Gefangen in einem kleinen Stück Dschungel
Sri Lankas Armee hat die Tamil Tiger fast besiegt - nun jagt sie den Chef der Rebellen
Singapur - Lebend ergeben würde sich Velupillai Prabhakaran wohl nie. Der Chef und Gründer der Tamil Tiger, ein 55-jähriger Guerillakämpfer von gedrungener Gestalt und mit unbedingtem Kampfeswillen, trägt in seiner Tasche immer eine Kapsel mit Zyankali. Sollte ihn die srilankische Armee stellen, würde er sich wahrscheinlich umbringen. Viele Kader seiner Rebellenorganisation zogen in den vergangenen 25 Jahren des Bürgerkriegs den Selbstmord der Schmach einer Verhaftung vor. Die meisten von ihnen nahmen Zyankali. Sie taten es auf Geheiß von Prabhakaran, dessen Befehle nie viel Raum für Interpretationen offenließen.
Nun macht es den Anschein, als stehe Velupillai Prabhakaran, der von Militärexperten als gescheiter Stratege und Taktiker beschrieben wird, selber am Ende. Glaubt man dem srilankischen Armeechef, Sarath Fonseka, ist die militärische Offensive zu 95 Prozent abgeschlossen. Und für die restlichen fünf Prozent, so der General, genügten einige Monate. Das Militär hat die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) mit seiner massiven, brutalen, einjährigen Offensive am Boden, aus der Luft und vom Meer zusehends in die Enge getrieben.
Die Tiger sind umzingelt, geschwächt wie nie zuvor in dem Konflikt und fast ohne konventionelle militärische Optionen. Von ihrem früheren Hoheitsgebiet bleibt nur noch ein kleines Stück Dschungel im Norden der Insel übrig, etwa 30 auf 50 Kilometer, aus dem sie höchstens noch als Guerillakämpfer operieren können. In den vergangenen Tagen hat die Armee auch die letzte Hochburg der Tiger eingenommen, die Küstenstadt Mullaitivu, das militärische Hauptquartier der Rebellen. Als die Armee in die Stadt eindrang, waren die Tiger schon weg, ihre Büros verlassen. Auch viele tamilische Zivilisten waren geflüchtet.
Ihnen gehört nun die ganze Sorge der internationalen Hilfsorganisationen. Ungefähr 250 000 Menschen gelten als gefangen zwischen den Fronten, dem Kreuzfeuer ausgesetzt. Von den Rebellen werden sie angeblich als menschliche Schutzschilde missbraucht - und von den Regierungstruppen offenbar beschossen.
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, dessen Leute seit Beginn der Militäroperation als einzige internationale Helfer ohne Unterbrechung im Kriegsgebiet vertreten sind, berichtet von "Hunderten Toten und von Scharen von Verwundeten" und warnt vor einer humanitären Krise. Es mangelt an allem, vor allem aber an der medizinischen Versorgung der Opfer. Die Vereinten Nationen evakuierten am Donnerstag Hunderte Verletzte aus dem Kriegsgebiet, unter ihnen fünfzig Kinder in einem kritischen Gesundheitszustand.
Beide Kriegsparteien weisen die Anschuldigungen, die gegen sie erhoben werden, scharf zurück. Die Regierung in Colombo behauptet, sie stelle im Gegenteil sicher, dass die Zivilisten geschützt würden, indem sie ihnen eine Sicherheitszone zugewiesen habe und sie vor jedem Bombardement mit Flugblättern warne. Die Tiger wehren sich gegen den Vorwurf der Gegenseite, sie feuerten selber Raketen auf die Zivilbevölkerung ab und hinderten Krankenwagen daran, Verletzte in die Krankenhäuser zu bringen. Es steht Propaganda gegen Propaganda. Verifizieren lässt sich wenig. Unabhängigen Berichterstattern ist der Zutritt zu den nördlichen Bezirken verwehrt. Und srilankische Journalisten werden verfolgt, verprügelt oder gar getötet, wenn sie sich kritisch gegen die Militärstrategie der Regierung äußern.
So sind viele Fragen offen. Die militärisch wichtigste scheint derzeit diese zu sein: Wo versteckt sich Velupillai Prabhakaran? Sri Lankas Präsident Mahinda Rajapakse sagte unlängst in einem Interview mit dem indischen Nachrichtenmagazin India Today: "Dieser Krieg endet erst, wenn wir Prabhakaran haben." Er sagte nicht, ob er ihn tot oder lebendig fassen will. Wird Prabhakaran getötet, ist die Gefahr groß, dass sein Tod von den seinen als Martyrium verklärt und seinen Mythos stärken würde. Der Rebellenchef wird von seinen Anhängern wie ein Volksheld gefeiert, der alleine fähig sei, Sri Lankas Tamilen, etwas mehr als 15 Prozent der Bevölkerung und mehrheitlich hinduistisch, aus der Unterdrückung der singhalesischen, hauptsächlich buddhistischen Mehrheit zu lösen und ihnen einen eigenen Staat zu geben.
Nun gibt es aber Spekulationen, wonach der Rebellenchef das Land verlassen haben könnte. Genannt werden gleich mehrere mögliche Ziele, so etwa Indonesien, Thailand und Malaysia. Die LTTE brauchten in den vergangenen Jahren Südostasien als Drehscheibe für den Waffennachschub. Malaysias Regierung jedenfalls wies die Polizei vorsorglich an, nach Prabhakaran Ausschau zu halten. Die LTTE haben noch immer zwei oder drei Flugzeuge, die sie für Flüge dieser Art brauchen könnten.
Einem anderen Gerücht zufolge ist Velupillai Prabhakaran mit einem Fischerboot in den indischen Bundesstaat Tamil Nadu geflohen, der nur einige Dutzend Seemeilen von Sri Lanka entfernt ist und wo ungefähr 55 Millionen Tamilen leben. Er hatte dort einmal eine große Anhängerschaft. Die indischen Tamilen sympathisierten in den achtziger Jahren mit dem Kampf ihrer "Brüder". Doch nachdem die LTTE 1991 den früheren indischen Premierminister Rajiv Gandhi bei einer Wahlkampfveranstaltung in Tamil Nadu umgebracht hatten, erlahmte die Sympathie. Indien drängt seither auf eine Auslieferung von Velupillai Prabhakaran.
Wo ist Velupillai Prabhakaran? Die Tamil Tiger erteilten Spekulationen, wonach ihr Anführer Sri Lanka verlassen haben könnte, eine Absage: Die Gerüchte um Prabhakarans Flucht seien nur billige Propaganda. Der Chef lasse sein Volk nicht im Stich. Foto: AFP
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