economics (Nabe) hervorgeht. Eine derart negative Einschätzung der Lage hat es seit Beginn der Befragung 1982 noch nicht gegeben.

Die wirtschaftliche Talfahrt hat sich demnach im Schlussquartal 2008 beschleunigt. Wegen der Nachfrageflaute und der Kreditklemme strichen viele Firmen ihre Investitionspläne zusammen und bauten Stellen ab. Rund 40 Prozent der zwischen Mitte Dezember und Anfang Januar befragten Experten gaben an, ihre Firma werde in den kommenden sechs Monaten Stellen streichen. Der Jobabbau werde neben der Güter produzierenden Wirtschaft auch den Finanzsektor treffen.

Auch die gesamtwirtschaftlichen Perspektiven für 2009 sehen die Experten düster: Mehr als die Hälfte der befragten Fachleute erwartet, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA um mehr als ein Prozent schrumpfen wird. Die USA stecken seit Dezember 2007 in der Rezession. Allein in den vergangenen vier Monaten sind nach Regierungsdaten 1,9 Millionen Jobs der Konjunkturflaute zum Opfer gefallen. Reuters

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Kreditklemme trotz Milliardenhilfen

Berlin - Trotz der Milliardenhilfen für Banken hält die Kreditknappheit in der europäischen Wirtschaft bisher unvermindert an. Die meisten EU-Mitgliedsländer klagten noch immer über Engpässe bei der Kreditversorgung, hieß es am Montag in einer Reuters vorliegenden Analyse der EU-Kommission. Trotzdem sieht sie eine zweite Rettungswelle skeptisch, die sich etwa in Frankreich abzeichnet. Auch in den USA wachsen die Sorgen, dass die Stabilisierung der Finanzbranche teurer wird.

Die EU-Kommission und die Finanzminister der Euro-Zone hatten bereits vergangene Woche an die Banken appelliert, ihre Zurückhaltung bei der Kreditvergabe aufzugeben. Eine Sprecherin der Kommission nannte es allerdings voreilig zu behaupten, die Bankenrettungspläne seien gescheitert. Für belastbare Schlussfolgerungen lägen bisher keine ausreichenden Daten vor, heißt es in der vertraulichen Analyse, die den Finanzministern bei ihrem jüngsten Treffen vor einer Woche in Brüssel vorlag.

Die Bewertung der EU-Kommission fußt auf einer Befragung der Mitgliedsländer. Demnach herrscht die Einschätzung vor, dass sich der Zugang der Güterwirtschaft zu Darlehen stark verschlechtert hat. Dass Statistiken wie die der Europäischen Zentralbank dies bisher nicht nachweisen, erklärt die Kommission unter anderem mit Zeitverzögerungen bei der Datenerhebung. Verbesserungen habe es allerdings auf dem Interbankenmarkt gegeben, heißt es in dem Papier weiter. Reuters

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Eine Milliarde Menschen hungert

Experten warnen in Madrid vor einer neuen Lebensmittelkrise und fordern die Auszahlung zugesagter Spenden

Von Silvia Liebrich

München - Wie fragil die menschliche Lebensgrundlage sein kann, zeigt in diesen Tagen eine Raupenplage in Liberia. Hunderte Kleinbauer sind mit ihren Familien auf der Flucht, vertrieben von einer Ungezieferplage, die große Teile ihrer Getreide- und Maisfelder vernichtet hat. Es ist schlichtweg der Hunger, der die Menschen in einem der ärmsten Länder Afrikas dazu zwingt, auf der Suche nach Nahrung ihre Heimat zu verlassen. Geschichten wie diese gehören zum Alltag in vielen Entwicklungsländern, Notiz wird von ihnen nur selten genommen.

Dass ausgerechnet diese Meldung von den Nachrichtenagenturen aufgegriffen wurde, hat sicher auch damit zu tun, dass an diesem Montag und Dienstag in Madrid Vertreter aus 95 Ländern zusammenkommen, um nach Lösungen für das wachsende Hungerproblem zu suchen. Teilnehmer warnten bei der Eröffnung nachdrücklich vor einer Verschlechterung der weltweiten Ernährungslage. Die Finanzkrise und niedrige Erzeugerpreise könnten zu sinkenden Agrarinvestitionen und einem Rückgang der Nahrungsmittelproduktion führen, sagte der Chef der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO), Jacques Diouf. Dies werde einen erneuten Preisanstieg und eine zunehmenden Nahrungsmittelknappheit zur Folge haben. Fehlende Nahrungsmittel und hohe Lebensmittelpreise seien eine Bedrohung für Wohlstand und Sicherheit in vielen Entwicklungsländern, erklärte die neue US-Außenministerin Hillary Clinton per Video-Botschaft.

Ziel rückt in weite Ferne

Bei dem zweitägigen Treffen unter dem Vorsitz von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und Spaniens Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero geht es auch um die Umsetzung eines Aktionsplans, der beim Welternährungsgipfel im vergangenen Juni in Rom verabschiedet wurde. Stark gestiegene Lebensmittelpreise hatten im vergangenen Jahr zu Unruhen in einigen Ländern, darunter Mexiko und Indien, geführt. Damals sagten Einzelstaaten und internationale Organisationen 22 Milliarden Dollar an Spenden zu, umgerechnet etwa 17 Milliarden Euro. Davon wurde nach Angaben von FAO-Präsident Diouf bislang aber nur ein kleiner Teil an die Entwicklungsländer überwiesen. Er forderte die Spender auf, ihre Zusagen einzuhalten.

In Rom hatten die Teilnehmer auch das Ziel bekräftigt, die Zahl der Hungernden im Zeitraum von 1990 bis 2015 halbieren zu wollen - eine Vorgabe, die in immer weitere Ferne rückt. 2008 stieg die Zahl der unterernährten Menschen um weitere 75 Millionen auf knapp eine Milliarde. Allein der Klimawandel dürfte die Zahl der Hungernden in den nächsten Jahren um bis zu 170 Millionen steigen lassen. Zu diesem Schluss kommt das unabhängige Londoner Expertengremium Chatham House in einer am Montag veröffentlichten Studie zur Ernährungssicherheit im 21. Jahrhundert.

Als eine der größten Bedrohungen für die Nahrungsmittelproduktion wird darin auch die zunehmende Wasserknappheit genannt, unter der bereits heute 500 Millionen Menschen leiden. Im Jahr 2050 werden davon schätzungsweise vier Milliarden Menschen betroffen sein, das entspricht knapp der Hälfte der erwarteten Weltpopulation zu diesem Zeitpunkt. Der Kampf um fruchtbares Ackerland und Wasser wird sich der Studie zufolge verschärfen. Mehr als zwei Drittel des verfügbaren Süßwassers werden bereits heute in der Landwirtschaft verbraucht.

Den jüngsten Rückgang der Lebensmittelpreise werten auch die Chatham-Experten nicht als Zeichen für eine Entspannung am Agrarmarkt. "Mittel- bis langfristig ist ein Anstieg der Nahrungsmittelpreise unausweichlich", heißt es in der Studie. Ursache dafür sei auch der wachsende Einsatz von Agrarrohstoffen für die Energiegewinnung. Die Agrarindustrie geht davon aus, dass sich der weltweite Nahrungsbedarf bis 2030 verdoppeln wird. Um den Bedarf zu decken, müssten sich die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft schon heute auf eine globale Ernährungsstrategie einigen, so die Chatham-Experten.

Demonstranten forderten am Tagungsort in Madrid eine Wende in der weltweiten Lebensmittelpolitik und mehr Hilfen für Bauern. Hilfsorganisationen warnten, dass die Konferenz zu einer "Farce" zu werden drohe. Sie beklagten das Fehlen koordinierter Programme der reichen Länder zum Kampf gegen den Hunger. "Die Welternährungskonferenz darf nicht zu leeren Versprechungen führen, die am Ende nicht eingehalten werden", sagte José Antonio Hernández, Sprecher der Organisation Intermón Oxfam.

Demonstranten protestieren beim Welternährungsgipfel in Madrid: Sie befürchten, dass das Treffen so wenig Ergebnisse bringen wird, wie andere zuvor. Die Zahl der Hungernden stieg zuletzt auf knapp eine Milliarde Menschen. Foto: AFP

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Mit Bomben gegen Bohrlöcher

In Kanada attackierten Unbekannte bereits zum vierten Mal eine Erdgaspipeline - aus Protest gegen die Energiekonzerne

Von Bernadette Calonego

Vancouver - Unter den Feldern beim kleinen Dorf Tomslake im Nordosten der Provinz British Columbia findet sich ein Teil des größten Erdgasvorkommens in Nordamerika. Hier, wo die umliegenden Hügel langsam zu den kanadischen Rocky Mountains hochsteigen, überziehen Pipelines und Bohrstellen die Landschaft wie ein dichtes Gitter, sie haben zunehmend Kühe und Silos verdrängt.

Nicht allen gefällt die massive Expansion. Zuerst gab es Proteste, dann folgte Gewalt: Seit Oktober 2008 haben unbekannte Täter schon viermal Sprengstoffattentate auf Gaspipelines und andere Einrichtungen verübt, das letzte am 4. Januar. Die Bomben galten alle dem Konzern Encana, Kanadas größtem Erdgasproduzenten. Niemand wurde dabei verletzt. Encana bietet eine Belohnung von über 300 000 Euro für Hinweise auf die Täter. Kurz vor dem ersten Anschlag hatten Zeitungen in der Gegend der Kleinstadt Dawson Creek, rund 590 Kilometer von Edmonton entfernt, einen anonymen handschriftlichen Brief erhalten: Encana wurde ultimativ aufgefordert, jegliche Gasförderung im Nordosten von British Columbia (B.C.) einzustellen.

Die kanadische Polizei RCMP veröffentlichte Bilder der Überwachungskamera der Poststelle, wo die Briefe aufgegeben wurden, aber niemand wurde überführt. Die Explosionen würden "immer gewalttätiger", sagte ein Polizeisprecher. Die Delikte werden von der Anti-Terroreinheit der RCMP untersucht.

Im vergangenen Sommer hatten Indianer der Gegend ihre Dorfstraße aus Protest gegen den zunehmenden Verkehr der Gasindustrie blockiert. Sie fühlten sich nicht sicher. Eine neue Erdgasanlage von Encana befindet sich nur vier Kilometer nördlich ihres Dorfes Kelly Lake. "Es gibt überall Straßen und Bohrlöcher auf unserem traditionellen Territorium", sagt Häuptling Cliff Calliou: "Gasschächte befinden sich auch in der Nähe von Häusern." Wo die Indianer während Generationen der Jagd nachgingen, gehen nun Pipelines durch. "Meine Leute haben Angst", sagt Calliou, "wenn es ein Leck gibt, sind sie nicht geschützt."

Andere Bürger, die um die Ölfelder leben, klagten gegenüber Reportern über Kopfschmerzen, Schwefelgeruch im Wasser und darüber, dass man sie nicht anhört. Laut Gesetz dürfen derzeit in B.C. Pipelines in 80 bis 100 Metern Entfernung an Häusern vorbeiführen. Oft enthält Erdgas Schwefelwasserstoff, der in hoher Konzentration tödlich wirkt. Wegen der Attentate sorgt sich auch Encana um die Angestellten und die Menschen in den Gemeinden, sagt Sprecher Alan Boras. Die 47 000 Öl- und Gasanlagen des Konzerns in Nordamerika seien aber sicher. "Wenn Landbesitzer Anliegen haben, dann arbeiten wir immer daran, eine Lösung zu finden", sagt Boras.

Kanadas Gasexporte sind exklusiv für die USA bestimmt. Die Regierung der Provinz British Columbia macht es für Firmen leicht, Erdgas zu fördern. In B.C. gehört zwar die Oberfläche des Bodens dem Eigentümer, aber der Untergrund nicht. Bergbauunternehmen können mit minimalem Aufwand von der Regierung das Recht erwerben, fast überall auf Privatgrund Bodenschätze auszubeuten.

Die Provinz nimmt heute durch Abgaben der Erdgasindustrie jährlich 1,3 Milliarden Euro ein. Die Öl- und Gasein-nahmen haben seit 2001 um fast 60 Prozent zugenommen. Encana will im Nordosten von B.C. eine neue Gasanlage bauen und dort künftig täglich so viel Gas fördern, wie fünf Millionen Häuser in einem Jahr verheizen.

Mauer des Schweigens

Aber nicht nur in B.C. regt sich gewalttätiger Widerstand: Am 12. Januar brannten Unbekannte in der Provinz Alberta das Haus eines früheren Spitzenmanagers des Energiekonzerns Syncrude mit mehreren Brandbomben nieder. Syncrude ist einer der großen Produzenten von Ölsanden in Alberta. Zurzeit des Anschlags befanden sich keine Menschen im Haus. Diese Ereignisse wecken Erinnerungen an Anschläge in den neunziger Jahren, mit denen der Landwirt Wiebo Ludwig die Gas- und Ölindustrie in Alberta bekämpfte. Ludwig musste dafür einige Jahre ins Gefängnis, wird aber von der Polizei in der jüngsten Serie in B.C. nicht verdächtigt. "Wir müssen den Verrückten finden", sagte Energieminister Richard Neufeld. Bislang stoßen die Behörden von B.C. aber auf eine Mauer des Schweigens.

Die Regierung der Provinz British Columbia (B.C.) macht es Firmen leicht, Erdgas zu fördern. In B.C. gehört zwar die Oberfläche des Bodens dem Eigentümer, aber nicht der Untergrund. Bergbau-Firmen können mit minimalem Aufwand von der Regierung das Recht erwerben, fast überall Bodenschätze auszubeuten (hier Arbeiten in der Nähe von Calgary). Foto: Reuters

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Goldener Boden im Osten

Die Preise für Äcker und Weiden steigen rasant - nicht nur weil Investoren sichere Anlagemöglichkeiten suchen

Von Steffen Uhlmann

Berlin - Wolfgang Horstmann sieht sich als Krisengewinnler. "Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat uns nicht geschadet - im Gegenteil, wir profitieren davon", sagt der Geschäftsführer der bundeseigenen Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) nüchtern und liefert die Begründung gleich mit: "In unsicheren Zeiten suchen Investoren nun einmal sichere Anlage- und Verwertungsmöglichkeiten." Agrar- und Forstflächen seien dafür bestens geeignet, glaubt der BVVG-Chef. "Sie werfen vergleichsweise hohe Renditen ab und bieten zugleich Sicherheit für ein langfristiges Investment." Damit allein aber ist das wachsende Kaufinteresse an ehemals volkseigenen Agrarflächen in den neuen Bundesländern nicht zu erklären. Auch die weltweit immens gestiegene Nachfrage nach Nahrungsmitteln und Pflanzenrohstoffen spielt der für die ostdeutschen Agrar- und Forstflächen zuständigen BVVG in die Hände.

Der Flächenbedarf wächst, das treibt Preise und Pachtzins deutlich nach oben.

"Doch mit solchen Anstiegen konnte keiner rechnen, wir sind für 2008 von gleichbleibenden Preisen ausgegangen", sagt Horstmann. Schließlich hätten sich bereits 2007 Verkaufspreise und Pachtzins enorm erhöht.

Die Korrektur nach oben zahlt sich für den Bund aus. Insgesamt hat die BVVG beim Verkauf von knapp 82 500 Hektar Äckern, Wiesen und Wald in Ostdeutschland einen Überschuss von 366 Millionen Euro erzielt und an die Bundeskasse abgeführt, also 41 Millionen Euro mehr, als die Gesellschaft für 2008 eingeplant hatte. Dabei sind laut Horstmann im vergangenen Jahr 2700 Hektar weniger Fläche verkauft worden als vorgesehen. Das Plus ist damit allein den anziehenden Preisen geschuldet. Allein in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern stiegen sie 2008 um knapp ein Drittel. Im Mittel wurde der Hektar im Osten für über 6300 Euro verkauft; er war damit um 15 Prozent teurer als im Jahr zuvor.

Sogar um 44 Prozent auf 264 Euro pro Hektar und Jahr erhöhte sich der Zins für verpachtete Flächen. Und Horstmann rechnet, dass sich diese Entwicklung fortsetzen wird. "Die Nachfrage ist ungebrochen, wir nähern uns bei den Preisen langsam dem westdeutschen Niveau an." Davon ist der Osten aber noch weit entfernt, schließlich werden in den alten Ländern im Durchschnitt Hektarpreise von 16 000 Euro verlangt. Auch das erklärt das wachsende Interesse an der Landnahme Ost, die der BVVG und damit dem Bund Milliardeneinnahmen verspricht. Von den 4,2 Millionen Hektar Land- und Forstfläche, die die BVVG seit ihrer Gründung 1992 vermarktet, hat die Gesellschaft noch eine halbe Million Hektar in ihrem Bestand. Die aber dürften ihr (einschließlich 2008) fast noch einmal so viel Geld in die Kasse spülen wie die bereits veräußerten Flächen.

Milliarden für den Bund

Bisher hat die BVVG etwa 3,7 Milliarden Euro erlöst. Nun geht man davon aus, dass der Restverkauf dem Bund bis 2020 weitere drei Milliarden Euro bringen wird. Zugute kommt ihr dabei, dass Ende dieses Jahres der Verkauf von Agrarflächen nach dem sogenannten Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG) endet. Nach dem EALG konnten vor allem ortsansässige Langzeitpächter und Alteigentümer Flächen zu unter dem Verkehrswert liegenden Preisen erwerben. Horstmann rechnet damit, dass dafür 2009 noch etwa 70 000 Hektar benötigt werden. Die übrigen Flächen würden nun ausschließlich nach dem Verkehrswert beziehungsweise nach Gebot veräußert oder verpachtet.

In diesem Jahr will die BVVG mit 431 Millionen Euro einen Rekordüberschuss erwirtschaften. Kritik von Bauernverbänden an einer maßlosen Preisbildung seiner Gesellschaft weist Horstmann zurück: "Die Preise werden nach dem Marktwert und nach den Ausschreibungsergebnissen gebildet."

Auch den Vorwurf, dass angesichts steigender Preise statt regionaler Bieter nur noch internationale Investoren bei der BVVG zum Zuge kommen würden, lässt er so nicht gelten. "Nach unseren Recherchen gehen die Flächen zu weit über 90 Prozent an ortsansässige Bieter." Nicht ausschließen will der BVVG-Chef aber, dass kapitalkräftige Investoren dennoch den Zuschlag bekommen. "Die sparen sich das aufwendige Ausschreibungsverfahren und kaufen gleich den ganzen landwirtschaftlichen Betrieb samt seiner Flächen auf."

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Das große Ringen

Verwirrung um Hilfen für die beiden Zulieferer: Bayern bestätigt Gespräche, Niedersachsen ist zurückhaltend, der Bund außen vor, und die Börse reagiert negativ

München/Hamburg - Die Börse reagierte bereits negativ: Die Spekulationen um eine staatliche Hilfe für Continental haben einen erneuten Kurssturz der Aktien des Autozulieferers verursacht. Die Papiere verbilligten sich am Montag um zeitweise nahezu 30 Prozent und notierten so niedrig wie seit sechs Jahren nicht mehr. Über den Stand der Verhandlungen herrschte allerdings am Montag Verwirrung. Klarheit soll ein Spitzentreffen in Berlin bringen: Am Donnerstag sollen Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) mit seinen Amtskollegen Horst Seehofer (CSU) und Günther Oettinger (CDU) sowie mit Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) zusammenkommen, hieß es. Das Treffen werde in der niedersächsischen Landesvertretung in Berlin stattfinden, hieß es.

Fest steht derzeit, dass sowohl Conti als auch Mehrheitsaktionär Schaeffler mit insgesamt 22 Milliarden Euro hochverschuldet sind und händeringend nach Lösungen für ihre Finanzprobleme suchen. Nach Angaben der Bundesregierung vom Montag sind die Gespräche über Staatshilfen von Bayern und Niedersachsen für Schaeffler/Conti in einem fortgeschrittenen Stadium. Es sei zutreffend, dass sich die beiden Bundesländer sehr intensiv um die Situation kümmerten, um Standorte und Arbeitsplätze zu sichern, sagte Vize-Regierungssprecher Thomas Steg. Die Gespräche seien aber wohl noch nicht abgeschlossen.

Konkrete Anfragen der Konzerne wegen Bundeshilfen seien Steg aber nicht bekannt. Bayern bestätigte ebenfalls Gespräche über Staatshilfen mit Schaeffler. In der niedersächsischen Landesregierung hieß es dagegen, fortgeschrittene Gespräche über Conti seien "dummes Zeug". Es soll sich um Hilfen von insgesamt einer Milliarde Euro handeln.

Der neue bayerische Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) hatte noch am Wochenende ausdrücklich bestätigt, dass es "politische Absichtserklärungen" gebe, und bereits für die laufende Woche Entscheidungen in Aussicht gestellt. Was sich durchaus konkret anhörte, klang am Montag aus seinem Ministerium und der Staatskanzlei deutlich zurückhaltender: Ja, es gebe zwar Gespräche, aber "keinerlei Vereinbarungen oder Zusagen", hieß es in gleichlautenden Mitteilungen. Informierten landespolitischen Kreisen zufolge scheinen die Verhandlungen der Staatsregierung mit Schaeffler zumindest schon länger zu laufen. Danach sollen sowohl Milliardärin Maria-Elisabeth Schaeffler als auch Konzernchef Jürgen Geißinger bereits vor Wochen direkten Kontakt zu Ministerpräsident Seehofer gesucht haben. Man habe sich dabei über die Form der Staatshilfe nicht einigen können, hieß es. Schaefflers Gläubigerbanken wollten sich zu den Spekulationen um staatliche Hilfen nicht äußern. In Bankenkreisen heißt es, die Institute stünden den Überlegungen neutral bis positiv gegenüber. Würde das Risiko auf mehr Schultern verteilt, könnten die Kreditgeber davon profitieren.

Seehofer handele erklärtermaßen in enger Abstimmung mit seinem niedersächsischen Amtskollegen Wulff, hieß es in München. In Regierungskreisen in Hannover war dagegen zu hören, Wulff habe zu dem Thema mit der bayerischen Staatsregierung bisher keinerlei Kontakte gehabt: "Da kämpft jeder für seine eigenen Interessen." Meldungen über finanzielle Hilfen von Niedersachsen für Conti im Volumen von einer halben Milliarde Euro weist Wulff von sich: "Es gibt kein Konzept, das annähernd so konkret wäre, um über die Frage staatlicher Hilfen welcher Art auch immer Position zu beziehen", sagte er. Von solchen Gedanken sei man noch "Lichtjahre" entfernt, heißt es in Regierungskreisen. Generell stehe Wulff Staatsbeteiligungen zwar eher distanziert gegenüber, aber kategorisch ablehnen würde er sie auch nicht.

"Lichtjahre" entfernt

Continental selbst will nach Angaben eines Sprecher gar keine Staatsgelder haben. Erst in der vergangenen Woche hätten die Banken Continental einen stabilen Finanzrahmen gesichert. Für Wulff geht es darum, wenigstens die Reifensparte in Niedersachsen zu halten. Der Automobilzulieferer aus Hannover gehörte bisher zu den Vorzeige-Konzernen des Bundeslandes. Nach der Übernahme durch Schaeffler muss Wulff aber befürchten, dass die Gummisparte über kurz oder lang ins Ausland verkauft wird, denn Schaeffler braucht dringend Geld und Wettbewerber haben bereits Interesse angemeldet. Der aktuelle Plan sieht vor, die Automotive-Bereiche beider Unternehmen, die ihre Zentren in Süddeutschland haben, zusammenzuführen. Der Reifenbereich am Standort Hannover soll verselbständigt werden - wohl zur Vorbereitung eines Verkaufs.

Geschadet haben die Diskussionen über Staatshilfen bereits allen Beteiligten. An der Börse war Continental nach dem Kurssturz nur noch gut zwei Milliarden Euro wert. Für den Kauf von 90 Prozent von Conti hatte Schaeffler vor kurzem noch zehn Milliarden Euro gezahlt. Händler verwiesen darauf, dass ein staatlicher Einstieg bei Conti dem Aktienkurs nicht helfen würde, sondern - im Gegenteil - den Anteil der Aktionäre verwässern würde. (Kommentare) mth/urit/dpa

Der Kampf um Conti: Jetzt soll der Staat die Übernahme retten

Ein 100 Jahre altes Reklameschild für Fahrrad-Reifen von Continental: Die Zeiten in Hannover sind unruhig. Gerade erst wurde der Führungsstreit mit Aktionär Schaeffler beigelegt, jetzt wird über Staatshilfen diskutiert. Foto: Ullstein

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MCDONALD'S

Gewinn gesunken

New York - Die weltweit größte Schnellrestaurantkette McDonald's hat im vierten Quartal trotz eines Gewinnrückgangs die Markterwartungen übertroffen. Der Nettogewinn fiel auf 985,3 Millionen Dollar von zuvor 1,27 Milliarden Dollar, wie die Fastfoodkette mitteilte. Dies bedeutete umgerechnet auf die Aktie ein Ergebnis von 0,87 Dollar. Im Vorjahr waren McDonald's allerdings deutliche Steuervorteile zu Gute gekommen. Der Umsatz verringerte sich auf 5,57 Milliarden Dollar von 5,75 Milliarden Dollar. 2009 will der Konzern 1000 neue Restaurants eröffnen. Reuters

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SPRINT NEXTEL

8000 Stellen weniger

New York - Der drittgrößte US-Mobilfunkanbieter Sprint Nextel will bis zu 8000 Stellen streichen. Das entspricht etwa 14 Prozent der Belegschaft. Von dem Abbau seien alle Bereiche und Standorte betroffen, so der Konzern. Sprint will damit jährlich etwa 1,2 Milliarden Dollar einsparen. Im ersten Quartal würden durch die Maßnahmen zunächst Belastungen von 300 Millionen Dollar entstehen. Vergangenen Monat hatte der US-Telekommunikationskonzern AT&T mit der Streichung von 12 000 Jobs auf den Abschwung reagiert, was vier Prozent seiner Belegschaft entsprach. Reuters

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HOME DEPOT

7000 Jobs gestrichen

Atlanta - Der weltweit größte Baumarkt-Betreiber Home Depot streicht angesichts eines Nachfragerückgangs in der Wirtschaftskrise 7000 Arbeitsplätze. Das entspreche etwa zwei Prozent der Belegschaft, betonte der US-Konzern. Der Großteil der Stellen - etwa 5000 Jobs - fällt weg, weil Home Depot mehr als 40 Standorte schließt. Der Rest soll im Verwaltungsbereich gestrichen werden. Home Depot leidet bereits seit Monaten unter dem Zusammenbruch des US-Immobilienmarktes. Mit Beginn der Rezession hat sich die Lage zum Jahresende 2008 noch verschärft. dpa

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DOW CHEMICAL

Fusion verschoben

Philadelphia - Der US-Chemiekonzern Dow Chemical hat die geplante milliardenschwere Übernahme seines Konkurrenten Rohm & Haas kurzfristig auf unbestimmte Zeit verschoben. Ursprünglich sollte die Transaktion an diesem Dienstag abgeschlossen werden, wie der Konzern am Montag mitteilte. Als Gründe gab das Unternehmen die Wirtschaftskrise sowie das Platzen einer milliardenschweren Finanzspritze aus Kuwait an. Das Unternehmen betonte, weiterhin an Rohm & Haas interessiert zu sein. Die Kartellbehörden hatten der Übernahme für gut 15 Milliarden Dollar bereits zugestimmt. dpa

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REPOWER

Deutlich gewachsen

Hannover - Der drittgrößte deutsche Windkraftanlagenbauer Repower trotzt der Flaute. In den ersten neun Monaten 2008/09 habe das Unternehmen seinen Gewinn um gut ein Drittel auf 38 Millionen Euro gesteigert, so Repower. Der Umsatz legte den vorläufigen Zahlen zufolge von April bis Dezember um 46 Prozent auf 851 Millionen Euro zu. Damit lag das Plus deutlich über der für das Gesamtjahr veranschlagten Spanne von 30 bis 35 Prozent. In den Büchern standen Ende Dezember Kaufverträge über 708 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 1500 Megawatt. Reuters

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"Ich bin in der Lage, die Interessen unter einen Hut zu bringen"

Der neue Aufsichtsratsvorsitzende von Continental, Koerfer, über seine schwierige Vermittlerrolle und die unterschiedlichen Firmenkulturen

SZ: Herr Koerfer, was hat Sie bewogen, den Conti-Aufsichtsratsvorsitz und damit einen der schwierigsten Jobs in der deutschen Autoindustrie anzunehmen?

Koerfer: Frau Schaeffler hat mich darum gebeten. Ich berate die Familie und die Firma Schaeffler seit vielen Jahren. Meine Entscheidung ist davon getragen, trotz des schwierigen Marktumfeldes die Verbindung von Continental und Schaeffler zum Erfolg zu führen.

SZ: Was macht Sie da so sicher?

Koerfer: Die industrielle Logik dieser Transaktion sieht man sowohl bei Conti als auch bei Schaeffler. Es ist ein enormer Vorteil, dass sich die Automobilsparten beider Unternehmen ideal ergänzen und nicht überlappen, was intern große Unruhe hervorrufen würde. Daher können wir uns sofort auf Sachthemen konzentrieren. Wir müssen als erstes ein Konzept entwickeln, wie diese Zusammenarbeit in der Praxis laufen soll. Wir zeigen allen Beteiligten, dass diese Transaktion Sinn macht. Das schafft Vertrauen.

SZ: Sie vertreten den neuen Großaktionär im Aufsichtsrat, müssen zugleich aber kraft Amtes in erster Linie die Interessen von Conti vertreten. Wie unabhängig sind Sie überhaupt?

Koerfer: Natürlich habe ich in erster Linie die Interessen der Continental AG zu wahren. Aber jeder Aufsichtsratsvorsitzende wird dabei auch die Interessen der Aktionäre und speziell des größten, also Schaeffler, im Auge behalten. Das ist normal und darin sehe ich auch in diesem Fall überhaupt keinen Widerspruch.

SZ: Da konnte man in der Vergangenheit einen ganz anderen Eindruck erhalten. Conti und Schaeffler beharken sich seit Monaten erbittert.

Koerfer: Da wurde sicherlich manches hochgespielt.

SZ: Wie wollen Sie für Ruhe sorgen?

Koerfer: Ich bin seit 20 Jahren Anwalt für Fusionen und Übernahmen. Da lernt man, als erstes die Interessen aller Beteiligten zu analysieren und daraus für alle akzeptable Lösungen zu finden. Ich versetze mich bei Verhandlungen zwischendurch immer mal in die Gegenseite. Was würde ich tun, wenn ich deren Interessen vertreten würde? Es macht keinen Sinn, jemanden zu etwas zu überreden, was für ihn vielleicht schädlich ist, während man selbst nur geringfügigen Nutzen daraus zieht. Man muss Vorteile auf beiden Seiten schaffen.

SZ: Das klingt etwas weichgespült.

Koerfer: Aber anders geht es nicht. Sechzig, vielleicht siebzig Prozent meiner heutigen Mandanten waren in früheren Zeiten einmal auf der Gegenseite. Dass sie mir heute vertrauen, zeigt doch: Ich bin in der Lage, verschiedene Interessen unter einen Hut zu bringen.

SZ: Schaeffler und Conti pflegen sehr unterschiedliche Firmenkulturen. Fürchten Sie nicht, zwischen der Verschwiegenheit eines Familienunternehmens und der Transparenz eines börsennotierten Konzerns zerrieben zu werden?

Koerfer: Die Welt hat sich doch auch für Schaeffler geändert. Man ist in das Licht der Öffentlichkeit gerückt und verweigert sich dem auch nicht mehr.

SZ: Sie fürchten also überhaupt keine Integrationsprobleme?

Koerfer: Wenn Sie das Ohr sozusagen an die Werkbänke bei Conti und Schaeffler legen, dann hören sie, dass die Beschäftigten darauf brennen, endlich miteinander an die Arbeit zu gehen. Ingenieure sprechen eine Sprache und verstehen sich sofort.

SZ: Wie groß ist Ihr Spielraum bei den immer nervöseren Banken?

Koerfer: Auch da bin ich unabhängig, auch wenn man nie völlig frei von Rahmenbedingungen agieren kann. Tatsache ist nun mal, dass Conti und Schaeffler Schulden haben. Aber ich sehe nicht, dass dies unseren Handlungsspielraum einschränkt. Wir bekommen die Probleme in den Griff.

SZ: Mit Staatshilfe?

Koerfer: Kein Kommentar.

SZ: Wie stehen Sie denn zum Verkauf der Conti-Gummisparte und zu Staatsbeihilfen?

Koerfer: Ich bitte um Verständnis, dass ich zu diesen Themen mich nicht äußern möchte.

Interview: Uwe Ritzer

Rechtsanwalt Hans Rolf Koerfer hat einen neuen Job. Foto: dpa

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Immer auf der Pirsch

Hobbyjäger Koerfer ist ein Vertrauter von Maria-Elisabeth Schaeffler

Von Uwe Ritzer

In seiner Freizeit streift Hobbyjäger Hans Rolf Koerfer am liebsten durch sein Revier in der Nähe von Gummersbach. Beruflich bewegt er sich demnächst auf vermintem Gelände. Als designierter Aufsichtsratsvorsitzender der Continental AG und damit Nachfolger des aus dem Amt gedrängten Hubertus von Grünberg, 66, soll er für eine möglichst schnelle und reibungslose Zusammenarbeit mit dem neuen Conti-Großaktionär Schaeffler sorgen. Und gleichzeitig die erbitterten Auseinandersetzungen zwischen beiden Seiten beenden. Damit folgt Koerfer, 51, dem persönlichen Ruf von Maria-Elisabeth Schaeffler. Die Unternehmerin, der gerade noch selbst Ambitionen auf den Aufsichtsratsvorsitz nachgesagt wurden, will sich wie Sohn Georg und Schaeffler-Geschäftsführer Jürgen Geißinger, 49, mit einem einfachen Aufsichtsratsmandat begnügen.

Was nichts daran ändert, dass der in der breiten Öffentlichkeit bislang weitgehend unbekannte Koerfer ein enger Vertrauter von Maria-Elisabeth Schaeffler ist. Die fränkische Milliardärin und der Partner der Kanzlei Allen & Overy in Düsseldorf kennen sich lange. Als Schaeffler 2001 im Handstrich und nach ähnlichen Auseinandersetzungen die Schweinfurter FAG Kugelfischer schluckte, übernahm Koerfer auch dort den Aufsichtsratsvorsitz. In Sachen Conti war der auf Fusionen und Übernahmen sowie Restrukturierungen spezialisierte Anwalt vom ersten Tag an mit Schaeffler auf Pirsch. Als ebenso stiller wie einflussreicher Berater im Hintergrund.

"Ich stamme aus der alten Zeit, in der Anwälte über ihre Mandanten noch nicht öffentlich gesprochen haben", sagt Koerfer. Nun hat er sich damit abgefunden, dass er sein persönliches Schweigegelübde wird brechen müssen. Conti ist schließlich ein börsennotierter Konzern, der noch dazu durch den Übernahmekampf gegen Schaeffler seit Monaten im besonderen Fokus der Öffentlichkeit steht. Von Koerfer erwartet man in beiden Unternehmen und seitens der Gläubigerbanken schnelle Signale der Befriedung und der Zusammenarbeit. Doch als Jurist, der lediglich den unternehmerischen Willen anderer in Verträge fasst, hat sich Koerfer ohnehin nie verstanden. "Mir macht es Spaß, Dinge zu bewegen", sagt der Vater dreier Kinder.

Kontakte zu Oppenheim

Das hat den gebürtigen Kölner zu einem der führenden Wirtschaftsanwälte in Deutschland gemacht. Erst seit einem Jahr arbeitet Koerfer für die britische Allen & Overy-Sozietät. Zuvor war er acht Jahre lang Partner der Kanzlei Shearman & Sterling und davor bei Oppenhof & Rädler in Köln. Die Bundesrechtsanwaltskammer schickt Hans Rolf Koerfer als Sachverständigen zu unternehmensrechtlichen Anhörungen in den Bundestag. Zudem fungiert Koerfer als Aufsichtsratschef bei Global, der ehemaligen Gerling-Rückversicherung. Und er berät seit Jahren Sal. Oppenheim. Schaden kann das nicht. Sal. Oppenheim gehört zu den Finanziers Schaefflers bei der Conti-Übernahme. Und die Bank hat treuhänderisch knapp 20 Prozent der Conti-Aktien übernommen.

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Allein unter Freunden

Surreale Welt: Das jugendliche Onlinenetzwerk "Facebook" mausert sich zum Massenmedium für Sozialkontakte

Als ich den virtuellen Raum betrat, waren sie alle schon da. Erst freute ich mich, sie zu sehen; dann war ich überrascht, dass sie auf mich gewartet hatten; dann fragte ich mich, woher sie überhaupt wussten, dass ich da war. Was wollten sie von mir, was wollte ich von ihnen? Eine Maschine hatte uns zusammengeführt; jetzt mussten wir Menschen übernehmen.

Sie nannten sich Freunde, die Menschen, die auf mich warteten. Früher hätte man vielleicht Bekannte dazu gesagt, aber Facebook gibt einem keine Wahl. Man existiert als Freund oder gar nicht. So ist das im Internet - Dinge sind hier ähnlich, aber nicht gleich wie in der wirklichen Welt. Der Unterschied ist nicht mehr zwischen real und nicht real - sondern zwischen real und surreal. Wenn die neunziger Jahre durch MTV und die Sendung "The Real World" definiert wurden, dann sind die Nullerjahre durch Facebooks leicht surreale Welt bestimmt.

Ich war überrascht. Ich hatte die digitale Welt von Facebook sehr spät entdeckt. Aber warum waren auch all die anderen hier so spät dran? Eigentlich, so heißt es doch immer, ist Twitter das Medium unserer Zeit, kurze Nachrichten, die vom Handy verschickt und von jedem empfangen werden können, der sich mit einem vernetzt hat. Die Notlandung auf dem Hudson wurde so gemeldet, der Terror von Mumbai. Twitter ist schnell und etwas spröde. Twitter ist für 20-Jährige.

Facebook dagegen ist nicht mehr so schnell und auch nicht mehr so schmutzig, wie es am Anfang war - um das Jahr 2006 herum, als betrunkene Collegestudenten auf dieser Webseite gern von Parties, Saufen und Sex erzählten und Fotos ins Internet stellten, für die sie mal enterbt und mal gefeuert werden konnten. Das Facebook von heute hat die größten Zuwachsraten bei den über 35-jährigen und funktioniert eher wie ein virtueller Salon, in dem sich erwachsene Menschen gegenseitig Freunde nennen. Eine Art globale Boheme, die den digitalen Rückzug ins Private probt.

Mark Zuckerberg, der das Netzwerk gegründet hat, sieht das sehr viel nüchterner. "Man kann hier beobachten", sagt er, "wie sich die sozialen Normen dem anpassen, was technologisch möglich ist." Zuckerberg ist 24 Jahre alt. 2004 gründete er Facebook, da war er noch Student in Harvard; 2007 verkaufte er einen kleinen Anteil an Facebook für 240 Millionen Dollar an Microsoft, da war seine Firma 15 Milliarden Dollar wert.

Heute benutzen etwa 160 Millionen Menschen Facebook - als "soziales Netzwerk", wie das immer etwas ausweichend heißt, weil man noch keinen neuen Begriff gefunden hat. Sie suchen dort Freunde, sie sagen, wie es ihnen geht und was sie gerade gesehen, gelesen oder gedacht haben, sie stellen Fotos auf ihre Seite oder Videos, sie suchen jemanden, der Schlittschuhe in Größe 38 hat und in Berlin-Mitte lebt, oder jemanden, der zur Kunstmesse nach Miami fährt. Sie suchen aber vor allem nach Leuten, die so sind wie sie. Facebook hilft dabei, denn es funktioniert wie die automatischen Buchempfehlung auf Amazon: Menschen, die diese Menschen mögen, könnten auch diese Menschen mögen.

Verdoppelung der Beziehungen

Denn das ist das entscheidende Ordnungsprinzip von Facebook. Freund um Freund sammelt man und kuratiert sich so seine Persönlichkeit, schmückt sich mit Menschen, hat leichter Kontakt zu eigentlich Fremden, findet Verbindungen, die über das Persönliche hinausgehen. Manche sagen, dass das Internet auch an diesem Punkt die Verstellung oder gar die Lüge begünstigt. Tatsächlich ist es aber genauso möglich, dass die Offenheit und die Transparenz befördert wird, dass Vertrauen belohnt wird, weil die soziale Kontrolle des Facebook die Lüge entlarven hilft. Amerikanische Soziologen vergleichen die sehr effiziente Überwachung schon mit der Dynamik einer Kleinstadt, nur dass die in diesem Fall von Tel Aviv bis Kabul reichen kann.

"Awareness" heißt der Fachbegriff für dieses Phänomen - eine gegenseitige Aufmerksamkeit also, die sich auch als "ambient awareness" beschreiben lässt, wenn es um das ständige Grundrauschen geht, das durch all die alltäglichen kleinen Mitteilungen erzeugt wird, die davon handeln, dass jemand krank ist oder der Morgen grau oder die Liebe weg. Für sich genommen mögen das mehr oder weniger triviale Botschaften sein, in der Summe entsteht so etwas wie ein Gefühl dafür, wie den Menschen geht, mit denen man hier mehr oder weniger zufällig in Kontakt ist. Man weiß etwas, ohne etwas zu wissen. Facebook ist ein intuitives Medium und kein rationales.

Die Konsequenz daraus ist eine gewisse Latenz, was soziale Beziehungen angeht, also ein Als-Ob der Freundschaften - aber auch eine Nähe zu Menschen, von denen man nun viel genauer weiß, wann sie Migräne haben, als man das wohl will: Eigentlich Fremde erscheinen einem so auf Dauer fast bekannter als Freunde oder Geschwister, die nicht auf Facebook sind. Es verschiebt sich dadurch etwas im Gefüge der Beziehungen, so wie auch der Begriff des Freundes und von Freundschaft an sich aufgeweicht und verändert wird. Der Anthropologe Robin Dunbar hat herausgefunden, dass Affen maximal 55 soziale Beziehungen kognitiv verarbeiten können, für Menschen hat er die Zahl von Freunden oder Bekannten auf 150 festgesetzt. Auf Facebook kann sich das leicht verdoppeln. "Weiche Verbindungen", das sagt der Soziologe dazu.

Dass das mehr ist als nur ein wissenschaftliches Schlagwort, das sieht man nicht nur daran, dass diese "weichen Verbindungen" etwa die Fähigkeit der Menschen verbessern, bestimmte Probleme zu lösen. Netzwerke werden für Partner- oder Jobsuche benutzt, aber mittlerweile auch von Organspendeorganisationen. Und natürlich ist Barack Obama, der erste Präsident der Internet-Generation, ein besonderes Beispiel dafür, wie sich weiche Verbindungen in konkrete Macht verwandeln lassen. Obama eröffnet auf Facebook, dass er gern Basketball spielt und den "Paten" mag und auch Johann Sebastian Bach. Zu seiner Amtseinführung taten sich der Nachrichtensender CNN und Facebook zusammen und mehr als eineinhalb Millionen Menschen diskutierten zeitgleich über die Schönheit des Moments und die Chancen ihres Helden.

Flexible Identitäten

Solche Gruppen und Netzwerke sind für unsere Zeit oft wichtiger, als Herkunft oder Familie. Fühlt sich jemand als Türke oder als Hiphopper? Fühlt sich jemand als Schwarzer oder als Skateboarder? "Post-weiß" nennt das die Zeitschrift The Atlantic; und der Soziologe Dalton Conley spricht schon von einer "Netzwerk-Nation". Facebook oder MySpace helfen seiner Meinung nach dabei, bleibende soziale Zugehörigkeit zu schaffen. "Flexible Identität", so nennt er das. Barack Obama und Mark Zuckerberg, die beiden Harvard-Männer, wären demnach Gefährten des gesellschaftlichen Wandels.

Jede neue Technologie verändert das Verhalten der Menschen untereinander und die Gesellschaft als Ganzes, da ist Facebook nicht anders als das Auto oder der Kühlschrank. Das wirft viele Fragen auf, für die es nicht zuletzt deswegen so wenige Antworten gibt, weil der Wissenschaft noch die Herangehensweisen fehlen. Es gibt noch keine digitale Soziologie, keine Psychologie des Netzlebens, das surreale Leben ist jedoch ganz anders, als bisher.

Für mich aber stellen sich erst einmal ganz andere Fragen: Soll ich mein Profilfoto ändern? Warum ist es im narzisstischen Bildermedium Internet überhaupt so schwierig, das richtige Foto zu finden? Warum haben all meine Freunde Sonnenbrillen auf oder stehen im Halbdunkel? Sind 38 Freunde zu wenig? Vor allem aber: Was soll ich mit ihnen reden? GEORG DIEZ

Digitales Leben: Neue Internetphänomene werden immer schneller zum Alltag - und verändern uns dabei

Weil wir neue Internetphänomene sprachlich nicht fassen, beschreiben wie sie oft mit altmodischen nautischen Bildern: Wir "surfen", führen "Logbuch", treiben in Daten-"Sturzfluten". Abb.: Hokusai

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Kontrolle ist schlechter

Warum die digitale Kopie vor allem eine Chance ist

Mit dem Untergang ist Dieter Gorny vertraut. Wann immer der Geschäftsführer des Bundesverbands Musikindustrie öffentlich über das Internet und die Digitalisierung spricht, ist die Apokalypse nicht fern - zumindest für den Fall, dass digitales Kopieren und illegales Filesharing nicht bald entscheidend eingedämmt werden. Als Vertreter der Rechte-Industrie wird er mit diesem Szenario sicher auch am kommenden Dienstag argumentieren - beim nichtöffentlichen Spitzengespräch im Bundesjustizministerium. Dort sollen die Internet-Provider für die sogenannte "Three Strikes and You're Out"-Strategie gewonnen werden: Nach drei Verwarnungen wegen illegaler Downloads (ausgesprochen durch die Provider) soll die Drosselung und Sperrung des Internet-Zugangs für uneinsichtige Nutzer stehen. Ein Vorgehen, das man bislang nur aus diktatorischen Staaten kennt.

Die Argumente, die Gorny und Co. anführen, basieren auf der Annahme, niemand würde noch Musik machen oder Kultur schaffen, wenn beides nicht zu den Konditionen des bisherigen Systems produziert, vertrieben und finanziert würde. Sie übersehen dabei, dass die neuen technischen Möglichkeiten nicht nur zu einer betriebswirtschaftlichen Herausforderung (vulgo: Untergang) führen. Dass man heute ohne Qualitätseinbußen identischen Kopien erstellen kann, die von der Vorlage nicht zu unterscheiden sind und diese auch nicht in ihrem Wert mindern, ist für alle künstlerisch tätigen Menschen in erster Linie ein Traum. Die digitale Kopie eröffnet ihnen eine Form der Distribution und damit der Öffentlichkeit, die in der Geschichte der Kultur beispiellos ist.

Wer Kultur schafft, will damit an die Öffentlichkeit. Kunst kann heute zu minimalen Kosten eine maximale Verbreitung finden - eine substantielle Herausforderung für alle, die ihr Geld bisher mit verknappten Kopien verdient haben. Denn Kopieren verursacht heute keine Kosten mehr, es ist vielmehr ein selbstverständlicher Vorgang, den jeder an seinem Computer innerhalb von Sekunden ausführen kann. Die Digitalisierung hat das Kopieren von Musik zu einer skandalisierten Alltäglichkeit gemacht, genau wie die Einführung des Rundfunks seinerzeit das Musikhören veränderte. In beiden Fällen folgt dem technischen Fortschritt ein Kontrollverlust des Bisherigen: Es ist also wenig verwunderlich, dass beispielsweise die Musikindustrie alle Energie darauf setzt, die digitale Kopie einzudämmen. Sie verteufelte zunächst auch das Radio.

Auch das Radio war mal böse

Die Klage lautete damals: Niemand werde noch Musik machen, wenn diese kostenlos und unkontrolliert durch den Äther geschickt würde. Für Menschen, die Songs nur gegen Bezahlung aus der Jukebox kannten, war die Regellosigkeit des Radios genauso skandalös wie für heutige Musikmanager die Praxis der Tauschbörsen. Wir wissen aber: Das Radio hat vielleicht die Popularität der Jukebox geschmälert, zum Untergang des Abendlandes oder zum Ende der Musik hat es nicht geführt. Es hat vielmehr neue Wege der Distribution möglich gemacht - und zwar, in dem Musik das Medium nutzte und nicht etwa bekämpfte.

Kann man aus dieser Geschichte lernen? Kann man Lösungen suchen, die der Herausforderung der digitalen Kopie begegnen, indem sie deren unbestreitbare Chancen für die Kunst nutzen, statt diese zu blockieren?

Es gibt zahlreiche Modelle, die genau dies tun. Der Verkaufserfolg der Nine Inch Nails-Alben "Ghosts I-IV", die unter einer so genannten Creative Commons Lizenz stehen, kostenfrei in digitaler Form aus dem Netz geladen werden können, aber dennoch die Liste der meistverkauften CDs beim Internethändler Amazon im Jahr 2008 anführten, ist nur das jüngste Beispiel für eine Reihe alternativer aber erfolgreicher Versuche, abseits der ausgetretenen Pfade Kultur zu erschaffen, zu verbreiten und diese auch zu finanzieren. Die Creative Commons-Szene und im Softwarebereich die Open-Source-Bewegung zeigen: Es gibt tragfähige Konzepte, die sich allerdings abseits dessen bewegen, was man immer schon gemacht hat. Dass man davon vergleichsweise wenig liest und hört, liegt an der ängstlichen Fixierung auf Untergangsszenarien und Verbotsphantasien. Dabei glaubt selbst auf Seiten der Rechte-Industrie vermutlich niemand, man könne die Digitalisierung aufhalten oder gar rückgängig machen. Die Tatsache, dass Apple als größter Online-Musikhändler in Absprache mit der Musikindustrie künftig auf den Kopierschutz in Musikdateien verzichtet, muss als Beleg dafür gelesen werden. Aber an einen zeitlichen Aufschub glaubt man dort sehr wohl. Es wäre doch zu schön, könnte man die Suche nach neuen Modellen einfach der kommenden Generation überlassen und sich selber noch ein wenig an den alten, den goldenen Zeiten erfreuen. So wird ein repressives Vorgehen propagiert, das eine ganze Generation junger Kulturnutzer pauschal kriminalisiert und noch weit größeren gesellschaftlichen Schaden nach sich ziehen wird.

Wie soll sich das rechnen?

Zunächst wird so eine Kommerzialisierung der Kultur vorangetrieben, die die Frage der Finanzierbarkeit von Kunst auf oberster Ebene abhandelt. Dabei übernehmen die Verteidiger des Althergebrachten neuerdings die Position eines Familien-Patriarchen, der auf den Berufswunsch seines Sohnes, er wolle Künstler werden, lediglich antwortet: "Und, wie soll sich das rechnen?" Große Werke der Weltliteratur, der Malerei und der Kunst wären nicht entstanden, hätten sich die Söhne und Töchter der aufs Bisherige fixierten Perspektive der Väter gebeugt. Dass sie es nicht getan haben, zeigt, dass Kunst schon immer mit widrigen Bedingungen zu kämpfen hatte - und diese oft auch überwunden hat. Neu ist also nicht, dass Kunst und Kultur sich gegen Widerstände bewähren müssen. Neu ist, dass sie dabei auf eine fast kostenfreie und nahezu grenzenlose Verbreitung zählen können.

Zum zweiten schafft die aktuelle Debatte eine auf vermeintliche Originale fixierte Atomsphäre der Angst: Kultur basiert seit jeher auf dem Prinzip der Adaption, der Anspielung und der Kopie. Durch die massive Lobbyarbeit der letzten Jahre wird dieses Prinzip kriminalisiert und an den Rand gedrängt - zum Nutzen der Industrie, nicht der Kultur. Ein vermeintliches Original-Genie wie Vincent van Gogh würde unter den heutigen Bedingungen nicht mehr so selbstverständlich die Kraft der Kopie loben können, wie er das in einem Brief an seinem Bruder im 19. Jahrhundert tat: "Kopieren interessiert mich ungemein", schrieb der Maler und bekannte: "Ich finde, es lehrt einen manches, und vor allem es tröstet einen manchmal. Ich stelle mir das Schwarzweiß von Delacroix oder von Millet oder die Schwarzweiß-Wiedergabe nach ihren Sachen als Motiv vor mich hin. Und dann improvisiere ich darüber in Farbe, doch versteh mich recht - ich bin nicht ganz ich, sondern suche Erinnerung an ihre Bilder festzuhalten, aber diese Erinnerung, der ungefähre Zusammenhang der Farben, die ich gefühlsmäßig erfasse, auch wenn es nicht genau die richtigen sind - ist meine eigene Interpretation."

Ein van Gogh von heute, der vielleicht nicht mit Pinsel und Farbe, sondern mit digitalen Hilfsmitteln arbeitet, müsste zunächst die Frage nach Verwertungsrechten eines Millets beantworten. So unbeschwert, wie der Maler im 19. Jahrhundert fremde Motive mit seinen eigenen Farb-Improvisationen remixte, kann heute kein Künstler mehr arbeiten. Gerade hat das Video-Portal YouTube auf Druck der Rechte-Inhaber angekündigt, Musikclips mit ungeklärter urheberrechtlicher Rechtslage stumm zu schalten. Ein passenderes Bild für den zerstörerischen Einfluss eines repressiven Urheberrechts könnte man sich gar nicht ausdenken: Es bringt Kunst zum Schweigen!

Die Digitalisierung ist ein technischer Entwicklungsschritt, der revolutionäre Folgen nach sich zieht. Dieser in unzähligen Artikeln prophezeite Satz wird heute Realität. Die Gesellschaft und der sogenannte Kulturbetrieb müssen sich fragen, wie sie damit umgehen wollen. Die Urheberrechts-Expertin Jeanette Hofmann hat diese Frage unlängst rhetorisch auf den Punkt gebracht. "Hätten wir gewollt," fragte die promovierte Politikwissenschaftlerin der London School of Economics, "dass die Kerzenmacher im 19. Jahrhundert über die Nutzung von elektrischem Licht bestimmen?"

DIRK VON GEHLEN

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Wir rufen die 110

Kann man das Internetportal YouTube ausstellen? Hannover, die Geburtsstadt des binären Zahlensystems, hat es versucht

Am 12. Januar 1697 wurde das Internet erfunden. Es geschah in Hannover oder zumindest ganz in der Nähe: Gottfried Wilhelm Leibniz formulierte im "Neujahrsbrief" seine Idee des binären Zahlensystems, das zur Grundlage der Informationstechnologie werden sollte. Er schrieb den Brief auf eine längliche Seite, fügte Korrekturen ein; am linken Rand steht eine Pyramide aus Einsen und Nullen, die Leibniz' Idee verdeutlicht: "Nun kann man wohl sagen, daß nichts in der Welt (die Allmacht Gottes) besser vorstelle, ja, gleichsam demonstriere, als der Ursprung der Zahlen, wie er allhier vorgestellet ist, durch deren Ausdrückung blos und allein mit Eins und mit Nulle oder Nichts alle Zahlen entstehen."

Ein faszinierendes Dokument: Man kann der Dynamik tastender Gedanken und einer alles verändernden Idee nachträglich beim Entstehen zusehen - gleichsam in teleskopischem Blick zurück zum Urknall einer neuen Wissenswelt. Nun will die Kestner-Gesellschaft Hannover das Internet zurück nach Hause holen: Sie versucht in der Ausstellung "Bookmarks - Wissenswelten von der Keilschrift bis YouTube" den medialen Wandel in der Darstellung des Wissens nachzuzeichnen. Kern der Schau sind 42 Originaldokumente aus der Bibliothek von Gottfried Wilhelm Leibniz, die hinter zwei lichtgedämpften Glasvitrinen aufgereiht sind.

Es ist freilich gewagt, das Internetvideoportal YouTube als "populärste Ausprägung der gegenwärtigen Wissenskultur" zu annoncieren. Zwar gibt es bei YouTube auch zahlreiche Universitätsvorlesungen, Welterklärungsvideos und Anleitungsclips, für den Zuschauer überwiegt jedoch die ästhetische Unschärfe des Genres Internetvideo: Er weiß ja nie, von wem und mit welcher Absicht ein Video hochgeladen wurde. Zwischen Trash und Virtuosem finden sich auch passable Informationen, deren mangelnde Verlässlichkeit es jedoch fern legt, das eigene Wissen darauf zu gründen. Das wäre so naiv wie früher das Argument: "Das stimmt, das habe ich im Fernsehen gesehen!" Deshalb ist YouTube weniger ein abgesicherter Wissensspeicher als eine Schule der medialen Skepsis.

Und Skepsis kann immer gut gebrauchen, auch wenn man durch eine YouTube-Ausstellung schlendert, in der von YouTube nichts zu sehen ist. Für die Kuratoren Maximilian Engelmann und Frank-Thorsten Moll liegt gerade darin der Reiz: Sie wollen die ältere Generation, die in diesem Fall mit den 40-Jährigen beginnt, für YouTube interessieren, indem sie das Internetvideo als revolutionäres Medium der Weltbeschreibung in Bezug zur assyrischen Keilschrift aus dem 8. Jahrhundert vor Christus und einer Karte des nördlichen Sibiriens aus dem 18. Jahrhundert nach Christus bringen. Inhaltliche Bezüge sind nicht gewollt, lassen sich aber nicht verhindern.

So wird deutlich, dass Medien dazu tendieren, an sie gestellte Erwartungen zu enttäuschen. Im handkolorierten Weltatlas von Joan Blaeu (1667) etwa mischen sich zwar schon exakte Karten, künstlerische Illustrationen und subjektive Reiseeindrücke - wenn man so will, eine Frühform des "Geotagging", der Kombination von Ortsangaben mit Informationen im Netz. Aber die Ausstellung weist weder auf solche Spuren hin, noch geht sie ihnen konsequent nach. Auch die Frühform eines ästhetisch unscharfen Genres kann man entdecken: Louis Renards "Histoire naturelle des plus rares curiositez de la mer des Indes" aus dem Jahr 1719. In diesem Naturlexikon zeichnete der Künstler Samuel Fallours exotische Fische, jedoch nicht naturgetreu, sondern mit Menschenköpfen und in psychedelischen Farben. Was echt oder unecht war, wusste der europäische Leser nicht, aber er hatte sein Vergnügen bei der Lektüre - mithin eine auch für YouTube empfehlenswerte Lesart.

So mancher Unterhaltungsimpuls schwelt auch bereits in den Dokumenten aus der Leibniz-Bibliothek. Doch erst in den massenmedialen Zusammenhängen des 19. und 20. Jahrhunderts wird Unterhaltung als Wahrnehmungsmodell virulent. Die Schau überspringt diese Zeit einfach, um sofort bei YouTube zu landen: Diese Kluft ist zu groß. Bei YouTube wird die Welt eben nicht mehr, wie in Leibniz' Wunderkammer, exakt vermessen, sondern stellt sich als pointillistisches Zerrbild westlicher Entertainment-Industrie dar, in dem auch die Nöte von Haustieren gezeigt werden.

Wer YouTube verstehen will, muss die Genese der Unterhaltungskultur ernst nehmen. Medien dienen längst nicht mehr allein der Kommunikation zwischen Sender und Empfänger. Wie Graffiti auf Häuserwänden sind auch YouTube-Videos einfach da, von einem anonymen Schöpfer geschaffen, und wollen von einem anonymen Publikum entdeckt werden. Solch eine Genese aus der Guerillakunst wird in Hannover nicht angestrebt. Dabei ist YouTube dabei, unsere Kultur zu ästhetisieren, wie es auch ein Spiegel ebendieser Ästhetisierung ist. Hier wird die Welt nicht bloß schriftlich aktualisiert wie bei der Netzenzyklopädie Wikipedia, sondern in Bildern, Tönen und Worten lustvoll gestaltet. Klar, es ist schwierig, eine Website auszustellen, bei der täglich 200 000 Videos hochgeladen werden. Doch mit ihrer "Besucherkuratierung" - die Museums-"User" sollen im Netz eigene YouTube-Playlists mit repräsentativen Clips anlegen - machen es sich die Kuratoren zu einfach. Niemand erwartet heute allwissende Antworten, aber ein paar Hilfestellungen dürften es schon sein

YouTube ohne YouTube: Man kann darüber streiten, ob das eine originelle Idee oder ein falscher Ansatz ist. Wenn es der Schau wenigstens gelänge, das Spezifische des Mediums zu vermitteln. Doch es genügt nicht, Dokumente epochaler Fortschritte des Weltwissens auszustellen und zu sagen: YouTube ist die nächste Evolutionsstufe, alles weitere machen Sie dann bitteschön selber. Auf die neue Bilderfülle zu reagieren, indem man gar keine Bilder zeigt, kommt einer Kapitulation aus Bequemlichkeit gleich. CHRISTIAN KORTMANN

"Bookmarks. Wissenswelten von der Keilschrift bis YouTube", Kestner-Gesellschaft Hannover, bis 15. Februar. Info: www.kestner.org

Das Buch Esther, 17. Jahrhundert, vermutlich aus Gandersheim (Pergamentrolle von über 7 Metern) © Courtesy Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek - Niedersächsische Landesbibliothek

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Amos Gilad Israels Sicherheits-Chef mit Zweifeln am Krieg

Man sieht ihn selten, weil er die meiste Zeit hinter verschlossenen Türen konferiert oder in Flugzeugen sitzt. Interviews mag er nicht. Und wenn er ausnahmsweise eines gibt, bestehen seine Antworten aus knappen schmucklosen Sätzen. Der Reservegeneral in der israelischen Armee Amos Gilad meidet die Öffentlichkeit, und wenn man ihm gegenübersitzt, wirkt er eher spröde. Aber Gilad spielt eine Schlüsselrolle bei allen Entscheidungen, die Israels Sicherheit und seine Armee betreffen. Der 60 Jahre alte Gilad leitet seit vier Jahren die wichtige Abteilung "Staat und Sicherheit" im Verteidigungsministerium in Tel Aviv.

Gilad ist die rechte Hand von Verteidigungsminister Ehud Barak. Seit ein paar Wochen ist er vorübergehend auch noch für die Koordinierung von Regierungsaktivitäten in den Palästinensergebieten zuständig, weil sich Barak und Armee-Chef Gabi Aschkenasi nicht auf einen Mann für diesen Posten einigen konnten. Es heißt, Gilad wolle Chef des Armee-Geheimdienstes oder des Auslandsgeheimdienstes Mossad werden. Beide Ämter werden in diesem Jahr neu besetzt.

Sein Büro liegt gleich neben dem Baraks im vierten Stock der Kirija, des riesigen Komplexes des Verteidigungsministeriums. Gilad fliegt nach Moskau, um Russland davon abzuhalten, Flugabwehrraketen an Iran zu liefern, nach Washington, um die Regierung über die Ausbildung palästinensischer Polizisten im Westjordanland zu informieren, und vor allem ständig nach Kairo. Der Pendeldiplomat hatte gemeinsam mit Ägyptens Geheimdienstchef Omar Suleiman die sechsmonatige Waffenruhe mit der Hamas ausgehandelt, die von der radikal-islamischen Gruppe im Gaza-Streifen Ende Dezember nicht verlängert wurde. Nun flog Gilad erneut in die ägyptische Hauptstadt, um mit Suleiman Details der ägyptisch-französischen Initiative für eine Waffenruhe zu besprechen - bislang aber ohne Ergebnis.

Amos Gilad ist auch zuständig für die indirekten Gespräche mit der Hamas in Kairo über eine Freilassung des entführten Soldaten Gilad Schalit. Hamas fordert im Gegenzug, die Entlassung von mindestens 1000 palästinensischen Häftlingen, wozu Israel nicht bereit ist. Dass Amos Gilad die israelische Vergeltungsoffensive unterstützt, kann bezweifelt werden. Er hält Hamas zwar für "ein Krebsgeschwür" der palästinensischen Gesellschaft. Dennoch stellte er Ende November den Sinn einer Armee-Operation in Frage. In einem Zeitungsgespräch sagte er, die Armee könne im Gaza-Streifen zwar erfolgreich Krieg führen. Doch die Frage sei: "Was kommt danach?" Israel könne es sich nicht leisten, den Gaza-Streifen wieder zu besetzen. Die 1,5 Millionen Bewohner des Küstengebiets zu kontrollieren, wäre zu gefährlich. Auch hätte eine Wiederbesetzung negative Folgen für die moderate Palästinenser-Regierung im Westjordanland.

Aufschlussreich sind auch Gilads Warnungen vor dem Beginn der Gaza-Offensive. Die Erfahrung habe gezeigt, dass Militäreinsätze "nicht immer die Probleme des Nahen Ostens" beseitigten, meinte er. Bis zum heutigen Tage gebe es "keine optimale militärische Lösung" für den Gaza-Streifen. Thorsten Schmitz

Foto: Gil Yohanan

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2500 NS-Blätter vom Markt

Etwa 2500 Nachdrucke des NS-Blattes Völkischer Beobachter habe die bayerische Polizei seit vergangenem Freitag allein in Bayern beschlagnahmt. Das teilte ein Sprecher des bayerischen Justizministeriums am Montag in München mit. Die Aktion gegen die Publikation Zeitungszeugen, der die Faksimiles beiliegen, läuft inzwischen bundesweit. Ulrich Michel, der Anwalt des verantwortlichen britischen Albertas-Verlags, sagte, er prüfe Rechtsmittel gegen die Beschlagnahmung. Die Maßnahme des Freistaats sei "völlig unangemessen". SZ

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Jürgen Vogel

ist für die Darstellung nonkonformer Typen bekannt, zuletzt war er in Filmen wie Die Welle, Der freie Wille oder Keine Lieder über Liebe zu sehen. Er erhielt eine Ehrung als bester Schauspieler beim Tribeca-Festival in New York, den Ernst-Lubitsch-Preis und den Bundesfilmpreis. Vogel wurde 1968 in Hamburg geboren und zog mit 15 Jahren von zuhause aus. SZ

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Zweite Liebe

Die Nachrichtenagentur ddp will mehr Kooperationen eingehen, um ihr Angebot auszuweiten. Das kündigten die beiden neuen Eigentümer, Martin Vorderwülbecke und Peter Löw, am Montag in Berlin an. Im Fotobereich arbeitet ddp bereits mit AFP zusammen. Zudem seien Übernahmen im Agenturgeschäft geplant. Vorderwülbecke hatte ddp vergangene Woche mit Löw übernommen; der Kaufpreis ist unbekannt. Beide waren früher Vorstände der Beteiligungsgesellschaft Arques, welche die Agentur schon 2004 übernommen hatte. 2008 habe ddp bei einem Umsatz von 12 Millionen Euro 2,5 Millionen Gewinn erzielt. SZ

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Die DFL klagt

Der Präsident der Deutschen Fußball Liga (DFL), Reinhard Rauball, kündigte an diesem Montag an, "zeitnah" beim Oberlandesgericht Düsseldorf Klage gegen das Bundeskartellamt einzureichen. Wie Rauball erklärte, wolle die DFL sich Sendezeiten nicht durch eine Bundesbehörde vorschreiben lassen. Hintergrund ist die Entscheidung der Kartellwächter vom vorigen Sommer, wonach eine Highlight-Verwertung von Bundesligabegegnungen samstags zwischen 18 und 20 Uhr im Free-TV gezeigt werde müsse. Die DFL befürchtet dadurch auf Dauer Einnahmeverluste. Offen ist, auf welcher Grundlage geklagt wird. SZ

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Aust, Christiansen, Sat 1?

Der Privatsender Sat 1 will offenbar Stefan Aust und Sabine Christiansen für die Berichterstattung im Vorfeld der Bundestagswahl gewinnen. Der einstige Spiegel-Chefredakteur Aust, 62, und die einstige ARD-Polittalkerin Christiansen, 51, könnten eine fünfteilige Spezial-Sendung mit Gästen und Studiopublikum moderieren, heißt es. Ob Aust und Christiansen womöglich gemeinsam in einer "Wahlarena" bei Sat 1 antreten würden, ist unklar: Eine Sat-1-Sprecherin bestätigte Gespräche mit den beiden Journalisten, es gebe aber derzeit weder einen Vertragsabschluss noch stünden Details für ein TV-Projekt fest. SZ

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15 Jahre Wut

Marco Travaglio ist Silvio Berlusconis zähester Beobachter

In zwei Stunden wird Marco Travaglio auf die Bühne im Keller eines Münchner Jugendwohnheims steigen. Etwa 200 Menschen werden ihm dort zujubeln, die meisten von ihnen nach Deutschland ausgewanderte Italiener, und Travaglio wird sie nicht enttäuschen. Er wird Witze erzählen, fast zwei Stunden lang: über Italiens Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, über dessen Partei Popolo della Libertà (PDL) und über das seiner Meinung nach kaputte politische System Italiens. Er wird die Deutsch-Italiener zum Lachen bringen, bis einigen von ihnen Tränen über die Wangen laufen, und manchmal wird er selbst lachen. Es wird aussehen wie ein lustiger Abend, aber das ist bloß Travaglios Art, gegen Berlusconi zu kämpfen. Gegen den Mann, der Regierungschef ist und Medienmogul und ein Grund, sich für Italien zu schämen, wie Travaglio findet.

Vor dem Auftritt ist es anders. Da sitzt der kleine, drahtige Mann mit dem ungezähmten grauen Haar in einem italienischen Lokal in München-Haidhausen und wirkt gar nicht wie ein Spaßvogel. Er zählt Berlusconis Verfehlungen als Regierungschef auf: Korruption, Einschüchterung, Vetternwirtschaft, unkontrollierte Medienmacht, so geht es im Stakkato. Der Politiker nutze seine Medienmacht, um Journalisten vorzuschreiben, wie sie zu berichten haben. Und er nutze seine politische Macht, um sich Prozesse vom Hals zu halten. Für Travaglio sind Berlusconis Vergehen und seine eigene Wut darüber längst Routine geworden. Er sagt all das schon lange, schon seit 15 Jahren.

Endlich wieder Interviews

Marco Travaglio ist der bekannteste investigative Journalist Italiens und einer von wenigen, die sich der Macht von Silvio Berlusconi widersetzen. Der 44-Jährige schreibt für verschiedene Zeitungen, auch für kleine, "die sich mich eigentlich nicht leisten können". Meist schreibt er über Berlusconi. Außerdem schreibt er Bücher über Berlusconi. Er tritt im Fernsehen auf und spricht über Berlusconi, und seit kurzem ist er auch Kabarettist und macht Witze. Über Berlusconi.

"Manchmal ist es anstrengend", sagt er. "Aber so lange es Berlusconi gibt, gibt es kein wichtigeres Thema." Gelegentlich spricht Travaglio aber auch über Italiens Linke. Die sei zerstritten und schwach: "Wenn es sie nicht gäbe, hätte Berlusconi sie genau so erfunden." Die Schwäche der Opposition sei schuld daran, dass Berlusconi nicht verschwinde, dass er nun noch sicherer im Sessel des Ministerpräsidenten sitze. Die Linke sei auch schuld daran, dass er, Travaglio, andauernd all diese Dinge sagen müsse.

Travaglios Auftritte kommen in Italien an, seine Bücher verkaufen sich trefflich. Er müsste Berlusconi fast dankbar sein - wer sonst liefert solche Geschichten? "Wenn er irgendwann weg ist, werde ich ihn nicht vermissen", sagt der Journalist. Dann werde er über andere Dinge schreiben, im Fernsehen über andere Dinge sprechen. "Aber das geht erst, wenn Berlusconi Geschichte ist", sagt er. Dass in den 15 Jahren, die sein Kampf gegen diesen Mann nun schon andauert, Berlusconis Macht eher gewachsen ist, hat ihn müde gemacht, aber nicht hoffnungslos. "Wenn er weg ist, werde ich noch da sein", sagt Travaglio. Und dann werde er eine Party geben, eine sehr große Party.

Marco Travaglio wird dann wohl wieder Interviews führen können mit den Politikern, über die er spricht, schreibt oder Witze macht. Silvio Berlusconi nämlich hat ihn noch nie empfangen, nicht einmal bei einer Pressekonferenz durfte er ihm eine Frage stellen. Was er fragen würde, wenn er könnte? Travaglio überlegt. Berlusconis Taten sprächen für sich, sagt er schließlich. "Da bleiben keine Fragen offen." ANGELIKA SLAVIK

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Verantwortlich: Christopher Keil

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"Chaos steigert den Ehrgeiz"

Jürgen Vogel über das Risiko eines Schauspielers und seine neue Rolle als Hausherr in der "Schillerstraße" (Sat 1)

Früher war Cordula Stratmann die Gastgeberin in der Improvisationscomedy Schillerstraße. Von 2004 bis 2007 stolperten dort Komödianten und solche, die sich dafür hielten, durch eine Wohnzimmer-Kulisse und reagierten auf absurde Anweisungen, die sie - unhörbar für die anderen auf der Bühne - von einem unsichtbaren Spielleiter erhielten. In ihren besten Momenten war die Schillerstraße ein großer Spaß für Zuschauer und Akteure, in schlechten ein Tummelplatz für Dilettanten. Am Freitag übernimmt der Schauspieler Jürgen Vogel, 40, die Rolle des Hausherren in der Sat 1-WG, die nach langer Pause wieder für etwas Tumult bei den Senderquoten sorgen soll.

SZ: Wie wichtig ist Chaos, Herr Vogel?

Jürgen Vogel: Das ist schon ein großer Bestandteil der Medien. Wenn man zum Beispiel einen Film macht, ist es wichtig, dass es da ist. Chaos steigert den Ehrgeiz und die Konzentration. Bestimmte Projekte in meinem Leben wären ohne Chaos nicht das geworden, was wir daraus gemacht haben.

SZ: Wie viel Chaos brauchen Sie als neuer Hausherr in der Schillerstraße?

Vogel: Da brauche ich eine gewisse Lockerheit, damit ich nicht verkrampfe und auf alles, was passiert, reagieren kann. Da darf man sich gar nicht ins Chaos stürzen lassen. Da musst du ständig reagieren und agieren und genau zuhören, was die anderen so machen. Da ist eine relativ entspannte und lockere Haltung sehr wichtig.

SZ: Die Unordnung ist bei der Schillerstraße aber doch im Konzept angelegt.

Vogel: Es ist wichtig, dass man gar nicht versucht, das zu ordnen, sondern sich auf das, was da gerade passiert, einzulassen.

SZ: Wer sich einlässt, ist Spielball.

Vogel: Du hast alle Möglichkeiten. Du kannst das auch lenken, aber das ist nicht mein Ehrgeiz. Ich habe da kein Grundkonzept. Ich merke, was da passiert und nehme es in die Hand, aber dann lasse ich es auch wieder los.

SZ: Bei der Schillerstraße sind Sie Gastgeber, andererseits werden Sie durch den Knopf im Ohr gelenkt. Einerseits sind Sie Schauspieler, andererseits spielen Sie einen Schauspieler. Geraten gelegentlich die Ebenen durcheinander?

Vogel: Ich versuche das immer zu sehen, als wäre es echt, als hätte ich da eine Wohnung, als wäre ich nach Köln gekommen und versuchte, mich auf diese rheinische Natur einzustellen. Ich spiele ja einen Schauspieler, der es noch nicht so gebracht hat. Da kann ich sehr aus meinen Erfahrungen aus den Anfängerzeiten schöpfen. Das ist der gute Geist, den man immer bei sich hat. Ich kenne ja viele, die wie ich denken: Ich kann eigentlich gar nichts, mal sehen, wann sie drauf kommen. Das trage ich wahrscheinlich mit mir, bis ich tot bin, diese Angst, dass die Leute merken, dass ich gar nichts kann. Da komme ich nicht so durcheinander.

SZ: Aber Sie haben schon die Verpflichtung, zu spielen und nicht nur einfach so zu sein, wie sie eh sind.

Vogel: Weiß ich gar nicht.

SZ: Sie spielen einen Schauspieler.

Vogel: Ich spiele das und bin das auch. Genauso geht es mir privat doch auch. Es gibt viele Leute, die ein bisschen misstrauisch sind, weil sie wissen, dass ich Schauspieler bin. Die erkennen gar nicht die Person dahinter. Wenn du denen etwas Dramatisches erzählst oder wenn du traurig bist, haben sie immer dieses Gefühl: Das ist doch ein Schauspieler. War das jetzt echt? Oder wenn du eine Frau kennenlernst und sagst der, dass du sie liebst, kommt dann: Das hast du jetzt genau so zu mir gesagt wie in dem einen Film.

SZ: Ist das passiert?

Vogel: Das gab es schon einmal. Das hat mit unserem Beruf zu tun, dass man uns nicht so hundertprozentig traut.

SZ: Im Internet steht: Jürgen Vogel kann die Schillerstraße nicht. Der ist kein Comedian. Ist das Lob oder Tadel?

Vogel: Das ist für mich ein Ansporn. Man könnte ja auch sagen, dass ich kein Schauspieler bin. Ich habe mit 15 angefangen, und ich war damals sicher kein Schauspieler. Das lässt mich aber inzwischen relativ kalt.

SZ: Musste man Sie zur Schillerstraße überreden?

Vogel: Ich habe mir das angeguckt, und dann haben wir gesprochen, und ich habe überlegt und gedacht: Eigentlich ja.

SZ: Eigentlich?

Vogel: Es ist ja auch ein Risiko, habe ich am Anfang gedacht. Da kann ich auch etwas verlieren. Aber das ist doch eigentlich das, warum man Dinge tut im Leben. Wenn man nur das macht, wobei man das Gefühl hat, da gewinne ich, dann fängt man nicht mal an zu laufen. Der Sieg, etwas geschafft zu haben, was man sich vorgenommen hat, ist eine ganz wichtige Erfahrung.

SZ: Was hätten Sie zu verlieren?

Vogel: Eigentlich nichts. Ich habe Drahtseilnerven. Selbst wenn ich scheitere, bin ich um eine Erfahrung reicher.

SZ: Sie stehen für eine gewisse Haltung. Können Sie die definieren?

Vogel: Schwer. Ich will auf jeden Fall ein Grenzgänger sein. Ich kann ja auch nicht singen und habe trotzdem eine Platte gemacht. Ich hoffe, dass sich Leute deswegen Dinge trauen. Daniel Brühl hat mal gesagt, dass es für ihn am Anfang ganz wichtig war, dass es mich schon gab. Weil ich auch einer bin, der nicht auf der Schauspielschule war. Das hat ihm Mut gemacht.

SZ: Wo sind Sie gescheitert?

Vogel: Klingt jetzt blöd, wenn ich sage: Noch gar nicht. Aber ich habe viele Dinge gemacht, bei denen man hätte scheitern können. Wenn man Mut hat, kann man eigentlich sowieso nicht scheitern.

SZ: Mit Mut ist man im Mediengeschäft schon ganz vorne?

Vogel: Auch im Leben.

SZ: Woher nehmen Sie die Anerkennung, die Sie brauchen?

Vogel: Anders. Ich tue das, was ich tue, weil ich es tun muss. Ich brauche das. Während ich drehe, passiert bei mir etwas, was mir gut tut, da fließt etwas, was sich seelisch sehr gut anfühlt. Es gibt Leute, die wollen nach Hollywood und machen das deshalb. Solche Träume habe ich nicht, ich muss das.

SZ: Kannten Sie die Schillerstraße, bevor Sie das Angebot bekommen haben?

Vogel: Ja, natürlich.

SZ: Sie schauen fern? Das tun Schauspieler sonst nicht. Die ekeln sich vor dem Fernsehen, sagen sie.

Vogel: Die sagen das, weil es gut klingt. Und es läuft ja auch viel Schrott, aber das inspiriert mich und gibt mir Kraft. Ich kann auch aus negativen Dingen, und dazu gehört auch das Fernsehen, Kraft schöpfen.

SZ: Gibt es Mist, den Sie gerne sehen?

Vogel: Es gibt eine perverse Anziehungskraft von ganz schlechten Sendungen.

SZ: Die Lust am Unfall.

Vogel: Ja, so wie früher beim Musikantenstadl, den mein Vater ab und zu angesehen hat, und wir haben es mit geguckt und es abartig gefunden. Es ist gesellschaftlich total interessant zu sehen, was die Sender glauben, ihren Zuschauern zumuten zu müssen. Ich habe gerade diesen Dschungelquatsch geguckt . . .

SZ: Der ist doch handwerklich gut gemacht.

Vogel: Ich finde, da ist die Grenze erreicht. Da fehlt mir der Respekt vor der Menschheit. Für mich hat gute Unterhaltung auch immer mit Intelligenz zu tun. Aber da frage ich mich: Ist der Respekt vor den Menschen so weit gesunken, dass man das so bis zum Ende durchziehen muss? Ich habe Mitleid beim Gucken, ich empfinde da keine Schadenfreude. Wir sind da gesellschaftlich eindeutig an einer Grenze angelangt. Da stellt sich ein bisschen das Chaos des Nicht-mehr-genau-Wissens ein. Aber vielleicht entwickelt sich daraus ja etwas Neues.

SZ: Bei der ersten Staffel der Schillerstraße hat einer der Beteiligten gesagt: Die Sendung sei gelungen, wenn sie so funktioniere wie das Ohnsorg Theater.

Vogel: Interessante Variante. Habe ich noch nicht drüber nachgedacht.

SZ: Es kommt immer einer rein, Türen gehen auf und zu, und es gibt andauernd Verwicklungen und Überraschungen . . .

Vogel: Dann sind wir vielleicht die moderne Version des Ohnsorg Theaters.

SZ: Und Sie sind die Heidi Kabel?

Vogel: Vielleicht phasenweise. Das wird sich noch heraus stellen.

Interview: Hans Hoff

"Ich kann ja auch nicht singen und hab eine Platte gemacht"

"Schillerstraße", Sat 1, immer freitags, 20.15 Uhr.

"Ich tue das, was ich tue, weil ich es tun muss", sagt Jürgen Vogel, der neue Hausherr im Sat-1-Improtheater Schillerstraße. Zu guten Zeiten sahen 2005 im Schnitt 3,5 Millionen Zuschauer die Sendung, damals war Cordula Stratmann Gastgeberin in der Chaos-WG. Vogel spielt dort einen Schauspieler "der es noch nicht so gebracht hat". Foto: Maurice Weiss/Ostkreuz

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Das fliegende Labor

DLR lässt Businessjet zum Forschungsflugzeug umrüsten

Die Nase verrät die Verwandtschaft. Wo andere Düsenflugzeuge unter den Cockpit-Fenstern eine wohlgerundete Rumpfspitze haben, ragt dem neuen Forschungsjet des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) ein rot-weiß-gestreifter Stachel aus dem Blech. Genau an der gleichen Stelle saß schon beim Vorgängermodell der Sensormast, der vorbeiströmende Luft vermisst. Ansonsten hat der neue Flieger zwei Flügel wie der alte, zwei Triebwerke und einen blauen Streifen auf dem weiß-lackierten Rumpf. Damit endet die Ähnlichkeit aber auch, denn der neue Jet kann höher, schneller und weiter fliegen als der alte.

Seit dem vergangenen Wochenende steht das wichtigste deutsche Forschungsflugzeug auf dem Flughafen der DLR im bayerischen Oberpfaffenhofen, wo es seine Basis haben wird. Die Besitzer, die das Flugzeug mit der Max-Planck-Gesellschaft, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und etlichen Instituten betreiben, sind reichlich stolz auf den Neuzugang. Halo nennen sie das Flugzeug als Abkürzung für "High Altitude and Long Range Research Aircraft" (Forschungsflugzeug für große Höhen und Reichweiten). Es ist ein umgebauter Businessjet des Typs Gulfstream G550. Er kann mehr als 15 Kilometer hoch fliegen, hat eine Reichweite von bis zu 11 000 Kilometern und eine Nutzlast von drei Tonnen. Für das Vorgänger-Flugzeug, die seit 1976 betriebene Dassault Falcon 20E, war bei knapp 13 Kilometern Höhe, einer Tonne Ladung und 3700 Kilometern Flugstrecke Schluss.

Mit der Halo möchten die Forscher weit oben in der Atmosphäre Klima- und Wetterphänomene untersuchen. An der Grenze zwischen Tropo- und Stratosphäre kann die Maschine Spurengase aufnehmen und analysieren oder die Ozonschicht vermessen. Unter den Rumpf soll ein Wolkenradar geschnallt werden, das Größe und Konzentration von Wassertröpfchen registriert. Aus dem Inneren werden Laserstrahlen in die Atmosphäre geschossen; die Reflektionen der Lichtblitze liefern zum Beispiel Auskunft über Aerosolpartikel. "Mit dem neuen Atmosphären-Forschungsflugzeug können wir wichtige Lücken im Verständnis der Atmosphäre, insbesondere über die Bildung von Wolken und den Abbau von Treibhausgasen, schließen", sagt der Leiter des DLR-Instituts für Physik der Atmosphäre, Ulrich Schumann.

Das Flugzeug hat eine lange Bauphase hinter sich. Es wurde bereits 2006, damals noch im matt-grünen Werksanstrich, vom Hersteller in Savannah/Georgia nach Oberbayern geflogen. Eine Spezialfirma hat dort mehr als 20 zusätzliche Öffnungen in den Rumpf geschnitten - vom Loch für ein Drei-Millimeter-Probenröhrchen bis zu vier 50-Zentimeter-Fenstern oben und unten im Rumpf, durch die Laserstrahlen gerichtet werden sollen. Die unteren Scheiben werden bei der Landung von Schiebetüren gegen aufgewirbelte Steinchen geschützt.

Dann flog die Maschine für den Innenausbau zurück nach Amerika und ist nun in glänzendem Lack zurückgekehrt. In den kommenden Monaten werden die Regale für Messgeräte in den Rumpf eingepasst. Sie müssen auch dann stabil bleiben, wenn bei Flugmanövern die neunfache Erdbeschleunigung auftritt. Außerdem testen die DLR-Experten die Anbauten, die unter den Rumpf und unter die Tragflächen gehängt werden. Zum ersten Flug im Dienst der Wissenschaft soll die rund 70 Millionen Euro teure Halo in diesem Sommer starten. CHRISTOPHER SCHRADER

Das Forschungsflugzeug "Halo" vor dem Flug nach Bayern Foto: ddp

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Spuren frühen Unglücks

Nach einer schweren Kindheit ist das Immunsystem auch Jahre später noch geschwächt

Manche Verwundungen bleiben ein Leben lang. Wer Opfer einer Misshandlung, eines Unglücks oder einer anderen Traumatisierung geworden ist, hat mit den seelischen Auswirkungen oft Jahrzehnte zu kämpfen - solche Erfahrungen verblassen nie ganz. Von "Geistern aus der Kinderstube", die immer wieder zurückkehren, sprechen Psychologen und meinen damit in erster Linie die langfristigen Folgen für das Gemüt. Schlimme Erfahrungen in der Kindheit hinterlassen jedoch nicht nur Narben in der Seele, sondern auch im Körper. Amerikanische Kinderärzte und Psychologen zeigen nun, dass Stress in der frühen Kindheit dauerhaft das Immunsystem schwächen kann (PNAS, online). "Die emotionale Umgebung wirkt sich sehr lange auf die Gesundheit aus", sagt Seth Pollak von der University of Wisconsin in Madison, der die Studie geleitet hat.

Die Wissenschaftler haben 155 Jugendliche untersucht. Von ihnen hatten 80 eine vergleichsweise glückliche Kindheit ohne Traumatisierung erlebt - ihr Immunsystem war intakt. Jene 34 Jugendlichen in der Studie, die körperlich missbraucht worden waren und daher in emotional instabilen Verhältnissen aufwuchsen, konnten sich hingegen nicht gut gegen Viren, Bakterien und andere Eindringlinge wehren.

Die Mediziner analysierten, wie das Abwehrsystem ihrer Probanden auf Herpes-Simplex-Viren, Typ 1 (HSV-1), reagierte. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung tragen die Erreger von Fieberbläschen und Halsschmerzen in sich, ohne deshalb gleich Beschwerden zu haben. Symptome treten erst auf, wenn das Virus reaktiviert wird - unter Stress, im Krankheitsfall und wenn das Immunsystem auf andere Weise beeinträchtigt ist. Jugendliche, die in ihrer Kindheit missbraucht worden waren, konnten in der aktuellen Studie die Herpes-Viren in ihrem Körper nicht gut in Schach halten. Sie mussten mehr Antikörper gegen die Erreger produzieren und auch andere Abwehrmechanismen ihres Immunsystems waren geschwächt. "Bei der Geburt ist unser Immunsystem noch nicht vollständig ausgeprägt", sagt Christopher Coe von der University of Wisconsin, der an der Studie beteiligt war. "Die Zellen sind zwar vorhanden, aber wie sie sich entwickeln und reguliert werden, ist davon abhängig, wie man aufwächst."

Ein weiteres Ergebnis überraschte die Forscher. Sie untersuchten in ihrer Studie auch die Immunreaktion einer dritten Gruppe Jugendlicher und junger Erwachsener, die ihre früheste Kindheit in Waisenhäusern in Rumänien zugebracht hatten, aber nun in stabilen Verhältnissen in Adoptivfamilien lebten. Das Abwehrsystem dieser 41 Probanden war ähnlich stark geschwächt wie das der Jugendlichen, die körperlich missbraucht worden waren. "Diese Kinder hatten zwar eine schwierige Kindheit, aber seit mehr als einem Jahrzehnt werden sie geliebt und erleben emotionale Sicherheit", sagt Pollak. "Trotzdem steht ihr Körper so unter Stress, als ob sie missbraucht worden wären."

Eine chronische Stressreaktion des Organismus kann das Lernen und Verhalten von Kindern und Jugendlichen stark beeinträchtigen. Pollak befürchtet, dass in Zukunft Kinder vermehrt unter solchen Einschränkungen leiden werden. Die weltweite Finanzkrise führe schließlich dazu, dass mehr Kinder in Heimen oder anderen Institutionen betreut werden müssen und weniger adoptiert werden können.

Bindungsforscher und Psychosomatiker wissen schon lange, dass frühkindlicher Missbrauch, emotionale Verwahrlosung, extreme Strenge und häufiger Familienstreit in späteren Jahren zu mehr Depressionen, Angststörungen und anderen psychischen Leiden führen. "Eine unsichere Bindungsentwicklung ist ein großer Risikofaktor", sagt Karl Heinz Brisch, Psychosomatiker an der Ludwig-Maximilians-Universität München. In jüngster Zeit zeigen immer mehr Forschungsergebnisse, wie psychisches Leid auch starke körperliche Spuren hinterlässt. "Frühe Erfahrungen bestimmen auch die neuronalen und hormonellen Reaktionen - und zwar ein Leben lang", sagt Michael Meaney, Neurobiologe an der McGill-Universität im kanadischen Montreal. WERNER BARTENS

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"Polarstern" darf das Meer düngen

Die Wissenschaftler an Bord des deutschen Forschungsschiffes Polarstern dürfen ein umstrittenes Groß-Experiment nun doch durchführen. Vor zwei Wochen war das Vorhaben, im Südpolarmeer Eisensulfat auszustreuen, nach dem Protest von Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) gestoppt worden. Der rund vier Millionen Euro teure Versuch sollte zeigen, wie viel Treibhausgas eine von dem Eisen angeregte Algenblüte binden kann. Gabriel fürchtete, das Projekt stehe im Widerspruch zu Umweltbeschlüssen der UN. Doch vier eigens eingeholte Gutachten erklärten das Projekt nun für einwandfrei. Es stehe "im Einklang mit dem Völkerrecht" und sei "unter Umweltgesichtspunkten unbedenklich", sagt Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU). Das Experiment werde nun beginnen. Die Gutachter von internationalen Instituten loben das Projekt sogar: Es sei "mit großer Sorgfalt geplant". Das Bild zeigt die

Polarstern bei einer früheren Versorgungsfahrt in die Antarktis. boja / AFP

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So schreitet das Pferd

Der Gang von Vierbeinern wird sogar von Fachleuten oft falsch dargestellt - Hollywood macht es besser

Eigentlich ist seit mehr als 120 Jahren bekannt, wie Pferde, Hunde, Katzen und die meisten anderen Vierbeiner gehen. Der britische Fotograf Eadweard Muybridge zeigte in den 1880er Jahren mit Serienaufnahmen von Tieren, in welcher Reihenfolge sie ihre Hufe oder Pfoten auf den Boden setzen. Trotzdem werden die Bewegungsabläufe bis heute erschreckend oft falsch dargestellt - sogar in anatomischen Fachbüchern und in naturhistorischen Museen (Current Biology, online). Der ungarische Wissenschaftler Gábor Horváth sammelte mit seinem Team 307 Darstellungen von gehenden Tieren und überprüfte sie auf ihre Korrektheit. Dabei stellte sich heraus, dass 41,1 Prozent in naturhistorischen Museen falsch waren, 63,6 Prozent in Anatomiebüchern und 50 Prozent bei Kinderspielzeug. Eine Ausnahme waren Hollywoodfilme wie "Der Herr der Ringe" oder "Jurassic Park", in denen sich die computeranimierten Vierbeiner alle richtig fortbewegten. Die Abbildung oben zeigt, in welcher Reihenfolge ein schnell schreitendes Pferd die Hufe aufsetzt. Die meisten Vierbeiner machen es genauso, weil der Körper bei dieser Art der Fortbewegung am stabilsten ist. Unterschiede gibt es vor allem in der Geschwindigkeit, in der die einzelnen Sequenzen ablaufen. Allerdings lassen manche Tiere Phase D und Phase H weg. Bei Vierbeinern, die sich sehr langsam bewegen, fehlen die Sequenzen B, D, F und H. tiba

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Die Bilanz des Klopapiers

Wie der Verbrauch von Alltagsprodukten das Klima belastet

Die Finanzkrise hat ein Thema aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt, über das noch vor ein paar Monaten genauso heftig diskutiert wurde wie heute über die Abwrackprämie und das Konjunkturpaket: den Klimawandel. Wie sehr jeder Einzelne nicht nur davon betroffen, sondern auch daran beteiligt ist, zeigt das Pilotprojekt "Product Carbon Footprints" (PCF), dessen Ergebnisse am Montag in Berlin vorgestellt wurden.

Zehn Unternehmen haben dabei unter Trägerschaft von WWF, Öko-Institut und Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung untersucht, wie hoch die CO2-Bilanz von einzelnen Konsumgütern aus ihrem Sortiment ist. Um den "CO2-Fußabdruck" zu berechnen, haben die Teilnehmer in bis zu 68 Seiten langen Einzelstudien den Lebenszyklus der 15 Produkte verfolgt. Sie haben nicht nur berücksichtigt, wie das Produkt hergestellt und transportiert wurde, sondern auch was beim Gewinnen der Rohstoffe passiert ist, wie der Kunde zum Einkaufen gefahren ist, wie er das Produkt genutzt hat und wie es dann entsorgt wurde (www.pcf-projekt.de).

Die untersuchten Konsumgüter und ihre CO2-Fußabdrücke waren so unterschiedlich wie die beteiligten Unternehmen: Tchibo ließ eine Tasse Kaffee auf den Beitrag zum Treibhauseffekt testen (50 bis 101 Gramm), Rewe eine Packung Erdbeeren aus Spanien (442 Gramm), der dm-Drogeriemarkt Toilettenpapier (2,5 Kilogramm pro Zehnerpackung), die Telekom einen Telefonanschluss (über die Jahre 144 Kilogramm) und Tengelmann eine Sechserpackung Freiland-Bioeier (1178 Gramm). Die Bilanz hängt von jeweils unterschiedlichen Faktoren ab: Beim Kaffee schlägt vor allem zu Buche, wie der Konsument sein Heißgetränk aufbrüht - die CO2-Bilanz kann sich dadurch verdoppeln. Beim Klopapier dominiert die Produktion das Resultat, bei den Eiern entstehen fast zwei Drittel des Kohlendioxids in der Haltung der Hühner, bei den Erdbeeren ist hingegen der Transport ein großer Faktor.

Doch gerade beim Transport sind laut Josef Lüneburg-Wolthaus von Rewe die Möglichkeiten begrenzt, CO2 einzusparen. Die Transportlogistik sei nahezu ausgereizt. Kein Lastwagen fahre leer nach Spanien zurück, gleichzeitig käme ein Transport mit der Bahn wegen der langen Fahrtdauer nicht in Betracht. Wer im Winter deswegen lieber zu Äpfeln greifen möchte, sollte bedenken, dass deren Lagerung ebenfalls klimaschädlich ist.

Allein vier Tonnen CO2 pro Person entfallen in Deutschland zurzeit auf den privaten Verbrauch; das macht 40 Prozent der gesamten Emissionen aus. Viele Experten halten langfristig nur einen international einheitlichen Ausstoß von zwei Tonnen pro Kopf für vertretbar. Der Konsument hatte bislang aber kaum eine Chance, sich über die Klimarelevanz seiner Einkäufe zu informieren. Deswegen hat das Pilotprojekt jetzt vorhandene Methoden zur CO2-Ermittlung getestet. Den persönlichen "CO2-Fußabdruck" zu kennen, sei laut Christian Hochfeld vom Öko-Institut zwar keine "Allzweckwaffe gegen den Klimawandel", aber zumindest ein Schritt, um diesen zu begrenzen. LAURA WEISSMÜLLER

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Der Sünder ohne Gesicht

Ein Bochumer Präzedenzfall

Der Kaufmann Dr. Elmar Sch. aus Bad Homburg ist nur knapp zwei Jahre älter als der Kölner Diplomkaufmann Dr. Klaus Z. Beide haben zu Beginn ihrer Laufbahn in den USA gearbeitet, beide machten in Deutschland Karriere und entschlossen sich in den achtziger Jahren, einen Teil ihres Vermögens dem Fiskus vorzuenthalten. Elmar Sch. gründete im Juli 1985 eine Stiftung bei der LGT-Bank in Vaduz, von der das für ihn zuständige Finanzamt nichts erfuhr. Klaus Z. legte acht Monate später seine Stiftung bei der Fürstenbank an.

Niemand hat ihn beschimpft

Warum erkennt die Republik in Z., also in Klaus Zumwinkel, das Gesicht der Steueraffäre und warum ist Sch. unbekannt geblieben? Seine Villa wurde nicht belagert, kein Politiker hat ihn als "Asozialen" beschimpft. Dabei stand der Kaufmann Sch. bereits vor Zumwinkel in Bochum als Angeklagter vor Gericht. Bemerkenswerterweise war seine hinterzogene Steuer etwa achtmal so hoch wie die von Zumwinkel: Steuersünder Sch. hatte rund acht Millionen Euro hinterzogen; Steuersünder Zumwinkel 968 000 Euro. Weil Sch. vor einem halben Jahr in einem Blitzverfahren zu sehr milden zwei Jahren Haft auf Bewährung und zu einer Geldbuße in Höhe von 7,5 Millionen Euro verurteilt wurde, waren alle Spekulationen über eine Haftstrafe für Zumwinkel abwegig. Abgesehen von der unterschiedlichen Höhe der Steuerschuld gab es in beiden Fällen ähnliche Gründe für Milde. Sch. und Zumwinkel hatten sofort gestanden. Beide stellten freiwillig die für die Ermittlungen notwendigen Unterlagen zur Verfügung.

In seinem Prozess hat Sch. - anders als Zumwinkel - fast kein Wort gesagt. "Zu Gunsten des Angeklagten wirkte sich besonders strafmildernd aus, dass dieser vollständig geständig war", steht dennoch im Urteil für den Bad Homburger. Die Vollstreckung der Strafe könne auch deshalb zur Bewährung ausgesetzt werden, weil ihm "angesichts seines straffreien Lebens vor und nach den Taten eine günstige Sozialprognose zu stellen ist". In seinem Fall hatten Richter die Journalisten gebeten, den Namen nicht zu nennen. Bei Zumwinkel war solche Zurückhaltung nicht mehr möglich. Manchmal, so scheint es, gibt es nicht nur einen Prominentenbonus, sondern auch einen Prominentenmalus. Hans Leyendecker

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Bewährung für Klaus Zumwinkel

Seine Festnahme war gut inszeniert: Als die Fahnder klingelten, standen schon Fernsehteams vor der Villa von Klaus Zumwinkel. Wer wollte nicht einen mächtigen Manager sehen, der wegen Steuervergehen abgeführt wird? So hat die Öffentlichkeit längst über den ehemaligen Post-Chef gerichtet. Und zwar anders als die Juristen, die Zumwinkel nun zu einer Bewährungsstrafe verurteilten. Doch die Richter verhandelten nicht über die Geldgier von Managern, sondern nur über den Fall eines - wenn auch prominenten - Steuersünders.

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Aktuelles Lexikon

Hermes-Bürgschaft

Der Götterbote Hermes galt den alten Griechen auch als Schutzgott der Kaufleute. Daran angelehnt ist der Begriff der Hermes-Bürgschaft, die ebenso Schutz bietet: Unternehmen aus Deutschland, die Waren ins Ausland ausführen, können sich damit beim Bund gegen Zahlungsausfälle absichern. Gefragt sind diese staatlichen Garantien vor allem für Geschäfte in Schwellenländern, wo Forderungen nur schwer juristisch wieder einzutreiben sind. Das gilt zum Beispiel für China, Russland oder auch Iran. Hermes-Bürgschaften für Iran-Geschäfte gibt der Bund aber nur sehr zurückhaltend - die UN hatten wegen des iranischen Atomprogramms Sanktionen gegen das Land verhängt. 2009 sind im Haushalt für Exportgeschäfte deutscher Firmen Bürgschaften von bis zu 117 Milliarden Euro vorgesehen. 2007 hat die Bundesregierung Neugeschäfte in einem Volumen von 17 Milliarden Euro mit Hermes-Deckungen abgesichert. Der größte Teil entfiel dabei mit 61 Prozent auf Russland. Weil die Unternehmen für solche Exportgarantien Gebühren und Prämien zahlen müssen, brachte dies dem Bund in den ersten elf Monaten des Jahres 2008 etwa 415 Millionen Euro Überschuss ein. In Zukunft könnten die Hermes-Bürgschaften zu einem Haushalts-Risiko werden. Wegen der Finanzkrise drohen gerade in Russland Zahlungsausfälle. 2000 musste der Bund schon einmal mit einer Milliarde Euro einspringen. tö

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Außenansicht

Sieben Kriege - und nichts gewonnen

Israelis und Palästinenser halten an ihren bösen Wunschträumen fest, ihnen muss die Zwei-Staaten-Lösung abgenötigt werden

Von Joschka Fischer

Israel hat seit seiner Gründung 1948 sieben Kriege gegen seine arabischen und palästinensischen Nachbarn geführt, einschließlich des jetzigen in Gaza. Rechnet man die erste und die zweite Intifada der Palästinenser in den besetzten Gebieten noch hinzu, so waren es sogar neun Kriege. Militärisch hat der Staat Israel am Ende alle diese Kriege gewonnen oder zumindest nicht verloren. Was aber hat sich für Israel durch all diese Kriege seit seiner Gründung strategisch verändert? Die Antwort lautet: Nicht allzu viel. Denn strategisch ist die Ausgangslage im Kernkonflikt zwischen Israel und den Palästinensern in den vergangenen 60 Jahren nahezu unverändert geblieben.

Der Teilungsbeschluss der Vereinten Nationen von 1947, der das ehemalige britische Mandatsgebiet Palästina zwischen den beiden Völkern aufteilte, wurde und wird bis heute - mal von der einen, dann wieder von der anderen Seite - immer noch nicht akzeptiert. Deswegen sterben bis auf den heutigen Tag Menschen auf beiden Seiten, wie jetzt erneut in Gaza.

Gewiss, Israel hat einen Kalten Frieden mit Ägypten und Jordanien geschlossen und auch mit einigen wenigen weiteren Ländern der Arabischen Liga diplomatische Beziehungen aufgenommen. Aber im Kern des Konflikts hat sich trotz Oslo und all der anderen Verträge und Vereinbarungen mit den Palästinensern nicht wirklich etwas verändert. Bis heute bleibt die zentrale Frage für beide Seiten unbeantwortet: Wo beginnt, wo endet Israel, wo Palästina?

Ohne einen Kompromiss über die Aufteilung des Territoriums zwischen Israel und den Palästinensern wird der Konflikt endlos weitergehen, denn er wird von beiden Seiten als existentiell angesehen. Alle Beteiligten wissen, dass dabei am Ende nur die Grenzen vom Juni 1967 für beide Seiten unter Schmerzen akzeptabel sein werden, unter Einschluss Jerusalems und eines verhandelten, kleineren Gebietsaustauschs. Alles andere bleiben böse Wunschträume, für die weiter Unschuldige ihr Leben werden lassen müssen. Weder wird Israel verschwinden, noch werden die Palästinenser die weiße Fahne hissen und gehen. Obwohl dies nach all den Jahrzehnten des Konflikts mehr als klar ist, wurden und werden die Bedingungen für eine Zwei-Staaten-Lösung immer schlechter. Mehr als vier Jahrzehnte hat es gedauert, bis die PLO zu einer Anerkennung Israels bereit war. Aber mit dem Sieg der Hamas über die Fatah und Präsident Abbas sind die Palästinenser zurück auf Los gegangen, in das Jahr 1948. Denn die Hamas lehnt jeden Frieden mit Israel ab und ist maximal zu einem befristeten Waffenstillstand bereit. Zudem verfolgt sie als Teil der Muslimbruderschaft noch eine arabische Agenda und wird von Syrien und Iran unterstützt.

Und auf israelischer Seite wiegen 200 000 Siedler in der Westbank und der weitere Ausbau der Siedlungen mehr als alle hehren Worte über zwei Staaten. Zu Recht bestehen angesichts der von Israel geschaffenen Fakten am Boden ernste Zweifel, ob eine Zwei-Staaten-Lösung überhaupt noch durchsetzbar sein wird. Der Krieg in Gaza wird diesen negativen Trend noch massiv verstärken. Denn eines lässt sich jetzt schon mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen: Einen politischen Totalschäden auf palästinensischer Seite haben Präsident Abbas und die Fatah erlitten. Deren Legitimationsverlust wird kaum noch auszugleichen sein. Und egal, was aus der Hamas militärisch wird, politisch hat sie mit dem Krieg in Gaza endgültig die Rolle der PLO als legitime Vertretung der Palästinenser übernommen. Damit aber ist die westliche Politik der Isolation und Schwächung der Hamas, wie sie seit deren Sieg 2006 in freien und geheimen Wahlen betrieben wurde, endgültig gescheitert.

Wenn die Waffen schweigen und die Toten begraben sein werden, wird sich erneut und mit Macht die Frage nach einer politischen Lösung stellen. Ein anfänglicher Waffenstillstand kann dank internationaler Vermittlung zu einem überwachten, langfristigen Waffenstillstand und zu Wiederaufbau in Gaza führen. Und dann? Sowohl Israel als auch der Westen werden die Frage des Umgangs mit der Hamas nicht mehr vertagen können. Denn mit Abbas und einer erneuerungsunfähigen Fatah wird keine ernsthafte Friedenslösung mehr möglich sein. Dazu sind diese zu schwach und zu delegitimiert.

Die Schlüsselfrage des Umgangs mit der Hamas wird dabei nicht einfach zu beantworten sein, da die Bewegung durch Verhandlungen aufgewertet wird und zugleich bei ihrer Position bleiben wird, Israel zu vernichten. Will man allerdings auch künftig auf Verhandlungen setzen, dann wird diese Frage zwingend entschieden werden müssen.

Oder aber man akzeptiert de facto die strategische These der Hamas, dass ein Frieden zwischen Israel und den Palästinensern nicht möglich ist und Friedensgespräche daher keinen Sinn machen. Dann wird man sich mit der Organisation eines Waffenstillstandes bis zur nächsten heißen Runde bescheiden müssen. Allerdings ginge damit die Zwei-Staaten-Lösung endgültig verloren, und Hamas hätte zwar militärisch verloren, politisch aber mehr als gewonnen.

Die Alternative zur Zwei-Staaten-Lösung ist die Fortdauer des Konflikts und de facto die Realität einer Ein-Staaten-Lösung, in der eher früher als später die Palästinenser zwischen Jordangraben und Mittelmeer die Mehrheit bilden werden. Für Israel und die Palästinenser ist dies strategisch wie humanitär eine düstere, weil hoffnungslose Perspektive.

Will man dieses strategische Dilemma, in das sich beide Konfliktparteien hineinmanövriert haben, aufzulösen versuchen, dann wird dies nur von außen gehen: Erstens müssen die USA versuchen, Syrien und Iran in eine regionale Lösung einzubinden, die auch die Bedingungen für beide Konfliktparteien im Nahostkonflikt grundsätzlich verändern würde. Und zweitens müsste den Konfliktparteien die Zwei-Staaten-Lösung von außen aufgezwungen werden. Dabei wird die Entschlossenheit der USA, ebenso wie die Geschlossenheit der wichtigsten internationalen Akteure, von entscheidender Bedeutung sein. Scheitert eine solche von außen aufgezwungene Lösung, so wird schon während der ersten Jahre Barack Obamas die gesamte Region in eine gefährliche Konfrontation hineinrutschen, die nicht auf Israel und die Palästinenser beschränkt bleiben wird.

Joschka Fischer (60, Grüne) war Bundesaußenminister und Vizekanzler von 1998 bis 2005. Er schreibt exklusiv für Project Syndicate und die Süddeutsche Zeitung. Foto: dpa

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Denn er wusste, was er tat

Das Gericht erspart Klaus Zumwinkel eine Haftstrafe - und doch verurteilt es ihn mit deutlichen Worten

Von Hans Leyendecker

Kurz vor 14.35 Uhr am Montagnachmittag war die Stimmung auf der Anklagebank noch gelöst. Der Kölner Anwalt Rolf Schwedhelm plauschte fröhlich mit dem wegen Steuerhinterziehung angeklagten früheren Post-Chef Klaus Zumwinkel. Dessen zweiter Verteidiger Hanns Feigen unterhielt sich munter mit der Staatsanwältin Daniela Wolters und dem Oberstaatsanwalt Gerrit Gabriel. Der Prozess schien aus Sicht Zumwinkels außerordentlich gut zu laufen. Eine Haftstrafe ohne Bewährung, das stand früh fest, würde es nicht geben. Auch der Strafverfolger Gabriel hatte sich in seinem Plädoyer gegen "populistische Rufe nach einer hohen Strafe" gewandt. Zwei Jahre Haft mit Bewährung hatte er beantragt, aber auf den Gerichtsfluren in Bochum war noch gegen Mittag von den meisten Experten gewettet worden, dass die 12. Große Wirtschaftsstrafkammer deutlich unter dieser Meßlatte liegen würde.

Dann verkündete der Vorsitzende Richter Wolfgang Mittrup das Urteil: Doch zwei Jahre Haft mit Bewährung. Die Mienen auf der Anklagebank verfinsterten sich. Zumwinkel hatte plötzlich sehr schmale Lippen. Er hatte wohl mit einer etwas geringeren Strafe gerechnet.

Nach insgesamt dreieinhalb Stunden Verhandlung ging dann kurz vor 15 Uhr ein Prozess zu Ende, der nach dem Bemühen aller Beteiligten ganz normal sein sollte, aber doch nach speziellen Regeln ablief. In Bochum wurde eine Kulisse aufgebaut, um den Eindruck zu verhindern, hier handele es sich möglicherweise nicht um eine ganz gewöhnliche Hauptverhandlung. Das Gericht hatte selbst bei Bagatellen nachgehakt, wo es gar keiner Nachfrage mehr bedurfte.

Es war aber trotz aller Anstrengungen kein normaler Prozess, weil Zumwinkel kein normaler Angeklagter war und weil selbst die politische Öffentlichkeit in seinem Fall nie viel von der Unschuldsvermutung hielt. Fast wortgleich prangerten Verteidigung und Staatsanwaltschaft in ihren Plädoyers die "Vorverurteilung" des Angeklagten an. Staatsanwaltschaft und Verteidigung waren sich auch in unterschiedlichen Nuancierungen über die "Lebensleistung" Zumwinkels einig. "Er hat sich um dieses Land verdient gemacht", sagte Anwalt Feigen. Strafverfolger Gabriel sprach von einem "beeindruckenden Lebensweg" und ließ bei der Schilderungen der Ehrungen nicht einmal den "Bambi" aus.

Eine unselige Idee

Aber einen zusätzlichen Orden mochte auch die Staatsanwaltschaft Zumwinkel nicht verleihen: Dieser Ehrenmann sei vor 23 Jahren leider der "unseligen Idee verfallen" (Gabriel), dass er bereits versteuertes Geld nicht noch einmal versteuern wolle und habe deshalb heimlich in Liechtenstein eine Stiftung gegründet. Für die ohnehin karge Kommunikation zwischen den Vaduzer Bankleuten und dem deutschen Manager seien Codewörter vereinbart worden. Und damit sein Fahrer nicht erfuhr, mit wem sich Zumwinkel in der Steuerfeste traf, musste er seinen Chef in Grenznähe aussetzen.

"Zumwinkel wusste sehr genau, was er tat", sagte Gabriel. Der vermögende Angeklagte hätte das "nicht nötig gehabt". Das Wort "Gier" liege sehr nahe.

Feigen räumte alle Vorwürfe ein, wies aber auch sofort darauf hin, dass der Angeklagte nicht nur geständig gewesen sei, sondern die Steuerschuld in Höhe von knapp vier Millionen Euro gleich bezahlt habe. Auch habe Zumwinkel durch die Aufgaben aller seiner Ämter und Posten mittlerweile einen zweistelligen Millionenbetrag verloren, erklärte Feigen.

Richter Mittrup blieb in seiner mündlichen Urteilsbegründung bei der Linie seiner Kammer: Bei Steuerhinterziehung in Höhe von knapp einer Million Euro sei nur dann von einer Haftstrafe ohne Bewährung abzusehen, wenn es - wie im Fall Zumwinkel - gewichtige Milderungsgründe gebe. Dazu gehöre das frühe Geständnis, die Lebensleistung, seine Vorverurteilung und die prompte Schadenwiedergutmachung. Belastend für ihn sei, dass er über zwei Jahrzehnte Steuern hinterzogen habe. Er sei früh vermögend gewesen. Das Streben nach "immer mehr Reichtum" durch Steuerhinterziehung sei "nicht zu erklären".

Staatsanwaltschaft und Verteidigung verzichteten noch im Gerichtssaal auf Rechtsmittel. Zwei Jahre Haft auf Bewährung sind für Zumwinkel nicht ganz ungefährlich. In Bonn läuft gegen ihn ein Verfahren wegen der Spitzelaffäre bei der Deutschen Telekom, deren Aufsichtsratsvorsitzender er war. Sollte sich herausstellen, dass er den Auftrag gegeben hat, undichte Stellen im Konzern mit allen Mitteln ausfindig zu machen, könnte ihm, theoretisch, eine weitere Bewährungsstrafe drohen. Er ist in der Angelegenheit noch nicht vernommen worden, und ließ durch einen Sprecher alle Vorwürfe bestreiten. Falls die Staatsanwaltschaft aber zu einem anderen Ergebnis kommen sollte, könnte es für ihn angesichts der zwei Jahre von Bochum bei einer eventuellen Gesamtstrafe plötzlich doch noch eng werden.

Alles eingeräumt und das Urteil schließlich akzeptiert: der ehemalige Post-Chef Klaus Zumwinkel flankiert von seinen Anwälten Rolf Schwedhelm (links) und Hanns Feigen (rechts). Foto: AP

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Ein offenes Geheimnis

Wer heute in Liechtenstein sein Geld vor der Steuer verstecken will, kann nicht mehr sicher sein, dass die Banken des Kleinstaates ihm dabei helfen

Von Gerd Zitzelsberger

Seit 50 Jahren ist Walter Matt Treuhänder und Rechtsanwalt in der Steueroase Liechtenstein. Sein Land und er selbst sind reich geworden in diesen Jahrzehnten. Doch jetzt, so hat er vor einer Woche seinen Landsleuten geschrieben, sei der "Untergang" des Kleinstaates zwischen Österreich und der Schweiz mit seinen 36 000 Einwohnern zu befürchten. Der Grund: Schon höre man, "dass die Treuhänder und die Banken sich auf eine Zeit ohne Bankgeheimnis vorbereiten sollen". Tatsächlich ist Liechtensteins Geschäftsmodell, das bislang zu einem großen Teil auf der Einladung zur Steuerhinterziehung fußte, im Umbruch. "Es findet ein großer Wechsel statt", formuliert es Raphael Tschanz vom Bankenverband. Wohin allerdings dieser Wechsel führt, wissen die Liechtensteiner selbst noch nicht so genau.

Krisenzeichen gibt es durchaus. Das Neugeschäft bei Banken und Treuhändern ist in den vergangenen Monaten geradezu kollabiert, und mancher Steuersünder hat sein Geld wohl anderswohin geschickt. "Früher wurden pro Tag 50 bis 60 Stiftungen gegründet, jetzt sind es vielleicht noch eine oder zwei", erzählt eine Treuhänderin. Auch die 15 Banken in Liechtenstein spüren massiv die Zeitenwende. Zahlen für das Gesamtjahr 2008 haben sie noch nicht vorgelegt, aber die Tendenz ist schon erkennbar. "Die Zuflüsse von Neugeld und die Abflüsse dürften sich in etwa die Waage gehalten haben", heißt es etwa bei der LGT Group, die im Privatbesitz der Fürstenfamilie liegt und das größte Geldinstitut am Platz ist. Weil die LGT auch in Deutschland und in der Schweiz erfolgreich im lokalen Geschäft tätig ist, bedeutet die Aussage im Klartext wohl, dass die Bank an ihrem Liechtensteiner Stammsitz deutliche Geldabflüsse hinnehmen musste. Bereits im ersten Halbjahr 2006 hatten die LGT-Kunden Geld aus Liechtenstein abgezogen. Wie viel, wollte die Bank damals nicht sagen, aber ein dreistelliger Millionenbetrag dürfte es schon gewesen sein. Und selbst bei der Anlage von ehrlichem, also versteuertem Geld schwindet die Attraktivität des Fürstentums: Der Boom bei den Liechtensteiner Lebensversicherungen, die als legales Steuersparmodell gelten, ist offenbar vorbei.

Dass Liechtenstein eine Krise erlebt, ist vor allem an der Eile abzulesen, mit der jetzt Änderungen eingeleitet werden. So hat die Koalitionsregierung noch in der Endphase des Wahlkampfes ihre Pläne für eine umfassende Steuerreform vorgelegt. Sehr schnell hatte die Regierung auch gegenüber den USA reagiert und ein Abkommen zum Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten unterzeichnet. Für amerikanische Steuerzahler ist damit das Liechtensteiner Bankgeheimnis bereits abgeschafft.

Auch die LGT, die Bank des Fürsten, hat Konsequenzen gezogen. Im November beschloss sie eine Neuausrichtung ihres Treuhandgeschäfts: Wer mit Hilfe der LGT eine Stiftung gründen will, muss jetzt versichern, dass er mit den Steuergesetzen seiner Heimat im Reinen ist. Auch die anderen Banken werden sich in den nächsten Wochen darauf verpflichten, keine aktive Beihilfe mehr zur Steuerhinterziehung zu leisten. Gleichzeitig versucht das Fürstentum nun, Ausländern dabei zu helfen, auf legale Art Steuern zu sparen. Zum Beispiel verlangt es von Unternehmen nur niedrige Steuern auf deren Gewinn.

Neues von der Burg: In Liechtenstein werden Steuersünder angreifbar. AFP

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Am Fließband des Todes

Mord, Entführung, Folter - die alltägliche Gewalt in der russischen Kaukasusrepublik Inguschetien droht in einen Bürgerkrieg umzuschlagen. Maskierte Geheimdienstler prallen auf Islamisten, und die früher moskautreue Bevölkerung verliert den Glauben an die Zentralmacht

Von Sonja Zekri

Nasran - Drei alte Männer, einer verzweifelt, einer erleichtert, einer rätselhaft. Und alle lachen, leise, höflich, freudlos.

Jachja Jewlojew hat schlohweiße Haare, aber den gleichen runden Schädel wie sein Sohn. Seine Bewegungen sind vorsichtig wie nach einer Operation, aber das liegt nicht am Alter. Sein Sohn Magomed hat dem Vater in Malgobek ein Haus gebaut. Seit vier Monaten steht es gegenüber, im üblichen Klinker, unfertig wie ein offenes Grab. In jener Nacht nämlich hatte Jachja Jewlojew am Telefon gebettelt: "Komm nicht, Magomed, bleib fort von Inguschetien, bis der Staub sich legt." Und der Sohn belog seinen Vater, wie alle Kinder besorgte Eltern belügen: Reg' dich ab, ich fliege nicht.

24 Stunden später war Magomed Jewlojew tot. Sein Fall war der aufsehenerregendste Journalisten-Tod seit dem Mord an Anna Politkowskaja. Und Inguschetien, Russlands winzigstes Pulverfass, stand an der Grenze zum Bürgerkrieg, wieder einmal.

Magomed Jewlojew war Jurist, Geschäftsmann - und Publizist aus Not. Auf seiner Webseite www.ingushetiya.ru hatte er im Minutentakt Ungeheuerlichkeiten veröffentlicht, über Folter mit Strom und Wasser, Vergewaltigungen, Morde, aber auch Details aus Kabinettssitzungen, Polizeieinsätzen und Anschlägen des bewaffneten Untergrunds. Nirgends ließ sich die atemberaubende Verwandlung der schuhschachtelgroßen Kaukasusrepublik in ein rechtloses Inferno so zeitnah verfolgen wie auf www.ingushetiya.ru.

"Magomed liebte sein Volk", sagt sein Vater. Und er hasste den Präsidenten. 2002 hatte der Kreml den Geheimdienstler Murat Sjasikow an der Spitze der Republik installiert, seitdem stieg die Gewalt von Jahr zu Jahr. Seit 2002 starben 800 Menschen eines gewaltsamen Todes, 160 allein 2008, Vermisste nicht gerechnet. Für eine Republik mit nicht einmal einer halben Million Einwohnern ist das viel. Jewlojew hatte Sjasikows Wahlkampf finanziert, nun befehdete er ihn mit dem Fanatismus des Renegaten. Als Sjasikow gegen die Webseite prozessierte und die Seite auf eine Porno-Adresse umleiten ließ, inszenierte Jewlojew einen Clip, der den Präsidenten angeblich mit Prostituierten zeigte. Es war eine Duell-Situation, eine Männer-Sache.

Jachja Jewlojew stritt deswegen mit seinem Sohn. Nicht nur, weil er auf der Arbeit in der Landwirtschaftsbehörde gedrängt wurde: "Bring Magomed zum Schweigen. Nimm Urlaub, red' mit ihm." Sondern weil er wusste, was kam. "Magomed war wie ein Panzer, immer frontal drauf", sagt er. Natürlich reiste der Sohn doch nach Inguschetien, durch einen tödlichen Zufall saß er im selben Flugzeug wie sein Erzfeind Sjasikow. Er wurde in Nasran noch auf der Gangway verhaftet, Männer des Innenministers schleppten ihn in einem gepanzerten Wagen fort. Der Vater sah ihn im Krankenhaus wieder, mit einem Loch im Kopf. "Fahrlässige Tötung", hieß es offiziell. "Ein Mediziner hat gesagt, dass Magomed durch einen aufgesetzten Schuss in die linke Schläfe starb", sagt Jewlojew. "Fahrlässige Tötung?" Er lacht. Seine Familie hat Blutrache geschworen.

Blutrache, Familienehre, mächtige Clans. Manche Russen, auch manche Inguschen sagen, dass die Republik nie richtig zur Moderne aufgeschlossen hat, ein Dorf geblieben ist, spätfeudal, neuerdings begeistert islamisch. Hirten auf Pferden treiben Schafe durch die Städte. Das beste Trinkwasser kommt aus Quellen am Straßenrand. Vor kurzem hat ein Kino auf- und wieder zugemacht. Eine Straßenbahn gab es nie. Die alten Sitten haben die Sowjetunion überlebt, die Polygamie zum Beispiel. Und die Achtung vor dem Alter. Ein Sohn sitzt nicht am Tisch, wenn der Vater isst, eine Tochter schon gar nicht. Aber seit ein paar Jahren gehen die Söhne eigene Wege, und inzwischen könnte sich Jachja Jewlojew vorstellen, dass sie recht haben.

Sjasikow überlebte den Tod seines Gegners politisch um zwei Monate, denn inzwischen meldete sich sogar der Europarat zu Wort. Anfang November ernannte Kreml-Chef Dmitrij Medwedjew einen neuen Präsidenten, Janus-Bek Jewkurow, einen hochdekorierten Offizier. Jewkurow gibt ausländischen Journalisten keine Interviews. Aber er hat Jewlojews Vater sein Beileid ausgesprochen, ihm sogar seine Handynummer gegeben. Er hat einen Menschenrechtsrat gegründet, den Anwalt der Jewlojews zu seinem Berater ernannt und Kritiker des alten Präsidenten ins Kabinett berufen. Inzwischen hat ein Gericht anerkannt, dass die Verhaftung Magomed Jewlojews rechtswidrig war. Vielleicht werden endlich Verdächtige festgenommen, vielleicht gibt es einen fairen Prozess, sagt Jewlojew. Dann würde er auf Blutrache verzichten. "Mein Sohn hat sein Leben gegeben, um dieses Regime abzulösen", sagt er. "Nun gibt es Hoffnung." Er spricht vielen aus dem Herzen.

Eine Spannung liegt über dem kalten Land, ein Abwarten, ein Atemholen. Noch gehen die Anschläge weiter und die Entführungen, noch sind die Straßen nach Anbruch der Dunkelheit wie ausgestorben. "Das Fließband des Todes lässt sich nicht so leicht anhalten", sagt einer. Aber die meisten finden, dass der neue Präsident eine Chance verdient hat.

Das sagen selbst die Oppositionellen, die sich im festungsartigen Anwesen des alten Magomed Auschew versammeln, dem zweiten der drei Alten. Dem Erleichterten. Auschew kämmt seinen Bart mit einer selbstvergessenen Geste und einem grünen Plastikkamm. "Eigentlich sind wir ja keine Opposition, sondern nur besorgte Bürger", sagt er und lacht leise. Auch der Enkel des alten Auschew geriet in die Fänge des Staates. Im Juni 2007 verschwand er auf dem Weg von Astrachan, ein Dutzendfall, tragisch, aber nicht zu ändern. Die Auschews jedoch probierten etwas Neues: Sie mobilisierten ihren Clan, theoretisch 40 000 Menschen, darunter Inguschetiens populärer Ex-Präsident Ruslan Auschew. "Als Erstes gingen die Frauen auf die Straße", sagt der Alte. Sie wurden von der Polizei umstellt, aber sie wichen nicht. Für Auschews Enkel ging es um Minuten. Geplant war ein rückstandsfreies Ende ohne Leiche, er sollte in die Luft gesprengt werden, "Snickers" heißt das hier. Der Anruf erreichte seine Kidnapper auf dem Weg in den Wald.

Nach dieser sensationell friedlichen Befreiung demonstrierten die Inguschen weiter, gegen das Unrecht, gegen das Regime. Aber nun ist die alte Führung fort.

Was jetzt? Die Proteste sind ausgesetzt. Magomed Chasbijew, ein ungestümer Freund der Auschews, will ein paar hundert korrupte Beamte erschießen, aber die anderen lächeln nur milde: typisch Chasbijew. Der alte Auschew möchte am liebsten vergessen. "Wir warten", sagt er: "Wir beobachten." Auch er spricht vielen aus dem Herzen.

Aber wie lange reicht ihre Geduld? Nach zwei, drei Monaten müsste es ein Ende haben mit dem Terror der Sicherheitsdienste, die mit Strickmützen über dem Gesicht wie Zombies an den Straßenkreuzungen stehen. Jeden Morgen um acht brechen die Geheimdienstler des FSB aus ihrem rosafarbenen Hauptquartier in der Retortenhauptstadt Magas auf, in Schützenpanzerwagen und Lastern. Die Männer werden für ein paar Monate geschickt und bekommen Zulagen für jeden Sondereinsatz, für jedes abgeriegelte Viertel, jedes plattgewalzte Haus. 80 Prozent der Misshandlungen und Todesfälle gehen auf das Konto der föderalen Kräfte, sagen Menschenrechtler. Deshalb hat der neue Präsident vorgeschlagen, die Sicherheit lokalen Kräften zu überlassen. Der Kreml wird sich darauf nie einlassen.

Und noch einen Traum wird Jewkurow nicht erfüllen: Die Rückkehr nach Prigorodnyj. Anfang der Neunziger hatten die Nord-Osseten die Inguschen aus dem schmalen Streifen vertrieben, bis heute dürfen sie nicht zurück. Die Fehde zwischen den muslimischen Inguschen und den orthodoxen Osseten könnte zum nächsten großen Gewaltausbruch im Kaukasus führen, sagen einige. Die Inguschen jubelten, als Georgien den verhassten Osseten im Augustkrieg einen Dämpfer verpassen wollte. Die Osseten gelten als Russlands Hätschelkinder, Russlands Vollstrecker. Wie viele entführte Inguschen landen in ossetischen Verließen? Wie viele Sondereinheiten kommen aus der Republik nebenan? Und dann schlug sich Russland noch auf die Seite der Osseten und schenkte ihnen die Unabhängigkeit! Die Tschetschenen hat Moskau ins Mittelalter gebombt, aber auf einmal ist Separatismus salonfähig, hadern die Inguschen.

Nicht, dass sie von der Unabhängigkeit träumen. Sie sind loyal seit Jahrhunderten, in der Oktoberrevolution, beim Zerfall der Sowjetunion, noch im Tschetschenienkrieg stand Inguschetien an der Seite Moskaus. Zwischendurch lebten in Inguschetien mehr Flüchtlinge als Einwohner, aber sich deshalb lossagen von Moskau? Nie. Selbst jetzt sagt der alte Auschew gutmütig: "Diese Bestien in Masken wollen ja nicht Inguschetien zerstören, sondern Russland." In einer trotzigen Aufwallung aber hatte Magomed Chasbijew im Herbst gesagt, wenn Russland Inguschetien so stiefmütterlich behandle, müsse man sich wohl um die Anerkennung als Staat bemühen. Damals hatten wieder alle nur gelächelt. 80 Prozent des Haushaltes stammen aus Moskau, sagt ein Regierungsmitglied, die Arbeitslosigkeit ist riesig. Ein Alleingang wäre nicht heroisch, sondern dämlich.

Andererseits, wenn sich der ganze Kaukasus erhebt? Issa Kodsojew hinkt durch sein riesiges Haus in Kantyschewo an der Grenze zu Nord-Ossetien. Er ist der letzte, berühmteste der drei Greise, er ist Inguschetiens Nationaldichter. In seinem Anwesen reichen die Bücherregale bis zur Decke. Unter den Sowjets hat Kodsojew wegen "nationalistischer Tendenzen" in einem Frühwerk mal im Lager gesessen. Gäbe es heute nur eine klitzekleine Chance auf Erfolg, würde sich sein Volk in einen gesamtkaukasischen Aufstand einreihen, sagt er. Es gibt sie nicht.

Glaubt man russischen Sicherheitskräften, sahen Kodsojews Söhne das anders. Einer, Selimchan, wurde zu 24 Jahren verurteilt, weil er einen Polizisten umgebracht haben soll. Ein zweiter, Isnaur, soll einer der Geiselnehmer in Beslan gewesen sein und starb beim Sturm auf die Schule Nr. 1. Ein paar Monate später wurde sein Ende allerdings erneut gemeldet. Im Wahnsinn Inguschetiens ist nicht mal der Tod sicher. "Alles Lüge", sagt Issa Kodsojew. Sein Sohn habe nichts mit Beslan zu tun gehabt. Nach Ansicht von Menschenrechtlern mag das stimmen. Kontakte zum "bewaffneten Untergrund" habe Isnaur aber gehabt.

Der Untergrund. Die große Unbekannte im Kampf um die Macht im Kaukasus. Für den Kreml hat er einen Namen, "Wahhabismus", und ein Gesicht, jenes der bärtigen Steinzeit-Islamisten um den Terroristen Doku Umarow nämlich. Hervorgegangen aus den Trümmern des Tschetschenien-Krieges haben diese längst alle nationalen Grenzen hinter sich gelassen und kämpfen für ein kaukasisches "Emirat", für einen Gottesstaat vom Schwarzen bis zum Kaspischen Meer.

Dabei geht nur ein kleiner Teil der Anschläge auf das Konto der Dschihadisten, sagen Menschenrechtler. Der große Rest ist Rache, denn die Grausamkeit der Maskierten füllt die Reihen der Radikalen. Familien verkaufen ihre Habe und mieten beim Emirat einen Killer, um den Tod ihres Sohnes zu rächen, denn sie wissen: Eine Klage vor Gericht wäre aussichtslos. Brüder und Väter von Getöteten gehen tagsüber dem Alltag nach und greifen nachts zur Waffe. Nur so erklärt sich die enorme Reichweite der Militanten: Es gab Angriffe auf Premiers und Bürgermeister, Muftis und Abgeordnete. Vor wenigen Tagen besuchte Dmitrij Medwedjew die Republik. Während er Jewkurow großzügig weitere 700 Millionen Euro versprach, explodierte vor dem Haus eines Richters eine Granate, ein Polizeiauto wurde beschossen. Niemand ist sicher.

Aber Moskau zählt zu den "Wahhabiten" nicht nur die Gewaltbereiten, sondern fast alle politisch Aktiven, Frommen, Auffälligen. "Wahhabismus" ist der Standardvorwurf, wenn sich ein anderer nicht finden lässt. Es stimmt, Inguschetien ist religiös geworden, sehr sogar. "Jahrzehntelang haben wir heimlich gebetet, jetzt können wir unsere Minarette bauen, so hoch wir wollen", sagt ein Geistlicher. Am Freitag quetschen sich die Männer in die Moscheen. Die Jugend raucht und trinkt nicht. Vor zwei Monaten schloss das letzte Geschäft, das Alkohol verkauft hat. CD- und DVD-Verkäufer, sogar Damenfrisöre wurden bedroht. Jahrhunderte war dies hier Sufi-Land, konservativ, aber tolerant. Nun aber findet der saudische Hardcore-Islam Anhänger, und vor allem die Scharia: Die Jahre der Willkür haben eine riesige Sehnsucht nach Gerechtigkeit entstehen lassen. Wo Recht auch nur nach russischen Maßstäben unerreichbar ist, weckt die Hand-ab-Justiz die Illusion von Ordnung und Maß.

Der Kreml hat den Kaukasus immer wie Feindesland behandelt, und zu politischer Unruhe fällt ihm außer Gewalt nie viel ein. In Inguschetien begeht er seinen vielleicht tragischsten Fehler: Er stößt seine treuesten Gefährten von sich. Deshalb blickt der alte Kodsojew verhalten in die Zukunft: "Alle sagten, es kann sowieso nicht schlimmer werden", sagt er: "Ich weiß, dass das nicht stimmt." Dann lacht er.

Ein Schuss in die Schläfe gilt hier als fahrlässige Tötung

Für jedes plattgewalzte Haus bekommen die Männer vom FSB eine Prämie

Die Jugend raucht und trinkt nicht. Selbst Damenfrisöre werden bedroht

Niemand ist sicher: 800 Menschen starben in den vergangenen Jahren in Inguschetien eines gewaltsamen Todes. 2006 galt dieser Anschlag dem Premierminister. Foto: action press

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"Ich möchte verhindern, dass das Leben dieser Menschen mit neuem Leid zu Ende geht": Stuart Eizenstat. AP

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Der Advokat der ärmsten Opfer

Stuart Eizenstat verhandelte den Zwangsarbeiter-Fonds. Nun will der US-Anwalt für hilfebedürftige Holocaust-Überlebende eintreten. Er sagt, er könne nicht anders

Von Reymer Klüver

Washington - Zwischen den Augenbrauen furchen zwei tiefe Falten senkrecht die Stirn. Die Augen hält er beim Reden oft geschlossen. Die Lider hinter den großen, runden Gläsern seiner Goldrandbrille flattern dann leicht, kaum merklich. Vielleicht ist es eine Marotte oder die Müdigkeit eines vielbeschäftigten Mannes. Vielleicht ist es aber auch der Kniff eines alten Anwalts und routinierten Unterhändlers, um sein Gegenüber dazu zu bringen, genau hinzuhören. Denn unwillkürlich konzentriert man sich auf das, was der hagere Mann gerade gleichförmig monoton vorträgt - seine gewöhnliche Stimmlage.

Stuart Eizenstat gilt als einer der besten seiner Zunft: einer der zähesten, einer der durchsetzungsstärksten Experten für komplizierte internationale Verhandlungen. Verbindlich im Ton, unnachgiebig in der Sache. Er bekommt in der Regel, was er will. Jetzt steigt er wieder ein.

Im Namen der Jewish Claims Conference wird Eizenstat in diesem Jahr mit der deutschen Bundesregierung verhandeln, um noch überlebenden Opfern des Holocaust auf ihre letzten Tage, wie er es nennt, "unvollkommene Gerechtigkeit" zu verschaffen. In den neunziger Jahren war Eizenstat im Auftrag der US-Regierung als Vermittler tätig zwischen Anwälten und jüdischen Interessengruppen auf der einen Seite und europäischen Wirtschaftsverbänden und Regierungen auf der anderen. Er hat die Schweizer Banken dazu gebracht, die Erben sogenannter "nachrichtenloser Konten" zu suchen. Hat in überaus zähen Verhandlungen der deutschen Wirtschaft und der Bundesregierung einen Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter abgetrotzt - immerhin damals zehn Milliarden Mark. Nun also wird Eizenstat, inzwischen 66 Jahre alt und reichlich beschäftigter Chef der internationalen Abteilung der großen Washingtoner Anwaltskanzlei Covington and Burling, wieder Verhandlungen für Nazi-Opfer aufnehmen.

Dreierlei will Eizenstat erreichen. Seit 2004 stattet die deutsche Regierung einen Fonds aus für die häusliche Pflege gebrechlicher Holocaust-Überlebender. 41 000 Menschen in 25 Ländern bekamen dadurch im vorvergangenen Jahr Hilfe. "Der Bedarf wächst, die Leute werden zunehmend krank", sagt Eizenstat. Zudem sollen künftig Nazi-Opfer in Ländern in Mittel- und Osteuropa mit eher schlechter als rechter Gesundheitsversorgung zusätzliche medizinische Hilfe bekommen: "Sie haben oft größere Probleme als Spätfolgen der Lagerhaft, zum Beispiel gebrochene Hüften." Und ein Härtefonds für die sogenannten Doppelopfer - Holocaust-Überlebende, die im kommunistischen Osteuropa blieben und nie eine Entschädigung erhielten - soll besser ausgestattet werden. Es geht um 6600 Menschen, die in den neuen EU-Ländern leben und eine Einmalzahlung von 2500 Euro erhalten sollen. Die Claims Conference geht davon aus, dass in Weißrussland, der Ukraine und in anderen Staaten auf dem Gebiet der einstigen Sowjetunion noch Zehntausende mit vergleichbarem Schicksal leben. "Diese Menschen haben das Schlimmste durchlitten, was man sich nur vorstellen kann", sagt Eizenstat. "Ich fühle mich verpflichtet, dafür zu sorgen, dass sie auf ihre letzten Jahre nicht noch einmal leiden müssen."

Öffentlich Emotionen zu zeigen, ist Eizenstats Sache eigentlich nicht. Gefühle offenbart man nicht in seiner Profession. Und schon gar nicht in seiner Position. Doch hier liegen die Dinge anders. "Ich möchte verhindern, dass das Leben dieser Menschen mit neuem Leid zu Ende geht. Das ist mein Ziel. Daran arbeite ich seit mehr als einem Jahrzehnt", sagt Eizenstat. "Es bleiben, wenn man es praktisch sieht, doch nur noch ein paar wenige Jahre. Es ist so wichtig, dass diese letzte Anstrengung gemacht wird."

Eizenstat ist ein diskreter Mann. Das bringt sein Berufsstand mit sich. Nicht, dass er die Medien scheute. Aber ihre Nähe hat er selten gesucht. Wenn er nun genau das tut und seine Rückkehr in die Entschädigungsverhandlungen sozusagen per Zeitung annonciert, dient das natürlich einem klar umrissenen Zweck: Eizenstat will den Boden bereiten für die neue Gesprächsrunde mit der Bundesregierung. Und dazu zählt, dass er seine künftigen Gesprächspartner über den grünen Klee lobt. Gleich zweimal sagt er, dass es ihn "mit großer Bewunderung" erfülle, wie sich Deutschland und die Deutschen in Jahrzehnten bemüht hätten, ihrer historischen Verantwortung gerecht zu werden. "Ich habe eine sehr positive Einstellung zu Deutschland."

Stuart Eizenstat entstammt einer jüdischen Familie, in Chicago geboren, in Atlanta aufgewachsen. Aber es ist nicht so sehr sein familiärer Hintergrund, der ihn dazu gebracht hat, einen Gutteil seiner Zeit in den Dienst der Opfer von deutschem Rassenhass und Größenwahn zu stellen. Auch Angehörige seiner Familie wurden ermordet. Die Umstände, so sie überhaupt zu ermitteln waren, hat er erst sehr viel später erfahren, als er bereits Unterhändler im Auftrag der US-Regierung war: Drei seiner Großtanten, nicht wie der Rest der Familie in die USA ausgewandert, haben die deutschen Mordbrenner irgendwo in den litauischen Wäldern erschossen. Aber das hat ihn in den Verhandlungen etwa über die Zwangsarbeiterentschädigung nicht bewegt: "Ich konnte doch nicht zulassen, dass Emotionen meine Fähigkeit zum Vermitteln beeinträchtigen würden", sagt er in seinem Anwalts- und Unterhändlertonfall. Es ist vielmehr Betroffenheit aus einem ganz anderen Grund, die ihn besonders angetrieben hat.

1968 diente der in der Wahlkampagne des (gegen Richard Nixon gescheiterten) demokratischen Präsidentschaftsbewerbers Hubert Humphrey. Einer seiner Kollegen war der Historiker Arthur Morse. Der hatte gerade ein Buch geschrieben darüber, wie viel US-Präsident Franklin Roosevelt, überhaupt wie viel die amerikanische Führung im Krieg über den Holocaust wusste - und nichts Entscheidendes versuchte, ihn aufzuhalten, etwa durch Bombardements der Bahnstrecken zu den Vernichtungslagern. "Ich erinnere mich, wie schockiert ich damals war", erzählt Eizenstat im selben gleichförmigen Tonfall, mit dem er die ganze Zeit gesprochen hat. "Roosevelt war in meinem Elternhaus eine Ikone. Und ich sagte mir: Wenn ich jemals Mitglied der US-Regierung sein sollte, will ich versuchen, diesen Flecken von der Geschichte der Vereinigten Staaten zu entfernen und zugleich den Opfern zu helfen."

1994 kam die Gelegenheit. Als US-Botschafter bei der EU erhielt Eizenstat den Auftrag, bei der Rückgabe enteigneten Eigentums jüdischer (und christlicher) Gemeinden im ehemaligen Ostblock zu helfen. Seither ist er nicht mehr losgekommen: "Dies ist die Passion meines Lebens", sagt er. Und dann lächelt der Mann tatsächlich, schüchtern fast.

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Blick in die Presse

Fokussiert auf Dogmen

Die International Herald Tribune kritisiert die Wiederaufnahme des Holocaust-Leugners Williamson in die katholische Kirche:

"Dass Benedikt XVI. es nicht für nötig befindet, eine Angelegenheit umfassend zu diskutieren, die unter jüdischen Gruppen und liberalen Katholiken für derartige Entrüstung sorgt, war nur das jüngste Beispiel dafür, wie fokussiert der Papst auf dogmatische Themen ist und wie wenig ihm bewusst ist, welche Resonanz sie in der übrigen Welt hervorrufen. Das spiegelt perfekt die theologischen Sehnsüchte - und politischen Verfehlungen - seines vierjährigen Pontifikats wieder."

Fade Ausreden

Die Frankfurter Rundschau fordert deshalb klare Positionen von der Bundesregierung:

"Der Papst war mal ein angesehener Deutscher. Es müsste uns nicht interessieren, dass er ein paar religiös abgedrehte Glaubensbrüder wieder integriert. Wer aber mit faden Ausreden Holocaust-Leugner aufwertet, der hat unser Interesse verdient. Und wenn für Muslime, dann gilt auch für ihn die Frage, wie lange seine Organisation in Deutschland noch staatliche Förderung genießen darf. Frau Merkel, Herr Schäuble, jetzt können Sie zeigen, dass vor Ihren kritischen Augen alle Religionen gleich sind."

Wir alle leben auf Lampedusa

Nach den Flüchtlingsprotesten auf Lampedusa fordert Die Presse (Wien) eine gemeinsame europäische Einwanderungspolitik:

"Europa wird nicht umhinkommen, seine Grenzen gemeinsam besser zu schützen. Es muss aber auch endlich Möglichkeiten schaffen, um Wirtschaftsflüchtlingen zu einer legalen Aufnahme zu verhelfen. Bisher hat Resteuropa meist weggeschaut, wenn ein einzelnes Land von einer Migrationswelle überflutet wurde. Das ist kurzsichtig: Wir alle leben auf Lampedusa, auf einer Insel des Wohlstands. Und der Drang, zu uns zu kommen, wird in Zukunft größer werden, nicht kleiner."

Kampf nur gegen Symptome

Die Sächsische Zeitung (Dresden) sieht bei der Ursachenbekämpfung die ganze Welt in der Verantwortung:

"Höhere Grenzzäune, stärkere Kontrollen der Küstengewässer, schärfere Abschiebungspraktiken: Alle Gegenmaßnahmen haben sich als untauglich erwiesen, weil sie Symptome bekämpfen, aber nicht die Wurzel des Übels anpacken. Solange in Afrika - und nicht nur dort - Millionen und Abermillionen unter Armut und Hunger leiden, von skrupellosen Regimen geknechtet, in blutigen Bürgerkriegen geschunden werden, versiegt der Flüchtlingsstrom nicht."

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Die Saat der Widersprüche

Bolivien hat eine neue Verfassung, die dem konfliktgeplagten Land neue Probleme beschert

Von Peter Burghardt

Vom Aufstieg Barack Obamas war in den USA noch keine Rede, da setzte sich in einem anderen Land des Kontinents ein ebenfalls ungewöhnlicher Politiker an die Spitze einer Bewegung. Er heißt Evo Morales und verkörpert unter all den neuen Linken Südamerikas den radikalsten Wandel. Vor ihm gehörten alle Präsidenten zwischen Anden und Amazonas zur weißen Minderheit. Sein gewählter Vorgänger Gonzalo Sánchez de Lozada ist Minenbesitzer, reichster Einwohner im ärmsten Staat Südamerikas und spricht Spanisch mit US-amerikanischem Akzent. Der dunkelhäutige Morales dagegen stammt aus einer bedürftigen Familie vom Volk der Aymara, hütete früher Schafe, erntete Koka und steht nach wie vor der Kokagewerkschaft vor. Seit 2006 führt erstmals ein Mann aus der indigenen Mehrheit die Republik.

Der Machtwechsel 2006 ähnelt dem in Washington oder, noch passender, dem in Südafrika, als das Apartheids-Regime abgelöst wurde. Jetzt haben Morales und seine Partei "Bewegung zum Sozialismus" wieder eine Abstimmung gewonnen - es ging immerhin um die Neugründung der Nation. 60 Prozent der Wahlbeteiligten billigten die neue Verfassung. Sie erkennt nun Kultur, Sprachen und Justiz der indianischen Bevölkerung an, von 36 Stämmen. Bodenschätze werden zum nationalen Gut, Großgrundbesitz wird auf maximal 5000 Hektar beschränkt. Damit sollen die Aymara und Quetschua endlich mehr sein als Farbtupfer auf Indiomärkten. Damit soll die koloniale und neoliberale Vergangenheit enden. Auch die bolivianische Art der Apartheid soll es nicht mehr geben und Evo Morales so zum südamerikanischen Nelson Mandela werden. Doch in Bolivien werden die für Lateinamerika so typischen Grabenkämpfe weitergehen.

Im Herzen des Subkontinents konzentrieren sich alle Gegensätze der Region. Hochland gegen Tiefland, Arm gegen Reich, Hell gegen Dunkel, Sozialismus gegen Kapitalismus. Morales stützt sich auf ein Heer der Bedürftigen in der dünnen Luft der kargen Hochebene um La Paz, Titicacasee und der Region Potosí, einst reich geworden durch die großen Silberminen, heute ein Armenhaus.

Der Widerstand versammelt sich in den heißen Ebenen um Santa Cruz, wo die Unternehmer europäischer Herkunft leben, und wo die saftigen Viehweiden und üppigen Gasvorkommen liegen. Die Zentrale will den Wohlstand zugunsten der Indio-Mehrheit umverteilen. Die Elite dagegen will ihre Pfründe sichern, unterstützt von der Kirche und anderen konservativen Kreisen. Die Herausforderer erklärten sich nach eigenen Referenden für autonom. Bolivien drohen Bürgerkrieg und Balkanisierung. Müssen also Gewalt und Zerfall das Ergebnis dieser historischen Veränderung sein?

Die meisten von der linken Welle überspülten Länder leiden unter ähnlichen Duellen, auch Venezuela und Ecuador. Dabei wurden Evo Morales, Hugo Chávez und Rafael Correa demokratisch gewählt. Die Oberschicht will nicht einsehen, dass die zuvor Ausgeschlossenen in der Mehrzahl sind, und dass Mehrheiten in einer Demokratie entscheiden. Viele von ihnen wollen ihren konzentrierten Wohlstand nicht preisgeben. Aber auch die neuen Machthaber schüren die Konfrontation. Sie reden von Sozialhilfe und führen nationale Parolen im Mund, um die Verhältnisse zu verbessern. Dabei wären unideologische Bildung und Investitionen wichtiger als Wahlkämpfe.

Bolivien, Venezuela und Ecuador sind dank ihrer Öl- und Gasfelder theoretisch reich, aber der Reichtum muss sinnvoll eingesetzt werden. Verstaatlichungen und strengere Regeln für ausländische Konzerne können helfen. Doch es muss in die Modernisierung investiert und die Abhängigkeit von den Rohstoffpreisen verringert werden. Da versagen die neuen Herrscher, denen Klugheit und Diplomatie häufig fern sind. Ohne Dialog und Pragmatismus aber könnten die Staaten einen Ausbruch der Gewalt erleben.

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Bewährung? Bewährung!

Der Fall des Managers Klaus Zumwinkel: Ein Exempel, an dem kein Exempel statuiert wurde

Von Heribert Prantl

Viele hätten ihn gern hinter Gittern gesehen: Zumwinkel als Exempel für Gier und Gewissenlosigkeit. Zumwinkel als Symbol für die Verderbtheit der Großmanager. Zumwinkel als Repräsentant eines Systems der Selbstbedienung, als Personifikation all der Eigenschaften, die zur Finanzkatastrophe geführt haben. Weil sein Fall am Beginn des Verfalls des alten Finanzsystems steht, gilt Zumwinkel vielen auch als derjenige, mit dem die große Krise begann. Auf dem Beschuldigten Zumwinkel ist daher in den vergangenen Monaten der Zorn der Gesellschaft abgeladen worden.

Bei der Justiz war Zumwinkel nur der Steuerhinterziehung angeklagt, von der Öffentlichkeit auch der Vertrauenshinterziehung, ja der moralischen Anarchie. Mit dieser Anklage verbanden sich Straferwartungen, die kein Gericht erfüllen konnte. Zumwinkel ist nun, wie allseits vorausgesagt, zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Das ist sehr milde, aber vertretbar. Die öffentlichen Erwartungen wären auch mit einer Haftstrafe von zwei oder drei Jahren ohne Bewährung nicht erfüllt worden. Das Übermaß der Straferwartungen korrespondiert mit dem Übermaß an Macht, das Zumwinkel einst hatte: Er saß in den Aufsichtsräten der bedeutendsten privatisierten deutschen Staatsbetriebe.

Der Sündenbock wurde früher in die Wüste getrieben. Zumwinkels Wüste hätte das Gefängnis sein sollen: Über solche Erwartungen der Gesellschaft muss man sich nicht lustig machen. Diese Erwartungen sind Teil einer berechtigten Empörung und Teil der Hoffnung auf eine Erneuerung des Systems, von der bisher so wenig zu sehen ist. In einer solchen Situation ist der Glaube an die gesellschaftsmedizinische Kraft des Strafrechts noch größer als sonst. Dieser Glaube ist ein Irrglaube - weil eine Strafe nur die Tat bestrafen kann, weil das Gericht Zumwinkel also nur für seine Steuerhinterziehung zur Verantwortung ziehen konnte, nicht aber für die Schlechtigkeit des Systems und auch nicht für die unseligen Privatisierungsorgien, die der Manager Zumwinkel einst mitgefeiert hat. Das Strafrecht ist ein hölzerner Handschuh; Reparaturen in der Gesellschaft sind mit ihm kaum zu bewerkstelligen. Trotzdem sind diese Reparaturarbeiten notwendig.

Bis zum Platzen der Finanzblase haben sich Großmanager und ihre Unternehmen dumm und dämlich verdient; die Zeche dafür zahlt der Steuerzahler mit Milliardenkrediten. Die Politik wird überlegen müssen, wie man die Profiteure des alten Systems zur Kasse bitten kann, diejenigen also, die so aberwitzig finassiert und abkassiert haben, dass jetzt der Staat der Wirtschaft mit aberwitzigen Summen aufhelfen muss. Die Gesellschaft steht vor einem Abgrund von ungerechtfertigter Bereicherung, und es ist an der Zeit, diesen Abgrund auszuleuchten. Das freilich war nicht Aufgabe des Steuerstrafverfahrens gegen Zumwinkel.

Der Fall des Klaus Zumwinkel war und ist ein Exempel, an dem kein Exempel statuiert wurde.

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Besser gemeinsam

Einige der Gefangenen aus Guantanamo werden in Europa landen. Es wird eine überschaubare Zahl von Menschen sein, die im Wortsinne heimatlos geworden sind. Dahin, wo sie einst herkamen, können sie nicht mehr zurück, weil ihnen dort Folter und Tod drohen. In den USA zu bleiben ist ihnen nicht zuzumuten. Darum ist es anständig, dass einige europäische Länder, wie etwa Portugal, ihnen Zuflucht bieten wollen. Die deutsche Regierung will sich noch in dieser Woche entscheiden. Weitere werden folgen.

Sicher, jedes Land bestimmt gewöhnlich allein über die Aufnahme von Flüchtlingen. Dennoch ist es vernünftig, in diesem Fall dafür einen europäischen Rahmen zu schaffen. So könnte die Europäische Union US-Präsident Barack Obama die Hand zu einer schnellen Auflösung von Guantanamo reichen. Und sie würde zugleich jenen Staaten, die Ex-Häftlinge aufnehmen, die Sicherheit bieten, damit nicht allein gelassen zu werden. China etwa wird Asyl für einige Uiguren in einem europäischen Land als einen unfreundlichen Akt betrachten. Aber wenn die ganze EU dahinter steht, dann wird Peking es sich zweimal überlegen, ob es deswegen einen großen Krach anfängt.

Europäische Solidarität hilft auch bei den notwendigen Verhandlungen mit Washington über die Bedingungen, unter denen die ehemaligen Gefangenen nach Europa abgeschoben werden sollen. Vertreten die Europäer eine gemeinsame Position, dann können sie diese auch leichter durchsetzen. Europäische Solidarität ist aber schon deswegen gefragt, weil anerkannte Flüchtlinge das Recht auf freies Reisen im gesamten Schengen-Raum haben. Die Asyl-Entscheidung eines Landes betrifft so auch die anderen. Da ist es gut, zusammenzustehen. wtr

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Der falsche Vergleich

Es gibt viele Möglichkeiten, die neue Integrationsstudie aus Berlin zu deuten. Die gängigste lautet: Die Zuwanderer aus der Türkei sind selbst schuld an ihrer Misere, weil sie sich nicht integrieren wollen. Schließlich sind viele schon Jahrzehnte im Land, doch viel zu viele verlassen immer noch erfolglos die Schulen und Arbeitsagenturen. Warum also schaffen Türken nicht, was Aussiedler scheinbar locker bewältigen?

Dieser vorwurfsvolle Blick auf die türkischen Einwanderer leidet unter Vergesslichkeit. Die sogenannten Gastarbeiter wurden bis in die siebziger Jahre hinein ganz bewusst als neue Unterschicht nach Deutschland geholt, um sie die Arbeit verrichten zu lassen, die Deutschen zu gefährlich oder zu schmutzig war. Die meisten von ihnen brachten weder Schulabschluss noch Ausbildung mit, einige Familienangehörige konnten nicht einmal lesen. Will man ernsthaft erwarten, dass ihre Kinder nun die deutschen Hochschulen bevölkern? Bis vor wenigen Jahren war dies nicht einmal erwünscht. Ausländischen Schulabbrechern standen viele Lehrer mit einem Achselzucken gegenüber in der Annahme, sie würden bald wieder in die Türkei verschwinden. Auch das unterscheidet Türken von Aussiedlern. Diese wussten von Anfang an, dass sie bleiben werden. Für Türken dagegen gibt es erst seit vier Jahren bundesweit Integrationskurse.

Die Türkischstämmigen mit den Zuwanderern aus EU-Ländern oder Aussiedlern zu vergleichen, führt auf die falsche Fährte. Viele EU-Ausländer sind Akademiker, bringen also ganz andere Voraussetzungen mit. Den Integrationserfolg vieler Türken muss man an ihresgleichen messen, also an anderen Zuwanderern ohne Ausbildung oder Job. rpr

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Obamas grüner Symbolismus

Es grünt so grün in Amerika. In Washington gehen manch ökologische Blütenträume auf: Präsident Barack Obama strebt eine nachhaltige Erneuerung der Vereinigten Staaten an, die nun endlich einen Beitrag im Kampf gegen den globalen Klimawandel leisten wollen. Die Entscheidung, ein stures und recht stupides Verbot der Bush-Regierung gegen Kaliforniens strenge Auto-Abgasnormen überprüfen zu lassen, läutet eine Wende ein. Die Politik in der Hauptstadt vollzieht damit nach, was Amerikas Gesellschaft seit Jahren als vages Bauchgrimmen verspürt: Dass der American Way of Life sich pekuniär wie ökologisch längst nicht mehr bezahlen lässt.

Strengere Spritnormen für US-Autos sind ein Schritt in die richtige Richtung. Nur, sehr weit führt Obamas Symbolismus noch nicht. Denn viele der gutmeinenden Impulse, endlich gesünder und grüner zu wirtschaften, drohen zu verpuffen, seit die Ölpreise weltweit eingebrochen sind. Der Liter Benzin kostet in den Vereinigten Staaten derzeit umgerechnet nur 0,38 Euro. Das liegt vor allem daran, dass sich bisher kein amerikanischer Politiker traut, die lächerlich geringe Benzinsteuer (nicht einmal 0,04 Euro pro Liter) zu erhöhen.

Gerade jetzt, in Zeiten billigen Öls, wäre aber der beste Augenblick, die Ampeln neu zu stellen. Eine Benzinsteuer, die Amerikas spottbilliges Benzin verteuert und so die Menschen erzieht, statt bulliger Vehikel sparsamere Limousinen zu kaufen, müsste dauerhaft jede Fahrt zur Tankstelle verteuern. Der Staat könnte seinen Bürger das Geld, etwa per Senkung von Sozialabgaben oder der Einkommensteuer, ja wieder zurückgeben. Solange Obama dies nicht riskiert, klingt sein grünes Selbstlob zu billig. cwe

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Die Schuldigen von Gaza

Von Tomas Avenarius

Der Vorwurf wiegt schwer. 1300 Tote, 5000 Verletzte, zerstörte Wohnhäuser und Felder - die Bilanz in Gaza lässt den Schluss auf Kriegsverbrechen zu. Der Vorwurf wird gegen Israels Armee erhoben aber auch gegen die in Gaza regierende Hamas. Beide Kriegsparteien sollten aber nicht leichtfertig beschuldigt werden. Krieg ist immer schrecklich. Meist sterben mehr Alte, Frauen und Kinder als Uniformierte oder Guerilleros. Das liegt an den Methoden der modernen Kriegsführung. Panzer, Kampfflugzeuge und Raketen stehen gegen die Kriegstechnik von Untergrundkämpfern.

Es gibt da eine gewaltige Grauzone: Was ist völkerrechtlich erlaubt, was nicht? Auch das 21. Jahrhundert kennt keinen sauberen Krieg. Aber es gibt Maßstäbe. Sie sind in der Haager Landkriegsordnung und in den Genfer Konventionen festgelegt. Sie gelten auch in Gaza: Der Einsatz von Gewalt muss auf das zwingend notwendige Maß beschränkt bleiben.

Das Rechtsinstrumentarium ist erkennbar lückenhaft. Die Methoden der Guerilla-Kämpfer entziehen sich der Kriegsordnung zwischen Staaten. Deswegen sind sie nicht entschuldbar. Genauso wenig ist zu entschuldigen, wenn die Methoden einer Armee gegen die Guerilla auch keiner Kriegsordnung gehorchen. Als Kriegsverbrechen gelten der bewusste kriminelle Akt gegen Soldaten und Zivilisten oder der rücksichtslose und gezielt übermäßige Einsatz von Gewalt.

In Gaza sind Schulen der Vereinten Nationen offenbar gezielt beschossen worden, auch das UN-Hauptquartier. Die Standorte waren der israelischen Armee bekannt. Israel führt an, Hamas-Kämpfer hätten aus der Nähe der Gebäude geschossen. Der UN-Generalsekretär bestreitet dies und fordert eine Untersuchung. Das Rote Kreuz, bedacht auf Neutralität in Konflikten, protestiert lautstark gegen den Beschuss von Ambulanzen. Die Hamas-Raketen wiederum zielten auf Wohnhäuser, Kindergärten und Schulen ohne militärischen Wert. Sie flogen jahrelang und töteten Zivilisten.

Nur Völkerrechtler und Militärexperten können beurteilen, was geschehen ist. Dazu müssen sie Beweise sammeln, keine Emotionen. Das wird schwer, das wird dauern. Aber es kann funktionieren. Der Kriegsschauplatz ist überschaubar: 360 Quadratkilometer in Gaza und die Städte und Kibbuze in Südisrael. Es gibt unparteiische Augenzeugen wie die UN-Mitarbeiter, und es gibt Analysen von Menschenrechtlern. Es gibt die Erklärungen der israelischen Armee. Und auch die Hamas wird sich äußern müssen, nachdem sie ihre Kämpfer so auffällig aus dem Rampenlicht gezogen hat.

Juristisch alleine lässt sich der Fall nicht klären. Krieg ist immer auch ein politisches Instrument. Israel wollte den Raketenbeschuss unterbinden und die Hamas schwächen, wenn nicht gar niederzwingen. Das ist legitim. Aber beide Ziele wurden nur teilweise erreicht. Nach dem einseitig von Israel verkündeten Waffenstillstand flogen wieder Raketen. Und Israel will lediglich 120 von 10000 militanten Kämpfern getötet haben. Die Zerstörung der Infrastruktur der Hamas ist groß. Aber die meisten ihrer Führungsfiguren haben überlebt. Israel wollte die Schmugglertunnel nach Ägypten zerstören - sie werden bereits wieder repariert.

Israel verfolgte vor allem auch ein politisches Kriegsziel: Die Regierung Olmert wollte die Glaubwürdigkeit der israelischen Abschreckung wieder herstellen. Im Libanon-Krieg 2006 hatte der Ruf der Armee als kampfstärkste Truppe in Nahost gelitten. Sie konnte der Hisbollah nicht Herr werden. Der Gaza-Krieg hat diese Abschreckung wieder hergestellt - auf denkbar brutale Weise. Nur so ist der Einsatz einer Kriegsmaschinerie zu erklären - der Kampf gegen Hamas-Militante hätte nämlich auch anders geführt werden können.

Israel argumentiert, dass sich ein Krieg gegen eine im Schatten von Zivilisten operierende Guerilla-Organisation nicht ohne Tote unter eben diesen Zivilisten führen lässt. Das stimmt. Aber warum werden Wohngebiete mit weit streuender Artillerie und Phosphormunition beschossen? Warum wurden nicht mehr Präzisionswaffen verwendet, bei denen zumindest eine höhere Gewissheit besteht, dass sie nicht das Kinderzimmer im Nebenhaus treffen?

Und die Hamas? Sie hat Israel mit Raketen beschossen, um ein Ende ihrer selbstverschuldeten politischen Isolation zu erzwingen. Militärisch wertlose Nadelstiche waren das, aber es kamen Zivilisten ums Leben. Mit einem Angriff dieser Wucht haben die Islamisten nicht gerechnet, sie haben sich verkalkuliert. Auf Kosten von 1300 Menschen. Ihre Militanten haben zwischen Zivilisten gekämpft - und sie bewusst den Bomben ausgesetzt. Legitim ist das nicht. Höchstwahrscheinlich handelt es sich um ein Kriegsverbrechen.

Ob Generalstabschef oder Milizenführer, ob Premier oder Islamisten-Chef - die Verantwortlichen sollten sich verantworten. Krieg ist ein zu blutiges Geschäft, um ihn als Wahlkampf-Instrument (in Israel) einzusetzen oder um die Hamas als Gesprächspartner der Weltgemeinschaft durchzusetzen. Das alles ist eine Untersuchung wert. Nicht in Talkshows. Sondern vor internationalen Institutionen.

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Hannes Rehm Retter des Rettungsfonds für die Banken

Dem Drängen der Regierungschefin konnte Hannes Rehm dann doch nicht widerstehen. Als Finanzminister Peer Steinbrück den Ex-Chef der NordLB im Dezember an die Spitze des Bankenrettungsfonds holen wollte, hatte er noch abgewunken. An diesem Wochenende aber appellierte Angela Merkel persönlich an seine vaterländischen Pflichten, und diesmal sagte der frisch pensionierte Landesbanker ja. Rehm übernimmt einen Posten, den offenbar keiner will - er wird Vorsitzender des Leitungsausschusses des Soffin ("Sonderfonds

Finanzmarktstabilisierung"), nachdem Günther Merl den Job vor einer Woche entnervt hingeworfen hatte.

Die Chancen stehen gut, dass der 66-Jährige mehr Durchhaltevermögen zeigt. Rehm gilt als ein Diplomat mit besonderem Verhandlungsgeschick, der mit viel Geduld alle Seiten einbindet - um sie später aber auch beharrlich und fast schon stur in die Pflicht zu nehmen. Beim Soffin sind solche Eigenschaften besonders nützlich; Rehm muss dort zwischen Politik und Bankenwelt balancieren. Er gilt als bestens vernetzt in beiden Lagern; sein guter Draht zur Regierungsspitze wird ihm nützen, wenn die Banken nun bei ihm Schlange stehen müssen, um über staatliche Hilfen zu verhandeln. Rehms Leitungsausschuss bereitet vor, was der Lenkungsausschuss, in dem Politiker sitzen, entscheiden soll.

Die NordLB, die Rehm bis Ende 2008 dirigiert hatte, gehört zu den Ausnahmen unter den Banken. Auch in der Krise weist sie ordentliche Zahlen aus. Sein Geschäftsmodell, von dem er niemals abgerückt ist, wirkte manchmal etwas altbacken, aber heute erscheint es geradezu als hellseherisch. Denn während andere Landesbanken sich mit riskanten Geschäften im Ausland blutige Nasen geholt haben und den Wettbewerb mit privaten Banken suchten, hat Rehm für die NordLB stets die feste Umklammerung mit den Sparkassen befürwortet. Das war seine Welt: Rehm ist ein Eigengewächs der Sparkassen. Nach dem Wirtschaftsstudium kam der Berliner 1974 nach Düsseldorf zur WestLB, wo er acht Jahre später Leiter des Vorstandssekretariats des damaligen Bankchefs Friedel Neuber wurde - einem der großen Strippenzieher seiner Zeit. 1987 wechselte Rehm als Hauptgeschäftsführer zum Verband öffentlicher Banken, später kümmerte er sich als Vorstand des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes um den Aufbau des Sparkassenwesens in den neuen Bundesländern. 1993 wurde er in den Vorstand der NordLB berufen.

Als Rehm im Sommer 2004 an die Spitze rückte, wurde er zunächst unterschätzt. Erstens schien er ein Verlegenheitskandidat zu sein, da das Land Niedersachsen sich auf der Suche nach einem neuen Chef lauter Absagen eingehandelt hatte; zweitens galt er, wegen seiner 61 Jahre, als Übergangskandidat. Den harten Sanierer, den die NordLB damals brauchte, hätte ihm kaum einer zugetraut. Doch er brachte die Bank entschlossen auf Sparkurs. "Mache nur Geschäfte mit Produkten, die du verstehst, mit Kunden und auf Märkten, die du kennst", sagte Rehm kürzlich. Eigentlich eine banale Aussage, aber es gibt nicht viele Banker, die bei solchen Worten nicht rot werden müssen. Meite Thiede

Foto: dpa

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Heute in der SZ

Am Fließband des Todes

Die alltägliche Gewalt in Inguschetien droht in einen Bürgerkrieg umzuschlagen. Von Sonja Zekri 3

Die Schuldigen von Gaza

Wer von Kriegsverbrechern spricht, muss zunächst Beweise liefern.

Leitartikel von Tomas Avenarius 4

Verhasste Liebe

In Berlin, der deutschen Metropole der Homosexuellen, nehmen Übergriffe auf Schwule und Lesben zu. 10

Narreteien von Gottes Gnaden

Vor 150 Jahren kam Kaiser Wilhelm II. zur Welt - er liebte den großen Auftritt.

Von Franziska Augstein 11

"Chaos steigert den Ehrgeiz"

Jürgen Vogel über das Risiko, ein Schauspieler zu sein, und über seine Rolle in der "Schillerstraße" 15

Die Spuren frühen Unglücks

Eine schwere Kindheit schwächt das Immunsystem das ganze Leben lang 16

Duell am Schlangenfluss

Die deutschen Handballer müssen ohne Spielmacher Michael Kraus um den Einzug ins WM-Halbfinale kämpfen. 37

TV- und Radioprogramm 40

Rätsel 15

München · Bayern 36

Familienanzeigen 30

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UN: Wirtschaftskrise verschärft Hunger

Madrid - Die Vereinten Nationen haben am Montag vor einer neuen Lebensmittelkrise gewarnt. Die weltweite Wirtschaftskrise könnte zu einem Rückgang der Produktion und zu steigenden Lebensmittelpreisen führen, hieß es beim Welternährungsgipfel in Madrid. Die Zahl der Hungernden stieg 2008 auf knapp eine Milliarde. Vertreter aus 95 Ländern wollen bei dem Treffen nach Lösungen für das Hungerproblem suchen. (Wirtschaft) slb

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Islands Regierung zurückgetreten

Reykjavik - Die isländische Regierung ist an den Folgen der Finanzkrise zerbrochen und tritt zurück. Das teilte Ministerpräsident Geir Haarde am Montag mit. Die Inselrepublik mit 320 000 Einwohnern ist seit dem Zusammenbruch der drei größten Banken im November besonders hart von der internationalen Finanzkrise betroffen. Demonstranten hatten zuletzt täglich den Rücktritt der Regierung verlangt. (Seite 7)SZ

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Mildes Urteil des Landgerichts Bochum

Zumwinkel muss nicht ins Gefängnis

Richter kritisieren langjährige "kriminelle Energie" des Ex-Postchefs, verhängen aber nur Bewährungsstrafe

Von Johannes Nitschmann

Bochum - Ex-Postchef Klaus Zumwinkel ist wegen Steuerhinterziehung zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er muss außerdem eine Geldbuße von einer Million Euro zahlen. Nach zwei Verhandlungstagen kam das Bochumer Landgericht zur Auffassung, dass Zumwinkel zwischen 2002 und 2007 über geheime Konten in Liechtenstein insgesamt 967 815 Euro Steuern hinterzogen hat.

Mit seinem Urteil entsprach das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hatte für den geständigen Angeklagten eine deutlich mildere Strafe gefordert. Dennoch nahm Zumwinkel das Urteil noch im Gerichtssaal an. Weil auch die Staatsanwaltschaft auf Rechtsmittel verzichtet, ist das Urteil rechtskräftig. Der gegen den Ex-Postchef bestehende Haftbefehl wurde aufgehoben; seine Kaution von vier Millionen Euro wird freigegeben.

Der Vorsitzende Richter Wolfgang Mittrup urteilte, der Transfer von Zumwinkels Vermögen auf die Konten der Stiftung "Devotion Family Foundation" im Jahr 1986 sei "unter einem Höchstgrad der Anonymisierung" geschehen. Das komplizierte Konstrukt der Stiftung, bei der allein der Angeklagte Begünstigter gewesen sei, habe "ausschließlich der Verschleierung" gedient. Der heute 65-Jährige habe über einen Zeitraum von 21 Jahren "bewusst, akribisch, mithin mit krimineller Energie" Steuern hinterzogen. Im Streben nach immer mehr Reichtum habe der vermögende Zumwinkel "ohne Not" Steuern in beträchtlicher Größenordnung hinterzogen. Im Jahr 2008 lagen auf Zumwinkels Konten in Liechtenstein 11,8 Millionen Euro.

Zur jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der eine härtere Bestrafung von Steuersündern verlangt hatte, erklärte der Vorsitzende der Bochumer Wirtschaftsstrafkammer, Strafzumessung könne "nicht mittels Rechenschieber" erfolgen. Die zweijährige Bewährungsstrafe für Zumwinkel entspreche der seit Jahren gängigen Praxis am Bochumer Landgericht. Von seiner als Bewährungsauflage zu zahlenden Geldbuße muss der Ex-Postchef 800 000 Euro an die Staatskasse zahlen, weitere 200 000 Euro sollen an gemeinnützige Organisationen fließen.

Bereits die Staatsanwaltschaft hatte im Plädoyer zahlreiche Strafmilderungsgründe angeführt. So habe Zumwinkel unmittelbar nach der Durchsuchung seiner Kölner Villa am 14. Februar 2008 und nach seiner vorübergehenden Festnahme ein "umfassendes, von Reue getragenes Geständnis" abgelegt und eng mit den Strafverfolgern kooperiert. Inzwischen habe der Angeklagte auch den Gesamtschaden von 3,9 Millionen Euro beglichen, der dem Staat in den letzten zehn Jahren entstanden war. Gegen den Angeklagten spreche jedoch die Höhe der Hinterziehungssumme und sein über zwei Jahrzehnte "verfestigtes strafrechtliches Tun", sagte Oberstaatsanwalt Gerrit Gabriel. Angesichts seines großen Vermögens "liegt der Gedanke der Gier auf der Hand", so Gabriel.

Zumwinkels Verteidiger plädierten für eine geringere Strafe. Er sei durch das Steuerstrafverfahren "medial hingerichtet" worden, sagte Anwalt Hanns Feigen. Bei der Hausdurchsuchung am 14. Februar habe es wegen gezielter Indiskretionen "einen Medienauftrieb wie bei der Bambi-Verleihung" gegeben. Zumwinkel sei durch den Verlust seiner Tätigkeit als Postchef sowie zahlreicher Aufsichtsratsmandate "ein Schaden im zweistelligen Millionenbereich" entstanden. Auch habe er dem Staat zwischen 2001 und 2006 etwa zehn Millionen Euro Steuern gezahlt. (Seiten 2 und 4)

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Wende in der Klimapolitik

Obama will US-Bundesstaaten strikte Abgasnormen erlauben

Washington - US-Präsident Barack Obama setzt die Totalrevision der Politik seines Vorgängers George W. Bush auch in der Klimapolitik fort: Am Montag wollte er in einer Erklärung zum Umweltschutz den Einzelstaaten freistellen, strenge Grenzwerte für Autoabgase selbst festzulegen. Bush hatte die beispielsweise in Kalifornien geplanten strengen Auflagen mit der Begründung gestoppt, es müsse bundeseinheitliche Standards geben. Mindestens 13 andere Bundesstaaten fordern ebenfalls Ausnahmegenehmigungen, um ihre Abgasvorschriften umsetzen zu können. Es wurde auch erwartet, dass Obama neue Richtlinien für den Benzin-Verbrauch von Neuwagen erlässt. Die Bush-Regierung hatte schärfere Normen stets mit dem Argument untersagt, es sei besser, den Kampf gegen den Kohlendioxidausstoß auf nationaler Ebene zu führen. (Seiten 4 und 8) SZ

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Streit über Integration von Türken

München - Eine Studie, wonach Türkischstämmige in Deutschland besonders schlecht integriert sind, hat den Streit über die Eingliederungspolitik neu entfacht. Deutschland könne das Potential der Zuwanderer, "auf keinen Fall brachliegen lassen", sagte Kanzlerin Angela Merkel. SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz forderte, einen Teil des Konjunkturpakets für "nachholende Integration" zu verwenden. (Seiten 4 und 5) rpr

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EU will mit USA über Guantanamo verhandeln

Außenminister planen gemeinsames Vorgehen, aber nicht alle Länder möchten Gefangene aufnehmen

Von Martin Winter

Brüssel - Die Europäische Union will mit den USA über die mögliche Aufnahme von Gefangenen aus Guantanamo verhandeln. Trotz unterschiedlicher Bereitschaft der einzelnen Mitgliedsländer, den Betroffenen Zuflucht zu gewähren, einigten sich die Außenminister der EU am Montag darauf, die europäische Kommission mit der Ausarbeitung einer "europäischen Herangehensweise" zu beauftragen, wie die Süddeutsche Zeitung erfuhr. Die Minister fassten zwar keinen förmlichen Beschluss, aber es stellte sich bei ihrer Debatte heraus, dass kein Land gegen ein gemeinsames Vorgehen ist.

Darauf hatten vor allem kleine Länder, allen voran Portugal, gedrängt. Diese Länder sind zwar einerseits zur Aufnahme Gefangener bereit, andererseits setzen sie aber darauf, dass die EU besser und vor allem stärker als sie allein mit den Amerikanern über die konkreten Bedingungen verhandeln kann. Die Außenminister rechnen damit, dass die USA in absehbarer Zeit offiziell in europäischen Hauptstädten wegen Guantanamo anfragen werden. "Wir reißen uns nicht um die Gefangenen", sagte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Es sei aber eine Frage "der Glaubwürdigkeit, ob wir die Auflösung des Lagers durch die EU unterstützen oder nicht".

Diese Haltung wird nicht in der ganzen EU vertreten. So waren die Minister einiger kleinerer Länder, darunter offenbar Griechenland und Dänemark, skeptisch. Amerika, argumentierten sie, habe das rechtsstaats- und völkerrechtswidrige Lager auf Guantanamo allein geschaffen. Nun müsse es auch allein mit den Folgen umgehen. Einige Außenminister wiesen auch darauf hin, dass sie aus rechtlichen Gründen vermutlich keine Gefangene aufnehmen können.

Die Außenminister zeigten sich aber bereit, den USA zu helfen. Diese Hilfe müsse so gestaltet werden, dass sie den Europäern nicht als "Mitverantwortung für Guantanamo ausgelegt wird", sagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. "Wir dürfen politisch und juristisch in dieser Frage nicht in einen Topf mit den USA geworfen werden." Bei den Gefangenen aus dem amerikanischen "Krieg gegen den Terror", die in dem Lager auf Guantanamo einsitzen, handelt es sich um höchstens 60 Menschen, die nachweislich unschuldig sind. Sie können aber nicht in ihre Heimatländer abgeschoben werden, weil ihnen dort Gefahr für ihr Leben droht. Jenseits der notwendigen politischen und völkerrechtlichen Verurteilung Guantanamos gebe es eine humanitäre Pflicht, den dort teils über Jahre Eingesperrten zu helfen, sagte Asselborn.

Zu den Fragen, die die EU in den Verhandlungen mit den USA aufwerfen will, gehört auch, warum die Betroffenen nicht von den USA aufgenommen werden, ob sie wirklich nicht in ihre Heimat zurück können und ob sie überhaupt in ein europäisches Land umsiedeln wollen. Die Europäer werden auch auf einer ausführlichen Sicherheitsüberprüfung der einzelnen Häftlinge bestehen. Auch darum brauche man ein europäisches Vorgehen, sagte Asselborn, weil kleinere Länder damit überfordert sein könnten. Einigen sich die Außenminister demnächst auf einen politischen Rahmen für die Aufnahme der Gefangenen, dann müssen sich die EU-Innenminister danach auf Kriterien für die Sicherheitsüberprüfung verständigen. (Seite 4)

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Das Streiflicht

(SZ) Man soll die Faust nicht im Sacke machen, sagt ein Sprichwort. Und also holte Heiner Brand, Handball-Bundestrainer, die seine heraus und schwang sie gut sichtbar hinter einem der slowenischen Schiris, von denen er seine Sippe benachteiligt wähnte. Sippe? Aber ja. Es war eine archaische Geste. Brand, mit seinen Augen dem Slowenen ein Loch in den Hinterkopf brennend, hielt seine Faust in Kopfhöhe und hatte den Oberkörper verwrungen, eine Stellung, die man aus Abbildungen von Fehden unserer Vorvorfahren kennt: Als ob er eine Axt schwänge oder einen Faustkeil. Als ob er gleich den Schädel seines Gegners spalten oder plätten würde. Das dachte man doch beim Zusehen, oder? Man stellte sich vor, man musste sich vorstellen, wie dieser moderne Stammesälteste, nachdem er sich an sein Opfer herangepirscht, es fällen würde, man erwartete das Grausame, das in der Luft beziehungsweise in Brands Körper lag, etwas war wachgekitzelt, was Lüsternes . . .

Zugleich aber war klar, dass nichts dergleichen geschehen würde, kein Schlag, kein Niedersinken. Denn halb, halb hing ja der zivilisatorische Mantel dem Bundestrainer noch um die Schultern. Brand war, wenn man so will, auf einer Zwischenstufe: Ließ seine Faust nicht im Sacke, ließ sie aber auch nicht auf den anderen niederfahren. Wendete sich irgendwann ab. Nur sein Gesicht war noch eine Weile, nun ja, zur Faust geballt. Und wir? Sind froh und enttäuscht zugleich, dass es beim Andeuten und Aufblitzen geblieben ist. Der Gorilla in einem, oh ja, wie gern hätte der action gehabt! Der Gentleman aber, ah, der lächelt zufrieden über das Vergraben der Waffe in den Trainingsklamotten. So und nicht anders funktioniert ja wohl die Zivilgesellschaft: Man fährt aus der Haut, doch nicht ganz. Man zeigt seine Wut und zähmt sie. Man versteht, sofern man nicht gerade nachts durch Berlin-Neukölln wandert oder in die Favelas von Rio abgetrieben wird, die erhobene Faust als interessante, letztlich leere Drohung; wobei, falls wir eben den Eindruck erweckt haben sollten, Neukölln wäre gleichzusetzen mit, so erklären wir ausdrücklich, danke fürs Verständnis.

Frage, auf die alles hinausläuft: Wenn Bürger Brand ziviler ist als seine Vorfahren, warum ist er es? Vermutlich wegen der Gesetze, die ihm das dringlichst ans Herz legen. Wegen der ihm eingebrannten Angst vor Bestrafung. Sein Körper, das konnte man sehen, war ja direkt auf Abwegen, war auf dem Pfad zurück in die Geschichte. Vielleicht aber, vielleicht war auch noch eine andere Furcht im Spiele. Wer austeilt, muss mit schmerzhaften Antworten rechnen. Brand hat einen ziemlich kaputten Rücken. Schnelle Bewegungen sind Gift für ihn. Zivilisation, Mantel, Vorfahren, papperlapapp: Wo der Mann gekrümmet schleicht, es doch nur zur Drohung reicht.

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Bolivianer stimmen für neue Verfassung

La Paz - Bolivien rückt unter seinem Präsidenten Evo Morales weiter nach links. Etwa 60 Prozent der Wähler stimmten beim Referendum am Sonntag für eine neue Verfassung. Sie soll der diskriminierten Indio-Mehrheit mehr Rechte und dem Staat größere Kontrolle über die Wirtschaft gewähren. Widerstand gab es in den wohlhabenderen Regionen, in denen die Menschen die Verfassung mehrheitlich ablehnten. (Seiten 4 und 7) dpa

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207 Euro zum Leben

Bundessozialgericht prüft Hartz-IV-Satz für Kinder

Für viele Kinder ist es selbstverständlich, ihren Geburtstag groß zu feiern. Sie laden Freunde und Verwandte zum Kuchen ein, spielen den ganzen Tag und bekommen eine Menge Geschenke. In armen Familien sieht das anders aus. Eine Studie unter Grundschülern hat gezeigt: Nur jedes zweite Kind aus einer armen Familie feiert seinen Geburtstag. Den anderen fehlt das Geld. Auch gehen Kinder aus armen Familien fast nie in Vereine oder in die Musikschule. Nur die Hälfte hat ein eigenes Kinderzimmer und bekommt Taschengeld. Sozialwissenschaftler bemängeln schon lange, dass der Staat arme Kinder zu wenig unterstützt. An diesem Dienstag wird sich das Bundessozialgericht damit befassen.

Die Richter müssen klären, ob der Regelsatz, den Kinder von Arbeitslosengeld-II-Empfängern erhalten, verfassungsgemäß ist. Reichen 207 Euro im Monat für ein dreizehn Jahre altes Mädchen? Und reichen sie für einen fünf Jahre alten Jungen? Dabei geht es nicht um die Frage, ob die Kinder mit Hilfe dieses Betrags überleben können. Natürlich können sie das. Niemand muss verhungern, wenn er 207 Euro im Monat zur Verfügung hat und die Kosten der Unterkunft zusätzlich erstattet bekommt. Nein, es geht um die Frage, ob die Kinder mit dem Betrag leben können. Ermöglicht der Regelsatz ihnen ein menschenwürdiges Leben, wie es im Grundgesetz garantiert ist? Die Entscheidung der obersten deutschen Sozialrichter ist bedeutsam für 2 126 000 Minderjährige, die gemeinsam mit ihren Eltern von staatlicher Unterstützung leben. Geklagt hatten zwei Familien mit jeweils zwei Kindern. Die einen waren elf und dreizehn Jahre alt, die anderen fünf und sieben.

Seit der Hartz-IV-Reform 2005 erhalten Langzeitarbeitslose das Arbeitslosengeld II. Der Regelsatz betrug damals 345 Euro monatlich, heute liegt er bei 351 Euro. Den Bedarf für die Erwachsenen hatte der Gesetzgeber akribisch ermittelt, indem er die Ausgaben eines Ein-Personen-Haushalts aus dem unteren Einkommensbereich statistisch auswertete. Für Kinder dagegen verzichtete man auf umfangreiche Berechnungen. Stattdessen wurde festgelegt, dass 14- bis 18-Jährige 80 Prozent des Regelsatzes erhalten und die jüngeren 60 Prozent. Also egal, ob es sich um ein Baby oder einen 13-jährigen Teenager handelt - der Staat zahlt gleich viel: früher 207 Euro monatlich und heute vier Euro mehr.

Als sich das Bundessozialgericht im November 2006 zum ersten Mal mit dem Arbeitslosengeld II befasste, ging es nur um den Regelsatz für Erwachsene. Die Richter hatten damals keine Bedenken. Ob sie das jetzt im Fall der Kinder genau so sehen, ist offen. Halten sie den Betrag für ausreichend, werden sie die Klagen abweisen - wie es schon die Vorinstanzen gemacht haben. Halten sie ihn dagegen für zu niedrig, müssten sie die Verfahren dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorlegen. Die Karlsruher Richter sind die Einzigen, die eine Vorschrift für verfassungswidrig erklären dürfen.

So oder so wird sich Karlsruhe demnächst mit dem Problem befassen. Dem Bundesverfassungsgericht liegt bereits ein Verfahren aus Hessen vor, in dem es um die gleiche Frage geht. Die hessischen Richter hatten vier Gutachten eingeholt, um herauszufinden, ob das Sozialgeld für Kinder reicht. Das Ergebnis: 207 Euro monatlich werden dem speziellen Bedarf von Kindern nicht gerecht. Sie seien weder mit der Menschenwürde noch mit dem Sozialstaatsgebot vereinbar. Das Landessozialgericht Hessen bat Karlsruhe um Klärung. Daniela Kuhr

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Starkes Quartett

Seit neunzig Jahren dürfen Frauen in Deutschland wählen - ein Erfolg, der am Montag in Berlin gefeiert wurde. Familienministerin Ursula von der Leyen, Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer und die Liberale Hildegard Hamm-Brücher (von links) forderten mehr Frauen in Führungspositionen. Deutschland war eines der ersten Länder mit Frauenwahlrecht. Die Vereinigten Staaten folgten 1920, Frankreich 1945. (Seite 6) Foto: ddp

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Das Wetter

München - Am Morgen besonders im Norden häufig Nebel der sich im Laufe des Tages meist auflöst. Dann viel Sonne und weitgehend trocken. In der Mitte und im Süden Wolken und örtlich leichter Schneefall. Null bis fünf Grad. (Seite 39)

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Hannes Rehm wird Chef des Rettungsfonds

Berlin - Der Ex-Vorstandschef der Norddeutschen Landesbank, Hannes Rehm, wird neuer Leiter des Banken-Rettungsfonds Soffin. Dies gab das Bundesfinanzministerium in Berlin bekannt. Der 65 Jahre alte Rehm wird Nachfolger von Günther Merl. Dieser hatte am Mittwoch überraschend nur drei Monate nach Gründung des Sonderfonds für Finanzmarktstabilisierung seinen Rücktritt erklärt. (Seite 4 und Wirtschaft) SZ

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Letzte Chance für Umweltgesetz

Gabriel verhandelt in München mit Seehofer

Berlin - Industrieunternehmen und Gewerbebetriebe schimpfen gern auf das deutsche Umweltrecht: zu kompliziert, zu teuer, zu viele Wege. Jetzt könnte es reformiert werden - doch die Reform droht zu scheitern. Ein neues deutsches Umweltgesetzbuch sollte nach dem Willen der großen Koalition die Genehmigungsprozesse vereinheitlichen und straffen. Inzwischen ist der Entwurf des Gesetzes fertig, er findet den Rückhalt von 15 der 16 deutschen Bundesländer. Nur ein Land wehrt sich dagegen: Bayern. Und ohne Bayern stirbt die Reform.

In einem Akt nahezu flehentlichen Bittens reiste am Montag Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) nach München. Im Gespräch mit CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer und dessen Umweltminister Markus Söder versuchte er, die Widerstände aus dem Weg zu räumen. Über Erfolg oder Misserfolg der Mission wurde zunächst nichts bekannt.

Dem Freistaat sind die neuen Regeln offenbar zu bauernfeindlich. Statt eine einfache Genehmigung einzuholen, müsste etwa ein Landwirt sich für einen neuen Stall dann eine "integrierte Vorhabengenehmigung" abholen, die auch Aspekte prüft, die vielleicht gar nicht Gegenstand seiner Anfrage waren. Die neue CSU/FDP-Regierung im Freistaat hält davon nichts. Und ohne die CSU will auch die CDU im Bund nicht mitmachen - obwohl sich die Kanzlerin schon wiederholt für ein neues Umweltrecht stark gemacht hatte. Im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD ist das Unterfangen ebenfalls fest verabredet. Aufwand und Kosten der Bürokratie, so bescheinigt der Normenkontrollrat, seien mit den neuen Regeln überdies nicht höher, sondern niedriger als bisher.

Sollte die CSU sich nicht erweichen lassen, wäre das Umweltgesetzbuch faktisch tot. In dieser Legislaturperiode lässt es sich dann nicht mehr durchsetzen - und danach auch nicht mehr. Denn von 2010 an gelten im Umweltschutz die Regeln der Föderalismusreform. Da der Bund nichts anderes bestimmen konnte, regeln die Länder Wasserrecht und Naturschutzrecht selbst. "Die Folge werden 16 verschiedene Umweltgesetze", klagt auch der FDP-Umweltpolitiker Horst Meierhofer. "Die Standards werden dann vermutlich sinken." Ohnehin scheint der Zwist eher parteitaktischer als inhaltlicher Natur zu sein. "Die Umweltpolitiker in allen Fraktionen", sagt Meierhofer, "liegen da eigentlich dicht beieinander." Michael Bauchmüller

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Koalition ringt um Kfz-Steuer

An diesem Dienstag will das Kabinett die umstrittene Reform besiegeln

Von Michael Bauchmüller und Claus Hulverscheidt

Berlin - Die große Koalition hat am Montag bis in den frühen Abend hinein um einen Kompromiss im Streit über die Kfz-Steuer gerungen. Nachdem es am Wochenende trotz intensiver Beratungen zu keinem Durchbruch gekommen war, trafen sich am Montag erneut die Staatssekretäre der betroffenen Ministerien. Sie standen unter großem Zeitdruck, da bereits für diesen Dienstag die Verabschiedung der Reform im Bundeskabinett vorgesehen ist. Der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg verbreitete entsprechend Zuversicht: "Ich gehe davon aus, dass wir uns auf ein konsensfähiges Modell einigen werden", sagte er.

Ziel der seit Jahren umstrittenen Reform ist es, Autos stärker nach ökologischen Kriterien zu besteuern, ohne dabei Besitzer einzelner Fahrzeuggruppen sowie den Staatshaushalt über Gebühr zu belasten. Die jüngste Kompromissidee hatte sich jedoch wie viele frühere als untauglich erwiesen. "Die Debatte hat gezeigt, dass dieser Vorschlag noch nicht das Optimum war", sagte ein Sprecher von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD). Das Modell sah vor, die Kfz-Steuer künftig nicht mehr nur am Hubraum, sondern auch am Kohlendioxid-Ausstoß der Fahrzeuge auszurichten. Zugleich war aber auf Betreiben der Union die Belastung für besonders schwere und große Autos gedeckelt worden. Das hätte dazu geführt, dass etwa Geländewagen nicht höher besteuert worden wären als obere Mittelklasseautos. Dies führte zu heftigem Widerstand von Umweltschützern, aber auch von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD). Denn in der Folge hätten Besitzer dieser Autos künftig weniger Kfz-Steuer zahlen müssen als bisher. Dies wäre dem eigentlichen Ziel der Steuer, den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids zu verteuern, sparsame Autos dagegen zu belohnen, völlig zuwidergelaufen. Die neue Steuer soll von Juli an für alle Neuwagen gelten.

Politiker der Union signalisierten am Montag, dass sie auf Obergrenzen bei der Hubraumbesteuerung verzichten könnten, wenn im Gegenzug die Steuersätze für Diesel-Pkw gesenkt würden. Statt der geplanten zehn Euro je 100 Kubikzentimeter CO2 sollten nur neun Euro fällig werden. Allerdings würden auch von dieser Regelung schwere Dieselautos profitieren. Für einen Audi A8 mit 4,1-Liter-Maschine würden damit nicht mehr 648, sondern 636 Euro fällig. Allerdings hätte der Besitzer des Autos nach dem alten Kompromissmodell gar mit einem Steuernachlass von 90 Euro rechnen können.

Das Umweltministerium brachte ein Modell ins Spiel, das allein den CO2-Ausstoß zur Grundlage der Steuer macht. Jedes Gramm Kohlendioxid würde gleich besteuert, besonders umweltfreundliche Autos wären steuerfrei. Allerdings hat hier das Finanzministerium Vorbehalte: Es befürchtet Einnahmeausfälle in Milliardenhöhe, die allein der Bund tragen müsste. Dieser will nämlich den Ländern die Kfz-Steuer "abkaufen", um Zugriff auf alle Autosteuern zu bekommen. Die Länder verlangen jedoch, dass ihnen das bisherige Aufkommen von 8,8 Milliarden Euro ersetzt wird und dass der Ausgleich über die Jahre noch ansteigen muss. Deshalb will Steinbrück die Steuerausfälle auf 1,5 Milliarden Euro begrenzen.

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Türken zweifeln an Studie zur Integration

"Einwanderer in allen Berufszweigen erfolgreich" / Dagegen nennt die Regierungsbeauftragte Böhmer die Zahlen dramatisch

Von Roland Preuß

München - Eine Studie des Berlin-Instituts, wonach Türkischstämmige in Deutschland besonders schlecht integriert sind, hat eine neue Kontroverse über die Eingliederungspolitik entfacht. "Deutschland kann das Potenzial, das in den Zuwanderern liegt, auf gar keinen Fall brachliegen lassen", sagte Kanzlerin Angela Merkel am Montag in Berlin. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Staatsministerin Maria Böhmer (CDU), nannte die Zahlen "dramatisch". Viele türkische Zuwanderer hätten nur sehr geringe Bildungsabschlüsse mitgebracht, deshalb "können die Kinder auch nicht entsprechend gefördert werden", sagte Böhmer. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU im Bundestag, Hartmut Koschyk, sagte, die Studie zeige, dass es vor allem auf den Integrationswillen der Zuwanderer selbst ankomme. "Vor allem die Eltern vieler türkischer Familien müssen deutlich mehr für die Integration tun." Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet (CDU) sagte dagegen, die meisten türkischstämmigen Eltern wollten durchaus einen Bildungserfolg ihrer Kinder, es fehle jedoch an einer "Aufsteiger-Mentalität".

Der Islamwissenschaftler Bekir Alboga bezweifelte die Aussagefähigkeit der Studie. Das sei eine Behauptung, die wissenschaftlich nicht belegt sei, sagte der Dialogbeauftragte des Moscheen-Dachverbandes Ditib. In Deutschland lebten viele erfolgreiche türkische oder türkischstämmige Menschen, sagte Alboga der Neuen Osnabrücker Zeitung. Die Studie zeige eher die gesellschaftlichen Probleme einer Unterschicht auf, sagte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat.

Der Studie des Berlin-Instituts zufolge schneiden Menschen mit türkischen Wurzeln, die zweitgrößte Zuwanderer-Gruppe in Deutschland, bei Bildung, Arbeitsmarkt und der Abhängigkeit von Sozialleistungen besonders schlecht ab. Während unter den Türkischstämmigen im erwerbsfähigen Alter 30 Prozent keinen Bildungsabschluss hätten, seien es bei Zuwanderern aus dem Fernen Osten lediglich 18 Prozent. Auch Einwanderern aus Afrika und dem Nahen Osten sowie ihren Nachkommen bescheinigen die Berliner Forscher vergleichsweise schlechte Werte (siehe Tabelle).

Einen Schulabschluss, der zum Besuch einer Hochschule berechtigt, erreichten nur 14 Prozent der Türkischstämmigen, während der Schnitt unter den Deutschen ohne Zuwanderungsgeschichte bei 38 Prozent liege. Eine der Ursachen sei, dass die meisten der etwa 2,8 Millionen Türkischstämmigen in Deutschland ursprünglich als Gastarbeiter mit geringer Qualifikation gekommen seien. Die jüngere Generation lasse "wenig Bildungsmotivation erkennen".

Überraschend gut schneiden Aussiedler aus Osteuropa und Russland ab. Sie stellen mit etwa vier Millionen Menschen die größte Zuwanderer-Gruppe. Sie bringen vergleichsweise hohe Bildungsabschlüsse mit, seien selten arbeitslos (15 Prozent Erwerbslosenquote), die in Deutschland geborenen Kinder integrierten sich bereits deutlich besser als ihre Eltern. Die Untersuchung beruht auf Daten des sogenannten Mikrozensus, einer Erhebung unter 800 000 Bürgern im Jahr 2005.

Auffällig ist, dass die Zahlen teilweise im Widerspruch stehen zu bisherigen Untersuchungen. Eine Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) vom April 2007 war zu dem Ergebnis gekommen, dass sich Aussiedler besonders schwertun, eine Stelle zu finden. Die Arbeitslosigkeit unter diesen Zuwanderern sei sogar noch höher als die unter den übrigen Zuwanderern, so das IAB.

Eine aktuelle Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes für die Süddeutsche Zeitung ergibt deutlich niedrigere Werte für türkischstämmige Schulabbrecher. Demnach stehen nicht 30, sondern nur etwa zehn Prozent dieser Gruppe ohne Schulabschluss da.

Der Berliner Studie zufolge gibt es starke regionale Unterschiede beim Integrationserfolg. Hessen, Hamburg und Ostdeutschland haben vergleichsweise viele erfolgreiche Migranten, das Saarland besonders wenige. Beim Vergleich der Großstädte sind München und Bonn vorne, Nürnberg und Duisburg auf den letzten Plätzen. Erfolgreich sind vor allem Regionen mit einer starken Wirtschaftskraft wie im Fall Hessen und München, oder der Zuzug von besonders qualifizierten Zuwanderern. Im Ruhrgebiet und im Saarland dagegen ließ die Krise der Kohle- und Stahlindustrie viele ungelernte Arbeiter aus dem Ausland bis heute ohne Job zurück. (Seite 4)

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Unterwegs nach Teheran

Ein Iran-Besuch von Ex-Kanzler Schröder kommt der Bundesregierung nicht sehr gelegen

Wenn ein früherer Bundeskanzler eine Reise tut, dann ist das, ganz formal, seine Privatsache. In Wirklichkeit sieht es ein wenig anders aus, zumindest dann, wenn der Weg nach Teheran führt. Auf Nachfragen zur Iran-Expedition von Gerhard Schröder ließ dessen Büro wissen, die Reise finde in "enger Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt" statt. Ist Schröder vom 19. bis 22. Februar also in diplomatischer Mission unterwegs? "Ich kann nicht bestätigen, dass der Bundeskanzler a.D. im Auftrag von Herrn Steinmeier nach Iran reist. Das ist nicht der Fall", stellte am Montag Ministersprecher Jens Plötner klar. Es sei aber "gängige Praxis", hochrangige Persönlichkeiten zu unterrichten, wenn sie in Staaten wie Iran führen. Gespräche Schröders in Teheran könnten hilfreich sein, "um die Position der Bundesregierung zu unterstreichen".

Die Position der Bundesregierung in Sachen Iran ist bekannt; jene Schröders auch. Deutschland unterstützt die Sanktionen gegen Iran, um das Land zu einem Einlenken im Streit um sein Atomprogramm zu bewegen. "Wer eine politische Lösung will, muss auch Sanktionen mittragen", betonte Plötner. Schröder hingegen hält von Sanktionen nichts. An Iran dürften "keine anderen Maßstäbe" angelegt werden als an andere Staaten, sagte der Ex-Kanzler im Mai 2006.

Nun fällt Schröders Reise ausgerechnet zusammen mit Bemühungen seines früheren Kanzleramtschefs, die bestehenden Sanktionen weiter zu verschärfen. Steinmeier (SPD) dringt innerhalb der Bundesregierung auf diese Linie. Zunächst geht es um die Frage, ob es noch Hermes-Bürgschaften für Geschäfte mit Iran geben soll. Wirtschafts- und Finanzministerium lehnen einen Stopp ab. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) neigt der Position Steinmeiers zu, hat aber noch nicht entschieden. "Es gibt keine Entscheidung über einen kompletten Stopp", teilte Vize-Regierungssprecher Thomas Steg mit. Noch jedenfalls. In Kürze sollen Staatssekretäre aus den betroffenen Häusern die Frage nach SZ-Informationen noch einmal erörtern.

Allerdings werden Hermes-Bürgschaften für Geschäfte mit Iran längst restriktiv gehandhabt. Nach Angaben des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) haben Hermes-Bürgschaften für das Iran-Geschäft zuletzt "deutlich an Bedeutung verloren". 2004 betrug demnach das Volumen noch 2,1 Milliarden Euro, 2008 waren es nur noch 250 Millionen Euro. Nicht dazu zu passen scheint der Trend der Exporte in Richtung Iran. 2008 wuchsen sie um etwa zehn Prozent. Das gesamte Handelsvolumen belief sich auf mehr als vier Milliarden Euro.

Zahlen sind das, die vor allem in Israel aufmerksam registriert werden. Aus Jerusalem wird immer wieder der Vorwurf erhoben, europäische Länder wollten sich - Atomgefahr hin oder her - das Geschäft mit Iran nicht verderben. Mehr noch als die Mahnungen aus Israel ist es aber die neue Weltlage nach dem Amtsantritt von US-Präsident Barack Obama, die Steinmeier verschärfte Sanktionen fordern lässt. Der Minister ist überzeugt, dass ein Gesprächsangebot Obamas an die Führung in Teheran nur erfolgreich sein und die immer noch vorhandene Kriegsgefahr bannen kann, wenn sie von einer verschärften Drohkulisse flankiert wird. In Berlin herrscht die Sorge, Obama könnte sich von den Mullahs eine Abfuhr holen und dann unter Druck stehen, militärisch zu antworten. Neue Sanktionen könnten etwa aus der weiteren Schließung einer Bank, zusätzlichen Einreiseverboten und neuen Exportsanktionen bestehen. Steinmeier will bald im Kreis der Sechsergruppe, in der Deutschland, Großbritannien, Frankreich, die USA, Russland und China ihre Iran-Politik koordinieren, für die härtere Linie werben. Daniel Brössler/Thomas Öchsner

Außenminister Steinmeier will die Sanktionen gegenüber Iran weiter verschärfen.

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"Menschen verbluten innerlich"

Palästinenser sprechen von unbekannten Verletzungen durch neuartige Waffen, bleiben aber Beweise schuldig

Von Tomas Avenarius

Gaza-Stadt - Der israelischen Armee werden im Gaza-Krieg Kriegsverbrechen und Verstöße gegen das internationale Kriegsrecht vorgeworfen. Die Vorwürfe kommen bisher von palästinensischer Seite und von internationalen Menschenrechtsorganisationen. Aber auch die Vereinten Nationen verlangen eine vollständige Untersuchung des Beschusses von vier ihrer Schulen und ihres Hauptquartiers in Gaza. Der israelische Premierminister Ehud Olmert stellte sich vor die eigenen Soldaten. Er sagte: "Die Befehlshaber und Soldaten, die nach Gaza geschickt wurden, sollen wissen, dass sie sicher sind vor den Tribunalen. Israel wird sie unterstützen an dieser Front. So wie sie uns mit ihren Körpern geschützt haben während der Gaza-Operation." Seine Reaktion zeigt, dass Israel den Vorwurf eines Verstoßes gegen das internationale Kriegsrecht oder gar der Kriegsverbrechen ernst nimmt. Auch gegen die Hamas, die inmitten der Bevölkerung kämpfte, erheben Menschenrechtler den Vorwurf der Kriegsverbrechen.

Das Kriegsrecht versucht die Kriegsführung mit Hilfe der Haager Landkriegsordnung und der Genfer Konventionen zu lenken. Zivilisten, Krankenhäuser, Schulen und nicht-militärische Einrichtungen sollen geschützt, der Einsatz von Waffen auf das zwingend nötige Maß reduziert werden. Verstöße sind in jedem Krieg zu sehen. Der Vorwurf des Kriegsverbrechens reicht aber weiter: Es geht um Verbrechen gegen Zivilisten oder gegnerische Soldaten, die mit krimineller Absicht begangen werden oder durch rücksichtslosen und erkennbar übermäßigen Gewalteinsatz.

Von palästinensischer Seite wird der Vorwurf der Kriegsverbrechen laut erhoben. So sahen sich Ärzte in den Kliniken mit unbekannten Verletzungen konfrontiert. Sie führen dies auf den Einsatz neuer oder unerlaubter Kampfmittel zurück. Der Chirurg Sobhi Skaik sagte der Süddeutschen Zeitung in Gaza: "Wir haben es mit bisher neuartigen Verletzungen zu tun. Menschen verbluteten innerlich ohne große äußere Verletzung. Bei anderen verbrannten Organe wie die Leber ohne große Außenwunde." Die Ärzte wüssten nicht, welche Folgen solche Verletzungen "langfristig haben und wie wir die Patienten behandeln müssen".

Bisher gibt es aber keine Beweise für den Einsatz unerlaubter Munition. Unbestritten ist hingegen der Einsatz des intensiv brennenden und schwerste Verletzungen verursachenden weißen Phosphors. Dieser hat viele Opfer unter Zivilisten gefordert. Einzelne Menschenrechtler und Militärexperten sind daher vorsichtiger. Zwar erhebt Amnesty International weitgehende Vorwürfe. Human Rights Watch (HRW) äußert sich dagegen zurückhaltender. Am großflächigen Einsatz von Phosphor-Munition gegen Wohnviertel bestehe kein Zweifel, sagte Marc Garlasco von HRW der SZ. Er war im US-Verteidigungsministerium zuständig für Zielauswahl und Waffeneinsatz. Er zweifelt am Einsatz neuartiger Waffen: "Was wir in Gaza zu sehen bekommen haben, sind die Folgen sehr massiven und unproportionalen Einsatzes altbekannter Waffen wie Bomben, Raketen und Artillerie." Der absehbare Vorwurf an Israel laute "ohne jeden Zweifel", ob der unproportionale Einsatz militärischer Mittel gegen ein extrem dicht besiedeltes Gebiet wie Gaza gerechtfertigt sei. Falls nicht, könnte er einem Kriegsverbrechen gleichkommen.

Der Einsatz von Phosphor sei rechtlich gestattet, so Garlasco. Phosphor-Munition wird mit Artillerie verschossen. Sie vernebelt das Schlachtfeld tagsüber und beleuchtet es nachts. Ihr Rauchschleier schützt vor Panzerabwehrwaffen, die mittels Infrarot-Sensoren gezielt verschossen werden. Problematisch sei die Verwendung in dicht besiedeltem Gelände. Israel habe weißen Phosphor gegen Städte eingesetzt und mit dem Schutz der eigenen Truppen begründet. Die meisten Phosphor-Granaten seien in der Luft explodiert und hätten ihr Brandmaterial großflächig verteilt. Man könne solche Granaten so zünden, dass sie am Boden explodierten. Dies schränke ihren Brandradius ein und schone Zivilisten.

Auch der massive Einsatz von 155-Millimeter-Artillerie werfe die Frage des rücksichtslosen Vorgehens und eines möglichen Kriegsverbrechens auf. Artillerie-Granaten haben eine Zielabweichung von bis zu 50 Metern und verletzen Menschen im Umkreis bis zu 300 Metern. Der Beschuss von Stadtteilen mit Artillerie müsse zwangsläufig zu zivilen Opfern führen. Israel habe genug Präzisionswaffen im Arsenal, die punktgenau träfen: Von Drohnen oder Helikoptern abgefeuerte Hellfire-Raketen sowie GPS-gesteuerte Mörsergranaten.

Garlasco betonte, es gebe bisher wenig Anzeichen für harte Bodenkämpfe zwischen Israelis und der Hamas. An den umkämpften Orten fänden sich wenig Kalaschnikow-Patronenhülsen oder Rückstände von Waffen wie den Panzerfäusten, die die Hamas meist einsetze. "Wir finden zwar Abschussorte von Kassam-Raketen. Aber an den Häusern finden sich wenig Einschusslöcher von Kleinwaffen, wie sie bei Straßenkämpfen üblich sind." Die Hamas habe offenbar wenig gekämpft. "Die Hamas-Leute waren wie Geister." Auch der Hamas werden Kriegsverbrechen vorgeworfen. Der Beschuss von Wohngebieten mit Kassam- und Grad-Raketen sei ein Kriegsverbrechen: "Diese Waffen sind extrem zielungenau", sagte Fred Abrahams von HRW. Was den Gebrauch menschlicher Schutzschilde angehe, bestünden wenig Zweifel zumindest in Einzelfällen. Der Nachweis sei aber schwierig. (Seite 4)

"Die Raketen der Hamas sind extrem zielungenau."

Human Rights Watch

Wie in allen Kriegen sind besonders Kinder die Leidtragenden. Im Shifa-Hospital in Gaza-Stadt wechseln Ärzte die Verbände bei einem vierjährigen Mädchen. Foto: AP

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Regierung stürzt über Finanzkrise

Islands Sozialdemokraten kippen Koalition vor Neuwahl

Stockholm - Die isländische Regierung ist am Montag an den Folgen der Finanzkrise zerbrochen. Ministerpräsident Geir Haarde reichte am Nachmittag seinen Rücktritt ein, nachdem seine konservative Unabhängigkeitspartei sich nicht mit den Sozialdemokraten auf eine Fortsetzung der Koalition einigen konnte. Die 320 000 Isländer sind besonders hart von der Finanzkrise betroffen: Im Oktober waren die drei größten Banken des Landes nach waghalsigen Spekulationen zusammengebrochen. Das Land stand danach kurz vor dem Staatsbankrott.

Viele Bürger geben der Regierung eine Mitschuld an dem Desaster. Seit Monaten demonstrieren sie regelmäßig in Reykjavik. In den vergangenen Tagen sind diese Proteste heftiger geworden. Tausende forderten den sofortigen Rücktritt des Kabinetts und vorgezogene Neuwahlen. Eigentlich hätte die Amtszeit des Parlaments noch bis 2011 gedauert. Ende vergangener Woche spitzte sich die Situation zu. Unter anderem attackierte ein aufgebrachter Mob mit Schneebällen und Eiern Haardes Dienstwagen.

Finanzaufseher entlassen

Am Freitag kündigte der Ministerpräsident dann Neuwahlen für den 9. Mai an. Er selbst werde wegen einer Krebserkrankung nicht mehr kandidieren, sagte er. Trotz dieses Zugeständnisses gingen die Proteste auch am Wochenende weiter. Am Sonntag legte dann der sozialdemokratische Handelsminister Björgvin Sigurdsson sein Amt nieder. Zuvor feuerte er noch den Chef der Finanzaufsicht.

Haarde sagte am Montagnachmittag: "Ich bedaure den Bruch der Koalition wirklich. Es wäre die beste Lösung gewesen, wenn wir bis zu den Wahlen weiter zusammengearbeitet hätten." In hektischen Diskussionen hatten die Spitzen der beiden Koalitionspartner am Montagvormittag versucht, ihr Bündnis zu retten. Letztlich waren laut Medienberichten die Wünsche der Sozialdemokraten für die Unabhängigkeitspartei nicht annehmbar. Der kleinere der beiden Koalitionspartner soll demnach bis zum Wahltermin im Mai den Posten des Ministerpräsidenten beansprucht haben. Außerdem forderten die Sozialdemokraten eine Annäherung Islands an die EU. Die Partei befürwortet schon lange einen Beitritt zur Union - die Unabhängigkeitspartei und allen voran ihr Parteichef Haarde lehnten diesen Schritt bislang ab.

Ein wichtiger Grund für den Bruch war vermutlich auch, dass es für die Sozialdemokraten in der Koalition kaum noch etwas zu gewinnen gegeben hätte. Sie regieren erst seit 2007 in Reykjavik mit, davor waren sie lange in der Opposition. Die Unabhängigkeitspartei ist dagegen schon seit Jahren in wechselnden Koalitionen an der Macht. Daher geben die aufgebrachten Bürger vor allem ihr die Schuld am Zusammenbruch der Wirtschaft. Neben Ministerpräsident Haarde gehört auch der mittlerweile sehr unpopuläre Zentralbankchef David Oddson der Unabhängigkeitspartei an. Vor allem gegen diese beiden richtet sich die Wut der Demonstranten. Mit Blick auf die anstehenden Wahlen musste den Sozialdemokraten daran gelegen sein, sich möglichst von ihnen zu distanzieren.

Vermutlich wird die sozialdemokratische Parteichefin Ingibjörg Gisladottir versuchen, mit den Linksgrünen und den Liberalen eine Übergangsregierung zu bilden. Die Linksgrünen haben von der Krise bislang am stärksten profitiert, laut Umfragen sind sie derzeit stärkste politische Kraft. Die Partei lehnt einen EU-Beitritt strikt ab, was die Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten erschweren könnte.Gunnar Herrmann

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Griechenland blockiert

Bauern weiten Proteste gegen Regierung in Athen aus

Athen - Griechische Bauern haben ihre Proteste gegen die Agrarpreispolitik der Regierung in Athen am Montag ausgeweitet. Zu Beginn der zweiten Protestwoche blockierten sie mit Traktoren erstmals die einzige Straßenverbindung über den Kanal von Korinth und legten damit den Verkehr zwischen der Halbinsel Peloponnes und dem übrigen griechischen Festland lahm. Die Bauern setzten zudem die Blockaden an 35 wichtigen Knotenpunkten und Grenzübergängen nach Bulgarien und in die Türkei fort. Am Morgen öffneten sie vorübergehend zwei Grenzübergänge nach Mazedonien. Vor der Grenze nach Bulgarien stauten sich die wartenden Lastwagen auf fast 20 Kilometern Länge, wie das nationale Fernsehen berichtete.

"Ich habe mich seit einer Woche nicht richtig gewaschen. Ich stinke", schimpfte ein rumänischer Lastwagenfahrer. Ein griechischer Kollege meinte: "Die Orangen, die ich transportiere, sind verfault. Die kann ich gleich hier wegschmeißen." Auf der bulgarischen Seite waren die Lkw-Schlangen noch länger. Am Übergang Kulata-Promahon warteten 300 Lastwagen auf die Einreise, teilte die bulgarische Grenzpolizei mit. Das bulgarische Rote Kreuz versorgte die Fernfahrer mit Wasser und Lebensmitteln. Bulgariens Spediteure forderten die Regierung in Sofia auf, Griechenland wegen der Ausfälle zu verklagen. Die Verluste wegen der Grenzblockade gehen Schätzungen zufolge in die Millionen.

Der griechische Industrieverband warnte vor "enormen Verlusten" für die Wirtschaft. Die Bauern fordern wegen sinkender Subventionen der Europäischen Union und fallender Weltmarktpreise mehr Hilfe vom Staat. Das Durchschnittseinkommen der Landwirte sei im vergangenen Jahrzehnt um rund ein Viertel zurückgegangen, klagt die Bauerngewerkschaft. Am Montagabend waren neue Gespräche mit der Regierung geplant.

Die griechische Presse kritisierte, es gebe in der Landwirtschaft seit Jahrzehnten einen Reformstau. "Die EU-Subventionen sind statt in die Modernisierung der Produktion direkt in den Konsum geflossen. Bauern haben sich in den letzten 20 Jahren mit den von der Europäischen Union kassierten Subventionen Wohnungen in Athen gekauft und Reisen ins Ausland gemacht oder sich teure Geländewagen angeschafft anstatt umzustrukturieren", hieß es in einem Kommentar. dpa

Lastwagen stauen sich an der Grenze zu Bulgarien. Foto: Reuters

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Dem Papst die Hand geküsst

Kirill, der selbstbewusste Metropolit von Smolensk, gilt als Favorit für die Nachfolge Alexijs als Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche

Von Frank Nienhuysen

Moskau - In sich versunken, vielleicht auch nur etwas gelangweilt wegen der langen Warterei, standen die jungen Aktivisten in der Moskauer Kälte und verkündeten stumm ihre Botschaft. "Außerhalb der Kirche gibt es keine Erlösung" war auf ihrem Transparent zu lesen, derweil drinnen in der Christi-Erlöser-Kathedrale die für Russland wohl bedeutendste Personalentscheidung des Jahres eingeleitet wurde. Die wichtigsten Kirchenvertreter einigten sich auf drei Kandidaten für das Amt des neuen Patriarchen; einer von ihnen wird an diesem Dienstag von den 711 Delegierten des Landeskonzils zum Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche gewählt. Am Sonntag soll der neue Patriarch in sein Amt eingeführt werden, und vieles deutet darauf hin, dass es Kirill sein wird, der Metropolit von Smolensk und Kaliningrad.

Kirill, 62 Jahre alt und seit dem Tod von Alexij II. Anfang Dezember bereits Interims-Patriarch, erhielt fast die Hälfte aller Stimmen. Die beiden anderen Kandidaten sind die Metropoliten Kliment und Filaret. Kontinuität in der Orthodoxie soll der Neue sichern, und doch bedeutet die Wahl eine Zäsur. Es ist die erste nach dem Ende der Sowjetunion. 18 Jahre lang hatte Patriarch Alexij die russisch-orthodoxe Kirche geführt und sie nach den schweren Jahrzehnten im Kommunismus wieder zu einem wichtigen Machtzentrum der russischen Gesellschaft gemacht. Nach eigenen Angaben gehören ihr weltweit 150 Millionen Gläubige an, in Russland etwa 100 Millionen. Alexij hat Staat und Kirche miteinander versöhnt, so sehr, dass beide einander zu unverzichtbaren Stützen der Macht geworden sind. Anders als seine Konkurrenten gilt Kirill als Kandidat, der selbstbewusst auf etwas mehr Distanz zum Kreml gehen könnte. Viele erhoffen sich von dem langjährigen "Außenminister" der russischen Orthodoxie eine stärkere Öffnung zu anderen Kirchen.

Die Worte des Pastors

Der 59-jährige Kliment, Metropolit von Kaluga und Borowsk, gilt dagegen vor allem als Vertreter des konservativen Flügels. Filaret, 73, werden wegen seines Alters lediglich Chancen als Übergangspatriarch eingeräumt. Sollte Kirill die Wahl gewinnen, dürfte dies große Erwartungen im Westen auslösen. Während der Ära Alexijs hatte der Vatikan vergeblich auf einen Besuch des Papstes in das Reich der russischen Orthodoxie gehofft. Der Patriarch beschuldigte den Vatikan, in Russland zu missionieren und Gläubige abzuwerben. Ein Reflex, um die gerade zurückgewonnene Autorität zu schützen. Die Spannungen zwischen Russlands Kirche und dem Katholizismus erhöhten sich weiter, als vor vier Jahren in der Ukraine die mit Rom verbündete unierte Kirche ihren Sitz von Lemberg ausgerechnet nach Kiew verlegte - in eine der wichtigsten Bastionen der russisch-orthodoxen Kirche.

Kirill, mit bürgerlichem Namen Wladimir Gundjajew, traf Benedikt XVI. bereits mehrere Male, und seine Kritiker haben dabei ganz genau hingeschaut. Sie werfen ihm vor, dem Papst nach dessen Wahl allzu unterwürfig die Hand geküsst zu haben, aber es sollte sich in dem Metropoliten auch niemand täuschen. Seine wöchentliche Fernsehsendung "Die Worte des Pastors" nutzt er mitunter zur Geißelung westlicher Werte, und derart radikal-fundamental sind manche Strömungen innerhalb der russischen Orthodoxie, dass er auf die nötige Balance achten muss.

"Es wird keine großen Unterschiede zwischen den Kandidaten geben", sagt der Mönchpriester Sawwa Tutunow von der Moskauer Geistigen Orthodoxen Akademie. "Es gibt nun einmal unkorrekte Elemente in der katholischen Kirche. Dass ein Besuch des Papstes in Russland bisher nicht möglich ist, lag nicht an Patriarch Alexij, es lag an der ganzen russisch-orthodoxen Kirche."

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Geld für Einheitsdenkmal

Leipzig - Für den Bau des Einheitsdenkmals in Leipzig wird der Bund nach Angaben von Bauminister Wolfgang Tiefensee fünf Millionen Euro zur Verfügung stellen. "Zusätzlich erwarten wir noch eine Beteiligung des Landes und der Stadt Leipzig", sagte der SPD-Politiker am Montag in Berlin. Der Haushaltsausschuss des Bundestages hatte für die beiden in Berlin und Leipzig geplanten Denkmäler zusammen 15 Millionen Euro bewilligt. "Die Mauer ist durch den Mut der Leipziger Demonstranten, durch Kerzen und Gebete gefallen", betonte Tiefensee, der auch Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Länder ist. Dies solle mit dem Denkmal gewürdigt werden. Spätestens am 9. November solle der künstlerische Wettbewerb für Leipzig eröffnet werden. Die Ausschreibung für das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin läuft bereits. Der Siegerentwurf soll laut Planung zum 20. Jahrestag der friedlichen Wende am 9. November 2009 bekanntgegeben werden. Das Denkmal soll auf dem Schlossplatz errichtet werden. AFP

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Berlin hilft Gedenkstätte

Berlin - Unmittelbar vor dem Jahrestag zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz hat die Bundesregierung ihr Engagement für die vom Verfall bedrohte Gedenkstätte in Polen bekräftigt. Man sehe sich in der Pflicht, die polnischen Partner zu unterstützen, sagte der Sprecher des Auswärtigen Amts, Jens Plötner, am Montag in Berlin. Ziel sei es, dass in Auschwitz würdiges Gedenken auch in Zukunft möglich sein müsse. Zwischen 1940 und 1945 wurden im dortigen KZ mehr als eine Million Menschen ermordet, die meisten davon europäische Juden. Die Gedenkstätte leidet unter Geldknappheit. Wegen der dringend notwendigen Sanierungsarbeiten wurde eine Stiftung gegründet, der die Bundesregierung bereits finanzielle Unterstützung zugesagt hatte. Angestrebt ist laut Medienberichten die Einrichtung eines Fonds von 120 Millionen Euro. AP

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"Inakzeptable Aussagen"

Deutsche Bischöfe auf Distanz zu Holocaust-Leugner

Bonn/Rom - Die Deutsche Bischofskonferenz hat sich von den Äußerungen des britischen Bischofs Richard Williamson zum Holocaust distanziert; Papst Benedikt hatte diesen jüngst wieder in die katholische Kirche aufgenommen. Die Leugnung des Holocaust sei "inakzeptabel" und gehöre nicht zur Lehre der Kirche, sagte der Sprecher der Bischofskonferenz, Matthias Kopp, im ZDF. "Williamson wird früher oder später seine Äußerungen zurückziehen müssen", sagte Kopp, die Kirche habe Mechanismen, auf ihn einzuwirken. Erneut ging auch der Vatikan auf Distanz. Solche "dummen" Äußerungen seien unannehmbar, sagte Kurienkardinal Walter Kasper. "Den Holocaust zu leugnen ist absolut nicht die Position der katholischen Kirche", sagte er der Zeitung La Repubblica.

In einem Fernsehinterview hatte Williamson gesagt, historische Fakten sprächen gegen die Existenz von Gaskammern. Es seien nicht sechs Millionen Juden von den Nazis ermordet worden, sondern 200 000 bis 300 000 - aber keiner von ihnen in Gaskammern. Williamson ist einer von vier Bischöfen der ultratraditionalistischen Bruderschaft Pius X., deren Exkommunikation Papst Benedikt XVI. am Samstag nach mehr als 20 Jahren wieder aufgehoben hatte.

Benedikts Entscheidung sorgte vor allem bei Juden für Empörung und Unverständnis. Williamson habe sich verpflichtet, die Lehre der katholischen Kirche anzuerkennen, sagte Kopp im ZDF weiter. Dazu gehöre auch das Versprechen von Papst Johannes XXIII. seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, den Dialog mit dem Judentum voranzutreiben und jede Form von Antisemitismus zu bekämpfen. Der Vatikan werde aufmerksam beobachten, wie sich Bischof Williamson künftig äußere. Er erwarte, dass der Bischof das Gespräch mit dem Vatikan suchen werde, sagte Kopp. Auch der Leiter der Priesterbruderschaft, Bernard Fellay, setzte sich klar von den Äußerungen ab. "Williamson ist allein dafür verantwortlich, unsere Bruderschaft leugnet den Holocaust nicht."

Die Dauer der Ermittlungen wegen Volksverhetzung gegen den Geistlichen ist noch nicht absehbar. Die Untersuchung des Falls stehe noch ganz am Anfang, sagte der Leitende Regensburger Oberstaatsanwalt Günther Ruckdäschel am Montag. Williamson hatte in der Nähe von Regensburg das umstrittene Fernsehinterview zum Holocaust gegeben. Williamson, 67, ist in London geboren, arbeitet als Geistlicher allerdings seit Jahrzehnten in Nord- und Südamerika. dpa

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Schwere Vorwürfe gegen türkische Justiz

Anwälte sehen hohe Beamte in den Mord an dem Journalisten Hrant Dink verwickelt

Von Kai Strittmatter

Istanbul - Zwei Jahre nach dem Mord an dem armenisch-türkischen Journalisten und Verleger Hrant Dink sind laut Dinks Anwälten die wahren Verantwortlichen noch immer auf freiem Fuß. Am Montag fand in Istanbul der achte Verhandlungstag gegen den mutmaßlichen Mörder, den zur Tatzeit 17-jährigen Ogün Samast, und seine Anstifter statt: Ultranationalisten aus der Schwarzmeerregion mit Verbindungen zu Polizei und Geheimdiensten. Vor der Verhandlung erhoben die Anwälte Dinks, Fethiye Cetin und Deniz Tuna, schwere Vorwürfe gegen die Ermittlungsbehörden, denen sie die Verdunkelung des Verfahrens vorwarfen. Es habe im vergangenen Jahr "keine positiven Entwicklungen" gegeben, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Anwälte; der Fall erschüttere "das Vertrauen der Bürger in die Justiz". Die Anwälte beklagen vor allem, die Justiz gehe nicht gegen hohe Polizeibeamte vor, die vor der Tat von den Mordplänen wussten.

Der 53-jährige Dink war am 19. Januar 2007 vor den Räumen seiner armenisch-türkischen Wochenzeitung Agos erschossen worden. Als Täter gefasst wurde der arbeitslose Jugendliche Samast; die Ermittlungen ergaben jedoch schnell, dass er nur auf Auftrag gehandelt hatte. Bis heute stehen 19 Verdächtige vor Gericht. "Dink wurde umgebracht nach einer detaillierten Vorbereitung", sagt Anwältin Cetin. Für viele schockierend war die Enthüllung, dass leitende Polizeibeamte über V-Leute von den Mordplänen informiert waren und nichts unternahmen - eine Tatsache, die von höchster Stelle bestätigt wurde: "Polizei und Gendarmerie wussten von der Bedrohung für Hrant Dink", heißt es in dem Bericht der Menschenrechtskommission des türkischen Parlaments über den Mord: "Er starb, weil diesen Hinweisen nicht nachgegangen wurde." Und der Abschlussbericht eines Komitees des Premierministers befand: "Die Polizei der Provinz Trabzon erfuhr schon ein Jahr vor der Tat von dem geplanten Mord."

Dennoch müssen die betreffenden hohen Beamten bis heute nicht vor Gericht. Wo kleine Beamte angeklagt wurden wie in der Stadt Samsun - wo sie den festgenommenen Samast auf der Wache als Helden feierten - , wurden sie schnell freigesprochen. In Istanbul verschwanden derweil Aufzeichnungen der Überwachungskameras rund um den Tatort. "Es gibt Beamte, die vielleicht in den Mord verwickelt sind", sagte Anwältin Cetin der Zeitung Sabah: "Solange die noch im Amt sind, werden wir nie alle Beweise bekommen oder aber sie werden gefälscht." Dinks Anwälte fordern ein Ende der Immunität hoher Beamter und zudem die Zusammenlegung der über Istanbul, Trabzon und Samsun verteilten Prozesse: "Sonst bekommen wir nie das ganze Bild." Premier Tayyip Erdogan immerhin hat unlängst den Weg frei gemacht für Ermittlungen gegen zwei Beamte des Polizeigeheimdienstes: Ramazan Akyürek, oberster Chef des Dienstes, und Ali Fuat Yilmazer, Chef der Istanbuler Abteilung, müssen sich demnächst Inspektoren des Innenministeriums stellen.

Anhänger des ermordeten armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink fordern vor dem Gerichtsgebäude in Istanbul "Gerechtigkeit für Hrant". Foto: AP

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El-Masri verklagt Mazedonien

Belgrad - Der Deutsch-Libanese Khaled el-Masri hat Mazedonien auf 50 000 Euro Schmerzensgeld verklagt, weil er dort Anfang 2004 vermutlich vom US-Geheimdienst CIA verschleppt worden war. "Wir fordern eine Entschädigung für seine Zeit hier, für die Folter, die er 24 Tage lang in Mazedonien erleiden musste", sagte sein Anwalt Filip Medarski am Montag. In den USA hat el-Masri bereits eine Klage gegen den Geheimdienst CIA verloren, in der er 75 000 Dollar Schmerzensgeld forderte. El-Masri war nach eigenen Angaben im Dezember 2003 in Mazedonien verschleppt und später nach Afghanistan gebracht worden, wo er gefoltert wurde. Monate später wurde er in Albanien ausgesetzt. Beim Verwaltungsgericht Köln ist eine weitere Klage el-Masris anhängig: Der 45-Jährige verlangt darin von der Bundesregierung, bei den USA die Auslieferung der CIA-Agenten zu beantragen, die in seine Verschleppung verwickelt sein sollen.Reuters

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Viele Serben würden Ratko Mladic decken

Belgrad - Zwei Drittel aller Bürger Serbiens würden den als Kriegsverbrecher gesuchten Ex-General Ratko Mladic nicht anzeigen, auch nicht für die von der Regierung ausgelobte Belohnung von einer Million Euro. Das berichtete die Zeitung Press unter Bezug auf eine neue Umfrage am Montag in Belgrad. "Mladic ist eine der populärsten Persönlichkeiten", zitierte das Blatt den Meinungsforscher Srdjan Bogoslavljevic. Mladic war der Militärchef der bosnischen Serben im Bürgerkrieg von 1992 bis 1995. Ihm wirft das UN-Tribunal in Den Haag schwerste Kriegsverbrechen vor.dpa

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Heikler Besuch beim Nachbarn

Die erste Reise Obamas führt zu Kanadas Premier Harper

Vancouver - Für viele Kanadier ist die Welt wieder in Ordnung: US-Präsident Barack Obama wird seinen ersten offiziellen Auslandsbesuch dem Nachbarland abstatten. Dass US-Präsidenten zuerst Kanada besuchen, ist zwar Tradition, aber Obamas Vorgänger George W. Bush hatte die Kanadier vor acht Jahren brüskiert und zuerst Mexiko besucht. Während Bush bei einer Mehrheit der Kanadier unbeliebt war, hat Kanada eine Obama-Euphorie erfasst. Heute sind Eishockey-Spiele vergessen, bei denen Kanadier die US-Nationalhymne mit Buhrufen bedachten. In weiten Kreisen der Bevölkerung, in der während der Bush-Ära eine anti-amerikanische Stimmung verbreitet war, blickt man jetzt mit Sympathie nach Washington.

Aber Obama und Kanadas konservativer Premier Stephen Harper werden bei ihrem Treffen, das in einigen Wochen stattfinden dürfte, heikle Themen zu besprechen haben. Bereits mit seiner ersten Amtshandlung hat Obama der Regierung Kanadas ein Problem beschert. Im Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba, das Obama schließen wird, ist seit sieben Jahren Omar Khadr, ein kanadischer Kindersoldat der al-Qaida, interniert. Ihm warf man bislang in den USA vor, im Alter von 15 Jahren einen amerikanischen Soldaten mit einer Handgranate getötet zu haben. Harper weigert sich bis heute, den 22-jährigen Khadr nach Kanada zu holen. Vor kurzem erklärte Harper, er betrachte Khadr gar nicht als Kindersoldat, weil er nie einer Armee angehört habe. Politische Beobachter erwarten, dass Obama Kanada bald zum Handeln auffordern dürfte.

Die Regierung in Ottawa bereitet sich auch darauf vor, die Ölsand-Minen in der Provinz Alberta gegenüber der neuen Obama-Administration zu verteidigen. Der neue US-Präsident hatte während seines Wahlkampfes immer wieder schmutzige Energiequellen kritisiert. Umweltschützer und manche Politiker in den USA prangern schon lange die große Umweltbelastung durch kanadische Ölsand-Verarbeitung, bei der große Mengen Wasser verbraucht werden, an. Harper ist ein Politiker aus Alberta und hat als junger Mann zeitweilig für eine Ölfirma gearbeitet.

Ende der Schonfrist

Harper, der früher als Oppositionspolitiker den Krieg im Irak befürwortete, wird oft als politischer Freund von Bush bezeichnet. Aber genau betrachtet hielt sich die Übereinstimmung zwischen den beiden in Grenzen. So widersetzte sich Harper konsequent dem Anspruch der Bush-Administration, die Gewässer der Arktis seien internationale Schiffswege und nicht kanadisches Hoheitsgebiet. Das behauptete ein US-Dokument noch wenige Tage vor Bushs Abschied aus der Politik. Ein Dorn im Auge der USA war auch stets Kanadas Weigerung gewesen, am Krieg im Irak teilzunehmen. Obama, der selbst gegen den Krieg war, wird das - anders als Bush - den Kanadiern nicht übelnehmen. Da Afghanistan eine von Obamas Prioritäten ist, wird in Kanada allgemein erwartet, dass der US-Präsident versuchen wird, ein Umdenken in Ottawa zu erreichen: Die kanadische Regierung will nämlich ihre Kampftruppen im Jahr 2011 aus Afghanistan abziehen, wo bereits 107 kanadische Soldaten umgekommen sind.

Für Harper geht mit der Ära Bush auch eine gewisse Schonfrist zu Ende. Die Kanadier haben begonnen, ihren Premier mit dem charismatischen Obama zu vergleichen. Ein Blogger schrieb auf der Internetseite der kanadischen Zeitung The National Post über Harper: "Vorbei sind die Tage, als George ihn gut aussehen ließ." Bernadette Calonego

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Brasilien kürzt UN-Beiträge

Brasilia - Der brasilianische Kongress hat im Zuge der internationalen Finanzkrise die Beiträge für Mitgliedschaften in internationalen Organisationen, wie etwa den Vereinten Nationen, um mehr als die Hälfte gekürzt. Von den für dieses Jahr ursprünglich vorgesehenen Mitteln in Höhe von 395 Millionen Reais (131,6 Millionen Euro) seien nur 171 Millionen Reais gebilligt worden, schrieb die Zeitung Folha de Sao Paulo. Mit der bereits im vorigen Monat getroffenen Entscheidung kürzt Brasilien, das fünftgrößte Land der Welt, die Mittel um mehr als 56 Prozent. Dies wurde mit der veränderten Wirtschaftslage begründet. Nach gemeinsamer Berechnung der Zeitung und der Nicht-Regierungsorganisation "Contas Abertas" ("Offene Rechnungen") sinken etwa die vom Außenministerium ursprünglich eingeplanten UN-Beiträge in Höhe von 60 Millionen auf 25,5 Millionen Reais und die Mittel für die Welthandelsorganisation (WTO) von 2,7 Millionen auf 1,1 Millionen Reais. Betroffen ist auch die Unesco, für die die Beiträge Brasiliens um 58 Prozent auf 8,1 Millionen Reais sinken. Brasilien rangierte in den vergangenen Jahren auf Platz 14 der UN-Beitragszahlerliste. Größte Zahler sind die USA (22 Prozent), gefolgt von Japan (16,6) und Deutschland (8,5). dpa

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Obama zieht Schlussstrich unter Bushs Klimapolitik

US-Präsident will Industrie zur Produktion abgasarmer Autos zwingen / Grüne Ziele auch im Konjunkturpaket

Von Christian Wernicke

Washington - US-Präsident Barack Obama setzt Amerikas Autoindustrie unter Druck, weitaus schneller weniger umweltschädliche Fahrzeuge zu produzieren. Obama wies dazu am Montag seine Umweltbehörde EPA an, ein 2007 von der Bush-Regierung erlassenes Verbot zu überprüfen, das Kalifornien und 13 anderen Bundesstaaten die Durchsetzung strengerer Abgasnormen untersagt hatte. Zugleich soll das Transportministerium unverzüglich benzinsparende Verbrauchsstandards für alle Neuwagen ab 2011 festlegen. Obama begründete den Kurswechsel als Teil einer energiepolitischen Erneuerung, die Amerikas Abhängigkeit von Ölimporten und den Ausstoß von Klimagasen reduziere.

Mit seiner symbolhaften Doppelentscheidung will Obama sich sichtbar absetzen von der oft nur zögerlichen Klimapolitik seines Vorgängers. Experten erwarten, dass die EPA sehr bald Kaliforniens strengere Ökostandards genehmigen wird. Diese verlangen von den Autokonzernen, den Abgasausstoß ihrer Fahrzeugflotten bis zum Jahr 2020 so drastisch zu senken, dass sämtliche PKW und Kleinlaster eines Herstellers im Durchschnitt nur noch umgerechnet 5,6 Liter Benzin je hundert Kilometer verbrauchen würden. Dieses Ziel scheint Experten ohne eine massive Mehrproduktion etwa von Hybrid-Autos nicht erreichbar.

Bisher hatten die drei großen krisengeschüttelten Autokonzerne in Detroit - General Motors, Ford und Chrysler - wie auch die Auto-Gewerkschaft stets Kaliforniens drastischere Abgasnormen mit der Begründung abgelehnt, diese würden den US-Markt spalten. Etwa die Hälfte der Bevölkerung lebt in Bundesstaaten, die Kaliforniens Normen umsetzen wollen. De facto wäre die Industrie deshalb gezwungen, überall im Land spritsparende Autos anzubieten. Die Abgase amerikanischer PKW machen etwa ein Viertel des gesamten CO2-Ausstoßes der Vereinigten Staaten aus. Gouverneur Arnold Schwarzenegger hatte stets argumentiert, Kalifornien wolle mit seinen Regeln den Benzinverbrauch in acht Jahren um 30 Prozent senken.

Obamas Vorstoß folgt nun dieser Linie und beschleunigt den Zwang zum Benzinsparen. Die aktuelle US-Bundesnorm für den maximalen Flottenverbrauch eines Herstellers liegt bei 8,7 Litern je hundert Kilometer. Im Falle einer Genehmigung durch die EPA würde Kaliforniens Modellgesetz jedoch vorsehen, bis zum Jahr 2016 einen Grenzwert von umgerechnet 6,7 Litern durchzusetzen. Mit dem von Bush verantworteten Bundesgesetz würde dieser Zielwert hingegen frühestens im Jahr 2020 erreicht werden.

"Ein Mann, der Wort hält"

Zudem hatte es die alte Regierung versäumt, ihr Bundesgesetz durch eine Verschärfung in Schritten umzusetzen. Im vorigen Herbst erwog Washingtons Transportministerium zwar einen strengeren Zielwert von 7,4 Litern für das Jahr 2015. Aber erst vor zwei Wochen hatte die Behörde offenbar nach Rücksprache mit dem Weißen Haus darauf verzichtet, diese Grenze auch in Kraft zu setzen. Obama wies das Ministerium nun an, diese Lücke bis März zu schließen und Normen zu verfügen, die schon 2011 für Neuwagen gelten sollen.

Umweltschützer lobten am Montag Obamas Entscheidungen. Der neue Präsident habe ein zentrales klimapolitisches Versprechen seines Wahlkampfes eingelöst und "sich als ein Mann erwiesen, der Wort hält," erklärte Frank O' Donnell, der Präsident von Clean Air Watch. Sprecher von Detroits Autoindustrie hielten sich mit Stellungnahmen zurück.

Obama präsentierte beide Auto-Direktiven als Symbole einer neuen Energie- und Klimapolitik. Der Präsident verwies auf zahlreiche grüne Elemente in seinem 825 Milliarden Dollar schweren Konjunkturpaket, das der Kongress diese Woche erstmals debattieren wird. Demnach will die Regierung binnen drei Jahren die Energieproduktion aus erneuerbaren Quellen verdoppeln. Das würde den Bedarf von sechs Millionen Haushalten decken. Zugleich will Obama das nationale Stromnetz auf knapp 5000 Kilometern modernisieren, die Wärmedämmung von mindestens zwei Millionen Privathäusern subventionieren und einen Förder-Fonds gründen, der Energiespar-Investitionen von über 100 Milliarden Dollar in von drei Jahren anregen soll. Umweltpolitische Effekte hat auch der Plan, 1300 neue Kläranlagen und verbesserte Abwassersysteme für 1,5 Millionen Bürger zu bauen. (Seite 4)

Weg mit schweren Autos: Die USA wollen den Bau spritfressender Wagen begrenzen, trotz der Krise bei den Herstellern. Hier eine Ford-Filiale in Claycomo. AP

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US-Helikopter kollidieren

Bagdad - Beim Absturz zweier Hubschrauber im Irak sind am Montag vier US-Soldaten ums Leben gekommen. Die beiden Helikopter seien in der Nacht im Norden des Landes verunglückt, teilte ein Sprecher der US-Armee mit. Zur Unfallursache konnte er zunächst keine Angaben machen. Wie das US-Kommando in Bagdad mitteilte, gingen die Streitkräfte nicht von einem feindlichen Angriff aus. Nach Angaben aus Polizeikreisen waren die beiden Hubschrauber nahe der Stadt Kirkuk rund 250 Kilometer nördlich von Bagdad zusammengestoßen. Im Oktober waren beim Zusammenstoß zweier US-Hubschrauber in Bagdad ein irakischer Soldat getötet und fünf weitere Besatzungsmitglieder verwundet worden. Der schwerste Unfall ereignete sich im November 2003, als beim Zusammenstoß zweier Hubschrauber unweit der nördlichen Stadt Mosul 17 Soldaten ums Leben kamen. AFP

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Herrscher über Kinderarmee

Prozess gegen Kongos Ex-Milizenchef Lubanga eröffnet

Von Judith Raupp

München - Der ehemalige kongolesische Rebellenführer Thomas Lubanga hat am Montag vor dem Internationalen Strafgerichtshof jede Verantwortung für Kriegsverbrechen in der Provinz Ituri von sich gewiesen. "Unser Klient möchte auf unschuldig plädieren", sagte seine Anwältin Catherine Mabille am ersten Prozesstag in Den Haag. Chefankläger Luis Moreno-Ocampo wirft Lubanga vor, von 2002 bis 2003, während des Krieges zwischen Lubangas Volksgruppe der Hema und den Lendu, Hunderte Kindersoldaten eingesetzt zu haben. Insgesamt kämpften 30 000 Kinder in dem Krieg.

Der Prozess gegen Lubanga ist das erste Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Er wird im Internet und auch über Satellit im Kongo, in zahlreichen weiteren afrikanischen und in asiatischen Ländern übertragen. Es sei wichtig, dass die Menschen sehen könnten, dass ihnen Gerechtigkeit widerfahre, erklärte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.

Lubanga, studierter Psychologe und einst Chef des bewaffneten Teils der Partei Union kongolesischer Patrioten, verfolgte die zweistündigen Ausführungen des Chefanklägers reglos. Moreno-Ocampo sagte, die ehemaligen Kindersoldaten könnten den Lärm der Maschinengewehre nicht vergessen. "Und sie können nicht vergessen, dass sie getötet haben, dass sie vergewaltigten und vergewaltigt wurden." Besonders schlimm hätten die Mädchen gelitten, sagte Moreno-Ocampo. Sie hätten als Sexsklavinnen dienen müssen, viele lebten nun als Prostituierte, weil sie sich nicht mehr nach Hause trauten. Jede Hema-Familie habe Lubanga ein Kind geben müssen. Wer sich weigerte, wurde getötet, berichtete der Staatsanwalt.

Moreno-Ocampo will seine Anschuldigungen durch Fotos, Videoaufnahmen und mehr als 1700 Dokumente belegen. Zudem sollen 34 Zeugen aussagen, darunter auch ehemalige Kindersoldaten. In einem Video ist Lubanga zu sehen, wie er lachend neben einem schmächtigen Jungen in Uniform steht, der sich unter großer Anstrengung bemüht, eine Kalaschnikow auf einen Jeep zu heben. In dem Verfahren vertreten auch mehrere Anwälte die Interessen von dreiundneunzig Opfern. Der Prozess wird voraussichtlich mehrere Monate dauern. Sollte Lubanga verurteilt werden, könnte er eine Haftstrafe von dreißig Jahren bekommen.

Muss sich vor dem Weltgerichtshof verantworten: Thomas Lubanga (rechts), studierter Psychologe und ehemaliger Rebellenchef im Ostkongo. Foto: dpa

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Morales fühlt sich als Sieger

Boliviens neue Verfassung gibt den Indios mehr Rechte

Von Peter Burghardt

Buenos Aires - In der Nacht nach der Abstimmung feierten sich wieder beide Seiten als Sieger, wie so oft im zerrissenen Bolivien. Evo Morales versammelte seine Anhänger im Regierungssitz La Paz. "Heute, am 25. Januar 2009, wird ein neues Bolivien gegründet, mit gleichen Möglichkeiten für alle, auch für die Bedürftigen und Randgruppen, die Bauern und Indios", rief der erste indianische Präsident des südamerikanischen Landes. Knapp 60 Prozent der Wähler hatten am Sonntag für eine neue Verfassung gestimmt. Sie verspricht den 36 sogenannten Urvölkern wie Ayamara, Quetschua und Guaraní eine weitgehende Gleichberechtigung ihrer Kultur, Justiz und Sprache. Die Bodenschätze werden als nationaler Besitz festgeschrieben, ausländische Militärbasen werden verboten. Der Staatschef darf einmal wieder gewählt werden, Morales will für Dezember Neuwahlen ansetzen und kann bei einem Erfolg bis 2014 regieren. In einem parallelen Referendum wurde außerdem Landbesitz auf 5000 Hektar begrenzt.

Besonders groß war die Zustimmung für die Verfassung im kargen Hochland, der Basis von Morales und seiner Partei Bewegung zum Sozialismus. Sie gewannen souverän die Regionen La Paz, Potosí, Oruro und Cochabamba. Acht von zehn Einwohnern gelten landesweit als Nachkommen der Ureinwohner, sie sicherten die deutliche Mehrheit der Ja-Stimmen.

Gegner wollen nachverhandeln

Etwas weniger Sympathisanten hatte Morales wie gewöhnlich im üppigen Tiefland. Im Wirtschaftszentrum Santa Cruz, Bastion der Opposition, sowie in Tarija, Beni und Pando setzte sich das Nein durch, dort gilt Morales' Projekt als sozialistischer Vorstoß nach Art von Hugo Chávez in Venezuela. "Wir lehnen diese rassistische und trennende Verfassung ab", verkündete in Santa Cruz der Gouverneur Rubén Costas, Anführer der Herausforderer. Mitstreiter Branko Marinkovic vom rechtslastigen Bürgerkomitee forderte die Regierung auf, den Text neu zu verhandeln. "Es gibt ein großes nationales Patt, das nur mit einem großen nationalen Abkommen aufgelöst werden kann."

Die Hochburgen des konservativen Widerstands wenden sich gegen das Vertragswerk, obwohl Morales nach blutigen Auseinandersetzungen Kompromissen wie dem Verzicht auf eine unbegrenzte Amtszeit zugestimmt hatte. Seine Gegner verlangen vor allem mehr Autonomie, fünf Departemente hatten nach regionalen Volksabstimmungen weitgehend unabhängige Regeln beschlossen. Es geht dabei besonders um die Verteilung von Boden und den Einnahmen aus dem Export von Erdgas. Auch ist den europäischstämmigen Rivalen und vielen Mestizen das Grundgesetz zu einseitig indianisch ausgerichtet. Die christlichen Kirchen unterstützten ebenfalls das Nein. Ihnen missfällt die Trennung von Staat und Religion, auch befürchten sie die Genehmigung von Abtreibung und gleichgeschlechtlicher Ehe. Knapp wurde das Ergebnis in der Region Chuquisaca um die Hauptstadt Sucre mit Morales' indianischer Kontrahentin Savina Cuéllar.

Der Präsident forderte, das Ergebnis zu achten. Alle gewählten Autoritäten stünden in der Pflicht, die neue Verfassung umzusetzen. Morales sagte dies in seinem Amtssitz, der wegen früherer Aufstände gegen die Macht "Palacio Quemado" genannt wird, verbrannter Palast. (Seite 4)

Präsident Evo Morales feiert ein "neues Bolivien mit gleichen Möglichkeiten für alle". Foto: Reuters

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Tiger auf dem Rückzug

Colombo - Nach den jüngsten militärischen Erfolgen hat das srilankische Militär die Tamilen-Rebellen weiter in den Dschungel zurückgedrängt. Die Kämpfer der sogenannten Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) würden jetzt auch aus den Dörfern vertrieben, sagte ein Militärsprecher am Montag. Am Vortag hatte die Armee mit Mullaittivu die letzte große Rebellenstadt eingenommen. Bis Mitte April soll der Armeeführung zufolge der Aufstand endgültig niedergeschlagen sein. Anfang des Jahres hatte die Armee bereits das von den Rebellen zur Hauptstadt erklärte Kilinochchi eingenommen und sie nur wenig später von der Halbinsel Jaffna vertrieben. Hilfsorganisationen zufolge befinden sich derzeit etwa 200 000 Menschen auf der Flucht vor den Kämpfen. Reuters

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Blagojevich ohne Reue

Chicago - In Abwesenheit des Beschuldigten sollte am Montag das Amtsenthebungsverfahren gegen den mit Korruptionsvorwürfen konfrontierten Gouverneur von Illinois beginnen. Rod Blagojevich hatte angekündigt, die Anhörung zu boykottieren und stattdessen in mehreren Interviews seine Unschuld beteuert. Blagojevich wird beschuldigt, er habe den vakanten Senatssitz von US-Präsident Barack Obama zur persönlichen Bereicherung versteigern wollen. "Ich habe nichts falsch gemacht", sagte Blagojevich am Montag dem US-Sender ABC. "Und wenn ich etwas falsch gemacht hätte, wäre ich zurückgetreten." Der Gouverneur hat erklärt, er werde im Senat von Illinois keine faire Anhörung bekommen und daher nicht teilnehmen. Das Verfahren könnte so schon in wenigen Tagen abgeschlossen sein. Es gilt als sicher, dass Blagojevich seines Amtes enthoben wird. Der Gouverneur enthüllte am Montag, dass er erwogen habe, die Fernsehmoderatorin Oprah Winfrey als Nachfolgerin für Obama zu nominieren. "Sie schien mir jemand zu sein, der Obama helfen könnte, Präsident zu werden", erklärte Blagojevich. Er habe dann aber befürchtet, eine solche Nominierung könne als Witz bewertet werden. Außerdem hätte Winfrey wohl abgelehnt. AP

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China trifft Christen

London - Chinesische Regierungsbeamte sind nach einem Pressebericht erstmals zu zwei Geheimtreffen mit Vertretern der verbotenen protestantischen Hauskirchen zusammengekommen. "Sie haben verstanden, dass die protestantische Kirche keine oppositionelle Kraft ist, sondern eine Kraft für Stabilität und Harmonie", sagte Pastor Ezra Jin von der Zionskirche der britischen Times. Demnach waren keine Vertreter der katholischen Kirche eingeladen. Zwischen dem Vatikan und Peking wird seit langem über eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen verhandelt. In der Volksrepublik erlaubt sind die offizielle protestantische und die offizielle katholische Kirche, die staatlichem Einfluss unterstehen. Daneben gibt es eine nicht erlaubte vatikantreue Untergrundkirche und illegale protestantische Hauskirchen. Wie die Times berichtet, wird in China über eine Öffnung gegenüber den rasch wachsenden protestantischen Kirchen spekuliert. Zur Zahl der Christen in China gibt es sehr unterschiedliche Schätzungen. Sie reichen von 35 bis 130 Millionen. epd

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Härtere EU-Sanktionen gegen Mugabes Regime

München - Die Entwicklungsgemeinschaft südafrikanischer Staaten SADC hat am Montag erneut versucht, eine Lösung für die Krise in Simbabwe zu finden. Auf einem Sondergipfel in Südafrika forderten die Präsidenten ihren Kollegen Robert Mugabe und Oppositionsführer Morgan Tsvangirai auf, sich über die Machtteilung zu einigen. Die katholischen Bischöfe in Afrika warnten die SADC, Mugabe nicht länger zu stützen. Sie würde sich sonst des "passiven Völkermordes" schuldig machen. Seit September verhandelt Mugabe mit Tsvangirai über eine Koalitionsregierung. Doch Mugabe blockiert die Gespräche. Er ließ viele Oppositionelle entführen und will alle Schlüsselministerien behalten.

Zu leiden hat unter dem politischen Stillstand vor allem die Bevölkerung. Die Lebensmittelversorgung und das Gesundheitssystem sind zusammengebrochen. Die meisten Schulen und Krankenhäuser sind geschlossen. 50 000 Menschen sind an Cholera erkrankt, 3000 sind daran gestorben. Die Bundesregierung will nun ihre Hilfe um eine Million Euro auf 3,2 Millionen aufstocken. Dem Roten Kreuz fehlen trotzdem immer noch vier Millionen Euro zur Cholerabekämpfung in Simbabwe.

Unterdessen hat die Europäische Union am Montag die Sanktionen gegen Mugabe und seine Getreuen verschärft. Die EU-Außenminister beschlossen auf ihrem Treffen in Brüssel Strafmaßnahmen gegen weitere 26 Funktionäre und 36 Unternehmen. Insgesamt stehen nun 203 Personen und 40 Firmen auf der Liste. Die Betroffenen dürfen nicht in die EU reisen, ihre Vermögen auf europäischen Konten werden eingefroren und mit den genannten Firmen dürfen Europäer keine Geschäfte machen.jth

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Arbeitgeber ohne Angebot

München - In der Tarifrunde der Bundesländer haben die Arbeitgeber am Montag kein Angebot vorgelegt. Ihr Verhandlungsführer, Niedersachsens Finanzminister Hartmut Möllring (CDU), sagte bei dem Treffen in Potsdam, die Forderung der Gewerkschaften nach acht Prozent sei "derart abwegig", sie sei nicht bezahlbar. Die Länder würden aber nur über bezahlbare Forderungen sprechen. Allgemein war erwartet worden, dass die Arbeitgeber bei der zweiten Runde am Montag ein Angebot vorlegen würden. Die Gewerkschaften kündigten daraufhin Protestaktionen und Warnstreiks an; sie wollen damit am heutigen Dienstag beginnen. Die nächste Verhandlungsrunde ist für das Wochenende 14./15. Februar angesetzt. Bei der Tarifrunde geht es um 866 000 Beschäftigte in allen Ländern - außer Berlin und Hessen. de.

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Großer Schritt zur Gleichberechtigung

Vor 90 Jahren durften Frauen in Deutschland erstmals wählen / Merkel und ihre Ministerinnen fordern beim Festakt noch mehr Engagement

Von Susanne Höll

Berlin - Das Jubiläumsjahr 2009 hat begonnen, mit der ersten größeren offiziellen Veranstaltung. Regierungschefin Angela Merkel hatte zu einer Matinee ins Kanzleramt gebeten, um an die Einführung des Frauenwahlrechts vor 90 Jahren zu erinnern. Das Ereignis jährte sich zwar schon vor Wochenfrist. Doch das war der Tag nach der hessischen Landtagswahl, an dem weder die Kanzlerin noch die geladenen Damen, knapp 200 dürften es gewesen sein, Zeit und Muße für eine Feierstunde gehabt hätten. Die Zahl der Herren ließ sich an einer Hand abzählen: In der ersten Reihe saß als einziger Mann der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet (CDU), zuständig auch für Gleichstellungsfragen. Er kam zu Wort, allerdings nur kurz. Denn dies war trotz einiger Wahlkampftöne eine überparteiliche und außerordentlich harmonische Veranstaltung von und für Frauen aus der Politik, wenngleich ohne klare Botschaft.

Zurückblicken, Bestandsaufnahme machen, in die Zukunft blicken - das war das erklärte Ziel der Bundeskanzlerin. Beim Blick zurück auf den 19. Januar 1919, jenem Tag, als die Frauen in Deutschland nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, der Abdankung des Kaisers und der Ausrufung der Republik auf Drängen der Sozialdemokraten erstmals abstimmen durften, waren sich alle Frauen an den Mikrophonen - von der Feministin Alice Schwarzer über die Grande Dame der FDP, Hildegard Hamm-Brücher, bis hin zu Merkel einig: Es ist viel erreicht worden. Schließlich ist in Deutschland eine Frau Kanzlerin. Wenig überraschend auch der Appell der Kanzlerin und ihrer Ministerinnen aus SPD und CDU an die Frauen, sich nicht abschrecken zu lassen von einem Engagement in Politik und Wirtschaft, Begeisterung zu entwickeln für die öffentlichen Dinge. 1919, so erinnerte die Kanzlerin, waren 82,7 Prozent der Frauen zur Wahl gegangen. Heutzutage ist es mancherorts bestenfalls die Hälfte, wenngleich auch die Männer wahlmüder werden.

Die Politikerinnen teilen, wie deutlich wurde, heutzutage vor allem ein Problem: In eine Spitzenposition kommen sie zumeist dann und unverhofft, wenn die männlichen Kollegen den Posten für unattraktiv, aussichtslos oder beides halten. So widerfuhr es der SPD-Bürgermeisterin von Wismar, Rosemarie Wilcken, die 1990 als Spitzenkandidatin bei der Kommunalwahl antrat, weil sich kein anderer Bewerber fand. Als sie den CDU-Kandidaten schlug, meldeten sich plötzlich doch Interessenten, die meinten, als Spitzenkandidatin müsse man ja nicht unbedingt Stadtoberhaupt werden. Wilcken ließ sich nicht abschrecken, wurde Bürgermeisterin und 2002 im Amt bestätigt. "Frauen zu wählen ist nicht das Problem. Die Hürde ist, nominiert zu werden", sagt sie am Montag im Kanzleramt. Und Merkel, die Parteivorsitzende wurde, weil nach der Spendenaffäre von Ex-Kanzler Helmut Kohl kein Mann nach dem Amt gierte, sagt an die Adresse der Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth: "Frankfurt war für die CDU nicht unbedingt ein sicheres Terrain. Ich weiß nicht, ob Sie sich ansonsten so lang gehalten hätten."

Dass Frauen grundsätzlich bessere Politiker sind, behauptete keine der Damen. Justizministerin Brigitte Zypries (SPD), die es, wie ihre männlichen Kollegen als Innenstaatssekretärin mit ihrem Chef Otto Schily (SPD) wahrlich nicht immer leicht hatte, widersprach gar solchen Thesen: "Stress hat man mit jedem Vorgesetzten. Deshalb muss man dafür sorgen, dass man möglichst wenig hat. Es kommt weniger auf das Geschlecht als auf den Charakter an". Sie befand zwar, dass die Kanzlerin im Kabinett stärker moderiere als ihr Vorgänger Gerhard Schröder (SPD). Doch das sei keine typisch weibliche Eigenschaft. Außenminister und Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier (SPD) sei ein ebenso guter Moderator wie Merkel. Schließlich seien sie sich beide in ihrer Struktur ähnlich.

"Herr Steinmeier würde das Kabinett genauso moderieren wie Frau Merkel, auch weil sie in der Struktur ähnliche Typen sind."

Justizministerin Brigitte Zypries

Langer Kampf: Vor 90 Jahren durften Frauen erstmals zur Abstimmung gehen - bei der Wahl zur Nationalversammlung am 19.1.1919; im Bild ein Plakat zum Frauentag 1914. epd/akg-images

Premiere im Januar 1919: Die SPD in Berlin erinnert die Frauen an ihr Wahlrecht. Foto: SZ-Photo

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Strafe für Schulschwänzer

Berlin - Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hat vorgeschlagen, Eltern von Schulschwänzer mit 5000 Euro Bußgeld zu bestrafen. In einem Positionspapier heißt es, man wolle den Druck auf Eltern erhöhen. Bisher können in Berlin bei Dauerschwänzen Strafen von bis zu 2500 Euro verhängt werden. In Neukölln, wo am die meisten Schüler unentschuldigt fehlten, wurden im vergangenen Jahr 180 solche Bußgelder erhoben. In der Regel überstiegen sie 150 Euro aber nicht, da die betroffenen Familien oft wenig Geld haben. Die Berliner FDP kritisierte den Vorschlag als aktionistisch, die CDU schlug statt Bußgeld gemeinnützige Arbeit vor. Im ersten Schulhalbjahr 2007/2008 fehlten 16 000 Berliner Oberschüler bis zu zehn Tage, mehr als 4000 schwänzten noch länger unentschuldigt, manche bis zu acht Wochen. lion

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Bremer Kompromiss

Bremen - Das rot-grün regierte Bremen will außer dem Konjunkturprogramm nun auch den vom Bundestag verabschiedeten Mindestlöhnen im Bundesrat zustimmen. Nachdem das schwarz-grün regierte Hamburg bereits seine Zustimmung angekündigt habe, werde mit den Stimmen Bremens erneut der gestiegene Einfluss der FDP nach der Hessenwahl zurückgedrängt. Dies sagte ein Sprecher des Senats am Montag. Regierungschef Jens Böhrnsen (SPD) und Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) hätten sich auf diese gemeinsame Linie für den Bundesrat verständigt. Nach der eigenen, jedoch gescheiterten Bundesratsinitiative zu Mindestlöhnen werde man dem Vorhaben der großen Koalition zustimmen, sagte der Senatssprecher weiter. Die FDP lehnt das Gesetz ab. dpa

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Das Vermächtnis der letzten Augenzeugen

KZ-Überlebende: Unsere Reihen lichten sich, doch die Welt hat zu wenig aus unserer Geschichte gelernt / Mahnung zum Kampf gegen Intoleranz

Von Robert Probst

München/Berlin - Überlebende der Konzentrationslager haben die jungen Leute in Deutschland und Europa in einem schriftlichen "Vermächtnis" aufgefordert, "unseren Kampf gegen die Nazi-Ideologie und für eine gerechte, friedliche und tolerante Welt fortzuführen". In der Erklärung verweisen die NS-Opfer auf das absehbare Ende ihrer Zeitzeugenschaft und mahnen: "Es schmerzt und empört uns sehr, heute feststellen zu müssen: Die Welt hat zu wenig aus unserer Geschichte gelernt." Das Vermächtnis wird am Dienstag - dem Holocaustgedenktag - an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) übergeben.

In Berlin waren hochrangige Vertreter der internationalen Komitees, in denen die Überlebenden der KZ Auschwitz, Bergen-Belsen, Buchenwald, Dachau, Flossenbürg, Mittelbau-Dora, Neuengamme, Ravensbrück und Sachsenhausen organisiert sind, übers Wochenende zusammengekommen, um eine gemeinsame Erklärung auszuarbeiten. Damit reagieren die teils weit über 80 Jahre alten NS-Opfer auf die Tatsache, dass die Häftlingsorganisationen nach und nach von Menschen übernommen werden, die die Lagerhaft nicht selbst erlitten haben. "Die deutsche Regierung und die Bevölkerung haben sehr viel getan und es hat sich viel zum Guten verändert", sagt Noach Flug, Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees. Doch es müsse "weitergekämpft" werden, irgendwann auch ohne die "letzten Augenzeugen". Diese fühlten sich verpflichtet, ihre "Forderungen und Erwartungen an die nachfolgenden Generationen zu richten."

Es geht den zehn Unterzeichnern vor allem um eine Welt, "in der Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus keinen Platz haben." Sie hoffen und erwarten, dass die Bundesrepublik und ihre Bürger beim Erinnern und Gedenken an die Opfer der NS-Zeit "auch in Zukunft ihrer Verantwortung in besonderem Maße gerecht werden". Eine "große Rolle" spielen laut Flug in dem Zusammenhang die KZ-Gedenkstätten. In der Erklärung wird gefordert, diese als authentische Orte, zeithistorische Museen und Lernorte "auf Dauer" zu erhalten. Besonders wichtig sei hier eine ausreichende pädagogische Betreuung der zahlreichen Besucher.

Auch vor einer politischen Instrumentalisierung des Gedenkens in Europa warnen die Überlebenden. Geschichte werde oft benutzt, um zwischen Völkern und Gruppen Zwietracht zu säen. "Wir wenden uns dagegen, dass Schuld gegeneinander aufgerechnet, Erfahrungen von Leid hierarchisiert, Opfer miteinander in Konkurrenz gebracht und historische Phasen miteinander vermischt werden", heißt es in der Erklärung.

Am 27. Januar 1945 hatte die Rote Armee auf ihrem Vormarsch Richtung Berlin die Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau befreit - seither das Hauptsymbol des Holocaust. 1996 hatte der damalige Bundespräsident Roman Herzog den Tag zum nationalen Gedenktag erklärt, die Vereinten Nationen zogen 2005 mit einem internationalen Gedenktag nach. Am Dienstag erinnert der Bundestag in einer Feierstunde an das Leiden und Sterben von Millionen NS-Opfern, die Hauptrede hält Bundespräsident Horst Köhler.

Max Mannheimer, einst KZ-Häftling und nun Mitglied des Internationalen Dachau-Komitees, arbeitete an der Erklärung mit. Foto: Jørgensen

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Bin Ladens deutscher Freund

Behörden halten den in Bonn aufgewachsenen Bekkay Harrach für extrem gefährlich

Von Annette Ramelsberger

München - Deutsche Sicherheitsbehörden halten den in Deutschland aufgewachsenen, gebürtigen Marokkaner Bekkay Harrach aus Bonn für einen der engsten Gefolgsleute von Osama bin Laden. Er soll, so heißt es in Sicherheitskreisen, in höchsten Zirkeln der al-Qaida verkehren. Vor ihm war nur der aus Bochum stammende Deutsche Christian Ganczarski näher an den Terrorführer herangekommen. Ganczarski steht gerade in Paris wegen des Terroranschlags auf eine deutsche Touristengruppe auf der Ferieninsel Djerba vor Gericht, bei der im Jahr 2002 21 Menschen ums Leben gekommen waren. Ganczarski hatte viele Monate in den Lagern Bin Ladens verbracht und mit ihm auch die Insulin-Vorräte geteilt, die er für seine diabeteskranke Tochter mitgebracht hatte.

Bekkay Harrach soll nun für terroristische Operationen im Ausland zuständig sein, berichtet das Nachrichtenmagazin Spiegel. Er stehe unter dem Schutz des örtlichen Warlords in Afghanistan und werde für seine Kenntnisse geschätzt, Bomben fernzuzünden. Der 31 Jahre alte Harrach, der mit einer Deutschen verheiratet ist, hat die Bundesregierung aufgerüttelt, als vor einer Woche ein Video im Internet erschien, in dem er Deutschland Terroranschläge in Berlin, Köln und Bremen androht - für den Fall, dass die Deutschen ihre Truppen nicht aus Afghanistan zurückziehen. Die Behörden messen Harrachs Drohung großes Gewicht zu. Harrach kam als Vierjähriger aus Marokko nach Nordrhein-Westfalen und spricht ein Deutsch, um das ihn manch Einheimischer beneiden würde. Gewählt berichtet er darüber, wie die Bundeswehr die Trinkwasserversorgung im afghanischen Herat saniert hat. "Danke schön für die Investition", sagt er und spottet darüber, dass die Bundeswehr lieber den zivilen Aufbau in Afghanistan betreibe als sich den Taliban zu stellen. "Glaubt nicht, dass Ihr ungeschoren davonkommt", sagt Harrach.

"Diesen Mann muss man ernst nehmen", sagt der Leiter des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen, Hartwig Möller. "Der weiß, wie wir ticken, wie wir zu verunsichern sind." Harrach sei gefährlicher als all die anderen wilden jungen Männer, die bisher nach Afghanistan gegangen seien: der Ansbacher Cüneyt Ciftic, der sich in die Luft gesprengt hat und unter die Kategorie "Kanonenfutter" fällt oder der Saarländer Eric Breininger, der als Wirrkopf angesehen wird. Harrach soll eine Reihe von Deutschen um sich scharen, die nur darauf warten, in Deutschland zuzuschlagen. Die Behörden halten die Zeit kurz vor der Bundestagswahl für besonders gefährlich.

"Der weiß, wie wir ticken": Bekkay Harrach in dem Drohvideo vergangene Woche. Foto: AP

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Neue Energie-Lobby

Bonn - Mehr als 100 Regierungsdelegationen aus aller Welt haben am Montag an einer Gründungskonferenz für die Internationale Agentur für erneuerbare Energien (Irena) in Bonn teilgenommen. Die Organisation werde das internationale Sprachrohr für neue Energien sein, sagte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD): "Mit Irena bekommen die erneuerbaren Energien international eine vernehmbare Stimme." Die Organisation soll dazu beitragen, dass Technologien zur Gewinnung von Strom aus Sonne, Wind, Wasser oder Biomasse häufiger genutzt werden. An diesem Dienstag findet die konstituierende Sitzung der Vorbereitungskommission statt, der alle Zeichnerstaaten angehören. Diese soll bis Juni entscheiden, wo die Agentur angesiedelt wird. AP

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HEUTE

FEUILLETON

Internetphänomene

Was heute neu ist, ist morgen schon selbstverständlich Seite 13

LITERATUR

Arroganz der Götter

1000 Seiten über den Jahrhunderttänzer Rudolf Nurejew Seite 14

MEDIEN

"Chaos steigert den Ehrgeiz"

Jürgen Vogel über seinen neuen Job im Comedy-Fernsehen von Sat 1 Seite 15

WISSEN

Spuren frühen Unglücks

Eine schwere Kindheit schwächt noch Jahre später das Immunssystem Seite 16

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Narreteien von Gottes Gnaden

Kaiser Wilhelm II., der vor 150 Jahren zur Welt kam, war kein Mann der Tat, er liebte die Show

Der Überlieferung zufolge brachte seine Lektüre Wilhelm II. dazu, auf den Bau einer starken Flotte zu drängen: 1890 erschien Alfred T. Mahans einflussreiches Werk über die Bedeutung von Seestreitkräften, "The Influence of Sea-Power upon History". Der Kaiser las es, war angetan und wollte nun auch eine starke Kriegsflotte haben. Admiral Tirpitz, der das ähnlich sah, kam Wilhelm wie gerufen. Und so begab sich das Deutsche Reich 1897 in einen maritimen Rüstungswettlauf mit Großbritannien, was zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs beitrug.

Wilhelms Mahan-Lektüre bestätigte aber nur ein altes Ärgernis: Der Enkel der Queen Victoria war in seinen jüngeren Jahren gelegentlich im englischen Yachthafen Cowes zu Gast, wo Lebemänner dem Regattasport frönten. So elegant ging es in deutschen Häfen nicht zu. Wilhelm war neidisch. Und es wurmte ihn, dass deutsche Werften nicht in der Lage waren, so schnelle Segelschiffe zu bauen wie die Briten. In Kiel, dessen Marine-Regatta-Verein 1891 auf sein Geheiß zum "Kaiserlichen Yacht Club" wurde, tat er groß auf seiner Segelyacht namens "Meteor", die freilich von einer englischen Werft gebaut worden war. In den neunziger Jahren lagen oftmals imposante Schiffe der britischen Kriegsmarine in Kiel vor Anker: Auch das noch! Der Kaiser, der sein Minderwertigkeitsgefühl mit Protzigkeit zu kompensieren suchte, muss es als persönliche Kränkung wahrgenommen haben.

Im Bund mit der Vorsehung

Für Wilhelms schlechtes Selbstgefühl gab es gute Gründe: Nicht nur verstümmelten die Ärzte ihm bei der Geburt am 27. Januar 1859 einen Arm. Schlimmer noch mag gewesen sein, dass er deshalb während seiner ersten Jahre vielen medizinischen Torturen ausgesetzt wurde, quacksalberischen Quälereien - das Englische hielt für dergleichen den Ausdruck "heroic medicine" bereit. Am schlimmsten war wohl, dass die Mutter ihren ältesten Sohn nicht mochte. Das fiel auch der Großmutter auf: Queen Victorias Ermahnung an die Tochter - "Du musst Dich Deinem Kind zuwenden" - war aber in den Wind gesprochen.

Der deutsche Thronfolger wuchs zu einem Mann heran, der so gut wie jeden für klug hielt, der ihm schmeichelte. Dies ergab sich auch daraus, dass Wilhelm nicht besonders intelligent war. Der Historiker Christopher Clark meint zwar, er sei sicherlich intelligent gewesen, lediglich an Urteilskraft habe es ihm gemangelt. Das läuft am Ende aber auf dasselbe hinaus: Mangels Urteilskraft war der Kaiser nicht fähig, eine Situation richtig einzuschätzen. Seine kaiserlichen Meinungen, die er in die Welt setzte, wie andere Leute niesen, waren sprunghaft. "Wilhelm der Plötzliche" hieß er im Volksmund.

Sein aufgesetztes Sendungsbewusstsein machte ihn megaloman. Zwar verstand er sich nicht auf viel, doch er interessierte sich für fast alles, so auch für Archäologie. Als er einmal auf Korfu neben einer Ausgrabungsstätte stand, sagte er: "Es ist sehr gut möglich, dass die Vorsehung mich, obwohl ich Laie bin, auserwählt hat, der Archäologie neue Wege zu weisen." Mit der gleichen Emphase erklärte er: "Ich bin der einzige Lenker & Herr der deutschen Außenpolitik." Man kann verstehen, warum Hans-Ulrich Wehler sagt: Wilhelms Intelligenz hätte dazu hingereicht, ein Beamter oder mittelmäßiger Schulmeister zu werden.

Wären die Zeiten nicht so angespannt gewesen, Wilhelm II. wäre als unbedeutender Sprücheklopfer in die Geschichte eingegangen, bekannt vor allem dafür, dass er sich seine Glitzerorden selbst entwarf. Man würde ihn als Monarchen würdigen, der die mediale Bedeutung der Selbstinszenierung verstanden hatte. Unglücklicherweise übernahm er die Regentschaft über ein Land, das der große Bismarck darauf zugeschnitten hatte, dass er selbst es führte: gewieft, verschlagen, nüchtern, umsichtig. Das Parlament hatte Bismarck weitgehend zu dem reduziert, als was er es betitelte: zu einer Schwatzbude. Um seine Legitimität als Kanzler zu stärken, hatte er die Bedeutung des Kaisers ganz hoch gehängt; er war davon ausgegangen, dass der Kaiser, einerlei wie er heißen mochte, tun würde, wozu der Kanzler ihm riet.

Nachdem der einunddreißig Jahre alte Wilhelm II. den betagten Bismarck 1890 - mit schlechten Gründen, aber nicht ganz zu Unrecht - geschasst hatte, durfte er sich einbilden, nun wirklich autokratisch zu regieren. "Persönliche Monarchie" nannte sich das. Bismarck ließ ein Reich zurück, in dem quasi byzantinische Verhältnisse herrschten. Wem es gelang, dem Kaiser zu suggerieren, dass er, Wilhelm II., die Entscheidungen fälle, konnte seine Politik durchsetzen. Wilhelm durchschaute die Ränke nicht.

So ging er 1900 dem neuen Reichskanzler Bernhard von Bülow auf den Leim. 1908 gewährte Wilhelm dem Daily Telegraph ein Interview, in dem er sich herablassend über die britische Politik äußerte. Es ist nicht ganz klar, ob von Bülow ihn absichtlich ins offene Messer rennen ließ - den Text, den Wilhelm ihm zur Prüfung vorlegen ließ, hat der Reichskanzler jedenfalls nicht bearbeitet. In London reagierte man empört. Hernach gab von Bülow sich enragiert: Den Geheimrat Klehmet, der den Artikel des Daily Telegraph gegengelesen hatte, fuhr er an: "Haben Sie noch nicht erfasst, dass die persönlichen Wünsche seiner Majestät bisweilen Narreteien sind?" Im deutschen Offizierskorps war von da an von Wilhelms "Soldatenspielerei" die Rede.

Die "persönliche Monarchie" Wilhelms II.: Sie war ein Sammelsurium von Narreteien. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben einige Autoren sein Andenken retten wollen. Die meisten hängen romantischen Ideen von Reich und Kaisertum nach, die sie mit dem Rückgriff auf mittelalterliche Vorstellungen zu untermauern suchen. Der 2008 verstorbene Nicolaus Sombart zum Beispiel hat die vielen Vergnügungsreisen, die der Kaiser in Europa unternahm, mythographisch überhöht. So habe Wilhelm "die sakrale Position des Reiches, als Reich der Mitte, in allen vier Himmelsrichtungen demonstrativ markiert". Vergleichbares findet sich in Büchern, die jetzt, anlässlich Wilhelms 150. Geburtstag, erschienen sind.

Selbst wo der Kaiser recht hatte, kann man ihm dafür keinen Kranz winden. Allzu zahlreich waren jeweils die Gelegenheiten, bei denen er das Gegenteil sagte. Den Ersten Weltkrieg wollte er zwar nicht, aber zu seinem Ausbruch hat er dennoch beigetragen. Seit Beginn der neunziger Jahre wollten viele Politiker und Generale einen neuen Krieg. Wilhelm griff das auf. 1912 forderte er von den führenden Politikern und Militärs, sie sollten Deutschland auf einen Krieg vorbereiten. Als der dann 1914 kam, hatte Wilhelm seine Meinung wieder geändert. Da Reichskanzler Bethmann-Hollweg ihn nicht mehr ganz ernst nahm, war Wilhelms Votum nebensächlich. Die Entscheidungen der Obersten Heeresleitung beeinflusste der Kaiser nur insofern, als er den Generalen durch seine ständige Anwesenheit in Nähe ihres Hauptquartiers auf die Nerven ging. Nach dem üblichen egozentrischen Ausflug in die Rhetorik ("Das beste wird schon sein, ich schieße mich tot") reiste er am 10. November 1918 ohne Absprache mit der Regierung ins holländische Exil.

Das Volk, die "Schweinebande"

Als Walter Rathenau nach der Niederlage gefragt wurde, ob der Kaiser Schuld am Ausbruch des Kriegs gewesen sei, antwortete er, die Frage stelle sich nicht. Damit hatte Rathenau recht. Bemerkenswerterweise standen die wahren Entscheidungsträger ihrem Kaiser an Unfähigkeit kaum nach. Volker Ullrich hat die deutsche Politik in der Vorkriegsphase als ein "merkwürdiges Gemisch aus übertriebenen Befürchtungen, irrationalen Erwartungen und dilettantischen Fehlrechnungen" beschrieben.

Der Kaiser - kluge Zeitgenossen sahen das schon zu seinen Lebzeiten - war das Spiegelbild all dessen, was das Kaiserreich zu einem bornierten, autoritären Militärstaat machte. Tirpitz' Flottenaufrüstung ist beispielhaft für die damals herrschende verantwortungslose Politik. Tirpitz hatte lächerlich hohe Ziele: Er wollte Großbritannien zwingen, es hinzunehmen, dass Deutschland sich ein ausgedehntes Kolonialreich schuf. Das, so meinte er, werde helfen, den Einfluss von Parlament und Sozialdemokratie in Deutschland einzudämmen. Nichts davon war realisierbar. Dass ein neuer Krieg vor allem zu Land ausgefochten werden würde, war absehbar. Doch das war ein Detail, auf das die deutschen Machthaber nicht viel gaben. Der Flottenbau konsumierte immense Summen - in die Aufrüstung des Heeres wurde umso weniger investiert. Bis 1916 war die kaiserdeutsche Flotte vor allem damit beschäftigt, sich vor den britischen Schiffen in Sicherheit zu bringen. Der größte Effekt der maritimen Aufrüstung: Als die Matrosen Ende Oktober 1918 erfuhren, dass sie in einem letzten "Todeskampf" vor der sicheren Niederlage ihr Leben opfern sollten, meuterten sie. Das war der Ausbruch der Revolution.

Wie Adolf Hitler war Kaiser Wilhelm von "seinem" Volk am Ende enttäuscht: Er nannte es "eine Schweinebande". Die Weimarer Republik war eine "Saurepublik". Vor Hitlers Wahlsieg 1933 setzte er darauf, dass die Nationalsozialisten ihn nach Deutschland zurückholen würden. Als das fehlschlug, war er beleidigt und verdammte die Nazis. Der Historiker John Röhl hat mit staunenswerter Sorgfalt allen Blödsinn zusammengesucht, den Wilhelm geäußert hat. Röhls biographische Vernichtung des Kaisers kulminiert darin, dass Wilhelm - Rassist war er auch - erklärte, die Juden müssten "vom Deutschen Boden vertilgt und ausgerottet" werden: "Das beste wäre wohl Gas."

Nein, auch diese Idee hätte Wilhelm nie umgesetzt. Es wäre falsch, ihn als Hitlers Vorläufer zu bezeichnen. Seine Fähigkeit beschränkte sich darauf, große Worte zu machen. Er hat sein Leben lang den Monarchen vor allem gemimt. Zu mehr reichte es nicht. FRANZISKA AUGSTEIN

Eine Sammlung von Bildern und Zitaten zum Thema finden Sie im Internet unter www.sueddeutsche.de/wilhelm.

Die Pose war alles: Wilhelm II., von Ferdinand Keller, 1893 Foto: Prisma/F1 Online

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Was bitte war daran erfolgreich?

Wie in Israel über den Krieg geredet wird / Von Assaf Gavron

Jeder Krieg brennt Bilder in das Gedächtnis, die einen eine Zeit lang verfolgen. Eines der Bilder aus dem Gazakrieg vom letzten Monat wird das Bild des weinenden Dr. Abu El-Aish sein, eines palästinensischen Gynäkologen, der in einem israelischen Krankenhaus arbeitet: Nachdem sein Haus von Israelis bombardiert und drei seiner acht Kinder getötet wurden, weinte er hemmungslos vor dem Krankenhaus, in dem eine seiner Töchter um ihr Leben kämpfte. In diesem Moment kam die Israelin Levana Stern auf ihn zu und beschimpfte ihn: "Sie sollten sich schämen, wie sollten wir wissen, was Sie in Ihrem Haus verstecken?"

Levana Sterns' Verhalten spiegelt die innere Haltung der meisten Israeli während dieses Krieges wider: eine Art Unzugänglichkeit, ein blinder Glaube an die israelische Armee und all ihre Handlungen, ein Verschließen der Sinne vor dem Leid der Gegenseite, selbst wenn der Leidende direkt vor einem steht, selbst wenn er ein bekannter Arzt ist, der in einem israelischen Krankenhaus arbeitet und vielen israelischen Frauen bei der Geburt ihrer Kinder geholfen hat, einen Verfechter des Friedens und der Koexistenz, dessen Welt gerade untergeht.

Hier und da wurden Stimmen laut, die Sterns Verhalten unsensibel oder barbarisch nannten. Aber es ist schwer, ihr Vorwürfe zu machen. Schließlich spuckte sie in diesem nur das aus, womit sie der Mainstream zuvor wochenlang gefüttert hatte. Und sie ist beileibe keine Ausnahme, Abu El-Aish wurde unflätigst beschimpft, sei es im Radio, in den Zeitungen oder im Internet, wo jeder seine Meinung anonym verbreiten kann.

Nachrichten als Gehirnwäsche

Was ich während des Gazakriegs als besonders niederschmetternd und verstörend empfand, war die wachsende Intoleranz auf israelischer Seite - nicht nur gegenüber dem Leid der Palästinenser, sondern gegenüber jedweder Meinung, die dem Chor des Mainstreams zuwiderlief, gegenüber jedem Argument, das die Operation in Frage stellte. Es ist schwer, einen zutreffenderen Begriff als den der "Gehirnwäsche" zu finden, um zu beschreiben, wie der Krieg und seine Folgen in den Medien behandelt wurden. Bilder von Tod und Zerstörung auf palästinensischer Seite wurden kaum gezeigt, an allen palästinensischen Opfer in der Zivilbevölkerung wurde der Hamas die Schuld gegeben; beinahe jeder Kommentator rühmte die Aktionen der Israelis, konträre oder kritische Gedanken wurden dazu nicht geäußert. Anti-Kriegs-Demonstrationen wurden ins Lächerliche gezogen, die Protestierenden als ein marginaler Haufen von verrückten Spinnern karikiert (selbst als über 10 000 Leute demonstrierten); und als eine Nachrichtensprecherin Mitleid mit dem palästinensischen Elend zeigte, wurde eine Petition aufgesetzt, sie vom Bildschirm zu verbannen, die in zwei Tagen von 30 000 Menschen unterschrieben wurde.

"Wir" hatten immer recht, waren gezwungen, es zu tun, haben keine Fehler gemacht und verhielten uns vollkommen moralisch. Die Folgen dieser Berichterstattung waren beeindruckend: Laut einer Umfrage hielten 78 Prozent der Israelis (was beinahe alle Juden bedeutet) die Operation für "erfolgreich".

Ich finde es schwierig, eine militärische Operation als erfolgreich zu bezeichnen, wenn nach drei Wochen über 1300 Palästinenser tot und tausende von Bombardierten verletzt und obdachlos sind, die Hamas immer noch tausend Raketen besitzt und der Schmuggel durch die Tunnel nicht gestoppt wurde. Worin liegt der Erfolg, wenn unter den Toten 300 Kinder sind? Wenn in der ersten Woche des Krieges vier israelische Bürger von Raketen getötet wurden, nachdem im ganzen vergangenen Jahr nur ein Einziger getroffen worden war? Was ist so gut an Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, am Streit mit den USA, an den weltweiten anti-israelischen Demonstrationen oder daran, das Venezuela und Bolivien ihre diplomatischen Beziehungen zu uns abgebrochen haben?

Wenn wir eine solche Stufe der Aggressivität erreichen, dass wir es nicht einmal mehr ertragen, der Stimme eines anderen zuzuhören, dann verspielen wir nicht nur die Aussicht auf Ruhe und Frieden in unserer Region, sondern verlieren auch den Anspruch darauf, als zivile, zurechnungsfähige und demokratische Gesellschaft zu gelten. Ich spreche nicht über eine verdüsterte Zukunft, ich spreche darüber, dass in der vergangenen Woche zwei arabischen Parteien, der Balad und der Vereinigten Arabischen Liste Ta'al, die Teilnahme an den Wahlen vom zentralen Wahlkomitee der Knesset verboten wurde. Es ist kein Zufall, dass diese Entscheidung während des Krieges getroffen wurde, in dieser aufgeheizten Atmosphäre, und nicht während der Zeit, als diese Parteien und ihre Mitglieder gewählt wurden und im israelischen Parlament saßen. Wenige Tage später revidierte der Oberste Gerichtshof diese Entscheidung - nachdem der Krieg vorbei war. Der Oberste Gerichtshof hat uns und unsere Demokratie diesmal noch vor einer großen Schande bewahrt. Aber es ist beängstigend zu sehen, wie zerbrechlich die Demokratie manchmal ist.

Der Autor lebt als Schriftsteller und Sänger der Band "The Mouth and Foot" in Tel Aviv. Zuletzt erschien von ihm auf deutsch der Roman "Ein schönes Attentat" (Luchterhand 2008).

Aus dem Englischen von Susanne Weinhart.

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Kultureller New Deal

Obama will Kultur fördern. Ideell - aber auch finanziell?

Viel können Amerikas Kulturinstitutionen nicht aus öffentlichen Töpfen erwarten. Städte und Bundesstaaten geben hier und dort etwas, aber aus Washington kommt verschwindend wenig. Mit gerade einmal 150 Millionen Dollar jährlich fördert das National Endowment for the Arts (NEA) Theater, Ausstellungen und Festivals im ganzen Land. Die staatliche Zurückhaltung geht nicht nur auf ein traditionell distanzierteres Verhältnis zwischen Staat und Kultur in den USA zurück, sondern auch auf die culture wars der neunziger Jahre, als das NEA immer wieder beschuldigt wurde, politisch verdächtige Projekte zu fördern - und dafür finanziell abgestraft wurde.

Nun wittern Amerikas Kulturschaffende die Chance auf eine freundlichere Behandlung durch die Washingtoner Regierung. Obama kam im Wahlkampf - sensationell für einen Präsidentschaftskandidaten - immer wieder auf die Künste zu sprechen; schlug vor, junge Künstler in Schulen zu schicken; und mahnte neue Initiativen in Kulturdiplomatie an. Mit Spannung wird deshalb erwartet, wen er zum Nachfolger des NEA-Direktors Dana Gioia ernennen wird, der am Tag der Vereidigung des neuen Präsidenten sein Amt niederlegte. Einer der Favoriten für den Posten ist der Anwalt Michael Dorf, der sich mit staatlicher Kunstförderung beschäftigt hat und in den Neunzigern mithalf, die unter Beschuss stehende NEA zu verteidigen. Im Gespräch sind aber auch der Jazzmusiker Wynton Marsalis und Agnes Gund, die frühere Präsidentin des Boards des New Yorker Museum of Modern Art.

Dass Obama die Kultur wichtig ist, zeigt sich auch daran, dass er erwägt, einen eigenen Kulturbeauftragten im Weißen Haus zu installieren. Doch der Organisation Americans for the Arts ist das nicht genug. Sie fordert einen Kulturminister nach europäischem Vorbild, wie Amerika ihn unter Kennedy, Nixon und Johnson hatte. Viele der Hoffnungen richten sich auf das zur Zeit kontrovers diskutierte 825 Milliarden Dollar schwere Konjunkturpaket. Die 50 Millionen-Dollar-Spritze für die NEA, die zwischen Steuererleichterungen, Geld für Breitbandverkabelung ländlicher Haushalte und der Förderung von Windenergie versteckt ist, ist hochwillkommen, aber reicht vielen nicht aus. Americans for the Arts schlägt vor, dass die Ministerien, die die staatlichen Investitionsgelder verteilen, auch einen Teil für Kunst ausgeben. Was den Kulturmanagern vorschwebt sind Programme, die an die deutschen ABM-Maßnahmen und an Kunst am Bau denken lassen. Vor allem aber an die Kunstinitiativen während des New Deal. Tausende Maler, Fotografen und Schriftsteller fanden damals Lohn und Brot als staatliche Angestellte. Und es kam keineswegs nur blutarme Subventionskunst dabei heraus. Die Fotografien, die Dorothea Lange, Walker Evans und andere im Auftrag der Farm Security Administration von den notleidenden Bauern der "Dust Bowl" machten, gehören zu den bedeutendsten Dokumentarfotografien des 20. Jahrhunderts.JÖRG HÄNTZSCHEL

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Das entfesselte Wort

Spätstil der kurzen Sätze: Franz Müntefering liest ein Buch über Friedrich Nietzsche, um seine politische Rhetorik zu schulen

Münte hat Kante. Zur Zeit der rot-grünen Koalition wurde der SPD-Parteisoldat Franz Müntefering für sein lakonisches, prägnantes Sprechen in kurzen Sätzen berühmt, nach dem Muster Schröder gut, Agenda gut, SPD gut . . . Und seit seinem Wiederantritt als Parteivorsitzender mochte die deutsche Öffentlichkeit den Eindruck gewinnen, dass sich diese Redeweise Münteferings gleichsam aus sich selbst heraus zu einem eigentümlichen, gelegentlich bis zum Kryptischen verdichteten Spätstil entwickelt habe.

Doch trügt der Schein, die Sprache des angeblich letzten politischen Urgesteins speise sich bloß aus "Volksschule Sauerland" (Müntefering) und seiner Lebens- und Redeerfahrung. Müntefering hat sich nicht nur einst als moderner Literat versucht (SZ vom 3. Januar), er ist auch heute ein belesener Mann. Der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gab er gerade wieder Auskunft über seine Lektüre in der ruhigeren Zeit vor seinem zweiten Parteivorsitz (Lesehaltung: "Ich saß mit Pantoffeln zu Hause, Füße auf dem Tisch"). Neben "Romantik" von Rüdiger Safranski - von dem Müntefering ausdrücklich die Ansicht übernimmt, Politik und Romantik gehörten nicht zusammen - und einem Buch über die Geschichte der Mobilität nannte er "ein interessantes Werk über die Rhetorik bei Nietzsche, über die kurzen Sätze und was man mit Pausen und Ausrufezeichen so alles machen kann".

Was hat Müntefering da studiert? Es handelt sich um das vor zwei Jahren erschienene Werk "Das entfesselte Wort" des emeritierten Stuttgarter Germanisten Heinz Schlaffer. Nietzsche, das ist ja nicht gerade ein Held der Arbeiterbewegung, aber bei ihm lässt sich mit Hilfe von Schlaffers Analysen unter anderem lernen, "wie die Sätze zur Spruchform drängen". Solch markante Prägnanz hat Münte ja soeben auch mit der Zuschreibung einer "nationalen sozialen Politik" an die Linkspartei wieder vorgeführt.

Des Weiteren wird in dem Buch an Nietzsches Spätstil demonstriert, mit welchen Mitteln man in schriftlich präparierten Texten die Illusion spontaner Mündlichkeit erzeugt. Das dabei als Beispiel behandelte "Wohlan!" in einem Text Nietzsches erinnert nicht von ungefähr an Münteferings "Glückauf!". Und wie auf dessen Parteitagsrhetorik gemünzt, kann man mit Müntefering über Nietzsche bei Heinz Schlaffer lesen: "Gerade das Schwanken zwischen poetischer Euphorie und prosaischer Ernüchterung ruft einen Zustand leidenschaftlicher Ungeduld hervor."

Der späte Münte lernt also beim späten Nietzsche - und spricht nicht in der Tat auch aus Franz Münteferings Sprache, wie Schlaffer über Nietzsche schreibt, "der tragische und dennoch hoffnungsvolle Heroismus einer unbestimmten, jedenfalls aber gewaltigen Aufgabe"? JOHAN SCHLOEMANN

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NACHRICHTEN

Der Kunstsammler Charles Saatchi sucht für eine Fernsehsendung auf BBC "Saatchi's Best of British" junge Künstler. Die Kandidaten sollen mit Saatchis Hilfe ihren Stil weiterentwickeln; der Gewinner darf seine Arbeit auf Saatchis geplanter Ausstellung in der Eremitage in Sankt Petersburg vorstellen.

Hamburgs Ballett-Intendant John Neumeier hat seinen Vertrag bis 2015 verlängert und ist damit der dienstälteste Ballett-Chef der Welt. Der 66-jährige Choreograph leitet das Hamburger Ballett seit 1973 und führte die Compagnie in dieser Zeit zu Weltruhm.

Der Goldene Löwe des Filmfestivals von Venedig für das Lebenswerk geht in diesem Jahr an den amerikanischen Trickfilmregisseur John Lasseter ("Toy Story") und die Disney-Pixar Animations Studios. Erstmals zeichnet Venedig nicht nur das Lebenswerk einer einzelnen Person aus, sondern den Beitrag aller beteiligten Regisseure. SZ

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Notruf vom Treppchen

Österreichs Biathleten sind endlich in die Weltspitze vorgestoßen, bangen aber um ihre Teilnahme an den Olympischen Spielen

Antholz/München - Es war ein furioser Schlussspurt, ein Finale, wie es sich Österreichs Biathlonvermarkter nur wünschen konnten. Erst lief der Frojacher Christoph Sumann als Führender in die letzte Runde, hielt dem Ansturm der Verfolger lange stand, und dann, als er vom Feld der gierigen Deutschen, Russen und Norweger geschluckt worden war, schoss aus dieser Gruppe plötzlich der junge Pillerseetaler Dominik Landertinger hervor. Er bog als Erster auf die Zielgerade, und wäre er am Ende nicht gestrauchelt, wer weiß, vielleicht hätte am Sonntag nicht der junge Deutsche Christoph Stephan seinen ersten Weltcupsieg gefeiert, sondern der junge Österreicher Dominik Landertinger.

Mehrfach kann man das jetzt auslegen. Eine knappe Niederlage für Landertinger war es gewiss, andererseits aber auch ein wichtiger Sieg für die gesamte Biathlonabteilung des Österreichischen Skiverbandes (ÖSV). Denn außer um Einzelerfolge geht es für Austrias Biathleten zurzeit noch um weit mehr. Im österreichischen Wintersport ist der Streit um die Aufarbeitung des Dopingskandals von Olympia 2006 neu ausgebrochen, und dabei kann der ÖSV jeden Podestplatz gebrauchen, weil dieser die öffentliche Meinung auf seine Seite bringt. Gewinnt er das Ringen mit dem eigenen Nationalen Olympischen Komitee (ÖOC), wartet auf seine Biathleten eine blendende Zukunft. Verliert er, stehen sie vor einer beispiellosen Blamage: Dem ÖSV wäre eine Weltneuheit gelungen - er hätte eine Biathlon-Mannschaft mühsam aufgebaut, die als erste in der Geschichte des Landes zu den Favoriten bei Olympia zählt, dort aber nicht antreten darf.

Im Dezember hatte Österreichs Mannschaft schon ein Staffelrennen gewonnen, in Oberhof siegte Sumann im Massenstart, und Landertinger läuft ohnehin mit Gütesiegel. Der fünfmalige Olympiasieger Ole Einar Björndalen bezeichnete ihn als Ausnahmetalent und potentiellen Nachfolger seiner selbst. Voraussetzung dafür ist aber, dass nicht eintritt, was ÖSV-Präsident Schröcksnadel gerade im Fernsehen befürchtete: "Wir werden unsere Biathleten nicht zu Olympia 2010 nach Vancouver schicken können. Wir dürfen ja keine Betreuer dort haben."

Natürlich soll damit nicht Schröcksnadel als Spaßverderber dastehen, sondern das ÖOC. Nachdem das Internationale Olympische Komitee (IOC) 2006 bereits die Biathleten Rottmann und Perner lebenslang von Olympia verbannt hatte, schloss das ÖOC auch nahezu den gesamten Betreuerstab von allen künftigen Spielen aus. Man hatte in die Trainer Walter Gapp und Alfred Eder, in Abteilungsleiter Markus Gandler und einige Serviceleute kein Vertrauen mehr. Deren Einlassung, von dem Dopingarsenal in der Unterkunft nichts mitgekriegt zu haben, erschien dem ÖOC unglaubwürdig. Zudem war das Team zur Last geworden: Das ÖOC bewarb sich seinerzeit um die Winterspiele 2014.

Gandler will sich "als Betroffener heraushalten", er sagt nur: "Es muss eine Lösung geben." Seitens des Skiverbandes hat man indes eine sehr konkrete Vorstellung davon: Alle Betreuer, die, so ÖSV-Sprecher Josef Schmid, "unschuldig sind", sollen begnadigt werden. Eine Zwischenlösung, die einen Teil der Verbannten zu Olympia lässt, wird abgelehnt. Man hält zusammen, Schmid sagt: "Eine zweite Garnitur haben wir nicht."

Nicht ganz ohne Zufall dürfte Schröcksnadels Notruf in diese Zeit gefallen sein, im ÖOC wird gerade viel diskutiert. Am 13. Februar trifft sich die Generalversammlung zu Debatten um die Zukunft und für Neuwahlen. Vorab geben sich Österreichs Olympier bedeckt. Eine knappe Presseerklärung im Internet verwies darauf, dass die Olympiamannschaft erst in zwölf Monaten vom ÖOC berufen wird: "Den Fachverbänden obliegt dazu das Vorschlagsrecht für die Betreuer." Bis heute gebe es vom ÖSV aber keine konkrete Anfrage.

Man will also in Ruhe beratschlagen, der Fall enthält schon genügend Brisanz. Denn Schröcksnadels lauter Vorstoß erschwert nun eine stille Begnadigung, eine Lösung ohne Gesichtsverlust. ÖOC-Generalsekretär Heinz Jungwirth hatte vor zwei Jahren noch befürchtet, ganz Österreich könnte von Olympia ausgeschlossen werden. Das ÖOC signalisiert zwar auch Entgegenkommen, es müsste aber über seinen Schatten springen. Personen, denen man unterstellte, sie könnten Verstöße gegen das Antidopinggesetz nicht verhindern, sollen in Erfolgszeiten plötzlich begnadigt werden? Und - wie erklärt man das dem IOC?

Die Fragen dürften Österreichs Skijäger noch eine Weile verfolgen, aber Schmid sagt: "Die wissen das ja schon lange." Nach einer dreitägigen Pause beginnt am Donnerstag die Vorbereitung auf die WM in Südkorea, wo Landertinger, Sumann und die anderen das ÖOC mit weiteren Siegen unter Druck setzen können. Dass die vielleicht entscheidende Sitzung gerade während der WM stattfindet, wird die Biathleten des ÖSV nicht nervös machen, glaubt Gandler: "Da sind wir weit genug weg." Volker Kreisl

Steht für die Zukunft des österreichischen Biathlons: Dominik Landertinger, Zweiter beim Weltcup-Massenstart in Antholz Foto: Reuters

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Im Fangzaun gelandet

Beim Super-G von Cortina scheidet Maria Riesch erneut aus

Cortina d'Ampezzo - Die Schweizer Skirennläuferin Lara Gut ist nur 1,60 Meter groß, es sieht beeindruckend aus, wenn sie vom Zielraum der Weltcupstrecke in Cortina zum Parkplatz hochstapft, die langen Ski auf der einen, die Skischuhe auf der anderen Schulter. Sie ist außer Atem, als sie stehen bleibt. Sie sagt: "Es war heute hässlich zum Fahren." Hässlich? Das will man dann natürlich auch von Maria Riesch wissen, der deutschen Nummer eins - war es wirklich hässlich? "Naja", sagt Riesch, "ich bin ja gar nicht so weit gekommen."

Sie ist ziemlich genau 45 Sekunden lang unterwegs gewesen, dann fiel sie in einer Rechtskurve, die im Streckenprofil "Grande Curva" heißt, auf den Innenski und anschließend gegen den Fangzaun. Der Super-G von Cortina war für Maria Riesch damit vorzeitig zu Ende - wie der Riesenslalom tags zuvor. "Auf den Innenski fällt heutzutage kein Mensch mehr", kritisierte Trainer Mathias Berthold. Riesch war im Riesenslalom am Sonntag schon der gleiche Fehler unterlaufen - und auch der Schwedin Anja Pärson passierte im Super-G am Montag dieses Missgeschick. Der Unterschied: Pärson war mit Bestzeit unterwegs - Riesch lag etwa acht Zehntelsekunden zurück.

"Ihr Selbstvertrauen im Super-G ist nicht gut", stellte Berthold fest. Er war das ganze Wochenende nicht in guter Stimmung; dass die zweite Deutsche, Viktoria Rebensburg, Platz 47 belegte, besserte die Laune auch nicht. Er holte dann auch gleich aus zum Schlag gegen den Weltverband Fis, gegen das System der Startnummernvergabe, das seit voriger Saison besagt, dass die besten sieben Läuferinnen der Disziplinwertung in einem Nummernkorridor von 15 bis 22 gelost werden: Auf Pisten wie in Cortina, wo weicher Schnee von der Sonne gewärmt wird, hätten vordere Startnummern Vorteile. Am Montag standen zehn der ersten 14 Läuferinnen am Ende auch unter den ersten 14 der Ergebnisliste, ganz oben mit der Schwedin Jessica Lindell-Vikarby, der Österreicherin Anna Fenninger und der Schweizerin Andrea Dettling die Startnummern neun, fünf und drei. Als Entschuldigung wollte Berthold das nicht verstanden wissen: "Letztes Jahr, als es gut für uns lief, haben wir ja auch nichts gesagt."

Dieses Jahr aber läuft es anders: Für Maria Riesch begann die Saison zwar ausgezeichnet, seit ihrem Ausscheiden in der Superkombination von Altenmarkt/Zauchensee voriges Wochenende aber ist sie in fünf Rennen dreimal ausgeschieden. Ausgerechnet vor dem Heim-Weltcup in Garmisch und der WM scheint sie ihre Form zu verlieren. "Das will ich mir gar nicht einreden", sagt sie; sie versuche sogar, es positiv zu sehen: "Jetzt habe ich in Garmisch nicht so viel Druck, weil die Erwartungen nicht mehr so hoch sind."

Das stimmt nur zum Teil: Die Erwartungen an die Gesamt-Zweite des Weltcups sind zwar deutlich gedämpfter - die Hoffnung des Umfelds aber bleibt. Hoffnung ist eigentlich was Schönes, aber manchmal kann sie auch einen ganz eigenen Druck erzeugen. Michael Neudecker

Entäuscht: Maria Riesch Foto: dpa

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Duell am Schlangenfluss

Ohne Spielmacher Michael Kraus suchen die deutschen Handballer ihre kleine Chance aufs WM-Halbfinale

Zadar - Von den 9,8 Millionen Menschen, die den Schluss des Handball-WM-Spiels gegen Norwegen in Deutschland am Fernsehen verfolgten, dachten vermutlich alle bis auf eine Frau in Gummersbach: Ui, jetzt brät er ihnen eins über. Bundestrainer Heiner Brand war mit erhobener Faust hinter den slowenischen Schiedsrichtern hergelaufen, er wirkte wie eine Mischung aus Waldschrat und Straßenkämpfer, und als er die Bilder am nächsten Morgen im Fernsehen sah, hat er sich ein wenig erschrocken. Seine Frau Christel aber war ganz ruhig. Als er sie am Sonntagabend nach dem Spiel anrief, sagte sie: "Heiner, du hattest dich gut unter Kontrolle."

Das stimmt zumindest insoweit, als dass nichts Schlimmeres zu befürchten stand. "Ich verabscheue Gewalt und habe noch nie jemanden geschlagen", sagte Brand am Montag, "es bestand keine Gefahr, dass ich ausraste. Das war ein Ausdruck der Ohnmacht gegenüber den Entscheidungen, die ich immer noch nicht nachvollziehen kann." In den letzten zehn Sekunden des Spiels hatten die Schiedsrichter Rechtsaußen Christian Schöne einen Freiwurf so lange wiederholen lassen, bis die Zeit abgelaufen war. Die Deutschen verloren die Hauptrundenpartie 24:25, was die Chancen aufs Erreichen des Halbfinales schmälert.

Die Szene war mindestens kurios. Der Norweger Harvard Tvedten war ausgerutscht, so dass die Deutschen noch eine letzte Chance zum Ausgleich hatten. Da der Ball nicht im Aus war, hätte es Freiwurf geben müssen. Die Schiedsrichter begründeten das Zurückpfeifen Schönes jedoch damit, dass sie Einwurf gegeben hätten. "Es war vieles möglich in dieser Szene, nur nicht das, was die beiden Herren getan haben", sagte Brand, "wenn sie ein Gewissen haben, müsste es ein schlechtes sein."

Die Spieler hatten die Partie am Montag gut verdaut, Handballer sind an seltsame Schiedsrichter gewöhnt. "Es wäre das Schlechteste, jetzt weiter darüber nachzudenken", sagte Linksaußen Dominik Klein, "wir müssen uns ganz auf das Spiel gegen Dänemark konzentrieren." Es ist das dritte große Spiel gegen die Dänen innerhalb von zwölf Monaten, das EM-Halbfinale 2008 und das entscheidende Vorrundenspiel bei Olympia haben die Deutschen verloren. Klein benutzte ein interessantes Bild, um die Situation zu beschreiben, er sagte: "Wir sind jetzt am Schlangenfluss, da muss es links oder rechts rum gehen."

Was Klein meint: Mit einem Sieg gegen die Dänen am Dienstag (17.30 Uhr/RTL) sind alle Fragen geklärt, dann stehen die Deutschen im Halbfinale dieser WM in Kroatien. Doch auch wer am Schlangenfluss die falsche Abzweigung nimmt, ist noch nicht verloren. Das ist einerseits tröstlich, bedeutet aber andererseits viel Rechnerei. Bei einem Unentschieden gegen Dänemark kann es auch fürs Halbfinale reichen, wenn Norwegen nicht gegen Polen gewinnt. Selbst eine Niederlage könnte reichen, man braucht zwar kein abgeschlossenes Mathematikstudium, um die entsprechende Konstellation zu berechnen, man muss aber wie Heiner Brand firm sein in Klassikern deutschen Liedguts. Brand zitierte Katja Ebstein mit den Worten: "Wunder gibt es immer wieder." Kurzum: Die Gegend am Schlangenfluss ist in Wahrheit eher unübersichtlich, was Abwehrchef Oliver Roggisch zu der Bemerkung veranlasste: "Ich habe keine Lust auf diese Rechnerei. Ich sehe das Spiel als Viertelfinale, wir müssen gewinnen, fertig."

So einfach könnte das alles in der Tat sein, wenn sich da nicht das eine oder andere neue Problem aufgetan hätte. Um fünf Uhr am Montagmorgen hat Spielmacher Michael Kraus das Mannschaftshotel in Zadar verlassen, um sieben Uhr flog er zurück nach Deutschland. Nach einem Foul und anschließender unkontrollierter Landung war er Mitte der zweiten Halbzeit gegen die Norweger umgeknickt. Mannschaftsarzt Berthold Hallmaier diagnostizierte: Verdacht auf doppelten Bänderriss im Sprunggelenk. Zudem berichtete er von mangelhafter medizinischer Versorgung in Zadar, nicht einmal Krücken habe es im Krankenhaus gegeben, die Ärzte seien überdies unfreundlich gewesen, er habe sich deshalb beim Weltverband IHF beschwert.

Rückraumspieler Pascal Hens leidet an einer Oberschenkelverhärtung, sein Einsatz ist laut Hallmaier fraglich, Hens selbst aber sagt: "Ich denke schon, dass es gehen sollte." Der Ausfall von Kraus ist kaum zu kompensieren für das Team, wenn auch noch Hens ausfiele oder nur unter starken Beschwerden spielen könnte, wäre es ein nahezu aussichtsloses Unterfangen, gegen die Europameister aus Dänemark gewinnen zu wollen. Auch wenn Brand sagt: "Sicherlich sind wir den Dänen dann unterlegen, was die individuelle Stärke angeht, aber wer uns kennt, der weiß, dass wir uns nicht geschlagen geben."

Ein bisschen klingt das alles wie das Drehbuch zu einem amerikanischen Film voller Klischees: Die junge, neu zusammengestellte Mannschaft leidet unter den Schiedsrichtern, sie verliert wichtige Spieler wegen Verletzungen, alles hat sich gegen sie verschworen, und jetzt steht das Spiel gegen die schier übermächtigen Männer des Nordens an. Keiner setzt mehr auf das junge Team, aber dann . . . Der Film hieße selbstverständlich "Duell am Schlangenfluss".

Da dies aber eine Handball-WM ist und kein Film, lässt sich nüchtern festhalten: Die Chance der Deutschen gegen die Dänen ist sehr klein. Aber immerhin, sie besteht. Christian Zaschke

Ausdruck der Ohnmacht: Die deutschen Handballer um Trainer Heiner Brand (im schwarzen Hemd) klagen vergeblich bei den Schiedsrichtern. Foto: Pixathlon

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Mehr oder weniger subtil

Von Christian Zaschke

Bei jedem großen Handball-Turnier geraten früher oder später die Schiedsrichter in den Fokus. Das liegt daran, dass sie mehr noch als in anderen Sportarten die Macht und die Möglichkeit haben, Spiele entscheidend zu beeinflussen. Man kann das subtil erledigen, da es in jeder Partie zehn bis 15 strittige Situationen gibt, in denen die Schiedsrichter so oder so entscheiden können. Foult der Kreisläufer oder der Mittelblocker? Foult der Angreifer oder der Verteidiger? Das Regelwerk ist komplex genug, um die Entscheidung bisweilen schwierig zu machen. Man kann das auch wenig subtil tun: Im Finale der EM 2000 führte Russland gegen Schweden zur Halbzeit mit sechs Toren Vorsprung und wurde anschließend von den Schiedsrichtern so lange benachteiligt, bis Schweden wieder im Spiel war. Was die Schiedsrichter am Sonntag am Ende des Spiels der Deutschen gegen Norwegen veranstalteten, war zumindest äußerst fragwürdig.

Seit dem WM-Sieg 2007, so berichtet Bundestrainer Heiner Brand, hören die Deutschen immer wieder, sie sollten sich nicht beschweren, sie hätten damals Vorteile gehabt, nun hätten eben andere Vorteile. Er glaubt, eine Tendenz gegen die Deutschen auszumachen. Ob das im Detail so ist, sei dahingestellt - tatsächlich aber ist es wichtig, eine gute Lobby beim Weltverband IHF zu haben. Denn dass auch offen betrogen wird, hat sich in der Qualifikation für die Olympischen Spiele 2008 gezeigt, als die Schiedsrichter derart unsubtil gegen die südkoreanischen Männer und Frauen pfiffen, dass die Qualifikation wiederholt werden musste. Für die kurzfristige Ansetzung der betrügenden Schiedsrichter hatte IHF-Präsident Hassan Moustafa persönlich gesorgt.

Die Möglichkeit zur Manipulation ist das eine Problem, die Überforderung vieler Schiedsrichterpaare das andere. Bei dieser WM gingen zwei Portugiesen zu Werke, die von den Spielern ausgelacht wurden, so wenig waren sie auf der Höhe des Spiels. Gerade ein körperlicher, schneller und harter Sport wie Handball braucht aber faire und höchst kompetente Schiedsrichter. Es gibt sie, aber sie sind zu wenige. Viel zu oft sind die Schiedsrichter die Geißel dieser Sportart, sei es aus Unvermögen, sei es aus bösem Willen.

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Sieg auf der Senior-Champions-Tour

Langer im Vulkanstaub

La Quinta (sid) - Deutschlands erfolgreichstem Golfer Bernhard Langer ist ein perfekter Start in die neue Saison der Senior-Champions-Tour gelungen. Der 51-Jährige sicherte sich die 315 000 Dollar Siegprämie der Hawaii-Championship. Während Langer den fünften Triumph seit seinem Debüt auf der Senioren-Tour 2007 feierte, musste sich Alexander Cejka bei der 50. Bob Hope Classic im kalifornischen La Quinta mit dem 58. Platz zufriedengeben. Den Grundstein zum 67. Sieg seiner Karriere legte Langer mit einem Birdie am 14. Loch der Par-72-Anlage des Hualalai Resorts. Mit dem sechsten Tagesbirdie hängte der Anhausener seinen Verfolger Andy Bean (USA) letztlich um einen Schlag ab. Das Turnier war teilweise stark vom Wind beeinflusst worden. Ein Opfer des Staubnebels vom Kilauea-Vulkan der Nachbarinsel wurde Brad Byrant, der von Beginn an, am ersten Tag gemeinsam mit Langer, geführt hatte. Der US-Profi wurde nach einer vom Winde verwehten 75er-Runde mit 204 Schlägen nur Achter.

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Weltcup-Pause für DSV-Skispringer

Schmitt feiert zu Hause

Whistler/Frankfurt (dpa) - Beim Skifahren und einem Bummel durch Vancouver bewältigten die müden deutschen Skispringer den Frust über ihren Absturz beim Olympia-Test in Whistler, dann ging es für das Team in einen kurzen Heimaturlaub. Drei Wochen vor den Weltmeisterschaften hatten die DSV-Springer am Sonntagabend beim Triumph von Weltcup-Spitzenreiter Gregor Schlierenzauer ihr schlechtestes Saisonergebnis abgeliefert. "Die ganze Gruppe wird nicht zum Weltcup nach Sapporo fahren, sondern zu Hause eine Regenerationsphase einlegen", sagte Bundestrainer Werner Schuster. Vor allem Schmitt, der mit Platz 14 Bester des DSV-Sextetts war, dürfte sich über die Pause freuen. Der in diesem Winter mit Abstand stärkste deutsche Skispringer wird am Donnerstag 31 Jahre alt und kann seinen Geburtstag statt im Flieger zum Weltcup nach Japan im Kreise der Familie feiern.

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Die WM-Gruppe 2

Norwegen - Deutschland 25:24 (12:12)

Serbien - Polen 23:35 (7:21)

Dänemark - Mazedonien 32:24 (13:12)

1. Dänemark 4 3 0 1 129:120 6:2

2. Deutschland 4 2 1 1 122:106 5:3

3. Polen 4 2 0 2 119:111 4:4

4. Norwegen 4 2 0 2 108:110 4:4

5. Serbien 4 1 1 2 121:133 3:5

6. Mazedonien 4 1 0 3 104:124 2:6

Letzter Spieltag, Dienstag, 27. Januar: Mazedonien - Serbien (15.30), Deutschland - Dänemark (17.30), Polen - Norwegen (20.15).

Deutschland kommt ins Halbfinale ...

- bei einem Sieg gegen Dänemark

- bei einem Remis gegen Dänemark, wenn Polen gegen Norwegen mindestens unentschieden spielt

- bei einer Niederlage gegen Dänemark, wenn Serbien gegen Mazedonien gewinnt und zudem Norwegen gegen Polen unentschieden spielt

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Konjunkturpaket der Bundesregierung

Geld für neue Hallen

Berlin (sid) - Der Sport könnte mit bis zu 4,4 Milliarden Euro vom Konjunkturpaket II der Bundesregierung profitieren. Das sagte Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD) im Deutschlandfunk. Von den 13,3 Milliarden Euro, die Bund und Länder zur Verfügung stellen, kann bis zu einem Drittel für "öffentliche Infrastruktur" ausgegeben werden, darunter fallen auch Sporthallen und Schwimmbäder. Zwei Drittel seien für die Sanierung von Bildungseinrichtungen vorgesehen. "Jetzt muss über die Länder angemeldet werden, welche Sporthalle umgebaut werden soll", erklärte Tiefensee. Wichtig sei, dass die Baumaßnahmen 2009/10 liefen und spätestens 2011 abgerechnet würden. Die Konzentration liege dabei auf der energetischen Sanierung von Hallen. Dadurch könnten Energiekosten eingespart werden. Der DOSB begrüßte das Maßnahmenpaket, das am Dienstag vom Kabinett beschlossen werden soll. "Der Investitionsstau im Sportstättenbau ist eine der größten Herausforderungen", sagte DOSB-Präsident Thomas Bach. Generaldirektor Michael Vesper lobte die Beteiligung der Vereine: "Wichtig ist, dass auch sie die Möglichkeit bekommen, die Mittel des Programms zu nutzen."

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Aktuelles in Zahlen

Basketball

Männer, Bundesliga, 18. Spieltag

Bonn - Frankfurt 84:75 (71:71, 40:38) n.V. Bremerh. - Braunschweig 96:84 (49:34)

1Göttingen 16 1209:1135 26:6

2Oldenburg 17 1331:1231 26:8

3Bonn 18 1377:1266 26:10

4Berlin 16 1285:1124 24:8

5Ulm 18 1421:1411 24:12

6Frankfurt 18 1324:1228 24:12

7Bamberg 18 1328:1277 18:18

8Ludwigsburg 18 1189:1222 18:18

9Paderborn 17 1294:1296 16:18

10Braunschweig 18 1267:1294 16:20

11Trier 18 1369:1400 16:20

12Quakenbrück 18 1397:1434 16:20

13Düsseldorf 18 1352:1392 16:20

14Nördlingen 18 1271:1316 14:22

15Tübingen 18 1297:1334 12:24

16Köln 18 1355:1415 12:24

17Giessen 18 1215:1323 10:26

18Bremerhaven 18 1299:1482 4:32

NBA

Boston - Dallas 124: 100, Golden State - Los Angeles Clippers 107:92, Los Angeles Lakers - San Antonio 99:85, Atlanta - Phoenix 99:104, Toronto - Sacramento 113:97, Detroit - Houston 105:108, Indiana - Charlotte 98:93, Minnesota - Chicago 109:108 n.V., Denver - Utah 117:97.

Eishockey

DEL, 44. Spieltag

Ingolstadt - Straubing 1:3 (0:1 0:1 1:1)

Kassel - Duisburg 2:5 (1:2, 1:0, 0:3)

Iserlohn - Krefeld 5:8 (1:2, 3:3, 1:3)

Frankfurt - Mannheim 3:5 (2:1 0:2 1:2)
1 Hannover Scorpions 44 146:123 88
2 Eisbären Berlin 43 163:118 81
3 Adler Mannheim 43 122:99 76
4 Krefeld Pinguine 44 146:113 75
5 DEG Metro Stars 43 134:114 73
6 Frankfurt Lions 44 127:127 72
7 Augsburger Panther 43 134:149 69
8 Nürnberg Ice Tigers 42 123:111 68
9 Grizzly Wolfsburg 45 155:129 65
10 Hamburg Freezers 44 128:128 64
11 Iserlohn Roosters 43 144:150 64
12 Straubing Tigers 44 123:138 58
13 ERC Ingolstadt 43 114:128 53
14 Kassel Huskies 44 124:149 52
15 Kölner Haie 43 117:135 51
16 Füchse Duisburg 44 98:187 35

Fußball

England, FA-Cup, 4. Runde

FC Liverpool - FC Everton 1:1, Cardiff - FC Arsenal 0:0, Hull City - FC Millwall 2:0, FC Sunderland - Blackburn Rovers, Sheffield United - Charlton Athletic 2:1, FC Portsmouth - Swansea City 0:2, FC Chelsea - Ipswich Town 3:1, Doncaster Rovers - Aston Villa 0:0, Manchester United - Tottenham Hotspur 2:1

Italien, 20. Spieltag

Lazio Rom - Cagliari Calcio 1:4
CFC Genua - Catania Calcio 1:1
FC Bologna - AC Mailand 1:4
SSC Neapel - AS Rom 0:3
US Lecce - FC Turin 3:3
US Palermo - Udinese Calcio 3:2
AC Siena - Atalanta Bergamo 1:0

1 Inter Mailand 20
34:15 46 2 Juventus Turin 20
33:14 43 3 AC Mailand 20
35:21 40 4 CFC Genua 20
30:18 36 5 SSC Neapel 20
27:21 33 6 AS Rom 20
29:25 33 7 AC Florenz 20
26:18 32 8 US Palermo 20
29:25 32 9 Lazio Rom 20
31:29 31 10 Cagliari Calcio 20
26:23 28 11 Atalanta Bergamo 20
26:24 27 12 Catania Calcio 20
20:24 26 13 AC Siena 20
15:19 25 14 Udinese Calcio 20
28:32 23 15 Sampdoria Genua 19
16:23 20 16 FC Bologna 20
23:33 19 17 US Lecce 20
19:30 18 18 FC Turin 20
21:36 16 19 Chievo Verona 20
13:29 16 20 Reggina Calcio 20
17:38 13

Spanien, 20. Spieltag

FC Málaga - Atlético Madrid 1:1
Valladolid - Espanyol Barcelona 1:1
Recreativo Huelva - Betis Sevilla 1:0
FC Getafe - Sporting Gijon 5:1
RCD Mallorca - FC Valencia 3:1
UD Almeria - Athletic Bilbao 2:1

1 FC Barcelona 20 63:14 53
2 Real Madrid 19 41:27 38
3 FC Sevilla 20 28:18 38
4 FC Valencia 20 39:30 34
5 FC Villarreal 20 33:26 34
6 Atlético Madrid 20 43:31 32
7 FC Málaga 20 32:28 32
8 Deportivo La Coruña 19 23:27 30
9 Racing Santander 20 23:23 28
19 Athletic Bilbao 20 28:31 26
11 FC Getafe 20 29:31 24
12 Real Valladolid 20 28:31 24
13 UD Almeria 20 22:29 24
14 Sporting Gijon 20 27:44 24
15 Recreativo Huelva 20 18:28 23
16 Betis Sevilla 20 25:27 21
17 CD Numancia 20 25:41 20
18 RCD Mallorca 20 21:38 17
19 Espanyol Barcelona 20 18:33 16
20 CA Osasuna 20 21:30 14

Golf

Champions Tour der Senioren in Hawaii

(1,8 Mio. Dollar/Par 72)

Endstand: 1. Langer (Anhausen) 198 (64+66+68) Schläge, 2. Bean 199 (67+66+66), 3. Haas (beide USA) 201 (65+66+70),

US-Tour in La Quinta/Kalifornien

(5,1 Mio. Dollar/Par 72)

Endstand: 1. Perez (USA) 327 (61+63+67+67+69) Schläge; 2. Merrick (USA) 330 (68+65+67+63+67); 3. Stricker (USA) 332 (65+67+61+62 +77) und Weir (Kanada) 332 (62+70+67+66+67); 5. Ames (Kanada) 333 (71+63+70+66+63), Clark (Südafrika) 333 (66+69+63+ 66+69), Simpson (USA) 333 (68+66+64+66+69) und van Pelt (USA) 333 (66+65+68+67+67); ...58. Cejka (München) 342 (68+67+ 68+70+69)

Handball

Männer, Weltmeisterschaft in Kroatien

Gruppe 1, in Zagreb

Slowakei - Südkorea 23:20 (15:12)

Frankreich - Schweden 28:21 (16:10)

Ungarn - Kroatien 22:27 (12:14)

Schweden - Ungarn 30:31 (18:16)

Südkorea - Frankreich 21:30 (15:15)

Kroatien - Slowakei 31:25 (18:13)

1. Frankreich* 4 4 0 0 120:90 8:0

2. Kroatien* 4 4 0 0 115:99 8:0

3. Ungarn 4 1 1 2 99:108 3:5

4. Slowakei 4 1 1 2 98:110 3:5

5. Schweden 4 1 0 3 108:114 2:6

6. Südkorea 4 0 0 4 71:81 0:8

*: bereits für das Halbfinale qualifiziert.

Gruppe 2 in Zadar

Norwegen - Deutschland 25:24 (12:12)

Serbien - Polen 23:35 (7:21)

Dänemark - Mazedonien 32:24 (13:12)

1. Dänemark 4 3 0 1 129:120 6:2

2. Deutschland 4 2 1 1 122:106 5:3

3. Polen 4 2 0 2 119:111 4:4

4. Norwegen 4 2 0 2 108:110 4:4

5. Serbien 4 1 1 2 121:133 3:5

6. Mazedonien 4 1 0 3 104:124 2:6

Letzter Spieltag, Dienstag, 27. Januar: Mazedonien - Serbien (15.30), Deutschland - Dänemark (17.30), Polen - Norwegen (20.15).

Ski alpin

Frauen, Weltcup in Cortina d'Ampezzo

Super G: 1. Lindell-Vikarby (Schweden) 1:25,13 Min.; 2. Fenninger (Österreich) 1:25,94; 3. Dettling (Schweiz) 1:26,00; 4. Dumermuth (Schweiz) 1:26,05; 5. Fanchini (Italien) 1:26,07; 6. Kamer (Schweiz) und Gut (Schweiz) b. 1:26,08; 8. Vonn (USA) 1:26,12; 9. Fischbacher (Österreich) 1:26,18; 10. Aufdenblatten (Schweiz) 1:26,21; ...48. Rebensburg (Kreuth) 1:28,93; Riesch (Partenkirchen) ausgeschieden

Super-G-Weltcup (3/7): 1. Fanchini 205 Punkte, 2. Suter (Schweiz) 176, 3. Lindell-Vikarby 156, 4. Gut 140, 5. Dettling 124, 6. Fischbacher 115, 7. Pärson 100, 8. Fenninger 93, 9. Aufdenblatten 77, 10. Janyk (Kanada)

Gesamtweltcup (20/34): 1. Vonn 914 Punkte, 2. M. Riesch 810, 3. Pärson und Kathrin Zettel (Österreich) je 775, 5. Poutiainen (Finnland) 684, 6. Görgl (Österreich) 413, 7. Maze (Slowenien) 407, 8. Zahrobska (Tschechien) 405, 9. Hosp (Österreich) 404, 10. Gut 399, 22. Hölzl (Bischofswiesen) 205, 45. Stechert 78, 50. Chmelar (Partenkirchen) 65, 52. S. Riesch (Partenirchen) 63, 53. Bergmann (Lam) 62, 58. Rebensburg 58, 90. Geiger (Oberstdorf) 16

Ski Nordisch

Springen, Weltcup in Whistler/Kanada

2. Spirngen, Großchance: 1. Schlierenzauer (Österreich) 293,2 (137,5/149,0 m), 2. Morgenstern 291,7 (140,5/141,0), 3. Larinto 272,3 (137,0/149,0), 4. Malysz 264,8 (133,0/135,5); 5. Loitzl (Österreich) 260,5 (125,0/140,0), 6. Ammann 254,8 (124,0/142,0), 7. Kornilow (Russland) 248,3 (125,0/136,0), 8. Wassiljew 246,5 (130,0/135,0), 9. Hilde (Norwegen) 243,9 (124,5/136,0), 14. Schmitt 235,9 (120,0/135,5), 17. Uhrmann 232,2 (127,5/126,5), 20. Schoft 225,0 (129,0/121,0), 22. Hocke 223,9 (122,5/128,0), 39. Freund 86,0 (112,5), 43. Bodmer 77,8 (108,5), , 39. Schoft 40.

Gesamtwertung, nach 17 von 28 Wettbewerben:1. Schlierenzauer 1320 Pkt., 2. Ammann 1212, 3. Loitzl 1106, 4. Schmitt 586, 5. Morgenstern (Österreich) 568, 6. Larinto 503, 7. Wassiljew 461, .13. Uhrmann , 17. Neumayer (Berchtesgaden) 249, 26. Hocke 117.

Tennis

Australian Open, Melbourne (12,02 Mio.$)

Männer, Achtelfinale: Nadal (Spanien/1) - Gonzalez (Chile/13) 6:3, 6:2, 6:4; Simon (Frankreich/6) - Monfils (Frankreich/12) 6:4, 2:6, 6:1 Aufgabe, Verdasco (Spanien/14) - Murray (Großbritannien/4) 2:6, 6:1, 1:6, 6:3, 6:4; Tsonga (Frankreich/5) - James Blake (USA/9) 6:4, 6:4, 7:6 (3)

Frauen, Achtelfinale: Suarez-Navarro (Spanien) - Garrigues (Spanien/21) 6:3, 6:2; Dementjewa (Russland/4) - Cibulkova (Slowakei/18) 6:2, 6:2; Kusnezowa (Russland/8) - Zheng (China/22) 4:1 Aufgabe; Serena Williams (USA/2) - Asarenka (Weißrussland/13) 3:6, 4:2 Aufgabe Asarenka

Sport im Fernsehen

Dienstag, 27. Januar

9.30 - 14.00 Uhr, Eurosport: Tennis- Australian Open in Melbourne, Viertelfinale

15.25 - 22.00, DSF: Handball - WM Männer, Hauptrunde, Mazedonien - Serbien, Slowakei - Schweden, Frankreich - Kroatien

17.30 - 19.00, RTL: Handball - WM Männer, Hauptrunde, Deutschland - Dänemark,

18.15 - 19.00, Eurosport: Ski alpin - Weltcup Slalom, Männer in Schladming, 1. Lauf

18.30 - 22.30, Premiere: Fußball - DFB Pokal, Achtelfinale - Konferenz

20.15 - 23.15, ZDF: Fußball - DFB-Pokal, Achtelfinale VfB Stuttgart - Bayern München 20.45 - 21.45, Eurosport: Ski alpin - Weltcup Slalom, Schladming 2. Lauf

3.00 - 7.15 Uhr, Eurosport: Tennis - Australian Open in Melbourne, Viertelfinale

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DFB-Pokal Achtelfinale

Dienstag

Carl Zeiss Jena - Schalke 04 19.00

Hamburger SV - 1860 München 19.00

SC Freiburg - FSV Mainz 05 20.30

VfB Stuttgart - Bayern München 20.30 (ZDF)

Mittwoch

Borussia Dortmund - Werder Bremen 19.00

Bayer Leverkusen - Energie Cottbus 19.00

VfL Wolfsburg - Hansa Rostock 20.30

Karlsruher SC - SV Wehen Wiesbaden 20.30

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Schwerer Start für FC Bayern

Keine Scherze erlaubt

München - Im Sommer ruckelte und holperte der FC Bayern durch die Vorbereitung, so verlief auch der Saisonstart. Diesmal gibt es keine Unwetterwarnung. Von Abu Dhabi über Bamberg bis Kaiserslautern und Mainz siegten die Münchner gegen alle Sparringspartner, Trainer Jürgen Klinsmann sieht sein Team "auf einem ganz anderen Leistungsniveau als im August, jetzt ist Leben drin." Die einzigen Ruhestörungen kamen zuletzt von der Transferbörse, so meldet auch Manager Uli Hoeneß, man sei "nach menschlichem Ermessen optimal vorbereitet". Subtext: Dies wäre leider wertlos, wenn am Dienstag der Ernstfall misslänge: die schwere Pokalprüfung beim VfB Stuttgart.

2009 beginnt für den FC Bayern, wie 2008 aufhörte, auf Spitzenspiel folgt Spitzenspiel folgt Spitzenspiel. In der Bundesliga: Hamburg (Freitag), Dortmund, Hertha. Und als Pokalpräludium: Stuttgart, wie im letzten Ligaspiel vor Weihnachten (2:2). Diesmal dringt ein Sieger ins Viertelfinale vor: "Mit K.o.-Spielen ist nicht zu scherzen", warnt Klinsmann. Bei einem Ausscheiden wäre sein erster Titel hinfällig, und an Titeln wird er gemessen.

"Ernten, nachlegen, nur nicht nachlassen", lautet der klare Arbeitsauftrag von Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, anknüpfend an das Hoch im Spätherbst, seit dem die Bosse ihren Trainer loben. Uli Hoeneß berichtete zuletzt von regem Meinungaustausch beim Mittags-Espresso - mit einem keineswegs "sturen" Klinsmann. Verteidiger Philipp Lahm pries das "schnellere Angriffsspiel" dieser Saison, forderte jedoch, die Abläufe "in der Defensive zu verfeinern". Personell punktete Klinsmann betriebsintern durch Rückbesinnung auf Bewährtes. Den Verzicht auf weiterführende Wagnisse mit jungen Reservisten bezeichnet er inzwischen als "Stilwechsel" seines ersten Halbjahrs.

Auch beim VfB Stuttgart, dessen Stürmer Cacau (Nierenkolik) fehlt, plant Klinsmann nichts Verrücktes. Verteidiger Daniel van Buyten, der um Einlass in die Stammelf kämpft, fällt mit Darminfekt aus. Leihangreifer Landon Donovan zeigte sich in der Vorbereitung agil und torgefährlich, er hat Lukas Podolski (Rehatraining) als Stürmer drei verdrängt. Rekonvaleszent Altintop ist eine neue Variante für die rechte Seite, vorerst aber hat wohl die Vorweihnachtself einen Bonus.

Für den Sommer hat Bayern nach dem Crash des globalen Casinokapitalismus bisher zwei gebührenfreie Transfers verabredet. Doch Lahm forderte am Montag, neben Stürmer Olic (HSV) und Talent Baumjohann (Gladbach) weitere "Leute mit Weltklasseformat zu holen", um den Abstand zu Europas Spitze zu verringern. "National", ist Lahm überzeugt, sei Platz eins die angemessene Heimat, "da können wir uns nur selbst im Weg stehen". mok

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Eine phantastische Krise

VfB-Stürmer Mario Gomez hat ein schwieriges Jahr hinter sich - aber Stuttgart nimmt Pokal-Gegner Bayern sein Desinteresse nicht ab

München - In zwei Wochen ist wieder Länderspiel, die Norweger kommen zum Test nach Düsseldorf. Wie man die Nationalmannschaft kennt, wird es dann wieder darum gehen, ob (und wie) Torsten Frings spielt und welcher Torhüter das Tor hütet. Und nachdem Norwegen nicht zu den Top-Ten-Nationen gehört, kann man schon mal davon ausgehen, dass Lukas Podolski zwei bis vier Tore schießt.

Es könnte sein, dass Mario Gomez dann wieder sehr tapfer sein muss. Er wird vermutlich irgendwann eingewechselt, für den vierfachen Torschützen vielleicht, und gehen wird es später höchstens darum, ob Gomez aktuell Deutschlands Stürmer Nummer drei ist (hinter Klose/Podolski, vor Helmes), oder ob er auf Platz vier zurückgerutscht ist. Immerhin: Falls er in diesem Spiel zufällig eine gute Chance vergibt, dann weiß er jetzt schon, was die Leute denken, "Die denken dann: Was will der Gomez hier schon wieder", sagt Mario Gomez, "der hat's doch bei der EM erst vergeigt."

Im vergangenen Mai, beim Trainingslager der Nationalelf, saß Mario Gomez in einem Presseraum auf Mallorca und sagte, was ein junger, europaweit umworbener Stürmer laut Branchenknigge so sagen muss. Er sagte, dass er sich über die guten Kritiken freue; dass er aber wisse, dass irgendwann andere Zeiten kämen. Heute sagt Mario Gomez: "Dass die anderen Zeiten so schnell kommen, habe ich aber auch nicht erwartet." Die Wucht des Fußballbetriebs hat ihn seitdem voll erwischt: Im EM-Spiel gegen Österreich unterlief ihm jene Slapstick-Szene, die bis heute in jeder gut sortierten Kuriositätensammlung zu finden ist. Statt den Ball über die Linie zu drücken, schickte er ihn steil nach oben, und man brauchte schon die zweite Zeitlupe, um jenes hinterlistige Komplott zu enttarnen, auf das Österreich vermutlich bis heute stolz ist. Höhnisch titschte der Ball auf einen liebevoll aufgeschütteten Grashügel und von dort an Gomez' Schienbein - und von da flog der Ball direkt weiter in die Erinnerung der Menschen, wo er bis heute liegt.

Wenn Gomez nun mit dem VfB Stuttgart im Pokal gegen den FC Bayern in die Rückrunde startet, dann kämpft er immer noch gegen diesen einen gemeinen Ball. Sieben Ligatore hat Gomez in der Vorrunde erzielt, das ist nicht schlecht, und im Uefa-Cup traf er in sechs Spielen fünfmal, das ist sogar ziemlich gut. Aber wenn er vorbeischießt, heißt es in der Öffentlichkeit entweder: Dem spukt die EM noch im Kopf herum! Oder: Hat ihm das Angebot des FC Bayern doch den Kopf verdreht! "Ich merke, dass selbst die Leistungen im Verein immer noch mit der EM in Verbindung gebracht werden", sagt Gomez. "Ich möchte endlich wieder danach beurteilt werden, was ich aktuell leiste."

Mario Gomez hat beschlossen, dass er keine Lust mehr hat, sich zu rechtfertigen. In der Nationalelf darf man ihm ruhig eine Krise unterstellen, "elf Spiele ohne Tor", sagt er, "das ist ja wirklich unbefriedigend." Aber wenn das, was er beim VfB Stuttgart gerade spielt, eine Krise sein soll, dann würden viele Stürmer ein Monatsgehalt (inkl. Prämien) opfern, wenn sie endlich auch mal so eine phantastische Krise haben dürften. Wenn Mario Gomez eine Krise hat, dann ächzt und knirscht sein Spiel ein bisschen, es sieht nicht mehr ganz so rund und selbstverständlich aus. Aber in der 83. Minute schießt er dann immer noch das 1:0.

Mario Gomez war jetzt auf den Malediven im Winterurlaub, er fühlt sich bestens erholt von jenem Jahr 2008, "das vor allem im Kopf sehr lang war", wie er sagt. Für Fußballer voller Tatendrang gibt es keinen günstigeren Gegner als die Bayern, aber im Fall Gomez kann man sich da nicht so sicher sein. Der Arme weiß ja, dass ihm schon wieder jeder Schuss, jedes Tor und erst recht jedes Wort falsch ausgelegt werden kann. Im Sommer warben die Bayern massiv um ihn, und dass sie nun die Finanzkrise nutzen, um ihre Liebe für abgekühlt zu erklären, nimmt ihnen die Branche nicht recht ab. Beim VfB tendieren sie dazu, das bayerische Desinteresse für eine Kriegslist zu halten, die den Preis drücken soll. "Brutal aus dem Fenster gelehnt" hätten sich die Münchner, sagt einer aus der Beraterszene; die Bayern hätten dem Spieler so klar signalisiert, dass sie ihn wollen, dass sie den Transfer nicht einfach stornieren könnten, ohne den Spieler ernsthaft zu vergrätzen - und womöglich auf Dauer zu verlieren.

"Recht entspannt" sei er in dieser Sache, sagt VfB-Manager Horst Heldt. Auf sein Konto geht ja die Vertragsklausel, wonach Gomez nur gegen eine Gebühr von etwa 30 Millionen vorzeitig die Stadt verlassen darf - aber nur ins Ausland. Für einen Freistaat gilt die Klausel nicht, ebensowenig für die Großregion Rhein-Neckar. In Stuttgart rechnen sie damit, dass auch die TSG Hoffenheim im Sommer ein Angebot für Gomez unterbreiten wird, aber das ist nicht das Angebot, das sie fürchten. Heldt weiß leider sehr genau, dass internationale Topklubs diesen einen gemeinen Ball gegen Österreich nicht zum Anlass nehmen, um über einen Spieler zu richten. "Die großen Klubs machen ihre Planungen nicht von einer EM abhängig", sagt Heldt, "sie beobachten Mario schon lange und wissen, dass es nicht viele 23-jährige Stürmer mit solchen Anlagen gibt."

"Im Moment gibt es keinen Grund zu sagen: Ich muss sofort weg", sagt Mario Gomez, aber in Stuttgart ahnen sie, dass sich nicht alle Bewerber so einfach abschütteln lassen wie jener, der am 30. August 2008 vorstellig wurde. Zwei Tage vor Ende der Transferfrist war Manchester Citys Scheich Sulaihman al Fahim eingefallen, dass er seinem neuen Klub zum Einstand einen schicken Stürmer schenken könnte. Die VfB-Vertragsklausel sei ihm egal, ließ er über einen Unterhändler mitteilen und ein angeblich 40 Millionen schweres Angebot platzieren. Aber Gomez war nicht interessiert, und als der Unterhändler beim VfB um einen Termin bat, hatte Horst Heldt leider keine Zeit.Christof Kneer

Das sind die Daten, die Europa interessieren: Mario Gomez (hier im Duell mit Bayern-Verteidiger Martin Demichelis), Stürmer, 23 Jahre alt, 105 Bundesligaspiele, 46 Tore. Auch der FC Bayern ist schon seit einiger Zeit am Angreifer des VfB Stuttgart interessiert, hat zuletzt aber - offiziell - Abstand genommen von einer Verpflichtung im kommenden Sommer. "Solche Summen, wie sie in seiner Vertragsklausel stehen, sind der Öffentlichkeit im Moment nicht vermittelbar", sagt Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge. Beim VfB Stuttgart rechnen sie trotzdem mit einem Angebot. Foto: ddp

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Ehrenwerte Leute, ungutes Gefühl

Votum für Erfolg und Gewinn: Die HSV-Mitglieder lehnen bei der Wahl zum Aufsichtsrat die Kandidaten kommerzkritischer Fans ab

Hamburg - Man hatte an alles gedacht vor der größten Mitgliederversammlung in der Geschichte des Hamburger SV. Man hatte genug Erbsensuppe ankarren lassen, einen Security-Service angeheuert und natürlich auch eine Zählmaschine, damit die Auszählung der abgegebenen Stimmen für den neuen Aufsichtsrat nicht bis zum nächsten Tag dauern würde. 4911 Mitglieder waren am Sonntag in den größten Saal des Congress Centrums gepilgert, um die Frage zu beantworten, wer künftig den Vorstand des HSV kontrollieren soll. Ein Aufsichtsrat mit vor allem wirtschaftlicher Kompetenz oder einer, in dem eine Gruppe kommerzkritischer Fans aus der mit bald 50 000 Mitgliedern bestehenden Abteilung "Supporters" das Sagen hat.

Vor allem der Vorstandsvorsitzende Bernd Hoffmann hatte befürchtet, die Macht der Supporters zu spüren. Es gab in seinem Umfeld durchaus Szenarien, nach denen er sich aus dem Amt zurückgezogen hätte, falls der neue Aufsichtsrat ernst machen und die Hoffmann-Politik bremsen würde. Am Schluss aber lächelte der trotz großer Erfolge von etlichen Mitgliedern kritisch gesehene Boss und sagte einen Satz, den auch ein ums Miteinander besorgter Bundespräsident hätte sprechen können: "Die Vertreter der Gremien sollten zusammenfinden, sich die Hände reichen." Das sei "ein ausdrückliches Angebot an die Supporters", mit denen man ja in einem durchaus schmutzigen Wahlkampf gewesen war.

So kann reden, wer souverän gewonnen hat. Alle vier Kandidaten des früheren Aufsichtsratsvorsitzenden Udo Bandow, einem Hoffmann-Freund, kamen durch: Leute aus der Wirtschaft, wie Alexander Otto, Ian Karan, der Handwerkskammerpräsident Peter Becker, dazu der Direktor des Universitätskrankenhauses, Professor Jörg Debatin. Auch die "Alten", Aufsichtsratschef Horst Becker (mit den meisten Stimmen) sowie Ronald Wulff und Bernd Enge ("Früher war der HSV ein Bummelzug mit Holzbänken, jetzt ist er ein ICE mit allem Komfort") sind nach Einschätzung der Opposition "eher vorstandsnah".

Die gern mal gegen den Strom schwimmenden Aufseher, der frühere Präsident Jürgen Hunke, der Partei für die Supporters ergriffen hatte, und der einstige Nationalspieler Willi Schulz, der vor zwei Jahren bei der großen sportlichen Krise den Rücktritt des Sportchefs Dietmar Beiersdorfer gefordert hatte, sind nicht mehr dabei. Für Schulz wurde als Vertreter des Fußballs Sergej Barbarez gewählt. Einer, dem die Mitglieder verziehen, dass er das letzte Angebot des HSV als Profi ablehnte, um noch zwei Jahre für mehr Geld in Leverkusen zu spielen.

"Die Arbeit des Vorstandes wird nun leichter", sagte der alte und neue Aufsichtsratschef Horst Becker. Die Mehrheit war ihm und Peter Krohn, dem bunten Präsidenten der siebziger Jahre, gefolgt. Beide hatten die Vorstandsarbeit von Hoffmann, Beiersdorfer und Katja Kraus gelobt. Becker strich heraus, dass der HSV in den vergangenen vier Jahren zehn Millionen Euro Gewinn gemacht und stets in einem europäischen Wettbewerb gespielt habe. Krohn nahm Bezug auf ein Flugblatt der Oppositionellen mit dem Aufdruck "Change". Der neue US-Präsident Barack Obama, glaubt er, hätte bei der HSV-Führung nicht "Wechsel" gesagt, sondern: "weiter so."

Die Unterlegenen gaben sich kämpferisch. "Thema verfehlt", sagte ein Widersacher Richtung Krohn. "Stromlinienförmig" nannte der gescheiterte Kandidat Manfred Ertel die Zusammensetzung des neuen Gremiums, "alles ehrenwerte Leute, aber ich habe dabei ein ungutes Gefühl". Wie Ertel kritisieren auch andere Supporters vor allem die Preispolitik des HSV gegenüber den Fans und finden, der Vorstand sei zu gut bezahlt. Wie Horst Becker mitteilte, kassieren die vier Führungsleute zusammen 2,51 Millionen Euro im Jahr. Schon bei der letzten Vertragsverlängerung für Hoffmann und Kraus gab es ums Gehalt sogar im Aufsichtsrat heftige Debatten. Hoffmann musste Kürzungen hinnehmen, andernfalls hätte es nicht die nötige Zweidrittel-Mehrheit im Aufsichtsrat gegeben.

Die meisten Mitglieder sind offenbar zufrieden. Sie störten sich auch nicht daran, dass Ian Karan einst den Rechtspopulisten Ronald Schill unterstützte, dass Hoffmann dem Sportchef von Bild Hamburg für mehr als tausend Euro eine Uhr geschenkt hat, weil der seit 30 Jahren über den HSV berichtet. Auch die Abschiedsrede des früheren vierten Vorstandsmitglieds Christian Reichert zeigte, wie viel noch im Argen liegt. "Wir haben es nicht geschafft, den Verein zu einen", sagte Reichert. Aber da waren die meisten Mitglieder schon auf dem Nachhauseweg. Jörg Marwedel

Der Sieger: Bernd Hoffmann Foto: dpa

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30 Tore in Italien

Schock für Nostalgiker

Spieltage wie dieser beweisen natürlich gar nichts. Außer, dass in Krisenzeiten die Röcke kürzer werden und die Welt ein wenig bunter, manchmal auch der Fußball, sogar in Italien. 30 Tore in zehn Begegnungen, einfach so, ein Schlag ins Gesicht ausländischer Catenaccio-Nostalgiker. Die Serie A, nicht mehr reich, aber sexy, so viele Tore für so wenig Geld. Die Rechnung: je weniger Geld desto mehr Tore geht leider noch nicht auf. Nicht ganz.

Zwar schafften die Goldjungen von Juventus Turin und Inter Mailand nur jeweils ein Tor, während der arme Süden in Form von Palermo, Cagliari, Lecce traf und traf. Wie im Akkord! Andererseits überrannte der AS Rom den SSC Neapel mit drei Toren zu null - für Napoli die schwerste Heimniederlage seit Menschengedenken. Auch Schulden (AS Rom 130 Millionen Euro Steuern) schießen Tore, der AC Mailand ist dafür ebenfalls ein gutes Beispiel mit seinem 4:1 gegen Bologna.

Vielleicht lag es auch daran, dass Ronaldinho auf der Bank sitzen blieb und diesmal keinen Schaden anrichten konnte. Es traf also der Neinsager Kakà, es traf sogar Beckham, der nach drei Liga-Einsätzen für Milan treuherzig erzählt: "Der AC Mailand ist mein Zuhause." Home, sweet home! Und schöne Grüße nach Los Angeles. Beckhams Leiharbeitervertrag mit Milan läuft ja Anfang März aus, aber er will wohl nicht zurück. Geld ist eben nicht alles im Leben.

Nur in Italien gibt es so lustige Trainer wie José Mourinho, der dem Schiedsrichter einreden wollte: "Du hast doch Angst!" Der Spielleiter zeigte Mut und dem Mourinho Rot. Nur in Italien gibt es so lustige Trainer wie Delio Rossi von Lazio Rom, der sich nach einem Totalausfall seiner Mannschaft den Seufzer entlocken ließ: "Ich kann nun mal nicht elf Mann auswechseln." Rossi ist im Nebenberuf Existenzialist. Er meinte eigentlich: Wieso müssen in einem Land, wo die Gesetze biegsam sind wie Weidenruten, ausgerechnet die Fußballregeln so hart und starr bleiben wie Marmor aus Carrara?

So verlor Lazio zu Hause mit nur drei Auswechslungen 1:4 gegen Cagliari, hinter dem Ergebnis verbergen sich: zwei verschossene Elfmeter von Lazio sowie eine rote Karte für einen Lazio-Ersatzmann, der wegen Protestgeheuls der Bank verwiesen wurde. Da fragt man sich natürlich, wo Trainer Delio Rossi elf neue Männer hernehmen würde, wenn seine Reservespieler sich schon rauskicken. Ein ganz normaler Spieltag mit 30 Toren. Wenn das die Krise ist, könnte es noch eine Weile so bleiben. Birgit Schönau

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Kurz gemeldet

Erik Zabel, 38, bestreitet an diesem Dienstag beim Berliner Sechstagerennen das letzte Radrennen seiner Karriere.

Radprofi Leonardo Piepoli ist vom Anti-Doping-Gericht des Italienischen Olympischen Komitees (CONI) am Montag wie erwartet für zwei Jahre gesperrt worden. Der 37-Jährige war während der letztjährigen Tour de France wie sein damaliger Saunier-Duval-Teamkollege Riccardo Ricco positiv auf das Blutdopingmittel Cera getestet worden.

Tottenham Hotspur hat Ersatztorhüter Torhüter Carlo Cudicini vom Premier-League-Rivalen FC Chelsea verpflichtet.

Borussia Dortmund, Fußball-Bundesligist, hat einen ab der neuen Saison über drei Jahre befristeten Ausrüstervertrag mit der Sportmodemarke Kappa abgeschlossen. Der BVB soll pro Saison drei bis vier Millionen Euro kassieren.

Tusem Essen, insolventer Handball-Bundesligist, hat die drohende Einstellung des Spielbetriebs abgewendet. Die Gläubigerversammlung stimmte am Montag der vom Insolvenzverwalter favorisierten Fortsetzung des Spielbetriebs zu.

Teamchefin Barbara Rittner hat Sabine Lisicki (Berlin), Anna-Lena Grönefeld (Nordhorn), Kristina Barrois (Stuttgart) und Tatjana Malek (Bad Saulgau) für das Fed-Cup-Match der Weltgruppe II gegen die Schweiz (7./8. Februar in Zürich) berufen.

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Weiterbildung gefragt

Berlin - Die betriebliche Weiterbildung steht bei Unternehmen hoch im Kurs. 84 Prozent investierten 2007 in die Schulung ihrer Mitarbeiter, ergab eine am Montag veröffentlichte Umfrage des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) unter mehr als 1700 Firmen. Die Weiterqualifizierung ließen sie sich demnach rund 27 Milliarden Euro kosten. Im Schnitt mache dies 1053 Euro für jeden sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Rein rechnerisch habe jeder Mitarbeiter 1,3-mal an einer Weiterbildungsveranstaltung teilgenommen. Besonders groß ist das Engagement den Angaben nach bei den Betrieben mit 250 und mehr Mitarbeitern. Hier hätten sogar 96 Prozent Geld für Bildungsmaßnahmen in die Hand genommen. Dazu zählen Informationsveranstaltungen wie Messen und Tagungen, aber auch das Lernen am Arbeitsplatz sowie das Selbststudium. Reuters

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"Reisepreise vergleichen"

Mainz - Verbraucherschützer warnen vor nachträglichen Preisänderungen bei Urlaubsbuchungen. Wer in diesen Tagen seinen Urlaub buche, könne sich nicht in jedem Fall auf den Katalogpreis verlassen, teilte die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz am Montag in Mainz mit. Seit dem 1. November dürfen deutsche Reiseveranstalter demnach Preise etwa für Flüge oder Hotels nachträglich erhöhen, sofern sie in ihren Katalogen darauf hingewiesen haben. Bei der Buchung sind sie jedoch verpflichtet, den erhöhten Preis mitzuteilen. Die Verbraucherzentrale rät, sich diesen verbindlichen Preis bei der Buchung vom Reiseveranstalter schriftlich zusichern zu lassen.

Preiserhöhungen ergeben sich beispielsweise durch Änderungen des Wechselkurses oder der Beförderungskosten. Auch wenn Hotels und Flüge ausgebucht sind und nachgeordert werden müssen, sei eine nachträgliche Erhöhung zulässig, sofern im Reisekatalog oder in Prospekten ein Preisänderungsvorbehalt vermerkt ist, erklärte die Verbraucherzentrale. Sie kritisiert einen Verlust an Transparenz und rät den Kunden, erneut Urlaubsangebote zu vergleichen, wenn sich der Preis bei der Buchung erheblich vom Katalogpreis unterscheidet. AFP

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Heizungsmarkt wächst

Düsseldorf - Die Nachfrage nach energiesparenden und klimafreundlicheren Heizungen ist 2008 gestiegen. "In 45 Prozent der Investitionsfälle werden heute bereits erneuerbare Energien eingekoppelt. Gegenüber 2005 ist das eine glatte Verdoppelung", erklärte Klaus Jesse, Präsident des Bundesindustrieverbandes Deutschland Haus-, Energie- und Umwelttechnik (BDH) in Berlin. Besonders stark sei der Markt für Solarthermen gewachsen. 2008 seien etwa 200 000 Anlagen und damit doppelt so viele wie im Vorjahr verkauft worden. Der BDH führt die Entwicklung auf bessere Förderangebote und hohe Energiepreise zurück. 2008 sei der deutsche Heizungsmarkt um zwölf Prozent gewachsen. Im Jahr zuvor war der Markt um 28 Prozent geschrumpft. Die Branche konnte damals nur wegen des Auslandsgeschäfts ein Plus von zwei Prozent auf 11,2 Milliarden Euro verbuchen. Reuters

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Gründerzeit in Frankreich

Paris - Trotz der Wirtschaftskrise hat Frankreich im vergangenen Jahr einen Rekord bei Unternehmensgründungen verzeichnet. 2008 seien 325 700 Firmen neu entstanden, 1,3 Prozent mehr als im Vorjahr, sagte Wirtschaftsstaatssekretär Hervé Novelli der Zeitung Le Figaro. Besonders viele Unternehmensgründungen habe es in den Bereichen Haushaltshilfen, Altenpflege, Kosmetiker, Frisöre sowie bei Firmendienstleistungen gegeben. "Heute ist die Firmengründung eine Alternative zur Position des Angestellten geworden", sagte Novelli. Er hoffe 2009 auf einen weiteren Schub, nachdem es seit Jahresbeginn einen neuen Status für Kleinstunternehmer ("Autoentrepreneurs") gibt. Bis Anfang vergangener Woche hätten sich 30 000 Menschen dafür eingeschrieben. In diesem Jahr rechne die Regierung mit 200 000 solcher Unternehmer, die maximal 80 000 Euro pro Jahr verdienen dürfen. AFP

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Das elektronische Ticket für Deutschland

Bundesweit gültige Fahrscheine mit Computer-Chips sollen Nutzern des öffentlichen Nahverkehrs das Leben leichter machen. Datenschützer haben Bedenken

Von Simone Lankhorst

München - Schön wäre es ja: Kein lästiges Suchen nach Kleingeld, keine komplizierten Tarifsysteme, kein Abstempeln. Mit dem so genannten "eTicketing" soll der Nahverkehr im ganzen Bundesgebiet kundenfreundlicher werden. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen Deutschland (VDV) hat sich jetzt darauf geeinigt, die in einigen Bundesländern bereits gebräuchlichen elektronischen Fahrkarten mit einem speziellen Chip auszustatten, wodurch diese auch über die Tarifgrenzen der einzelnen Verbünde hinaus genutzt werden können. Auch Pre-Paid-Karten oder Handys können mit diesem Chip ausgestattet werden.

In Zukunft könnte Bus- und Bahnfahren dann so aussehen: Man steigt in Köln, zugehörig zum Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS), in einen Regionalexpress und fährt bis Essen, ohne ein Zusatzticket für den Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) lösen zu müssen. Die Fahrverbindungen werden auf dem Chip in der elektronischen Fahrkarte gespeichert, am Monatsende bekommt man dann eine Rechnung.

Einige Verkehrsverbünde in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg geben schon seit Längerem elektronische Fahrkarten mit der "eTicketing"-Technik aus, allerdings nur an Abonnementen von Zeitkarten. Allein in Nordrhein-Westfalen besitzen schon mehr als eine Million Menschen die elektronische Fahrkarte, bis 2012 sollen es in ganz Deutschland zehn Millionen werden.

Für Gelegenheitsfahrer

Der herkömmliche Papierfahrschein bleibt aber weiterhin erhalten: "Das eTicket ist ein Zusatzangebot und in Zukunft vor allem für Gelegenheitsfahrer gedacht, die sich nicht am Automaten herumschlagen wollen", erläutert Klaus Hoffmann von der VDV Kernapplikations GmbH. Die Firma hat die Technologie für das elektronische Fahrkartensystem entwickelt. Als einer der ersten verkehrsverbünde stellt der VRR nun sukzessive das "eTicket" auf den vom VDV entwickelten Standard für ganz Deutschland um.

Was bisher noch fehlt, sind entsprechende Lesegeräte. Erste Modellversuche gibt es zum Beispiel in Duisburg. Dort wird die Karte beim Einsteigen in den Bus beim Fahrer an ein Lesegerät gehalten, das die Gültigkeit der Fahrkarte überprüft. Einige Datenschützer halten diese Art der Kontrolle allerdings für problematisch, genauso wie monatliche Rechnungen: "Für Abbuchungssysteme müssen eben auch Bewegungsprofile erstellt werden. Das wäre definitiv ein Verstoß gegen den Datenschutz", hieß es aus dem Büro einer Landesdatenschutzbeauftragten. Theoretisch könnte über die Chipkarte im Handy oder im Monatsticket also nachverfolgt werden, wo Fahrgäste ein- und aussteigen. Eine Sprecherin des VRR versicherte hingegen, dass "bei der derzeitigen Testphase nur die Gültigkeit der Karten überprüft wird." Personenbezogene Daten und Fahrverbindungen würden auf den Chipkarten nicht dauerhaft gespeichert. Zudem seien die Vertragsentwürfe für eine Teilnahme am "eTicketing" eng mit den jeweiligen Landesdatenschutzbeauftragten abgestimmt worden.

Teilnahme freiwillig

Das Bundesverkehrsministerium bezuschusst Verkehrsunternehmen und -verbünde, die das "eTicket" einführen wollen, mit zehn Millionen Euro. "Im 21. Jahrhundert muss es möglich sein, per Chip oder Handy einen Fahrschein für die U-Bahn in Berlin oder die Busfahrt in München zu lösen", begründete Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) die Förderung.

In welcher Form und ob überhaupt die Verkehrsbetriebe in Deutschland die Chipkarte einführen, bleibt diesen allerdings selbst überlassen. Entsprechende Summen aus dem Fördertopf für die Entwicklung des "eTicketing" haben unter anderem bisher die Verkehrsverbünde Berlin-Brandenburg, Hamburg, Oberelbe und Rhein-Main erhalten, sowie Verkehrsbetriebe in Schwäbisch-Hall, Heilbronn und dem Ostalbkreis.

In Zukunft in ganz Deutschland möglich: Bus- und Bahnfahren mit dem "eTicket", das Verbundsgrenzen und Preisstufen automatisch erkennt. Foto: Caro

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50 000 Jobs - weg an einem Tag

Börsennotierte Unternehmen in den USA und Europa gaben zum Wochenauftakt an einem Tag den Abbau von mehr als 50 000 Stellen bekannt. Der weltweit größte Baumaschinenhersteller Caterpillar (Foto: Bloomberg) trennt sich von 20 000 Mitarbeitern. Der niederländische Elektronikkonzern Philips baut 6000 Stellen ab. Europas zweitgrößter Stahlhersteller Corus streicht weltweit 3500 Stellen. Der drittgrößte US-Mobilfunkanbieter Sprint Nextel will durch die Streichung von 8000 Stellen seine Kosten senken. Das entspricht 14 Prozent der Belegschaft. Der niederländische Finanzkonzern ING muss 7000 der konzernweit 130 000 Arbeitsplätze abbauen. Der US-Baumarktkette Home Depot macht weiter die Immobilienkrise zu schaffen. Deshalb will sie 7000 Mitarbeiter entlassen - das sind zwei Prozent der Belegschaft. (Seiten 27, 28 und 32) SZ/Reuters

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Kommentare

Können wir helfen?

Das war zu erwarten: Die Rettung von Unternehmen wird Mode - leider

Von Marc Beise

Das Bestechende an der Politik ist, dass sie häufig so berechenbar ist. Vom ersten Tag an, da über Hilfsmaßnahmen der Politik für bedrohte Banken beraten worden ist, war klar, dass diese Debatte, einmal losgetreten, nicht mehr gestoppt werden könnte. Wer anfängt, Banken zu stützen, rettet bald auch Autokonzerne und dann Maschinenbauer, Porzellanfabrikanten und so weiter. Es ist so unendlich schwer, diese beinahe zwangsläufige Folge der Ereignisse abzuwenden.

Wahrscheinlich war es richtig (jedenfalls wird das von praktisch allen Politikern und ebenso fast allen Wissenschaftlern so behauptet), einen Schirm über 500 Milliarden Euro zu spannen, um die deutschen Banken in der aktuellen Krise vor dem Absturz zu sichern. Es ging um das systemische Risiko: Wenn Banker und Bürger in Panik geraten, bricht das ganze Wirtschaftssystem zusammen, das auf eben diesem Geldverkehr beruht.

Seitdem folgt eine Versuchung nach der anderen. Wenigstens noch in der sachlichen Nähe der Ursprungsrettung war die finanzielle Absicherung des Verkauf der Dresdner Bank von der Allianz an die Commerzbank. Es war ein Ausstieg der Allianz, die sich mit der Dresdner Bank ungeachtet aller ursprünglichen Beteuerungen grandios verhoben hatte, in letzter Minute - und doch schon zu spät, weil der Commerzbank am Ende das Geld ausging. Aber siehe da, der Staat sicherte den Verkauf ab - obwohl bisher niemand nachgewiesen hat, dass die Allianz ihre Probleme nicht auch hätte selbst lösen können.

Einen anderen Weg ging gerade noch die Deutsche Bank, der der Kauf der Postbank zu misslingen drohte. Sie beschaffte sich das Geld beim Verkäufer Post, an dem zwar der Staat beteiligt ist, allerdings in einer Minderheitsposition. Noch gilt also das Wort des Deutsche-Bank-Chefs Josef Ackermann, dass man ohne die Politik auskommen wolle. Dafür wird Ackermann seitdem öffentlich verprügelt, während etwa die Manager von Opel im Kanzleramt mit offenen Armen empfangen wurden: Können wir helfen?

Wenn ein großer Konzern zusammenbricht, heißt es, habe das Kettenreaktionen zur Folge. Erst ein Autobauer, dann der nächste, und dann die ganze Zulieferindustrie. Bei dieser Begründung kann man das Geld für eine Subventionierung von BMW und Daimer bereits zurechtlegen. Und Bosch? Und Siemens? Vollends dreist wird es nun bei der Übernahme des Automobilzulieferers Continental durch das fränkische Familienunternehmen Schaeffler. Auch dieses Geschäft droht in der Finanzkrise zu scheitern - und schon denken Landesregierungen ernsthaft darüber nach, mit Rat und Geld zur Verfügung zu stehen.

Dabei war dieses Geschäft zur Übernahme einer dreimal größeren Aktiengesellschaft durch ein Familienunternehmen von Anfang an - um es vorsichtig zusagen - ambitioniert. Ein ganz trickreiches Projekt, das alles bedacht hatte, nur nicht die aufkeimende Finanzkrise. Größenwahn oder nur Pech? Jedenfalls fehlen jetzt etliche Milliarden Euro. Man darf erwarten, dass die Unternehmerin Schaeffler sich das Geld gegen entsprechende Sicherheiten und Risikoaufschläge privat besorgt. Die Selbstachtung sollte ihr Bettelgespräche mit der Politik verbieten, und die politische Klugheit dem Staat umgekehrt entsprechende Hilfe.

Zwei Argumente führen Politiker gerne an, eines davon ist ehrenwert: Man möchte Arbeitsplätze retten. Ja, wenn die Übernahme im Chaos endet, sind beide Firmen in Schwierigkeiten. Das allerdings ist Teil des unternehmerischen Risikos. Wenn der Staat jeden Fehler heilt, fehlt die automatische Selbstkontrolle, und es wird es immer mehr Fehler geben.

Das zweite Argument ist inakzeptabel: Das Land brauche große Einheiten, heißt es. Mit diesem Argument hat der Bund schon den Verkauf der Dresdner Bank unterstützt: Man brauche einen zweiten großen Bankchampion. Und jetzt einen super-großen Zulieferer - wer sagt, dass das wirklich sein muss? Plausibler ist die umgekehrte Argumentation: Was sich nicht aus eigener Kraft am Markt organisieren lässt, wird auch im Staatsauftrag keinen Erfolg haben. Aber viel Steuergeld verschlingen. (Seite 27)

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Spitzentreffen zu Conti/Schaeffler

Berlin - Bund und Länder wollen bei einem Spitzentreffen in Berlin über mögliche Hilfen für die Autozulieferer Schaeffler und Continental beraten. Am Donnerstag soll es ein Treffen von Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) mit seinen Amtskollegen Horst Seehofer (CSU), Günther Oettinger (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) geben, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Montag. Das Treffen werde in der niedersächsischen Landesvertretung in der Hauptstadt stattfinden. Bayern und Niedersachsen prüfen Hilfen für den neuen Autozulieferer-Verbund, der in der Auto- und Finanzkrise stark unter Druck geraten ist. Der Bund will sich an den Hilfen nicht beteiligen.

Die Continental AG benötigt nach eigenen Angaben aber derzeit keine staatliche Unterstützung. Man habe sich in Verhandlungen mit Banken einen stabilen Finanzrahmen gesichert, sagte ein Conti-Sprecher am Montag in Hannover. "Wir verfügen über eine Liquidität von 3,5 Milliarden Euro aus Barmitteln und ungenutzten Kreditlinien", betonte er. Schaeffler wollte sich nicht zu Hilfen äußern. (Kommentare, Seite 27) dpa

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Der Staat als Investmentbanker

Die Großfusion von Pfizer und Wyeth wirft Fragen an die Politik auf

Von Martin Hesse

Es klingt wie eine Nachricht aus einer anderen Zeit: Für 68 Milliarden Dollar übernimmt der Pharmakonzern Pfizer den Konkurrenten Wyeth. Seit Beginn der Finanzkrise hat es derart große Übernahmen kaum noch gegeben, weil Banken sie nicht mehr finanzieren konnten. Man reibt sich nun erst einmal die Augen, wenn nun ausgezehrte Finanzkonzerne wie die Citigroup Milliarden für eine solche Fusion riskieren. Heikel ist aber vor allem, dass jetzt bei solchen Geschäften der Staat dabei ist.

Im Fall Pfizer ist das Risiko, das die Banken eingehen, relativ gering. Bei den Pharma-Multis fließt das Geld selbst in schlechten Zeiten so reichlich, dass Zinsen und Tilgung ihnen keine Probleme bereiten dürften. Die Fusion ist der defensive Schritt zweier Konzerne, die kaum noch wachsen. Sie verbünden sich, um im Abschwung die Kosten drücken und Marktmacht gewinnen zu können. Die Rezession wird weitere Zusammenschlüsse dieser Art hervorbringen.

Welche Rolle aber werden Regierungen dabei spielen? An fast allen großen Banken, die Großübernahmen finanzieren, ist der Staat beteiligt. Das birgt Gefahren: Erstens könnten die Regierungen der Versuchung erliegen, über ihre Banken Industriepolitik zu betreiben - finanziert werden nur Fusionen, die im nationalen Interesse zu liegen scheinen. Zweitens steht der Steuerzahler bei jedem Übernahmekredit mit im Risiko. Wie etwa hätte sich der Bund verhalten, wäre er bereits Großaktionär gewesen, als die Commerzbank mit anderen die waghalsige Übernahme von Continental durch Schaeffler finanzierte? Auf solche Fragen sollten die Regierungen schnell grundsätzliche Antworten finden. Denn sie werden sich noch häufig stellen.

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150 Gasversorger senken die Preise

Hamburg - Die Gaspreise in Deutschland fallen. Allein im Februar und März senken 150 Gasversorger die Preise, wie Thorsten Storck, Sprecher des Verbraucherportals Verivox, einen Bericht des NDR bestätigte. Die Preise fallen dem Sprecher zufolge im Schnitt um 7,4 Prozent. Für den April seien weitere Senkungen angekündigt. Bislang wollen zu diesem Zeitpunkt beispielsweise sechs Regionalgesellschaften des Energieriesen Eon die Gaspreise um 15 bis 20 Prozent senken. Die höchsten Senkungen von 25 Prozent verzeichnete Verivox bei der Gas- und Wasserversorgung Fulda sowie der Gas- und Wasserversorgung Osthessen. Dies sei für einen durchschnittlichen Vier-Personen-Haushalt eine Entlastung um mehr als 400 Euro pro Jahr. Preiserhöhungen seien für Februar, März und April von keinem der 757 Gasversorger bundesweit bekannt, sagte der Verivox-Sprecher. AP

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Chipproduzent Qimonda sucht einen Investor

München - Der Speicherchip-Hersteller Qimonda, der am Freitag wegen Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag stellen musste, will nach einem zahlungskräftigen Investor suchen, um sein Überleben zu sichern. "Wir haben es hier mit einer hochkomplexen Situation und einem extrem kapitalintensiven Geschäft zu tun", teilte der Insolvenzverwalter Michael Jaffé am Montag mit. "Deshalb braucht es für eine tragfähige Lösung Beiträge von potenten Investoren", fügte er an.

Bis Ende März können die Mitarbeiter in Deutschland vom Insolvenzgeld bezahlt werden. Bis dahin muss also spätestens eine Lösung für das Unternehmen mit 12 200 Beschäftigten gefunden werden. Knapp 5000 Mitarbeiter werden allein an den beiden größten deutschen Standorten München und Dresden beschäftigt. Zudem hat Qimonda ein großes Werk in Portugal. Derzeit werde trotz der Insolvenz an allen Standorten weiter produziert, betonte Qimonda. Rettungsbemühungen der Politik waren wegen neuer Finanzlöcher in letzter Minute gescheitert. Eigentlich war bereits ein Hilfspaket über mehr als 300 Millionen Euro beschlossen. (München) cbu

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US-Autozulieferer bereiten Insolvenz vor

New York - Die US-Automobilzulieferer stellen sich auf eine weitere Zuspitzung der Lage ein und bereiten sich einem Zeitungsbericht zufolge auf mögliche Insolvenzverfahren vor. Nachdem die beiden großen US-Hersteller General Motors (GM) und Chrysler nur noch dank Staatskrediten am Leben erhalten werden und weitere staatliche Hilfen unsicher sind, hätte eine Reihe von Unternehmen der zweiten Reihe Berater verpflichtet, um die Überlebenschancen der Firmen zu sondieren, schreibt das Wall Street Journal. So habe die ehemalige Ford -Tochter Visteon Experten mit der Prüfung eines möglichen Insolvenzverfahrens beauftragt, schreibt die Zeitung unter Berufung auf mit der Situation vertraute Personen. Die Beauftragung bedeute jedoch nicht, dass ein Bankrott direkt bevorstehe. Ein Unternehmenssprecher war nicht zu einer Stellungnahme bereit. Der finanziell etwas besser aufgestellte Wettbewerber Lear arbeite dagegen weiter an Restrukturierungsmaßnahmen und setze sich bei staatlichen Stellen dafür ein, bessere Rahmenbedingungen für die Branche zu erwirken. Sollte die Autonachfrage weiter zurückgehen, befürchten viele Beobachter einen vollständigen Zusammenbruch des Industriezweigs. dpa

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Toyota kürzt Fertigung offenbar um ein Fünftel

Tokio - Der japanische Autohersteller Toyota rechnet im laufenden Jahr einem Zeitungsbericht zufolge mit einem Rückgang seiner weltweiten Produktion um 20 Prozent. 2009 sollten nur noch 6,5 Millionen Fahrzeuge hergestellt werden, nach geschätzten 8,2 Millionen im abgelaufenen Jahr, berichtete die Zeitung Chunichi am Montag. Dies wäre das geringste Volumen seit 2003 und 2004. Das Ziel von sieben Millionen verkauften Fahrzeugen solle durch den Abbau von Halden erreicht werden. Der Zeitung Yomiuri Shimbun zufolge geht in Japan die Produktion auf drei von geschätzt vier Millionen Fahrzeugen im Vorjahr zurück. Das wäre der niedrigste Stand seit 1979 - und die Grenze, bis zu der Toyota die Zahl seiner Vollzeitarbeiter aufrecht erhalten könne, hieß es. Sollte die weltweit schwache Nachfrage jedoch anhalten, sei auch mit weniger als drei Millionen produzierten Fahrzeugen zu rechnen. Reuters

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Jenoptik verdient auch in der Krise

Jena - Trotz der Konjunkturkrise und des Einbruchs in der Halbleiterbranche hat der Technologiekonzern Jenoptik 2008 seine Ziele für Umsatz und Gewinn erreicht. Vorstandschef Michael Mertin sprach am Montag von einem "erfolgreichen Jahr" für das Jenaer Unternehmen. Nach vorläufigen Zahlen stieg der Umsatz um etwa fünf Prozent auf knapp 550 Millionen Euro, der Gewinn vor Zinsen und Steuern (EBIT) um knapp fünf Prozent auf 37 Millionen Euro. Eine Prognose für 2009 wollte Mertin angesichts der Krise nicht abgeben. Entlassungen in größerem Umfang seien nicht geplant, allerdings seien etwa 300 Mitarbeiter in Kurzarbeit. Jenoptik ist 2008 in den Technologiewerte-Index TecDax der Frankfurter Börse aufgerückt.

Zu dem positiven Ergebnis habe vor allem eine starke Nachfrage in der Wehr- und Sicherheitstechnik beigetragen, sagte Mertin. In diesem Geschäftsfeld stiegen Umsatz und Gewinn zweistellig. Starkes Wachstum habe auch die Infrarot- und Weltraumtechnik erzielt. Erfreulich habe sich ebenfalls das Geschäftsfeld der Verkehrssicherheitstechnik entwickelt. Im zweiten Halbjahr 2008 habe sich der Markt für diese Produkte international belebt. Doch trüben die Krisen in der Automobil- und der Halbleiterindustrie das Geschäft in der Sparte Laser und Optische Systeme. Es sei derzeit nicht abzuschätzen, wie lange die Krise in der Halbleiterindustrie dauern werde, sagte Mertin. Eine Erholung sei 2009 nicht zu erwarten. Das Unternehmen habe bereits mit Kurzarbeit reagiert, die zunächst bis zur Jahresmitte dauern solle. Einer Dividende erteilte Finanzvorstand Frank Einhellinger eine Absage. In der schwierigen Lage dürfe kein Geld aus dem Konzern abgezogen werden. dpa

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Philips streicht nach Milliardenverlust 6000 Stellen

Der niederländische Siemens-Konkurrent erlöst weniger. Vor allem in der Sparte für Unterhaltungselektronik und Haushaltsgeräte läuft es schlecht

Amsterdam/Hamburg - Der niederländische Elektronikkonzern Philips verschärft in der Wirtschaftskrise sein Sparprogramm und streicht weitere 6000 Arbeitsplätze. Das teilte der Siemens-Konkurrent am Montag in Amsterdam mit. Von Oktober bis Dezember 2008 war die Zahl der Mitarbeiter weltweit bereits von 128000 auf 121000 reduziert worden. Konzernchef Gerard Kleisterlee wagte angesichts der "beispiellosen Geschwindigkeit und Heftigkeit" der Krise keine Jahresprognose für 2009. Für 2008 weist Philips einen Gruppenumsatz von 26,385 Milliarden Euro aus, drei Prozent weniger als im Vorjahr. Der Verlust wird mit 186 Millionen Euro angegeben - nach 4,16 Milliarden Gewinn im Vorjahr. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen belief sich auf 931 Millionen Euro nach 2,05 Milliarden Euro im Vorjahr. Die Dividende soll 2008 und in diesem Jahr 0,70 Euro je Aktie betragen.

Auch den Philips-Konkurrenten hat die Wirtschaftskrise zugesetzt: So hat Siemens Schwierigkeiten in seinem Beleuchtungsgeschäft Osram und berichtete über einen schwierigeren Markt in der Medizintechnik. Das Unternehmen legt an diesem Dienstag die Zahlen für Oktober bis Dezember vor. Der US-Anbieter General Electric meldete am Freitag einen Gewinneinbruch.

Für Deutschland erwartet ein Sprecher der hiesigen Landesgesellschaft von Philips derzeit keine weiteren Stellenstreichungen, nachdem im Herbst unter anderem in Hamburg ein Arbeitsplatzabbau von etwa 150 Stellen in der Entwicklung und Fertigung der Röntgenfabrik angekündigt worden war. Auch der Vertrieb wurde um etwa 100 Stellen reduziert. Philips beschäftigt in Hamburg knapp 2000 Mitarbeiter. In Aachen, wo Lampen für die Automobilindustrie gefertigt werden, werde derzeit Kurzarbeit gefahren.

Unter den Philips-Sparten wurde der Bereich Consumer Lifestyle - vom Fernseher über Rasierer bis zum Haushaltsgerät - deutlich vom Nachfragerückgang getroffen; er gab 2008 um acht Prozent auf elf Milliarden Euro Umsatz nach. Die Gesundheits- sowie die Lichttechnik verzeichneten hingegen Zuwächse von sechs und drei Prozent. In der Medizintechnik rechnet Philips im ersten Quartal 2009 mit einem rückläufigen Markt, vor allem wegen Einsparungen im US- Gesundheitswesen. Dennoch soll ihr Anteil am Gesamtumsatz von 30 Prozent auf 35 Prozent steigen.

Philips war im Schlussquartal 2008 von der Wirtschaftskrise voll erfasst worden. Es lief ein Verlust von 1,47 Milliarden Euro auf. Im Vorjahreszeitraum hatte der Konzern noch einen Überschuss von 1,4 Milliarden Euro verbucht. Der Vorstandschef will die Krise mit strikter Kostendisziplin meistern. Durch die laufenden Sparprogramme und den Umbau des Unternehmens sollen etwa 400 Millionen Euro pro Jahr mehr in der Kasse übrigbleiben. Von der zweiten Jahreshälfte an soll das Programm greifen. dpa

Vorführraum einer Philips-Fabrik für Leuchtsysteme in Frankreich: In den Sparten Lichttechnik und Gesundheitstechnik setzten die Niederländer 2008 mehr um als im Vorjahr. Bei den Haushaltsgeräten sanken die Erlöse hingegen. Foto: R. Demaret

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Gentechnik soll Pfizer retten

Patente laufen aus, und der Nachschub fehlt: Der weltweit größte Pharmakonzern setzt mit dem Wyeth-Kauf nun auf Biotechnologie

Von Kristina Läsker

München - Es dient als Befreiungsschlag: Für 68 Milliarden Dollar kauft Pfizer den kleineren US-Rivalen Wyeth. Dies ist die drittgrößte Übernahme der Pharmabranche aller Zeiten; mit einem neuen Fokus auf biotechnologisch hergestellte Medikamente will der mächtigste Pharmakonzern der Welt sich neu erfinden. "Der Zusammenschluss wird unsere Branche transformieren", behauptete Pfizer-Chef Jeffrey Kindler am Montag großspurig. Das soll an frühere Zeiten anknüpfen: Lange war Pfizer in der Branche tonangebend, dann geriet der Konzern ins Wanken. Bis 2012 werden etwa 14 wichtige Patente auf konzerneigene Medikamente auslaufen - und das könnte drastische Umsatzeinbrüche auslösen. Insgesamt drohe ein Erlösrückgang von etwa 35 Milliarden Dollar, wenn Pfizers Medikamente durch billigere Nachahmermedikamente (Generika) ersetzt würden, sagt Catherine Arnold, Pharma-Analystin der Bank Credit Suisse. Zum Vergleich: Im Jahr 2008 hat Pfizer 48,3 Milliarden Dollar umgesetzt.

Die Abläufe der Patente an sich wären nicht schlimm, sind sie doch lange bekannt, aber bei Pfizer mangelt es - wie bei vielen Herstellern - an Nachschub mit innovativen Arzneien. Parallel muss Pfizer wie viele Wettbewerber schrumpfende Laufzeiten von Patenten hinnehmen: Generika-Konzerne gehen früher mit ihren Nachahmer-Mitteln auf den Markt und riskieren dafür auch Streit vor Gericht. So haben die Kosten für teure Auseinandersetzungen dem Branchenprimus die Bilanz 2008 verhagelt.

Schrumpfen oder verstärken

Die Übernahme von Wyeth dürfte Pfizer zumindest helfen, ein von 2011 an drohendes Umsatzloch in Milliardenhöhe zu stopfen. Dann wird das Top-Medikament, der Cholesterinsenker Lipitor, seinen Patentschutz verlieren. Heute steuert das umsatzstärkste Medikament der Welt mit etwa 13 Milliarden Dollar allein ein Viertel zum Konzernerlös bei. "Pfizers Forschung war bisher nicht in der Lage, genügend neue Medikamente zu erfinden, um Lipitor zu ersetzen", sagt Les Funtleyder, Analyst von Miller Tabak & Co. Pfizer habe die Wahl treffen müssen: Lipitor aufgeben und schrumpfen - oder sich von außen verstärken.

Möglich wird der Zukauf durch die hohen Bargeldreserven. Dank Umsatzrenditen zwischen zwanzig und dreißig Prozent haben Pfizer und Konkurrenten wie Novartis und Roche extrem hohe Reserven angehäuft, die auch in der Finanzkrise teure Übernahmen ermöglichen. So bezahlt Pfizer für Wyeth 22,5 Milliarden Dollar in bar. Auch hat Konzernchef Kindler der Firma seit seinem Antritt Mitte 2006 einen Sparkurs verordnet. Mehr als 15 000 Beschäftigte verloren ihre Stelle. Kindler schloss fünf Forschungszentren, ließ knapp 100 Projekte stoppen, reorganisierte die Entwicklungseinheiten und startete ein unabhängiges Forschungszentrum in Kalifornien. Auch bei der Wyeth-Übernahme sollen Fabriken geschlossen und jede zehnte Stelle abgeschafft werden.

Pfizer will breit aufgestellt bleiben: Die Firma forscht und entwickelt Medikamente gegen Fettstoffwechselstörungen, Alzheimer, Depressionen, Kreislauferkrankungen, Krebs, Schlaganfall, Rheuma, Infektionen, Alzheimer, Diabetes und Erektionsstörungen. Wyeth wiederum gehört zu den Spezialisten für die teuren Biotechnologie-Medikamente, die als Wachstumstreiber gelten. "Das könnte einer der wichtigsten Gründe für die Übernahme sein", sagt Jörn Leewe, Partner der Beratung Novumed. Zu den Toparzneien des im US-Bundesstaat New Jersey ansässigen Konzerns Wyeth gehören das Antidepressivum Effexor, der Kinder-Impfstoff Prevnar sowie das Arthritis-Mittel Enbrel, das die Firma mit Amgen vertreibt. Spezialisiert ist Wyeth auf Hormontherapien und Empfängnisverhütung, Erkrankungen des zentralen Nervensystems, rheumatoide Arthritis sowie Impfstoffe. Auch Wyeth hatte sich vergrößern wollen und verhandelte über eine Fusion mit dem Impfstoffhersteller Crucell, die nun abgeblasen ist.

Für Pfizer sollen die zugekauften Medikamente mehr Gleichgewicht in das Portfolio bringen. Zur Risikostreuung solle von 2012 an kein Medikament mehr für mehr als zehn Prozent des Umsatzes stehen, teilte der Konzern mit. Künftige Schwerpunkte sollen bei Entzündungskrankheiten, Alzheimer und Krebs liegen. Auch bei Erkrankungen des zentralen Nervensystems, Herz-Kreislauf-Beschwerden und Infektionen will Pfizer eine führende Rolle einnehmen. Inwieweit deutsche Mitarbeiter von der Fusion betroffen sind, ist noch unklar. Pfizer, dessen Deutschland-Zentrale in Berlin sitzt, beschäftigt hierzulande etwa 4500 Mitarbeiter und hat 2007 etwa 1,6 Milliarden Euro umgesetzt. Wyeth mit Sitz in Münster hat 2008 etwa 670 Millionen Euro mit 800 Mitarbeitern umgesetzt.

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EU hilft Firefox und Co.

Die Hersteller alternativer Internetzugangs-Programme wollen in Brüssel erreichen, dass Microsoft mehrere Browser in Windows integrieren muss

Von Martin Kotynek

Brüssel - Es ist eine scheinbar unendliche Geschichte: Microsoft und die Europäische Union. Eben erst war der letzte Streit beendet, da knöpften sich die europäischen Wettbewerbshüter das Softwareunternehmen Mitte dieses Monats abermals vor. Seitdem fragen sich Brüsseler Spezialisten für europäisches Wettbewerbsrecht, was die EU-Kommission mit dem neuerlichen Verfahren eigentlich bezwecken will. "Ich bin fast vom Stuhl gefallen, als ich von dem neuen EU-Verfahren gehört habe", sagt Denis Waelbroeck, Dozent für Wettbewerbsrecht an der Freien Universität Brüssel. "Ich verstehe die Kommission einfach nicht mehr."

Diesmal ist es der Internet Explorer (IE), welcher der EU-Kommission ein Dorn im Auge ist. Microsoft, das sich zu dem Verfahren nicht äußern will, bündelt seinen Browser - also ein Programm, mit dem man Zugang zum Netz erhält - mit seinem Betriebssystem Windows. Dadurch sei der IE auf 90 Prozent aller Rechner weltweit vorinstalliert. "Durch die Bündelung von Internet Explorer und Windows profitiert Microsoft von einem künstlich geschaffenen Vertriebsvorteil", sagt Jonathan Todd, Sprecher von EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes. "Dieser Vorteil scheint den Wettbewerb auszuhöhlen und so den Konsumenten zu schaden, weil die Auswahl für sie eingeschränkt wird." Damit verletze Microsoft EU-Recht, wirft die Kommission dem Unternehmen vor.

Bei Wettbewerbsexperten stößt das auf Unverständnis. "Erst im Dezember hat die EU-Kommission erklärt, dass die Bündelung von Produkten nur dann ein Problem ist, wenn dadurch der Markt für andere Hersteller abgeschottet wird", sagt Waelbroeck. "Der Marktanteil des Internet Explorers sinkt jedoch seit Jahren zugunsten alternativer Programme kontinuierlich."

Tatsächlich fiel der Marktanteil des IE in Europa dem französischen Xiti-Monitor zufolge im Jahr 2008 erstmals unter die 60-Prozent-Marke. Xiti überwacht, welchen Browser die Nutzer beim Surfen auf europäischen Webseiten benutzen. Konkurrenten des IE, wie Firefox (31 Prozent), Opera (5,1 Prozent) und der neue Google-Browser Chrome (1,1 Prozent) holten demnach in Europa auf. In Finnland, Polen und Slowenien nähere sich Firefox bereits der 50-Prozent-Marke. "Es ist bizarr", sagt Damien Geradin, Direktor des Zentrums für Wettbewerbsrecht am belgischen College of Europe. "Die Kommission behauptet, dass Microsoft den Browser-Markt abschottet, während Microsoft auf eben diesem Markt laufend Marktanteile verliert. Wie soll das möglich sein?" Geradin, der auch als Kartellrechts-Anwalt arbeitet, beurteilt das Verfahren daher als "eine Imagekampagne der Kommission, die sich als Konsumentenschützer profilieren" wolle.

Technisch Versierte

Bei der EU-Kommission arbeitet man jedoch mit anderen Zahlen. Angeblich habe man "Beweise, die über das öffentlich bekannte Maß hinausgehen", wie Kommissionssprecher Jonathan Todd der Süddeutschen Zeitung erklärt. "Sie zeigen, dass der Marktanteil des Internet Explorers um mindestens 50 Prozentpunkte höher ist als jener von Firefox." Zudem hätten bisher "großteils nur technisch versierte Konsumenten" den Browser gewechselt, sagt Todd.

Die Hersteller alternativer Browser stimmen dem zu und begrüßen das Verfahren. Es werde "der illegalen Bündelung von Internet Explorer und Windows ein Ende machen und dadurch das Untergraben offener Standards stoppen", sagt Thomas Vinje vom Europäischen Komitee für interoperable Systeme (ECIS), das unter anderem die Interessen von Opera in Brüssel vertritt. Die aktuelle Untersuchung der Kommission geht auf die Beschwerde dieses norwegischen Browser-Herstellers zurück.

Da der IE durch die Bündelung mit Windows beinahe überall verfügbar sei, würden die meisten Anbieter von Internet-Seiten ihre Angebote speziell für den IE programmieren, beschwert man sich bei ECIS. "Dadurch werden diese Webseiten auf Browsern alternativer Hersteller oft nicht korrekt dargestellt und die Konsumenten so dazu gezwungen, den Internet Explorer zu benutzen", sagt Vinje. Diese Praxis schotte das Programm vom Wettbewerb ab und verringere so die Wahlfreiheit für den Konsumenten.

Ein Jahr lang hat die EU-Kommission die Beschwerde geprüft und Beweise gegen Microsoft gesammelt. Nachdem die Wettbewerbshüter Mitte Januar ihre Beschwerdepunkte übermittelt hatten, bleiben dem Softwareunternehmen nun acht Wochen Zeit, um darauf zu antworten. Das Unternehmen muss erklären, wie die Konsumenten durch die Bündelung des Browsers mit Windows ein besseres, kostengünstigeres Produkt erhalten haben. Kann Microsoft diesen Vorteil für die Kunden nachweisen, könnte die Kommission das Verfahren fallen lassen. Sie verbietet marktbeherrschenden Firmen nämlich nicht, am Markt aggressiv zu agieren, solange das zum Wohle der Konsumenten geschieht.

"Microsoft ist jetzt in einer sehr schwierigen Situation", sagt der Kartellrechts-Spezialist Damien Geradin. "Die Bündelung von Programmen hat für das Unternehmen eine hohe strategische Bedeutung." Kann der Konzern die Kommission nicht überzeugen, so bliebe Microsoft nur übrig, einen Vergleich vorzuschlagen, sagt Geradin. "Microsoft könnte theoretisch eine Windows-Version ohne Internet Explorer anbieten." Das musste Microsoft schon beim Streit um das Multimedia-Programm "Windows Media Player" akzeptieren. Die Windows-Version ohne Multimedia-Funktionen war jedoch ein Flop, nur 1800 Exemplare der als "Windows XP N" bezeichneten abgespeckten Version wurden verkauft. "Diese Lösung ist unwahrscheinlich, denn welcher Kunde möchte schon ein Betriebssystem ohne Browser kaufen", sagt Geradin. Noch dazu, wo ohne Browser kein Internet-Zugang möglich sei, wodurch auch keine alternativen Browser aus dem Netz heruntergeladen werden könnten.

"Wir streben an, dass Microsoft auch die Browser alternativer Hersteller in Windows integrieren muss", sagt ECIS-Vertreter Thomas Vinje. Wenn auch die Kommission diese Position im Zuge des Verfahrens einnimmt, liefe es wohl auf einen Gerichtsprozess hinaus, sind sich Experten einig: Microsoft würde diese Lösung nicht akzeptieren und müsste vor dem EU-Gerichtshof in Luxemburg dagegen klagen.

Vorteil für Google

Unklar ist auch, ob die Konsumenten von dem Verfahren überhaupt profitieren. "Die Verbraucher haben schon heute jederzeit Zugang zu anderen Browsern", sagt der Brüsseler Anwalt Waelbroeck. "Mit ihrem Verfahren nützt die Kommission eher Google und den anderen als den Konsumenten." Der Suchmaschinen-Anbieter drängt seit kurzem mit dem eigenen Browser Chrome auf den Markt. Mit einer Entscheidung der EU-Kommission wird frühestens im Oktober dieses Jahres gerechnet.

Der Softwarekonzern Microsoft hat wieder einmal Ärger mit der Europäischen Kommission - diesmal geht es um den Internet Explorer. Foto: AFP

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Staatsgeld für Airbus-Käufer

Frankreich stellt Fluggesellschaften fünf Milliarden Euro Kredit bereit

Paris - Wegen der Wirtschaftskrise greift der französische Staat Airbus-Kunden mit Kredithilfen von fünf Milliarden Euro für Flugzeugkäufe unter die Arme. Damit Fluggesellschaften ihre Aufträge nicht stornierten, habe der Staat Banken verpflichtet, Zwischenkredite zur Verfügung zu stellen, hieß es aus dem Pariser Finanzministerium am Montag. Grund sei, dass viele Airlines derzeit nicht die notwendigen Darlehen für Flugzeugkäufe erhielten. Das Geld für die Airbus-Kunden stammt aus einem Topf mit sieben Milliarden Euro, mit denen französische Banken Exportgeschäfte finanzieren sollen. Sie hatten diese Summe dem französischen Staat in der vergangenen Woche im Gegenzug für ein zweites Bankenrettungspaket über 10,5 Milliarden Euro zugesagt.

Etwa 40 Prozent der Finanzierung eines Flugzeugkaufs komme üblicherweise von Banken, berichtete die Zeitung Les Echos. Die EADS-Tochter Airbus könne diesen Teil keinesfalls übernehmen, wenn die Banken wegen der Kreditklemme ausfielen. Der Flugzeugbauer habe derzeit zwar ein Auftragspolster von 3715 Maschinen, doch viele Bestellungen könnten gefährdet sein. So hat Airbus-Verkaufschef John Leahy eingeräumt, dass 30 Prozent des Orderbestands durch fehlende Finanzierungsmöglichkeiten gefährdet sei.

Einbruch bei Aufträgen

Klar ist, dass es in diesem Jahr einen Einbruch bei den Neubestellungen geben wird. Airbus-Chef Thomas Enders hatte am Sonntag bei einem Wirtschaftsforum in Riad in Saudi-Arabien gesagt, die Order könnten wegen der Luftfahrtkrise in diesem Jahr um 50 bis 60 Prozent zurückgehen. "Wir kämpfen darum, eine Finanzierung für unsere Kunden zu finden", sagte der deutsche Vorstandsvorsitzende - auch mit Blick auf Abnehmer am Persischen Golf, die in den vergangenen Jahren zu den wichtigsten Bestellern von Maschinen der Tochter des Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS zählten. Die Finanzkrise hat inzwischen selbst die reichen Ölstaaten am Golf erreicht. Mitte Januar hatte Airbus mitgeteilt, man erwarte nach 777 Bestellungen im vergangenen Jahr in diesem nur noch 300 bis 400 neue Aufträge. AFP

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Goldrichtig

Das Edelmetall ist die beste Versicherung gegen Wirtschaftskrisen

Von Catherine Hoffmann

Gold ist die Währung der Angst - und das Zittern ist groß. Die Weltwirtschaft hat sich krankgemeldet, besorgt beugen sich die Chefärzte Ben Bernanke und Barack Obama über den von Fieberschüben geschüttelten Patienten. Ob ihm noch ein paar hundert Milliarden Dollar mehr das Leben retten? Notenbankchef und Präsident wollen der US-Wirtschaft Depression und Deflation ersparen - um jeden Preis, auch den der Inflation. Nullzinspolitik, bedingungsloses Aufblähen der Geldmenge und gigantische Verschuldungsexzesse sollen den Kollaps von Banken und Wirtschaft abwenden.

Anleger haben das Spiel längst durchschaut - und Gold zu ihrem Anlagefavoriten gemacht. Das Kalkül: Wenn es gut geht und das Schlimmste - die Depression - abgewendet werden kann, dann steigt der Goldpreis Richtung 1000 Dollar. Wenn es schlecht läuft und sich die Finanzkrise nicht eindämmen lässt, verteuert sich Gold um ein Vielfaches. Ob in Zeiten deflatorischen Drucks oder künftiger Inflationierung, das Metall ist als Wertbewahrungsmittel gefragt.

Besonders begehrt sind deshalb nicht Aktien von Goldminen, Zertifikate und andere Papiere, die sich nach dem Goldpreis richten, sondern echtes Gold zum Anfassen, gelagert im Tresor einer Schweizer Bank. Sparer, die schon früh der lockeren Geldpolitik der US-Notenbank misstrauten, freuen sich jetzt. Wer seine erste Unze vor zehn Jahren kaufte, zahlte 260 Dollar, heute kostet sie 900 Dollar. Seit 1999 ist der Goldpreis um 250 Prozent gestiegen, der Deutsche Aktienindex dagegen um 20 Prozent gefallen. Goldrichtig lag, wer damals Aktien verkauft und damit das Edelmetall gekauft hat. Noch immer ist Gold die beste Versicherung gegen Wirtschaftskrisen.

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Mitten in der Wirtschaftskrise

Mega-Fusion in Pharmabranche

Viagra-Hersteller Pfizer kauft den US-Rivalen Wyeth für 68 Milliarden Dollar

Von Kristina Läsker

München - In der Pharmabranche kommt es mitten in der Finanzkrise zur größten Übernahme seit neun Jahren. Finanziert von fünf Banken, kauft Branchenprimus Pfizer für 68 Milliarden Dollar den US-Rivalen Wyeth. Damit stemmt sich Pfizer gegen drohende Verluste aus Patentabläufen und verstärkt sich mit biotechnologischen Arzneien.

Seit dem Zusammenschluss von Sanofi und Aventis im Jahr 2004 hat es in der Arzneimittelbranche keine Groß-Fusionen mehr gegeben. Nun plant der Viagra-Hersteller Pfizer einen der umfangreichsten Deals aller Zeiten: Der weltweit größte Arzneimittelhersteller mit Sitz in New York will den halb so großen Wettbewerber Wyeth aus Madison (New Jersey) kaufen und einen auf gentechnologisch veränderte Medikamente ausgerichteten Hersteller formen. "Durch die Kombination von Pfizer und Wyeth entsteht der weltweit beste Biotechnologie-Konzern", sagte Pfizer-Chef Jeffrey Kindler am Montag. Der 53-Jährige soll die Führung übernehmen und ist künftig verantwortlich für einen Jahresumsatz von 71,3 Milliarden Dollar, 129 500 Mitarbeiter und einen Arzneimittel-Vertrieb in mehr als 150 Ländern.

Der Zusammenschluss der Pharmakonzerne ist die erste bedeutende Übernahme seit der Verschärfung der Finanzkrise im vergangenen Jahr und die größte in den USA seit langem. In der Krise waren die Banken nicht mehr bereit, die für solche Geschäfte nötigen Milliardenkredite zu vergeben. Die Fusion könnte nach Meinung von Experten auch der Auftakt sein zu weiteren Zusammenschlüssen in der Branche. Dort fürchten viele Originalhersteller den Ablauf von Patenten, verbunden mit Umsatzeinbrüchen durch die Konkurrenz von billigeren Nachahmermedikamenten (Generika). In etlichen Konzernen schwächelt zudem die Forschung, es gibt zu wenig Nachschub mit neuen Mitteln.

Die Führungsgremien beider Konzerne hatten die Fusion am Sonntag abgesegnet. Sie ist verbunden mit dem Abtritt des Wyeth-Chefs Bernard Poussot und seinem Team. Pfizer finanziert den Zukauf zu etwa einem Drittel mit eigenem Bargeld, zu einem Drittel mit Aktien und zu einem Drittel mit geliehenem Geld eines Bankenkonsortiums. Für den Wyeth-Kauf hat sich Pfizer trotz Bankenkrise eine Finanzierung von 22,5 Milliarden Dollar gesichert. Die US-Kreditinstitute Goldman Sachs, Bank of America, J. P. Morgan Chase, Barclays Capital and Citigroup haben Pfizer dazu mit jeweils 4,5 Milliarden Dollar ausgestattet.

Für den Fall, dass der Zusammenschluss noch scheitern sollte, hat sich Pfizer außerdem zu einer außergewöhnlich hohen Rücktrittszahlung von 4,5 Milliarden Dollar bereit erklärt. Das ist das Doppelte der sonst in der Branche üblichen Prämie und zeigt die Verunsicherung in der Finanzbranche.

Den Zukauf will Pfizer spätestens im Verlauf des vierten Quartals abschließen. Der Hersteller bietet den Wyeth-Aktionären insgesamt 50,19 Dollar pro Aktie. Davon soll es je 33 Dollar in bar geben sowie 0,985 Pfizer-Aktien. Dies entspricht einem Aufschlag von 29 Prozent auf den Schlusskurs vom vergangenen Donnerstag, ehe am Markt Gerüchte über das Geschäft auftauchten. Die Aktionäre von Wyeth halten künftig etwa 16 Prozent am neuen Konzern. Sie müssen sich allerdings auch auf Einschnitte bei der Dividende einstellen, die Pfizer wegen der Übernahme halbieren will.

Jede zehnte Stelle bedroht

Im Zuge der Übernahme sollen etwa zehn Prozent der Stellen wegfallen. Ab dem dritten Jahr nach der Fusion erhofft sich der neue Konzern jährliche Einsparungen von vier Milliarden Dollar.

Pfizer und Wyeth legten wegen der Fusion bereits am Montag ihre Bilanzen vor. Der Branchenprimus erlitt im vierten Quartal 2008 einen drastischen Rückgang des Gewinns. Er ging wegen des umfangreichen Sparprogramms und teurer Rechtsstreitigkeiten um 90 Prozent auf 266 Millionen Dollar zurück. Der Umsatz sank im letzten Quartal wegen des Patentverlusts bei einigen Arzneien um vier Prozent auf 12,3 Milliarden Dollar - der gesamte Jahresumsatz stagnierte bei etwa 48,3 Milliarden Dollar.

Wyeth setzte im Schlussquartal mit 5,3 Milliarden Dollar sogar sieben Prozent weniger um als vor einem Jahr, der Jahresumsatz legte daher nur leicht auf 22,8 Milliarden Dollar zu. Wegen höherer Forschungskosten habe Wyeth auch weniger verdient, teilte der Konzern mit. Der Überschuss sank von 4,6 auf 4,4 Milliarden Dollar. (Kommentare, Seite 28)

Pfizer

Die Wurzeln sind deutsch. Die aus Ludwigsburg stammenden Auswanderer Charles Pfizer und Charles Erhart haben vor 160 den heute größten Pharmakonzern der Welt gegründet. Zu Beginn produzierten sie Mottenkugeln und Zitronensäure. Heute ist Pfizer vor allem für die Potenzpille Viagra bekannt und für das weltweit meistverkaufte Medikament, den Blutfettsenker Lipitor. Groß wurde Pfizer durch die Übernahme der Rivalen Warner-Lambert (2000) für 90 Milliarden Dollar und Pharmacia (2003) für 64 Milliarden Dollar. läs

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INHALT

PERSONALIEN

Im Palais der Männer

Birgit Steinborn führt als erste Frau den Siemens-Gesamtbetriebsrat. Seite 18

POLITIK UND MARKT

Nahrung für alle

Experten warnen vor einer neuen Lebensmittelkrise. Seite 20

UNTERNEHMEN

EU hilft Firefox & Co.

Konkurrenz will, dass Microsoft mehrere Browser in Windows integriert. Seite 28

GELD

Wie sicher ist mein Geld?

Zunehmende Verluste der Banken - zunehmende Sorgen der Sparer. Seite 31

Kursteil Seiten 33, 34 und 35

Fondsseiten Seiten 34 und 35

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Kurse des Tages

Die Aktien der Bank Barclays schossen zum Wochenauftakt um knapp 60 Prozent in die Höhe. Das britische Geldinstitut hatte in einem offenen Brief Gerüchte über eine staatliche Beteiligung zurückgewiesen und einen Vorsteuergewinn angekündigt. Die Bilanz soll früher kommen als geplant. Nach Ansicht der Börsianer hat Barclays damit "Stärke" gezeigt.

Die Aktien des niederländischen Kreditinstituts ING stiegen am Montag um 22 Prozent, obwohl die Bank nach einem Jahresverlust von einer Milliarde Euro erneut Staatshilfe in Anspruch nehmen muss. "Das ist nur ein generelles Aufatmen", kommentierte ein Analyst die Kursreaktion. Der Konzern baut zudem 7000 von 130 000 Stellen ab. (Seite 31)

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Spaltung im Kern

Siemens beschleunigt den Ausstieg aus dem Atomgeschäft mit der französischen Areva

Von Markus Balser

München - Schon die Einladung signalisierte den Siemens-Aufsichtsräten entscheidende Veränderungen. Einen Tag vor der Hauptversammlung an diesem Dienstag in München trommelte der Konzern am Montag seine Kontrolleure zur Sondersitzung in der Zentrale zusammen. Einziges Thema auf der überschaubaren Agenda: Der bevorstehende Ausstieg aus dem deutsch-französischen Atom-Gemeinschaftsunternehmen Areva NP.

Noch schweigen die Konzernstrategen zu allen Spekulationen. Doch das Ende der holprigen Kooperation gilt intern längst als besiegelt. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung hat der Vorstand den Ausstieg auf einer Sitzung am Freitag bereits besiegelt. Nun gehe es um die Details der Vertragsauflösung, heißt es aus dem Unternehmen. "Und die birgt viele Gefahren", warnt ein Aufsichtsrat.

Siemens-Emissäre sollen nun in Paris vor allem gegen eine Klausel vorgehen, die es den Münchnern für acht Jahre verbietet, Areva Konkurrenz zu machen. Denn Siemens will sich keineswegs aus dem lukrativen Atomgeschäft zurückziehen. "Der Konzern wird nur die Seiten wechseln", verlautet aus dem Aufsichtsrat weiter - und sich so ein größeres Stück vom Kuchen sichern, als die Areva-Beteiligung erlaubt.

Die seit 2001 bestehende Kooperation zwischen Siemens und Areva umfasst den Bau von Atomreaktoren und die Kerntechnik. Als Junior-Partner mit einer Beteiligung von 34 Prozent fehlt es dem deutschen Konzern an unternehmerischen Gestaltungsmöglichkeiten und Mitspracherechten. Deutlich wird dieses Problem beim Bau des finnischen Reaktors Olkiluoto. Verzögerungen bei dem Projekt haben den Elektrokonzern bereits viel Geld gekostet.

Ziel der Siemens-Führung ist eine neue Partnerschaft mit dem russischen Staatsunternehmen Atomenergoprom. Ähnlich wie Areva verfügen die Russen über große eigene Forschungsprogramme in der Kernenergie und Kapazitäten zum Bau ganzer Kraftwerke. Geplant sei eine Gemeinschaftsfirma, die Siemens an der operativen Führung beteilige, hieß es am Montag weiter.

Die Eile des eigenen Managements überrascht selbst Aufsichtsräte. Noch Mitte 2007 hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit ihrem Veto das Drängen des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy gestoppt, Siemens aus Areva herauszudrängen. Der Franzose wollte, dass der Staatskonzern Areva eine Option zieht, im Jahr 2011 den 34-Prozent-Anteil von Siemens am Atomreaktorbauer Areva NP zu übernehmen. Siemens-Chef Peter Löscher betonte 2008 noch, langfristig an der Partnerschaft interessiert zu sein. Allerdings betrachtet der Konzern dem Vernehmen nach seinen strategischen Einfluss als zu gering. Der Ausstieg bei Areva NP sei mit der Bundesregierung abgestimmt, hieß es in den Kreisen.

Nun will Siemens offenbar selbst den Ausstieg beschleunigen. Die vertraglich festgelegte Trennungsfrist von drei Jahren sei nicht mehr in Stein gemeißelt, hieß es am Montag aus dem Unternehmen. Stimmt der Aufsichtsrat dem Ausstieg zu, winken dem Konzern Milliardeneinnahmen. Den Siemens-Anteil an der Areva-Tochter schätzen Aufsichtsräte auf mindestens zwei Milliarden Euro.

Der internationale Markt für Atomtechnik gilt in vielen Chefetagen als vielversprechendes Geschäft. Bis 2030 ist weltweit der Bau von mehr als 400 neuen Atomkraftwerken geplant. Projektvolumen: eine Billion Euro. Allein in China sollen bis 2020 etwa 30 neue Meiler entstehen. Der wachsende Energiebedarf und die begrenzten Ressourcen treiben den Boom an.

Siemens will sein Engagement beim französischen Kraftwerksbauer Areva möglichst schnell aufgeben. Foto: AFP

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GEWINNQUOTEN

Lotto (24. Januar):

Lottozahlen: 2 - 12 - 14 - 16 - 36 - 46

Zusatzzahl: 33; Superzahl: 0.

1. Rang (6 Treffer und Superzahl) unbesetzt, im Jackpot 25 120 722,20 Euro, 2. Rang (6 Treffer) 854 855,90 Euro, 3. Rang (5 Treffer mit Zusatzzahl) 29 275,80 Euro, 4. Rang (5 Treffer) 3816,30 Euro, 5. Rang (4 Treffer mit Zusatzzahl) 162,40 Euro, 6. Rang (4 Treffer) 50,80 Euro, 7. Rang (3 Treffer mit Zusatzzahl) 26,00 Euro, 8. Rang (3 Treffer)11,90 Euro.

Spiel 77: 9 6 0 4 6 7 7

Gewinnklasse 1, Super 7: unbesetzt, im Jackpot 1 160 950,30 Euro, Gewinnklasse 2: 70 000,00 Euro, Gewinnklasse 3: 7000,00 Euro, Gewinnklasse 4: 700,00 Euro, Gewinnklasse 5: 70,00 Euro, Gewinnklasse 6: 7,00 Euro, Gewinnklasse 7: 2,50 Euro.

13er-Wette: 1. Rang unbesetzt, im Jackpot 58 721,30 Euro, 2. Rang 19 573,70 Euro, 3. Rang 782,90 Euro, 4. Rang 55,60 Euro.

Auswahlwette: Gewinnklasse 1: unbesetzt, im Jackpot 725 148,30 Euro, Gewinnklasse 2: unbesetzt, im Jackpot 20 944,20 Euro, Gewinnklasse 3: 961,70 Euro, Gewinnklasse 4: 55,70 Euro, Gewinnklasse 5: 21,60 Euro, Gewinnklasse 6: 4,30 Euro.

Lotterie Aktion Mensch: Ziehung 20. 1.: Geldziehung Rang 1: Nr. 0 559 519; Rang 2: 6 498 353, 3 670 090; Rang 3: 5 079 118, 2 593 321, 0 838 533, 7 204 391; Rang 4: 194 415. (Ohne Gewähr)

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Devisen und Rohstoffe: Euro steigt über 1,31 Dollar

Der Kurs des Euro ist am Montag stark gestiegen. Die Gemeinschaftswährung legte bis auf 1,3142 Dollar zu, nach 1,2985 Dollar im späten US-Geschäft am Freitag. "Der Euro war in den vergangenen Wochen immer ein Krisenverlierer. Heute beobachten wir eine Stabilisierung an den Aktienbörsen, und davon profitiert der Euro", sagte Helaba-Analyst Ralf Umlauf. Eine Trendwende zu Gunsten des Euro sei aber angesichts der globalen Risikoaversion noch nicht absehbar, sagten Analysten. Der Dollar und der Yen blieben unter anderem deshalb gesucht, weil in Krisenzeiten wie diesen Carry-Trades abgebaut würden, sagte UniCredit-Analyst Armin Mekelburg. Bei diesen - als riskant geltenden - Geschäften werden Kredite in niedrig verzinsten Währungen aufgenommen, um das Geld in rentablere Anlagen - zum Beispiel höher verzinste Währungen - zu investieren.

Der Preis für eine Feinunze Gold stieg zum Londoner Nachmittagsfixing auf 910,25 (875,75) Dollar. SZ/Reuters/dpa

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Deutsche Börse Dax klettert ins Plus

Gestützt auf eine Erholung der Finanzwerte ist der deutsche Aktienmarkt am Montag nach einem schwachen Start ins

Plus geklettert. Laut Börsianern herrscht "gespannte Ruhe". Positive Reaktionen der Aktien führender europäischer Banken auf Aussagen zu deren Situation habe die angeschlagenen Finanzwerte ins Plus drehen lassen. Am Nachmittag stand der Dax 2,5 Prozent höher bei 4285 Zählern. Der MDax legte 2,4 Prozent auf 4876 Punkte zu. Der TecDax gewann ein Prozent auf 455 Zähler.

"Der deutsche Aktienmarkt hängt aktuell besonders stark an der Brust der US-Börsen und entsprechend tut sich zuletzt nicht viel - Investoren harren wie das Kaninchen vor der Schlange den Vorgaben und Nachrichten von der Welt-Leitbörse", sagte Chefhändler Oliver Roth von der Close Brothers Seydler Bank. Die aktuell stabile Situation könne sich schlagartig ändern, beispielsweise wenn American Express oder Amgen am Abend ihre Bilanz vorlegen. Ein erster Schreck sei schon von sehr schlechten Caterpillar-Zahlen ausgegangen.

Bankentitel kletterten vom Indexende an die Dax-Spitze, wo Postbank-Papiere mit plus 9 Prozent auf 8,34 Euro am stärksten zulegten. Infineon-Titel standen dagegen mit minus 8,82 Prozent auf 0,62 Euro am Ende. Händler verwiesen darauf, dass die Aktien aufgrund der geringen Marktkapitalisierung aus dem Fokus gerückt sind und als "Zockerwert" stets heftig schwankten. ThyssenKrupp sind unterdessen nur optisch sehr schwach. Die Aktien des Stahlkonzerns wurden am Montag ex Dividende gehandelt. ThyssenKrupp schüttet 1,30 Euro je Aktie aus. Das Papier wurde bei 15,62 Euro gehandelt - das sind 0,93 Euro weniger als zum Freitagschluss.

Am Rentenmarkt fiel der Bund-Future auf 122,87 (Freitag: 123,29)

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Wandelanleihe

Eine Wandelanleihe ist zunächst eine ganz normale Unternehmensanleihe: Der Anleger erhält für sein Geld einen festen Zinssatz (Kupon) und hat den Anspruch auf Rückzahlung des eingesetzten Kapitals bei Fälligkeit.

Zusätzlich beinhaltet die Wandelanleihe (im Englischen Convertible Bond genannt) das Recht, die Anleihe in die zugrundeliegenden Aktien zu genau definierten Bedingungen zu tauschen, also zu "wandeln". Das lohnt sich allerdings nur dann, wenn der Aktienkurs entsprechend hoch notiert und mehr abwirft als die Anleihe plus Kupon. Als Ausgleich für dieses Recht ist der feste Zins während der Laufzeit geringer als bei konventionellen Anleihen. zyd

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Marktdaten 26.1.09Vortag Änd.
MDax(16 Uhr)4867,384764,20 + 2,17 %
TecDax(16 Uhr)454,71449,89 + 1,07 %
Euro Stoxx 50(16 Uhr)2200,832147,87 + 2,47 %
Dow Jones(16 Uhr)8116,598077,56 + 0,48 %
Euro Interbanken(16 Uhr)1,31451,2985 + 0,0160 $
Gold je Feinunze * 910,25875,75 + 34,50 $
Brent-Öl je Barrel(16 Uhr)48,4048,37 + 0,03 $
10j. Bundesanl.(16 Uhr)3,303,25 + 0,05**
10j. US-Staatsanl.(16 Uhr)2,632,61 + 0,02**
* Londoner Nachmittagsfixing ** Prozentpunkte
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Signal Iduna mit Deutschem Ring

Hamburg - Die Versicherer Signal Iduna und Deutscher Ring (DR) Krankenversicherung wollen gemeinsame Wege gehen. "Der Zusammenschluss stärkt den Standort Hamburg und bietet neue Optionen, gefährdete Arbeitsplätze in der Unternehmensgruppe Deutscher Ring zu retten", so DR-Kranken-Chef Wolfgang Fauter. Der Vertrieb werde gestärkt, es ergäben sich Synergien in der privaten Krankenversicherung. Beide Firmen sind Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, die ihren Mitgliedern gehören.

Der Zusammenschluss ist vor dem Hintergrund des Streits der DR Kranken mit der schweizerischen Baloise-Gruppe (Basler Versicherung) zu sehen. Diese hatte zwar die Sach- und Lebensversicherung im Deutschen Ring, nicht aber die Krankenversicherung der Hamburger Gesellschaft übernommen. DR Kranken und Baloise hatten sich daraufhin über den Umbau der Führungsstrukturen beim Deutschen Ring, gemeinsame Beteiligungen - etwa am Finanzvertrieb OVB - und die Perspektiven der Mitarbeiter von DR Kranken entzweit. Bis November hatten die drei DR-Versicherer einen gemeinsamen Vorstand gehabt, weshalb Baloise Interessenkonflikte sah. Reuters

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Aktionär muss Schaden ersetzen

Berlin - Aktionäre, die missbräuchlich Unternehmen verklagen, müssen den entstandenen Schaden ersetzen. Das geht aus einer Entscheidung hervor, die das Oberlandesgericht Frankfurt am Montag veröffentlichte. In dem Fall besaß ein Kleinaktionär 47 Aktien im Wert von 12 Euro an einer Immobilien-AG. Gegen die von der Hauptversammlung im Mai 2007 beschlossene Kapitalerhöhung legte er Anfechtungsklage ein. Die Kapitalerhöhung wurde deshalb zunächst nicht eingetragen. Die Aktiengesellschaft forderte daraufhin Schadenersatz von dem Aktionär. Im Verlauf des Verfahrens bot er an, seine Anfechtungsklage zurückzunehmen, wenn ihm im Gegenzug gewisse Vorteile gewährt würden. Das Oberlandesgericht sieht das Verhalten des Klägers als sittenwidrig an, weil es gegen die besonderen Treuepflichten zwischen Aktionären verstoße. Die Klage sei allein mit dem Ziel erhoben worden, die Aktiengesellschaft unter Druck zu setzen (Aktenzeichen: 5 U 183/07). dku

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Helfer helfen steuerfrei

Der Staat unterstützt manche Ehrenamtliche bei ihrer Arbeit - der Fiskus erhebt darauf keine Abgaben

Von Marco Völklein

München - Am Weihnachtstag saß Martin Burgmeier bei seinen Schwiegereltern beim Kaffee. Man plauderte, schließlich kam das Gespräch auf ehrenamtliches Engagement. Martin Burgmeier erzählte, dass er darüber nachdenke, sich künftig ehrenamtlich zu betätigen - so wie es bundesweit mehr als 23 Millionen Menschen tun. "Das bringt doch nichts", sagte sein Schwiegervater. "Am Ende zahlst du nur drauf, weil du auch noch Steuern abführen musst, wenn die dir eine Aufwandsentschädigung zahlen." Das war für Martin Burgmeier neu. Er fragte die SZ: Stimmt das denn?

"Es gab zumindest mal den Plan der 16 Bundesländer", erläutert Peter Fastenrath, Leiter der Abteilung Steuern bei der Johanniter-Unfallhilfe (JUH) in Berlin. Paragraph 3, Absatz 26 des Einkommensteuergesetzes sieht eine "Übungsleiterpauschale" in Höhe von 2100 Euro im Jahr vor. Das heißt: Hilfsorganisationen und andere gemeinnützige Vereine können ihren ehrenamtlichen Helfern monatlich 175 Euro Aufwandsentschädigung zahlen, ohne dass dafür Steuern oder Sozialabgaben fällig sind. Bedingung ist aber, dass die ehrenamtliche Tätigkeit zum Beispiel eine pädagogische oder pflegerische Funktion darstellt. Strittig war nun, ob auch der Einsatz von ehrenamtlichen Rettungssanitätern eine pflegende Tätigkeit ist.

Die Bundes- und viele Landesregierungen stellten sich auf den Standpunkt, nur wenn der Sanitäter im Einsatz sei, übe er eine pflegerische Tätigkeit aus; sitzt er auf der Rettungswache herum und wartet auf den Alarm, ist dies keine Pflegeleistung - für diese Zeit sollten Steuern und Sozialabgaben abgeführt werden. Für Rettungsdienste wie das Rote Kreuz, den Malteser Hilfsdienst oder eben die JUH hätte dies Folgen gehabt.

Insbesondere am Wochenende leisten viele Ehrenamtliche auf den Rettungswachen 24-Stunden- oder auch 48-Stunden-Schichten "und erbringen damit ganz wichtige Dienste", sagt JUH-Mann Fastenrath. Pauschal wollte der Fiskus davon ausgehen, dass 30 Prozent der Zeit als Bereitschaft auf der Rettungswache verbracht werden, 70 Prozent im Einsatz. 30 Prozent der Aufwandsentschädigung, die ohnehin "nur 20 oder 30 Euro pro Schicht betragen", so Fastenrath, hätten die Helfer versteuern müssen. Sozialabgaben wären auch fällig geworden. "Das hätte außerdem einen riesigen Verwaltungsaufwand für uns bedeutet."

Die Hilfsorganisationen protestierten. "Unsere Ehrenamtlichen wollen ja kein Entgelt für ihre Leistung, aber es kann doch nicht sein, dass sie für ihre gemeinnützige Arbeit auch noch zahlen müssen", hatte etwa die Präsidentin des Bayerischen Roten Kreuzes, Christa Prinzessin von Thurn und Taxis, geschimpft. In einem offiziellen Schreiben kassierten das Bundesfinanzministerium und die Länder vor kurzem diese Pläne. Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Helfer im Rettungsdienst bleiben künftig von Steuern und Sozialabgaben befreit. Fastenrath: "Das lässt uns alle aufatmen."

Allerdings greift der Fiskus in anderen Bereichen ein. Bei Behindertenfahrdiensten zum Beispiel ist es so, dass der Fahrer keine steuerfreie Aufwandsentschädigung erhält - "er fährt ja, er kümmert sich ja nicht um den behinderten Fahrgast", erläutert der JUH-Mann. Sitzt dagegen ein Ehrenamtlicher im Fond des Kleinbusses und betreut dort die Behinderten, ist dessen Aufwandsentschädigung steuerfrei. Die JUH-Ortsverbände machen es daher oft so, dass ein Zivildienstleistender oder ein festangestellter Mitarbeiter den Kleinbus fährt, ein ehrenamtlicher Helfer die Betreuungsarbeit übernimmt. "Oder sind zwei Ehrenamtliche im Einsatz, wird jeweils zur Hälfte die Steuer- und Sozialabgabenfreiheit in Anspruch genommen", sagt Fastenrath. Je nach dem, für welche ehrenamtliche Tätigkeit sich Martin Burgmeier also entscheiden sollte - sein Schwiegervater könnte recht behalten.

Rettungsdienste wie das Rote Kreuz sind rund um die Uhr im Einsatz. Der Bund wollte die Aufwandsentschädigung der Ehrenamtlichen zum Teil versteuern. oh

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Goldpreis steigt über 900 Dollar

Anleger schätzen das Edelmetall in der Krise als sicheren Hafen

London - Der Goldpreis kletterte am Montag über die Marke von 900 Dollar. Zum Londoner Nachmittagsfixing wurde der Preis für eine Feinunze Gold mit 910,25 Dollar festgelegt, ein Plus von 1,5 Prozent zum Vortag. Damit zog der Goldpreis allein in den vergangenen zehn Tagen um 100 Dollar an, seit Mitte November beträgt der Zuwachs sogar 200 Dollar. In konjunkturell schwachen Zeiten setzen Anleger gern auf den sicheren Hafen Gold, um Währungs- oder Aktienkursverluste zu vermeiden. Hinzu kommen die weltweit sinkende Produktion der Goldminen und die rückläufigen Goldverkäufe der Notenbanken. Die Bestände des weltweit größten börsengehandelten Gold-Fonds, des DPDR Gold Trust, haben sich den Analysten der Commerzbank zufolge allein in der vergangenen Woche um knapp 40 Tonnen Gold erhöht. Veränderungen in Gold-ETFs (exchange traded funds) werden am Markt genau verfolgt. Hohe Zuflüsse werden als Zeichen für eine Rückkehr des Interesses langfristig orientierter Privatanleger gewertet. (Kommentare) SZ/Reuters

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Weltbörsen: Gewinne an der Wall Street

Die Börsen an der Wall Street sind fester in die neue Handelswoche gestartet. Der Dow Jones gewann in der ersten Handelsstunde 1,8 Prozent auf 8218 Punkte. Der breiter gefasste S&P 500 legte um 2,2 Prozent auf 850 Zähler zu. Der technologielastige Nasdaq Composite stieg um 2,3 Prozent auf 1511 Punkte. Vor dem Börsenauftakt sorgte die Ankündigung einer der größten Firmenübernahmen seit Jahren und die bedeutendste seit dem Ausbruch der Finanzkrise für Aufsehen: Der weltgrößte Pharmakonzern Pfizer kauft den Konkurrenten Wyeth für 68 Milliarden Dollar (52 Mrd. Euro). Der Pfizer-Kurs reagierte mit einem Abschlag von knapp neun Prozent, während Wyeth um 1,1 Prozent zulegten.

Beflügelt von den enormen Kursgewinnen bei den europäischen Bankenaktien legten die Titel der Bank of America als Dow-Spitzenreiter um knapp elf Prozent auf 6,91 Dollar zu. Citibank-Papiere stiegen um mehr als fünf Prozent.

Der europäische Leitindex Euro Stoxx 50 gewann 1,5 Prozent auf 2179 Zähler. In London legte der FTSE 100 um 1,8 Prozent auf 2900 Punkte zu. Dort schnellten Barclays-Titel mit plus 66 Prozent auf 84,87 Pence an die Index-Spitze. In einem offenen Brief an die Aktionäre war die britische Großbank Gerüchten über eine mögliche Kapitalerhöhung entgegen getreten und hatte mitgeteilt, gut finanziert und profitabel zu sein.

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Hoffnung für eine geprügelte Anlage

Zwangsverkäufe durch Hedgefonds führten bei Wandelanleihen zu hohen Verlusten. Nun bieten sich Investoren Chancen

Von Markus Zydra

Frankfurt - Die jüngste Geschichte lehrt, dass ein von Hedgefonds kontrollierter Markt wenig Vertrauen verdient. So sind die Preise für Wandelanleihen im vergangenen Jahr völlig eingebrochen, weil Hedgefonds rund 75 Prozent der auch Convertibles genannten Wertpapiere handelten. Denn im Zuge der Finanzkrise mussten viele Fonds die meist auf Pump finanzierten Anleihen zwangsweise verkaufen, weil die Banken den Kredithahn zugedreht hatten. Die Folge waren rapide Kursverluste. Selbst die besten Publikumsfonds büßten ihre Profite der letzten Jahre vollständig ein (siehe Tabelle). "Zeitweise waren die Anleihenpreise stärker gefallen als die Aktien desselben Unternehmens, was eigentlich nicht passieren darf", sagt Bert Flossbach, Partner der Kölner Vermögensverwaltung Flossbach & von Storch. Schließlich seien bei Finanzproblemen eines Konzerns zunächst die Aktionäre betroffen, dann nachrangige Gläubiger und schließlich erst die Zeichner von Wandelanleihen.

Investoren wie Flossbach sammeln nun die besten dieser Wertpapiere für ihre Fonds wieder ein. Die Renditechancen sind bemerkenswert. "Ein Beispiel ist die Wandelanleihe von Heideldruck. Das Papier wirft rund 32 Prozent Rendite auf ein Jahr ab", sagt Flossbach. Der Grund für den schnellen Euro: Wandelanleihen müssen selten bis zur Endfälligkeit gehalten werden - Investoren haben meist eine Verkaufsoption. Bei Heideldruck kann diese Option im Februar 2010 ausgeübt werden. "Wir können die Anleihe fällig stellen, und Heideldruck muss uns dann auszahlen", sagt Flossbach.

Was jedoch bleibt, ist das gerade in dieser Wirtschaftslage nicht zu unterschätzende Ausfallrisiko der einzelnen Anleihe, das auch Grund für die hohe Rendite ist. Deshalb werden in den Fonds viele Wandelanleihen verschiedener Emittenten gemischt. Investments in Wandelanleihen sind generell nur über Fonds sinnvoll, da die minimale Stückelung der Einzelpapiere oft zwischen 50 000 Euro und 100 000 Euro liegt.

Wandelanleihen sind eine Kombination aus einer Unternehmensanleihe und dem Recht, die Obligation während der Laufzeit in Aktien zu umwandeln. Anleger wandeln nur dann um, wenn der Aktienkurs innerhalb der Wandlungsfrist entsprechend hoch ist. Das Unternehmen hat dann den Vorteil, die Anleihe in Aktien statt in Bargeld begleichen zu können. Diese Kombination aus Anleihe und Aktie ändert ständig ihren Charakter, je nach Zinsniveau, Aktienkurs, Schuldnerbonität und den Kursschwankungen (Volatilität). "Wenn der Aktienkurs fällt, verliert auch die Wandelanleihe an Wert", sagt Ulf Becker, Partner der unabhängigen Vermögensverwaltung Lupus Alpha. "Denn damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass der Investor das Wandlungsrecht in der Frist ausübt und damit der potenzielle Mehrwert gegenüber dem Anleihezins." Preisbestimmend für die Wandelanleihe ist auch die Bonität des Emittenten. Je schlechter die ausfällt, desto niedriger notiert das Wertpapier. Viele Investoren isolieren deshalb beide Risiken, indem sie eine Kreditausfallversicherung (CDS) zeichnen und die Aktie auf Termin verkaufen.

Diese verhältnismäßig hohe Komplexität der Produkte macht Wandelanleihen zu einem Spezialmarkt, der - gerade jetzt - wenig liquide ist. Das Emissionsvolumen von Wandelanleihen erreichte 2007 laut der Londoner Fondsgesellschaft F&C Management mit rund 200 Milliarden Dollar ein Rekordhoch. Emittiert wurden Wandelanleihen vor allem in den USA von Banken und Immobilienunternehmen, Sparten also, die im Zentrum der Finanzkrise stehen.

In den letzten Jahren sind viele Neuemissionen auch an Hedgefonds verkauft worden, die zum Beispiel im Rahmen von Arbitrage-Strategien Preisungleichgewichte zwischen Wandelanleihen und Aktien genutzt haben. "Arbitragegeschäfte wurden gemacht, weil die Wandelanleihe nach Isolierung der Einzelrisiken zu günstig war", sagt Becker. Doch das sei nur am Anfang gelungen. "Als immer mehr Akteure in den Markt kamen, wurden diese Ineffizienzen immer kleiner. Also musste man entweder mehr auf Kredit spekulieren, dass es sich lohnt, oder die Aktien und Kreditrisiken offen lassen", so Becker. Diese erhöhte Risikobereitschaft der Hedgefonds brachte den Markt schließlich in diese Turbulenzen, die zu Verlusten von 30 Prozent und mehr führten.

Nun herrscht Optimismus für eine gebeutelte Anlageklasse mitten in der Krise. "Die Durchschnittsrendite unserer Anleihen beträgt rund 13 Prozent", so Flossbach. "Selbst wenn fünf Prozent der Anleihen ausfallen, ergibt sich immer noch eine ordentliche Rendite."

Mitarbeiter in einem Werk von Heidelberger Druckmaschinen: Die Wandelanleihe des Unternehmens wirft auf ein Jahr rund 32 Prozent Rendite ab. Foto: dpa

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Die besten Wandelanleihe-Fonds (in Euro)
NameISINFondsgesellschaftRendite auf 5 Jahre (in %)
LODH Invest Convertible BondLU0159201655Lombard Odier Darier Hentsch & Cie1,01
MAT Euro Plus IncDE0008484098Maintrust KAG0,91
H.A.M. Global Convertible Bd FdLI0010404585IFM Independent Fund Management AG0,87
Nordinvest Nordcumula AccDE0008484957Pioneer Investments KAG mbh0,47
Deka-Wandelanleihen CF IncLU0158528447Deka International S.A.0,37
LiLux Convert AccLU0069514817LRI Invest S.A.0,31
Jefferies Europe Convertible BondsLU0114352973Jefferies Umbrella Fund-0,02
cominvest Wandelanleihenfonds IncDE0006372527cominvest-0,09
Warburg Oswa-Fonds AccDE0008488834Warburg Invest-0,28
CAAM Funds European ConvertibleLU0119108826Crédit Agricole-0,35
E. Rothschild Europ Conv Bds A AccLU0112675722Edmond de Rothschild Asset Managem.-0,35
CS BF (Lux) Convert Europe B AccLU0125128057Credit Suisse-0,40
RMF Convertibles Europe AccLU0114314536RMF Investment Management-1,47
Bayern LB Convertible Bond AL IncLU0153288435BayernInvest Luxembourg S.A.-1,48
JPM Global Convertibles (EUR) A EURLU0129412341JPMorgan Asset Mgt (Europe) S.à r.l.-1,59
FvS Wandelanleihen Global F AccLU0097335235Wallberg Invest S.A.-1,64
Parvest European Convertible Bond LU0086913042BNP Paribas-1,81

Quelle: Morningstar

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