Herzrasen

3sat widmet sich in der Filmreihe "Amour fou" dem Risiko Liebe

Schon seit ein paar Jahren erhitzt 3sat im eisigen Januar die Gemüter mit einer lockeren Folge von Filmen zum Thema Amour fou, jener ungestümen, bisweilen destruktiven Anziehung zwischen Mann und Frau. Dazu kann es überall kommen. Egal, ob sie bei der Besichtigung einer Großstadtwohnung übereinander herfallen, in Der letzte Tango in Paris von Bernardo Bertolucci, ob sie in der Wildnis einer neuseeländischen Insel aufeinandergeworfen werden, in Jane Campions Piano, oder unter Paul Schraders Katzenmenschen in New Orleans erotisches Erwachen und sexuelle Obsession ineinander übergehen.

Immer geht es um animalische Instinkte, denen mit Vernunft nicht beizukommen ist. Das bekommt auch der junge Ryno de Marigny zu spüren, der sich in Die letzte Mätresse nach zehn Jahren von seiner Geliebten Vellini lösen möchte, um ein unschuldiges Mädchen zu ehelichen. Asia Argento, die durch die Bluttaufe ihres berühmten Vaters, des Horror-Regisseurs Dario Argento, gegangen ist, spielt die feurige Malagena Vellini, und schon bei ihrer ersten Begegnung mit Ryno fließt Blut, als sie sich an einem impulsiv zerdrückten Glas verletzt. Später offenbart sie ihre Hingabe, indem sie lüstern das Blut um seine Herzwunde schleckt, die er sich im Duell um sie zugezogen hat, und spätestens jetzt ahnt man: Eine Liebe, die mit einer solchen Initiation beginnt, lässt sich nicht einfach beenden.

Cathérine Breillat ist die französische Großmeisterin der sexuellen Selbsterforschung von Frauen. Seit Mitte der siebziger Jahre lotet sie in Filmen wie Romance oder Meine Schwester die Verstrickungen von Liebe und Sex aus. In Die letzte Mätresse, in deutscher Erstausstrahlung gezeigt, lässt sie zum ersten Mal die sachliche Gegenwart zugunsten einer opulent historischen Kostümorgie hinter sich.

Doch während klassische Kostümfilme ihren Helden unter bauschigen Rüschen meist nur angedeutete Liebesakte gestatten, wirft Breillat in ihrer zeitlosen Geschichte von Begehren und Verführung einen unverhüllten Blick auf alabasterweiße Haut und verschlungene Körper. Dabei hat sie in Jules Amédée Barbey d'Aurevilly, dem Autor der 1851 entstandenen Romanvorlage, einen Seelenverwandten gefunden, der damals ähnlich provokant wirkte wie sie heute.

Dass es in der Natur der "Amour fou", der rasenden, riskanten Liebe liegt, dass sie von Außenstehenden als Skandal empfunden wird, lässt sich noch bis zum 29. Januar in den späten Nächten auf 3sat erkunden. ANKE STERNEBORG

Die letzte Mätresse, 3sat, 22.55 Uhr. - Weitere Filme der Reihe: Lust auf Sex, 21.1., 22.25 Uhr. Katzenmenschen, 22.1., 22.25 Uhr. Die Träumer, 23.1., 22.25 Uhr. Der letzte Tango in Paris, 25.1., 23.30 Uhr. Das Piano, 29. Januar, 22.25 Uhr.

3sat-Satellitenfernsehen des deutschen Sprachraums ZDF/ORF/SRG SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

RTL will zu Channel 4

Der Vorstandsvorsitzende der RTL Group, Gerhard Zeiler, hat für eine Fusion seines britischen TV-Senders Five mit dem staatseigenen Sender Channel 4 geworben. In einem Beitrag für die Financial Times schrieb Zeiler am Montag, Five und Channel 4 verbänden gemeinsame Eigenschaften. Das Zusammengehen der Sender - mit der britischen Regierung als Mehrheitseigner - könne eine Antwort auf Herausforderungen sein, vor denen das frei empfangbare Fernsehen im digitalen Zeitalter stehe. Channel 4 ist ein Fernseh-Sonderfall; er gehört komplett dem Staat, ist aber voll werbefinanziert. Die zum Bertelsmann-Konzern gehörende RTL Group, die in Deutschland die gleichnamige Senderfamilie betreibt, ist mit Beteiligungen an 42 TV-Sendern der größte Fernsehanbieter Europas. dpa

Zeiler, Gerhard RTL Group: Fusion Channel 4: Fusion SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Slim will NYT helfen

Die New York Times (NYT) verhandelt nach eigenen Angaben mit dem mexikanischen Milliardär Carlos Slim über eine Investition von 250 Millionen Dollar (189 Millionen Euro). Damit solle dem Verlag geholfen werden, Schulden zu begleichen. Der Deal stehe kurz vor dem Abschluss, berichtete die NYT am Montag. Slim werde wahrscheinlich stimmrechtlose Vorzugsaktien kaufen, um den Einfluss der Familie Sulzberger zu sichern, die das Blatt seit mehr als einem Jahrhundert leitet. Die Verlagsführung könnte der Transaktion schon am Montag zustimmen, eine Erklärung werde dann frühestens an diesem Dienstag erwartet. Der Times-Verlag soll rund 1,1 Milliarden Dollar Schulden haben. Ein Kredit von 400 Millionen Dollar läuft im Mai aus. Slim, einer der reichsten Männern der Welt, hatte vergangenes Jahr bereits 6,4 Prozent der NYT erworben. AFP/AP

Slim Helu, Carlos New York Times Co: Liquidität SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Wendekreis der Komik

Eine Flucht, keine Katharsis: Hape Kerkelings "Ein Mann, ein Fjord" im ZDF

Als Hape Kerkeling vor etwa zwei Jahren Ein Mann, ein Fjord als Hörbuch herausbrachte, fühlte eine Rezensentin sich einerseits wegen der "Hoppla-hopp-Stimmungsschwankungen" und andererseits wegen der "Seinsfrage" sowohl an die Operette als auch an die griechische Tragödie erinnert. Das sind mächtige, durchaus auch beängstigende Vorgaben, und wir haben uns in Vorbereitung auf den Film Ein Mann, ein Fjord, der an diesem Mittwoch im ZDF gezeigt wird, in beiden Genres umgetan. Doch keine Bange. Weder Lehárs Lustige Witwe, deren zäheste Ohrwürmer wir aufriefen, noch Sophokles' Antigone mit ihrer doch recht schwierigen Seinsfrage halten im entferntesten den Vergleich mit Ein Mann, ein Fjord aus, geschweige denn, dass sie dem Film im Wege stünden.

Anders gesagt: Es empfiehlt sich, ja es ist in hohem Maße ratsam, sich Kerkelings neuem Film so hinzugeben, als hätten Lehár & Sophokles nie eine Note respektive Zeile geschrieben. Wer sich vor Beginn durch Gattungsbezeichnungen wie Road-Movie oder Komödie dazu verleiten lässt, lotrecht im Stuhl zu sitzen und auf eine rasante Story zu warten, verhält sich ebenso unsinnig wie einer, der am Ende des Films fragt, was der Dichter - in diesem Fall das Dreigestirn Hape Kerkeling, Angelo Colagrossi (auch Regie) und Angelina Maccarone - uns haben sagen wollen. Nichts haben sie uns sagen wollen, außer vielleicht dies: dass auch Klamotten etwas Schönes sind, vorausgesetzt sie funktionieren nach den ewigen Gesetzen der Klamotte und hören zu rattern auf, ehe der Zuschauer sie über hat. Diese Klamotte schnurrt ziemlich gut vor sich hin, so gut, dass sie den Punkt, an dem sie um ihrer selbst und um der Zuschauer willen besser zu schnurren aufhören sollte, beinahe verpasst.

Sprichwörter, die mit "Ein Mann" anlaufen, sind in aller Regel das, was man in gehobener Sprache "dräuend" nennt: "Ein Mann soll allweg mehr wöllen, als er thun kann" und so was. "Ein Mann, ein Wort" kommt aus der Sphäre der Ordalien, also der Gottesurteile, wo sich ein Mann mit seinem Zeugnis für die strittige Wahrheit verbürgte. Entsprechend geharnischt klingt der Spruch, und wenn er durch Zusätze wie "Eine Frau, ein Wörterbuch" verballhornt wird, gibt das ein Gefälle, das lustig zu finden nicht verboten ist. Insofern ist Ein Mann, ein Fjord ein ganz witziger Titel, erstens wegen des Wortspiels und zweitens, weil nordische Anklänge spätestens seit der Ikea-Werbung als genuin heiter gelten.

Es ist üblich, bei Vorbesprechungen nur einen Teil der Story zu referieren und dann mit einem neckischen "Mehr sei aber nicht verraten" zu allgemeinen Erörterungen abzudrehen. Von dieser Sitte kann man hier getrost Abstand nehmen, weil die Geschichte keinerlei Schaden nimmt, wenn man sie bis zu ihrem absehbaren Ende erzählt. Es geht um Norbert, Birgit und Ute Krabbe, eine Prekariatsfamilie, wie sie im Buche steht. Vater Norbert (Jürgen Tarrach) verbringt seine Tage damit, dass er entweder in der Badewanne abtaucht oder an Gewinnspielen teilnimmt. Eines Tages, nachdem er schon alle Scheußlichkeiten der Welt gewonnen hat, passiert das, was man in der Novelle eine "unerhörte Begebenheit" nennt: Er gewinnt einen Fjord in Norwegen, den er, der an einer Reisephobie leidet, allerdings selbst abholen, richtig gesagt: in Besitz nehmen muss.

Nun beginnt eine große, chaotische Nordlandfahrt: alle mit allen und jeder gegen jeden. Norbert reist mit seiner resoluten Tochter Ute (Olga von Luckwald), die ihrerseits Gefallen an dem charmant gaunerischen Lars (Mads Hjulmand) findet. Gattin Birgit (Anneke Kim Sarnau) nimmt, gestützt durch die Aussicht auf einen großen Geldgewinn, Urlaub vom Dauerfreund Alkohol (Alkohol), heuert den Taxler Kemal (Hilmi Sözer) an und brettert ihren Lieben hinterher.

Um diese vier Hauptreisenden wimmelt ein Haufen von Nebenreisenden, die deren Wege mal kreuzen, mal queren, mal fördern, mal hemmen. Es kommt zu Koalitionen der seltsamsten Art, wobei natürlich der gute alte Horst Schlämmer (Hape Kerkeling) weder im Guten noch im Schlechten fehlen darf. Vergeblich versucht die Rezeptionistin auf der Fähre (Wencke Myhre), Ordnung in das Durcheinander zu bringen. Und dann gibt es da noch das Ehepaar Schwarz-Ebershagen (Johanna Gastdorf, Matthias Brandt), deren männlicher Teil die endlose Straße der Konfusionen fast traumwandlerisch durchschreitet. Einmal landet er nackt, nur mit einem Schurz bekleidet, auf einem Elch, und wie er da so auf dem Riesentier sitzt und ins Ungefähre blickt, wirkt er wie der letzte, vielleicht auch erste der ganz, ganz großen Weisen.

Die Sache endet, wie sie enden muss, wenn auch vielleicht aber nicht unbedingt enden sollte: Norbert Krabbe erreicht den Norbert-Krabbe-Fjord und wird dort mit den Seinen offenkundig glücklich. Dieses Ende kommt so schnell und platt, wie man es nach all den Wuseleien eigentlich nicht mehr erwartet hätte. Man hatte die Hoffnung, dass die Bagage irgendwann wieder in Wanne-

Eickel anlandet und dass sich, wie das ja auch in der Operette und der griechischen Tragödie unterläuft, irgendetwas Kathartisches ereignet, eine Wendung zum Besseren oder in drei Teufels Namen zum Schlechteren, was auch immer. So aber geht's nur weiter, wie's angefangen hat, und dafür war das Feuerwerk an Gags und Jokes denn doch sehr aufwendig.

Apropos Gag: Monatelang unterhielt uns der Spiegel mit einer Bestsellerliste, auf der unmittelbar hinter Kerkelings "Ich bin dann mal weg" Joachim Fests "Ich nicht" stand. Am Schluss dieses seines Pilgerbuchs schreibt Kerkeling, dass Gott die Menschen in die Luft werfe, um sie dann wieder aufzufangen. Wenn er, Kerkeling, wieder mal einen Film macht, soll er ruhig all seine vielen Einfälle in die Luft werfen. Auffangen sollte er aber nur die guten: Die reichen locker.

HERMANN UNTERSTÖGER

Ein Mann, ein Fjord, ZDF, an diesem Mittwoch, 20.15 Uhr.

Auf der endlosen Straße der Konfusionen

Der Journalist Horst Schlämmer stellte schon bei Wer wird Millionär? die Fragen und warb im Internet für Volkswagen. Bei Ein Mann, ein Fjord ist Hape Kerkelings bekannteste Figur nur noch eines von vielen Nordlichtern. Foto: ZDF

Kerkeling, Hape Programmgestaltung im ZDF Ein Mann, ein Fjord! SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Blaue, grüne und gelbe Flecken

Woran Ärzte erkennen können, ob eine Patientin geschlagen wurde oder nur von der Treppe gestürzt ist

Begleiter, die das Wort ergreifen, sind immer verdächtig. "Meine Frau ist im Badezimmer ausgerutscht", sagt einer. "Sie ist von der Treppe gefallen", sagt ein anderer. Wenn ein Mann seine verletzte Frau zum Arzt begleitet und das Gespräch an sich reißt, sollte der Arzt die Wunden besonders kritisch untersuchen, fordern Experten für häusliche Gewalt. Allerdings haben es Ärzte bei der Suche nach den Verletzungsursachen oft nicht leicht. Selbst wenn sie die Frau unter einem Vorwand ("Wir müssen noch röntgen") ins Nebenzimmer locken, hören sie oft die gleiche Erklärung für Brüche, blaue Flecken und Schürfwunden, wie sie zuvor der Mann gab. "Die Opfer schämen sich, sie wollen nicht sagen, dass sie misshandelt wurden", sagt der Rechtsmediziner Hans-Dieter Tröger von der Medizinischen Hochschule Hannover.

Einem geschulten Arzt aber können sie nichts vormachen. Wer Verletzungen aufmerksam untersuche und dokumentiere, erkenne in den meisten Fällen, ob die Erklärung stimmen kann, so Tröger. Mit seiner Erfahrung bestätigt er eine aktuelle Untersuchung aus den USA, die sich genauer mit den Spuren von Gewalt im Gesicht beschäftigt. Ein Team von der Temple University School of Medicine in Philadelphia kommt nach der Untersuchung von 326 weiblichen Gewaltopfern zu dem Schluss, dass häusliche Gewalt ganz charakteristische Verletzungen verursacht, wie sie durch gewöhnliche Unfälle kaum entstehen (Archives of Facial Plastic Surgery, Bd. 1, S. 48, 2009) . Zum Beispiel kommt es bei Übergriffen besonders häufig zu komplizierten Brüchen der Wangenknochen und zu Hirnverletzungen. Auch werden oft die Knochen um die Augenhöhle verletzt.

Ärzte können aber nicht nur an der Art der Verletzung Hinweise auf Misshandlung entdecken. Verdächtig ist es auch, wenn ein Opfer beim Erzählen seiner Geschichte den Blickkontakt meidet oder wenn es erst einige Zeit nach dem vermeintlichen Unfall einen Arzt aufgesucht hat. Schließlich sollten die Alarmglocken immer dann läuten, wenn einem Patienten zum wiederholten Mal ein "Missgeschick" passiert sein will und wenn verschiedene Verletzungen am Körper unterschiedlich alt sind. "Blaue, grüne und gelb verfärbte Hämatome sind ein klarer Hinweis auf wiederholte Gewaltanwendung", sagt Tröger.

Häusliche Gewalt wird immer noch zu selten entdeckt. Dem Bundesfamilienministerium zufolge wird jede vierte Frau im Laufe ihres Lebens von ihrem Partner misshandelt. Wenn Frauen selbst zur Täterin werden, dann meist als Pflegende: Weil sie mit der Betreuung überfordert sind, schlagen oder quälen sie zum Beispiel ihre alten Eltern.

Große Aufmerksamkeit hat häusliche Gewalt bisher nur in einem Bereich erlangt: beim Thema Kindesmisshandlung. Hier ist die Öffentlichkeit mittlerweile so alarmiert, dass "fast zu viel" gemeldet wird, wie Hans-Dieter Tröger warnt. Am Hauner'schen Kinderspital der Universität München zum Beispiel hat vor kurzem die neu eingerichtete Kinderschutzgruppe einem Elternpaar die Tochter wegnehmen lassen, weil sie glaubte, einer Kindesmisshandlung auf der Spur zu sein. Dabei hatte sich das Mädchen ein blaues Auge und eine Gehirnerschütterung zugezogen, weil es beim Spielen gegen eine offene Tür gefallen war.

Ein blaues Auge würde allerdings auch Hans-Dieter Tröger misstrauisch machen: "Es gibt Verletzungen, die nur selten durch einen Unfall entstehen", sagt er. "Und das Monokel-Hämatom gehört dazu. Da wurde meist mit der Faust draufgeschlagen." Klassische Gewaltfolgen sind auch Wunden in Scheitelnähe und die Parierverletzungen an der Kleinfingerseite der Unterarme, die ein Mensch erleidet, wenn er Schläge gegen sein Gesicht abzuwehren versucht. Auch Griffabdrücke an den Oberarmen sind im Allgemeinen ein Zeichen von Gewalt. "Ohnehin sollten Ärzte immer Verdacht schöpfen, wenn eine Patientin Wunden an der rechten und an der linken Körperseite hat", so Tröger. "Dann muss man sich besonders gut erklären lassen, wie sie angeblich gefallen ist."

Aber auch wenn der Arzt die Misshandlungen erkennt: Bei erwachsenen Opfern ist er letztlich machtlos. "Er muss tolerieren, wenn die Frau bei ihrer Unfall-Version bleibt", sagt Tröger. "Aber er sollte trotzdem sagen, dass er Zweifel an dem Hergang hat, und eine Beratungsstelle empfehlen." CHRISTINA BERNDT

Gewalt gegen Frauen Gewalt in der Familie SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Feuerkugel über der Ostsee

Experten auf der Suche nach Spuren des Meteoriten

Am Samstagabend haben ein heller Blitz und tiefes Donnergrollen Anwohner im Nordosten Deutschlands aufgeschreckt. Offenbar war ein Meteorit über dem Meer explodiert. Nach ersten Analysen von Fachleuten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin muss der Brocken mit einem Tempo von etwa 70 000 Kilometern pro Stunde in die Hochatmosphäre gerast sein. Er überquerte die Ostsee, erhitzte sich durch die Reibung an der Luft und zerplatzte schließlich in rund f nf Kilometern Höhe. Die entstehende Druckwelle war weithin als Donner zu hören.

Die Größe des Meteoriten dürfte sich nur schwer ermitteln lassen, weil es über Norddeutschland zu der Zeit regnete. "Es muss schon ein ziemlich großer Brocken gewesen", sagt Joachim Flohrer vom DLR, der selbst den hellen Lichtschein der Feuerkugel trotz der dichten Wolkendecke deutlich wahrgenommen hatte. Ob Reste des Meteoriten bis zur Erde gelangt sind, ist unbekannt. "Wenn dies der Fall war, werden sie aber wohl in die Ostsee gefallen sein", sagt Flohrer.

Die DLR-Forscher koordinieren das europäische Feuerkugel-Netzwerk aus 25 automatischen Kamerastationen. Sie wollen noch Aufnahmen von Anlagen bei Bielefeld und Berlin auswerten. Zudem hoffen sie auf Beobachtungen aus Dänemark, wo das Wetter besser gewesen sein soll. Etwa fünfzig Meteorite registriert das Netzwerk pro Jahr über Europa; als Feuerkugel gelten solche, die fünf Sekunden oder länger in der Atmosphäre leuchten. Die meisten Meteorite verglühen vollständig. tb

Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR) Meteoriten SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Im Netz steckt der Wurm

Computerschädling befällt weltweit zehn Millionen PC

Ein trickreicher Computerschädling breitet sich mit rasender Geschwindigkeit vor allem in Firmennetzwerken aus. Der Conficker, Downadup oder Kido genannte Computerwurm wird nicht nur über infizierte E-Mails eingeschleppt, sondern vor allem über USB-Sticks und Laptops. Weltweit sind nach Erkenntnissen von Sicherheitsfirmen bereits rund zehn Millionen Windows-Computer befallen. Betroffen sind vor allem China, Brasilien und Russland, aber auch Europa und die USA. Bis jetzt richtet der Wurm auf den befallenen Rechnern keinen Schaden an, aber das könnte noch kommen, vermuten Sicherheitsexperten.

Windows-Hersteller Microsoft hatte schon im Oktober eine Reparatursoftware bereitgestellt, die ihre Betriebssysteme gegen diesen Angriff immun macht. Doch viele Systemverwalter legten keine besondere Eile an den Tag, den sogenannten Patch (zu deutsch: Flicken) zu installieren. Roger Halbheer, Microsofts Sicherheitschef für Europa, warf den Experten daher schon Anfang Januar vor, sie spielten Russisches Roulette. Systemverwalter müssen allerdings jegliche Updates immer erst darauf prüfen, ob sie sich auch mit der im Haus verwendeten Software vertragen.

Das Schadprogramm tritt nicht nur ständig in neuen Verkleidungen auf. Es setzt auch Schutzprogramme außer Kraft und versucht sogar, mit einer Liste gängiger Passwörter Zugang zum gesamten Netzwerk zu erhalten. Das kann dazu führen, dass die Zugänge automatisch gesperrt werden. Das ist dann der Fall, wenn sie nur eine bestimmte Anzahl von Fehlversuchen zulassen - so geschehen in einem Krankenhaus in Österreich.

Was genau das Ziel der bisher unbekannten Autoren des Wurms ist, lässt sich noch nicht sagen. Bekannt ist, dass er die Lücke, durch die er selber eindringt, gegen weitere Angriffe abdichtet. Nur für sich selbst lässt er ein Hintertürchen offen. Hat er sich erst einmal eingenistet, kann er weitere Software herunterladen, darunter auch solche zum Ausspähen der befallenen Rechner oder zum Versenden von Spam-Mails. Wie der Virenexperte Mikko Hyppönen von der Sicherheitsfirma F-Secure berichtet, erzeugt der Wurm, abhängig vom Datum, viele potentielle Namen für Internetseiten und surft diese nacheinander an. Die Kriminellen brauchen nur eine davon kurzfristig einzurichten und können so weitere Schadsoftware verbreiten.

Auf befallenen Computern setzt der Wurm Sicherheitsoptionen außer Kraft, unter anderem die automatische Update-Funktion von Windows und den Windows Defender. Ferner versucht er den Zugriff auf die Internetseiten von Antiviren-Firmen zu unterbinden, indem er den Zugriff auf alle Seiten sperrt, in deren Namen Begriffe aus deren Umfeld sowie Namen bekannter Hersteller von Antiviren-Software vorkommen.

Aktuelle Antivirenprogramme erkennen den Wurm inzwischen. Das funktioniert aber meist nicht über die ständig laufende Wächterfunktion der Antivirenprogramme. Dazu müssen vielmehr alle Dateien auf dem Rechner durchgekämmt werden. Das kann bei größeren Festplatten oder langsamen Rechnern einige Stunden dauern. Überprüfen sollte man auch transportable Speichermedien wie USB-Sticks.

Privatanwender sollten unbedingt die automatische Updatefunktion von Windows einschalten, rät der Hersteller selbst: "Man kann nur immer wieder gebetsmühlenhaft darauf hinweisen", so ein Sprecher. In Deutschland hätten immerhin rund 90 Prozent aller Privatanwender die Funktion zum automatischen Update eingeschaltet.

Als Computerwurm wird eine Art von Schadsoftware bezeichnet, die aktiv versucht, sich weiterzuverbreiten anstatt wie ein Computervirus lediglich passiv darauf zu warten, weitergegeben zu werden. HELMUT MARTIN-JUNG

Computerviren SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Irrlichter der Großstadt

Reflexionen in Ballungsräumen bringen Tiere in Gefahr

Große, glitzernde Flächen wie Hochhausfassaden, Plastikfolien oder auch Straßen können für Tiere zur tödlichen Falle werden. Ähnlich wie eine Wasserfläche reflektieren sie polarisiertes Licht und verwirren damit viele Lebewesen. Diese glauben, eine Futterquelle oder einen Eiablageplatz entdeckt zu haben (Frontiers in Ecology and the Environment, online).

Polarisiertes Licht, dessen Wellen überwiegend gleich ausgerichtet sind, entsteht, wenn Sonnenlicht von einer spiegelnden Fläche reflektiert wird. Viele Vögel, Reptilien und Insekten haben die Fähigkeit, die gleichgerichteten Lichtwellen wahrzunehmen und sich daran zu orientieren. In besiedelten Gebieten wird den Tieren diese Fähigkeit jedoch immer häufiger zum Verhängnis. Polarisiertes Licht entsteht durch Spiegelung des Sonnenlichts an Glasfassaden, Autos oder Plastikfolien. Der Reiz ist oft um ein Vielfaches stärker als in der Natur, sodass sich die Tiere von den spiegelnden Flächen nicht losreißen können, selbst wenn sie sich dadurch in Gefahr begeben. "Wenn der Reiz unnatürlich stark ist, reagieren viele Tiere auch unnatürlich stark", sagt Bruce Robertson, der an der Untersuchung beteiligt war. So kommt es, dass etwa Libellen ihre Eier fälschlicherweise an unwirtlichen Orten, wie Straßen oder Ölpfützen ablegen und dabei sterben. Folgen ihnen ihre Räuber, zum Beispiel Vögel, geraten auch sie in die lebensfeindliche Umgebung - etwa eine dunkel schimmernde Teergrube, in die dann auch sie einsinken.

"Insekten sind die Grundlage unserer Nahrungskette und was ihnen schadet, schadet dem gesamten Ökosystem", sagt Robertson. Wenn große Teile eines Tierbestands in einer solchen ökologischen Fallen verenden, könne das im Extremfall sogar zum Aussterben einer ganzen Art führen.

Die "polarized light pollution", die Umweltverschmutzung durch polarisiertes Licht, ist nicht nur für Landbewohner ein Problem, sondern auch für Wassertiere. Meeresschildkröten zum Beispiel fressen oft irrtümlich Plastiktüten, die im Wasser schwimmen und sterben an der unverdaulichen Beute. Plastikmüll hat ähnliche Polarisierungseigenschaften wie der Zooplankton, winzige, durchsichtigen Lebewesen, von denen sich die Tiere ernähren.

Die schlimmsten Quellen von Lichtverschmutzung könnten nach Meinung der Forscher ganz einfach ausgeschaltet werden: So würden weiße Markierungen auf Straßen oder weiße Vorhänge an Fenstern Insekten, Fledermäuse und Vögel warnen. Andererseits könnte man das Phänomen auch zur Schädlingsbekämpfung nutzen. Robertson denkt dabei an Insektenfallen, die polarisiertes Licht abgeben. Sie könnten beispielsweise Schädlinge wie den Borkenkäfer anlocken und so zum Schutz des Waldes beitragen.

EVA MARIA MARQUART

Lichteffekte in Städten überfordern Libellenaugen. Vision Photos

Tiere und Tiergattungen Licht SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Politische Baustellen

Beim öffentlich kontrollierten Flughafenbetreiber Fraport stehen wichtige Beschlüsse an

Von Harald Schwarz

Frankfurt - Seit Juni 2001 werden Aktien des Frankfurter Flughafenbetreibers Fraport an der Börse gehandelt. Doch dies änderte nichts am Ruf, ein politisches Unternehmen zu sein. Denn obwohl die Lufthansa und die Julius Bär Holding Aktienpakete in Höhe von je etwa zehn Prozent halten, unterliegt Fraport weiterhin der öffentlichen Kontrolle. Das Land Hessen besitzt 31,6 Prozent des Fraport-Kapitals; die Stadt Frankfurt kommt auf 20,2 Prozent.

Der politische Charakter des Konzerns zeigt sich auch in der Besetzung des Aufsichtsrats. An dessen Spitze steht der bisherige hessische Finanzminister Karlheinz Weimar. Mitglied in dem Gremium ist auch Jörg-Uwe Hahn; der FDP-Politiker ist unbestritten einer der Sieger der Landtagswahl in Hessen vom Sonntag. Die künftige Landesregierung wird ihren Einfluss auf die Geschicke bei Fraport keineswegs beschränken wollen, denn es stehen bei dem Konzern wichtige Entscheidungen an.

Normalerweise regeln Aktiengesellschaften die Nachfolge für ihren Vorstandschef so früh wie möglich. Bei Fraport endet die Amtszeit von Konzernchef Wilhelm Bender Ende August. Kurz vorher wird er 65 Jahre alt. Eine offizielle Entscheidung des Aufsichtsrats, wer ihn beerben soll, steht noch aus. Dies dürfte auch mit dem Zeitpunkt der Landtagswahl zu tun gehabt haben.

Nun, da sie vorbei ist, wird erwartet, dass im Februar die Nachfolge im Chefsessel geregelt wird. Ambitionen und auch gute Chancen auf den Job hat Stefan Schulte, bislang Vize-Chef des Unternehmens und in dieser Funktion für den Flughafenausbau zuständig. Er setzte sich allerdings zuletzt für höhere Managerbezüge bei Fraport ein - was nicht der politischen Großwetterlage entsprach, weil Politiker zuletzt für Mäßigung bei Managergehältern plädierten.

Höchste politische Bedeutung besitzt die geplante Erweiterung des Frankfurter Flughafens um ein Terminal im Süden des Airport-Areals und eine Landebahn im Nordwesten. Besonders diese Piste, für die der Kelsterbacher Wald auf einer Fläche von 270 Hektar - das entspricht etwa 200 Fußballfeldern - abgeholzt werden soll, ist im Rhein-Main-Gebiet heftig umstritten. Rechtlich ist der Weg zwar frei für die Rodung, doch Kommunen wie Rüsselsheim, Flörsheim, Mainz und der Kreis Groß-Gerau wollen, dass Fraport den Beginn des Ausbaus bis Juni aussetzt. Dann entscheidet der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel im Hauptsacheverfahren über die Erweiterung des Flughafens. Bisher möchte Fraport von einem Moratorium, wie es die Anrainergemeinden fordern, allerdings nichts wissen. Der Konzern will "spätestens Anfang Februar" mit der Rodung des Waldes beginnen, sagt ein Firmensprecher.

Eine weitere politische Baustelle von Fraport ist der Flughafen Hahn im Hunsrück, der mehrheitlich dem Frankfurter Konzern gehört und der weiterhin Verluste erwirtschaftet. Gesellschafter "am Hahn" sind auch die Länder Hessen und Rheinland-Pfalz. Fraport wollte dort eine Terminalgebühr von drei Euro je Passagier einführen. Gegen diesen "Hahn-Taler" machte der Billigflieger Ryanair erfolgreich mobil, indem er mit dem Abzug von Flugzeugen drohte. Die rheinland-pfälzische Landesregierung knickte prompt ein und verhinderte die Einführung des "Hahn-Talers".

Fraport und das Land Hessen sind darüber verärgert. Beide haben ihre Beteiligungen am Flughafen Hahn zur Disposition gestellt. Einer Regierung unter Roland Koch (CDU) in Hessen dürfte es kaum einleuchten, warum sie die Infrastruktur des von Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) regierten Nachbarlandes fördern soll. Denn "der Hahn" liegt auf rheinland-pfälzischem Gebiet. Für den Fraport-Konzern und seinen designierten Vorstandschef macht es ebenfalls keinen Sinn, auf Dauer eine Verlustquelle mitzuschleppen. Allerdings: Der Flughafen Hahn hat auch einen großen Vorteil - im Hunsrück, 120 Kilometer von Frankfurt entfernt, gibt es kein Nachtflugverbot.

Die geplante Erweiterung des Frankfurter Flughafens - hier eine Luftaufnahme - ist heftig umstritten. Foto: ddp

Flughafen Frankfurt-Hahn: Unternehmensbeteiligungen Fraport AG: Unternehmensbeteiligungen Fraport AG: Management Flughafenausbau in Frankfurt/Main SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Zufrieden unter Freunden

Gelassene und sozial aktive Menschen werden seltener dement

Freunde sind gut für das Gedächtnis. Gelassenheit hilft auch. Diese Schlussfolgerung legt eine Studie schwedischer Ärzte nahe, die am heutigen Dienstag im Fachblatt Neurology erscheint (Bd. 72, S. 253, 2009). Die Altersforscher vom Karolinska-Institut in Stockholm hatten 506 ältere Menschen untersucht und ihre Lebensgewohnheiten erfasst. Zu Beginn der Studie litt kein Proband an einer Demenz-Erkrankung. Im Verlauf der sechsjährigen Beobachtungsphase kam es bei 144 Teilnehmern zu so starken Gedächtnisverlusten, dass eine Demenz diagnostiziert wurde. Die Ärzte konnten verschiedene Risikofaktoren identifizieren. Menschen, die allein, aber ruhig und entspannt lebten, hatten ein halb so großes Risiko wie jene gleichaltrigen Probanden, die sich einsam und gestresst fühlten. Unter denjenigen, die viele Kontakte hatten, waren ebenfalls jene besser vor Demenz geschützt, die in sich ruhten. Wer viel unter Leute ging, sich aber gestresst fühlte, hatte ein doppelt so hohes Risiko für krankhaften Gedächtnisverlust. "Chronischer Stress kann das Gehirn beeinflussen und womöglich zu Demenz führen", sagt Hui-Xin Wang, der Leiter der Studie. "Die gute Nachricht ist, dass sich Lebensgewohnheiten - anders als genetische Faktoren - ja beeinflussen lassen." Eine ausgeglichene Persönlichkeit und ein sozial aktives Leben könnten das Risiko für Demenz wohl senken, so der Forscher. Aus bisherigen Untersuchungen ist bekannt, dass körperliche und geistige Bewegung die Wahrscheinlichkeit verringern, an der Gedächtnisschwäche zu erkranken. bart

Freunde sind gut für das Gedächtnis. Gelassenheit hilft auch. Diese Schlussfolgerung legt eine Studie schwedischer Ärzte nahe, die am heutigen Dienstag im Fachblatt Neurology erscheint (Bd. 72, S. 253, 2009). Die Altersforscher vom Karolinska-Institut in Stockholm hatten 506 ältere Menschen untersucht und ihre Lebensgewohnheiten erfasst. Zu Beginn der Studie litt kein Proband an einer Demenz-Erkrankung. Im Verlauf der sechsjährigen Beobachtungsphase kam es bei 144 Teilnehmern zu so starken Gedächtnisverlusten, dass eine Demenz diagnostiziert wurde. Die Ärzte konnten verschiedene Risikofaktoren identifizieren. Menschen, die allein, aber ruhig und entspannt lebten, hatten ein halb so großes Risiko wie jene gleichaltrigen Probanden, die sich einsam und gestresst fühlten. Unter denjenigen, die viele Kontakte hatten, waren ebenfalls jene besser vor Demenz geschützt, die in sich ruhten. Wer viel unter Leute ging, sich aber gestresst fühlte, hatte ein doppelt so hohes Risiko für krankhaften Gedächtnisverlust. "Chronischer Stress kann das Gehirn beeinflussen und womöglich zu Demenz führen", sagt Hui-Xin Wang, der Leiter der Studie. "Die gute Nachricht ist, dass sich Lebensgewohnheiten - anders als genetische Faktoren - ja beeinflussen lassen." Eine ausgeglichene Persönlichkeit und ein sozial aktives Leben könnten das Risiko für Demenz wohl senken, so der Forscher. Aus bisherigen Untersuchungen ist bekannt, dass körperliche und geistige Bewegung die Wahrscheinlichkeit verringern, an der Gedächtnisschwäche zu erkranken.

Demenzerkrankungen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Ruhrgebiet wirbt im Ausland

Dortmund - Die Industrie- und Handelskammern des Ruhrgebiets bemühen sich verstärkt um ausländische Investoren. In einem ersten Schritt haben die Kammern gezählt, wie viele Firmen Ausländern gehören. Demnach sind zwischen Emscher, Ruhr und Lippe von den 222 000 registrierten Betrieben über 17 000 im Besitz von Ausländern. Fast die Hälfte sei in türkischer, polnischer oder griechischer Hand. Einige Firmen beschäftigen mehr als 1000 Menschen, wie etwa Atlas Copco (Maschinenbau), Pilkington (Glas) oder Océ (Dokumenten-Management). Um die Attraktivität des Ruhrgebiets zu steigern, setzen die Kammern unter anderem auf eine gezielte Wirtschaftsförderung bereits im Herkunftsland. dpa

Ruhrgebiet Ausländische Investitionen in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Tod im Haus der Wiedergeburt

Beim Einsturz einer Kirche in Sao Paulo sterben neun Menschen

Die Zentrale der Igreja Renascer in Sao Paulo hatte viele Großereignisse hinter sich, ehe es zur Katastrophe kam. Teilweise im Stundentakt fanden in dem ehemaligen Kino im Süden der brasilianischen Metropole Gottesdienste der umstrittenen Pfingstkirche "Wiedergeburt in Christi" statt. Im Dezember 2005 heiratete dort der Fußballprofi Kaká, er ist das berühmteste Mitglied der Gemeinde und stiftete ihr seine Trophäe als weltbester Spieler. Am Sonntag wurde um 18 Uhr eine Messe gelesen, um 19 Uhr sollte die nächste beginnen, da brach um 18.56 Uhr das Dach über den Gläubigen zusammen. Bis zum Montag bargen die Rettungskräfte neun Tote und 100 Verletzte.

Wie die Renascer-Gemeinde berichtet, befanden sich in der kurzen Pause nur 60 Menschen in dem Saal, die Feuerwehr geht allerdings von 400 bis 500 Anwesenden aus. Überlebende berichteten von einer Druckwelle, die an einen Orkan erinnerte. "Als ich aus dem Bad kam, spürte ich einen heftigen Wind", schilderte ein Chorsänger in der Zeitung O Globo. "Ich sah Leute, die sich zu schützen versuchten, Sekunden später sehe ich Staub, und das Dach stürzt ein." Platten fielen wie Dominosteine herab, erzählte eine andere Zeugin, auf einen anderen Beobachter wirkte das Gebäude "wie Styropor". Betroffene irrten schreiend und weinend durch die Trümmer, eine Gruppe von 20 Kindern hatte sich im letzten Moment in Sicherheit bringen können. Verbogene Stahlträger und verbeultes Wellblech liegen nun ineinander verkeilt und lassen eine prekäre Konstruktion vermuten. "Es ist nur eine Ruine übrig", erklärte Sao Paulos Gouverneur José Serra.

Die Suche nach den Ursachen beginnt erst, doch erste Anschuldigungen wurden schnell laut. Ein Informant berichtete, ein Teil des Daches habe bereits in der vergangenen Woche nachgegeben und sei notdürftig geflickt worden, um den Betrieb fortsetzen zu können. Auch hatte es in Sao Paulo zuletzt viel geregnet. Bei anderen Kirchen-Unfällen dieser Art galten ebenfalls Baufehler oder ermüdetes Material als Grund. Renascer-Präsident Geraldo Tenuta widerspricht zwar dem Verdacht der Nachlässigkeit; es sei alles in Ordnung gewesen. Die Gerüchte werden aber auch genährt vom dubiosen Ruf des Religionsunternehmens.

Wie bei anderen Pfingstkirchen sprießen die Tempel der "Wiedergeburt in Christi" mit ihren zwei Millionen Mitgliedern aus dem Boden. Mehr als 1200 sind es in Brasilien und anderswo. Gegründet hatten die Vereinigung 1986 der PR-Mann Estevam Hernandes, der sich "Apostel" nennt, und seine Frau Sonia Moraes, die "Bischöfin". Später zogen sie steinreich nach Florida, wo sie unter Hausarrest stehen. Am Flughafen von Miami wurden sie 2007 mit nicht deklarierten 56 467 Dollar verhaftet, das Geld war in einer Bibel versteckt. Ihr Vermögen wird auf gut sechs Millionen Euro geschätzt; sie besitzen Häuser und Ländereien. Renascer gehört auch ein Fernsehsender. In Brasilien sind Hernandes und Moraes angeklagt wegen Geldwäsche und Dokumentenfälschung. Mit einem Trauerkommunique meldeten sie sich nun aus den USA. Peter Burghardt

Ein Bild der Verwüstung: Die zerstörte Zentrale der Pfingstkirche Renascer in der brasilianischen Metropole Sao Paulo. Foto: Reuters

Kirche und Religion in Brasilien Einstürze Sao Paulo SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Sieg für die Schnäppchenjäger

Die Versteigerung im Internet-Auktionshaus Ebay gilt auch bei einem schlechten Preis, urteilt das Amtsgericht München

Von Ekkehard Müller-Jentsch

München - Ein fahrbereites Auto für 100 Euro, das ist ein echtes Schnäppchen - allerdings nur für den glücklichen Käufer. Der Verkäufer wollte seinen Wagen dagegen so billig nicht abgeben und ließ sich lieber vor den Kadi ziehen: Das Auto sei bei Ebay versehentlich ohne Mindestpreis angeboten worden, versuchte er zu argumentieren. Doch auch bei Gericht zahlte der Münchner nur drauf: Die Klage wurde abgewiesen.

Den Kleinbus Mitsubishi L 300 hatte der Münchner auf der Internet-Plattform Ebay zunächst zu einem Mindestpreis von 2100 Euro angeboten. Das war den Interessenten offenbar zu teuer: Zu diesem Preis wurde kein Gebot abgegeben. Daraufhin wurde der Wagen ein zweites Mal bei Ebay eingestellt, aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen diesmal aber ohne Mindestforderung.

Die Auktion begann also bei einem Euro. Ein Schnäppchenjäger bemerkte das sofort und legte sich auf die Lauer. Als sich bis zur letzten Minute kein Interessent gefunden hatte, bot er 100 Euro - und erhielt Sekunden später von Ebay die Nachricht, dass er den Mitsubishi erworben habe.

Als er nun den Verkäufer anschrieb und sein Auto haben wollte, weigerte sich dieser, es herauszugeben. Daraufhin erhob der Käufer Klage beim Amtsgericht München. Die Richterin machte dem Eigentümer aber gleich klar: "Das Einstellen eines Angebots in die InternetPlattform Ebay stellt ein wirksames, verbindliches Angebot dar."

Es handele sich bei einer derartigen Auktion keineswegs um eine Versteigerung im eigentlichen Sinne, bei der es zum Schluss noch eines gesonderten Zuschlags bedürfe. Darauf hatte sich nämlich der widerspenstige Verkäufer berufen wollen. "Mit der Abgabe eines Gebotes wird dieses Angebot angenommen", sagte die Richterin. Da ein Mindestgebot im konkreten Fall nicht vorgelegen habe, sei der Verkauf zum Preis von 100 Euro zustande gekommen.

"Das ist auch nicht sittenwidrig", erklärte die Amtsrichterin, "da bei privaten Auktionen ohne Mindestangebot die Zielsetzung besteht, den Preis durch die Nachfrage festlegen zu lassen." Da alle Beteiligten aus freiem Willen handeln, sei es auch nicht zu beanstanden, dass Gegenstände mitunter unter Wert verkauft werden. Der beklagte Münchner wandte ein, sein zweites Angebot sei nicht mit seinem Willen eingestellt worden. Doch das erschien der Richterin erst einmal "unbeachtlich". Denn der äußere Anschein eines Verkaufsangebotes liege vor. Der Verkäufer könne zwar grundsätzlich diese Willenserklärung anfechten, "das müsste er nach den gesetzlichen Vorschriften jedoch unverzüglich tun". Als er durch das Schreiben des Käufers von dem Verkauf erfahren habe, mit dem dieser die Lieferung des Kleinbusses verlangte, hätte er eben sofort diese Anfechtung erklären müssen. Das habe er jedoch nicht getan, "so dass er sich nun an dem Vertrag festhalten lassen muss", stellte die Richterin fest.

Das Urteil (Az.: 223 C 30401/07) ist rechtskräftig.

Auf Internetplattformen wie Ebay wird es auch weiterhin günstige Angebote geben. Verkäufer müssen ihre Ware auch dann zum vereinbarten Preis an den Meistbietenden abgeben, wenn sie dafür weit unter Wert bezahlt werden, entschied jetzt ein Gericht. Foto: ddp

eBay Inc Auktionen im Internet SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Sechs Jahre Haft wegen Kindstötung in Gotha

Erfurt - Im Prozess um den Tod eines drei Monate alten Kindes aus Gotha ist die 39-jährige Mutter zu sechs Jahren Haft wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt worden. Das Landgericht Erfurt sah es als erwiesen an, dass die Frau ihrem Sohn im März 2004 einen Gegenstand gegen den Kopf geschlagen und das Baby heftig geschüttelt hatte. Der Junge starb acht Tage später im Krankenhaus. Zum Prozessauftakt hatte die dreifache Mutter zunächst die Verantwortung für den Tod des Jungen zurückgewiesen. Sie hatte eingeräumt, ihren Sohn geohrfeigt und ihm einen "Klaps" auf den Hintern gegeben zu haben. Später gab sie die Tat zu. Als Grund nannte sie umzugsbedingten Stress. ddp

Morde an Kindern in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

"Ich vergleiche die Situation mit einem Tsunami"

Lanxess-Vorstandsvorsitzender Axel Heitmann bereitet seine Mitarbeiter auf harte Zeiten in der Chemieindustrie vor

Axel Heitmann, 49, muss Lanxess durch die tiefe Wirtschaftskrise führen und stimmt die Mitarbeiter nun auf harte Einschnitte ein. Der promovierte Naturwissenschaftler hat vor 20 Jahren bei Bayer angefangen. Seit vier Jahren führt er Lanxess, hat den Konzern in dieser Zeit umgebaut und Sparprogramme umgesetzt.

SZ : Herr Heitmann, BASF macht ein Viertel der Chemieproduktion dicht und führt Kurzarbeit ein, der US-Chemiekonzern Lyondell-Basell ist pleite, Dow schließt 20 Werke, Lanxess muss Investitionen verschieben. Was ist los in der Chemieindustrie?

Heitmann: Wir sind über Nacht abgestürzt. Das gilt nicht nur für die Chemie, sondern auch für andere Branchen, zudem auch noch weltweit und in einem noch nie dagewesenen Maße. Die Verbraucher sind in einen kollektiven Käuferstreik getreten. Sie verschieben den Kauf von Autos oder Möbeln. Dieser Trend wird sich vielleicht noch verschärfen. Ich würde die Situation mit einem Tsunami vergleichen, auch in der Chemieindustrie.

SZ : Wie lange wird das noch dauern?

Heitmann : Das wissen wir nicht. Wir haben es mit einem Stau zu tun, wie man ihn auf der Autobahn vor einer Engstelle erleben kann. Der baut sich derzeit auf. Der Verkehr fließt aber nicht sofort wieder normal, sobald die Verengung der Fahrbahn beendet ist. Der Rückstau wird noch einige Zeit nachwirken.

SZ : Muss der Staat jetzt auch Chemieunternehmen wie Lanxess retten?

Heitmann: Nein. Dieses Unternehmen ist vor vier Jahren als Ausgliederung aus dem Bayer-Konzern in schwierigen Zeiten angetreten und hat ganz bewusst Strukturen geschaffen, die es ihm erleichtern, diese Krise zu meistern. Wir haben unsere Ergebnisse Jahr für Jahr verbessert. Und wir sind solide finanziert. Lanxess ist krisenerprobt.

SZ: Dafür ist Ihr Aktienkurs aber reichlich stark abgestürzt.

Heitmann : Wir können uns dem Sog des gesamten Kapitalmarktes nicht entziehen, obwohl wir auch gute Nachrichten haben: Wir haben unsere Gewinnziele für 2008 aus heutiger Sicht erreicht. Und es wird auch wieder aufwärts gehen. Davon bin ich fest überzeugt: Ich habe gerade für zwei Millionen Euro Lanxess-Aktien gekauft und dafür sogar einen Kredit aufgenommen.

SZ : Sie haben immer gesagt: ,Das Dach soll ausgebessert werden, wenn die Sonne scheint.' Ist das Unternehmen ausreichend geschützt gegen das, was noch kommen mag?

Heitmann: Wir haben in den vergangenen vier Jahren einiges getan, doch das wird sicher nicht ausreichen. Wir haben deshalb gerade einen Krisenstab gegründet, der sich mit den Auswirkungen des Nachfragerückgangs auf unser Geschäft auseinandersetzt. Diesen Krisenstab leite ich. Er erarbeitet jeden Tag Vorschläge, wie auf die Veränderungen der Nachfrage zu reagieren ist, diese liegen in einigen Bereichen bei bis zu minus 50 Prozent. Wir dürfen keine Zeit verlieren.

SZ : Wie viel Kapazität haben Sie bei Lanxess schon stillgelegt?

Heitmann: Wir haben in einigen Bereichen die genutzte Kapazität um bis zu 80 Prozent reduziert, in anderen Bereichen um etwa ein Viertel.

SZ : Das muss doch zu Personalabbau führen.

Heitmann : Wir werden erst mal in einigen Bereichen Kurzarbeit einführen. Wir suchen gerade im Gespräch mit den Arbeitnehmervertretern nach Lösungen. Wo es keine Nachfrage gibt, gibt es keine Produktion, also keine Arbeit. Das kann man für eine gewisse Zeit überbrücken, zum Beispiel durch Abbau von Überstunden.

SZ : Was muss noch kommen?

Heitmann : Weil davon auszugehen ist, dass die schwache Nachfrage anhält, müssen wir aber weitere Instrumente nutzen. Da hat Lanxess Erfahrung: Wir haben in der Vergangenheit die wöchentliche Arbeitszeit für alle reduziert. Wir haben die variablen Anteile der Bezahlung gekürzt. Auch ich als Vorstandsvorsitzender habe über drei Jahre auf 20 Prozent meines variablen Gehalts verzichtet. Dieser Solidarpakt hat uns zusammengeschweißt und den Umbau von Lanxess erleichtert.

SZ : Schließen Sie Arbeitsplatzabbau aus?

Heitmann : Es geht darum, so viele Arbeitsplätze wie möglich zu erhalten und die Last, die 2009 ohne Zweifel bringen wird, auf möglichst viele Schultern zu verteilen. Ich will aber nicht ausschließen, dass es notwendig ist, zu härteren Maßnahmen zu kommen, wenn sich diese Krise weiter verschärft. Ich kann keine Garantien geben, wenn es auch für Aufträge keine Garantien gibt. Betriebsbedingte Kündigungen sind das letzte Mittel.

SZ : Ist es richtig, dass der Staat taumelnden Unternehmen unter die Arme greift?

Heitmann : Alles ist zu begrüßen, was in den Märkten wieder Vertrauen schafft.

SZ: In Krisenzeiten sind Unternehmen billig. Lanxess wollte sich immer verstärken. Könnten Sie sich vorstellen, jetzt Firmen zu kaufen?

Heitmann: Wir sind gut beraten, in dieser Situation sehr vorsichtig zu sein. Jetzt müssen wir unsere Wettbewerbsposition erhalten. Dazu müssen wir uns auf die eigenen Kräfte konzentrieren. Sollte sich eine günstige Gelegenheit ergeben, würden wir zugreifen.

SZ: An der Börse ist Lanxess gerade mal eine Milliarde Euro wert. Sind Sie ein Übernahmekandidat?

Heitmann: Eine erfolgreiche Geschäftspolitik ist das beste Mittel, Übernehmer abzuwehren. Im Übrigen haben wir einen soliden Aktionärskreis, manche Investoren halten bis zu zehn Prozent der Aktien. Die denken langfristig.

SZ : Die Bundesregierung hat ein Konjunkturprogramm von 50 Milliarden Euro aufgelegt. Hilft Ihnen das, oder ist das Verschwendung von Steuergeld?

Heitmann : Das Programm enthält eine Reihe von Maßnahmen, die der deutschen Industrie zugute kommen werden. Investitionen in die Infrastruktur und den Straßenbau nutzen gerade der chemischen Industrie. Investitionen in Verkehrswege oder Telekommunikation und Ausbildung helfen der gesamten Industrie. Das ist genau das richtige Mittel zur Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit.

SZ : Derzeit plant Lanxess den Umzug der Zentrale von Leverkusen nach Köln. Können Sie sich das noch leisten?

Heitmann: Der Umzug wird um ein Jahr auf 2012 verschoben. Ich will, dass sich jetzt alle Mitarbeiter um das Geschäft kümmern und nicht um einen Umzug oder Neubau.

Interview: Karl-Heinz Büschemann und Caspar Busse

"Ich habe gerade

für zwei Millionen Euro

eigene Aktien gekauft."

Foto: Alessandra Schellnegger

"Wo es keine Nachfrage gibt, gibt es keine Produktion,

also keine Arbeit."

Heitmann, Axel: Interviews Lanxess AG: Personalabbau Lanxess AG: Verlust Lanxess AG: Krise Chemieindustrie in Deutschland Folgen der Finanzkrise in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

LEUTE

Dieter Bohlen , 54, Musikproduzent und Juror der Casting-Show "Deutschland sucht den Superstar", musste sich am Montag in Lübeck selbst einer Jury stellen. In einem Raubprozess war Bohlen als Zeuge geladen. Das Landgericht verhandelte über einen der zahlreichen Einbrüche in Bohlens Villa in Tötensen bei Hamburg. Am 13. Dezember 2003 soll der 47 Jahre alte Angeklagte zusammen mit Komplizen die Villa ausgeräumt haben, während Bohlen in Köln vor der Kamera stand. Die Diebe stahlen Handys und einen Flachbildfernseher sowie Kunstwerke. "Am meisten ans Herz gegangen ist mir der Diebstahl eines Gemäldes, das einen abstrakten Flügel zeigte. Dafür würde ich glatt 50 000 Euro zahlen", sagte Bohlen. Foto: AP

Harry Nicolaides , 41, australischer Autor, ist in Thailand wegen Majestätsbeleidigung zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Nicolaides habe in seinem Buch einem fiktionalen Prinzen Machtmissbrauch vorgeworfen, hieß es zur Urteilsbegründung. Der Angeklagte entschuldigte sich und zeigte sich betrübt, da er den 81-jährigen König Bhumibol "uneingeschränkt respektiere". Nicolaides war am 31. August 2008 am Flughafen in Bangkok festgenommen worden, ohne über die Vorwürfe gegen ihn in Kenntnis gesetzt worden zu sein. Die Vereinigung Reporter ohne Grenzen forderte von den thailändischen Behörden, die Strafe gegen Nicolaides sofort fallenzulassen.

Prominente Personen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Domkapitular muss nicht vor Gericht

"Leichter" Missbrauch verjährt nach zehn Jahren

Bamberg – Die Missbrauchsvorwürfe gegen einen ehemaligen Bamberger Domkapitular kommen nicht zur Anklage. Alle ermittelten Fälle sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen seien verjährt, erklärte Bambergs Leitender Oberstaatsanwalt Joseph Düsel. Nach Abschluss der Ermittlungen sieht Düsel zwar einen hinreichenden Tatverdacht dafür, dass der Geistliche in den Jahren zwischen 1978 bis 1984 im Bamberger Schülerwohnheim Ottonianum in zehn Fällen "sexuelle Handlungen an acht verschiedenen Bewohnern" vorgenommen hat. Trotzdem wird sich der 64-Jährige nicht vor Gericht dafür verantworten müssen. Es gebe keine Anhaltspunkte für einen "schweren sexuellen Missbrauch" - für den die Verjährungsfrist nicht zehn, sondern 20 Jahre betrage, erklärte Düsel.

Die Erzdiözese kündigte an, sie werde um Einsicht in die Ermittlungsakten bitten. Über etwaige kirchliche Strafen muss dann die Glaubenskongregation in Rom entscheiden. Dem Ordinariat zufolge gibt der Geistliche auch weiterhin an, sich an die Vorgänge nicht erinnern zu können. Therapeutische Angebote, die zur Aufklärung hätten beitragen sollen, habe der Beschuldigte nur bedingt in Anspruch genommen. Als Priester darf er weiterhin nicht tätig sein. Der 64-Jährige gilt als der höchstrangige katholische Geistliche in Deutschland, dem in jüngerer Zeit sexuelle Übergriffe auf Minderjährige zur Last gelegt werden. Der frühere Domkapitular war bis zu seiner Suspendierung Personalchef für sämtliche Seelsorgeberufe im Erzbistum Bamberg. Zuvor war er als Präfekt und später als Direktor im Ottonianum tätig. prz

Sexualdelikte von Priestern und Pfarrern in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Alles muss raus

Bei Möbeln lohnt sich oft zu feilschen - zumindest bei alter Ware

Winterzeit, Schnäppchenzeit. Gerade jetzt, nach Weihnachten und mitten in der Finanzkrise, senken viele Möbelhäuser die Preise. Im Radio und in bunten Prospekten werben die Händler um jeden Kunden: "Alles muss raus" und "Jetzt letzte Chance - 70 Prozent auf alle Sofas". Dazu gibt es Originelles wie Topftausch-Aktionen oder zinslose Finanzierungen für bis zu 36 Monate. Möbelhäuser, die wegen der harten Konkurrenz aufgeben, werben sogar für die Versteigerung ihrer Restbestände.

Seit das Rabattgesetz 2001 abgeschafft wurde und damit offiziell auch die Schlussverkäufe, sind das ganze Jahr über Rabattaktionen möglich. Außerdem dürfen die Firmen den Kunden weitere Nachlässe gewähren, selbst bei bereits reduzierter Ware. Doch wie weit kann man den Preis noch drücken? In einem großen Möbelhaus in der Münchner Innenstadt, das massiv Prozente-Werbung betreibt, wird die Probe aufs Exempel gemacht: Die schwarze Schrankwand eines Markenherstellers - ein Ausstellungsstück - kostet jetzt nur noch knapp die Hälfte, aber mit 3500 Euro immer noch ziemlich viel.

Die Verkäuferin zeigt sich erfahren mit feilschenden Käufern und kommt der interessierten Kundin entgegen. 300 Euro weniger seien "machbar", verkündet sie nach einem Telefonat mit ihrem Chef. Doch die Kundin will mehr: zinslose Ratenzahlung für ein Jahr und kostenlose Lieferung plus Montage, dann sei sie zum Kauf bereit. Wieder telefoniert die Verkäuferin mit ihrem Chef. Und es klappt - dank etwas Verhandlungsgeschick verbleiben mehr als 500 Euro extra im Geldbeutel. Ausnahme oder Regelfall?

Auf Nachfrage erklärt ein Vertreter des Möbelhauses, wenn das neue Sortiment komme, werde alles, was im Lager und auf den Ausstellungsflächen noch übrig sei, "gnadenlos abverkauft". Bei neuer Ware seien extreme Preisnachlässe aber nicht möglich. Angebote in Werbe-Prospekten seien in erster Linie "Lockartikel, die so stark runtergesetzt sind, dass es ein Nullsummenspiel für uns ist". Soll heißen: Der Händler macht keinen Gewinn, sondern bekommt nur den Einkaufspreis plus Mehrwertsteuer wieder rein.

Bei der Verbraucherzentrale Berlin ist man allerdings skeptisch, ob der Händler mit diesen Produkten wirklich keinen Gewinn erzielt: "Auch Möbelhäuser müssen schließlich ihre Strom- und Wasserrechnung zahlen." Grundsätzlich seien hohe Preisnachlässe nur bei Ladenhütern und Einzel- oder Ausstellungsstücken möglich, "weil Händler sie loswerden wollen".

Und tatsächlich: Bei einem Doppelbett aus dem regulären Angebot desselben Möbelgeschäfts muss die Kundin weitaus hartnäckiger argumentieren und bekommt am Ende trotzdem nur die Hälfte der Lieferkosten erlassen. Immerhin: 100 Euro Ersparnis. Hartnäckigkeit und ein charmantes Lächeln können sich also durchaus lohnen. Konkrete Tipps für erfolgreiches Feilschen möchte man bei der Verbraucherzentrale jedoch nicht geben: "Man sollte natürlich immer versuchen, Rabatte auszuhandeln. Aber da spielt ja auch viel Psychologie mit", sagt eine Sprecherin.

Hartnäckigkeit zahlt sich aus

Doch selbst für Menschen mit Verhandlungsgeschick sieht es bei einem Möbeldiscounter in einem Gewerbegebiet am Münchner Stadtrand nicht gut aus. "Wir sind ja schon ein Discounter. Rabatt geben wir grundsätzlich erst, wenn die Ware mindestens 1000 Euro kostet", sagt ein Verkäufer. Aber mehr als 1000 Euro kostet in diesem Geschäft so gut wie nichts. Nach längerem Insistieren gewährt der leicht genervte Verkäufer dann doch fünf Prozent Rabatt auf einen Schlafzimmerschrank, der regulär 780 Euro kostet. Aber auch nur, wenn ein Bett aus der gleichen Serie für 600 Euro dazugekauft wird. Wer nicht zufällig auch ein Bett braucht, kann sich das Feilschen um die Preise zumindest bei diesem Discounter sparen. Simone Lankhorst

Rabatte Einzelhandel in München Möbelindustrie in Deutschland Rabattgesetz in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Jugendliche drehen Hitler-Video

Augsburg - Drei Jugendliche im Alter zwischen 15 und 18 Jahren haben in der Augsburger Innenstadt offenbar den Hitlergruß gezeigt, ein 18-Jähriger filmte seine Kumpels bei dieser Aktion und veröffentlichte das Video im Internet. Dies teilte die Augsburger Staatsanwaltschaft mit, die Anklage gegen alle vier Beschuldigten erhoben hat. Darin wird den vier Verdächtigen vorgeworfen, im Sommer 2007 einen Film gedreht zu haben und diesen unter dem Titel "Hitler is reborn" (Hitler ist wiedergeboren) auf der Internetplattform Youtube eingestellt zu haben. Einem 18-Jährigen wirft die Staatsanwaltschaft zusätzlich vor, auch andere Filme im Internet veröffentlicht zu haben, die Obdachlose in herabwürdigender Weise darstellen und einen alkoholisierten Obdachlosen in hilflosem Zustand zeigen. Ein 33-jähriger Mitbeteiligter wurde bereits wegen des Hitlergrußes und wegen Beleidigung von Sicherheitskräften rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. stma

Verbotene Symbole SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Flugschreiber bestätigt Absturzursache

New York - Bei dem am Donnerstag auf dem Hudson River in New York notgelandeten Airbus A320 haben nach ersten Untersuchungen beide Triebwerke gleichzeitig versagt. Das geht aus ersten Auswertungen des Flugschreibers und des Stimmenrekorders der Maschine hervor. Wie eine Sprecherin der US-Sicherheitsbehörde NTSB am Sonntagabend (Ortszeit) mitteilte, sind beide Geräte in ausgezeichnetem Zustand. Die bisherigen Erkenntnisse bestätigten die Schilderungen, dass das Flugzeug von einem Vogelschwarm getroffen wurde. Der Flugschreiber lasse erkennen, dass sich der Zwischenfall 90 Sekunden nach dem Start vom Flughafen La Guardia ereignet habe. Bei der anschließenden Notwasserung auf dem Hudson River konnten wie durch ein Wunder alle 155 Insassen des Flugzeugs gerettet werden. dpa

Flugzeugunglücke in den USA SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Großer Bärenhunger

Weil in China der Bambus knapp wird, leiden die Pandas - Ursachen sind Erdbeben und Umweltzerstörung

Von Henrik Bork

Peking - Den Pandas knurrt der Magen. Bambus, das Hauptnahrungsmittel der Tiere, ist in diesem Winter in China knapp geworden. Schon ist der Kadaver des ersten verhungerten Bären gefunden worden. Bedroht sind vor allem die Pandas in freier Wildbahn. "Sie leiden in diesem Winter Hunger", sagt Yang Jiangrong, eine Tierschützerin vom Wolong Panda Club.

Der Grund für die Krise ist das schwere Erdbeben vom Mai vergangenen Jahres, das viele Bambushaine verschüttet hat. Das Erdbeben ereignete sich in der Südwestprovinz Sichuan, wo 1200 der 1590 wilden Pandas in verschiedenen Naturreservaten leben. Auch die weltbekannte Panda-Forschungsstation in Wolong liegt nur wenige Kilometer vom Epizentrum des Bebens vom 12. Mai entfernt und war schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Drei Wärter waren dort damals ums Leben gekommen, ein Panda war getötet, 14 von 32 Panda-Gehegen waren zerstört worden, als sich "plötzlich der Himmel verdunkelte" und es "Steine zu regnen" begann, wie Augenzeugen damals berichteten.

In der Nähe von Wolong ist kürzlich nun ein verhungerter Panda gefunden worden. "Das Erdbeben hat besonders die Bambusvegetation an niedrigen Berghängen zerstört, was die Nahrungssuche der Pandas erschwert", zitiert die Zeitung Südliches Wochenende Zhang Hemin, den Direktor des Panda-Zentrums in Wolong. Auch er fürchtet, dass es nicht bei einem verhungerten Tier bleiben wird. "Mehr wildlebende Pandas werden in diesem Winter krank werden oder sogar sterben", sagte Zhang. Auch für die Pandas, die in der Wolong-Forschungsstation in Gefangenschaft leben, wird der Bambus knapp. Schon am ersten Tag nach dem Beben hatten die überlebenden Wärter begonnen, aus anderen Teilen des Landes Bambus auf Lastwagen herbeizuschaffen. Bis heute muss die Diät der Tiere, die in freier Wildbahn fast ausschließlich Bambus fressen, mit Obst und Gemüse gestreckt werden. Nur sieben der zuletzt 150 Pandas werden derzeit wieder im Forschungszentrum von Wolong gefüttert. Alle anderen Tiere sind über Zoos und Gehege im ganzen Land verteilt worden.

Für die freilebenden Tiere, die extrem menschenscheu sind und von Forschern oft lediglich anhand ihrer Kotspuren verfolgt und gezählt werden können, ist die Lage viel schlimmer. Der Hunger treibt einige der Tiere seit dem letzten Herbst zu verzweifelten Ausflügen. Am 26. Oktober ging Deng Wenpin, ein Bauer im Dorf Xingfu, Kreis Gengda, in der Nähe von Wolong in seinen Gemüsegarten. Plötzlich stand er einem der schwarz-weißen Bären gegenüber, der in seinen Beeten grub. Wilde Pandas sind normalerweise gefährlich, obwohl sie wegen ihrer Korpulenz und der schwarzen Ringe um ihre Augen allgemein als "niedlich" gelten. Doch dieses Tier war "schwach und hungrig und starrte Deng nur teilnahmslos an", hieß es in einem Zeitungsbericht. Das halbverhungerte Tier wurde noch nach Wolong gebracht und gepflegt, starb aber knapp zwei Wochen später.

Schon vor dem Erdbeben war das natürliche Habitat der nach wie vor vom Aussterben bedrohten Pandabären in China ständig geschrumpft. Die Tiere, die es in freier Natur nur in China gibt, sind bei der Nahrungssuche ausgesprochen wählerisch. Sie fressen zu 99 Prozent Bambus, am liebsten dessen Sprossen. Da sie schlechte Nahrungsverwerter sind, brauchen sie von dieser Kost täglich um die zehn Kilogramm.

Daher überleben sie langfristig nur an einsamen, mit Bambushainen bedeckten Berghängen von nicht mehr als 30 bis 40 Prozent Neigungswinkel. Denn dort können sie den ganzen Tag lang fressen, ohne durch anstrengendes Klettern zu viele Kalorien zu verbrennen. Auch sauberes Wasser ist wichtig. Doch natürliches Terrain dieser Art wird von Chinas rasantem Wirtschaftswachstum und seiner riesigen, nach Holz, Bauland und Ackerflächen suchenden Bevölkerung zunehmend zerstört. Ausgerechnet jetzt hat das Erdbeben zusätzlichen Schaden in den Wäldern angerichtet.

Auch in der Vergangenheit hatte es bisweilen Hungersnöte in Chinas Panda-Population gegeben. Besonders viele Tiere starben 1983, als eine selten auftretende und besonders weitflächige Bambusblüte ihre Nahrung zerstörte. "Verglichen mit 1983 ist der aktuelle Schaden durch das Erdbeben aber noch sehr viel ernster", sagt der Panda-Experte Zhang Hemin.

Panda in Not: Dieser Bär wurde nach dem Erdbeben vom Mai 2008 aus dem Panda-Reservat Wolong evakuiert. Foto: AFP

Panda-Bären Natur und Umwelt in China SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Hersteller werden zu Händlern

Nach dem Vorbild der Textilproduzenten investiert die Einrichtungsbranche in eigene Läden

Von Stefan Weber

Köln - Hamburg ist für den Küchenmöbelhersteller Poggenpohl ein gutes Pflaster. Gerade hat das ostwestfälische Unternehmen in der Hansestadt das erste Exemplar seines neuen Spitzenmodells, der "Porsche Design Küche P 7340", ausgeliefert. Kaufpreis: 200 000 Euro. Weitere Aufträge für diese zusammen mit den Design-Spezialisten des Autoherstellers Porsche entwickelte Küche liegen aus Hamburg bereits vor. Von Krise spürt Poggenpohl-Geschäftsführer Elmar Duffner nicht viel: "Wir wollen in diesem Jahr bis zu 100 dieser Premiummodelle verkaufen", kündigte er am Montag auf der weltweit größten Möbelmesse Imm Cologne an.

Beim Verkauf seiner Küchen setzt die zum schwedischen Nobia-Konzern gehörende Poggenpohl-Gruppe immer seltener auf händlerbetriebene Küchenstudios. Das Unternehmen eröffnet stattdessen zunehmend eigene Geschäfte. Im ersten Quartal 2009 kommen fünf weitere Standorte hinzu - in Bremen und London sowie in drei Städten in den USA. Damit führt der Küchenanbieter aus Herford weltweit bereits 37 eigene Verkaufsstudios. Für Möbelhersteller werde es immer wichtiger, auf direktem Weg Zugang zum Kunden zu bekommen, sagt Duffner, der auch Präsident des Verbandes der Deutschen Möbelindustrie (VDM) ist. Diese sogenannte Vertikalisierung haben Textilhersteller wie H&M, Esprit oder Zara den Möbelanbietern vorgemacht: Sie verkaufen ihre Waren schon lange ausschließlich in Läden, die sie auch selbst betreiben.

Duffner beobachtet, dass der Möbelhandel zunehmend aufgeschlossen reagiert auf diese Konzepte der Hersteller - etwa, indem er Verkaufsflächen anbietet, die Hersteller exklusiv nutzen können. "Auch die großflächigen Einrichtungshäuser sind öfter an einer Partnerschaft interessiert", stellt der Verbandspräsident fest. Das war nicht immer so. Der Handel, der seine Kräfte in mächtigen Einkaufsverbänden gebündelt hat, fühlte sich gegenüber der mittelständisch strukturierten Industrie lange Zeit in der stärkeren Position und hielt gemeinsame Projekte nicht für nötig. Denn immerhin repräsentieren die fünf größten Einkaufsverbände 45 Prozent des Einzelhandelsumsatzes mit Möbeln in Deutschland von zuletzt etwa 30 Milliarden Euro.

Messe verliert an Bedeutung

Die Imm Cologne als eines der Aushängeschilder der Kölner Messegesellschaft hat in den vergangenen Jahren stark an Attraktivität eingebüßt. Innerhalb von zehn Jahren ist die Zahl der Besucher um ein Viertel auf zuletzt 107 000 zurückgegangen. Zugleich haben konkurrierende Veranstaltungen in Mailand und Ostwestfalen an Zugkraft gewonnen. Auch die Zahl der Aussteller ist in Köln stark zurückgegangen. Insbesondere viele Küchenhersteller zeigen ihre Produkte statt in Köln lieber auf Hausmessen. Versuche der Messegesellschaft, die Küchenhersteller mit einer eigenen Veranstaltung zurück an den Rhein zu locken, sind gescheitert. Zuletzt musste die Küchenmesse Cusinale mangels Beteiligung abgesagt werden.

Im Herbst war der langjährige zuständige Geschäftsführer der Köln-Messe Wolfgang Kranz abberufen worden. Seitdem kümmert sich Köln-Messe-Chef Gerald Böse persönlich um die Imm Cologne. Ein neues Konzept für eine Küchenmesse hat auch er in der Kürze der Zeit noch nicht erarbeitet. Auf der aktuellen Messe spielt das Thema Küche keine große Rolle. "Möglicherweise gibt es 2011 eine eigene nationale Messe", meint VDM-Hauptgeschäftsführer Dirk-Uwe Klaas.

IMM KÖLN

Die internationale Einrichtungsmesse

vom 19. bis 25. Januar 2009

Ein Modell auf einem "Low-Pad-Bed", fotografiert durch einen "Bone Lounge Chair": Die Möbelhersteller mögen offenbar englische Produktnamen. Foto: dpa

Internationale Einrichtungsmesse Köln SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Lanxess

Anfang 2004 gliederte der Bayer-Konzern das Chemie- und Teile des Kunststoffgeschäfts aus und brachte die Firma als Lanxess an die Börse. Der Kunstname ist aus dem französischen "lancer" (in Gang bringen) und dem englischen "success" (Erfolg) entstanden. Anfangs wurde Lanxess als "Resterampe" bezeichnet, weil viele Bereiche unprofitabel waren. Der drittgrößte Chemiekonzern Deutschlands erzielte 2007 einen Umsatz von 6,7 Milliarden Euro und ein Betriebsergebnis von 719 Millionen Euro. Das Unternehmen liefert unter anderem Vorprodukte für die Reifen- und die Pharmaindustrie und betreibt 50 Fabriken in 21 Ländern. Lanxess hat weltweit 16 000 Beschäftigte. SZ

Lanxess AG: Zahlen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

DIE FRAGE

Ist Herbert Grönemeyer ein Schlagersänger?

Herbert Grönemeyer ist Schauspieler, Sänger, Buchautor und Produzent. Darf man ihn als Schlagerfuzzi bezeichnen?

Dieter Thomas Heck, ehemaliger Moderator der ZDF-Hitparade: "Ein Künstler wie Grönemeyer ist ein Schlagersänger, auch wenn er es ungern hört. Man muss nicht immer so viel Wirbel um Schlagermusik machen und Negatives in sie hineininterpretieren. Schlager ist eine Wegwerfware, man pfeift sie vor sich hin, weil man fröhlich ist."

Grönemeyer, Herbert SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Althaus muss bis März in der Reha bleiben

Allensbach - Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) muss nach seinem schweren Skiunfall voraussichtlich bis mindestens Anfang März in der Rehabilitationsklinik am Bodensee bleiben. Er denke an einen Mindestzeitraum für die Reha von vier bis sechs Wochen, sagte Althaus' behandelnder Arzt Joachim Liepert von den Kliniken Schmieder am Montag. Der beim Zusammenstoß mit einer Skifahrerin schwer am Kopf verletzte Politiker leide unter Störungen des Gleichgewichts, seine Denkabläufe und Reaktionsgeschwindigkeiten seien verlangsamt. Eine Vernehmung zu dem Unfall, bei dem die Skifahrerin tödliche Verletzungen erlitten hatte, sei noch nicht möglich, sagte Liepert. AFP

Althaus, Dieter: Gesundheitliches SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Zittern in der Chefetage

Spitzenmanagern fehlt es an Strategien gegen die Krise

Von Markus Balser

München - Taumelnde Banken, Jobabbau in Hightech-Konzernen, Kurzarbeit bei Chemie- und Autoherstellern: Die Wirtschaftskrise trifft immer mehr Branchen hart. Doch trotz desolater Wirtschaftslage feilen offenbar nur die wenigsten Chefetagen an schlagkräftigen Krisenplänen. Weltweit herrsche im Spitzenmanagement von Unternehmen ein dramatischer Mangel an geeigneten Strategien, um der Wirtschaftskrise historischen Ausmaßes zu begegnen, warnt die Unternehmensberatung Booz & Company in einer aktuellen Studie, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Viele Unternehmenschefs blieben trotz schwacher Wirtschaftsentwicklung tatenlos, kritisiert die Studie. Hauptgrund der Vorstandslethargie: Unsicherheit. Zwar erwarteten die Hälfte der Befragten, dass sich ihre Branche in Folge der Krise stark verändere, doch fast alle Manager gaben an, Ausmaß und Richtung nicht einschätzen zu können. Selbst in den Unternehmen wächst der Zweifel, ob die eigene Chefetage für die kommenden Monate gut gerüstet ist. 40 Prozent der befragten Manager unterhalb der Vorstandsebene trauen ihrer Konzernspitze kein überzeugendes Krisenmanagement zu. Vor allem den Verlierern der Krise stellt die Studie ein katastrophales Zeugnis aus. So kümmerten sich 65 Prozent der angeschlagenen Konzerne nur unzureichend um ihre Unternehmensfinanzen und den Erhalt ihrer Liquidität.

Es sei zwar gut, dass Manager in der Krise nicht überreagierten, sagt Ansgar Richter, Professor für Strategie und Organisation an der European Business School in Oestrich-Winkel. Dennoch sei die Tatenlosigkeit offenbar vielerorts dem Mangel an Konzepten gegen die Krise geschuldet. "In guten Zeiten entwirft kein Vorstand einen Plan B", sagt Richter. "Das kritische Potential wird in vielen Unternehmen einfach ausgeblendet." Nun dürften sich nicht die Fehler der achtziger und neunziger Jahre wiederholen. Konzerne hätten mit Entlassungswellen damals in Kürze systematisch Motivation und Qualifikation ihrer Mitarbeiter zerstört, warnt Richter.

Reines Wunschdenken

Optimismus gibt es derweil in den Chefetagen. Drei Viertel der befragten Spitzenmanager hält die Situation ihrer Konzerne für positiv. Nur 20 Prozent fürchten eine Verschlechterung. Mehr als 50 Prozent erwarten, sich in der Krise einen Wettbewerbsvorteil verschaffen zu können. "Das dürfte Wunschdenken bleiben, wenn die Konzerne nicht schneller und entschlossener auf die Krise reagieren", glaubt Deutschland-Chef Stefan Eikelmann. Wegen der einbrechenden Exporte stünden ganze Industriezweige vor einer existenziellen Krise.

Sollte es zu Sparrunden in ihren Konzernen kommen, zeigen hochbezahlte Spitzenkräfte wenig Kreativität. 40 Prozent der Befragten gehen von einer drastischen Abbau bei Aktivitäten in Umweltaktivitäten und dem sozialen Engagement von Unternehmen aus. Sinkende Umweltausgaben betreffen der Studie zufolge vor allem die in diesem Sektor einflussreichsten Branchen Energie und Transportwesen.

Für die Studie befragte die Unternehmensberatung Booz & Company weltweit im Dezember 830 Top-Manager, davon 15 Prozent aus Deutschland. Für radikale Kursänderungen fehle gerade in Deutschland offenbar der Mut für tiefgreifende Veränderungen, sagt Stefan Eikelmann, Sprecher der Booz-Geschäftsführung in Deutschland.

Wird bald am Umweltschutz gespart? Eine Müllverbrennungsanlage in Oberhausen. Foto: dpa

Unternehmensführung Folgen der internationalen Finanzkrise SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Mitten in Bayern

Mehdorns rosarote Brille

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie abgehoben der Bahnvorstand agiert und wie wenig er vom Alltag seiner Kunden weiß, dann hat ihn Hartmut Mehdorn jetzt geliefert. In einem Interview mit einer großen Sonntagszeitung hat der Bahnchef ein Bild von seinem Unternehmen gezeichnet, das den Erfahrungen vieler Fahrgäste, und besonders denen der Berufspendler nur noch Hohn spricht. Auf die Frage, wann er eigentlich das letzte Mal wegen der Bahn zu spät zu einem Termin gekommen sei, antwortete Mehdorn: "Ehrlich gesagt: noch nie. Vielleicht bin ich ja ein Glückspilz."

Nein, so viel Glück kann nicht einmal ein Hartmut Mehdorn haben. Entweder hat der Bahnchef bei diesem Interview die rosarote Brille aufgehabt. Oder er ist so gut wie nie mit der Bahn unterwegs - zumindest nicht in Bayern und schon gleich gar nicht mit Regionalexpresszügen. Sonst hätte seine Antwort anders ausfallen müssen.

Denn Tatsache ist: Was die Bahn derzeit im Nah- und Regionalverkehr abliefert, ist eine Frechheit gegenüber den zahlenden Kunden. Züge, bei denen man schon froh sein muss, wenn sie wenigstens einmal die Woche pünktlich ankommen oder abfahren, uralte Waggons, unfreundliche oder überforderte Zugbegleiter, Informationspannen ohne Ende, ein nutzloses Beschwerdewesen und eine Bürokratie bei Rückerstattungen, die noch immer den Geist der alten Beamtenbahn atmet. Wer heute am Bahnhof zum Imbissstand geht und eine Leberkässemmel will, wird die nur bezahlen, wenn sie auch mit Leberkäs belegt ist. Doch wer heute beispielsweise eine Fahrt erster Klasse von Augsburg nach München bucht, bekommt dafür einen total überfüllten Zug, bei dem nicht nur drei Wagen, sondern auch die erste Klasse fehlt. Die Zugbegleiter zucken aber nur mit den Achseln und verweisen auf das Beschwerdetelefon. Dort anzurufen ist aber inzwischen so sinnvoll, als wenn man gegen eine Wand sprechen würde.

Die Bahn weiß, dass es für viele Pendler im Freistaat keine Alternative zur Fahrt mit dem Zug gibt - und das nutzt sie schamlos aus. Es wird höchste Zeit, dass Verkehrsminister Martin Zeil (FDP) der Bahn endlich auf die Finger klopft, denn ein schlecht funktionierender Regionalverkehr ist auch ein Standortnachteil für das Land. Andreas Roß

Mehdorn, Hartmut: Image Deutsche Bahn AG (DB): Image Deutsche Bahn AG (DB): Service Deutsche Bahn AG DB: Krise Pannen und Verspätungen im Bahnverkehr SZ-Serie Mitten in ... (Bayern) SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

"So schlecht wie seit dem Fahrplanwechsel war es noch nie"

Kunden werfen der Bahn Betrug vor

SZ-Leser rügen Verspätungen, fehlende Informationen und die Nutzlosigkeit von Beschwerden

Der Ärger bei Bayerns Bahnkunden über Verspätungen, uralte Waggons, chaotische Informationspolitik und die Nutzlosigkeit von Beschwerden sitzt offenkundig tief. Nachdem wir in der vergangenen Woche insbesondere über Probleme der Bahnpendler auf der Strecke Augsburg - München berichtet und unsere Leser gebeten haben, uns ihre Erlebnisse zu schildern, hat die Bayernredaktion eine Vielzahl von E-Mails erreicht. Wir veröffentlichen einige markante Aussagen aus den Zuschriften.

"Der Regionalexpress 30 001 von München nach Salzburg, Abfahrt 5.51 Uhr am Hauptbahnhof, ist mir, der ich in Rosenheim arbeite, ein häufiges Ärgernis", schreibt Frank Frischeisen aus München. "Oftmals ist es so, dass dieser Zug wegen Lokschaden, Defekt am Steuerwagen, Defekt an einem Wagen oder etwas anderem nicht bereitgestellt werden kann. Vergangenen Freitag, 16. Januar, betrug die Verspätung bei der Abfahrt in München 42 Minuten."

Agathe Schreieder pendelt täglich zwischen Regensburg und München, der Preis für ihr Monatsabo hat sich mit der Fahrplanänderung zum 14. Dezember um vier Prozent erhöht. "Die Pendler haben seither bei vielen Verbindungen das Vergnügen, mit Zügen zu fahren, die die DB aus der Mottenkiste geholt hat: schmutzig, zugig, laut und unbequem."

"Zwischen dem 13. Oktober und dem 9. Dezember habe ich insgesamt 21 Mal den IC 29 von Nürnberg (Abfahrt 16.31 Uhr) nach Regensburg benutzt. Der Zug ist kein einziges Mal pünktlich in Regensburg eingetroffen", schreibt Marcus Sauer aus Regensburg. "Im Schnitt hatte er mindestens 13 Minuten Verspätung. Für 2009 ergibt sich bereits wieder dasselbe Bild. Ein weiterer Kommentar dazu erübrigt sich."

Carsten Witt aus Jesenwang wirft die Frage auf, warum in Japan das Zugpersonal bereits mit Disziplinarstrafen rechnen muss, wenn der Zug nur wenige Sekunden Verspätung hat. "Und das bei wesentlich dichteren Zugfolgen als bei uns. Vielen Reisenden wäre schon geholfen, wenn eine Verspätungsmeldung möglichst früh bekanntgegeben würde, so dass man noch auf Taxi, Leihwagen oder eigenes Auto ausweichen könnte."

Gerd Olbrich, der seit 20 Jahren von Dinkelscherben nach Augsburg pendelt, schreibt: "So schlecht wie seit dem Fahrplanwechsel im Dezember war es noch nie. In der für Berufstätige und Schüler wichtigen Zeit zwischen 6.45 Uhr und 7.15 Uhr verkehrt statt bisher drei Regionalzügen nur noch einer. Dieser Zug hatte in den ersten Tagen unverständlicherweise auch noch eine viel zu geringe Kapazität und war deswegen bereits in Dinkelscherben hoffnungslos überfüllt. An den nächsten Stationen spielten sich zum Teil tumultartige Szenen ab, weil Schulkinder vergeblich versuchten, in den vollgestopften Zug zu gelangen."

"Politisch gesehen ist die Leistung der Bahn eine Katastrophe", urteilt Harald Labbow, der täglich mit dem IC um 7.31 Uhr von Augsburg nach München pendelt. Obwohl der Zug seit Tagen ohne Wagen der ersten Klasse verkehrt, verkaufe die Bahn im Internet Erste-Klasse-Tickets für diesen Zug. "Das ist ein klarer Betrug am Kunden. Leider resignieren viele Fahrgäste und reklamieren nicht mehr, da die Antworten auf Beschwerdebriefe aus Textbausteinen bestehen und weit am Thema vorbeigehen."

Ähnliche Erfahrungen mit dem IC 73 941, der um 7.31 Uhr in Augsburg abfahren soll, hat Wilhelm Geiger aus Bobingen gemacht. Montag, Mittwoch und Donnerstag vergangener Woche kam der Zug ohne Wagen der ersten Klasse, für die er immerhin ein Monatsabo für den Preis von 321 Euro bezahlt. Sein Beschwerdeanruf unter einer kostenpflichtigen Nummer erbrachte die Aussage, es würde sich sofort was ändern. Doch am Freitag kam der IC wieder ohne drei Waggons und ohne erste Klasse, obwohl diese per Lautsprecherdurchsage sogar angekündigt wurde. Die Fahrt nach München erfolgte stehend im überfüllten Zug. "Was sich diese Woche an Bahnsteig vier im Augsburger Hauptbahnhof abspielte, war aus meiner Sicht eines juristischen Laien schlicht und ergreifend Betrug", schreibt auch Geiger.

Nur eine Ausrede

Und Rudolf Gamperling, der häufig mit Regionalzügen am Wochenende von Augsburg über München nach Garmisch f hrt, hat festgestellt: "Höchstens 20 Prozent der Fahrten laufen ohne Panne oder Verspätung ab."

"Nach meiner jahrelangen Erfahrung bin ich der Meinung, dass es sich bei den von der Bahn angegebenen Störungen im Betriebsablauf nur um eine Ausrede für irgendeinen dummen Fehler handelt, den man natürlich nie zugeben wird", schreibt Benedikt Hartmann. "Vor kurzem befand ich mich auf dem Heimweg nach Augsburg mit dem RE 10 906, in München natürlich verspätet abgefahren. Auf freier Strecke blieben wir plötzlich stehen. Nach zehn Minuten kam dann die Durchsage, dass angeblich ein Güterzug vor uns auf der Strecke liegen geblieben sei und sich die Weiterfahrt um ein paar Minuten verzögern werde. Aus ein paar Minuten wurde am Ende mehr als eine halbe Stunde. Natürlich gab es keine weiteren Durchsagen, keine Entschuldigung, kein Nichts - wir sind irgendwann einfach wieder losgefahren."

Liebe SZ-Leser, wir sind sicher, dass auch andere Fahrgäste stöhnen, wenn sie auf die Bahn angewiesen sind. Schreiben Sie uns Ihre Erlebnisse unter Bayernredaktion@sueddeutsche.de aro

Aus der Traum: Schmutzig, zugig, laut und unbequem seien derzeit viele Züge in Bayern, klagen Pendler. Foto: ddp

Deutsche Bahn AG (DB): Image Deutsche Bahn AG (DB): Service Deutsche Bahn AG (DB): Öffentlichkeitsarbeit Pannen und Verspätungen im Bahnverkehr SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

"Bissig, präzise, brutal"

Es herrscht Krieg auf der Skipiste: Die Namen mancher Sportgeräte erinnern eher an Kampfsport als an Winterspaß

Von Titus Arnu

Der "Dobermann Spitfire pro" hat keine Reißzähne und auch keine Sprengkraft. Er kann weder bomben noch beißen. Wenn man richtig mit dem Ding umgeht, kommt auch niemand zu Schaden. Es handelt sich nicht um eine Kreuzung aus Kampfhund und Sturzbomber, sondern um einen Carving-Ski.

Am besten fährt der unerschrockene Alpinsportler den schwarz-rot lackierten Ski mit dem dazugehörigen Rennschuh "Dobermann Aggressor". Laut Eigenwerbung der Firma Nordica ist dieses neue Produkt der Dobermann-Linie "gezüchtet aus der gleichen Rasse". Der Name des schwarzen, harten, kantig geformten hohen Stiefels sei Programm, urteilt das Fachmagazin Ski extreme, "der Renn-Skischuh Dobermann Aggressor WC 150 ist bissig, präzise, brutal."

Der Erfolg eines Produktes hängt entscheidend von dessen Namen ab, denn damit sind Assoziationen, Bilder und Gefühle verknüpft. Wer seine Füße in einen Aggressor steckt und die Stiefel an einem Dobermann festschnallt, will wahrscheinlich nicht zum sanften Wellness-Wedeln. Er demonstriert eher, dass er beabsichtigt, sich schnell wie ein Spitfire-Jagdflugzeug in die Tiefe zu stürzen.

Im beliebten Segment der Racecarver sind markige Markennamen derzeit äußerst populär. Die Namen mancher Sportgeräte erinnern eher an Kampfsport als an ein Wintervergnügen, nicht nur bei Nordica. Die Konkurrenz macht beim Wettrüsten mit und bietet ebenfalls einige Kracher an: Fischer hat den "Progressor 9" herausgebracht, Rossignol den "Radical 8X WC OS." Salomon hält in seinem Arsenal den explosiven Twintip-Ski "Gun" bereit und den dazugehörigen Skistiefel "Gun Crystal", der für "kraftvolle Impulsübertragung" sorgen soll und es dem Sportler angeblich erleichtert, "mit den Elementen zu kämpfen und dem Instinkt freien Lauf zu lassen". Die Namen einiger Turbogeräte lesen sich wie Werbung für saft- und kraftspendende Aphrodisika: Nordica verkauft den "Hot Rod Afterburner" und den "Hot Rod Eliminator."

Für Möchtegern-Rennfahrer

Grundsätzlich stehe der Markenname "Dobermann" für Skier und Schuhe, die für eine aggressive, sportliche Fahrweise geeignet seien, erklärt Christian Pichler, Marketing-Leiter bei Nordica. Und "Spitfire"? Auf das gleichnamige Jagdflugzeug aus dem Zweiten Weltkrieg sei die Firma noch nie angesprochen worden, versichert Pichler; der Name stehe für dynamische Allround-Pistenski. Geeignet seien die Dobermann-Produkte "für Rennfahrer und Möchtegern-Rennfahrer", wie es in der Werbung der Skifirma heißt. Weltcup-Athleten wie André Myhrer (Schweden) oder Patrick Thaler (Italien) können mit dem DobermannBiss fachgerecht umgehen, das Problem sind die weniger professionellen Pistenstars. Bei der Diskussion um die Sicherheit auf den Skipisten, die durch den tragischen Skiunfall von Thüringens Ministerpräsidenten Dieter Althaus ausgelöst wurde, wird viel über eine Helmpflicht gesprochen - und weniger über hochgerüstete Wintersportler, die eigentlich nicht fit genug sind für ihre Geräte.

Es ist statistisch nicht nachzuweisen, dass die Unfallzahlen durch die dynamisch geschnittenen Racecarver angestiegen sind. Aber man kann beobachten, dass der Fahrstil vieler Pseudo-Athleten in keinem gesunden Verhältnis zur Verkehrsdichte auf der Piste steht. "Zwischen Weihnachten und Neujahr ging es im Oberallgäu zu wie im Krieg", sagte der Landesarzt der Bayerischen Bergwacht, Herbert Forster, in einer Bilanz der Skiunfälle der letzten Wochen.

Benehmen sich Skifahrer, die einen aggressiv anmutenden Ski an den Füßen haben, auch zwangsläufig aggressiver? Und bewegen sich Frauen, die einen Lady-Ski mit Namen wie "Salomon Jewel Diadem", "K2 First Luv” oder "Rossignol Harmony" fahren, automatisch sanfter und harmonischer? Beides ist nicht unbedingt der Fall. Es kommt wohl, wie Experten vom Deutschen Skiverband, Bergretter und Skilehrer immer wieder betonen, vor allem auf Eigenverantwortung und Rücksichtnahme an.

Und der "Dobermann Spitfire" ist in Wirklichkeit auch kein harter Rennski für harte Kerle. Der handelsübliche Dobermann unterscheidet sich deutlich von einem Weltcup-Modell, er ist viel weicher und verhält sich auf der Piste nicht gerade brutal. Vielmehr entpuppt er sich als echter Spaßski, der brav macht, was man von ihm will - vorausgesetzt, man hat genug Kraft und beherrscht ihn. Das ist bei einem Hund auch nicht anders.

Skifahrer im Tiefflug: Manche perfekt ausgerüsteten Pistenlaien bringen sich und andere in Gefahr, obwohl sie nicht so gut mit ihren Sportgeräten umgehen können wie dieser Springer beim Freestyle-Weltcup in Lake Placid. Liebe Kinder, bitte nicht nachmachen! Foto: AP

Skiausrüstung SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Auch die Reichen knausern

Auktionshäuser leiden unter den Folgen der Finanzkrise. Der Kunstmarkt steht vor einem schweren Einbruch

Von Andreas Oldag

London - Die Gewitterwolken am einst so schönen Kunsthimmel zogen bereits im Herbst vergangenen Jahres auf: Das britische Auktionshaus Christie's wollte für das bekannte Bild "Study for Self Portrait" des Malers Francis Bacon einen Preis von etwa 40 Millionen Dollar (etwa 30 Millionen Euro) erzielen. Doch die Versteigerung wurde zum Flop und musste damals bei einem Preis von 27,4 Millionen Dollar abgebrochen werden. Infolge der weltweiten Finanzkrise zeigen sich mittlerweile selbst schwerreiche Investoren knauserig. Der Kunstmarkt steht vor einem schweren Einbruch, zumal auch Unternehmen für ihre Vorstandsetagen und Foyers kaum noch teure Gemälde einkaufen.

Die Schockwellen der Rezession haben die einst im Geld schwimmenden Auktionshäuser erreicht. Sie müssen sich einen harten Sparkurs verordnen und hoffen, dass sich die Zeiten irgendwann wieder bessern. Christie's kündigte jetzt "einen bedeutenden Stellenabbau" an. Firmenchef-Chef Ed Dolman hat die Mitarbeiter per Email über Stellenstreichungen in allen 85 internationalen Büros informiert. Zudem sollen Verträge mit freien Mitarbeitern und Kunstspezialisten offenbar nicht verlängert werden. Christie's beschäftigt etwa 2100 Menschen weltweit und hat in Deutschland unter anderem in Berlin, Hamburg und Düsseldorf Büros. Wie viele Stellen dort wegfallen, wurde noch nicht bekannt. "Wir müssen unser Geschäft neu aufstellen, um aus diesen schwierigen Zeiten als eine stärkere Firma hervorzugehen", schrieb Dolman Medienangaben zufolge an die Mitarbeiter. Der Stellenabbau soll bis April abgeschlossen sein.

Christie's steht nicht allein da. Der New Yorker Konkurrent Sotheby's hat den Personaletat um sieben Millionen Dollar gekappt. Viele der etwa 1500 Mitarbeiter fürchten um ihren Arbeitsplatz. 2009 werde ein schwieriges Jahr, warnte Sotheby's-Chef Bill Ruprecht. Die Auktionskataloge würden dünner werden. Im vergangenen Jahr hatte Sotheby's Verkaufserlöse in Höhe von 4,82 Milliarden Dollar erzielt. Der Rückgang gegenüber dem Vorjahr betrug bereits elf Prozent, obwohl das erste Halbjahr 2008 für den Kunstmarkt noch relativ gut gelaufen war. Dem Vernehmen nach gingen die Verkäufe von Christie's im gleichen Zeitraum um etwa 20 Prozent zurück.

Branchenexperten schätzen, dass die beiden führenden Auktionshäuser in der Herbstsaison auf Kunstwerken mit garantierten Preisen in Höhe von insgesamt 63 Millionen Dollar sitzengeblieben sind. In den Boomzeiten der vergangenen Jahre hatten die Kunstversteigerer großzügige Garantiepreise eingeräumt. Von dieser Praxis wird sich die Branche nun rasch verabschieden. Auch Rabatte bei Kommissionsgebühren sollen wegfallen. Immerhin hoffen die Häuser, dass die Krise verstärkt zu Notverkäufen führen wird. Klamme Investoren könnten ihre Gemälde und Skulpturen auf den Markt werfen, um rasch an Bargeld zu kommen. Er habe Klienten, denen die Kunst als einzige Anlage verblieben ist, nachdem ihre Aktien dramatisch an Wert verloren hätten, räumte Sotheby's-Chef Ruprecht gegenüber dem Wall Street Journal ein.

In Großbritannien kann Christie's auch auf die positiven Auswirkungen des schwachen Pfunds hoffen. Die britische Währung hat in den vergangenen Monaten gegenüber Euro und Dollar erheblich an Wert verloren. Dadurch werden Käufe für Ausländer im Vereinigten Königreich billiger. Indes gibt es in der Branche immer wieder Gerüchte, dass Christie's-Eigner François Pinault das Unternehmen wegen einer angeblich hohen Schuldenlast verkaufen könnte. Solche Spekulationen werden im Haus zurückgewiesen. Der französische Unternehmer, der das Auktionshaus 1998 übernommen hatte, habe ein langfristiges Interesse, heißt es.

Die Wurzeln von Christie's reichen bis in das Jahr 1766 zurück. Damals organisierte James Christie in London erste Auktionen und entwickelte sich schon bald zum Zentrum für Kunstverkäufe in Europa. Im Jahr 2000 mussten sich Christie's und Sotheby's gegen Vorwürfe wegen illegaler Preisabsprachen wehren. Dabei kam es sogar zu einer Untersuchung durch die amerikanische Bundespolizei FBI.

Unternehmen erwerben für

ihre Vorstandsetagen

kaum noch teure Gemälde.

Klamme Investoren könnten ihre Bilder und Skulpturen

auf den Markt werfen.

Im Dezember hat Christie's für Giambattista Tiepolos "Portrait of a lady as Flora" trotz der Krise unerwartet 2,8 Millionen Pfund erlöst. Foto: AFP

Sotheby's New York: Krise Sotheby's New York: Personalabbau Christie's London: Personalabbau Christie's London: Krise Kunstmarkt Folgen der internationalen Finanzkrise SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Bayern sichert Hilfe zu

Rosenthal braucht offenbar einen Überbrückungskredit

Berlin/München - In den Rettungsbemühungen um den insolventen fränkischen Porzellanhersteller Rosenthal hat das bayerische Wirtschaftsministerium dem Traditionsunternehmen Hilfe zugesagt. "Der Freistaat Bayern wird alle verfügbaren Maßnahmen ergreifen, damit es bei Rosenthal weiter geht", erklärte Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) am Montag. Rosenthal erwägt nach Angaben einer Sprecherin eine Bitte um einen staatlichen Überbrückungskredit. Laut Rosenthal habe auch Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU), der aus Franken stammt, Hilfe zugesagt.

Der größte deutsche Porzellanproduzent, der in der vorletzten Woche Insolvenz anmelden musste, hofft möglicherweise auf eine Kreditlinie von etwa 30 Millionen Euro. Zeil erklärte, er stehe in laufendem Kontakt mit der Geschäftsführung, den Banken und dem vorläufigen Insolvenzverwalter. "Ich werde ihn weiterhin nach besten Kräften unterstützen, ein Finanzierungskonzept zu erstellen und einen neuen Investor für das Unternehmen zu finden, der mit frischem Eigenkapital Rosenthal übernimmt und die Standorte und Arbeitsplätze in Oberfranken nachhaltig sichert", sagte der neue Wirtschaftsminister. Es gebe grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten staatlicher Unterstützung, darunter etwa Bürgschaften, hieß es.

Offenbar braucht Rosenthal eine Zwischenfinanzierung, bis der erhoffte neue Investor einsteigt. Nach Angaben des Insolvenzverwalters haben bis zu 20 Investoren Interesse an Rosenthal gezeigt. Rosenthal beschäftigt weltweit 1545 Mitarbeiter. Sie bekommen noch Insolvenzgeld bis Ende März. Das Traditionsunternehmen mit 130-jähriger Geschichte hatte am 9. Januar beim Amtsgericht Hof Gläubigerschutz beantragt. Der irische Konzern Waterford Wedgwood, der seit Ende der 90er Jahren 90,7 Prozent der Rosenthal-Papiere hält, war vier Tage zuvor in Insolvenz gegangen. AP/SZ

Rosenthal AG: Konkurs Wirtschaftspolitik in Bayern SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Das Problem-Flugzeug

Der Militärtransporter "A400M" droht für Airbus zum Albtraum zu werden. Der Flieger wiegt offenbar zu viel

Von Jens Flottau

Frankfurt - Gerade erst hatte Airbus-Chef Thomas Enders einen dieser Auftritte, für die er in der Industrie gleichermaßen geschätzt und gefürchtet wird. Den Militärtransporter Airbus A400M wie geplant zu bauen, sei eine "Mission Impossible", verkündete er mit bemerkenswerter Offenheit. Und damit hat er wohl nicht nur in finanzieller, sondern auch in technischer Hinsicht recht. Nach SZ-Informationen hapert es bei der Maschine nämlich an mehreren Ecken.

Bis zu vier Jahre später als geplant könnte das Flugzeug ausgeliefert werden, was für Airbus und seinen Mutterkonzern EADS voraussichtlich Milliarden an Zusatzkosten bedeuten würde. Als grundlegendes Übel bei dem Projekt gilt, dass die Auftraggeberländer wie Deutschland, Frankreich, England und Spanien die industrielle Arbeit in traditioneller Manier proportional zur Größe der Bestellung zu Hause vergeben durften. Das auf den Schutz der eigenen Industrien angelegte Prinzip mag in der Vergangenheit leidlich funktioniert haben, doch ist der A400M ein so komplexes Flugzeug, dass der Wirrwarr aus Zuständigkeiten und aufwendigen Abstimmungsprozessen nicht mehr haltbar ist.

So sollen es sechs Bereiche sein, in denen Airbus beim A400M noch vor ungelösten Problemen steht: Triebwerk, ein zu hohes Gewicht, Cockpit-Software, Propeller, Sicherheitsausrüstung und militärische Systeme. Airbus will sich zu Details nicht äußern und verweist darauf, dass Nacharbeiten während der Entwicklung normal seien. Beim Triebwerk konzentrieren sich die Probleme auf das Getriebe, bei dem sich die erforderlichen Lasten mehrfach geändert haben, und die Software. Derzeit ist Insidern zufolge die Triebwerks-Software nicht mit den Cockpit-Systemen kompatibel. Das Motorenkonsortium Europrop International (EPI) und Airbus streiten sich seit langem über die Schuldfrage bei den Verzögerungen. Airbus hat diesen Komplex als Hauptproblem dargestellt. Doch Branchenkreisen zufolge stand dahinter der Versuch, auf diese Weise Verhandlungen mit den Abnehmern über bessere Vertragsbedingungen einleiten zu können. Denn beim Triebwerk war es am leichtesten, die Schuld den Lieferanten zuzuweisen, während die Verträge der EADS das alleinige Risiko zuordnen.

Doch damit ist es nicht getan. Der A400M ist nach SZ-Informationen derzeit um zwölf Tonnen zu schwer. Im Laufe des Produktionshochlaufs sollen offenbar aktualisierte Versionen des Flugzeuges gebaut werden, die nur noch fünf Tonnen Übergewicht haben. Dennoch droht der Militär-Airbus in dieser Form nicht mehr die Vorgaben für Nutzlast und Reichweite zu erreichen, auf denen vor allem Deutschland besteht. Hält das Verteidigungsministerium an seinen Forderungen fest, müsste Airbus den Informationen zufolge einen größeren Flügel oder einen schlankeren Rumpf konstruieren, also praktisch ein neues Flugzeug.

Darüber hinaus drohen weitere operationelle Probleme: Simulationen haben Branchenkreisen zufolge ergeben, dass der A400M in der aktuellen Auslegung bestimmte Steilanflüge (der sogenannte "steep approach") nicht ausführen kann, weil die Propeller dabei zu flattern beginnen. Das Fahrwerk sollte ursprünglich wie bei einem Linienbus absenkbar sein, damit Panzer besser in den Laderaum rollen können. Aus Gewichtsgründen wurde diese Hydraulikvorrichtung gestrichen, doch nun muss der Boden womöglich verstärkt werden. Somit droht ein höheres Gewicht.

Abgespeckte Version

Die Flugsicherheitsbehörde European Aviation Safety Agency (EASA) kritisiert dem Vernehmen nach die Art und Weise, wie Sauerstoffflaschen und Feuerschutz angeordnet sind. Einigen sich die beiden Seiten nicht, bekäme der A400M keine zivile Zulassung. Auch die zentrale sogenannte Flight Management Software (FMS) des französischen Herstellers Thales funktioniert den Quellen zufolge noch nicht nach Wunsch, ebenso wenig wie einige der militärischen Systeme.

Airbus-Chef Enders will nun versuchen, eine abgespeckte Version des A400M durchzusetzen und die Kosten besser zu verteilen. Während Frankreich bereits Entgegenkommen signalisiert hat, droht ihm vom größten Kunden Deutschland, der 60 Flugzeuge bestellt hat, Gegenwind. Und nicht wenige in der Branche rechnen damit, dass Großbritannien ganz aussteigen wird. Das Land hat 25 der bislang 192 Maschinen bestellt.

Airbus hat einen Prototypen des Militärtransporters A400M im Juni 2008 in Sevilla vorgestellt. Der Erstflug verzögert sich jedoch immer weiter. Foto: dpa

Airbus Industrie-Konsortium SAS: Produkt Airbus Industrie-Konsortium SAS: Entwicklung Militär-Transportflugzeug A400M SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Deutsche Post transportiert weniger Fracht

Ehemaliger Staatskonzern erwirtschaftet hohen Verlust und wagt vorerst keine Voraussagen für dieses Jahr

Düsseldorf - Die Deutsche Post bekommt den Konjunkturabschwung immer stärker zu spüren. In wichtigen Märkten gingen schon im letzten Quartal 2008 die Transportvolumina bei Luft- und Seefracht zurück - teilweise prozentual zweistellig, so das Bonner Unternehmen. Im Expressgeschäft wurde ebenfalls - mit Ausnahme bestimmter Wachstumsregionen - weniger verschickt. Das wichtige deutsche Briefgeschäft blieb nach Postangaben dagegen stabil.

Zu den Aussichten wollte sich das Management am Montag vor diesem Hintergrund nicht äußern. Der Konzern rechnet für 2009 aber weiter mit einer Rückkehr in die Gewinnzone, und das trotz eines anhaltend schwierigen Umfelds. Auf- oder Abschwünge der Wirtschaft schlagen sich in den Geschäften von Logistikkonzernen mit weltumspannenden Transportnetzen unmittelbar im Geschäft nieder, sie gelten deshalb als Gradmesser der Weltkonjunktur. Eine Prognose für 2009 soll es nicht vor Ablauf des ersten Quartals geben. Der Konzern sieht sich allerdings "gut positioniert, um eine weitere Verschlechterung des wirtschaftlichen Umfelds relativ gut durchzustehen", wie der scheidende Finanzchef John Allan betonte. Die Aussage von Konzernchef Frank Appel, dass 2009 wieder Gewinn gemacht werden soll, gelte weiter, fügte eine Konzernsprecherin hinzu.

Nach eigenen Angaben hat die Post im vergangenen Jahr ihr operatives Ergebnisziel erreicht, dabei sind einmalige Effekte herausgerechnet. Der operative Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) liege "leicht über den geplanten 2,4 Milliarden Euro", heißt es. Dazu hätten auch Einsparungen beigetragen. An der Börse sorgte der Konzern deshalb f r eine positive Überraschung. Post-Aktien lagen am Montag leicht im Plus.

Unter Berücksichtigung der Sonderbelastungen dürfte die Deutsche Post allerdings tief in die Verluste gerutscht sein. Genaue Zahlen wurden noch nicht vorgelegt. Das operative Minus liege deutlich unter einer Milliarde Euro, hieß es lediglich. Zum Netto-Ergebnis machte der Vorstand keine Angaben. Der Logistikkonzern hatte bereits im November deutlich gemacht, 2008 wegen der 3,9 Milliarden Dollar teuren Sanierung des kriselnden US-Expressgeschäfts erstmals seit dem Börsengang im Jahr 2000 einen Jahresverlust auszuweisen. Die Sanierung des maroden US-Expressgeschäfts laufe "nach Plan", hieß es.

Sanierung nach Plan

Auch die vor dem Verkauf an die Deutsche Bank stehende Tochter Postbank hatte Verluste angekündigt. Die Transaktion war in der vergangenen Woche angesichts der tiefen Finanzkrise neu verhandelt worden. Die Post wird sich nun unter anderem mit etwa acht Prozent an der Deutschen Bank beteiligen und diese aber wieder abstoßen. Die Aktien können ab April und ab Juni verkauft werden.

Finanzierungsprobleme hat die Post nicht - auch wegen der Gelder aus dem Verkauf der Postbank. Die liquiden Mittel lagen Ende 2008 bei etwa 1,4 Milliarden Euro, später flossen dem Konzern 3,1 Milliarden Euro aus den Kassen der Deutschen Bank zu. Die Nettoschulden konnte die Post zum Jahresende auf rund 2,4 Milliarden Euro und damit um etwa 500 Millionen Euro abbauen.

Dies sehen vor allem auch Analysten positiv. Die Experten von Goldman Sachs beispielsweise haben die Einstufung für die Deutsche Post nach der Neuverhandlung des Postbank-Verkaufs auf "Kaufen" belassen. Mit dem neuen Abschluss erhalte die Post früher als bislang vereinbart liquide Mittel, schrieb Analyst David Rigby in einer Studie. Dies stärke die Bilanz des Konzerns und schaffe außerdem Spielraum für die Abwicklung des US-Geschäfts oder Effizienzmaßnahmen. Weitere Einzelheiten will die Deutsche Post am 26. Februar mitteilen. (Kommentare) Reuters/SZ

Deutsche Post AG: Unternehmensbeteiligungen Deutsche Post AG: Management Deutsche Post AG: Verlust Deutsche Post AG: Liquidität Deutsche Bank AG: Unternehmensbeteiligungen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

STILKRITIK

Krisenmode

In Zeiten, in denen das wichtigste Accessoire die Pappkiste geworden ist, in der Freigesetzte ihre Habe auf die Straße tragen, stimmen auch die Designer Molltöne an. Der erste Trauerzug im Marathon der Modeschauen im Frühjahr findet derzeit in Mailand statt. Entsprechend sieht die erste Reihe bei den Herrenschauen für den Herbst/Winter 2009 aus wie ein Ausflug von Konkursverwaltern. David Beckham etwa, sonst modisch eher ungestüm, zeigte sich bei Emporio Armani im dunkelblauen Anzug. Ein fuchsiafarbener Zweireiher, präsentiert von Dolce & Gabbana, muss als einsame Trotzreaktion verstanden werden, bestimmen sonst Schwarz, Grau und als Farbtupfer Weiß das Bild.

Die Krise diktiert den Stil, und so lehnt man sich an andere karge Zeiten an. "Moderne Nostalgie" heißt das. Zweireiher, Cardigans und Grobstrick erinnern bei Burberry Prorsum an die Endvierziger, Frankie Morello (Foto) zitiert mit Pyjamahemd und Ballonmütze eine Kreuzung aus Mr. Ripley und Oliver Twist: "Please Sir, can I have some more?" Nein, die Zeiten sind hart, Hosen sind aus. Gut, dass auch bei Morello die Reisetasche als modische Fortführung der Pappkiste eine wichtige Rolle spielt. Im Notfall ließen sich darin frühere Kollektionen verstauen. Doch eigentlich will die in Mailand keiner mehr sehen. Man glaubt sogar eine gewisse Erleichterung bei den Kritikern auszumachen: Endlich sind sie vorbei, die Zeiten fliederfarbener Kaschmirpullunder, Krokoledermäntel und alberner Blumendrucke! In dieser Beziehung muss man der Krise fast dankbar sein. Claudia Fromme

Foto: dpa

Herrenmode SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

T-MOBILE

Google-Telefon

Hamburg/Frankfurt - Die Deutsche-Telekom-Tochter T-Mobile bringt das neue Google-Telefon Anfang Februar nach Deutschland. Der Verkauf sei exklusiv, sagte T-Mobile-Chef Hamid Akhavan. Das T-Mobile G1 werde in Verbindung mit einem Zwei-Jahres-Vertrag angeboten und werde auch in Österreich, Tschechien, Polen und den Niederlanden erhältlich sein. T-Mobile bietet das Gerät bereits in den USA und Großbritannien an. Mit dem G1 will die Telekom den Massenmarkt für das mobile Internet erschließen. Das Telefon wird vom taiwanischen Smartphone-Hersteller High Tech Computer gebaut, hat eine computerähnliche Tastatur und ist das erste mit dem Betriebssystem Android. Reuters

Telekom Mobilfunk GmbH: Produkt Google Inc., Mountain View: Produkt Handy-Geräte SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Hochtief will Flughafen London-Gatwick kaufen

Frankfurt - Der Bau- und Infrastrukturkonzern Hochtief will den zum Verkauf stehenden Londoner BAA-Flughafen Gatwick übernehmen. Hochtief habe eine Offerte abgegeben, sagte eine Sprecherin des MDax-Konzerns. Angaben zur Höhe des Gebots oder zu weiteren Konditionen machte sie nicht. Der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport, der im vergangenen Jahr ebenfalls Interesse an Gatwick bekundet hatte, winkte dagegen ab. Die Frist zur Abgabe der ersten Gebote ist am Montag abgelaufen. Die Grupo-Ferrovial-Tochter BAA muss sich auf Geheiß der Wettbewerbsbehörde von drei ihrer sieben britischen Flughäfen trennen. Der zweitgrößte Konzernflughafen London-Gatwick, an dem im vergangenen Jahr gut 34 Millionen Passagiere abgefertigt wurden, steht zuerst zum Verkauf. Der deutsche Hochtief-Konzern ist bereits an Flughäfen in Hamburg, Düsseldorf, Athen, Budapest, Tirana und Sydney beteiligt. Für ein Gebot hat sich auch der Flughafenbetreiber Global Infrastructure Partners (GIP) entschieden. Man werde eine Offerte vorlegen, sagte ein Sprecher des Gemeinschaftsunternehmens von General Electric und Credit Suisse. GIP betreibt bereits den Flughafen London-City. dpa

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

"Rüttelstreifen" auf der Autobahn rettet Leben

Köln - Die Zahl schwerer Autobahnunfälle kann mit Hilfe von "Rüttelstreifen" deutlich verringert werden. Das ist das Ergebnis einer mehrjährigen Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen zusammen mit dem Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg. Wie die Bundesanstalt am Montag in Bergisch Gladbach bei Köln berichtete, sank die Zahl der Unfälle mit Getöteten und Schwerverletzten im Vergleich drei Jahre vor und drei Jahre nach Realisierung der "Rüttelstreifen" um 15 Prozent. Unfälle, bei denen Autos nach rechts von der Fahrbahn abkamen, gingen sogar um 43 Prozent zurück. Getestet wurde auf einer 35 Kilometer langen Strecke auf der A24 in Fahrtrichtung Berlin, zwischen den Anschlussstellen Herzsprung und Fehrbellin in Brandenburg. Dort waren die rund 40 Zentimeter breiten "Rüttelstreifen" im Herbst 2003 in den Asphalt eingefräst worden. Wird dieser Bereich überfahren, so macht sich ein akustisches und auch körperlich spürbares Signal beim Fahrer bemerkbar, das ihn warnt und seine Aufmerksamkeit erhöht. "Eingefräste Rüttelstreifen stellen eine über alle Fahrzeugarten und -klassen wirkungsvolle Maßnahme zur Reduktion von Unfällen mit Getöteten und Schwerverletzten dar", folgert die Bundesanstalt. dpa

Verkehrsunfälle in Deutschland Straßenverkehr in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Pflichtangebot von Porsche für Scania

München - Der Sportwagenbauer Porsche hat sein Pflichtangebot für die Aktien des schwedischen Lastwagen-Hersteller Scania vorgelegt. Mit 68,52 schwedischen Kronen für die A-Aktien und 67,50 Kronen für die B-Aktien bietet Porsche aber nur den vorgeschriebenen Mindestpreis, der noch unter dem jetzigen Aktienkurs liegt. Porsche war mit Übernahme der Mehrheit an VW zu der Offerte für Scania gezwungen, weil der Wolfsburger Konzern selbst 68,6 Prozent der Stimmrechte an Scania hält. Um den Anstieg des Scania-Kurses zu verhindern, teilte der Porsche-Chef Wendelin Wiedeking mit, Porsche habe "kein strategisches Interesse an Scania". Intern hat er stets durchblicken lassen, dass ihn das LKW-Geschäft nicht interessiert. Dem VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch dagegen schwebt ein schlagkräftiges Lastwagen-Imperium mit MAN und Scania vor. Inzwischen hat VW sein Geschäft mit schweren Nutzfahrzeugen in Südamerika an MAN verkauft. VW ist am MAN-Konzern beteiligt, der ebenfalls Aktien an Scania hält. Unternehmenskreisen zufolge könnte Porsche alle angedienten Scania-Papiere an Volkswagen weiterreichen. SZ

Scania Inc.: Unternehmenskapital Volkswagen AG VW: Unternehmensbeteiligungen Porsche Automobil Holding SE: Unternehmensbeteiligungen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Werft in Bremerhaven meldet Insolvenz an

München - Die Bremerhavener Werft SSW Schichau Seebeck ist pleite. Das Unternehmen sei zahlungsunfähig und überschuldet, meldete das Amtsgericht Bremerhaven am Montag. Über eine mögliche Rettung soll in den kommenden Tagen der Hamburger Rechtsanwalt Per Hendrik Heerma als vorläufiger Insolvenzverwalter entscheiden. Heerma und die SSW-Geschäftsführung berieten am Montag, ob die Schiffe in den Docks noch fertiggestellt und die gut 300 Arbeiter zumindest vorübergehend weiter bezahlt werden können. Weder Werft noch Insolvenzanwalt wollten sich aber dazu oder zu der Frage äußern, ob die Bremerhavener Werft ein weiteres Mal gerettet werden kann.

Das Umfeld für eine Sanierung ist zur Zeit schwierig. Nach einem Boom in den vergangenen Jahren ist die Schifffahrt seit einem Jahr in einer schweren Krise. Vor allem bei Containerschiffen gibt es Überkapazitäten. Reeder versuchen deshalb seit Monaten, Tausende Neubau-Aufträge bei Werften in aller Welt zu stornieren. Gleichzeitig ist die Finanzierung der Schiffe schwierig geworden. Dafür sind oft dreistellige Millionenbeträge notwendig, die unsicheren Prognosen für die Branche schrecken aber die durch die Finanzkrise verängstigten Banken. Im Juni war deshalb schon die Emder Cassens Werft pleitegegangen, im September die Kieler Werft Lindenau, beides Traditionsbetriebe wie SSW.

Die 1876 in Bremerhaven gegründete Seebeck-Werft war nach dem zweiten Weltkrieg mit der ostpreußischen Schichau-Werft fusioniert und wurde einer der wichtigsten deutschen Schiffbaubetriebe, bis sie im Werftenverbund Bremer Vulkan aufging. Eine 1996 aus dessen Insolvenzmasse hervorgegangene SSW Fähr- und Spezialschiffbau ging 2002 pleite. Die 2003 gegründete Nachfolgegesellschaft spezialisierte sich auf Kreuzfahrt-, Fähr- und Containerschiffe. Vor einem Jahr wurde sie an einen Investor verkauft, der das Werftgelände im Bremerhavener Fischereihafen hatte sanieren wollen. henh

SSW Schichau Seebeck Shipyard GmbH: Konkurs SSW Schichau Seebeck Shipyard GmbH: Historisches SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Auch Dänemark schnürt ein Paket

Kopenhagen - Ein zweites Hilfspaket für die dänischen Banken soll das ins Stocken geratene Kreditgeschäft wieder in Gang bringen. Das kündigte Wirtschaftsministerin Lene Espersen nach der Einigung mit fast allen Oppositionsparteien auf Hilfskredite von bis zu 100 Milliarden Kronen (13,4 Milliarden Euro) in Kopenhagen an. "Wir erwarten von den Banken jetzt eine aktivere Vergabe von Krediten an gesunde Projekte, Unternehmen und Privathaushalte", sagte sie. Nach Bekanntgabe des Pakets zogen die Aktien der dänischen Banken am Montag um teilweise mehr als zehn Prozent an.

Nach Ausbruch der Finanzkrise hatte die Regierung im Oktober zunächst 15 Milliarden Kronen zur Verhinderung von Bankzusammenbrüchen bereitgestellt. Dem zweiten Paket stimmten nun bis auf die linksgerichtete Einheitsliste alle im Parlament vertretenen Parteien zu. Die oppositionellen Sozialdemokraten konnten sich nicht mit ihrer Forderung durchsetzen, die Gehälter für Spitzenmanager auf 2,5 Millionen Kronen pro Jahr zu begrenzen.

Für die Staatskredite sollen die Banken durchschnittlich zehn Prozent Zinsen zahlen. Sie werden individuell festgelegt und sollen für "gesunde" Banken niedriger ausfallen als für "ungesunde". Beobachter in Kopenhagen werteten dieses Vorgehen als indirekte Förderung eines weiteren Konzentrationsprozesses im Bankensektor. Aus der Bankbranche wurde das Hilfspaket begrüßt, der hohe Zinssatz aber teilweise kritisiert. dpa

Bank- und Kreditwesen in Dänemark Folgen der Finanzkrise in der EU SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Kurssturz bei der Deutschen Bank

Die Aktie fällt auf den tiefsten Stand seit 25 Jahren. Furcht vor neuen Abschreibungen heizt Diskussion um Bad Bank an

Von Guido Bohsem, Thomas Fromm und Martin Hesse

Frankfurt - Der Rekordverlust der Royal Bank of Scotland (RBS) hat an den Börsen Angst vor weiteren Milliardenabschreibungen genährt. Darunter litt besonders die Aktie der Deutschen Bank. Der Kurs brach zeitweise um mehr als zwölf Prozent auf 17,40 Euro ein. So wenig war das größte deutsche Kreditinstitut zuletzt im Oktober 1984 wert.

Allein seit vergangenen Mittwoch hat die Deutsche Bank rund ein Viertel ihres Wertes verloren. Da hatte Vorstandschef Josef Ackermann eingeräumt, der Konzern habe im vierten Quartal 4,8 Milliarden Euro verloren. Nachdem die schottische RBS nun sogar bis zu 28 Milliarden Pfund Verlust gemeldet hat (siehe unten), fürchten Investoren, auf die Deutsche Bank und andere Großbanken könnten noch höhere Belastungen zukommen. Auch die Postbank sowie die französischen Institute BNP Paribas und Société Générale verloren an der Börse am Montag mehr als zehn Prozent.

Deutsche Kreditinstitute haben erst etwa ein Viertel auf ihre faulen Wertpapiere im Volumen von mehr als 300 Milliarden Euro abgeschrieben. Das geht aus einer vom Finanzministerium in Auftrag gegebenen Umfrage der Finanzaufsicht Bafin und der Bundesbank hervor, deren Ergebnis der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Dahinter stehen vor allem faule Kredite auf Immobilien, Studentendarlehen, Kreditkartenverbindlichkeiten und Autofinanzierungen sowie Übernahmekredite. Allein für die Hypo Real Estate werden 28 Milliarden Euro angesetzt. Die Problemkredite der Sparkassen und Genossenschaftsbanken sind nicht inbegriffen. Berücksichtigt man diese, hält das Finanzministerium einen Gesamtbestand von 320 Milliarden Euro für plausibel, derzeit würden diese in den Bilanzen mit 246 Milliarden Euro bewertet.

Diese Zahl ist nach Einschätzung des Finanzministeriums auch die Obergrenze, "die als finanzieller Aufwand bei der Errichtung einer Bad Bank für entsprechende Wertpapiere einkalkuliert werden sollte". In eine solche staatliche Bad Bank könnten Banken ihre faulen Kredite abladen. Offenbar wird an den Börsen spekuliert, vor allem die Deutsche Bank könnte daran Interesse haben. Bankchef Josef Ackermann hatte allerdings vergangenen Mittwoch erklärt, sein Haus habe Altrisiken weitgehend abgebaut. "Nach dem Risikoabbau, den wir vorgenommen haben, wüsste ich für die Deutsche Bank nicht, welche Papiere wir noch verkaufen könnten. Das ist nichts, was die Deutsche Bank braucht."

Andere deutsche Bankenvertreter sehen das Thema differenziert. "Man kann nicht alles beim Staat abladen, aber auch nicht alles bei den Banken belassen", sagte Karl-Georg Altenburg, Deutschland-Chef der US-Bank JP Morgan. Es müsse ein Mittelweg gefunden werden. Die Finanzpolitiker der Unionsfraktion sprachen sich auf ihrer Klausurtagung am Wochenende gegen die Schaffung einer staatlichen Bad Bank aus. Es sei jedoch denkbar, den Banken Papiere abzunehmen, die nach allgemeinen Ermessen durchaus werthaltig seien, derzeit jedoch durch das katastrophale Marktumfeld in Mitleidenschaft gezogen würden, sagte der Finanzexperte Leo Dautzenberg am Montag in Berlin. Das Bundesfinanzministerium wies Forderungen nach einer Bad Bank erneut zurück. "Wir halten dies für keine geeignete Lösung, diese Paiere allein zulasten von Steuerzahlern zu sozialisieren", sagte der Sprecher von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD). Es müssten breitere Ansätze gefunden werden.

Uneinigkeit herrscht in der Koalition weiterhin über die Frage, wie der Staat sich bei einer Rettungsaktion für die angeschlagene Hypo Real Estate verhalten soll. Ohne auf den Einzelfall einzugehen, zeigten sich die Unions-Finanzpolitiker skeptisch, eine vollständige Übernahme eines Finanzinstituts gesetzlich möglich zu machen. Dies wird nach Informationen der Süddeutschen Zeitung in der Regierung erwogen. Das zur Bekämpfung der Finanzkrise geschaffene Finanzmarktstabilisierungsgesetz begrenzt den Einstieg des Staats auf rund 33 Prozent, ohne vorher die Genehmigung der Aktionäre einzuholen. Damit hätte er keine Mehrheit, um die Geschäfte des Instituts nachhaltig zu bestimmen. In Finanzkreisen rechnet man nicht mehr damit, dass es noch in dieser Woche zu einem Einstieg des Bundes bei der HRE kommt. "Dafür gibt es noch zu viele offene Fragen", heißt es dort. Allerdings geht man davon aus, dass der Bund bereits in den kommenden Tagen weitere Garantiezusagen machen wird. In Finanzkreisen spricht von einem "weiteren Unterstützungssignal", um die Zeit bis zu einer Entscheidung zu überbrücken. (Seite 4)

"Eine Bad Bank

ist nichts, was die

Deutsche Bank braucht."

Deutsche Bank AG: Aktie Deutsche Bank: Verlust HVB Real Estate Bank: Verstaatlichung Rettungspaket für die Kreditbranche in Deutschland 2008 - Diskussion um Bad Bank in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Lebensversicherer zahlen weniger aus

Deutsche, die ihre Police vorzeitig kündigen, erleiden noch höhere Verluste. Generell sinken die Erträge bei einigen Anbietern massiv

Von Alexander Mühlauer

München - Wer vorzeitig aus seiner Lebensversicherung aussteigt, muss noch herbere Verluste hinnehmen als bisher. Viele Versicherer haben die Auszahlungsbeträge bei Kündigungen vor Vertragsende kräftig gekürzt. Aber auch das Geld, das Kunden beim Ende der Laufzeit ausgezahlt bekommen, die sogenannte Ablaufleistung, wurde teilweise massiv reduziert. Zu diesen Ergebnissen kommt das Versicherungsanalysehaus Franke & Bornberg. Die Hannoveraner haben insgesamt 16 Tarife untersucht. "Wir haben zum Teil deutliche Unterschiede festgestellt, die für den Verbraucher von großer Bedeutung sind", sagt Geschäftsführer Michael Franke. So hält zum Beispiel die Allianz die laufende Verzinsung bei 4,5 Prozent, dennoch sinken die Ablaufleistungen um gut fünf Prozent und die Rückkaufswerte im Durchschnitt um etwa vier Prozent. (Grafik)

Die Ablaufleistung ist der Betrag, den eine Versicherung bei Vertragsende auszahlt. Er setzt sich aus vier Teilen zusammen: aus dem Garantiezins, der Überschussbeteiligung, der Schlussüberschussanteile und der Beteiligung an den stillen Reserven. Der Garantiezins muss auf jeden Fall ausgeschüttet werden. Die Überschussbeteiligung wird jedes Jahr festgelegt - je nachdem, wie es dem Unternehmen geht. Ist die Beteiligung festgesetzt, kann die Zusage für das bestimmte Jahr nicht mehr verändert werden. Zusammen mit dem Garantiezins ergibt dies die laufende Verzinsung. Hinzu kommen die Schlussüberschussanteile. Diese gibt es nur bei Kapitallebensversicherungen. Wie hoch sie ausfallen, wird jährlich neu entschieden. Die Angaben können sich aber ändern, wenn es einer Gesellschaft zum Zeitpunkt der Ausschüttung schlecht geht. Dann kann das Unternehmen darauf verzichten. "Bei den Schlussüberschüssen haben die Versicherer am meisten Spielmasse - denn sie sind nicht garantiert", sagt Elke Weidenbach von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Wären da noch die stillen Reserven. Da scheint es allerdings so zu sein, dass diese vor allem aus den Schlussüberschüssen herausgenommen werden, sagt die Verbraucherschützerin. Es handele sich also um nichts weiter als eine Umschichtung. "Für den Verbraucher bringt das am Ende nicht mehr Ertrag", sagt Weidenbach. Hinzu kommt: In Deutschland wird lediglich ein Viertel aller Verträge bis zum Ende durchgehalten. Wer vorzeitig aussteigt, bekommt den Rückkaufswert - auch der sinkt bei vielen Gesellschaften. Bei der Europa zum Beispiel um 4,9 Prozent. (Grafik)

Dabei geben sich die Versicherer auf den ersten Blick Mühe, den Schein zu wahren: Zwei Drittel der Unternehmen haben die laufende Verzinsung 2009 nicht reduziert. Aber: "Einige Gesellschaften haben ihre Ablaufleistung und Rückkaufswerte gekürzt, um die laufende Verzinsung stabil zu halten oder weniger stark zu senken", sagt Franke. Jede Versicherung will eben kundenfreundlich dastehen.

Hauptgrund für die Ertragskürzungen ist die Finanzkrise. Die Gesellschaften tun sich schwer, die garantierten Zinsen zu erwirtschaften. Die meisten Unternehmen haben zwar ihre Aktienquote reduziert, aber sie wissen nicht so richtig, wohin mit dem Geld der Versicherten. Risikolose Anlagen in Staatspapiere werden wegen der Niedrigzinspolitik der Notenbanken schwieriger. So ist der durchschnittliche Kapitalmarktzins auf weniger als drei Prozent gesunken. Die Versicherer garantieren ihren Kunden aber eine höhere Mindestverzinsung - je nach Datum des Vertragsabschlusses zwischen 2,25 und vier Prozent; der Durchschnitt beträgt etwa 3,5 Prozent. Dem Versicherungsanalysehaus Map-Report zufolge würden Beispielrechnungen "zum Teil schmerzhafte Einschnitte in den zu erwartenden Leistungen" zeigen.

Lebensversicherung in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Ohne Popcorn, mit Champagner

In Berlin gibt es jetzt ein Kino für Menschen, die Beinfreiheit schätzen: Ein Besuch der "Astor Film Lounge"

Von Christian Mayer

Der junge Mann, ein auf Freundlichkeit getrimmter Dienstleister im sonst eher schnoddrigen Berlin, wartet am Kurfürstendamm auf Kundschaft; mit sicherem Blick erkennt er den Kinobesucher und entwendet ihm höflich, aber bestimmt den Autoschlüssel. Wäre ja auch eine Zumutung, sich erst mal einen Parkplatz suchen und durch den Straßendreck quälen zu müssen. Nach der Abgabe des Wagens wird der Gast in die Lobby geleitet, wo er ein Freigetränk erhält. Die Damen an der Theke haben offenbar ein erstklassiges Nicole-Kidman-Training im Lächeln absolviert. Geht ja schon mal gut los!

Seit knapp vier Wochen können sich die Berliner in der "Astor Film Lounge" einem gesteigerten Kinoerlebnis hingeben - mit allen Annehmlichkeiten, die man für 15 Euro pro Karte erwarten kann. Statt Popcorn und Cola werden im restaurierten Muschelsaal aus den fünfziger Jahren Champagner und Chablis serviert, statt Mäntelbergen zwischen den Sitzen gibt es eine Garderobe. Die Presse in der Hauptstadt jubelte bereits im Vorfeld über das "Luxuskino", gegen das sogar die Business-Klasse im Flugzeug bescheiden wirke. Bisher stößt das Angebot auf rege Nachfrage: "Wir sind oft ausverkauft, die Auslastung ist exzellent", sagt Theaterleiter Jürgen Friedrich. "An manchen Abenden könnten wir locker dreimal so viele Karten verkaufen."

Multiplex war gestern

Ausgerechnet der Cinemaxx-Gründer Hans-Joachim Flebbe hat das Traditionshaus am Ku'damm umgebaut, der Mann, den viele Programm-Kinobetreiber einmal für den Erzfeind gehalten haben. Seit seinem Rückzug aus dem Vorstand des Hamburger Unternehmens setzt der 57-Jährige auf ein neues Konzept: Klasse statt Masse, individueller Charme statt Multiplex-Kommerz. Der Erfinder klobiger Blockbuster-Klötze, in denen sich Actionhelden auf Horden von Teenagern einschießen, macht auf edel? Es sieht danach aus. Immerhin hat Flebbe das Astor um die Hälfte der Plätze verkleinert: Statt 480 muffiger Plüschsessel stehen nun 250 verstellbare schwarze Designersitze zur Verfügung. Auch technisch ist das Haus, in dem nach dem Krieg das legendäre Kiki-Filmtheater zu Hause war, jetzt auf dem neuesten Stand: Das Kino mit seiner in Berlin einmaligen Abspielstation für 3-D-Filme erfülle "Hollywood-Standard", auch Live-Übertragungen von Konzerten oder Opernaufführungen seien möglich. Flebbe, der Selbstvermarktungskünstler, sieht sich wieder mal ganz weit vorne.

Kino für zahlungskräftige Erwachsene ist ein Trend, der sich im Astor auch in der Auswahl der Filme bemerkbar macht. Gerade läuft hier die Literaturverfilmung "Zeiten des Aufruhrs". Und offenbar sind viele Besucher bereit, für ein spannendes Beziehungsdrama mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio den doppelten Preis von dem zu bezahlen, was in Berlin sonst üblich ist. Beim Kinotest macht sich vor allem die Verringerung der Sitzplätze positiv bemerkbar. Endlich kann man mal die Beine ausstrecken - oder auf die lederbezogenen Hocker legen. Jeder Platz verfügt auch über eine eigene Armlehne, der Nachbar bleibt auf Ellbogendistanz, nur für Paare gibt es eine Kuschelbox, in der man sich freiwillig näher kommen kann. Hildegard Knef stimmt das Publikum mit rauchiger Stimme auf den Abend ein, als Dreingabe wird ein Kurzfilm aus Skandinavien gezeigt. Im Saal rücken sofort wieder die freundlichen Dienstleisterinnen an und servieren kleine Teller mit Jakobsmuscheln, Mini-Lasagne und einen Hauch von Lammrücken. Am Speiseangebot für das Vorprogramm muss das Kino aber noch arbeiten. Oder die Preise senken, denn 18 Euro für ein paar vorgefertigte Appetithäppchen aus dem Kühlregal ist schon viel verlangt. "Wir haben das Problem erkannt und arbeiten dran", verspricht Jürgen Friedrich.

Wer den Kinounternehmer Hans-Joachim Flebbe kennt, dürfte sich nicht wundern, wenn die "Astor Film Lounge" bald Schule macht. Obwohl der Zeitpunkt der Eröffnung mitten in der Wirtschaftskrise nicht ganz optimal gewählt ist: Auch in Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt oder München existiert ein Publikum, das sonst zu Hause bei einem Glas Rotwein eine DVD einschiebt, aber ganz gerne auch in schönen, bequemen Kinosälen sitzt, ohne dass einem laut schmatzende Nachbarn auf die Pelle rücken. Die Sache hat nur einen Haken: Ein Großteil der kommerziell erfolgreichen Filme bedient ein junges bis sehr junges Publikum, dem es weniger auf stilvolles Mobiliar und Beinfreiheit ankommt. Im Astor will Flebbe auf die Zielgruppe der Teenager nicht verzichten - deshalb läuft hier auch der Vampirfilm "Twilight". Allerdings mit deutlich geringerem Erfolg als in den Massenkinos der Hauptstadt: 15-jährige Mädchen mit besonderen Vorlieben für schnucklige Untote brauchen keinen Einparkservice und keinen Champagner, um glücklich zu sein. Ein Pappbecher mit Brause reicht auch.

Der umgebaute Muschelsaal in der "Astor Film Lounge" am Berliner Kurfürstendamm bietet viel Platz für Kinogenießer, die gerne unter sich bleiben wollen. Foto: Jan Bitter

Flebbe, Hans-Joachim Kinoszene in Deutschland Kultur in Berlin SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Neue Milliardenhilfen für kriselnde britische Geldhäuser

Die Royal Bank of Scotland erwartet den höchsten Verlust, den je ein Unternehmen auf der Insel machte. Amerikaner wollen Kreditvergabe ankurbeln

Von Andreas Oldag

London - Die schwer angeschlagene britische Bankenbranche erhält weitere Milliardenhilfen der Steuerzahler. Kernelement ist eine staatliche Kreditversicherung: Die Banken sollen ihre faulen Kredite und Wertpapiere offenlegen. Gegen eine Gebühr sichert der Staat dann bis zu 90 Prozent des Ausfallrisikos ab. Die Labour-Regierung von Premierminister Gordon Brown hofft darauf, dass die Banken wieder stärker Geld verleihen und das Kreditgeschäft ankurbeln. Experten schätzen das Ausfallrisiko, für das der Steuerzahler bei den Banken einsteht, auf insgesamt bis zu 200 Milliarden Pfund (etwa 220 Milliarden Euro).

Die Einzelheiten über die neue Kreditversicherung müssen mit den Banken noch geklärt werden. Unklar ist unter anderem, wie die faulen Papiere bewertet werden sollen. Das Hilfspaket ist für diejenigen Institute vorgesehen, die bereits Kapitalhilfen von der Regierung erhalten haben. Dabei handelt es sich unter anderem um die Royal Bank of Scotland (RBS), die fusionierte Bank Lloyds/HBOS sowie die verstaatlichte Hypothekenbank Northern Rock. Barclays und HSBC lehnen Hilfen weiterhin ab.

Nach Meinung der oppositionellen Tories hat die Regierung einen "Blankoscheck" für Banken ausgestellt, die sich selbst in die Krise geritten hätten. Der britische Schattenfinanzminister George Osborne warnte davor, dass sich Großbritannien zu hoch verschuldet. "Die Regierung ist die einzige Organisation, die eingreifen kann, wenn die Märkte versagen", erklärte dagegen Regierungschef Brown.

Gleichzeitig griff Brown die bisherige Geschäftsstrategie der RBS an: Das Institut habe ein "unverantwortliches Verhalten" gezeigt, kritisierte der Premierminister. RBS rechnet für das vergangene Jahr mit einem Rekordverlust von bis zu 28 Milliarden Pfund. Die Kredit- und Marktbedingungen im letzten Quartal von 2008 seien "besonders schwierig" gewesen, sodass mit einem Verlust zwischen sieben und acht Milliarden Pfund ohne Abschreibungen auf den Firmenwert (Goodwill-Abschreibungen) gerechnet werden müsse, teilte die RBS mit. Inklusive Abschreibungen vor allem wegen der Teilübernahme der niederländischen ABN Bank Amro 2007 könne der Jahresverlust auf bis zu 28 Milliarden Pfund steigen. Dies wäre der höchste Verlust eines Unternehmens in der britischen Wirtschaftsgeschichte.

Infolge des hohen Verlusts gibt RBS neue Stammaktien für fünf Milliarden Pfund aus. Damit erhöht sich der Staatsanteil von knapp 58 Prozent auf 70 Prozent. Das Kapital soll das bisher von der Regierung gegebene Vorzugskapital ersetzen. Die Regierung sichert die Kapitalerhöhung ab und garantiert die Ausgabe der Papiere zu 31,75 Pence je Aktie.

Um der in einer Rezession steckenden Wirtschaft zu helfen, soll die britische Notenbank Bank of England (BoE) vom 2. Februar an hochwertige Schuldtitel von Unternehmen der Privatwirtschaft kaufen. Dafür stehen ihr zunächst 50 Milliarden Pfund zur Verfügung. Das britische Finanzministerium erstattet der Notenbank die Kosten. Indes verkündete die EU-Kommission, sie erwarte, dass die britische Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 2,8 Prozent schrumpfen wird - so viel wie in keinem Land unter den großen EU-Staaten.

Nach amerikanischen Medienberichten will auch die US-Regierung ihre Hilfen für krisengeschüttelte Banken weiter ausweiten. Finanzministerium, Notenbank und die Behörde zur Einlagensicherung beraten mit Mitgliedern der künftigen Regierung von Barack Obama über eine Reihe von Lösungen. Ziel sei, Privatkapital in das Bankensystem zu pumpen. "Diese Ideen zielen darauf ab, die Kreditvergabe zu erleichtern", erklärte die Chefin der Einlagensicherungsbehörde FDIC, Sheila Bair. "Es ist von höchster Wichtigkeit, dass wieder Privatkapital in diese Banken fließt." Ähnlich wie die britischen Banken erhalten auch die Citibank und die Bank of America staatliche Garantien für faule Kredite.

Mitarbeiter der Royal Bank of Scotland in London. Foto: dpa

Folgen der Finanzkrise in Großbritannien SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Anleger auf der Flucht

Nur noch 8,8 Millionen Deutsche investieren ihr Geld in Aktien - im Jahr 2001 waren es fast 13 Millionen

Von Helga Einecke

Frankfurt - Die Finanzkrise und drastisch gesunkene Kurse haben die Deutschen im vorigen Jahr aus den Aktien getrieben. Die Zahl der Aktienanleger sank im zweiten Halbjahr 2008 um mehr als eine Million auf 8,8 Millionen, wie das Deutsche Aktieninstitut meldete. Das sind vier Millionen weniger Anleger als zu Beginn dieses Jahrhunderts, bevor die Blase der New Economy platzte. Auch das Trommeln der Finanzbranche, vor dem Inkrafttreten der Abgeltungssteuer noch in Aktien einzusteigen, half nichts. Die Deutschen blieben Aktienmuffel.

Das Aktieninstitut sieht deshalb dringenden politischen Handlungsbedarf. Immer wieder werde die Beteiligung der Bürger am Produktivkapital beschworen, manchmal auch Beteiligungen der Mitarbeiter geringfügig verbessert. Aber ansonsten verschlechtere sich das Umfeld für die Aktienanlage. "Die seit Jahren rückläufige Aktienakzeptanz breiter Bevölkerungsschichten entwickelt sich zum gravierenden Problem", meinte Rüdiger von Rosen, Chef des Aktieninstituts. Aktienförderung ist nach seiner Auffassung kein Selbstzweck, sondern praktizierte Gesellschaftspolitik.

Die Vorteile einer breiten Streuung von Unternehmenskapital im Kreis der Mitarbeiter oder von Arbeitnehmern liegen auf der Hand, sagen die Befürworter einer Aktienkultur. Die Unternehmen selbst könnten sich auf eine solide Kapitalbasis stützen und wären so nicht Finanzinvestoren und häufig wechselnden Besitzern ausgeliefert. Die Mitarbeiter, aber auch private Kleinanleger, hätten durch ihren Kapitalbesitz mehr Interesse am eigenen oder fremden Unternehmen und würden mit der Unternehmensführung an einem Strang ziehen.

Es gibt aber auch Gegenargumente. Wer für eine Firma arbeitet, aber auch noch sein Vermögen darin investiert hat, verliert bei einer Insolvenz den Arbeitsplatz und sein Erspartes. In Deutschland gibt es der Analyse des Aktieninstituts zufolge nur noch 885 000 Belegschaftsaktionäre. Mehr als ein Zehntel von ihnen machte im vergangenen Jahr Kasse. Die Programme für die Beteiligung der Mitarbeiter hätten sich stetig verschlechtert, kritisierte das Aktieninstitut. Deshalb sei jeder zweite Belegschaftsaktionär im vergangenen Jahrzehnt ausgestiegen.

Die fehlende Aktienkultur in Deutschland wird von Experten in mehrfacher Hinsicht begründet. Das fängt bei der mangelnden Aufklärung in der Schule über ökonomische Zusammenhänge im allgemeinen und zwischen Rendite und Risiko im besonderen an. Im internationalen Vergleich gelten die Deutschen als besonders risikoscheu. Unter dem Geldanlagen der Bundesbürger dominieren traditionell die Lebensversicherungen und die festverzinslichen Anlagen. In der Vergangenheit zog auch stets das Argument, mit bestimmten Anlageformen Steuern zu sparen.

Eine Blüte erlebte die deutsche Aktienkultur um die Jahrhundertwende, als es mehrere Jahre hintereinander mit den Kursen an der Börse nach oben gegangen war. Nach dem Platzen der Blase blieben die Anleger vorsichtig und ließen sich nicht mehr in steigendem Maß auf neue Geldanlagen in Aktien ein. Profis empfehlen Anfängern gerne, nicht direkt in Aktien zu investieren. Eine breitere Streuung des Geldes nehmen Investmentfonds vor, allerdings gegen Gebühr. Wie den Zahlen des Aktieninstituts zu entnehmen ist, haben die Bundesbürger diesen Rat auch beherzigt. Die meisten Aktionäre legen ihr Geld über Fonds an, nur 2,2 Millionen halten direkt Aktien, und eine Minderheit ist in Fonds und Aktien investiert.

Auffällig war im vergangenen Jahr der Ausstieg aus den gemischten Fonds, die sowohl in Aktien als auch in festverzinsliche Wertpapiere investieren. Diese Fonds haben die drastischen Kursverluste bei den Aktien eigentlich besser verkraftet. Offensichtlich haben Anleger im Zuge der Finanzkrise ihre Gelder umgeschichtet, um sich jeder riskanten Anlageform zu entziehen.

Der Einstieg in Aktien wird in diesem Jahr durch die Abgeltungsteuer erschwert. Finanzberater hatten 2008 offensichtlich vergeblich dafür geworben, vor Inkrafttreten der Steuer sich noch mit Aktien einzudecken und diese in einem gesonderten Depot zu führen. Die Abgeltungsteuer belastet nach Angaben des Aktieninstituts die Aktienerträge faktisch mit mehr als 48 Prozent.

Im internationalen Vergleich gelten die Deutschen als

besonders risikoscheu.

Private Vermögensbildung in Deutschland Aktionäre in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Bescherung nach Weihnachten

Ein Vergleich zeigt: Viele Elektroartikel sind in der ersten Januarwoche erheblich günstiger geworden

Von Marco Völklein

München - Wie ein "fünfter Adventssamstag" war für viele Einzelhändler der 27. Dezember 2008. Trotz der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise haben die Leute auch am letzten Samstag des Jahres weit mehr eingekauft als viele Marktbeobachter erwartet hatten. Die Krise beschäftigte die Kunden (noch) nicht. Unter anderem war aber auch deshalb in den Läden so viel los, weil die Kunden gelernt haben, dass viele Händler ihre Preise in der Zeit nach Weihnachten senken. Eine Erhebung des Online-Preisvergleichsanbieters Guenstiger.de belegt dies nun. Die Experten von Guenstiger.de haben sich dabei die Durchschnittspreise für insgesamt 25 000 Artikel angesehen, die bei Händlern im Internet aber auch im Ladengeschäft verlangt wurden - und zwar für die Woche vor Weihnachten (15. bis 21. Dezember 2008) und für die erste volle Januarwoche (5. bis 11. Januar 2009).

Preissturz bei Telefonen

Das Ergebnis: Im Schnitt fielen die Preise für Elektronikprodukte wie etwa Mobiltelefone, Stereoanlagen, Digitalkameras oder Computer in dieser Zeit um 10,4 Prozent. Besonders in der Telekommunikation, also bei Handys, Schnurlostelefonen und Faxgeräten sind die Preise stark unter Druck geraten. Für diese Produkte zahlten die Verbraucher in der ersten Januarwoche im Schnitt 16,2 Prozent weniger als kurz vor Weihnachten. Einen überdurchschnittlich hohen Rückgang verzeichnete der Vergleichsdienst mit 14,1 Prozent auch im Bereich Hifi/Audio - also bei Stereoanlagen, Autoradios und Navigationsgeräten, die Guenstiger.de ebenfalls in diese Kategorie einordnet. Weitaus geringer fielen die Preisrückgänge bei Computern (-2,5 Prozent) und Haushaltsgeräten (-6,7 Prozent) aus.

Dennoch ist der Rückgang bei einzelnen Produkten gerade im Computerbereich relativ groß. In der Grafik unten sind drei Produkte aufgeführt, die derzeit bei Guenstiger.de besonders nachgefragt werden - ein Netbook (das sind handlichere Laptops), ein Smartphone sowie ein Navigationsgerät. Für diese Produktkategorien sind die Abfragezahlen auf der Seite von Guenstiger.de derzeit am höchsten. Für das Netbook Acer Aspire One A110L verlangen Händler nun Guenstiger.de zufolge im Schnitt 219 Euro. In der Woche vor Weihnachten waren es noch 273 Euro - ein Preisrückgang um fast 20 Prozent.

Für Fachleute ist diese Entwicklung keine allzu große Überraschung. Thomas Harms, Handelsexperte bei der Beratungsgesellschaft Ernst & Young, hatte bereits Ende Dezember einen Preiskampf im Handel vorausgesagt - insbesondere bei den Anbietern von Unterhaltungselektronik und Textilien. "Bei diesen Produkten sparen die Konsumenten erfahrungsgemäß, wenn die Zeiten schlechter werden." Entsprechend steige der Druck auf die Preise.

Diesen erhöhten Druck zeigt auch ein Vergleich zum Vorjahr: Von Dezember 2007 auf Januar 2008 fielen die Preise für die Produkte nur um 7,4 Prozent. Allerdings hatte Guenstiger.de damals nur die Preise bei Internet-Händlern erfasst, aber nicht die Preise bei Händlern mit Laden. Um also die Zahlen vergleichen zu können, muss man die stationären Händler aus der aktuellen Statistik herausnehmen. Und siehe da: Nur im Online-Handel sanken die Preise in der ersten Januarwoche 2009 im Vergleich zur Woche vor Weihnachten um 2008 sogar um 11,6 Prozent. Beim Einkauf im Internet können Kunden also noch mehr sparen.

Elektrotechnische Industrie in Deutschland Einzelhandelsumsätze in Deutschland Computer-Handel in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Deutsche Unternehmen gut gerüstet

Frankfurt - Die deutschen Unternehmen sind nach Ansicht der Bundesbank gut gewappnet gegen die Konjunkturkrise. Ihre soliden Finanzierungsverhältnisse seien für die meisten Firmen eine Art "Krisenpolster", von dem sie in der Rezession zehren könnten. Eine Analyse der Unternehmensbilanzen in den wichtigsten Wirtschaftszweigen habe eine "bemerkenswerte finanzielle Bestandsfestigkeit" der Firmen ergeben, schreiben die Experten der Bundesbank in ihrem Monatsbericht.

Die Existenz vieler Unternehmen sei trotz der Rezession gesichert, weil sie eine hohe Eigenmittelquote besäßen und ihnen langfristig viel Kapital zur Verfügung stehe, schreiben die Bundesbank-Analysten. Das im Vergleich zur Lohnentwicklung kräftige Gewinnwachstum der Firmen in den vergangenen Jahren wirke sich jetzt positiv aus. Mit Ausnahme des Einzelhandels, der unter der deutlichen Konsumzurückhaltung zu leiden hatte, hätten praktisch alle wichtigen Wirtschaftszweige von dieser günstigen Ertragsentwicklung profitiert. Den Bürgern sei durch die Mehrwertsteuererhöhung und Inflation massiv Kaufkraft entzogen worden.

Im Großen und Ganzen hätten die deutschen Unternehmen den Aufschwung der vergangenen Jahre "erfolgreich zur Stärkung ihrer Widerstandsfähigkeit genutzt", heißt es. Dies gelte vor allem im Vergleich zur Zeit nach dem Platzen der "New-Economy-Blase" zu Beginn des Jahrzehnts. Damals sei die Finanzlage der Unternehmen deutlich fragiler gewesen. Reuters

Bilanzen deutscher Unternehmen Folgen der Finanzkrise in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Die Untergeher

In der Finanzkrise verschwindet ein Geldmanager nach dem anderen. Neuester Fall: Arthur G. Nadel, Wohltäter, zur Zeit vermisst

Von Alexander Mühlauer

München - Diese Krise, so könnte man manchmal denken, hat auch ihr Gutes. Sie offenbart einer Gesellschaftsschicht, die lange Zeit immer mehr wollte, dass sie Gier am Ende zu immer weniger führt - und zwar sehr deutlich. Die Rede ist von der sogenannten besseren Gesellschaft. Arthur G. Nadel war lange Zeit sehr stolz darauf, Mitglied dieser Gesellschaft zu sein. Der 76-Jährige galt in Sarasota im US-Bundesstaat Florida als bedeutender Philanthrop. Zusammen mit seiner Frau Peg förderte der Gönner Wohltätigkeitsorganisationen. Mal ein paar Hunderttausend für "Habitat for Humanity", mal eine Spende an "Jewish Family & Children Services", mal ein wenig Cash für "Girls Inc". Die Nadels, so erzählen es die Menschen in Sarasota, waren immer sehr großzügig.

Wer viel gibt, muss auch viel haben. Arthur G. Nadel hatte sehr viel. Er verwaltete als Manager der Hedgefonds Viking, Valhalla und Scoop mehr als 350 Millionen Dollar. Und die Anleger, die ihm ihr Geld anvertrauten, waren immer sehr zufrieden. Noch im November erzielte er nach eigenen Angaben eine Rendite von acht Prozent - da machten andere Hedgefonds längst 40 Prozent Verluste.

Jetzt dagegen stellt sich die Situation doch etwas anders da. Wohltäter Nadel ist verschwunden. Und das Geld der Anleger ist womöglich ebenso weg. Viking-Manager Neil Moody, einer der Mitarbeiter Nadels, teilte den Investoren lapidar mit: "Wir haben eine extrem ernste Situation festgestellt. Es könnte sein, dass die Fonds nahezu wertlos sind." Aha. Es könnte also sein. Die Anleger in Sarasota sind entsetzt. Sie bangen um ihr Geld. Dabei ging es lange Zeit gut. Scheinbar. "Der Magier der Märkte", wie sich Nadel gerne selbst nannte, stellte seine Anleger immer wieder mit grandiosen Renditen zufrieden, so dass sie nicht weiter nachfragten. Das alles war wohl eine große Lüge. Nadel ist schon seit Tagen verschwunden. Seine Frau Peg gab eine Vermisstenanzeige bei der Polizei auf. Sie weiß nicht wo ihr Mann ist. Auf seinem Schreibtisch fand sie einen Abschiedsbrief. "Ausgelaugt" habe er darin geklungen, sagte Chuck Lesaltato von der Polizei in Sarasota der Herald Tribune, einer Lokalzeitung für Floridas Südwesten.

Israel und andere

Der verschwundene Arthur G. Nadel reiht sich in eine Liste ein, die seit Ausbruch der Finanzkrise immer länger wird. Schon vor Monaten hatte die spektakuläre Flucht inklusive vorgetäuschten Selbstmords von Samuel Israel, 48, für Aufsehen gesorgt. Der Hedgefonds-Manager hatte Anleger, die in dem von ihm gemanagten Bayou-Fonds investierten, um 450 Millionen Dollar betrogen. Gemeinsam mit seinem Kollegen Daniel Marino hatte er Verluste vertuscht, Gelder auf Bankkonten gelenkt, Gutachten gefälscht. Anfang Juni vergangenen Jahres inszenierte Israel seinen eigenen Tod: Er stellte seinen Geländewagen nahe der Brücke über den Hudson River ab, von der schon viele Menschen in den Tod gesprungen sind. Er ließ den Motor laufen, den Schlüssel stecken und schrieb mit dem Zeigefinger auf die mit Staub bedeckte Motorhaube: "Suicide is painless" ("Selbstmord tut nicht weh") - ein Filmzitat; so lautet der Titelsong der Anti-Kriegs-Satire Mash von Anfang der Siebziger Jahre. In dem Lied heißt es bedeutungsreich: "Der einzige Weg, um zu gewinnen, ist zu betrügen."

Diese Weisheit beherzigte auch der amerikanische Vermögensverwalter Marcus Schrenker, 38, der vergangene Woche einen Flugzeugabsturz mit einer Piper Malibu vortäuschte. Das Leben von Schrenker war aus den Fugen geraten. Sein Unternehmen soll eine halbe Million Dollar veruntreut haben. Nach einigen Tagen stellte er sich. Auch er hatte immer mehr gewollt. Immer mehr Geld von einer Gesellschaft, die es jetzt hoffentlich besser weiß.

Auf dem Schreibtisch

fand seine Frau Peg

einen Abschiedsbrief.

Israel, Samuel Schrenker, Marcus Nadel, Arthur G. Wirtschaftskriminalität in den USA Folgen der Finanzkrise in den USA Vermisste Menschen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Kritik an aggressiver Werbung mit Kreditraten

Düsseldorf - Verbraucherschützer wollen gegen die aggressive Werbung von Elektromärkten mit der monatlichen Kreditrate anstelle des Kaufpreises vorgehen. Die Hervorhebung der Monatsrate verführe die Käufer zum Schuldenmachen, kritisierte die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen am Montag in Düsseldorf. Endpreise seien im Prospekt oft deutlich kleiner gedruckt. Die Verbraucherzentrale rügte MediaMarkt, Saturn und ProMarkt. Verbraucherjuristin Beate Wagner drohte mit Abmahnung wegen Wettbewerbsverstoßes. Laut Preisangabenverordnung seien stets die Endpreise und nicht die jeweiligen Monatsraten hervorzuheben.

Besonders auffällig sei der ProMarkt-Prospekt von Anfang Januar: "Alle 24 Marken-Artikel, von der Xbox-Konsole über den Kaffeevollautomaten bis zum 50-Zoll-Plasmafernseher, glänzten mit rotfetten Preisen von gerade mal 11 bis 55 Euro", hieß es. "Erst auf den zweiten Blick wurde deutlich: Hervorgehoben waren, mit Sternchen, die Preise der Monatsraten." Der "Abhol-Barpreis" sei deutlich kleiner gedruckt, monierten die Experten. Er liege zwischen 264 Euro für Rasierer und 1320 Euro für Fernseher.

Die Herausstellung der kleinen Raten verführe die Kunden ganz massiv, "sich blenden zu lassen und in die Schuldenfalle zu tappen", kritisierte die Schuldnerberaterin der Verbraucherzentrale NRW, Stefanie Laag. Auch die ProMarkt-Konkurrenten Saturn und MediaMarkt hätten solche "Verführ-Prospekte" gedruckt. dpa

Verbraucherschutz in Deutschland Direktwerbung SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Kurzarbeit: Die neuen Regeln

Seit Jahresanfang sind bis zu 18 Monate Unterstützung möglich

Von Andreas Kunze

Düsseldorf - BASF, Daimler, Bosch, Thyssen-Krupp: Immer länger wird die Liste großer Unternehmen, die Kurzarbeit anmelden. Damit sollen wirtschaftlich schwere Zeiten überbrückt und Entlassungen vermieden werden. Für Arbeitnehmer bedeutet das vor allem: weniger Geld am Monatsende. Muss man sich das gefallen lassen?

Vertrag ist Vertrag: Wer eine Vollzeitstelle vereinbart hat, kann generell darauf pochen, dass er die volle Zeit arbeitet und ebenso voll bezahlt wird. Kurzarbeit - etwa nur die halbe Stundenzahl - kann ein Arbeitgeber lediglich dann durchsetzen, wenn er laut Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung das Recht dazu hat. Eine Betriebsvereinbarung dazu kann aber auch kurzfristig geschlossen werden, so wie derzeit häufiger der Fall.

Für einen Arbeitnehmer kann es durchaus von Vorteil sein, wenn der Betrieb in wirtschaftlich schweren Zeiten Kurzarbeit einführt. Die Alternative wäre sonst häufig betriebsbedingte Kündigung. Bei Kurzarbeit bleibt indes das Arbeitsverhältnis bei reduzierter Stundenzahl und reduziertem Gehalt bestehen - und einen Teil des Einkommensausfalls übernimmt die Agentur für Arbeit per Kurzarbeitergeld (Kug), wenn sie die Kurzarbeit genehmigt hat.

Die Dauer der Kurzarbeit ist im Prinzip nicht begrenzt. Sie kann so lange angesetzt werden, wie der Betrieb in Schwierigkeiten steckt, etwa wegen gesunkener Auftragszahlen. Maximalzeiten gibt es allerdings für das Kurzarbeitergeld: Regelanspruch sind sechs Monate. Zum 1. Januar wurde der maximale Leistungszeitraum per Rechtsverordnung des Bundesarbeitsministeriums wegen der aktuellen Krise jedoch verlängert, und zwar auf nun 18 Monate.

Damit die örtliche Agentur für Arbeit die Kurzarbeit eines Betriebes genehmigt und den Weg frei macht für Kurzarbeitergeld, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens muss ein ebenso erheblicher wie vorübergehender Arbeitsausfall vorliegen, der auf wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbaren Ereignis beruht. Zweitens muss mindestens ein Drittel der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer von einem Entgeltausfall von jeweils mehr als 10 Prozent ihres monatlichen Bruttoentgelts betroffen sein (§§ 169 SGB III).

Das Kurzarbeitergeld wird ähnlich berechnet wie Arbeitslosengeld: 60 Prozent des Netto-Gehaltsverlustes für Kinderlose, 67 Prozent für Kurzarbeiter mit mindestens einem Kind. Das Kug wird an den Arbeitgeber überwiesen, der es mit dem verminderten Gehalt an seine Mitarbeiter auszahlt. Die Sozialversicherungen bleiben erhalten. Wichtig dabei: Die Leistung der Arbeitsagentur ist steuerfrei, aber mit "Progressionsvorbehalt". Dadurch steigt der Steuersatz für das übrige Einkommen, was zu Steuernachzahlungen im nächsten Jahr führen kann.

Wer mit einem Nebenjob die restliche Gehaltseinbuße auffangen will, kann das tun. "Es gelten dann die gleichen Regeln wie für einen Nebenjob in normalen Zeiten", sagt Hildegard Gahlen, Fachanwältin für Arbeitsrecht in Essen. "Der Arbeitnehmer sollte sich möglichst schriftlich von seinem Arbeitgeber eine Nebentätigkeitserlaubnis geben lassen." Das Einkommen eines Nebenjobs wird allerdings auf das Kurzarbeitgeld angerechnet - es sei denn, den Nebenjob hat man vorher schon gehabt.

Logo einer Agentur für Arbeit: Die Behörde zahlt bei Kurzarbeit einen Teil des Gehalts der Mitarbeiter. Foto: AP

Kurzarbeit in Deutschland Arbeits- und Sozialrecht in Deutschland Löhne und Gehälter in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Schuldnerberater bieten Hilfe per Internet

Berlin - Überschuldete Privatpersonen können ab sofort über das Internet ihre Fragen direkt an seriöse Berater schicken. Das kostenlose Angebot soll bundesweit die Kontaktaufnahme erleichtern, sagte Werner Sanio, Vorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung, am Montag in Berlin. Das Online-Portal meine-schuldnerberatung.de werde den persönlichen Kontakt zwischen Berater und Schuldner jedoch nicht ersetzen. Unterlagen wie Kreditverträge würden über die Online-Beratung nicht geprüft.

Das Internetangebot unterstützt der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) mit rund 100 000 Euro. Der Verband fördert die Beratungsstellen eigenen Angaben zufolge jährlich mit rund 5,4 Millionen Euro. Die Nutzer müssen sich für die Beratung zunächst auf der Internetseite registrieren. Dies erfolgt über eine gesicherte Verbindung und anonym. Mit einer Antwort kann nach ungefähr zwei bis drei Tagen gerechnet werden. Bundesweit beteiligen sich rund 80 Beratungsstellen an dem Internetdienst. ddp

Schulden der Privathaushalte in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Das Streiflicht

(SZ) Die deutsche Wurstgeschichte lässt sich, so vielfältig sie sein mag, an drei Ereignissen festmachen. Das erste ist uns lediglich als Kindergedicht überliefert: "Hermann, der Cheruskerfürst, handelt mit die Leberwürst, geht die Straße auf und ab, kaufts mir meine Würstl ab, geht die Straße auf und nieder, gebts mir meine Würstl wieder." Die Geschichte krankt daran, dass der Mann Arminius hieß und nicht Hermann, doch wenn wir den Wursthandel zeitlich im Umkreis der Varus-Schlacht lokalisieren, also um das Jahr 9 nach Christus herum, können wir ihn heuer guten Gewissens mitfeiern. Als zweites Ereignis sei die Erfindung der Münchner Weißwurst am Rosenmontag, dem 22. Februar 1857, herangezogen. Eine feine Sache, nur dass besagter 22. Februar kein Montag war, sondern ein Sonntag, der freilich dadurch geadelt wird, dass an ihm Heinrich Hertz zur Welt kam. In der Wurstkunde wird Hertz kaum je erwähnt, aber da er die elektromagnetischen Wellen erforschte und man Weißwürste auch in der Mikrowelle erhitzen kann, ist der große Mann hier so gut aufgehoben wie in der Physik.

Das dritte, uns zeitlich am nächsten liegende Wurstereignis wird diesen Mittwoch begangen. Dann ist es 50 Jahre her, dass beim Patentamt München unter der Signatur H 14344 NR. 721319 das Rezept für eine Soße namens "Chillup" unter Markenschutz gestellt wurde. Inhaberin des Patents war die Berliner Wurstbraterin Herta Heuwer, die sich um die Ernährung im Deutschland der Nachkriegszeit auf eine kaum adäquat zu würdigende Weise verdient gemacht hat. Bereits 1949 hatte sie die Currywurst erfunden, jetzt sicherte sie sich das Betriebsgeheimnis der dazu erforderlichen Soße. Der Witz an der Sache ist der, dass Frau Heuwer die Soße nicht ausgetüftelt hatte, sondern dass diese sich ergab, als sie einmal aus Langeweile allerlei Gewürze mit Tomatenmark zusammenrührte.

Damit hat sie sich in die Schar jener Erfinder eingereiht, die auf etwas kamen, ohne es gesucht zu haben, für die also jener Anonymus arbeitete, den auch die Polizei unter dem Tarnnamen "Kommissar Zufall" gern beschäftigt. Charles Goodyear etwa hätte den Gummi wohl nie erfunden, wäre ihm nicht ein Gemisch aus Schwefel und Kautschuk aus Versehen auf die heiße Herdplatte gefallen. Der Zufall verbindet Herta Heuwer über Raum und Zeit hinweg auch mit Sepp Moser, der die Weißwurst erfand. Angeblich waren ihm die Schafsdärme für Bratwürste ausgegangen, weswegen er das Brät in Schweinsdärme füllte, die zum Braten zu dünn waren, zum Sieden aber taugten. Über des Cheruskerfürsten Leberwürste wissen wir nichts, viel hingegen über die Schlacht im Teutoburger Wald. Nimmt man Schillers "Ein Schlachten war's, nicht eine Schlacht zu nennen" auch für sie in Anspruch, könnte Hermann gelernter Metzger gewesen sein.

Wurstwaren Patente und Erfindungen in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Drohvideo beunruhigt deutsche Behörden

Im Film zu sehender Islamist lebte jahrelang in Bonn und soll Zugang zur Führung von al-Qaida haben

Von Daniel Brössler

Berlin - Im Wahljahr 2009 sehen die deutschen Sicherheitsbehörden eine erhöhte Terrorgefahr für Deutschland. "Wir machen uns schon Sorgen", sagte der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, August Hanning, am Montag in Berlin und verwies dabei ausdrücklich auf das am Wochenende bekannt gewordene Video mit Terrordrohungen gegen Deutsche. Der in dem Video zu sehende Mann sei den deutschen Sicherheitsbehörden bekannt. "Wir kennen ihn als Islamisten", sagte Hanning. Es gebe Hinweise darauf, dass er Zugang zur Führung des Terrornetzwerkes al-Qaida habe.

Bei dem Mann handelt es sich nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamts um den in Marokko geborenen deutschen Staatsbürger Bekkay Harrach. Zwar firmiert der fließend Deutsch sprechende Mann in dem Video als "Abu Talha, der Deutsche", gibt sich aber auch als "Herr Harrach" zu erkennen. Nach Erkenntnissen der deutschen Behörden lebte der 1977 geborene Harrach mehrere Jahre in Bonn und hält sich seit 2007 im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet auf. Die Region gilt als Rückzugsraum für Taliban-Kämpfer und Al-Qaida-Angehörige. Im Zuge der Beobachtung der islamistischen Szene war Harrach schon vor seiner Abreise nach Pakistan ins Visier der deutschen Ermittler geraten. Harrach schildert in dem Video ein angebliches Treffen mit Mitarbeitern des Bundesverfassungsschutzes in einem Hotel in Bonn. Zu aktuellen Ermittlungen im Umfeld Harrachs in Deutschland sagte Hanning: "Wir tun, was unsere Pflicht ist."

Als "hochproblematisch" stufen deutsche Experten Harrach nach Angaben Hannings ein, weil er sich neben seinem Zugang zur Führungsebene von al-Qaida sehr gut in Deutschland auskenne. In dieser Kombination wird ein besonderer Grund zur Sorge gesehen. Das auf einer einschlägigen islamistischen Webseite veröffentlichte Video enthält nicht nur zahlreiche Drohungen gegen Deutsche wegen des Engagements der Bundeswehr in Afghanistan, sondern ist auch gespickt mit Anspielungen auf die deutsche Innenpolitik. "Was jetzt neu ist, ist die direkte Adressierung Deutschlands", sagte Hanning. Von Islamisten bedroht worden war Deutschland allerdings auch schon in der Vergangenheit, etwa 2002 nach dem Anschlag auf eine Synagoge auf Djerba.

Die Tatsache, dass die Ausführungen Harrachs teilweise wirr wirken, gibt aus Sicht deutscher Experten keinen Anlass zur Entwarnung. Die Diktion und seltsam anmutende Gestik in dem Video halten sie nicht für untypisch. Der Wortschatz Harrachs sei sehr "beachtlich", sagte Hanning, sein "intellektuelles Niveau" liege über dem von den Sicherheitsbehörden gesuchten, zum Islam konvertierten Deutschen Eric Breininger.

Keine Klarheit haben deutsche Sicherheitsexperten indes bislang darüber, ob ein Selbstmordanschlag vor der deutschen Botschaft in Kabul am Samstag tatsächlich der Vertretung galt. Dafür spricht ein Bekenneranruf nach der Tat, bei der fünf Menschen in den Tod gerissen wurden. Allerdings befindet sich in unmittelbarer Nähe der Botschaft ein Ausbildungslager der US-Armee für afghanische Soldaten, das als Ziel ebenfalls in Frage käme. Zu Ermittlungen wurde ein Team des Bundeskriminalamtes nach Kabul geschickt. Ungewiss ist, ob die Botschaft saniert werden kann oder neu errichtet wird.

Harrach, Bekkay Al-Qaida Islamische Terroristen in Deutschland Islamistischer Terrorismus im Internet Innere Sicherheit in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Worte, die bleiben sollen

Hoffnung auf ein weltlicheres, selbstkritischeres Amerika: Die Zivilreligion des Barack Obama

Am Wochenende unternahm die Familie Obama einen Ausflug zum Lincoln Memorial am westlichen Ende der Washingtoner Mall. Ganz unverhohlen im Zeichen des 16. Präsidenten, des Sklavenbefreiers und Retters der amerikanischen Union, beginnt Obama seine eigene Präsidentschaft. Auf der marmornen Rückwand des Tempels ist Lincolns zweite Amtseinführungsrede aus dem Bürgerkriegsjahr 1865 eingraviert. "Einschüchternd", sei diese demokratische Dichtkunst, ließ Obama vernehmen. Man hat den jungen Senator, nicht zuletzt seiner oratorischen Befähigung wegen, mit Lincoln verglichen, mit Roosevelt und Kennedy. Bisher war das nur Ehre. Jetzt ist es gewiss auch Bürde. Denn von Obama wird bei seiner Amtseinführungsrede nicht weniger erwartet als das, was Lincoln, Roosevelt und Kennedy bei gleicher Gelegenheit geschaffen haben: Worte, die bleiben.

Viele andere Präsidenten sind an dieser Herausforderung gescheitert. Es ist schwer, Außergewöhnliches zu sagen, wenn der Anlass vor allem die Erneuerung alter Formeln gebietet. Die Rede zur Amtseinführung ist das öffentliche Glaubensbekenntnis eines jeden amerikanischen Präsidenten, er leistet es stellvertretend für die Nation. Ihm ist aufgetragen, die glorreiche Vergangenheit des Landes zu vergegenwärtigen und so Amerika seiner Identität, seiner Größe und seines Auftrags zu versichern. Washington zelebriert an diesem Dienstag die Liturgie der amerikanischen Zivilreligion. Die Stufen des Kapitols sind die Kanzel für ihren Hohepriester.

Politik und Religion waren in der Neuen Welt schon verschlungen, als die USA noch gar nicht existierten. Die Pilgerväter entflohen im 17. Jahrhundert der religiösen Unterdrückung in Europa und brachten den puritanischen Gedanken eines von Gott erwählten Volkes nach Amerika - in das gelobte Land. Hier sollte, im exklusiven Bund mit Gott, ein "neues Israel" entstehen. Die Gründergeneration der Republik verschmolz die religiösen Elemente mit dem Sendungsbewusstsein einer Modelldemokratie zu einem nationalen Glauben. Für diesen hat sich inzwischen der Begriff "civil religion" durchgesetzt, den der Soziologe Robert N. Bellah 1967 in reichlich vager Anlehnung an Rousseaus "religion civile" vorschlug.

Alle amerikanischen Präsidenten haben ihre Politik mit dem Appell an diese Zivilreligion zu legitimieren versucht. Immer ist sie lyrische Amerikaschwärmerei, immer Aufruf zur Einheit und meistens Beschwörung der Mission, Freiheit und Demokratie zu verbreiten. Manche meinen deshalb, sie sei immer der gleiche Sermon. Doch das ist nicht richtig. Die Zivilreligion kennt Konjunkturen, in Zeiten der Krise und der Gefahr ist sie leichter zu aktivieren. Das vermag, mehr als jeder andere, der Präsident. Er kann die Zivilreligion auch gestalten, denn sie speist sich aus verschiedenen Zentralmotiven, die er zu gewichten hat.

Während der Präsidentschaft George W. Bushs hat das Phänomen besondere Prominenz erlangt. Bush betonte, besonders nach den Anschlägen des 11. September, das Motiv der Mission: Amerika sollte das Feuer der Freiheit auch im dunkelsten Winkel der Welt zum Leuchten bringen. Vielerorts fühlte man sich freilich von der Flamme eher bedroht. Die Zivilreligion schien instrumentalisiert zu werden zur Rechtfertigung einer aggressiven Außenpolitik. Bush hieß man einen Fundamentalisten und Gotteskrieger. Nun hofft die Welt, dass die Tage der amerikanischen Kreuzzüge vorerst vorbei sind. Die Zivilreligion wird aber auch unter Obama nicht verschwinden. Sie wird indes, nach allem, was man weiß, tatsächlich ein anderes Gesicht haben. Es wird ein freundlicheres Gesicht sein.

Zivilreligion lässt sich kategorisieren, zumindest der Tendenz nach, auch wenn mancher Übergang fließend ist. Sehr frei nach einem Modell des eminenten Chicagoer Theologen Martin E. Marty können zwei Gegensatzpaare identifiziert werden. Die erste Unterscheidung betrifft eher Stilfragen. Die Zivilreligion kann in eine dezidiert christliche Sprache gekleidet sein, mit konkreten Bibelreferenzen und einem allgemein biblisch anmutenden Ausdruck. Oder sie kann sich weltlicher Codes bedienen, der "Gemeinschaft" etwa, des "Geists" und der "Prinzipien". Die christliche Zivilreligion also wähnt Amerika auf "göttlicher Mission"; die säkulare Zivilreligion stützt einen "nationalen Auftrag".

Die zweite Unterscheidung ist noch wichtiger. Sie betrifft den Charakter der Zivilreligion. Der erste Strang hier ist eine selbstkritische Zivilreligion der Verpflichtung und Verantwortung, die ständig überprüft, ob die Nation tatsächlich auf Gottes Seite ist. Der zweite Strang ist eine selbstherrliche Zivilreligion der Begünstigung und des Vermögens. Sie mag durchaus hehre Ziele haben, glaubt Gott aber allzu gewiss auf der Seite der Nation. Die selbstkritische Variante also ermahnt die Nation; die selbstherrliche bestärkt sie bloß.

Ob ein Präsident seiner Zivilreligion ein christliches oder ein säkulares Gewand webt, hängt von seinen persönlichen religiösen Überzeugungen ab. In der Wahrnehmung Europas, dem öffentliche Spiritualität und politisches Pathos weitgehend fremd sind, ist das ohnehin zweitrangig. Europa ignoriert das amerikanische Missionsgerede, solange es sich an der Mission selbst nicht stört. Beispiel Bill Clinton: Der hatte, rein quantitativ, mindestens ebenso viel Religion in seinen Reden wie Bush. Aber das störte beim sympathischen Kosmopoliten Clinton und seiner überwiegend selbstkritischen Zivilreligion nicht. Bush dagegen, dessen Zivilreligion von Guantanamo und Abu Ghraib als selbstherrlich entlarvt wurde, fehlte die Demut. Ebenjene Demut, die Lincoln bewies, als er in eben jener Rede, die Obama zur Inspiration studierte, daran erinnerte, dass beide Bürgerkriegsparteien, Norden und Süden, "die gleiche Bibel lesen und zum gleichen Gott beten".

Obama wird wie Lincoln ein Erlöser genannt. Man kann nicht behaupten, dass er sich wehrt gegen dieses Etikett, aber man muss ihm zugute halten, dass er als Redner mindestens ebenso den Verstand seiner Zuhörer anspricht wie deren Gefühl. Der Kern seiner politischen Theologie sind die Motive der Erneuerung und der Perfektionierung des Bundes: die feste Überzeugung, dass die besten Tage Amerikas noch in der Zukunft liegen. Aufgrund der Strahlkraft seiner Lebensgeschichte - des wundersamen Weges "eines dürren Jungen mit einem komischen Namen" - hat sich der erste schwarze Präsident diese Motive in besonderer Weise zu eigen machen können: "Die Kühnheit der Hoffnung" heißt seine Autobiografie, und damit ist das Grundthema seiner Rhetorik skizziert. Natürlich steckt darin schwarze Befreiungstheologie, die Idee vom Leid in Ketten, die Jesus Christus eines Tages zerschlagen wird. Obama hat diese Idee genommen, vom afro-amerikanischen Kontext gelöst und auf die Vereinigten Staaten insgesamt übertragen. Obama verspricht, die Amerikaner in das gelobte Land zu führen, ein Land ohne Rassenhass und ideologische Grabenkämpfe.

Das Motiv der Einheit hat er schon 2004 bei der Rede auf dem demokratischen Parteitag, die ihn über Nacht bekannt machte, formuliert: Dass es nicht ein liberales und ein konservatives Amerika gibt, nicht ein schwarzes und ein weißes, sondern nur ein Amerika, die Vereinigten Staaten von Amerika. Natürlich ergeht sich auch Obama in patriotischem Eifer, aber dieser Eifer hat Grenzen bei ihm: Amerika mag eine mystische Gemeinschaft sein, aber sie steht nicht über der Welt.

Das hat Obama in seiner Berliner Rede deutlich gemacht: Dass Amerika kein eigenes Projekt betreibt, sondern dass die ganze Welt Partner dieses Projekts ist. Obama erinnert hier an Kennedy. Nach seiner berühmten Wendung "Frage nicht, was dein Land für dich tun kann . . ." fuhr er fort: "Mitbürger der Welt, fragt nicht was Amerika für euch tun wird. Fragt, was wir gemeinsam tun können für die Freiheit der Menschen."

Was Bushs religiöse Rhetorik im Detail von der anderer Präsidenten unterschied, war die Vehemenz des Dualismus, mit der er alles Irdische in Gut und Böse, in Licht und Dunkel teilte. Obama hat sich gelöst vom Manichäismus des Bush'schen Weltbilds, er hat sich auch gelöst von seinem Pastor Jeremiah Wright, der in seinen mit heiligem Furor gehaltenen Predigten Rassismus und Ungleichheit beklagte und schonungslos den Gegensatz zwischen Macht und Ohnmacht geißelte. Diese Rhetorik einte nicht, sie entzweite. Deshalb hat sich Obama von Wright distanzieren müssen.

Was wird Obama also für die amerikanische Zivilreligion sein? Wohl ein Aufbruch, und zwar ein zweifacher. Seine Zivilreligion wird säkularer sein als die christliche des George W. Bush. "Wir sind bereit, wieder zu glauben", rief Obama seinen Anhängern während des Wahlkampfes immer wieder zu. Das hieß: zu glauben an das Versprechen Amerikas. Obama hat die Zivilreligion wieder geöffnet für all jene, die sich ausgeschlossen fühlten wegen ihrer nicht-christlichen Religion, ihrer Hautfarbe oder ihrer sexuellen Präferenz. Der Bund Obamas soll kein elitärer Club sein. Obamas Zivilreligion wird wahrscheinlich auch selbstkritisch sein. "Ohne euch wird es den Wandel nicht geben", sagte er der jubelnden, vor Rührung weinenden Menge im Grant Park von Chicago am Abend seines Wahlsiegs. Es bedürfe jetzt eines "Geistes des Dienens und der Verantwortung", jeder einzelne müsse härter arbeiten für das Wohl aller.

Die Vertreter der selbstkritischen Zivilreligion nennt die Wissenschaft Propheten (im Gegensatz zu den selbstherrlichen Priestern), und das Problem der Propheten war stets, dass sie belehrend oder gar befehlend daherkamen. Jimmy Carter war so einer. In seiner Malaise-Rede, eine einer puritanischen Jeremiade gleichende Klageschrift über den Abfall des Volkes vom Glauben, diagnostizierte er bei seinen Landsleuten eine "Krise des Selbstvertrauens". Die Wähler entschieden sich bei der Wahl 1980 dann nicht mehr für Carter, der die Nacht über Amerika bejammerte, sondern für Ronald Reagan, der ihnen den "Morgen" versprach. Ein Mahner ist jetzt auch Obama: Die USA, warnt er, haben ihr Versprechen der Gleichheit nicht eingelöst. Aber dieser Mahner ist ein angenehmer, denn er klingt ermutigend und optimistisch: "Der Anstieg wird steil sein" zu einer "vollkommeneren Union", aber gemeinsam sei er zu nehmen.

Die Zivilreligion des Barack Obama wird jedenfalls nie wieder so rein sein und so gleißend wie an diesem 20. Januar 2009, zwölf Uhr mittags in Washington. In diesem Moment ist sie nur Verheißung. Mit den Jahren sind zivilreligiöse Verheißungen schon oft schal geworden in der amerikanischen Geschichte, und nur wenige, ganz wenige, wurden, wie jene Lincolns, in Stein gemeißelt. ROMAN DEININGER

Schwärmerei, Aufruf zur Einheit, Beschwörung der Mission

Schwarze Befreiungstheologie, die Idee vom Leid in Ketten

Es bedarf eines Geistes des Dienens und der Verantwortung

Obama, Barack Image und Selbstverständnis der Amerikaner Kulturelles Gedächtnis Politische Theorie Geschichte der USA SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Nach der Wahl in Hessen

Merkel warnt FDP vor Blockade im Bundesrat

"Liberale dürfen neue Macht nicht überreizen" / Freie Demokraten für Änderungen am Konjunkturpaket

Von Nico Fried

Berlin - Die große Koalition steuert wegen der Machtverschiebung im Bundesrat auf einen Konflikt mit der FDP zu. Weil Schwarz-Rot nach der Hessen-Wahl in der Länderkammer bald keine Mehrheit mehr hat, warnten Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Chef Franz Müntefering die FDP, den Preis für ihre Unterstützung von Koalitionsvorhaben zu hoch zu schrauben. Die neue Regierung in Hessen soll bereits am 5. Februar gewählt werden.

Merkel sagte, mit der Regierungsbeteiligung in Hessen und den künftigen Einflussmöglichkeiten im Bundesrat übernehme die FDP auch zusätzliche Verantwortung. Deshalb dürfe sie mit Nachforderungen zu Korrekturen am Konjunkturpaket der großen Koalition ihre Position "nicht überreizen". Dies werde "bei der Bevölkerung nicht gut ankommen", sagte Merkel. Deutlicher als die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende erteilte die SPD Änderungswünschen der FDP am Konjunkturpaket eine Absage: "Das Paket steht so, da gibt es nichts nachzubessern", sagte Parteichef Müntefering. "Ich gehe davon aus, dass alle, die jetzt nicht parteitaktisch entscheiden wollen, dem zustimmen im Bundesrat."

Die große Koalition verfügt nach der Wahl in Hessen nur noch über 30 von 69 Stimmen im Bundesrat und ist auf die Unterstützung von Landesregierungen unter Beteiligung anderer Parteien als Union und SPD angewiesen. Da die FDP in den fünf größten Ländern mitregiert, wird sie der erste Ansprechpartner sein. Am kommenden Mittwoch will sich der FDP-Bundesvorsitzende Guido Westerwelle mit Merkel treffen. Westerwelle sagte, die Liberalen würden ihren gewachsenen Einfluss im Bundesrat "klug nutzen", um Entlastungen für die Bürger zu erreichen. Die FDP werde eine konstruktive Rolle in der Länderkammer spielen. "Wir werden ganz sicher nicht abheben", sagte der FDP-Chef.

Aus der FDP waren zuvor jedoch bereits Forderungen laut geworden, die im Konjunkturpaket von Juli an vorgesehenen Steuerentlastungen vorzuziehen. FDP-Schatzmeister Hermann Otto Solms verlangte zudem, auf die Abwrackprämie für Altautos zu verzichten. Die Bundesregierung will deshalb das Konjunkturpaket aufspalten in einen Teil, der im Bundesrat zustimmungspflichtig und einen zweiten Teil, der nicht zustimmungspflichtig ist. Das kündigte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm an. Würde es nur ein Gesetz geben, würden eigentlich zustimmungsfreie Bestandteile des Konjunkturpakets im Bundesrat ebenfalls zustimmungspflichtig. "Das macht keinen Sinn", sagte Wilhelm. Nicht zustimmungspflichtig ist zum Beispiel die Abwrackprämie, bei der Käufer von Neuwagen unter bestimmten Bedingungen 2500 Euro erhalten sollen. Dies gelte bereits rückwirkend zum 14. Januar, hieß es am Montag.

CDU und FDP in Hessen wollen voraussichtlich bereits am Dienstag mit Koalitionsverhandlungen beginnen. Das kündigte der hessische FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn in Berlin an. Ziel sei es, die Gespräche so abzuschließen, dass bereits am 5. Februar bei der ersten Sitzung des neuen Landtages das Kabinett gewählt werden könne. Der derzeit geschäftsführende Ministerpräsident und hessische CDU-Chef Roland Koch räumte ein, dass er trotz des Sieges am Sonntag vom Ergebnis seiner Partei enttäuscht sei. "Ich will nicht verhehlen, dass ich zwei bis drei Prozent mehr toll gefunden hätte", sagte Koch. Die CDU hatte am Sonntag 37,2 Prozent erhalten. Der designierte SPD-Vorsitzende in Hessen, Thorsten Schäfer-Gümbel, kündigte nach dem Desaster seiner Partei eine Neuaufstellung an. (Seiten 3, 4, 5, 6 und Wirtschaft)

Koch, Roland: Zitate Westerwelle, Guido: Zitate Müntefering, Franz: Zitate Merkel, Angela: Zitate Freie Demokratische Partei (FDP): Zusammenarbeit Freie Demokratische Partei (FDP): Programmatik Bundesrat Verhältnis der CDU zur FDP Landtagswahl 2009 in Hessen Verhältnis der SPD zur FDP Konjunkturpaket II der Bundesregierung 2009 SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Neue Rauchzeichen

Bayern lockert das strenge Verbot in Gaststätten

Im vorigen August war die Welt für die CSU noch eine andere. Dementsprechend trat sie auch auf - und wenn es nur um das Rauchverbot ging. Das bayerische Gesetz, tönte der damalige Gesundheitsminister Otmar Bernhard (CSU), werde Vorbild für alle Bundesländer sein. So stolz war er, dass das Bundesverfassungsgericht nichts an seinem Gesetz auszusetzen hatte. Seit einem Jahr hat Bayern das strengste Rauchverbot bundesweit, zumindest auf dem Papier. Und ein verfassungskonformes. Doch an diesem Dienstag wird sein Ende eingeläutet, dann beschließt das bayerische Kabinett eine weitreichende Lockerung.

Denn die Welt hat sich in Bayern mit dem Wahldebakel der CSU im September geändert, seitdem muss sie mit der FDP in einer Koalition regieren. Die Liberalen waren im Wahlkampf gegen das Rauchverbot zu Felde gezogen; auch Horst Seehofer (CSU), inzwischen Ministerpräsident, hielt es für überzogen - weshalb man sich bei den Koalitionsverhandlungen rasch auf die Lockerungen einigte. War bisher das Rauchen in allen Gaststätten und Discos verboten, so soll es in Nebenräumen künftig erlaubt sein. Kleine Kneipen mit nur einem Raum können sich zur Raucherkneipe erklären. Dann dürfen aber Minderjährige - wie auch in die Nebenräume - nicht hinein. Nur in Bierzelten wird das Rauchen wieder uneingeschränkt erlaubt, auch Jugendliche haben dort Zutritt. In der schwarz-gelben Koalition ist davon nicht jeder begeistert, zumal man Klagen befürchtet von den Wirten größerer Lokale, die keinen Nebenraum haben, sie würden ungleich behandelt. Doch der Aufschrei der vielen Befürworter im Landtag, die vor gut einem Jahr fraktionsübergreifend mit großer Mehrheit das strenge Rauchverbot beschlossen hatten, ist ausgeblieben. Auch die Gesundheitspolitiker der CSU haben sich still der allgemeinen Meinung gefügt, das Rauchverbot sei mit schuld gewesen an der Wahlniederlage.

Dabei hat sich nach der anfänglichen Aufregung vor einem Jahr die Situation vielerorts im Sinne der Liberalitas Bavariae eingespielt. Vor allem dank der skurrilen Erfindung des Raucherklubs: In Gaststätten ist das Rauchen laut Gesetz verboten, sofern sie "öffentlich zugänglich" sind. Diesen Passus hatte der damalige Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) einfügen lassen - um private Feiern vom Rauchverbot auszunehmen. Doch schon damals ahnten manche, was auf Bayern zukam: Tausende Kneipen deklarierten sich zu Raucherklubs, in München etwa soll es jede zehnte Gaststätte gewesen sein. Das war legal, sofern der Wirt eine Mitgliederliste führt und den Einlass kontrolliert. Faktisch degenerierte so das Rauchverbot zu einem einzigen Schlupfloch, da Mitgliedsanträge, wenn überhaupt, bei der Bierbestellung ausgefüllt wurden. Zudem weigerten sich viele der für die Kontrollen zuständigen Kommunen, streng hinzusehen. Und spätestens seit der Koalitionsvereinbarung im Oktober wird ohnehin vielerorts wieder völlig frei gequalmt.

Man habe nichts davon, wenn die Bevölkerung den Gesetzgeber auslache, begründete Seehofer damals die Kehrtwende der CSU. Zudem könne man kaum "von Gesundheitsschutz reden, wenn Menschen das massenhaft mit der Gründung von Raucherklubs umgehen". Sie sollen künftig passé sein. Verboten bleibe das Rauchen in öffentlichen Gebäuden, weil man dort ja nicht freiwillig hingehe wie in eine Kneipe, sagt Seehofer. Eigentlich ändere sich gar nichts. Dabei ist die Welt des Freistaats längst eine ganz andere geworden. Kassian Stroh

Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU): Image Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU): Programmatik Nichtraucherschutz in Bayern SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Aktuelles Lexikon

Inauguration

Seit 1789 schwört der neue US-Präsident am Inaugurationstag feierlich, dass er die Verfassung erhalten, schützen und verteidigen werde. Aber selten passte die Ursprungsbedeutung der "Inauguration" so gut zu den Erwartungen, die die Welt an Barack Obama stellt, den verklärten Heilsbringer. Heute bezeichnet "Inauguration" allgemein die feierliche Übernahme eines hohen Amtes und ist im kirchlichen wie universitären Umfeld erhalten. Im Römischen Reich besaß der Begriff religiöse Bedeutung. Auguren waren Priester, die aus dem Verhalten der Vögel göttliche Zeichen deuteten. Bei der "Vogelschau" beobachteten sie Bewegung und Gesang der Tiere im Templum, einem abgegrenzten Bereich. Daraus schlossen sie, ob die Götter zu einer Angelegenheit ihr Placet gaben. Übergab ein Augur das Amt mit einer feierlichen Weihe des Pontifex Maximus an den Nachfolger, hieß dieser Vorgang inauguratio. Noch heute wünschen Italiener zu Festtagen "tanti auguri". Obama wird an diesem Dienstag vor dem Kapitol also nicht nur in den Fußstapfen seiner 43 Vorgänger stehen, sondern einen uralten Ritus fortsetzen. Nicht immer waren die Inaugurationsfeiern seiner Amtsvorgänger jedoch gute Vorzeichen: 1873 erfroren bei der Amtseinführung von Ulysses Grant Hunderte Kanarienvögel, die dem Fest eine exotische Note hatten verleihen sollen. Seine Präsidentschaft erschütterte ein schwerer Korruptionsskandal. kari

Seit 1789 schwört der neue US-Präsident am Inaugurationstag feierlich, dass er die Verfassung erhalten, schützen und verteidigen werde. Aber selten passte die Ursprungsbedeutung der "Inauguration" so gut zu den Erwartungen, die die Welt an Barack Obama stellt, den verklärten Heilsbringer. Heute bezeichnet "Inauguration" allgemein die feierliche Übernahme eines hohen Amtes und ist im kirchlichen wie universitären Umfeld erhalten. Im Römischen Reich besaß der Begriff religiöse Bedeutung. Auguren waren Priester, die aus dem Verhalten der Vögel göttliche Zeichen deuteten. Bei der "Vogelschau" beobachteten sie Bewegung und Gesang der Tiere im Templum, einem abgegrenzten Bereich. Daraus schlossen sie, ob die Götter zu einer Angelegenheit ihr Placet gaben. Übergab ein Augur das Amt mit einer feierlichen Weihe des Pontifex Maximus an den Nachfolger, hieß dieser Vorgang inauguratio. Noch heute wünschen Italiener zu Festtagen "tanti auguri". Obama wird an diesem Dienstag vor dem Kapitol also nicht nur in den Fußstapfen seiner 43 Vorgänger stehen, sondern einen uralten Ritus fortsetzen. Nicht immer waren die Inaugurationsfeiern seiner Amtsvorgänger jedoch gute Vorzeichen: 1873 erfroren bei der Amtseinführung von Ulysses Grant Hunderte Kanarienvögel, die dem Fest eine exotische Note hatten verleihen sollen. Seine Präsidentschaft erschütterte ein schwerer Korruptionsskandal.

Regierung Obama 2009 Geschichte der USA SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Der Mann hinter Obamas Worten

Redenschreiber Jon Favreau

Von Christian Wernicke

Der Aufstieg des Jon Favreau zum obersten Redenschreiber der Nation ist atemberaubend. Und dieser 27-jährige Mann ist sensibel genug, dies noch selbst zu spüren. So wie vor acht Wochen, als Favreau aus seinem Büro geflohen war und Entspannung beim Joggen suchte. Er war soeben auf Washingtons Mall angekommen, dem langen und geschichtsbeladenen Grünstreifen zwischen dem Kapitol und dem Lincoln Memorial, als ihm die Luft wegblieb. Favreau stoppte und ließ sich überwältigen von der Vorstellung, dass hier am 20. Januar zwei, vielleicht gar drei Millionen Menschen stehen und seinen Worten lauschen werden.

Sprechen wird allein Barack Obama, der 44. US-Präsident. Aber niemand hat seit Mitte November 2008 so unermüdlich an jeder Silbe von dessen Antrittsrede gefeilt wie Jon Favreau. Die Nation, ja die Welt erwartet gespannt, welches Motto Obama seiner Präsidentschaft wohl geben mag, wenn er an diesem Dienstag gleich nach dem Eid auf die Verfassung seine erste, etwa 20 Minuten lange Rede als amtierender Präsident anstimmen wird. Die Chancen stehen gut, dass die Zauberformel aus dem Laptop von Obamas jüngstem Vertrauten stammt.

Obamas Pressesprecher verbreiten zwar, ihr Chef habe sich seine Rede selbst geschrieben. Und das mag auch irgendwie stimmen - mindert dennoch nicht Favreaus Einfluss. Denn so arbeiten Obama und sein wichtigster Wortschmied nun schon seit fünf Jahren: Der Chef diktiert dem Schreiber seine Gedanken, Favreau entwirft ein Skript, das Obama wiederum redigiert. Kenner dieses Zusammenspiels behaupten, eigentlich sei Obama - immerhin Autor zweier Bestseller - der bessere Schreiber. Das Talent des Jon Favreau aber ist, dass er mehr als andere spürt, wie Amerikas künftiger Präsident denkt. Und was genau er sagen will. "Jon ist völlig synchronisiert mit Obama, und er hat zu allem und jedem Zugang", vertraute neulich ein Kollege von Favreau der Washington Post an.

Begegnet sind sich die beiden das erste Mal im Juli 2004, beim Wahl-Parteitag der Demokraten in Boston. Favreau hatte gerade seinen Bachelor an einer katholischen Uni geschafft und war eher zufällig stellvertretender Redenschreiber im Stab des damaligen demokratischen Präsidentschafts-Kandidaten John Kerry geworden. Kerry scheiterte, Favreau wurde arbeitslos, doch er war dem Senator aus Chicago aufgefallen. Und schon wenige Monate später heuerte Obama den arbeitslosen Novizen als Mitarbeiter seines Washingtoner Büros an. Favreau avancierte zum jüngsten aller "Chief Speechwriter" des Weißen Hauses.

Der neue Job verlangt ihm alles ab. Favreau ist kein Schnellschreiber, über der Antrittsrede brütete er nächtelang bei Espressi und Red Bull. Zudem darf er sein ganzes Leben neu ordnen. Bis zum Sommer lebte er in Wohngemeinschaften, jetzt hat er sich sein eigenes Apartment gekauft. Und etliche Anzüge samt Krawatte: Die Zeiten, da er nur in Jeans und Pullis herumlaufen durfte, sind bei Dienstantritt am Mittwoch vorbei.

Jon Favreau, 27 Jahre alt Foto: oh

Obama, Barack: Zusammenarbeit Favreau, Jon: Zusammenarbeit Favreau, Jon: Karriere Regierung Obama 2009 SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Voran mit leisen, ruhigen Schritten

Wie es Barack Obama gelungen ist, die lange Übergangsphase vom Tag seiner Wahl bis zum Datum seines Amtsantritts mit glücklicher Hand zu gestalten

Von Christian Wernicke

Ein Rekord ist ihm sicher, noch ehe seine Amtszeit überhaupt begonnen hat: Mit mindestens 825, vielleicht sogar mehr als 900 Milliarden Dollar wird Barack Obama demnächst einen Not- und Sonderfonds vom US-Kongress bewilligt bekommen, wie es noch nie einem seiner 43 Amtsvorgänger vergönnt war. Spätestens Mitte Februar, also in den ersten vier Wochen seiner Amtszeit, wollen Senat und Repräsentantenhaus das Finanzpaket zur Wiederbelebung der US-Wirtschaft verabschieden. Obama darf dann zwei Haushaltsjahre lang aus dem Vollen schöpfen - und er kann dann, im Namen der Krisenbekämpfung, fast sämtliche Versprechen einlösen, die er im Wahlkampf riskiert hat.

Obamas Milliardenprogramm ist nur das teuerste Symbol für die außerordentlich gelungene Vor-Amtszeit des 44. Präsidenten. Trotz Kriegs und Krise blicken laut jüngster Umfrage der New York Times inzwischen acht von zehn Amerikaner "optimistisch" auf die nächsten vier Jahre. Auch 58 Prozent jener Wähler, die im November noch für den Republikaner John McCain stimmten, teilen diese Zuversicht. Den Eindruck, Obama habe die lange Übergangsphase vom Tag seiner Wahl bis zum Datum seines Amtsantritts mit überaus glücklicher Hand gestaltet, nährt auch seine Personalauswahl: Trotz einiger Pannen stoßen fast alle seine designierten Minister auf breites Wohlwollen im Kongress.

So wird der US-Senat vielleicht noch in dieser Woche der Ernennung Hillary Clintons zur Außenministerin zustimmen. Noch vor wenigen Wochen hatten auch manche Berater in der Obama-Mannschaft befürchtet, die Republikaner würden die Anhörung der ehemaligen First Lady zur neuerlichen Generalabrechnung mit der Clinton-Ära nutzen oder Bills weitverzweigte Verbindungen zu fremdländischen Gönnern seiner Stiftung anprangern. Am Ende mochte nur ein strammrechter Republikaner im außenpolitischen Ausschuss der Ministerin sein Vertrauen verweigern.

Ähnlich harmonisch verlief auch die Anhörung von Eric Holder, dem designierten Justizminister, der unter Clinton einst entscheidend beteiligt war an der äußerst fragwürdigen Begnadigung eines Finanzbetrügers. Schlagzeilen machte Holders Anhörung nur, als er erklärte, so manche unter der Bush-Regierung in CIA-Lagern und in Guantanamo einst übliche Verhörmethode sei eindeutig "Folter".

Fast scheint es, als hätten die Republikaner regelrecht Angst vor ihrem ersten Krach mit dem neuen Präsidenten. Peinlichkeiten wie etwa das Versäumnis des designierten Transportministers Ray LaHood, der dem Senat nicht einmal seine Bewerbungsunterlagen vollständig übermitteln konnte, lösten keinerlei Empörung aus. LaHood hilft, dass er Republikaner ist. Aber auch die recht anrüchigen Steuertricks des künftigen Finanzministers Tim Geithner mögen niemanden im Senat aufregen: Erst nach mehrmaliger Ermahnung und gestückelt in Raten mochte der Mann jener Bundes-Steuerbehörde Tribut zollen, die ihm demnächst höchstpersönlich untersteht. Die Angst, ein Parteien-Streit um den künftigen Chef der Treasury könne die Wall Street verunsichern, sowie einige milde Obama-Worte genügten offenbar, den Finanzausschuss gnädig zu stimmen. Am Mittwoch beginnt Geithners Anhörung - und falls er keine Sünden offenbaren muss, gilt auch seine Kür zum Minister als sicher.

Auf wundersame Weise ist es Obama sogar gelungen, den Fall Bill Richardson vergessen zu machen: Der Gouverneur von New Mexiko hatte Handelsminister werden sollen, musste aber aufgrund einer sträflich unterschätzten FBI-Ermittlung wegen des Verdachts korrupter Machenschaften verzichten. Obamas internes Kontrollsystem, sonst penibel bis perfektionistisch streng, hatte schlicht versagt.

Bisher ist es Obama gelungen, seinem Anspruch auf einen neuen, weniger parteipolitisch verseuchten Führungsstil gerecht zu werden. Die Republikaner im Kongress geben sich zahm, und konservative Publizisten wie der New York Times Kolumnist David Brooks schwärmen, welches Händchen der Noch-Nicht-Präsident da alltäglich beweise für eine "Mischung aus Pragmatismus und gelungener Symbolsprache". Das sei, was die Nation in der Krise - und nach acht Jahren Bush - suche: Führung ohne Konflikte oder Konfrontation.

Das wird sich nicht ewig durchhalten lassen. Vorerst jedoch scheint Obama bemüht zu sein, allem Streit aus dem Wege zu gehen. So hat er am Wochenende einen potentiellen Konflikt mit seiner eigenen Partei entschärft: Zwar kündigte Obama an, die Heerschar seiner Helfer und Anhänger aus dem Wahlkampf werde fortan den Namen "Organizing for America" tragen und als eben eigenständige Organisation fortleben. Zugleich aber platzierte er den Verbund - samt der wertvollen Email-Adressen von potentiell 13 Millionen Enthusiasten - unter dem Dach der Demokratischen Partei.

Zuvor hatten Berichte für Aufsehen gesorgt, Obama wolle praktisch neben der Partei eine Parallelorganisation aufbauen. Die können bei Bedarf auch mobilisiert werden, um per PR-Kampagne widerspenstige demokratische Kongressmitglieder auf Regierungskurs zu bringen. Nun sollen die vielen Freiwilligen helfen, überall in Amerika handfest und lokal am versprochenen Wandel mitzubauen. Und sie sollen sich bereithalten für "Obama 2.0" - für die Kampagne zur Wiederwahl im Jahr 2012.

Regierung Obama 2009 SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Die Diener der Nation

Ins Weiße Haus kamen Schwarze früher nur als Sklaven, dann als schlecht bezahltes Personal. Nun erleben ein paar alte Butler einen Wandel, an den sie nie geglaubt haben

Von Reymer Klüver

Washington - Sogar ein Film soll nun über ihn gedreht werden. Ein richtiger, großer Hollywood-Streifen. Die Produzentin von Kinohits wie "Pretty Woman" und "Spider-Man" hat sich die Rechte gesichert. Ein Film über seine Lebensgeschichte wird es sein, das Leben eines schwarzen Mannes im Weißen Haus, und die Erfüllung eines Traums - seines ganz persönlichen und den der ganzen Nation.

Eugene Allen ist 89 Jahre alt, 34 davon war er Bediensteter im Weißen Haus, zuerst Küchenhelfer, zuletzt Chefbutler. Acht Präsidenten hat er gedient. Truman, Eisenhower, Kennedy, Johnson, Nixon, Ford, Carter und Reagan. Allen hat er die Hand geschüttelt, einer hat ihn sogar an seinen Tisch gebeten. Aber die Schwarzen, das waren in all den Jahren die vom Personal. Nun, nach mehr als zwei Jahrhunderten, in denen das Wei e Haus als Amtssitz weißer Präsidenten Amerikas diente, zieht zum ersten Mal ein Schwarzer als Hausherr ein. "Das ist schon was", sagt Eugene Allen. Zu Übertreibungen neigt er gewiss nicht.

Als Allen 1952 anfing, durften Schwarze in seiner Heimat Virginia, nur einen Steinwurf vom Weißen Haus entfernt auf der anderen Seite des Potomac River, nicht einmal öffentliche Toiletten benutzen. Im Weißen Haus war er, als Präsident Dwight Eisenhower die Armee in Marsch setzte, damit neun schwarze Jugendliche eine bis dahin Weißen vorbehaltene Highschool in Little in Arkansas, im Süden der USA, besuchen konnten. Im Weißen Haus arbeitete er, als Martin Luther King 1963 den Marsch auf Washington organisierte. Eugene Allen erlebte, dass Präsident Lyndon Johnson ein Jahr später die Bundesgesetze unterschrieb, die den Schwarzen jedenfalls auf dem Papier die Gleichberechtigung sicherten. Und zwei Jahrzehnte später merkte er, dass sich wirklich etwas im Lande veränderte: Immer selbstverständlicher war es, dass Schwarze nicht nur zu den Gästen zählten, sondern auch zum Kreis der Mächtigen. Colin Powell hat er damals gesehen und Condoleezza Rice. Beide sollten später Außenminister Amerikas werden.

Doch es waren immer Schwarze, die das Weiße Haus am Laufen hielten. Zuerst als Sklaven, später als - schlecht bezahlte - Angestellte. "The help", wie die Bediensteten genannt werden, war mit derselben Selbstverständlichkeit schwarz wie der Präsident weiß war. So war die Welt geordnet. Noch unter John F. Kennedy war es so, der doch den Weg für die Bürgerrechte ebnete. Aber als er erfuhr, dass der schwarze Entertainer Sammy Davis Jr. mit seiner Frau für einen Empfang auf der Gästeliste stand, wies er den Fotografen des Weißen Hauses an, das Ehepaar nicht gemeinsam abzulichten: Davis' Frau war eine Weiße.

Eugene Allen ist nicht der einzige und erste Butler, der ein bisschen aus der Schule plaudert. Einer, der legendäre Chefbutler Alonzo Fields, hat vor fast einem halben Jahrhundert sogar ein Buch geschrieben über seine Jahre im Schatten der Mächtigen: "Ich fühlte mich nicht als Diener eines Herrn. Ich fühlte mich als Diener meiner Regierung, meines Landes." (Fields hatte damals übrigens Eugene Allen eingestellt). Doch keiner hat den Ehrenkodex der Butlerbruderschaft jemals verletzt, das ungeschriebene Gesetz der Omerta des Weißen Hauses. Keiner hat auch nur eine Andeutung darüber verloren, wessen er in den vier Wänden der US-Präsidenten Zeuge geworden ist.

"Man spricht nicht über die Dinge, die bei der Arbeit passiert sind", sagt William Bowen. Er war von 1957 bis 1991 Butler, acht Präsidenten hat auch er erlebt. Nur harmlose Anekdoten erzählen sie. Etwa, dass er von Präsident Johnson auf dessen Ranch nach Texas eingeladen worden ist. Oder Lynwood Westray, der auf 32 Jahre im Weißen Haus kommt und ebenfalls acht Präsidenten diente, ehe er 1994 in Pension ging. Mit ihm hat Prinz Philip heimlich einen Schnaps getrunken, nachdem er sich beim Staatsbesuch seiner Gattin 1979 unauffällig von der offiziellen Delegation im State Dining Room in den danebenliegenden Red Room zurückgezogen hatte. Eugene Allen berichtet, dass Gerry Ford, der am selben Tag wie er Geburtstag hatte, es liebte, mit ihm übers Golfen zu fachsimpeln. Und Nancy Reagan war es, die ihn und seine Frau Helene kurz vor seiner Pensionierung im Namen des Präsidenten zu einem Staatsbankett gebeten hatte - ein Dinner zu Ehren von Helmut Kohl. Das war eine feine Geste. Damals haben Eugene Allen und seine Helene Champagner getrunken. Den hatte er zuvor im Keller sortiert. Allen ist jedes Mal gerührt, wenn er beim Blättern durch sein Fotoalbum das Foto von der Geburtstagsparty im Weißen Haus für die kleine Caroline Kennedy aufschlägt, Tage nur nach der Ermordung ihres Vaters. Gleich danach findet sich in dem Album eine Karte Jackie Kennedys zu ihrem Auszug aus dem Weißen Haus: "Wir werden Sie sehr vermissen. Wie glücklich haben Sie die Stunden gemacht, in denen Sie dem Präsidenten so gut gedient haben."

Damals, unter Kennedy, hatte es zaghafte Versuche gegeben, Schwarze nicht nur als Bedienstete einzustellen, sondern sie in die Büros des Weißen Hauses zu holen. Doch nur einer blieb über Kennedys erstes Amtsjahr hinaus. Erst unter Ronald Reagan bekam ein Schwarzer einen wirklichen Spitzenjob im Apparat des Präsidenten: 1987 wurde Colin Powell zum Sicherheitsberater ernannt.

Und nun gar ein schwarzer Präsident? "Ich habe nie gedacht, dass es jemals dazu kommt", sagt William Bowen, der heute 89 Jahre alt ist, "nicht in meinen kühnsten Träumen". Und Lynwood Westray gibt zu Protokoll: "Schwarze vor allem haben sich doch gefragt, ob das jemals passieren wird. Und nun ist es passiert. Klar bin ich froh darüber." Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu. "Wäre ich nur 30 Jahre jünger - ich wäre wieder dort." Westray ist 82.

Und der freundliche Eugene Allen, der immer daran geglaubt hatte, "dass die Dinge besser werden" für die Schwarzen in Amerika, hatte sich einen schwarzen Herren im Weißen Haus eigentlich nicht vorstellen können. Deshalb sollte der 4. November, der Wahltag, ein Festtag werden für ihn und seine Frau. Gemeinsam wollten sie zur Wahl, danach sollte es zur Feier des Tages ein Essen geben. So wollte es seine Helene, sie freuten sich darauf. Es war, als sollte ein Traum Wirklichkeit werden.

Doch es kam anders, ganz anders. Helene, seine Frau von 65 Jahren, ist am Tag vor der Wahl gestorben. Ihr zu Ehren ist Eugene Allen dennoch zur Wahl gegangen und hat für Barack Obama gestimmt.

Bei Helmut Kohl gab es Champagner, bei Prinz Philip Schnaps

"Man spricht nicht über die Dinge, die bei der Arbeit passiert sind": William Bowen hat von 1957 bis 1991 als Butler acht Präsidenten gedient. Foto: AP

Weißes Haus: Personal Afro-Amerikaner in den USA Rassismus in den USA SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

ANZEIGE Deutsche Juden und Jüdinnen sagen NEIN zum Morden der israelischen Armee

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Die Krönung im deutschen TV

Von den frühen Morgenstunden an berichten die Nachrichtensender N 24 (7.00 Uhr) und n-tv (7.30 Uhr) an diesem Dienstag über die Amtseinführung Barack Obamas. Phoenix beginnt um 14.45 Uhr mit einem rund zehnstündigen Sonderprogramm. ARD, ZDF (beide 17.03 Uhr) und RTL (17.58 Uhr) gehen live auf Sendung, wenn Obama den Eid schwört. Das Heute-Journal (ZDF) berichtet um 21.45 Uhr ebenfalls live aus Washington. Das Erste fasst um 22.45 Uhr in der Reportage Obama!!! die Ereignisse des Tages zusammen. SZ

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Gelb ist die Hoffnung

Berlin am Tag nach der Hessen-Wahl: Plötzlich dreht sich alles um die FDP, und Parteichef Guido Westerwelle genießt das neue Gefühl von Macht und Mitsprache. Union und Liberale blicken gemeinsam nach vorn, nur die SPD steht ziemlich verloren im Farbenfeld

Berlin - Die Tonlage ist staatstragend und der gewachsenen Bedeutung angemessen. Natürlich strahlt Guido Westerwelle über das ganze Gesicht, als er am Montagmittag in Berlin antritt, um das Ergebnis der Landtagswahl in Hessen zu kommentieren. Doch was er zu sagen hat, ist geprägt von demonstrativer Bescheidenheit. Dass Präsidium und Vorstand der Partei bei ihren Beratungen in "allerbester Stimmung" gewesen seien, brauche er ja wohl nicht besonders zu erwähnen, fängt Westerwelle an. Aber wegen des "herausragenden Ergebnisses" werde die FDP "nicht abheben". "Wir sind nicht plötzlich Regierungspartei, wir sind bis zum 27. September Oppositionspartei im Deutschen Bundestag." Die gesteigerte Verantwortung der FDP im Bundesrat werde die Partei "klug nutzen", sie werde "ganz solide vorgehen" und sich selbst "nicht überschätzen".

Die staatsmännische Pose übt der FDP-Vorsitzende schon seit langem. Der 47-Jährige legt Wert auf korrekte Umgangsformen, gepflegte Kleidung und wohl gewählte Worte. Wenn er vom Staatsoberhaupt Horst Köhler spricht, sagt er immer "der Herr Bundespräsident", sich selbst bezeichnet er gern als "deutschen Patrioten", der nie und nimmer um eines parteitaktischen Vorteils willen ein Vorhaben blockieren würde, das Deutschland nutzen könnte.

Am Tag nach der Wahl kommt immer das große Schaulaufen in Berlin, und so machen sich die Parteien daran, die Signale von Wiesbaden auszudeuten. Schwarz-gelb strahlt von Hessen aus auch auf den Bund aus, das weiß Westerwelle mit Blick auf die September-Wahl zu betonen, und in der großen Koalition ist es zu spüren. Zunächst aber hat sich erst einmal über Nacht eine neue Variante ins politische Farbenspiel gedrängt: die schwarz-rot-gelbe Koalition, die man auch schwarz-rot-gold nennen könnte, so sehr strahlt die FDP seit Sonntagabend. Es ist die Deutschland-Koalition, die inoffiziell dadurch geschaffen worden ist, dass die Liberalen durch ihre künftige Regierungsbeteiligung in Hessen die Sperrminorität im Bundesrat erlangt haben.

Wer in solcher Weise mitregiert, der ist allerdings auch gefordert, dem Bekenntnis zur konstruktiven Mitarbeit Taten folgen zu lassen. Dem Staatsmann Westerwelle dürfte das gefallen. Den Parteipolitiker Westerwelle könnte es jedoch schneller in die Bredouille bringen, als ihm lieb ist. Zwar verspricht die FDP, sie werde das gerade erst von der großen Koalition aufgelegte Konjunkturpaket nachverhandeln und dabei weniger Schulden für den Staat und mehr Entlastung für die Bürger herausholen. Doch auf eine Größenordnung will sich Westerwelle nicht festlegen. Und wie das Ganze erreicht werden soll, bleibt auch im Vagen.

Gesprächsmöglichkeiten gibt es viele. Teile des Konjunkturpakets müssen in Gesetzesform gegossen werden, da sind Beratungen im Bundestag nötig. Die FDP setzt dabei auf die angeblich vielen Unionsabgeordneten, die mit der geplanten Neuverschuldung auch nicht einverstanden seien. Manche Vorhaben bedürfen der Zustimmung des Bundesrates, da werden Bund und Länder und die Länder untereinander verhandeln. Daneben lässt sich in Chefbüros und in verschwiegenen Restaurant so manches auskungeln. Dabei gilt es allerdings, auf die gesetzestechnischen Fallstricke zu achten. Wenn man wie der Finanzexperte Hermann-Otto Solms die Annullierung der Abwrackprämie für Altautos fordert, muss man bedenken, dass diese Wohltat für Bürger und Autoindustrie auf dem Verordnungswege umgesetzt wird und der Gesetzgeber da nicht mitreden kann.

Für den morgigen Mittwoch sind Westerwelle und Bundeskanzlerin Angela Merkel verabredet. Das Treffen war schon vor der Hessen-Wahl vereinbart worden, doch nun kann Westerwelle ankündigen, dabei "werden wir uns sicher nicht über unseren Weihnachtsurlaub unterhalten". Neben dem Konjunkturpaket dürfte auch das künftige Mit- oder Gegeneinander im Bundestagswahlkampf eine Rolle spielen. Am Abend der Hessen-Wahl hat man sich jedenfalls erst einmal per SMS ausgetauscht. "Frau Merkel hat uns gratuliert, und ich habe mich freundlich bedankt", verrät Westerwelle. Einen Gesprächstermin mit dem anderen De-Facto-Koalitionspartner, der SPD, gibt es offenkundig noch nicht. Hinter den Kulissen aber wird schon eifrig kolportiert, dass der Gesprächsfaden keineswegs abgerissen sei. Am 13. Februar will SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier immerhin eine Westerwelle-Biografie in Berlin vorstellen. Aber viel wichtiger mit Blick auf die Zukunft ist für Westerwelle derzeit die Union, der Wunsch-Partner für 2009.

Bei der CDU im Konrad-Adenauer-Haus hat man sich auch optisch schon auf das Superwahljahr eingestellt. Hinter orangefarbenen Platten haben sie das Geländer der Freitreppe verschwinden lassen, wie auf einer Perlenschnur reihen sich auf den Platten die Wahltermine bis hinauf zum ersten Stock. Die Aufschrift bei Stufe neun: Landtagswahl in Hessen. Von Stufe neun aus hat man auch einen guten Überblick zur Bühne, wo sich Angela Merkel breit gemacht hat. Ja, breit gemacht: Sie steht da breitbeinig hinter ihrem Rednerpult, hält es fest mit ausladenden Armen. Als müsste sie fürchten, jemand wolle ihr das Pult wegtragen. Selbst die Pose von Roland Koch, gleich neben ihr, wirkt im Vergleich dazu irgendwie bescheiden. Für Kochs Verhältnisse, für einen Wahlsieger: seltsam bescheiden.

Von Stufe neun aus gesehen steht die Union ganz eindeutig auf der Siegerseite, und das ist diesmal die Seite der FDP. Es geht deshalb jetzt auch weniger um das maue Ergebnis der Union als um die absolute Mehrheit von FDP und Union. "In diesen schwierigen Zeiten ein solches Ergebnis für Union und FDP hinzukriegen", sagt die Parteichefin Merkel, "ist für mich ein gutes Symbol." Das Ergebnis der Union mag zwar nicht berauschend sein. Aber Merkel weiß das schon hinzubiegen, etwas verschwiemelt vielleicht: "Die Deutlichkeit der Mehrheit lässt die positiven Gedanken weit, weit überwiegen." Rein partei-arithmetisch dürfte Kanzlerin Merkel ohnehin Gefallen an dem Ergebnis finden: Es bringt die Union in Hessen formal wieder an die Macht, gibt aber dem potentiellen Widersacher Roland Koch alles andere als Grund zum Übermut. Sie sei froh, dass es nun wieder "einen richtig gewählten Ministerpräsidenten Koch" gebe, sagt sie.

Wie haben sie doch Nöte gehabt, vor einem Jahr, am selben Ort. Auch damals stand Merkel da mit Koch, nur war er damals Wahlverlierer, und daneben stand zu allem Überfluss auch noch der strahlende Niedersachsen-Sieger Christian Wulff. Man dürfe gar nicht lange "drumrum reden", hatte Merkel damals erklärt. Die Niederlage sei für die Union "schmerzlich". Für Koch war der Auftritt wie eine Extra-Demütigung nach der Schlappe, damals scheute er jedes Wort über die fernere Zukunft. Alles war so ungewiss. Selbst an diesem Montag, ein Jahr nach der Niederlage, steuert er seine Euphorie mit Sorgfalt. "Ich will nicht verhehlen, dass ich zwei, drei Prozent mehr doll gefunden hätte", sagt er. Das Ergebnis sei "Ansporn, einiges besser zu machen". Aber er habe schon Verständnis für die Wähler, die ja vor allem sichergehen wollten, "dass das bürgerliche Lager zusammengeht".

Das "bürgerliche Lager", die "bürgerliche Mehrheit": Wie eine große Wortwolke schwebt sie in den Parteizentralen von Union und FDP. Als hätten die Hessen am Sonntag eine Art Gutschein für den Wahlsieg im September ausgestellt, bei der Bundestagswahl. Für Merkel geht es noch um mehr, die bürgerliche Mehrheit ist eine Art Rückversicherung für die Kanzlerschaft. Für die Harmonie in der großen Koalition freilich ist das Signal nicht das beste. "Die Sozialdemokraten sind in einem schwierigen Konflikt", sagt Merkel noch, aber mitfühlend ist das nicht unbedingt.

Damit hatten sie auch kaum rechnen können bei den Sozialdemokraten, wo sie zu kämpfen haben mit diesem Ergebnis aus Hessen. Wenn Franz Müntefering nuschelt, ist Vorsicht geboten. Denn Nuscheln schätzt der Sauerländer ebenso wie Schwadronieren - nämlich gar nicht. Der SPD-Vorsitzende liebt bekanntlich klare, knappe Sätze, die jeder versteht, er sieht darin einen Ausweis klarer Gedanken. Doch als er im Foyer des Willy-Brandt-Hauses steht, das miserable Abschneiden der Hessen-SPD abermals als landesspezifischen Betriebsunfall schildert und dann auf die FDP und die Bundestagswahl und die Koalitionsabsichten der SPD zu sprechen kommt, gerät Müntefering ins Drucksen.

Schließlich hatten sich er und einige andere aus der Partei bislang sehr angetan gezeigt von einer Ampelkoalition im Bund. Denn ein rot-gelb-grünes Bündnis ist die einzige halbwegs realistische Möglichkeit für die Sozialdemokraten, jenseits einer neuen großen Koalition an der Regierungsmacht zu bleiben. Mit der FDP, das könnte schon klappen, lautete diese Botschaft. Am Montag klang das anders: "Es wird Versuche geben für Schwarz-Gelb im Bund, so wie wir versuchen werden, es zu verhindern", sagt Müntefering vom Podium im Willy-Brandt-Haus herab. Die FDP, so erklärt Müntefering, werde "Arbeitnehmerrechte schleifen" und sich gegen "Regeln für das Wirtschaftsleben" sträuben. Es folgen ein paar genuschelte Worte zu den Grünen als möglicher Partner, dann die Versicherung, die SPD sei aber auch für Gespräche mit der FDP nach der Bundestagswahl offen, sie schließe allerdings auch eine neue große Koalition nicht grundsätzlich aus, aber solle sie nicht suchen. Nur zwei Optionen spart er aus: eine SPD-Alleinregierung und ein rot-rotes Bündnis im Bund.

Wer dem Parteivorsitzenden zuhört, muss zu dem Schluss kommen, dass es zwei freidemokratische Parteien im Land gibt: eine schlechte, die mit der Union gemeinsame Sache macht; und eine bessere, die zwei oder drei Minister in ein Kabinett des Kanzlers Frank-Walter Steinmeier schicken kann. Und um die Konfusion perfekt zu machen, sagt Müntefering noch, dass ihm die schlechten Freidemokraten im Moment lieber wären als die besseren: "Wenn da jetzt ein schwarz-gelbes Lager aufgebaut wird, macht uns das die Sache leichter".

Leichter? Auch im Präsidium haben die SPD-Spitzenleute über die FDP, große Koalitionen und die Aussichten für die Zeit nach der Bundestagswahl geredet - und offenkundig keine klaren Botschaften gefunden. Schleswig-Holsteins Landesvorsitzender Ralf Stegner vom linken Flügel warnt, zu laut über eine Neuauflage der großen Koalition zu sprechen. "Das wirkt wie Schlaftabletten auf die eigenen Leute. Wir brauchen aber Aufputschmittel", formuliert er. Schwarz-Gelb, das würde die SPD-Anhänger auf die Beine bringen, gegen Lockerungen beim Kündigungsschutz, gegen Atomenergie, für Mindestlöhne. In diesem Punkt sind sich Müntefering und Stegner, Vertreter zweier unterschiedlicher Flügel, offenkundig einig.

Überhaupt ging es im Präsidium, wie Teilnehmer berichten, äußerst friedfertig zu. Dazu hatte auch der stellvertretende Vorsitzende und Finanzminister Peer Steinbrück beigetragen - durch sein entschuldigtes Fernbleiben. Er musste nach Brüssel, zu einem Ministertreffen. Steinbrück hatte am Sonntagmittag seiner innerparteilichen Lieblingsfeindin, der hessischen Landesvorsitzenden Andrea Ypsilanti, den Rücktritt nahe gelegt, weil oder obwohl er wusste, dass sie das am Sonntagabend tun würde. Ypsilantis Nachfolger Thorsten Schäfer-Gümbel hätte ihm dazu gern ein paar Worte gesagt, ein paar andere im Präsidium auch. Doch dieser Disput musste vertagt werden.

Nun sind das Hessen-Debakel und der Mangel an zugkräftigen Koalitionspartnern bei weitem nicht die einzigen Probleme der SPD. Ihr droht eine neue Welle der Enttäuschung, der Lethargie, des Rückzuges. Wie mies sich selbst engagierte Ortsvereinsmitglieder fühlen, war am Wahlabend im Willy-Brandt-Haus zu beobachten. Einige der kleinen Hessen-Fähnchen, die die Stelltische im Foyer schmückten, waren von SPD-Aktivisten auf Halbmast gezogen worden. Müntefering weiß also: Die Partei braucht Trost und Aufgaben und positive Signale. Deshalb ist die halbe Belegschaft der Parteizentrale am Montag zu seinem Auftritt im Foyer erschienen, es wurde applaudierte, noch bevor ein Wort gesagt worden war. Deshalb schreibt Müntefering auch Briefe an die Wahlkampforganisatoren in Hessen, deshalb hält er die ganze Partei auf Trab, nach dem Motto: Kampf statt Tristesse.

Am 2. Februar beginnen offiziell die Arbeiten am Programm für den Bundestagswahlkampf . Im April soll das sogenannte "Regierungsprogramm" stehen. Spätestens aber im Mai droht der SPD eine neue Depression. Wenn kein Wunder geschieht, werden Union und FDP mit ihrer schwarz-gelben Mehrheit Bundespräsident Horst Köhler eine zweite Amtszeit bescheren. Und Müntefering muss erklären, warum das gut ist für die SPD.

Von Peter Blechschmidt, Michael Bauchmüller und Susanne Höll

Wenn Franz Müntefering nuschelt, ist Vorsicht geboten

Peer Steinbrück sorgt für Ruhe - indem er nicht zur Sitzung erscheint

"Wir sind nicht plötzlich Regierungspartei": FDP-Chef Guido Westerwelle (Bild oben) fühlt sich so im Aufwind, dass er verspricht, nicht "abheben" zu wollen. Angela Merkel (Bild Mitte) hat auch Grund zur Freude, weil Roland Koch nun wieder ein "richtig gewählter Ministerpräsident" ist. Nur bei der SPD gibt es für Franz Müntefering (Bild unten, links) und Thorsten Schäfer-Gümbel gar nichts zu jubeln. Fotos: ddp, Getty, AP

Verhältnis der CDU zur FDP Verhältnis der SPD zur FDP Koalitionsdebatten in Deutschland Landtagswahl 2009 in Hessen Bundestagswahlkampf 2009 SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Große Worte mit Aussicht auf große Taten

In Washington wird erwartet, dass der neue Präsident sofort nach Amtsantritt wichtige Entscheidungen trifft

Von Reymer Klüver

Mitbürger", donnerte der Redner zu Füßen des marmornen Abraham Lincoln, "wir können der Geschichte nicht entkommen." Der Schauspieler Tom Hanks hat die Worte gesprochen am Sonntag vor dem gigantischen Lincoln Memorial in der amerikanischen Hauptstadt Washington. Es waren nicht die seinen. Es war ein Ausspruch Lincolns. Aber sie deuteten an, was so viele Menschen bewegte bei der Massenparty für Barack Obama, für den künftigen Mann im Weißen Haus, den sie schon jetzt für einen Großen halten: Sie glauben, Zeuge eines bedeutenden Moments in der Geschichte ihres Landes zu sein.

John Bon Jovi, der alte Rocker, sang davon, dass nun endlich "der Wandel da ist". Und Stevie Wonder spielte seinen alten Hit "Higher Ground", der vom Streben nach den höheren Dingen handelt. Es war wahrlich keine Stunde der kleinen Gesten. Wie überhaupt diese Feiertage in Washington, da der 44. Präsident der Vereinigten Staaten an diesem Dienstag sein Amt antreten wird, eher Tage der großen Worte sind.

Natürlich waren die Stufen des Lincoln Memorial nicht zufällig gewählt für den Auftritt der Stars und für Obamas letzte Begegnung mit den Massen vor seiner Amtseinführung. Und das hat nicht nur damit zu tun, dass vor dem monumentalen Denkmal bequem Zehntausende, ja Hunderttausende Platz finden. 400000 waren wohl da. Natürlich ist das Lincoln Memorial gewählt, weil es Schauplatz der legendären Rede Martin Luther Kings vor 46 Jahren war. Der Rede, in der King seinen Traum von einem einigen Amerika beschwor, das den Rassismus überwunden hat. Und nun wird das so lange als unmöglich Erachtete tatsächlich wahr: Ein Schwarzer wird Herr im Weißen Haus, Oberkommandierender der Streitkräfte, Präsident Amerikas.

Doch es ist nicht einmal so sehr diese gewiss historische Zäsur, die Obama und seine Leute an diesen festlichen Tagen bemühen. Von der Zugfahrt nach Washington am Samstag, die in Philadelphia am Schauplatz der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten begann, über das Konzert am Sonntag und den Tag im Dienst des Gemeinwohls an diesem Montag. Über allem schwebt ein anderer Ton, ein hoher Ton, den Obama die ganze Zeit über angeschlagen hat, im Wahlkampf und erst recht danach: Obama appelliert an die Einheit der Nation und zu einer neuen Solidarität der Amerikaner. "Das überwölbende Ziel", formuliert Linda Douglass in der Prosa der Eventplaner, "ist es, mit Hilfe der Aktivitäten und Veranstaltungen zu kommunizieren, dass wir ein Volk sind." Douglass ist Sprecherin des Presidential Inaugural Committee, der von Obama eingesetzten Arbeitsgruppe, welche die Vier-Tage-Feier organisiert.

Tatsächlich hat Obama auf der Zugfahrt einmal mehr die Einheit der Nation beschworen, als er sagte, er hoffe, "alle zusammenzubringen - Demokraten, Republikaner und Unabhängige. Nord, Süd, Ost und West. Schwarz, Weiß, Latinos, Amerikaner asiatischer Abstammung und Indianer. Schwule und Heteros, Behinderte und Nicht-Behinderte." Das hat er auf den Stufen des Lincoln Memorial wortgleich wiederholt. Aber war es nicht auffällig, dass er an dieser Stätte Martin Luther King nur mit einem Satz, zugegeben einem poetischen Satz, erwähnte? "Direkt vor uns liegt der Pool", sagt er in Anspielung auf den Reflecting Pool vor dem Lincoln Memorial, ein langgezogenes Wasserbecken, "der noch immer den Traum eines Königs widerspiegelt und den Ruhm eines Volks, das auf die Straße gegangen ist und bluten musste dafür, dass seine Kinder nur aufgrund ihres Charakters beurteilt werden" - und nicht nach ihrer Hautfarbe.

Und während Obama am Sonntagmorgen von der Kranzniederlegung auf dem Soldatenfriedhof von Arlington zu einem Kirchbesuch und zum Konzert am Lincoln Memorial quer durch Washington eilte (sein gepanzerter Cadillac hat übrigens das Kennzeichen 44), bereiteten seine Berater in den Talkshows des Frühstückfernsehens die Botschaft seiner Rede zur Amtseinführung vor. Obama dürfte sich kaum damit aufhalten, allein die historische Stunde zu beschwören. Responsibility ist auf einmal in aller Munde - zumindest reden seine engsten Mitarbeiter davon. "Wir brauchen mehr Verantwortung und Verantwortlichkeit, vor allem sicher was das Regierungshandeln angeht", sagte der künftige Sprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs. Der neue Stabschef Rahm Emanuel sprach von einer "Kultur der Verantwortung".

Und sie machen seit Tagen klar, dass Obama nach dem Feiermarathon gleich loslegen wird. Sofort nach der Amtseinführung wird er, wie er es im Wahlkampf versprochen hatte, die Militärführung zusammentrommeln, um über den Rückzug aus dem Irak zu reden - und den weiteren Aufmarsch in Afghanistan. Das kündigte David Axelrod, Obamas engster Berater, am Sonntag an. Und er wird die Schließung Guantanamos per Dekret verordnen, versicherte Sprecher Gibbs. Auch das wird weithin erwartet.

Vor allem aber wird er damit beschäftigt sein, das gigantische Konjunkturprogramm für Amerikas Wirtschaft auf den Weg zu bringen. Spätestens am 13. Februar will er es unterschreiben, da geht der Kongress in Ferien. Wie auch immer es im Einzelnen aussehen mag: Niemals seit den Zeiten Franklin Roosevelts konnte ein US-Präsident auf einmal über so viel Geld verfügen. Als Bill Clinton 1993 sein Amt antrat, beantragte er 16 Milliarden Dollar. Gemessen an den 825 Milliarden Obamas eine lächerliche Summe. Gewiss wird Obama nicht alles bekommen, was er haben will: der 3000-Dollar-Steuernachlass für jeden neuen Arbeitsplatz zum Beispiel dürfte schon gestrichen sein. Aber vieles im Konjunkturprogramm liest sich geradezu als "Anzahlung" auf seine Reformversprechen, wie die New York Times schreibt. Energiesicherheit und Klimaschutz, die Reduzierung der Gesundheitskosten, bessere Schulen, Entlastung für Geringverdiener - für alles sollen ein paar Milliarden abfallen. Für kleine Gesten ist gerade nicht die Zeit in Washington - und auch nicht für kleine Ausgaben.

sueddeutsche.de bringt zur Inauguration: einen Live-Ticker, Bilder und Videos zur Feier, ein Obama-Quiz, eine Dokumentation der großen Antrittsreden amerikanischer Präsidenten und schließlich eine Abstimmung der Nutzer zu Obamas Plänen.

Und . . . stillgestanden! Im Namen des Präsidenten und seiner Familie proben Armeeangehörige den Ablauf der Feierlichkeiten vor dem Kapitol. Reuters

Gibbs, Robert: Zitate Emanuel, Rahm: Zitate Hanks, Tom: Zitate Regierung Obama 2009 SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Acht Überhangmandate

München - Der hessische Landtag, der regulär 110 Sitze hat, bekommt zum ersten Mal Überhangmandate: Nach dem vorläufigen Endergebnis sind acht zusätzliche Sitze vorgesehen. Zu den Mandaten kommt es, weil die CDU 46 der 55 Direktmandate gewann - vier mehr, als nach dem Zweitstimmen-Ergebnis angemessen wären. Die Wahlkreis-Gewinner dürfen aber in jedem Fall in den Landtag einziehen. Damit die Zusammensetzung des Parlaments dadurch nicht verzerrt wird, gehen weitere vier Mandate zum Ausgleich an die anderen Parteien. fex

München

- Der hessische Landtag, der regulär 110 Sitze hat, bekommt zum ersten Mal Überhangmandate: Nach dem vorläufigen Endergebnis sind acht zusätzliche Sitze vorgesehen. Zu den Mandaten kommt es, weil die CDU 46 der 55 Direktmandate gewann - vier mehr, als nach dem Zweitstimmen-Ergebnis angemessen wären. Die Wahlkreis-Gewinner dürfen aber in jedem Fall in den Landtag einziehen. Damit die Zusammensetzung des Parlaments dadurch nicht verzerrt wird, gehen weitere vier Mandate zum Ausgleich an die anderen Parteien.

Landtagswahl 2009 in Hessen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Mit den Kleinen auf Augenhöhe

Die einstigen Volksparteien CDU und SPD werden in manchen Städten von Liberalen und Grünen eingeholt

Von Ralf Husemann

München - Eine Wahl der Extreme. Vor allem eine Nichtwahl. Denn die Hessen, die diesmal keine Lust hatten, ihre Stimme abzugeben, bildeten mit 39 Prozent an diesem Sonntag die größte Gruppe. Sie bescherten dem Bundesland die bislang niedrigste Wahlbeteiligung. Allerdings ist so etwas in Deutschland nicht mehr unüblich. Zuletzt machten etwa in Bayern sogar nur 58,1 Prozent von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Besonders extrem war der gewaltige Absturz der SPD, die nicht nur ein landesweites Minus von 13 Prozentpunkten verkraften muss, sondern auch nur noch neun der 55 Direktmandate gewinnen konnte - vor Jahresfrist waren CDU mit 28 und SPD mit 27 direkt gewählten Abgeordneten noch etwa gleich stark, wie ja auch beim Gesamtergebnis, bei dem die Union nur ein Zehntel Vorsprung vor den Sozialdemokraten hatte. Da kann es die Genossen nur wenig trösten, dass erstaunlicherweise das Ansehen der Spitzenkandidaten Roland Koch (CDU) und Thorsten Schäfer-Gümbel ähnlich hoch ist: Der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen zufolge halten 41 Prozent Koch, aber immerhin 37 Prozent den vor kurzem noch völlig unbekannten "TSG" für den geeigneteren Ministerpräsidenten.

Die treuen Alten

Besonders auffallend ist bei dieser Wahl, dass die früheren "Volksparteien" inzwischen vielerorts auf Augenhöhe mit den gar nicht mehr so "Kleinen" geraten sind. Zwar hat die Union landesweit mit Abstand noch das vergleichsweise dickste Polster, dennoch konnte sie sich vom Absturz um zwölf Prozentpunkte vor einem Jahr nicht erholen und sich nur minimal um 0,4 Prozentpunkte verbessern.

Der Fall der SPD und die in manchen Wahlkreisen auch sehr mageren CDU-Resultate ließen nun aber FDP und Grüne nicht nur aufrücken - es gelang ihnen in manchen Städten sogar, Sozialdemokraten und Union zu überholen. So wurden die Grünen im Frankfurter Wahlkreis V (Stadtteile Bornheim, Nordend, Ostend) stärkste Partei mit 28,1 Prozent (wobei das Direktmandat allerdings an die CDU ging).

Auch in "Darmstadt-Stadt I" sind nach dieser Wahl keine großen Unterschiede mehr auszumachen. Hier rangiert die CDU mit 27,2 Prozent knapp vor den Grünen mit 25,9 und der SPD mit 21,9 Prozent. Grüne und FDP lieferten sich an mehreren Orten ein knappes Rennen mit den Sozialdemokraten. Im Frankfurter Wahlkreis IV (Niederrad, Oberrad, Sachsenhausen, Schwanheim) kam die SPD hinter CDU, Grünen und FDP gar mit 18,2 Prozent nur auf den vierten Rang. Die Liberalen lehrten die alterwürdige SPD öfters das Fürchten. In Kochs Wahlkreis, dem reichen "Main-Taunus I", erreichte sie nur noch 14,4 Prozent und wurde von der FDP mit 22,5 Prozent deklassiert.

Die Parteien der Berliner großen Koalition können sich bei ihren ältesten Anhängern bedanken, dass sie nicht noch weiter abstürzten. Das trifft noch mehr auf die CDU als auf die SPD zu. Denn immerhin noch 46 Prozent der über 60-Jährigen entschieden sich erneut für die Union, wie die Forschungsgruppe Wahlen herausfand. In allen anderen Altersgruppen kam die CDU nur noch auf 32 bis 33 Prozent. Bei der SPD ist das Alter nicht ganz so bedeutsam. Aber während von den Jungen und den Mittelalten zwischen 15 und 19 Prozent der Partei den Rücken kehrten, taten dies bei den über 60-Jährigen "nur" sechs Prozent. Insgesamt ist die übrig gebliebene Wählerschicht der Sozialdemokratie aber mit 22 bis 26 Prozent relativ homogen, was die Partei erschreckend sein muss. Dies trifft, mit umgekehrten Vorzeichen auch auf die erstaunlich erstarkte FDP zu, die in allen Altersgruppen zwischen sechs und sieben Prozentpunkte zulegte und dort auch mit 15 bis 17 Prozent überall ähnlich viele Anhänger hat.

Obwohl die Grünen in die Jahre gekommen sind, ist ihre Anhängerschar, entgegen manchen Annahmen, noch relativ jung geblieben. Während die 60-plus-Generation (zu denen ja auch noch unerschütterliche 68er zählen) die einstmals alternative Partei nur zu sieben Prozent wählte, bekam sie bei den Jüngeren zwischen 17 und 19 Prozent. Bleibt noch die Linke, die sich trotz Finanzkrise und Kapitalismus-Diskussion lediglich um 0,3 Prozentpunkte verbessern konnte und gerade noch in den Landtag rutschte. Auch sie hat, ein bisschen überraschend, mit vier Prozent bei den Ältesten die wenigsten Anhänger, von den Jüngeren entschieden sich zwischen fünf und sieben Prozent für die linke Partei. (Seite 4)

Landtagswahl 2009 in Hessen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Rechts und chancenlos

München - NPD und Republikaner scheitern deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde: Die NPD erhält - wie schon im Jahr 2008 - 0,9 Prozent der Stimmen, die Republikaner bekommen 0,6 Prozent (2008: 1,0). In einzelnen Wahlkreisen zeigt sich, wie sehr sich die beiden rechten Parteien Konkurrenz machen: Erreicht die NPD wie in Hersfeld 2,0 Prozent, landen die Republikaner bei 0,3 Prozent. Doch selbst beide Parteien zusammengenommen bleiben in allen 55 hessischen Wahlkreisen sehr deutlich unter der Fünf-Prozent-Hürde. fex

München

- NPD und Republikaner scheitern deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde: Die NPD erhält - wie schon im Jahr 2008 - 0,9 Prozent der Stimmen, die Republikaner bekommen 0,6 Prozent (2008: 1,0). In einzelnen Wahlkreisen zeigt sich, wie sehr sich die beiden rechten Parteien Konkurrenz machen: Erreicht die NPD wie in Hersfeld 2,0 Prozent, landen die Republikaner bei 0,3 Prozent. Doch selbst beide Parteien zusammengenommen bleiben in allen 55 hessischen Wahlkreisen sehr deutlich unter der Fünf-Prozent-Hürde.

Landtagswahl 2009 in Hessen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Splitterparteien ohne Erfolg

München - Die kleinen Parteien, die in Hessen antraten, erreichten sehr niedrige Wahlergebnisse. Die Freien Wähler, vor einem Jahr zum ersten Mal in Hessen angetreten, wurden von 1,6 Prozent der Wähler unterstützt (2008: 0,9 Prozent). Auch die Piratenpartei, die sich gegen Lauschangriffe wehrt, kam nur auf 0,5 Prozent der Stimmen (2008: 0,3 Prozent). Splittergruppen, die sich monothematisch mit Tierschutz, Familienfragen oder Seniorenbelangen beschäftigen, blieben sämtlich weit unter einem Prozent. hsm

München

- Die kleinen Parteien, die in Hessen antraten, erreichten sehr niedrige Wahlergebnisse. Die Freien Wähler, vor einem Jahr zum ersten Mal in Hessen angetreten, wurden von 1,6 Prozent der Wähler unterstützt (2008: 0,9 Prozent). Auch die Piratenpartei, die sich gegen Lauschangriffe wehrt, kam nur auf 0,5 Prozent der Stimmen (2008: 0,3 Prozent). Splittergruppen, die sich monothematisch mit Tierschutz, Familienfragen oder Seniorenbelangen beschäftigen, blieben sämtlich weit unter einem Prozent.

Landtagswahl 2009 in Hessen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Wie die Wähler wandern

CDU: Die Union erreicht prozentual ein minimal besseres Ergebnis als 2008. Weil aber die Wahlbeteiligung sank, ging die absolute Zahl der CDU-Wähler zurück: Diesmal wählten 45 000 Menschen weniger die Union als vor einem Jahr. Jeder zehnte CDU-Wähler von 2008 entschied sich diesmal für die FDP, so die Forschungsgruppe Wahlen. Zulauf erhielt die Union von einigen, die zuletzt SPD gewählt hatten (plus 36 000) sowie aus der Gruppe der Nichtwähler.

SPD: Die Zahl der SPD-Wähler halbierte sich innerhalb eines Jahres beinahe. Sie sank von 1,006 Millionen auf 615 000. Die Verluste entstanden, weil viele der SPD-Wähler von 2008 diesmal nicht zur Wahl gingen (nach Analyse der Forschungsgruppe Wahlen knapp 200 000) oder die Grünen wählten (etwa 120 000). Die Linkspartei erschien wenigen, die im Vorjahr SPD gewählt hatten, attraktiv: 8000 Stimmen verloren die Sozialdemokraten netto an die Linken.

FDP: Die Liberalen bekamen Stimmen von gut 420 000 Wählern - über 150 000 mehr als vor einem Jahr (plus 62 Prozent). Sie profitierten enorm von der Wählerwanderung: Mehr als 90 000 Ex- CDU-Wähler votierten für die FDP; dazu kamen gut 30 000 Stimmen von den Sozialdemokraten. Sogar im Lager der Nichtwähler gewann die FDP, die dort unterm Strich 30 000 Stimmen holte.

Grüne: Die Grünen haben im Vergleich zu 2008 fast 150 000 Stimmen dazugewonnen - sie wurden diesmal von gut 350 000 Menschen gewählt. Der Erfolg ging zu Lasten der SPD: Mehr als 120 000 SPD-Wähler liefen über.

Linke: Stabile Verhältnisse bei den Linkswählern: Geringe Gewinne und Verluste; die Stimmenanzahl bleibt mit 139 000 fast konstant. fex

Landtagswahl 2009 in Hessen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Schulbildung und Wahlverhalten

München - Je gebildeter, desto grüner und liberaler - das ist eines der Ergebnisse aus Hessen. So stimmte bei der Landtagswahl beinahe die Hälfte der Hochschul-Absolventen für die FDP oder die Grünen. Die SPD verlor bei den Wählern mit höherer Schulbildung dramatisch. 55 Prozent der Akademiker, die 2008 noch SPD gewählt hatten, entschieden sich diesmal gegen die Sozialdemokraten. Damit landet die SPD in dieser Gruppe abgeschlagen auf dem vierten Platz, hat die Forschungsgruppe Wahlen ermittelt. Ließe man die Akademiker allein entscheiden, säßen im hessischen Landtag vier große Parteien mit ungefähr gleicher Stärke sowie eine kleine Fraktion der Linkspartei.

Den Kontrast dazu liefern die Hauptschüler. Ihr Votum vom Sonntag läuft beinahe auf das klassische Drei-Parteiensystem hinaus: Mehr als vierzig Prozent wählten die Union, dreißig Prozent die SPD, 15 Prozent die Liberalen - das erinnert an die Wahlergebnisse der siebziger Jahre. Könnten Hauptschüler allein über den Landtag bestimmen, würden es die Grünen nur knapp ins Parlament schaffen. Die Linken, die sich gerne als Partei der Modernisierungsverlierer sehen, bliebe sogar ganz draußen: Nur vier Prozent der hessischen Hauptschul-Absolventen wählten die Linkspartei. fex

SPD-Landesverband Hessen Landtagswahl 2009 in Hessen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

"Völlig aus der Luft gegriffen"

CDU-Minister: Missbrauchsanzeige ist eine Verleumdung

Von Detlef Esslinger und Christoph Hickmann

Wiesbaden - Vier Minuten vor halb zehn, es tritt der Mann ein, der als Justizminister für Strafverfolgung und als Kultusminister für Schulkinder zuständig ist. Er nimmt Platz, zieht einen Zettel hervor und sagt, es sei ihm wichtig, persönlich diese Stellungnahme abzugeben; Nachfragen werde er nicht zulassen. Wiesbaden am Morgen nach der Wahl. In der hessischen Landespolitik geht es grundsätzlich hart zu - aber dass ein Minister einmal vor einer Situation stehen könnte wie nun Jürgen Banzer, das lag bisher auch hier jenseits aller Vorstellungen.

Jürgen Banzer (CDU) trägt mit fester Stimme vor, er habe am vergangenen Donnerstag erfahren, "dass schwerwiegende verleumderische Behauptungen gegen meine Person verschiedenen Presseorganen zugeleitet wurden". Die Behauptungen hätten sich auf eine "angeblich gegen mich gerichtete Strafanzeige" gestützt. Den Vorwurf nennt Banzer nicht; als Gerücht zirkulierte er seit Tagen unter Journalisten. Gegen den geschäftsführenden Minister wurde Anzeige erstattet, wegen Missbrauchs einer Minderjährigen, angeblich im Januar 2007. Der Erstatter lebt der Anzeige zufolge in der Schweiz und bezeichnet sich als Vater des angeblichen Opfers. Weil es über die Anzeige hinaus keine Hinweise gab, griff niemand das Thema vor der Landtagswahl auf. Banzer sagt nun am Montag: "Die Verleumdungen sind empörend und völlig aus der Luft gegriffen."

Warum dies alles ausgerechnet jetzt bekannt wird, dafür gibt es, sagt der Minister, nur einen Grund: Irgendjemand habe Einfluss auf den Wahlausgang nehmen wollen. Seine Indizien: Die Strafanzeige sei "mehr als zwei Jahre nach der angeblichen Tat" gestellt worden, unmittelbar vor der Wahl, aus dem Ausland heraus, und nicht persönlich, sondern unter Einschaltung einer Anwaltskanzlei. Banzer hat nun seinerseits Strafanzeige gestellt.

Vorsichtiger, doch in die gleiche Richtung äußern sich die Staatsanwaltschaften in Wiesbaden und Frankfurt. In Wiesbaden war die Anzeige in der vergangenen Woche eingegangen, am Freitag hatte die Behörde sie an die Frankfurter Kollegen weitergeleitet. Bei den Wiesbadener Strafverfolgern heißt es, die Anzeige sei ihnen von Anfang an "dubios" vorgekommen, und die Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft sagt, es stimme "sehr nachdenklich", dass all dies so kurz vor der Wahl geschehen sei, zwei Jahre nach dem angeblichen Vorfall.

Noch deutlicher wird der Rechtsanwalt des angeblichen Anzeigeerstatters: "Eine inszenierte Kampagne, die kurz vor der Wahl laufen sollte", sagt Sebastian Windisch der Agentur dpa. Zwar war seine Kanzlei als Vertretung des vermeintlichen Opfer-Vaters angegeben, doch Windisch sagt, er habe das entsprechende Fax an die Wiesbadener Staatsanwaltschaft nie gesehen. Zweimal habe der Mann angerufen, Termine für ein Treffen aber verstreichen lassen. Auch dessen angebliche Handynummer habe sich als falsch erwiesen. Die Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft sagt, in der Anzeige seien zwar ein Name und eine Adresse angegeben - "aber das heißt noch nicht, dass es diesen Mann gibt". Dies wolle man nun prüfen; ebenso die Gegenanzeige Banzers.

Obwohl er in den Landtag gewählt wurde, gilt Banzer bis zur Verkündung des amtlichen Endergebnisses als "gewählter Bewerber". Als solcher genießt er keine Immunität. Überdies sind die Staatsanwaltschaften dem Justizministerium unterstellt und haben eine Berichtspflicht. Banzer aber sagt, es sei sichergestellt, dass "kein Interessenkonflikt zu möglichen Ermittlungen auftreten kann". Er habe volles Vertrauen in Polizei und Staatsanwaltschaft, dass "der oder die Täter" ermittelt und zur Rechenschaft gezogen würden, so endet am Montagmorgen seine Erklärung. Sie bietet keinerlei Raum für Interpretationen.

Hat volles Vertrauen in die Staatsanwaltschaft: Jürgen Banzer. AP

Banzer, Jürgen: Rechtliches SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Erfolgreiche Verlierer

Die Grünen legen kräftig zu - und müssen in die Opposition

Berlin - Sie haben gewonnen und doch verloren, in Hessen jedenfalls. Trotz eines kräftigen Zugewinns von 6,2 Prozentpunkten bleiben die Grünen in Wiesbaden auf den Oppositionsbänken. Der guten Stimmung in der Bundeszentrale tat dies am Montag keinen Abbruch. Fröhlich bestritten Parteichefin Claudia Roth und der hessische Grünen-Chef Tarek Al-Wazir, die Bundestagsspitzenkandidaten Renate Künast und Jürgen Trittin jedwede Signalwirkung der Hessen-Wahl auf die Bundestagsentscheidung am 27. September. Das "herausragende Ergebnis, das noch bei weitem das von Bayern überflügelt", verschaffe "Rückenwind für die kommenden Monate und den bestmöglichen Auftakt im Superwahljahr 2009". Man könne stolz darauf sein, dass die Menschen weit über Hessen hinaus nun honorierten, dass grüne Politik sich selbst in Krisenzeiten verlässlich an ihren Inhalten orientiere. Für die große Koalition in Berlin sei das hessische Wahlergebnis "eine richtige Klatsche", diagnostizierte Roth. Daran sei das "drastische Versagen der Sozialdemokraten" allerdings mehr schuld als die CDU. Trittin betonte, in den vergangenen Jahren einer Bundestagswahl habe es im Januar immer satte Mehrheiten für Schwarz-Gelb gegeben. Bis zum Herbst hätten sich die Werte jedoch stets verändert.

Nicht ganz so fröhlich gab sich der Co-Vorsitzende Cem Özdemir. Seine am Morgen erhobene Forderung nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Roland Koch hatte offenbar nicht den Beifall der Führungskollegen gefunden. Wenn Koch "noch einen Funken Anstand" habe, dann solle er jetzt die Konsequenzen aus seinem schlechten Wahlergebnis ziehen und den Weg freimachen für einen personellen Neubeginn, hatte Özdemir getönt. Am Nachmittag befand er nur: "Da, wo andere ihre Hose haben, hat er eine Menge Pattex". Trittin spöttelte, man hätte im Wahlkampf statt "Ohne Koch geht's besser" passender plakatiert: "Ohne Koch schmeckt's besser." SZ

SPD-Landesverband Hessen Landtagswahl 2009 in Hessen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Zhong Yu im Pech

Die Reformpolitik produziert nicht nur Gewinner, sondern auch Versager und Pleitiers - die Geschichte eines Wanderarbeiters

Von Henrik Bork

Was bin ich bloß für ein Versager", sagt Zhong Yu. Dabei ist er erst 38 Jahre alt, und im Moment nicht einmal pleite. Betreibt sein eigenes Kleinunternehmen. Aber gemessen an all den Erfolgsgeschichten, die China so produziert, stimmt das wohl, was er da sagt. Und gemessen an seinen eigenen Erwartungen, die von diesen Erfolgsgeschichten angestachelt worden sind, stimmt es ganz bestimmt.

Zhong stammt aus der Kleinstadt Neijiang in der Provinz Sichuan. Nach der Schule machte er eine Fachausbildung als Sekretär. Doch als er gerade fertig war, rief Deng Xiaoping, Chinas damaliger "roter Kaiser", die Wirtschaftsreformen aus. "Der Traum vom Reichwerden zog mich 1992 als Wanderarbeiter in den Süden, nach Guangzhou", sagt Zhong. Bald fand er seinen ersten Job als Sekretär eines der ersten Privatunternehmer, der Geräte zum Feuerlöschen herstellte. Wie aufgeregt er war, als er sein erstes Monatsgehalt in den Händen hielt: 500 Yuan (rund 50 Euro). "Ich sagte mir: ,Das ist erst der Anfang! Ich werde in Zukunft ganz sicher mehr haben. Ich werde JEMAND sein, " sagt Zhong.

Er verdiente nicht schlecht für einen Wanderarbeiter. Zhong Yu heiratete eine Kassiererin, 1997 wurde ein Sohn geboren. Aber in Chinas Zeitungen kursierten Geschichten über die ersten "roten Kapitalisten". Privatunternehmer, die es geschafft hatten. Der erste Ferrari in Peking hier, der erste Rolls Royce in Shanghai dort. "Ich hätte damals eigentlich glücklich sein sollen. Doch ich hatte ständig diesen Traum vom Reichwerden im Kopf ", sagt Zhong. Schließlich kündigte das Ehepaar gleichzeitig und mietete im Februar 2000 im Ort Shunde ein dreistöckiges Restaurant. Sie nannten es "Yucheng Meishi", also "Delikatessen aus Chongqing". Sie arbeiteten hart. Zhong Yu stand jeden Morgen um vier Uhr früh auf. Strampelte mit der Fahrradrikscha zum Markt und kaufte ein. Seine Frau putzte das Gemüse, arbeitete als Kellnerin, bediente die Kasse, fegte nach Mitternacht noch den Boden. Zum Schlafen blieb nicht viel Zeit. Auch nicht für den Sohn, den sie bei den Großeltern ablieferten.

Doch es ging nicht gut. "In nur einem Jahr haben wir 250 000 Yuan (etwa 25 000 Euro) verloren und mussten wieder zumachen", sagt Zhong Yu. Es war eine schmerzliche Erfahrung. Als nächstes öffneten die beiden einen kleinen Kiosk.

Verloren umgerechnet zweitausend Euro im Jahr darauf. Machten wieder zu.

Zhong Yu hatte bis dahin Pech, vielleicht sogar ungewöhnlich viel Pech. Doch sein unbedingter Wunsch, Geld zu machen, ist im heutigen China nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel. Nach den politischen Exzessen der Mao-Zeit ist Geld das einzige, was den Großteil der Bevölkerung in China heute interessiert. Es regiert die nackte Gier. Und so wollte auch Zhong Yu einfach nicht aufgeben.

Seine nächste Idee war es, einen Lastwagen zu kaufen. Er lieh sich das Geld von den Großeltern - von seinen und denen seiner Frau. Fuhr gefrorene Schweinehälften von Sichuan nach Guangdong, Blumen und Baumsetzlinge von Guangdong nach Sichuan. Zahlte alle Schulden in den ersten elf Monaten zurück und machte zusätzlich 40000 Yuan Profit. Kaufte einen größeren Laster.

Doch schon zwei Monate später musste Zhong Bekanntschaft mit einer eisernen Regel des chinesischen Geschäftslebens machen: Dass es keine festen Regeln gibt. Die Regierung erließ plötzlich schärfere Strafen, was das Überladen von Lastwagen auf der Straße betrifft. Bis dahin waren alle Laster, auch Zhongs, stets wie rollende aufgeblähte Zeltberge und doppelt, dreifach überladen über die Bergstraßen gekrochen. Ab und zu stürzte auch mal einer in einen Abgrund. "Nur so konnten wir Geld verdienen", sagt Zhong. Plötzlich aber änderte sich die Politik, so plötzlich wie das im "Sozialismus chinesischer Prägung" nun mal üblich ist. Ein Ukas jagt den nächsten, meist ohne Vorankündigung. Und dann fuhr ein Fahrer auch noch eine alte Frau um. Sie musste ins Krankenhaus. Da es in China bis heute kaum Versicherungen gibt, muss in solchen Fällen der Besitzer des Wagens die Krankenkosten bezahlen. Zhong musste seine Laster verkaufen und saß zusätzlich mit 300 000 Yuan Schulden da. "Ich hatte unsere Großeltern mit hineingezogen. Ich weiß bis heute nicht, wie ich ihnen das Geld zurückzahlen soll", sagt Zhong. "Was bin ich bloß für ein Versager!"

Nackter Kapitalismus

Möglicherweise stimmt das, aber er ist auch ein großer Träumer. Im März hat er sich erneut 40 000 Yuan gepumpt und sein jüngstes Unternehmen gegründet: einen Lasercarving-Workshop. Mit Hilfe eines Computers (3500 Yuan) und einer Laser-Schneidemaschine (35 000 Yuan) schneidet er nun in einer Garage Schuhsohlen aus Lederlappen. Im Moment läuft es einigermaßen. Doch Zhong Yu ist extrem nervös. Irgendein Gesetz verändert sich in China immer über Nacht, irgendein korrupter Lokalbeamter hält immer die Hand auf. Irgendein Unglück kommt immer daher, und es gibt wenig Hilfe für Arbeiter und Kleinunternehmer, die keine guten Kontakte zu Parteibonzen haben. Es herrscht, außer für die Elite, eine Art nackter Kapitalismus, ohne die Rechtssicherheit, die es in anderen kapitalistischen Ländern mehr oder weniger gibt. "Wenn ich wieder scheitere, wird mich meine Frau verlassen, da bin ich mir sicher", sagt Zhong Yu. Er sieht besorgt aus, als er das sagt. Hoffentlich hat er diesmal Glück.

Getrieben von der Hoffnung auf Reichtum wagen viele Chinesen den Schritt in die Selbständigkeit. Im Bild ein Wanderarbeiter in Nanjing. F.: Yang Xi/Chinafotopress/Laif

Zhong Yu gibt nicht auf - trotz mehrerer Pleiten und der Unberechenbarkeit des chinesischen Rechtssystems. Foto: oh

Soziales Leben in China Wirtschaftsraum China Arbeitsleben in China SZ-Sonderwirtschaftsteil zu China 2008 SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Linke zufrieden mit stabilem Ergebnis

Berlin - Durch das Wahlergebnis in Hessen sieht sich die Linke darin bestätigt, eine Partei mit gesamtdeutschem Anspruch zu sein. "Das sind positive Startbedingungen für das Wahljahr 2009, die zeigen, dass die Linke in Deutschland ständig wächst und stärker wird", sagte Parteichef Lothar Bisky am Montag in Berlin. Mit 5,4 Prozent schaffte die PDS-Nachfolgepartei erstmals den Wiedereinzug in einen westdeutschen Landtag.

Auch der hessische Spitzenkandidat Willi van Ooyen zeigte sich über die stabile Wählerschaft in Hessen zufrieden. Wie in diesem Bundesland könne man die Linke nun als feste Konstante für ganz Westdeutschland sehen. Gleichzeitig räumte er ein, dass einige Themen der Linken "nicht gefunkt hätten" und die Belastungen für die junge Partei im vergangenen Jahr zu Überforderungen geführt haben. Warum die Linke nicht von den Stimmenverlusten der großen Parteien, insbesondere der SPD profitieren konnte, erklärte der Bundeswahlkampfleiter Dietmar Bartsch damit, dass der Linken keine hohe Wirtschaftskompetenz zugerechnet werde. Die Gewinne bei den Erstwählern könne man dagegen auf die Abschaffung der Studiengebühren in Hessen und den jugendlichen Wahlkampf zurückführen. Die Partei konnte ihr Ergebnis von 5,1 vor einem Jahr auf 5,4 Prozent leicht verbessern. Kurz vor der Landtagswahl waren 45 Mitglieder mit massiven Vorwürfen gegen die Parteispitze ausgetreten. Das habe man laut Bartsch nun wieder wettmachen können. Noch am Wahlabend seien 50 neue Mitglieder in die Partei eingetreten. Laura Weißmüller

DIE LINKE. Hessen Landtagswahl 2009 in Hessen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Probleme mit der Demut

Nach dem Machtzuwachs fordert die FDP in Hessen mehr als zwei Ministerposten und stärkere Steuernsenkungen im Bund

Von Detlef Esslinger und Christoph Hickmann

Wiesbaden - Die Koalitionsverhandlungen in Hessen, zumindest erste Gespräche, beginnen an diesem Dienstag, und selbstverständlich behaupten alle Politiker von CDU und FDP, zunächst nur über Inhalte und erst am Ende über Posten zu sprechen. Nun ja, fast alle behaupten das. Einer nicht. Dieter Posch, stellvertretender Vorsitzender der hessischen FDP, will Minister werden, und zwar für Wirtschaft und Verkehr, wie schon von 1999 bis 2003. Auch Posch sagt zwar am Montag zunächst, Personalfragen würden am Ende der Verhandlungen geklärt, doch es bedarf nur weniger Zusatzfragen, damit der Mann konkreter wird. Was spreche eigentlich dafür, den erfolgreichen CDU-Amtsinhaber Alois Rhiel auszutauschen, will ein Reporter von Posch wissen. Der antwortet, auch er selbst habe "in dem Bereich" mehrmals erfolgreich Verantwortung übernommen, zudem sei Wirtschaftspolitik ein klassisches FDP-Feld. Aber werde er nicht in diesem Jahr 65 Jahre alt, könne er denn die ganze Wahlperiode von fünf Jahren zur Verfügung stehen? Poschs Antwort: "Wenn ich das Amt übernehme, mache ich das so wie vorgesehen." Ganz klar, hier will einer der Nachfolger seines Nachfolgers werden.

Weder vorwärts noch aufwärts

Man merkt schon, es fällt der hessischen FDP ein bisschen schwer, ihre sagenhaften 16,2 Prozent mit jener "Demut" entgegenzunehmen, die ihr Vorsitzender Jörg-Uwe Hahn am Sonntagabend versprochen hatte. Dass sie mehr als ihr traditionelles Quorum von zwei Ministern beanspruchen wird, gilt als ausgemacht, dass sie vor allem ihre neue Macht im Bundesrat nutzen will, verheimlichen auch ihre hessischen Spitzenpolitiker nicht. Ihr erstes Thema dabei: das Konjunkturpaket der Bundesregierung, die FDP will die Steuern stärker senken als die große Koalition. Hahn und der Bundesvorsitzende Guido Westerwelle sagen zwar, sie würden den Bundesrat nicht als Instrument zur Blockade nutzen. Aber Posch sagt auch: "Die Bundesregierung täte gut daran, mit der FDP und den Ländern zu verhandeln."

Das Thema könnte eines der wenigen sein, bei denen es in den Verhandlungen zum Konflikt kommt. Der hessische CDU-Generalsekretär Michael Boddenberg sagt am Montag, seine Partei werde "auch den einen oder anderen Punkt streitig stellen" und nennt als Beispiel das Abstimmungsverhalten im Bundesrat. Üblich ist, dass sich eine Koalitionsregierung dort der Stimme enthält, wenn sie sich untereinander nicht einig ist. "Oppositionsparteien sollen und müssen dort ihren Teil beitragen", sagt Boddenberg. Mit anderen Worten: Im Bund ist die FDP in der Opposition, deshalb soll sie es mal bitte nicht übertreiben. Ansonsten aber ist alles schon ziemlich klar: Am späten Montagnachmittag sollte der Landesausschuss der CDU zusammenkommen, am Abend der FDP-Landesvorstand. Beide Gremien sollten die Koalitionsverhandlungen beschließen.

Mit derlei Dingen wird sich die Hessen-SPD vorerst nicht beschäftigen müssen; dementsprechend ging es am Montagmorgen in einer Schaltkonferenz des Landesvorstands um Themen wie das Verhältnis zur Linkspartei, das nun auch auf Bundesebene endlich geklärt werden müsse. Mit dabei in der Konferenz war auch Andrea Ypsilanti, am Abend zuvor von ihren Ämtern als Fraktions- und Landesvorsitzende zurückgetreten - und in Thorsten Schäfer-Gümbel jener Mann, der den Neuanfang organisieren muss. Vor allem personell wird das eine knifflige Aufgabe, beide Flügel der Partei erwarten nun von ihm, eingebunden zu werden. Denn auch mit Ypsilantis Rückzug ist die Spaltung des Landesverbands nicht vorbei; auf Schäfer-Gümbel warten jede Menge klärender Gespräche.

Immerhin soll es in der neuen Fraktion vorbei sein mit der Spaltung in die Vorwärts-Runde der Parteilinken und die Aufwärts-Gruppe, in der sich die Parteirechten und Netzwerker gesammelt hatten. So schlägt es jedenfalls Nancy Faeser vor, in der alten Fraktion Sprecherin der Aufwärts-Runde. "Wir müssen die Partei jetzt einen, und dazu gehört, dass die Gruppen in der Fraktion aufgelöst werden", sagte sie der Süddeutschen Zeitung. "Die Meinungsbildung muss wieder in der Fraktion stattfinden, statt in separaten Gruppen." Die Gruppen hätten "zur Spaltung beigetragen", sagte sie: "Die Meinungsbildung hat nur noch innerhalb dieser Gruppen stattgefunden, so dass es ständiger Vermittlungen zwischen deren Sprechern bedurfte." Dadurch sei "ein erhebliches Maß an Energie verschwendet worden".

Solche Sorgen plagen Grüne und Linkspartei am Montag nicht: Während der Linken-Landesvorstand am Abend den alten Fraktionschef Willi van Ooyen wieder für dieses Amt vorschlagen wollte, erklärte bei den Grünen Tarek Al-Wazir, er wolle ebenfalls wieder an der Fraktionsspitze stehen. Immerhin das, wo für die Grünen doch wieder nichts geblieben ist als die Opposition.

Für die SPD steht die Welt auf dem Kopf: Nach der Schlappe von Hessen hat das große Aufräumen begonnen - ein Helfer verlädt ein Plakat Thorsten Schäfer-Gümbels (oben). Der gescheiterte Spitzenkandidat soll den Neuanfang in der Partei organisieren. Für Ministerpräsident Roland Koch wird das Regieren nun leichter. Er kann sich nach dem Zugewinn der FDP auf eine stabile Mehrheit stützen. Fotos: dpa/Reuters

FDP-Landesverband Hessen Landtagswahl 2009 in Hessen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

SPD-Abgeordneter will Bundesrat reformieren

Koalitionen sollen Stimmen in Länderkammer teilen dürfen / FDP lehnt Vorhaben ab

Von Peter Fahrenholz

München - Nachdem sich durch den Wahlerfolg der FDP in Hessen die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat verändert haben, ist die Diskussion um die Abstimmungsregeln in der Länderkammer neu aufgeflammt. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann forderte, mit einer Änderung des Grundgesetzes den Zwang zu einem einheitlichen Stimmverhalten der Länder im Bundesrat abzuschaffen. Weil Hessen künftig von einer schwarz-gelben Koalition regiert wird, verfügt die große Koalition im Bundesrat nur noch über die 30 Stimmen jener Länder, in denen entweder eine große Koalition oder eine Alleinregierung von CDU oder SPD amtiert. Für eine Mehrheit sind aber 35 der insgesamt 69 Stimmen nötig.

Nach Oppermanns Vorstellungen soll für Koalitionsregierungen künftig ein Stimmensplitting erlaubt sein. Damit könnten Koalitionsregierungen bei strittigen Vorhaben im Bundesrat unterschiedlich abstimmen, wobei der größere Partner dabei dann logischerweise auch eine höhere Stimmenzahl haben müsste. Oppermann will damit verhindern, dass unterschiedlich gefärbte Länder-Koalitionen die Gesetzgebung des Bundes lahmlegen können. "Es kann nicht sein, dass sich in einem Sechs-Parteiensystem Koalitionsregierungen der Länder wechselseitig blockieren", sagte der SPD-Politiker der Rheinischen Post.

Bei der FDP, deren Gewicht im Bundesrat deutlich gewachsen ist, stießen die Vorschläge umgehend auf scharfen Protest. FDP-Fraktionsvizin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wies die Idee als "abwegig und politisch gefährlich" zurück. Die Regeln im Bundesrat hätten sich bewährt, weil sie politische Kompromisse beförderten, sagte sie. SPD-Chef Franz Müntefering relativierte den Vorstoß bereits wieder. Es handele sich um einen grundsätzlichen Vorschlag, der wegen mangelnder Erfolgsaussichten jetzt nicht weiterverfolgt werde, sagte Müntefering.

Erst im November war Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) mit einem ähnlichen Vorschlag auf ebenso scharfe Ablehnung gestoßen. Schäuble hatte angesichts der Querelen um das BKA-Gesetz vorgeschlagen, dass künftig im Bundesrat nicht mehr die absolute Mehrheit der Länderstimmen notwendig sein soll, sondern die Mehrheit der abgegebenen Ja-Stimmen für eine Zustimmung der Länderkammer ausreicht.

Bislang gilt gemäß Artikel 52 des Grundgesetzes, dass der Bundesrat seine Beschlüsse "mit mindestens der Mehrheit seiner Stimmen" fassen muss. Das bedeutet, dass Enthaltungen faktisch wie Nein-Stimmen wirken, weil damit die erforderliche Zahl von Ja-Stimmen verhindert werden kann. Für Koalitionsregierungen in den Ländern ist es aber ein probates Mittel, sich im Bundesrat der Stimme zu enthalten, wenn sie sich in einer Frage uneinig sind. Das erspart lästige Koalitionsstreitereien zu Hause.

Einen eleganten Ausweg aus diesem Dilemma, der Länderregierungen zugleich zwingen würde, in Streitfragen Farbe zu bekennen, hat der Bonner Politikwissenschaftler Frank Decker bereits im November aufgezeigt. Er plädierte dafür, bei Abstimmungen nicht mehr danach zu fragen, wer zustimmt, sondern wer die Zustimmung verweigert. Damit würden Enthaltungen faktisch zu Ja-Stimmen für das jeweilige Gesetz.

Machtinstrument Bundesrat: Die FDP will in der Länderkammer ihren gewachsenen Einfluss nutzen. Foto: ddp

Bundesrat SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

38 Suizidversuche

Berlin - In Deutschland haben von 2005 bis 2007 mehr als 40 Abschiebehäftlinge Selbstmord begangen oder einen Suizidversuch unternommen. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Fraktion hervor. Danach kam es in sieben Bundesländern zu 38 Suizidversuchen. In Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen brachten sich insgesamt drei Gefangene in Abschiebehaft um. ddp

Viele Abschiebehäftlinge wollen sich nicht in ihr Schicksal ergeben. ddp

Berlin

- In Deutschland haben von 2005 bis 2007 mehr als 40 Abschiebehäftlinge Selbstmord begangen oder einen Suizidversuch unternommen. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Fraktion hervor. Danach kam es in sieben Bundesländern zu 38 Suizidversuchen. In Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen brachten sich insgesamt drei Gefangene in Abschiebehaft um.

Abschiebehaft in Deutschland Selbstmorde in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Deutschland prescht bei Friedensdiplomatie in Gaza vor

Steinmeier fordert EU-Initiative / Frankreich regt Konferenz zur Gründung eines Palästinenser-Staates an

Von Daniel Brössler

Berlin - In den Bemühungen gegen ein Wiederaufflammen der Gewalt in Gaza zieht Deutschland noch vor Amtsantritt der neuen US-Regierung die diplomatische Initiative an sich. In einem der SZ vorliegenden Arbeitsplan wirbt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier für ein koordiniertes Vorgehen der EU. "Es gibt jetzt eine Zäsur", hieß es aus dem Auswärtigen Amt. Diese müsse auch von der EU genutzt werden. Steinmeier habe das Papier mit dem EU-Außenbeauftragten Javier Solana und dem tschechischen Außenminister Karel Schwarzenberg abgestimmt, hieß es aus dem Auswärtigen Amt. Tschechien hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne, ist aber offenbar mit einer aktiven Rolle Deutschlands einverstanden.

Die Bemühungen zielen erkennbar auch darauf ab, der neuen US-Regierung nicht die alleinige Initiative zu überlassen. Steinmeier, der während des Gaza-Krieges zwei Mal in die Region gereist war, verfolgt mit dem Arbeitsplan unter anderem das Ziel, der palästinensischen Autonomiebehörde wieder zu mehr Geltung im von der Hamas beherrschten Gaza-Streifen zu verhelfen. An den Vorbereitungen einer internationalen Konferenz für den Wiederaufbau solle sich die EU "in enger Abstimmung" mit der Autonomiebehörde beteiligen, heißt es in dem in Stichworten gehaltenen Papier. Frankreich rief sogar zu einer Konferenz auf, die die Gründung eines palästinensischen Staates vorbereiten solle.

Der deutsche Vorschlag sieht einen fünfstufigen Plan vor, beginnend mit humanitärer Hilfe, etwa der Finanzierung von Medikamenten, Lebensmitteln, Notunterkünften und Treibstoff. Im zweiten Schritt sollen Aktivitäten gegen den Waffenschmuggel unterstützt werden, was einer Hauptforderung Israels entspricht. Im Vorgehen gegen den Waffenschmuggel sieht das Auswärtige Amt Deutschland in einer "Vorreiterrolle", weil Deutschland mit Ägypten bereits zu einer Vereinbarung gekommen sei. Eine Delegation aus vier Experten des Innenministeriums und einem Vertreter des Auswärtigen Amtes soll in Kürze nach Ägypten aufbrechen und dort sondieren, wie das Land beim Kampf gegen den Schmuggel von Waffen durch das verzweigte Tunnelnetz an der Grenze zu Gaza unterstützt werden kann.

Im Arbeitspapier der Berliner Diplomaten ist von "Training und Förderung" ägyptischer Sicherheitskräfte die Rede. Dies ist heikel, weil Ägypten Wert auf die Wahrung seiner Souveränität legt, während Israel auf eine Mission hofft, die auch überwachend tätig ist. Die Öffnung von Grenzübergängen, der Wiederaufbau in Gaza und im letzten Schritt eine Wiederaufnahme des Friedensprozesses werden in dem Steinmeier-Papier als weitere Bereiche genant, in denen sich die EU koordiniert engagieren soll.

Die Initiative Steinmeiers folgt auf einen eintägigen Kurzbesuch von Kanzlerin Angela Merkel in der Region. In der Nahost-Politik gibt es zwischen Kanzlerin und Kanzlerkandidat keine Differenzen, aber offenbar einen Wettbewerb um mediale Aufmerksamkeit. Steinmeier stellte sein Konzept auch im SPD-Präsidium vor und erhielt dort nach Angaben von Teilnehmern volle Unterstützung. Steinmeiers Beitrag für eine Lösung der Konflikte im Nahen Osten werde anerkannt. Der gemeinsame Auftritt von Bundeskanzlerin Merkel mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und anderen europäischen Regierungschefs am Sonntagabend in Ägypten sei dagegen "etwas belächelt worden".

König Abdullah von Saudi-Arabien forderte Israel unterdessen auf, das von ihm bereits vor mehreren Jahren vorgeschlagene arabische Friedensangebot anzunehmen. "Der arabische Vorschlag liegt nicht mehr lange auf dem Tisch", drohte er während eines Gipfeltreffens der Arabischen Liga in Kuwait. Das Angebot, das 2002 in Beirut von allen Staaten der Liga akzeptiert worden war, bietet Israel die Aufnahme normaler Beziehungen zu den arabischen Staaten an, falls sich der jüdische Staat aus allen Gebieten zurückziehen sollte, die er im Sechs-Tage-Krieg 1967 besetzt hat. Die Angriffe der israelischen Armee im Gaza-Streifen in den vergangenen Wochen bezeichnete der König als "gnadenlos".

"Der arabische Friedensvorschlag liegt nicht mehr lange auf dem Tisch."

Begehrte Hilfe: Nach dem jüngsten Gaza-Krieg sind die meisten Palästinenser auf Lebensmittel der Vereinten Nationen angewiesen. Foto: AFP

Friedensbemühungen im Militärischen Konflikt zwischen Israel und der Hamas in Gaza 2008 / 2009 SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Köhler: Gesetze sind keine Bananen

Bundespräsident plädiert bei Richterbund-Jubiläum für deutlichere Rechtssätze

Von Helmut Kerscher

Berlin - Bundespräsident Horst Köhler hat den Beitrag der Gerichte zum Rechtsfrieden und zur Rechtssicherheit betont. Die hohe Bedeutung des Rechts in Deutschland sei eine kulturelle Leis-tung, zu der die Richterschaft entschei-dend beigetragen habe, sagte er in Ber-lin im Maxim-Gorki-Theater bei einem Festakt zum 100-jährigen Bestehen des Deutschen Richterbundes. Zugleich warnte Köhler die Gerichte, den Gesetzgeber und die Verwaltung vor einer weiteren Verrechtlichung. Diese müsse Grenzen haben, weil andernfalls "die gesellschaftliche Strangulation und der Justizinfarkt" drohten.

Er lese, sagte Köhler, manchen Normenbestand nur mit sehr gemischten Gefühlen, so detailliert werde da alles geregelt. Wer solle das lesen, behalten und verstehen, fragte der Bundespräsident. Das Recht solle helfen, die Komplexität des Lebens zu reduzieren. Paradoxerweise drohe die Gerechtigkeit gerade in überkomplexen Regelwerken zu verschwinden. Köhler richtete seinen Appell an alle drei Staatsgewalten. So hätten die Ge-richte ihre Anforderungen an die Umsicht und Weisheit des Gesetzgebers immer weiter verfeinert. Gesetzgeber und Verwaltung sorgten zunehmend für Un-bestimmtheiten und Widersprüche. "Gesetze und Verordnungen sind keine Bananen; sie dürfen nicht erst beim Abnehmer reifen", sagte Köhler und erntete dafür heitere Zustimmung. Er plädierte für längere Reifezeiten von Rechtssätzen. Der Präsident rief die Gerichte dazu auf, als Dolmetscher zu wirken und den Buchstaben und den Geist der Gesetze zu erklären. Dies setze voraus, dass die Gerichte lebensnah und mit Verständnis für soziale und ökonomische Zusammenhänge arbeiteten. Den Gerichten sollten zudem die engen Grenzen einer richterlichen Rechtsfortbildung bewusst sein. Generell müsse die Justiz "auch in Deutschland attraktiv bleiben für die besten Köpfe", sagte Köhler. Er habe Verständnis dafür, dass Richter und Staatsanwälte angemessen honoriert werden wollten.

Eine andere zentrale Forderung des Deutschen Richterbundes, nämlich die nach einer Selbstverwaltung der Justiz, unterstützte in ihrer Festrede Jutta Lim-bach, die frühere Präsidentin des Bun-desverfassungsgerichts. Sie halte es für einen folgerichtigen Fortschritt auf dem Weg einer konsequent durchgeführten Gewaltenteilung, dass die Justiz sich aus der "Vormundschaft oder Obhut" der Justizministerien befreien und selbst die Personal- und Budget-Hoheit übernehmen wolle. Limbach bat jedoch eindringlich um die Berücksichtigung auch der negativen Erfahrungen mit der Justizselbstverwaltung im Ausland. Man solle nicht dem Irrglauben aufsitzen, in anderen Ländern gelänge es besser, Personal- und Haushaltsgeschäfte aus der Parteipolitik herauszuhalten.

Auch Limbach hob den Beitrag der Richterschaft zur Entstehung einer demokratischen politischen Kultur in Deutschland hervor. Wie Köhler betonte sie die Bedeutung lesbarer Texte. Es fehle an einer "vernünftigen Informationspolitik", was in der Mediengesellschaft ein schweres Versäumnis der Justiz sei. Auch für Richter und Staatsanwältinnen gehöre Klappern zum Handwerk.

"Die Justiz muss für die besten Köpfe attraktiv bleiben."

Köhler, Horst: Zitate Rechtsprechung in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Mehr Bildung für Kleinkinder

Neuer KMK-Präsident will Erzieher-Beruf aufwerten

Von Birgit Taffertshofer

München - Henry Tesch ist an diesem Montag in Berlin als neuer Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK) angetreten. Der Bildungs- und Wissenschaftsminister aus Mecklenburg-Vorpommern wird turnusgemäß für ein Jahr der obersten Bildungsinstanz in Deutschland vorstehen. Der 46-jährige CDU-Politiker will vor allem die frühkindliche Förderung verbessern sowie die Ausbildung der Erzieher aufwerten. In jedem Fall komme man nicht umhin, sich auf gewisse bundesweite Standards zu einigen, sagte Tesch bei seiner Amtseinführung. Die 16 Kultusminister müssten einen Kompromiss finden, um die derzeit unterschiedlichen Ansätze in der Erzieherausbildung zu vereinheitlichen.

Tesch, der früher Lehrer und Direktor eines Gymnasiums in Neustrelitz war, wurde 2006 Kultusminister in Mecklenburg-Vorpommern. Bisher musste sich der gebürtige Schweriner in dem weitflächigen Bundesland vor allem dafür einsetzen, trotz des Schülerschwunds genügend wohnortnahe Schulen zu erhalten. Seit der Vereinigung hat sich die Zahl der Erstklässler etwa halbiert. Ein neues Schulgesetz soll nun helfen, indem es den Schulen erlaubt, die Klassengrößen selbst zu bestimmen.

Tesch folgt auf die saarländische Kultusministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die auch der CDU angehört. Am politischen Kurs seiner Vorgängerin will Tesch wenig verändern. Neben der frühkindlichen Bildung stellt er ebenfalls die berufliche Weiterbildung in den Mittelpunkt seines Programms. Berufstätige ohne Abitur sollen künftig leichter Zugang zu den Hochschulen bekommen. Dies sei ein wichtiger Beitrag, das deutsche Bildungssystem durchlässiger zu machen, sagte Tesch. Ein Beschluss zum Hochschulzugang soll noch im Jahr 2009 konkrete Verbesserungen bringen.

Außerdem plant Tesch, die musisch-ästhetische Bildung aus ihrem Schattendasein zu holen. Trotz knapper öffentlicher Mittel müssten alle gesellschaftlichen Kräfte mithelfen, die kulturelle Kompetenz der Jugend zu fördern. Aufgabe der Politik sei es, die Voraussetzungen für die Arbeit der Initiativen zu verbessern. Unter anderem will Tesch Museen als außerschulische Lernorte stärken und Kriterien für Kooperationen zwischen Schulen und Jugendarbeitern entwickeln.

Tesch, Henry: Zitate Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK): Management Erzieherinnen SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Neue Einigung im Gas-Streit

Moskau - Die staatlichen Energieversorger Russlands und der Ukraine, Gazprom und Naftogaz, haben am Montag in Moskau nach einem beispiellosem Gasstreit einen neuen Vertrag unterzeichnet. Das Dokument lege Gaspreise und Transitgebühren fest, meldete die Agentur Interfax. Damit ist nach fast zwei Wochen Totalblockade der Weg frei für eine Wiederaufnahme russischer Gaslieferungen durch die Ukraine in Richtung Westen. Die Verhandlungen der Gas-Konzerne beider Länder über Details des neuen Vertrages hatten sich am Montag bis nachmittags hingezogen.

In der Nacht zu Sonntag hatten sich die Regierungschefs beider Länder über Rahmenbedingungen geeinigt. Genaue Zahlen wurden allerdings nicht genannt. Die ukrainische Regierungschefin Julia Timoschenko und ihr russischer Amtskollege Wladimir Putin hatten verkündet, dass die Ukraine ab 2010 europäische Preise zahlen soll und in diesem Jahr einen Nachlass von 20 Prozent bekommt. Bei den Gesprächen am Montag sei es deshalb vor allem um den genauen Preis gegangen, sagte ein Sprecher der ukrainischen Botschaft in Moskau.

Bogdan Sokolowskij, Berater des ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko, hatte neue Änderungsvorschläge für Gas- und Transit-Preise ins Spiel gebracht. Die Ukraine wählt in diesem Jahr ein neues Parlament, Juschtschenko und Timoschenko sind Rivalen. Einer der Gründe für das Scheitern der Verhandlungen Ende Dezember liegt nach Meinung von Beobachtern auch darin, dass Juschtschenko Timoschenko den Verhandlungserfolg nicht gönnen wollte und sie kurz vor einer Einigung abberief. Am Montag bekräftigte Juschtschenko aber, dass die ukrainische Delegation "ein Mandat" für den Abschluss eines Vertrages habe. zri/dpa

Konflikte um Erdgaslieferungen Russlands an die Ukraine 2005- SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Dschingis Khans Urenkel rebellieren

Die Krimtataren, in der Sowjetunion verfolgt und entrechtet, fordern von der ukrainischen Regierung ihre Rehabilitierung

Von Thomas Urban

Simferopol - Vorsichtshalber warnt Enver Kakura die Gäste seines Hotels, das sich ein paar Schritte vom Simferopoler Bahnhof entfernt befindet: Nachts sei das ganze Viertel unbeleuchtet. Man könnte in eines der Kanallöcher auf der Straße fallen, die schweren Deckel aus Gusseisen wurden wohl von Schrottdieben entwendet. Selbst bei Tageslicht muss man die Örtlichkeit gut kennen, um das Hotel überhaupt zu finden. Denn es gibt weder Reklametafel noch Firmenschild. Doch ist das kleine, sehr gepflegte und überraschend modern eingerichtete Gasthaus, das gerade einmal sechs Zimmer zählt, meist ausgebucht. Die Gäste kommen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken in Mittelasien und vor allem aus der Türkei nach Simferopol, die Hauptstadt der Halbinsel Krim. Sie kommen gewissermaßen zu einem Verwandten, denn Enver Kakura ist Krimtatare. Und zu Glaubensbrüdern, denn die Tataren sind Muslime.

Aber nicht nur deshalb ziehen sie es vor, nicht aufzufallen, sondern eher im Verborgenen zu bleiben. Den Krimtataren schlägt nämlich immer wieder offen Feindschaft entgegen, von Seiten der russischsprachigen Mehrheit, die mehr als 90 Prozent der etwa zwei Millionen Einwohner der zur Ukraine gehörenden Halbinsel stellt. Eine Rolle spielt dabei die historische Feindschaft: Im Mittelalter hatte die von Enkeln Dschingis Khans geführte Goldene Horde für zweieinhalb Jahrhunderte Russland besetzt, die Krimtataren sind ihre Nachfahren. Später war die Krim zwischen Russland und dem Osmanischen Reich umkämpft, die Tataren standen dabei auf Seiten der Türken. Vor allem aber sieht sich die russische Mehrheit heute durch tatarische Forderungen bedroht. Es geht auch um Geld, um Millionen aus dem Immobiliengeschäft und der Touristikbranche.

"Unter uns gärt es ganz gewaltig", sagt Temur Chelebi, ein Mitarbeiter des tatarischen Kulturzentrums in Simferopol. "Wir fordern Gerechtigkeit!" An erster Stelle verlangen sie ihre Häuser zurück, aus denen sie am Ende des Zweiten Weltkriegs vom sowjetischen Geheimdienst NKWD vertrieben wurden, sowie ihre Felder, die heute teilweise teures Bauland geworden sind. Die Krimtataren konnten während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg zu ihren Häusern und Grundstücken zurückkehren, die sie während der Kollektivierung unter Stalin hatten verlassen müssen. Nachdem die Wehrmacht im April 1944 abgezogen war, wurden sie folglich kollektiv als Kollaborateure gebrandmarkt.

"Schon am Tag nach der Rückkehr der Roten Armee verhaftete der NKWD alle unsere Männer", weiß Chelebi zu berichten. In den folgenden Wochen wurden sie an den Polarkreis, nach Sibirien, Kasachstan oder Usbekistan deportiert. In einer zweiten Welle folgten die Alten, Frauen und Kinder. Insgesamt waren es 350 000 Personen, etwa ein Drittel kam in der Kälte um.

Enver Kakura, der Besitzer des kleinen Familienhotels, vor dessen Fenstern wilder Wein wächst, ist im fernen Usbekistan geboren. "Wir haben dort die Sehnsucht nach der Krim mit der Muttermilch aufgesogen", berichtet er. Die Großeltern hätten die Märchen und Legenden erzählt, die Lieder gesungen, die nur von einem handelten: der Schönheit der Krim.

Die Tataren, die zu Sowjetzeiten beim Versuch, auf die Halbinsel zu gelangen, vom allgegenwärtigen KGB aufgegriffen wurden, kamen in Arbeitslager. Ihre Führer wurden inhaftiert, gefoltert, einige kamen bei Mordanschlägen um. Die Kinder durften keine höheren Schulen besuchen. Aus Protest gegen die Unterdrückung seiner Landsleute übergoss sich im Sommer 1978 ein junger Mann namens Mussa Mamut mit Benzin und zündete sich an. Er gilt seitdem den Krimtataren als nationaler Märtyrer, zu seinem 30. Todestag versammelten sich im vergangenen Jahr mehrere tausend im Zentrum von Simferopol, auf Spruchbänder hatten sie ihre Forderungen geschrieben.

An erster Stelle verlangen die Krimtataren ihre juristische Rehabilitierung. Zuständig dafür wäre keineswegs die von Russen dominierte Regionalregierung in Simferopol, sondern das Oberste Gericht im fernen Kiew sowie Staatspräsident Viktor Juschtschenko. Zum großen Unwillen der Russen auf der Krim waren die Krimtataren vor vier Jahren während der "orangenen Revolution" für den Reformer Juschtschenko auf die Straße gegangen. "Doch jetzt sind wir von ihm enttäuscht", sagt Kakura. "Er hat nichts für uns getan." Im tatarischen Kulturzentrum meint man, Juschtschenko wolle die Spannungen mit den Russen auf der Krim nicht noch weiter vergrößern. Deshalb verweigere er den Krimtataren seine Unterstützung bei ihrer Forderung nach Rehabilitierung. Denn dies würde bedeuten, dass sie auch wieder in ihre Eigentumsrechte eingesetzt werden müssten. Schon im Jahr 1990 besetzten die ersten Rückkehrer die Grundstücke, die ihnen oder ihren Vorfahren gehört hatten. In der Umgebung von Simferopol errichteten sie Hunderte Holzhütten auf Feldern und Wiesen, auf die sie Anspruch erheben.

Während sich im Landesinneren kaum jemand um diese Hütten kümmert, gehen die Behörden in den Touristengebieten an der Südküste hart gegen die Haus- und Grundstücksbesetzer vor. Erst im vergangenen Herbst kam es auf dem Berg Ai-Petri, einem beliebten Ausflugsziel nördlich von Jalta, zu Zusammenstößen zwischen tatarischen Demonstranten und Ordnungskräften, die sogar mit gepanzerten Mannschaftswagen vorfuhren. Die Touristikbranche auf der Krim, die fest in der Hand einheimischer Russen ist, wehrt sich mit aller Kraft gegen die Forderungen der Tataren. Kakura hat kürzlich in der Zeitung gelesen, dass eine Baufirma in der Touristenhochburg Aluschta eine attraktive Parzelle, die einst seinen Großeltern gehört hatte, für fünf Millionen Dollar erworben hat.

"Nein, ums Geld geht es den meisten von uns gar nicht", sagt jedoch Lenur Junussow, ein Journalist, der für eine russischsprachige Zeitung arbeitet. Für die meisten seiner Landsleute sei die Pflege ihrer Religion und Kultur am wichtigsten. Mehrere Dutzend kleiner Moscheen sind in den letzten Jahren entstanden, meist erst nach heftigen Kämpfen mit den Lokalbehörden. Im Forderungskatalog stehen denn auch Tatarisch als Schulfach, vor allem aber die Wiedereinführung der alten Ortsnamen, die unter Stalin abgeschafft worden waren. Stattdessen bekamen die Kleinstädte und Dörfer auf der Krim damals typisch sowjetische Namen wie Pionerskoje, Pjerwomajskoje (1. Mai-Dorf) oder Tankowoje (Panzerdorf). Die Vertreter der Tataren schlagen dabei einen Kompromiss vor: Ortsschilder mit den russischen und den tatarischen Namen. Sie verweisen darauf, dass der Name der Halbinsel selbst aus dem Tatarischen stammt: Er wurde abgeleitet vom Wort "Qirim", was "Festung" bedeutet.

Doch ihre junge Generation sieht sich aus der eigenen Festung ausgesperrt. Deshalb gingen immer mehr zum Studium in die Türkei und kehrten von dort nicht zurück, wie der Journalist Junussow klagt. Er aber möchte trotz aller Widrigkeiten nie mehr die Krim verlassen, ebenso wenig wie Kakura. An der Wand des orientalisch dekorierten Esszimmers seines kleinen Hotels steht in großen Lettern auf Tatarisch: "Zuerst die Heimat!"

Fünf Millionen Dollar für das Grundstück der Großeltern

Überwältigt von der Erinnerung: Bei einer Gedenkveranstaltung in Simferopol trauern Krimtataren über das Schicksal ihrer Vorfahren, die zum Ende des Zweiten Weltkriegs von der Roten Armee deportiert wurden. Foto: AP

Sozialstruktur in der Ukraine SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Notprogramm für die Milch

EU kämpft mit Exporthilfen gegen die sinkenden Preise

Brüssel - Die EU-Agrarminister haben Notmaßnahmen beschlossen, um den zuletzt dramatisch abgefallenen Milchpreis zu stützen. "Wir müssen jetzt etwas tun, damit die Situation nicht in die Katastrophe abrutscht", sagte Gert Lindemann, Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium, in Brüssel. Damit machen die Minister den Weg frei für den Plan der EU-Kommission, die in der vergangenen Woche vorgeschlagen hatte, die seit Juni 2007 ausgesetzten Exporterstattungen für Butter, Käse und Milchpulver wieder einzuführen. So soll der Milchpreis stabilisiert werden. "Bei Exportsubventionen ist es aber wichtig, dass es sich dabei nur um eine zeitlich befristete Notmaßnahme handelt", sagte Lindemann. Die Kommission müsse sicherstellen, dass die Exportbeihilfen nicht zu Lasten von Bauern in Entwicklungsländern gingen, forderte der Ministerrat. Erzeuger in Afrika könnten benachteiligt sein, wenn billige europäische Produkte den Kontinent überschwemmten. Deutschland sieht den Preisverfall der vergangenen Monate auch als Resultat der im März 2008 beschlossenen Erhöhung der Milchquote um zwei Prozent.

Außerdem haben die EU-Minister über Maßnahmen beraten, wie sich Preissprünge bei Nahrungsmitteln vermeiden lassen. Im vergangenen Jahr waren die Lebensmittelpreise stark angestiegen und hatten in der EU zwischen August 2007 und Juli 2008 zu einem Kaufkraftverlust der Konsumenten von einem Prozentpunkt geführt. Die Minister äußerten sich mehrheitlich positiv zu einem Vorschlag der EU-Kommission, Lebensmittelpreise künftig europaweit kontinuierlich zu überwachen und bei starken Abweichungen steuernd einzugreifen. Auch die Konsumenten sollen Zugang zu einem solchen zentralen Preis-Monitoring der Kommission erhalten und Angebote so grenzüberschreitend vergleichen können. Deutschland argumentiert hingegen, dass die bestehende Preisüberwachung auf nationaler Ebene ausreiche. Uneinig waren sich die Minister auch über Vorschläge der EU-Kommission, den Wettbewerb in der Nahrungsmittelbranche zu fördern und Regelungen, die den Wettbewerb behindern, zu lockern. Dazu gehören etwa die Ladenöffnungszeiten, die nach dem Wunsch der deutschen Delegation jedoch Sache der Mitgliedsstaaten bleiben sollen.

Keine Einigung gab es auch bei der Abstimmung über die Zulassung von zwei gentechnisch veränderten Pflanzen. Dabei handelt es sich um eine in Australien gezüchtete Nelke mit blauen Blütenblättern und um eine Ölrapssorte von Bayer CropScience aus Kanada. Nun muss die Kommission entscheiden, ob die beiden Pflanzensorten in der EU zugelassen werden dürfen. Martin Kotynek

Milchindustrie SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Schuh-Werfer will Aysl

Irakischer Volksheld strebt Ausreise in die Schweiz an

Von Karin El Minawi

München - In der arabischen Welt wurde der irakische Journalist Montasser al- Saidi gefeiert, nachdem er in Bagdad bei einer Pressekonferenz seine Schuhe auf George W. Bush geworfen hatte. Jetzt will der 29-Jährige politisches Asyl in der Schweiz beantragen. Sein Genfer Anwalt bestätigte einen entsprechenden Bericht der Schweizer Zeitung La Tribune de Geneve. Saidi wurde am 14. Dezember unmittelbar nach der Schuh-Attacke festgenommen und sitzt seither in einem irakischen Gefängnis.

Anfang Januar trat die Familie Saidis über das Internationale Komitee vom Roten Kreuz mit dem Genfer Anwalt Mauro Poggia in Kontakt. Offenbar machte sie sich große Sorgen um das Leben ihres Angehörigen. Seit dessen Inhaftierung durften die Familie ihn angeblich nur zweimal besuchen, wie der Spiegel unter Berufung auf den irakischen Anwalt des Journalisten, Dija al-Saadi, berichtet. Poggia geht ebenfalls davon aus, dass das Leben des Schuh-Werfers in Gefahr ist.

Saidi soll in der Haft gefoltert worden sein. Nach Angaben seiner Familie, so Poggia, habe der Journalist Verletzungen am Auge, Rippenbrüche, Wunden an Nase und Ohr erlitten. Die irakische Regierung hat die Foltervorwürfe bestritten. Es soll auch kein Besuchsverbot für Saidi geben. Der Anwalt dagegen betont, sein Klient, der für den TV-Sender Al Baghdadia gearbeitet hat, werde im Irak zudem seinem Beruf nicht mehr nachgehen können. Er sei gegenüber der gegenwärtigen Regierung zu kritisch eingestellt. Außerdem müsse er mit Aggressionen von Extremisten rechnen. "Das Leben in seiner Heimat könnte für ihn die Hölle werden", sagte der Anwalt. Die Familie Saidis betrachte die Schweiz dagegen als Land des Friedens und der Menschenrechte. Außerdem habe die Schweiz einen guten Ruf als Flüchtlingsaufnahmeland.

Ein offizielles Asylgesuch könnte Saidi in der Schweizer Botschaft in Bagdad allerdings erst nach seiner Freilassung stellen. "Für die Schweiz müsste es eine Ehre sein, diesem Mann die Hand zu reichen, der gezeigt habe, dass man seine Missbilligung auch ohne Sprengstoff zeigen könne", sagte Poggia im Westschweizer Radio. Er geht davon aus, dass Saidi in der Schweiz auch wieder als Journalist tätig sein könnte.

Saidi sollte bereits Ende Dezember wegen "Aggressionen gegen einen ausländischen Staatschef" vor den irakischen Strafgerichtshof gestellt werden. Der Prozess wurde allerdings auf unbestimmte Zeit vertagt, um einen Einspruch der Verteidigung zu prüfen. Sie will den Schuh-Wurf nur als einfache Beleidigung beurteilt sehen, was zu einem milderen Urteil führen würde. Andernfalls müsste der arabische Volksheld mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren rechnen.

Journalist als Volksheld: Montasser al-Saidi (rechts) wird seit seinem Schuh-Würfen auf US-Präsident George W. Bush von vielen Muslimen verehrt. Foto: AP

Al-Saidi, Muntasar: Rechtliches SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Türkei nutzt Gaskrise als Druckmittel

Erdogan verbindet Planung einer Pipeline durch sein Land mit der Beitrittsfrage

Von Martin Winter

Brüssel - Die Türkei will die Gaskrise zwischen Russland und der Ukraine offensichtlich nutzen, um ihre Aufnahme in die EU voranzutreiben. Bei seinem ersten Besuch seit vier Jahren in Brüssel ließ Ministerpräsident Recep Erdogan am Montag kaum einen Zweifel daran, dass das Schicksal der geplanten Nabucco-Pipeline auch davon abhänge, dass die Beitrittsverhandlungen vorankommen. Bei einer Pressekonferenz wollte er die Freigabe eines Teils der Beitrittsverhandlungen zwar nicht direkt zur Bedingung für Nabucco machen. Aber er wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Verhalten der EU in der Beitrittsfrage einen "großen Einfluss auf die öffentliche Meinung" in seinem Land habe.

Nabucco ist ein wichtiges Instrument beim Versuch der Europäer, sich von russischen Gasquellen und ukrainischen Pipelines unabhängiger zu machen. Die Leitung soll Gas aus dem kaspischen Raum und aus dem Mittleren Osten über die Türkei und an Russland vorbei nach Europa bringen. Die Türkei bekäme mit Nabucco eine wichtige strategische Bedeutung für die Versorgungssicherheit in Europa.

Der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso, drängte seinen Gast, Fragen der Energiesicherheit nicht mit bestimmten Teilen des Beitrittsprozesses "zu verbinden". Doch nachdem Ankara in den letzten zwei Jahren wegen seiner nachlassenden Reformanstrengungen immer heftiger in der EU kritisiert worden war und die Stimmen gegen eine Aufnahme immer lauter wurden, will es jetzt offenbar einen neuen Anlauf nehmen. Dabei steht aber im Wege, dass wichtige Kapitel der Beitrittsverhandlungen politisch blockiert sind, weil die Türkei Verpflichtungen aus ihrer Zollunion mit der EU dem EU-Mitglied Zypern gegenüber nicht nachkommt.

Seit bald einem Jahr versuchen Zypern und das türkisch beherrschte Nordzypern einen Weg zur Überwindung der Teilung zu finden, die die eigentliche Ursache für die Blockade der türkischen Ambitionen ist. Barroso versprach Erdogan, dass die Kommission alles in ihrer Macht Stehende tun werde, dass bald über alle Teile eines Beitritts verhandelt werden könne. Die Europäer müssten begreifen, dass die Türkei "keine Last, sondern ein Gewinn" für die EU sei.

Beziehungen der EU zur Türkei 2006 Pipelines SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Luciano Moggi vor Gericht

498 Entlastungszeugen

Neapel (sid) - An diesem Dienstag beginnt der Prozess gegen Luciano Moggi, 71, den ehemaligen Sportdirektor von Juventus Turin. Moggi, der in Neapel mit weiteren 25 Personen vor Gericht steht, wird beschuldigt, mit Hilfe korrupter Schiedsrichter mehrere Spiele der Meisterschaften 2004/2005 und 2005/2006 zugunsten von Juventus manipuliert zu haben. Er wird auch der Bildung einer kriminellen Vereinigung mit dem Ziel beschuldigt, Einfluss auf Italiens Fußball-System zu nehmen.

In Hinblick auf den Prozess will Moggi 498 Entlastungszeugen laden lassen, darunter auch den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, den Trainer des AC Mailand, Carlo Ancelotti, den Geschäftsführer des Mailänder Klubs, Adriano Galliani, sowie den tschechischen Trainer Zdenek Zeman. Milan-Boss Berlusconi zeigte sich über Moggis Absicht, ihn als Zeugen laden zu lassen, überrascht: "Unsere Wege haben sich nie gekreuzt. Ich begreife nicht, wie ich ihm nutzen könnte." Vor Gericht müssen sich zudem Lazio-Präsident Claudio Lotito, Reggina-Chef Pasquale Foti und der Ehrenpräsident des Erstligisten AC Florenz, Diego Della Valle, verantworten.

Wegen Moggis Verwicklung im Manipulationsskandal hatte Italiens Fußballverband Juventus Turin die Meistertitel 2004/05 und 2005/06 aberkannt. Moggi war vor zwei Wochen von einem Gericht in Rom zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt worden, sein Sohn Alessandro zu 14 Monaten Haft. Moggi senior war wegen Verwicklung in den Manipulationsskandal, der Italiens Fußball im Sommer 2006 erschüttert hatte, zu einer fünfjährigen Berufssperre verurteilt worden.

Moggi, Luciano: Rechtliches SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Bundesliga diskutiert Aufstockung

Hoeneß für 18 Klubs

Frankfurt/Main (sid) - DFL-Chef Christian Seifert hat wegen der kontroversen Diskussionen um eine verkürzte Winterpause und eine Aufstockung auf 20 Klubs die Fußball-Bundesligisten zur Besonnenheit aufgerufen. "Das Thema Aufstockung ist ein ganz relevantes Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Aber wir sollten darauf verzichten, kurzfristig Dinge zu entscheiden, die das Bild der Bundesliga in den nächsten 20 Jahren deutlich verändern würden", sagte der Vorsitzende der Geschäftsführung der Deutschen Fußball Liga (DFL).

Laut Seifert dürfen die durch den neuen Medienvertrag in der kommenden Saison entstehende Delle bei den TV-Einnahmen in Höhe von knapp 25 Millionen Euro sowie die weltweite Finanzkrise nicht als Gründe angeführt werden, um "über eine Aufstockung nachzudenken".

Die Meinungen in der ersten und zweiten Bundesliga gehen weit auseinander. Einen ganz neuen Ansatz brachte dabei Bayern Münchens Manager Uli Hoeneß ins Spiel: "Ich finde, dass die zweite Liga gerne auf 24 Vereine aufgestockt werden kann. Damit habe ich überhaupt kein Problem. Aber die erste Liga muss dringend bei 18 Vereinen bleiben, ich bin eher dafür, sie auf 16 zu reduzieren", sagte er der Münchner Zeitung tz. Als Grund führte Hoeneß die zu hohe Belastung der Spieler an: "Wenn auch noch ein Ligapokal während der Saison dazukommen soll, dann muss ich mir die Frage stellen, was das alles soll? Das wichtigste Kapital für die Vereine sind die Spieler. Wenn man die noch mehr belastet und ein zusätzlicher Spieler deswegen verletzt wird, ist das viel teurer als die Einnahmen, die man durch zusätzliche Heimspiele im Ligapokal kriegt."

Das Problem der Überbelastung betrifft jedoch hauptsächlich die Spitzenklubs der Bundesliga. Für die Zweitligisten ist eine Liga mit nur 18 Vereinen Luxus. "Wenn sich die Bundesliga nicht zu einer Aufstockung durchringt, sollte die zweite Liga ihren eigenen Weg gehen. Wir können uns nicht immer von den Reichen regieren lassen. Die Zeit ist mehr als reif für eine Aufstockung", sagte Harald Strutz, Präsident von Mainz 05.

Fußball-Bundesliga in Deutschland SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Für 15,5 Millionen nach Manchester

Scheich holt Bellamy

London (dpa) - Im Bemühen um Verstärkungen für seine kriselnde Mannschaft hat Manchester City einen weiteren Transfer getätigt. Am Montag einigte sich der zwischenzeitlich sogar in Abstiegsgefahr geratene Premier-League-Klub mit West Ham United auf die Verpflichtung von Stürmer Craig Bellamy. Die Ablösesumme für den 29 Jahre alten walisischen Nationalspieler soll umgerechnet rund 15,5 Millionen Euro betragen. Zuvor war bereits Linksverteidiger Wayne Bridge vom FC Chelsea unter Vertrag genommen worden.

Doch mit dem Bellamy-Einkauf ist der seit der Übernahme durch Scheich Mansour bin Zayed al Nahyan liquideste Klub der Welt längst nicht am Ende seiner Wünsche. Der Milliardär aus Abu Dhabi, der Manchester City vom derzeitigen elften Tabellenplatz in die internationale Spitze führen will, plant weitere Transfers in einer neuen Größenordnung. So stehen besonders der Brasilianer Kaká vom AC Mailand (Angebot: 119 Millionen Euro), aber auch der Niederländer Nigel de Jong vom Hamburger SV (16,5 Millionen Euro) und der frühere Bayern-Stürmer Roque Santa Cruz (rund 19 Millionen/Blackburn Rovers) noch auf der Einkaufsliste. Milan hat Kaka die Freigabe bereits erteilt, obwohl Kaká im Verein bleiben will. Kakás Vater, der auch Berater seines Sohnes ist, drängt den Filius zum Wechsel auf die Insel. Eine Entscheidung wird in den nächsten Tagen erwartet.

Begonnen hatte Manchester die Einkaufstour im Sommer 2008. Damals holte City die Brasilianer Robinho (Real Madrid/43 Millionen Ablöse) und Jo (ZSKA Moskau/24 Millionen). In Manchester steht auch der derzeit verletzte Deutsche Dietmar Hamann unter Vertrag.

Bellamy, Craig: Karriere SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Reals umstrittener 3:1-Sieg

Verweigerte Elfmeter

Madrid (dpa) - Fußball paradox im Bernabéu-Stadion: Ein Angreifer der Gäste-Elf CA Osasuna wird zweimal im Strafraum von Real Madrid gefoult, bekommt aber keine Elfmeter zugesprochen, sondern wird vom Schiedsrichter wegen "Schauspielerei im Wiederholungsfall" vom Platz gestellt. Der Unglücksrabe Juanfran, der einst fünf Jahre bei Real Madrid unter Vertrag stand, verstand die Welt nicht mehr. Seine Elf, der Tabellenletzte, schien gerade in der Lage zu sein, beim Rekordmeister eine Überraschung zu landen, musste sich letztlich aber 1:3 geschlagen geben. Real verhinderte so am Sonntagabend eine Blamage beim Debüt des neuen Klubpräsidenten Vicente Boluda, der den kurz zuvor zurückgetretenen Ramón Calderón abgelöst hatte.

So recht freuen konnten sich die Madrilenen aber nicht, denn ihr Erfolg wurde vom Skandal um den Schiedsrichter überschattet. Die Entscheidungen des Unparteiischen Alfonso Pérez Burrull lösten in der spanischen Fußballwelt eine Welle der Empörung aus. Die Presse schrieb am Montag einhellig davon, der Referee habe dem Außenseiter den Erfolg "gestohlen" und Real die Punkte "geschenkt". Burrull verweigerte dem Außenseiter die Elfmeter in einer Phase, in der das Spiel auf des Messers Schneide stand. Die Zeitung El País bezeichnete den Referee als "eingeschmuggelten Agenten (Reals)". Das Sportblatt Marca forderte: "Der spanische Verband RFEF sollte Pérez Burrull für möglichst lange Zeit auf Eis legen." Selbst Reals Sportdirektor Predrag Mijatovic räumte ein: "Ich denke, dass Osasuna benachteiligt wurde." Torwart Iker Casillas ergänzte: "Zumindest eine der beiden Szenen sah stark nach Elfmeter aus." Der gefoulte Juanfran verließ nach der gelb-roten Karte entnervt das Feld: "Ich gehöre nicht zu den Spielern, die sich im Strafraum fallenlassen", sagte er.

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Zurück zur Familie - halleluja!

Ganz Köln betrachtet die Heimkehr von Lukas Podoslki als Geschenk, doch das Team des 1. FC wird dadurch auf die Probe gestellt

Köln - Keinen Kölner hätte es mehr gewundert, wenn sie am Montagmorgen um neun im Südturm des Doms die St. Petersglocke geläutet hätten. Der "decke Pitter" ist die Paradeglocke der Kathedrale, und sein Einsatz ist eigentlich den hohen kirchlichen Feiertagen vorbehalten. Gelegentlich wird das 24 Tonnen schwere Stück aber auch bei profanen Anlässen in Gebrauch genommen, zum Beispiel läutete es im Jahr 1990 beim deutschen Wiedervereinigungsakt, und eine Form der feierlichen Wiedervereinigung ist die am Montag verkündete Heimkehr des Nationalspielers Lukas Podolski nach Köln auf jeden Fall. Das werden nicht mal die Skeptiker bestreiten, von denen es tatsächlich welche gibt in der Stadt und angeblich sogar im Klub - man kann sie bloß nicht hören. Sie schweigen lieber.

T-Shirts für 15 Euro

Podolski, 24, wird im Sommer vom FC Bayern zum 1. FC Köln wechseln, die letzten technischen Fragen des Geschäfts klärten die Parteien am Sonntag. Dafür mussten die FC-Sachwalter Michael Meier und Claus Horstmann nicht mehr nach München reisen, die entscheidende Verhandlungsrunde zu dem von beiden Seiten gewollten Handel hatte man bereits während der vergangenen Woche im Münchner Hotel "Vierjahreszeiten" bewältigt. Für die Kölner war Podolskis Heimkehrwunsch ein moralischer Auftrag, "er ist seinem Herzen gefolgt", wie Präsident Wolfgang Overath am Montag erläuterte. Für die Münchner galt Ähnliches: Man habe "dem Wunsch des Spielers entsprochen", erklärte Manager Uli Hoeneß. Angebote anderer Klubs, die den Bayern womöglich mehr Geld eingebracht hätten, gingen offenbar nicht in die Debatte ein.

Rund zehn Millionen Euro Entschädigung erhalten die Bayern, damit sie den Angreifer aus seinem bis 2010 geltenden Vertrag freigeben. Beim FC verpflichtete sich Podolski bis Juni 2013. Mit der Kollekte zur Kostendeckung begannen die Kölner gleich nach Bekanntgabe der Vereinbarung, auf seiner Homepage offerierte der Klub eine Auswahl an T-Shirts, deren Themen allesamt um das Leitmotiv dieser außergewöhnlichen Transaktion kreisten: Ein Sohn der Stadt kommt nach Hause - zurück zur Familie, halleluja! Auf einem der angebotenen T-Shirts ist Podolski das Puzzleteil eines Kölner Ganzen, das nur die wichtigsten zeitgenössischen Merkmale enthält: Dom mit Rheinpanorama, Müngersdorfer Stadion, Geißbock Hennes VIII, Poldi.

Die T-Shirts kosten zwölf bis 15 Euro, und jeder FC-Anhänger darf sich beim Kauf als Patriot fühlen. Seit die Klubgremien im frühen Herbst zum Ziel erklärt haben, Podolski aus dem bayrischen Exil zu erlösen, haben die Verantwortlichen an einem Finanzierungsmodell gearbeitet, die T-Shirts sind ein - kleiner - Teil davon. Vorstand und Verwaltungsrat haben den Plan für gut befunden, über Einzelheiten ist trotzdem nicht viel bekannt geworden - der FC hat das Geschäft trotz des ungeheuren Mediendrucks seriös und diskret abgewickelt. Aber dass der Klub mit dem Rekordtransfer einen Kraftakt leistet, ist offensichtlich: Die vergangene Saison, die zweite hintereinander in der zweiten Liga, war den FC teuer zu stehen gekommen, er verzeichnete ein Minus von 2,27 Millionen Euro. "Die zweite Liga kostet Substanz", hatte Geschäftsführer Horstmann erklärt und auf die geringeren TV- sowie Transfereinnahmen verwiesen. Für den Kauf Podolskis begibt sich der Klub nun erst recht ins Defizit, die zusätzlichen Vermarktungserlöse, die der "nationale Liebling" (Michael Meier) ermöglicht, werden nur einen Teil der benötigten Summe decken. Einen weiteren beweglichen Beitrag erhoffen sich die Kölner aus einem Gastspiel des FC Bayern im Sommer, das mit Hilfe von Sponsoren und der üblichen Volksmusikanten (Höhner, Brings) als großes Freudenfest inszeniert werden soll.

Für Trainer Christoph Daum ist der Erwerb des Nationalspielers ein sportliches Geschenk - und gibt doch Anlass zu ein paar Sorgen: Sein sorgsam ausbalanciertes Mannschaftsgefüge mit Fußballern aus 17 Nationen wird durch die Ankunft des Stars auf die Probe gestellt werden, Podolski wird außerdem erheblich mehr Gage erhalten als die bisherigen Großverdiener im Kader. Daum war sich der Empfindlichkeit des Themas aber immer bewusst, er hat öffentlich keinerlei Einwand anklingen lassen. Er hat lediglich darauf hingewiesen, dass er der Operation nur unter der Bedingung zugestimmt habe, dass seine Mannschaft im Sommer durch weitere neue Spieler verstärkt werde. Der Vollzugsmeldung der beiden Klubs schloss sich der Trainer mit angemessen großen Worten an: "Das ist ein Meilenstein in der Geschichte des FC und ein weiteres Zeichen des Aufbruchs", verkündete er.

Giftige Stacheln

Pathos und Rührseligkeit gehören zu dieser Geschichte dazu. Selbst Bundestrainer Löw hatte sich dem nicht entziehen wollen und seinem Schüler geraten, "auf sein Herz zu hören" - und also wieder nach Köln zu gehen. Doch die Zeit bis zum Umzug an den Rhein könnte sich für Podolski noch quälend hinziehen. Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann unterlässt es zwar in keiner Stellungnahme, Podolskis Begabung und menschliche Liebenswürdigkeit hervorzuheben, aber das Lob enthält auch jedesmal giftige Stacheln. Ob Klinsmann den abtrünnigen Spieler in der Rückrunde noch mal spielen lässt, erscheint ziemlich fraglich. "Das liegt an ihm", hat der Trainer am Wochenende gesagt, "aber es wird nicht einfach für ihn." Philipp Selldorf

Einmal Kölner, immer Kölner: Lukas Podolski (auf dem Foto im Sommer 2004) wird ab Juli wieder den Geißbock auf dem Herzen tragen. Foto: dpa

Podolski, Lukas: Beruf SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Hilferuf am Scheideweg

In der Basketball-Liga steigt die Angst vor Insolvenzen

Köln - Im Herbst war die Welt noch in Ordnung. Die finanziellen Planzahlen der Basketballklubs zum 30. September waren im Rahmen der Erwartungen ausgefallen, während der "Lehrstuhl für innovatives Markenmanagement" der Universität Bremen im Auftrag der Basketball-Bundesliga (BBL) unter Fans und Branchenbeobachtern eine Umfrage durchführte, deren Ergebnis in diesem Frühjahr präsentiert und der Liga zur Verbesserung ihrer Markenstrategie verhelfen soll. Die BBL war eigentlich gerade auf Innovation eingestellt, als ihr Geschäftsführer Jan Pommer am Freitag kurz vor der jährlichen Branchensause namens "All Star Day" eine Mitteilung auf seinem Blackberry empfing, die er "höchst verwunderlich" fand und die für all die Visionen kontraproduktiv war.

Die Paderborn Baskets, seit zweieinhalb Jahren eines der kleinen und unauffälligen Mitglieder in der Bundesliga, sehen ihre Spielbetriebs-GmbH von einer Insolvenz bedroht und haben diese Furcht ohne Absprache mit der Ligenleitung als Mobilisierungsversuch für die örtliche Wirtschaft in einer Pressemitteilung formuliert. Für die BBL war dies Anlass, am Rande des sonst von purer Zuversicht geprägten "All Star Days" ihre Aufbruchstimmung kurzerhand mit allerhand Warnsignalen zu verkleiden. "Wir machen uns Sorgen um das Sponsoring", sagt Pommer, "deshalb haben wir den Klubs ein Worst-Case-Szenario aufgezeichnet!" Dieses Szenario verheißt fünf bis zehn Millionen Euro weniger Sponsoringeinnahmen in der kommenden Spielzeit und veranlasste die Ligenleitung, ihre Klubs zu mehr Sparsamkeit anzuhalten. Ungeachtet dieser Aufforderung zur Gen gsamkeit wird die BBL ihren Vereinen ab der kommenden Saison je einen hauptamtlichen Mitarbeiter für die Ressorts Finanzen, Marketing und Public Relations abverlangen. Das bedeutet für einige Klubs noch mehr Ausgaben.

Paderborner Probleme

Es wird also künftig noch enger für die Paderborner, selbst wenn die positiven Signale, die der Präsident Wolfgang Walter am ersten Wochenende nach dem Hilferuf bekommen hat, die Rettung bedeuten sollten. Etwa 300 000 Euro fehlen den Baskets bis zum Saisonende, "aber unsere Mitteilung hat schon jetzt einen Ruck in der örtlichen Wirtschaft ausgelöst". Die Paderborner GmbH rangiert mit einem Saisonetat von knapp 1,4 Millionen Euro am unteren Ende der BBL-Finanztabelle und beklagt in dieser Saison neben dem latenten Mangel an Sponsoren auch noch einen unerwartet deutlichen Einbruch bei den Zuschauerzahlen. Um knapp 500 Besucher pro Heimspiel ist der Schnitt auf 2131 abgestürzt. 20 Prozent weniger Zuschauereinnahmen verzeichnet in der ohnehin schwierigen Branche sonst kein Klub. Die klammen Paderborner sind im dritten Jahr ihrer Erstligazugehörigkeit am Scheideweg angelangt. Entweder finden sich neue Geldgeber, oder der vorbildlich geförderte Nachwuchs muss sich künftig mit dem Ziel Regionalliga begnügen.

Rückgang beim Sponsoring

Derlei Hilferufe von BBL-Klubs sind nicht neu. In der vergangenen Saison kamen sie aus Jena und Köln, in dieser aus Gießen und Paderborn. Die Furcht vor der existenziellen Not einzelner Klubs "gehört hier permanent dazu", sagt Pommer als Chef der in Köln ansässigen BBL-Zentrale. Dass die Wirtschaftskrise seiner Branche schaden könnte, hatte er sich schon vor der unheilvollen Mitteilung aus Paderborn ausgemalt, aber womöglich erst durch sie sah sich die Liga in letzter Konsequenz veranlasst, die wirtschaftlichen Erwartungen demonstrativ herunterzuschrauben. Der Gesamtumsatz der BBL betrug vergangene Saison 48 Millionen Euro, wovon 56 Prozent aus dem Sponsoring stammen. Das sind knapp 27 Millionen Euro. Aus der BBL heißt es, der Umsatz werde in der laufenden Saison wohl noch um ein paar Prozent ansteigen, aber schon zur kommenden Saison würden sich die Sponsoring-Einnahmen deutlich verringern. Dies würde sich angesichts der hohen Quote maßgeblich auf den Umsatz auswirken.

"Durch die Finanzkrise kommen erhebliche Sponsorenprobleme auf die Vereine zu", sagt der BBL-Präsident Thomas Braumann, "deshalb haben wir sie aufgefordert, ihre Budgets konservativ zu planen." Für eine höhere Kosten-Disziplin will die BBL künftig strenger in die Bücher schauen. Wer die Vorgaben nicht erfüllt, könnte schneller entlizensiert werden als bislang. Die BBL schließt eine Verkleinerung der 18 Teams umfassenden Liga nicht mehr aus. "Wenn nur noch 16 oder 14 Klubs die Standards erfüllen, kommt die Verkleinerung der Liga", sagt Braumann. Vor allem, dass die Paderborner der BBL am 4. November noch nichts von der Gefahr einer Insolvenz angedeutet hatten, sorgt in Köln für Missstimmung. "Im November hatten sie uns gesagt, es sei alles okay", sagt Braumann. "Sollten sie uns verkohlt haben, bekommen sie mit uns ein ernstes Problem." Ulrich Hartmann

Basketball in Deutschland Basketball-Bundesliga Männer SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Neuartige Strategie

Russlands latent dopingverdächtige Biathleten werden seit Tscheressows Sperre langsamer

Ruhpolding - Die eigene Überlegenheit war zwischendurch zum Rätsel geworden. Halb nachdenklich, halb kokettierend hatte die russische Biathletin Ekaterina Iouriewa nach dem fulminanten Staffelsieg von Oberhof am 7. Januar ausgerufen: "Gibt es denn noch Hoffnung, dass wir nochmal verlieren?" Russlands Frauenteam war soeben mit dem kapitalen Vorsprung von einer Minute und zehn Sekunden ins Ziel gekommen. Als die Nachfolgenden ankamen hatten die Mannschaftsmitglieder von Trainer Alexander Selifonow bereits Händeschütteln und Schulterklopfen beendet. Die Dominanz verblüffte aber nicht nur Iouriewa. Denn eigentlich ist die Weltspitze im Biathlon breiter und stärker geworden und viele Nationen rüsten auf. Andererseits - lange musste die junge Russin sich nicht um ernstzunehmende Gegnerinnen sorgen. Denn am nächsten Tag wurde Männerkollege Tscheressow wegen zu hoher Hämoglobinwerte gesperrt, und seitdem kann von brutaler russischer Überlegenheit keine Rede mehr sein, weder bei Männern noch Frauen.

Auf ihnen lastet wegen diverser Vorkommnisse aus der Vergangenheit ein gewisser Dopingverdacht. Nicht nur posisitive Proben wie bei Olga Pylewa (heutige Medwetsewa) nähren diesen, sondern vor allem das Verhalten eines Verbandes, der die Bemühungen um einen transparenten Antidopingkampf nicht ernst zu nehmen scheint. Weil die russische Biathlon Union (RBU) zum Beispiel eine Ausnahmegenehmigung für das Hämoglobinwunder Tscheressow (er war schon 2007 mit 18,2 Gr./dl Blut gemessen worden), spricht IBU-Medizinchef James Carrabre von einer rätselhaften russischen Mentalität und bedauert, die russischen Ärzte würden den internationalen Kollegen nicht vertrauten. Dass jenen das Misstrauen nun massiv entgegenschlägt, ist also selbstverschuldet.

Neuestes Indiz ist der Leistungsabfall der gesamten Mannschaft seit den Oberhofer Staffelrennen. Wie immer muss berücksichtigt werden, dass im Biathlon plötzliche Krankheiten oder verwachste Ski für vereinzelte Rückschläge sorgen können, doch der Einbruch der Russen ist umfassend und kam fast zur gleichen Zeit. Die besten drei Frauen und Männer aus der RBU-Auswahl ereilte seit dem Wochenende von Oberhof ein relativ gleichmäßiger Leistungsabfall von einer halben bis einer Minute.

Eins und eins

In der reinen Laufzeit, also abzüglich des Aufenthalts in der Schießarena, verschlechterte sich Iouriewa durchschnittlich um 50 Sekunden. Sie wendet ein, sie sei krank geworden. Albina Achatowa, 32, wurde im Vergleich zu ihren Laufleistungen im Dezember um 40 Sekunden langsamer. Und auch die Gesamtweltcupführende Swetlana Sleptsowa, vor Weihnachten fast immer die Schnellste, ließ seit Tscheressows Sperre um durchschnittlich 20 Sekunden nach.

Bei den Männern ist es ähnlich: Tscheressow, im Einzelrennen über 20 Kilometer am 18. Dezember noch Laufzeitbester mit zehn Sekunden Vorsprung, lief nach seiner Sperre in Ruhpolding dem Schnellsten einmal um 48 und einmal um 54 Sekunden hinterher. Dimitri Iaroschenko hatte nach der Sperre des Kollegen in Oberhof zunächst noch die üblichen Rückstände von einer halben Minute, in Ruhpolding brach er ein. Im Sprint lief er der Spitze um 77 Sekunden hinter, in der Verfolgung trat er gar nicht an. Maxim Tschudow, 26, schließlich verlor in derselben Zeit grob eine halbe Minute. Tschudow ist der Mann, der bei der WM 2008 in Östersund durchschnittlich eine halbe Minute schneller war als der Rest der Biathlonwelt.

Relative Zeiten sind das, gemessen wird immer nur am Tempo des Besten, und Uwe Müssiggang, der Trainer der deutschen Biathletinnen, wies in Ruhpolding darauf hin, dass seine Läuferinnen in der Zwischenzeit ja auch besser geworden seien. Neuartig wirkt die Strategie der russischen Vorbereitung zum Saisonhöhepunkt dennoch: dreieinhalb Wochen vor der WM kollektiv nachzulassen.

Dass viele Beobachter sich darüber nicht nur wundern, sondern auch eins und eins zusammenzählen, hängt zudem mit Umständen zusammen, für die die aktuelle Weltcupmannschaft der RBU vielleicht gar nichts kann. In den vergangenen beiden Jahren wurden russische Mannschaften in zwei anderen Ausdauersportarten des gemeinsamen systematischen Dopings überführt. Der Leichtathletikweltverband sperrte vor Olympia sieben russische Mittel- und Langstreckler. Und wegen einer Serie von Dopingvergehen wäre auch die komplette russische Rudermannschaft fast von den Spielen in Peking ausgeschlossen worden.

Die Sportarten unterscheiden sich, die Strukturen sind jedoch ähnlich. Bezahlt und trainiert werden die Athleten jeweils von einem mächtigen, ehrgeizigen, manchmal willkürlich agierenden und undurchsichtigen Verband. So wie auch im Biathlon. Volker Kreisl

Plötzlich außer Puste: Die Weltcup-Erste Swetlana Sleptsowa präsentiert sich nach überragendem Saison-Auftakt in den vergangenen Wochen auffällig müde. Foto: AP

Biathlon SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

"Ich höre auf meinen Körper"

Tennisprofi Florian Mayer über seine achtmonatige Turnierpause und die neue Lust auf Reisen

Florian Mayer, 25, ist zurück. Von Mai bis Dezember 2008 hatte der Tennisprofi pausiert. Ausgelöst hatte die Auszeit eine gerissene Sehne des Zeigefingers der linken Hand. Doch Mayer merkte schnell, dass nicht nur ein paar Fasern nachwachsen mussten, bevor er sich wieder auf die Tennistour würde wagen können. Er hatte die Lust auf den Sport verloren, mit dem er im Alter von fünf Jahren begonnen und der ihn bei seinem ersten Wimbledon-Auftritt 2005 gleich ins Viertelfinale geführt hatte. Drei Monate lang rührte er keinen Schläger an. Dann begann er, systematisch an seiner Fitness zu arbeiten. In die Australian Open startete er am Montag als Qualifikant mit einem 6:2-, 6:1-, 6:2-Erfolg gegen den Argentinier Lamine Ouahab - und einigen ungewöhnlich offenen Bekenntnissen.

SZ: Es ist selten, dass ein Tennisprofi im Alter von 25 Jahren länger pausiert, als er unbedingt muss. Wie kam es dazu?

Mayer: Die Pause war eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Die vergangenen Jahre waren hart. Ich war ausgebrannt. Ich fühlte mich auf dem Platz schlecht, nicht fit. Auf die Turnierreisen hatte ich auch keine Lust mehr.

SZ: Warum?

Mayer: Immerhin mache ich das jetzt auch schon seit sechs Jahren - um die Welt reisen, immer die gleichen Städte und Turniere sehen. Da rutscht man leicht in eine Krise. Viele Spieler auf der Tour kennen das.

SZ: Wie haben Sie die Motivation wiedergefunden?

Mayer: Ich habe monatelang kein Tennis gespielt. Das war gut. Man verlernt das Spiel ja nicht. Nach einer Woche war ich wieder drin. Ich habe in der Zeit aber gelernt, wie wichtig es ist, mental voll da zu sein. Der Kopf ist fast das wichtigste Körperteil beim Tennis. Man muss immer präsent sein, kämpfen. In den vergangenen ein, zwei Jahren habe ich das nicht gemacht. Ich habe viele Matches verloren, weil sie mir im Grunde egal waren. Das ist jetzt wieder anders.

SZ: Wie ist es jetzt?

Mayer: Ich bin wieder ganz der Alte. Ich habe Spaß, bin motiviert und freue mich auf die Reisen. Selbst wenn die bloß nach Heilbronn oder Wolfsburg gehen. Ich habe so viele Weltranglistenpunkte verloren, dass ich wieder bei kleineren Turnieren spielen muss. Aber das stört mich nicht.

SZ: Haben Sie irgendwann überlegt, das Profi-Tennis ganz aufzugeben?

Mayer: Nein. Mir war klar, dass ich spielerisch vor keinem Angst haben muss. Ich war zweimal schon an den Top 30, ohne dass ich mein bestes Tennis gespielt hätte. Ich weiß, dass ich dort wieder hinkommen kann. Ich habe immer gehofft, dass die Lust und der Spaß wiederkommen.

SZ: Haben Sie denn Angst vor einem Rückfall?

Mayer: Nein. In einem halben Jahr kann man sehr viel Kraft tanken. Ich bin mir sicher, dass mir etwas Ähnliches in den nächsten Jahren nicht passiert.

SZ: 2004 sind Sie innerhalb von vier Monaten von Weltranglistenplatz 250 bis auf Position 33 geschossen. Kam der Erfolg zu schnell?

Mayer: Ganz sicher. Ich bin mit den vielen Veränderungen nicht klargekommen. Die großen Turniere, der Rummel, der Druck. Manche finden es geil, wenn sie auf den Center Court spielen dürfen und im Mittelpunkt stehen. Mir war das unangenehm. Ich hätte mehr Zeit gebraucht, um mich darauf einzustellen.

SZ: Wie hat die Pause Ihre Einstellung zum Tennis verändert?

Mayer: Ich versuche, alles etwas lockerer zu sehen, die Reisen zu genießen. Ich gehe die Turnierplanung sorgfältiger an. Ich gönne mir mehr Pausen. Ich höre auf meinen Körper.

SZ: Welche Rolle spielt die Fitness?

Mayer: Eine große. Früher habe ich das total unterschätzt. Damals habe ich gedacht, es reicht, wenn ich viel Tennis spiele. Das war ein Trugschluss. Jetzt bin ich ein halbes Jahr lang gerannt, habe Kraft- und Schnelligkeitstraining gemacht. Das merke ich. Ich bin sicher doppelt so fit wie früher. Mir fällt es viel leichter, mich zu konzentrieren. Ich regeneriere schneller. Ich habe schlicht keine Angst mehr, m de zu werden.

SZ: Spaß, Lust, Genuss - das klingt fast so, als sei Ihnen die Weltrangliste nicht mehr so wichtig?

Mayer: Im Moment ist das so. Natürlich will ich in den nächsten ein, zwei Jahren wieder in die Top 30 kommen. Aber wenn ich gut spiele, dann klappt das automatisch.

Aufgezeichnet von René Hofmann

Erstrundensieg: Florian Mayer Getty

Mayer, Florian: Interviews SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Kugelstoßer Harting attackiert DLV

Goldmann will klagen

Frankfurt/Main (dpa) - Der Doping-belastete Trainer Werner Goldmann will gegen den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) vors Arbeitsgericht ziehen. Dies betätigte der 58-Jährige am Montag. "Das ist sein gutes Recht", sagte DLV- Präsident Clemens Prokop, der davon ausgeht, dass das Arbeitsgericht in Darmstadt für den Fall zuständig ist. Angesichts des bevorstehenden Verfahrens wollte Goldmann, Coach von Diskus-Vizeweltmeister Robert Harting, keine weiteren Angaben machen. Gegen den Werfer-Spezialisten waren vor Olympia in Peking Dopingvorwürfe aus seiner Zeit als DDR-Trainer erhoben worden. Der frühere Kugelstoßer Gerd Jacobs, staatlich anerkanntes Dopingopfer aus DDR-Zeiten, hatte behauptet, Goldmann habe ihm in den 80er Jahren das Anabolikum Oral-Turinabol verabreicht. Der Trainer hatte die Vorwürfe bestritten und die vom DOSB geforderte Ehrenerklärung unterschrieben. Vom DLV hat er ab 1. Januar keinen neuen Vertrag mehr erhalten. Der Verband folgte damit der Empfehlung der Unabhängigen Anti-Doping-Kommission des DOSB unter Leitung des früheren Bundesverfassungsrichters Udo Steiner.

Gegen das Vorgehen des Verbandes hatten 20 deutsche Werfer, darunter Diskus-Weltmeisterin Franka Dietzsch, per offenem Brief protestiert. Harting hatte zudem den DLV ungewöhnlich scharf angegriffen. Das Verhalten des Verbandes sei "eine Schande für alle Sportler", sagte der 24-Jährige Berliner in einem Interview. Und: "Ich fühle mich vom Verband verraten!" Der Diskuswerfer hatte aber auch eingeräumt, Goldmann habe mehrmals die Möglichkeit gehabt, "richtig auszupacken und hat es nicht gemacht".

Eine der Kernfragen im Arbeitsprozess sei, ob Goldmann nach fünf Arbeitsverträgen überhaupt noch in einem Zeitvertragsarbeitsverhältnis stand oder bereits ein unbefristetes Arbeitsverhältnis hatte, sagte DLV-Generalsekretär Frank Hensel dem Deutschlandfunk.

Goldmann, Werner: Rechtliches SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Im Schatten eines Teenies

Roger Federer hat bei den Australian Open mehr im Visier als bloß einen Ball - aber spätestens seit 2008, als er in Melbourne geschwächt antrat und das Halbfinale gegen Novak Djokovic verlor, weiß der Schweizer, wie ernst man manche Sportfloskeln zu nehmen hat, zum Beispiel: Immer bloß ein Spiel nach dem anderen angehen - bloß nicht zu weit nach vorne schauen. Am Montag gelang das, auch wenn das 6:1, 7:6 (4), 7:5 gegen den Italiener Andrea Seppi durchaus mühsam war. Federer dürfte es ganz recht gewesen sein, dass er im Schatten eines Einheimischen stand: Der 16-jährige Australier Bernard Tomic, 2008 Sieger der Junioren-Konkurrenz in Melbourne und in der Weltrangliste auf Position 768 notiert, gewann bei seinem Grand-Slam-Debüt gegen den Italiener Potito Starace 7:6 (5), 1:6, 7:6 (5), 7:6 (6). Damit ist Tomic - im Alter von 16 Jahren und 89 Tagen - der bisher jüngste Spieler, der bei den Australian Open ein Match gewann. Tomic ist 94 Tage jünger, als es sein Landsmann Todd Woodbridge bei dessen Erstrundensieg im Jahr 1988 war. Auch der älteste Spieler im Feld kam weiter: Der Franzose Fabrice Santoro, 36, entzauberte den ehemaligen Weltranglisten-Ersten Juan Carlos Ferrero 6:3, 6:2, 6:7 (5:7), 6:2 - und trifft nun auf Philipp Kohlschreiber. Der Augsburger überzeugte beim 7:6 (6), 6:3, 6:2 gegen Sam Querrey und war neben Florian Mayer der einzige von sechs deutschen Männern, der am Montag die zweite Runde erreichte. SZ / Foto: AP

Federer, Roger: Karriere SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Quarterback aus dem Supermarkt

Ein Sieg über die Experten: Kurt Warner führt mit 37 Jahren das Außenseiterteam Arizona Cardinals in die Super Bowl

Phoenix - Kurt Warner ist ein frommer Christ, deshalb bekommt man von ihm meist ein Lächeln zu sehen, selbst wenn Schadenfreude oder Kraftausdrücke angebracht wären. Wie sich das alles angehört haben muss für ihn, diese Statistiken, all diese Experten, die sagten, er habe keine Chance mehr. Für einen, der doch schon einmal die Super Bowl gewonnen hat, nachdem ihn jahrelang kein NFL-Team haben wollte. Der lange Zeit für den amerikanischen Mindestlohn im Supermarkt gearbeitet hat, später in die damalige Football-Europaliga abgeschoben wurde, und der in den vergangenen sechs Jahren gerade mal 58 Spiele bestreiten durfte, weil er immer wieder jüngeren Quarterbacks weichen musste. Jetzt hat Kurt Warner erneut die Super Bowl erreicht, und alles, was er sagt ist: "Ohne meine Familie hätte ich das nie geschafft." Die habe immer an ihn geglaubt. Im Gegensatz zu den Experten. Er schaffte es ausgerechnet auch noch mit den Arizona Cardinals, jener Mannschaft, die zuletzt die Meisterschaft gewann, als diese noch gar nicht Super Bowl hieß. Als das Team noch nicht einmal in Arizona spielte und Harry S. Truman Präsident war, 1947. Und wie die Experten im Vorfeld über Kurt Warner redeten, hörte es sich an, als sei Warner damals schon dabei gewesen.

Chronisch unterschätzt

Warner ist jetzt 37 und damit der drittälteste Quarterback, der jemals das Finale erreichte. Das ist eine von den vielen Statistiken, die nichts besagen. Sein Alter spielte in der NFC-Championship-Partie gegen die Philadelphia Eagles keine Rolle. Die Cardinals gewannen mit 32:25, weil Warner eben nicht so langsam auf den Beinen ist, wie viele immer noch denken. Donovan McNabb, der ebenfalls chronisch unterschätzte Quarterback der Eagles, tat in der zweiten Halbzeit sein Bestes, um den deutlichen Rückstand wettzumachen. Doch nach einem kurzen Rückstand gewannen die Cardinals durch einen Touchdown von Tim Hightower drei Minuten vor Schluss.

So sehr Warner jetzt geschätzt wird, er ist nicht alleine verantwortlich für den Erfolg. Die Cardinals haben noch mehr gute Spieler in ihrer Offensive, doch wegen Verletzungen standen sie bisher nur selten gemeinsam auf dem Feld. Die junge Abwehr wirkte zudem oft nicht eingespielt und war für sieben Niederlagen in 16 Spielen verantwortlich. Philadelphia zum Beispiel watschte die Cardinals in der Punkterunde mit 48:20 ab. Vor den Playoffs sind die wichtigen Spieler wieder gesund geworden, und es zeigt sich, dass die richtige Mischung wichtiger ist als alle Zahlen, mit denen die Experten versuchen, die Footballwelt zu erklären. Außerdem wurde Receiver Larry Fitzgerald mit jedem Spiel besser. Gegen die Eagles fing er drei Touchdown-Pässe von Warner. Der Quarterback fühlt sich wohl mit Fitzgerald, ebenso mit Coach Ken Whisenhunt, der in seinem zweiten Jahr als Cheftrainer die Weisheit besaß, dem alternden Quarterback den Vorzug zu geben. Doch eine Wohlfühlstatistik gibt es nicht einmal in der National Football League (NFL). Ebenfalls zu kurz kommt die Diskussion über einen Trend in der NFL, der auf den ersten Blick schöne, unglaubliche Schicksale wie jene von Kurt Warner verspricht. Langfristig aber bringt er die Ligaverantwortlichen in Erklärungsnot. Immer öfter nämlich stehen Außenseiter im Finale.

Der Trend zum Außenseiter

2002 wurde die Struktur der Liga geändert, seitdem spielen die Teams in kleineren Divisionen, dafür gibt es mehr. Und weil sich jeder Divisionssieger automatisch für die Playoffs qualifiziert, bleiben nun immer öfter Divisionszweite auf der Strecke, die eigentlich eine bessere Saison gespielt haben. Dieses Mal konnten die New England Patriots nach elf Siegen und fünf Niederlagen zu Silvester Urlaub nehmen. Die Indianapolis Colts mussten trotz einer 12:4-Serie (12 Siege, 4 Niederlagen) in der ersten Playoff-Woche auswärts antreten - und verloren gegen das 8:8-Team San Diego Chargers.

In der Super Bowl 43 treffen nun am 1. Februar in Tampa die Cardinals auf den AFC-Champion Pittsburgh Steelers, die in einem brutal geführten Spiel die Baltimore Ravens mit 23:14 besiegten. In diesem Fall stand das Ergebnis laut Statistik tatsächlich schon fest, denn die Steelers stellen die beste Abwehr der Liga. Sie sind immer gut für einen Sieg und zweifelsfrei Favorit. Doch das Wort Cardinals, das wird nun in den USA ausgesprochen wie "Barack Obama", mit einer Mischung aus Unglaube und Hochachtung. "Arizona Cardinals und Super Bowl in einem Satz, na, wie hört sich das an?", rief Kurt Warner nach dem Spiel den Journalisten zu. Es hört sich neu an. Und das aus dem Mund eines so alten Mannes. Christoph Leischwitz

"Cardinals und Super Bowl, na, wie hört sich das dann?" Kurt Warner, Dirigent des Football-Teams aus Arizona. Foto: Reuters

SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Sinkewitz stellt Blutwerte ins Internet

Schritt zur Transparenz

Künzell (sid) - Radprofi Patrik Sinkewitz hat wie angekündigt die Ergebnisse seiner Dopingkontrollen auf seine persönliche Internetseite gestellt. "Sie finden hier sämtliche Blutwerte aus allen Tests, die (der Radsportweltverband) UCI seit dem letzten Quartal 2008 veranlasst und für mich sichtbar gemacht hat", teilte Sinkewitz mit. Ein solches Vorhaben hatte auch der siebenmalige Tour-Gewinner Lance Armstrong vor seinem Comeback angekündigt, bisher aber nicht umgesetzt.

Der geständige Dopingsünder Sinkewitz wurde in dem Zeitraum dreimal getestet. Sein Hämatokrit-Wert lag bei 48,3 Prozent (18. September), 45,5 Prozent (23. September) und 43,9 Prozent (13. Oktober). Der Grenzwert liegt bei 50 Prozent. Ein höherer Wert kann, muss aber kein Hinweis auf Doping sein. Athleten mit Werten, die diese Grenze überschreiten, werden aus Gesundheitsgründen für einige Tage suspendiert.

Der Hesse teilte er mit, er sei weitere Male getestet worden. Dies geschah jedoch durch die nationale Antidoping-Agentur und die Weltantidoping-Agentur Wada. Diese Werte, so Sinkewitz, werden ihm nicht zur Verfügung gestellt: "Man teilte mir mit, dass das Blood-Passport-Tool derzeit nur von der Wada und den internationalen Verbänden genutzt werden kann. Die Nada veröffentlicht momentan keine Testergebnisse."

Sinkewitz fährt derzeit in Diensten des zweitklassigen Teams PSK aus Tschechien. Sein Comeback nach anderthalbjähriger Abstinenz wird der vom Topfahrer-Betrieb ausgegrenzte frühere Sieger der Henninger-Turm-Rundfahrt bei der Ruta del Sol (15. bis 19. Februar) geben.

Sinkewitz, Patrik: Berufsvergehen Doping im Radsport SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de