Blut und Spiele
Auf der indonesischen Insel Sumba profitiert die archaisch lebende
Bevölkerung von sanftem Tourismus
Blut, überall Blut. Es färbt den Sand des sonst staubtrockenen Bodens
zu rotem Schlamm. Barfuß waten die Männer darin. Viel mehr ist nicht
mehr zu sehen von dem Gemetzel. Heute war Schlachttag in Waihola. Die zwei
Büffel haben sie inzwischen längst zerlegt direkt auf dem Dorfplatz,
dem Zentrum des Ortes, der Festplatz, Versammlungsort und
Begräbnisstätte zugleich ist. Dort befinden sich auch einige der
für Sumba typischen Megalithgräber, die aussehen wie große
Steintische; mal mehr, mal weniger reich mit Ornamenten verziert, je nach Status
des Verstorbenen. Auch in Waihola steht demnächst eine Beerdigung an, und
die Gäste wollen verköstigt werden. Das Fleisch hängt bereits in
kleine Bröckchen portioniert und zum Trocknen aufgefädelt auf einer
Schnur, die wie eine Wäscheleine über den Dorfplatz gespannt ist. Auf
den Grabsteinen liegen noch die beiden abgetrennten Köpfe der Büffel.
"Die werden erst morgen gekocht", sagt einer der Männer.
Früher stellten sie hier auch die Köpfe ihrer Feinde zur Schau. Erst
seit 1962 ist auf Sumba die Kopfjagd offiziell verboten. Manche Dörfer
liegen jedoch so abgelegen, dass verfeindete Clans ihre oft blutig endenden
Stammesfehden noch immer lieber unter sich austragen. Die Ahnen werden schon
wissen, von wem sie ihren Blutzoll fordern, heißt es. Ein Hund nagt indes
die restlichen Fleischbrocken von einem Knochen, und ein Mann präsentiert
zusammen mit seinen beiden Kindern stolz die Hörner der Büffel, die
sie ebenfalls zum Trocknen in die Sonne gelegt haben. Später werden sie als
Trophäen die Wände einer Bambushütte zieren oder als Sprossen
einer Leiter enden.
Sumba liegt gerade mal eine Flugstunde von Indonesiens Touristenzentrum Bali
entfernt, dennoch ist das Leben hier noch so archaisch wie in der Steinzeit, als
auch bei uns die Koteletts noch nicht von Bofrost und die Fischstäbchen
noch nicht von Käpt'n Iglo angeliefert wurden. Genau nach so einem Ort
hatten Claude und Petra Graves lange vergeblich gesucht. Geht nicht, gibt's
nicht, hatten sie sich irgendwann auf ihrer langen Reise gesagt. Wochenlang
waren sie bereits unterwegs gewesen, um den Platz zu finden, an dem sie leben
wollten und der sich zudem dafür eignen sollte, dort ein kleines umwelt-
und sozialverträgliches Resort zu bauen.
Claude, gebürtiger Amerikaner, hatte lange für einen international
tätigen Baukonzern gearbeitet und war mit seiner Frau, die aus Frankfurt
stammt, schon viel in der Welt herumgekommen. Doch der Wunschort war nicht
leicht zu finden, denn er musste bestimmte Bedingungen erfüllen, und wie so
oft bei Paaren sahen die Vorstellungen vom idealen Ort zum Leben recht
unterschiedlich aus. Als begeisterter Surfer hielt er immer Ausschau nach
perfekten Wellen, während ihr ein zauberhafter Strand wesentlich lieber
war. Ein gemeinsames Ziel aber hatten beide. Sie suchten nach unverbrauchter
Natur und einer archaischen Kultur mit Menschen, die ihre Hilfe brauchen
konnten. Als die Graves 1988 nach Sumba kamen und dort Nihiwatu entdeckten,
hatten sie noch nicht alle Antworten parat, aber sie wussten, das ist der
richtige Platz. "Hier fanden wir die richtigen Leute, um ein Projekt zu
etablieren, das mehr gibt, als es nimmt", sagt Claude.
Sumba also - eine Insel, die nur halb so groß ist wie Hessen und auf
der etwas mehr als 600000 Menschen leben. Berge teilen das Land in zwei
klimatisch völlig unterschiedliche Gebiete. Im kargen Osten mit seinen
zerklüfteten Hügeln und flachen Grassavannen werden vorwiegend Pferde
gezüchtet. Im Westen fällt mehr Regen, weshalb sich die grüne,
hügelige Region gut zum Reisanbau eignet. Dank seiner abgeschiedenen Lage
haben auf Sumba viele archaische Traditionen überlebt. Schon im 19.
Jahrhundert war die Insel für die niederländischen Kolonialherren
weitgehend uninteressant geworden. Sie trieben auf Sumba zwar Handel mit
Sklaven, Pferden, Büffeln und Sandelholz, doch gelang es ihnen nicht, die
Macht der vielen Clans und ihrer lokalen Könige zu brechen. Noch heute
wundert es hier niemanden, dass die inzwischen demokratisch gewählte
Regionalregierung hauptsächlich von Mitgliedern der königlichen
Familien geleitet wird und die früheren Sklaven heute einfach nur
Hausangestellte genannt werden. Selbst das Interesse der indonesischen Regierung
in Jakarta hält sich im Fall Sumbas stark in Grenzen. Bodenschätze
gibt es hier keine zu holen, danach lässt man lieber in Irian Jaya graben.
Und touristisch orientiert man sich lieber an Bali, denn die gerade mal 1000
ausländischen Besucher, die pro Jahr nach Sumba reisen, fallen
wirtschaftlich betrachtet kaum ins Gewicht.
Die Graves waren die ersten Weißen, die sich in Nihiwatu
niederließen und dort vier Jahre lang wie die Einheimischen ohne
fließendes Wasser und ohne Strom in einer einfachen Hütte am Strand
lebten. Sie waren notgedrungen zu Selbstversorgern geworden, denn viele
Sumbanesen litten an Malaria und waren oft zu geschwächt, ihre Felder zu
bestellen. Darüberhinaus gab es enorme Verständigungsprobleme. Bis
heute können sich nicht einmal alle Clans problemlos unterhalten, denn auf
der Insel gibt es um die 18 Dialekte. Schnell waren sich die Graves bewusst, was
es bedeutete, in diese Kultur einzudringen. Sie hatten sich deshalb viel Zeit
genommen, um mit den Dorfältesten die Vor- und Nachteile des Projektes und
wie es ihr Leben beeinflussen würde zu diskutieren. Ohne deren
Einverständnis wäre auch heute noch jedes Projekt zum Scheitern
verurteilt.
Als die Stammesführer schließlich bereit waren, ihnen das Land
abzutreten, wollten sie kein Geld haben. Nicht dass sie das Grundstück nun
plötzlich gleich verschenken wollten. Geld war für sie nur nichts
weiter als bedrucktes Papier, das sie nicht essen konnten. Büffel dagegen
schon. Und so mussten die Graves erstmal losziehen und eine Herde Büffel
besorgen, um sie gegen Nihiwatu einzutauschen.
Bereits die Bauarbeiten an den sieben Bungalows und drei Villen brachten den
Dorfbewohnern Arbeitsplätze. Bis heute gehört es zur Firmenpolitik,
dass 95 Prozent der Angestellten Einheimische sind. Alle Gebäude wurden
ausschließlich mit lokalen Materialien aus Holz, Bambus und Stein
errichtet. Den Energiebedarf deckt eine Biodieselanlage, die mit
Kokosnussöl betrieben wird. 270 Liter Biodiesel werden pro Tag aus dem
getrockneten Kernfleisch der Nüsse gewonnen. Mangels Alternativen hatte man
anfangs konventionelle, fossile Brennstoffe verwendet und war damit von hohen
Ölpreisen abhängig. "Mit Biodiesel konnten wir 75 Prozent der
Emissionen reduzieren. Und Kokosnüsse sind noch dazu ein preiswerter,
nachwachsender Rohstoff, an dessen Verkauf ausschließlich die
Einheimischen verdienen", schwärmt Claude.
In den Anfangsjahren auf Nihiwatu sollte sich jedoch bald herausstellen, dass
die Einnahmen, die das Resort abwarf, nicht ausreichten, um die
Lebensbedingungen in den unmittelbaren Nachbardörfern entscheidend zu
verbessern. "Armut bedeutet hier weit mehr, als einfach nur zu wenig Geld
zu haben", sagt Claude. Die Idee, eine Stiftung zu gründen, war aus
reinem Frust darüber entstanden, dass hier die Menschen nicht einmal das
hatten, was für uns selbstverständlich ist: genügend Wasser, eine
Krankenstation, eine Schule und einen Job.
Als manche Resortgäste direkt für konkrete Hilfsprojekte spenden
wollten, wurde ein Konzept ausgearbeitet, das man künftigen Interessenten
zeigen konnte. 2001 las einer der Surf-Gäste, der amerikanische
Geschäftsmann Sean Downs, den zehnseitigen Projektplan und bot Hilfe an.
Dies war der Beginn der Sumba Foundation, einer gemeinnützigen Stiftung,
die seither unabhängig vom Nihiwatu Resort Hilfsprojekte auf den Weg
bringen kann. Inzwischen kamen mehr als drei Millionen US-Dollar an Spenden
zusammen, mehr als eine Million von den Resortgästen, der Rest von
Wohltätigkeitsveranstaltungen und von Stiftungen verschiedener
internationaler Konzerne.
Schon des gehobenen Standards wegen logieren in Nihiwatu allerdings weniger
Rucksackreisende, als vorwiegend Gäste, die sich sonst die teuersten Hotels
der Welt völlig schmerzfrei leisten können. Menschen, die alles haben
und nichts vermissen. Fast nichts. Zum Stammpublikum gehören nach Auskunft
des Resortbesitzers Designer und Eigentümer von Firmen wie Louis Vuitton,
Sisley, und Hermès. Wenn diese Klientel reist, ist sie vor allem auf der
Suche nach perfekten Momenten und nach jemandem, der einem die Zeit dafür
frei hält. Dabei gibt es einen wunden Punkt, an dem für Claude Graves
Schluss ist mit dem Gutmenschentum. Zum Surfen duldet er keine externen Besucher
auf den Wellen, die er zu den besten der Welt zählt. Diese besonderen
Momente sollen für seine Gäste exklusiv bleiben.
Mittlerweile machen sich viele Geldgeber auf den Weg nach Nihiwatu, um die
Projekte zu sehen, für die sie gespendet haben. "Einige von ihnen
kommen sogar jedes Jahr, um die Projekte in ihrer Entwicklung zu
verfolgen", sagt Claus Bogh, Tropenmediziner in einer von fünf
Kliniken, die mit Hilfe der Sumba Foundation finanziert wurden. Nach seinen
Basisstudien waren noch vor zehn Jahren 62 Prozent der getesteten Kinder im
Alter von unter fünf Jahren mit Malaria infiziert. "Dabei ist es heute
mit Medikamenten und der Verwendung von Moskitonetzen recht einfach, die
Krankheit in den Griff zu bekommen. Inzwischen konnten wir die Infektionsrate um
85 Prozent reduzieren", sagt Bogh. Zudem hat die Stiftung 40 Quellen
erschlossen, 94 Wasserstationen und acht Grundschulen im Umkreis von mehr als
100 Kilometern errichtet.
Man hat inzwischen auch aus Fehlern der Anfangszeit gelernt. Mit Büffeln
erwirbt man heute kein Land mehr. Damit die Familien von der Pacht ein
regelmäßiges Einkommen haben, hat man nun zusätzlichen Grund
gemietet. "Unsere Büffelherde war damals schnell in den hungrigen
Bäuchen des Clans verschwunden, denn wann immer sie ein Fest
veranstalteten, wurden jede Menge Büffel geschlachtet, um die Ahnen zu
besänftigen", sagt Claude.
Magische Kräfte haben auf Sumba seit jeher einen größeren
Einfluss auf das Leben als die sichtbaren. Marapu heißt der weit
verbreitete Glaube an Götter, Geister und Ahnen, der sich sogar in der
Architektur niederschlägt. Die mit Gras gedeckten Bambushütten mit
ihren typischen hutähnlich aussehenden Dächern sind ein verkleinertes
Abbild des Kosmos. Ganz unten zwischen den Stelzen leben die Tiere, im
Mitteltrakt die Menschen und in den Dächern wohnen die Marapu. Hier oben
werden demnach auch wertvolle Gegenstände wie Schmuck und Ikats aufbewahrt.
Für diese Webarbeiten bedarf es oft monatelanger Handarbeit. Wenn ein
Familienmitglied stirbt, erhalten die Tücher rituelle Bedeutung und werden
zum Einhüllen des Toten verwendet, der als Zeichen der Wiedergeburt in der
Haltung eines Embryos mit angewinkelten Armen und Beinen begraben werden muss.
Doch bis das soweit ist, kann es dauern. Schließlich müssen erst
aufwendig verzierte Grabsteine gemeißelt und alle Verwandten
verständigt werden. Je höher das gesellschaftliche Ansehen des Toten
war, desto länger lässt das Begräbnis auf sich warten - bei
manchem König bis zu einem Jahr. In Ikats eingewickelt, bleibt der
Verstorbene so lange als Familienmitglied im Haus und wird symbolisch sogar noch
mit Speisen versorgt.
In der Trockenzeit, wenn die Felder brachliegen, kann man in einigen
Dörfern auch Zeuge archaischer Fruchtbarkeitsrituale werden. Das
bekannteste Fest ist Pasola, eine martialisch anmutende Reiterveranstaltung, die
jedes Jahr im Februar und März abgehalten wird. Hunderte Reiter liefern
sich rituelle Schaukämpfe, in denen die Tradition der Stammeskriege
fortgesetzt wird. Frauen und Kinder feuern die Männer mit schrillen
vibrierenden Schreien an, einem Brauch, der noch an alte Kopfjägerzeiten
erinnert, als so lautstark die heimkehrenden Jäger begrüßt
wurden.
Beim Wettkampf der Reiter versuchen zwei Teams, sich mit Holzspeeren und
Stöcken gegenseitig vom Pferd zu stoßen. Dabei kommt es häufig
zu schweren, manchmal auch tödlichen Verletzungen. Im vergangenen Jahr ging
der Wettstreit für einen Reiter im wahrsten Sinne ins Auge, als einer der
Speere seine Augenhöhle durchbohrte und ihn dabei tötete. Für den
Angreifer hatte der Zwischenfall kein Nachspiel. Schließlich glauben die
Sumbanesen, dass die Marapu bestimmen, wann es Zeit ist zu sterben. Der Blutzoll
tränkt noch dazu die Erde und macht sie fruchtbar für die kommende
Ernte.
Je mehr Blut also fließt, desto besser. MARGIT KOHL
Eine Biodieselanlage, die mit Kokosnussöl betrieben wird, sorgt für
Energie
Informationen
Reisearrangement: Kuoni Reisen organisiert einen siebentägigen Aufenthalt
im Nihiwatu Resort (www.nihiwatu.com und
www.sumbafoundation.org) auf Sumba in einem Luxusbungalow einschließlich
Vollpension ab 4600 Euro pro Person.
Im Preis sind auch die Hin- und Rückflüge
in der Economy mit Singapore Airlines über Singapur nach Denpasar (Bali)
und der Weiterflug mit Merpati Airlines von Denpasar nach Tambolaka (Sumba)
eingeschlossen, sowie sämtliche Transfers. Weitere Infos unter:
Tel.: 0041/44/277 45 45, www.ananea.ch,
ananea@kuoni.ch
Weitere Auskünfte: www.sumbabaratkab.go.id, www.sumbatimurkab.go.id
Bei Reiterfesten wie auch beim Bau der Hütten spielt der animistische
Glaube auf Sumba eine wichtige Rolle. Wasser gibt es nicht in jedem Dorf,
weshalb das Nihiwatu Resort verschiedene Hilfsprojekte initiiert hat. Fotos:
Getty, mako (3), Nancy Opitz
Noch bis 1962 war die Kopfjagd auf Sumba eine gängige Methode der
Einheimischen, ihre Konflikte auszutragen. Steinerne Stelen, die zum
Präsentieren der Schädel dienten, zeugen noch heute davon. Foto:
mako