Der gute Ruf

Braucht München einen neuen Konzertsaal?

München braucht einenen neuen Konzertsaal. Mit diesem Mantra auf den Lippen zieht Dirigent Mariss Jansons seit seinem Amtsantritt als Chef der Rundfunk-Symphoniker durch die Stadt. Alle hören ihn gern, diesen Spruch, alle sind von dessen Wahrheit überzeugt: wir Musikkritiker sowieso, das Publikum, die Konzertveranstalter, die Musiker, Rundfunkmanager. Und nach einem Gespräch mit Jansons zeigte sich jetzt sogar Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer davon überzeugt, dass München einen neuen Konzertsaal braucht. Aber braucht München einen neuen Konzertsaal? Jansons' Hauptargument ist, dass keiner der Münchner Säle - Philharmonie (2400 Plätze) und Herkulessaal (1450 Plätze) - eine Spitzenakustik besäße. Eine bittere Wahrheit, die niemand bezweifeln wird.

Seit Jahren schon werden überall in der Welt neue Konzertsäle gebaut, Tendenz steigend. Besonders in Städten, die gar kein eigenes oder allenfalls ein zweitklassiges Orchester ihr eigen nennen, und die deshalb auf den großen Klassik-Reisezirkus angewiesen sind. München aber mit seinen drei Top-Orchestern soll tatenlos zuschauen, wie sich all diese Möchtegernklassikstädte oft gar nicht so schlecht klingenden Tonhallentempel hinstellen? Soll riskieren, wegen seiner schlechten Säle vom internationalen Klassikmainstream abgehängt zu werden? Nie und nimmer.

Das dachte sich zumindest der mittlerweile aus dem Amt geschiedene bayerische Finanzminister Kurt Faltlhauser, und so schob er, der treueste Verbündete Jansons, vor zwei Jahren einen Ideenwettbewerb für einen neuen - dritten! - Münchner Konzertsaal an, der hinter der Residenz beim Marstall entstehen soll. Das ist städtebaulich ein verlockender Plan, denn dieses wüstenähnliche Areal in zentraler Lage kann ins städtische Leben nur dann zurückfinden, wenn man im Marstall eine Institution installiert, die viele Menschen anlockt. Ob das ein vorwiegend am Abend genutzter Konzertsaal sein muss, sei dahingestellt. Auch wenn er zugegeben recht gut in das auf Hochkultur spezialisierte Ensemble der Residenz passen würde.

Viel wichtiger: Orchester

Die Gewinner des Ideenwettbewerbs, Axel Schultes & Charlotte Frank, würden das Marstallgebäude als Foyer und Mehrzwecksaal nutzen und dahinter einen zweiten Bau mit etwa den gleichen Abmessungen errichten, in dem ein Konzertsaal und ein Theater Platz fänden. So wäre man gezwungen vom Marstall aus in die Neubauwelt der Künste vorzudringen. So recht begeistern kann das nicht. Zweifel werden auch daran laut, ob der Neubau nicht allzu schmal ist, ob dem historischen Klenze-Marstall nicht allzu seltsam Gewalt angetan wird. Aber das war ja nur ein Ideenwettbewerb - sollte es hier je einen Konzertsaal geben, so kann er auch ganz anders aussehen, ganz anders situiert werden.

Das wichtigste Argument für einen dritten Konzertsaal ist die eingangs erwähnte Spitzenakustik. Es ist aber zugleich das fragwürdigste. Dass man gern etwas Vergleichbares zu Amsterdams Concertgebouw oder zu Wiens Großem Musikvereinssaal in München hätte, versteht sich. Aber solche Akustikwunder sind nicht einfach kopierbar. Kein Akustiker der Welt kann garantieren, dass ein Neubau automatisch diese gewünschte Spitzenakustik mit sich brächte. Das bedeutet natürlich ein Risiko, das sich durch physikalische Berechnungen und durch Erfahrungen im Saalbau zwar minimieren, aber eben nicht aus der Welt schaffen lässt.

In Städten, die wie Paris keine Philharmonie haben, wird man dieses Risiko billigend in Kauf nehmen. In Hamburg, das eine Konzerthalle hat und sie auch nicht aufgeben möchte, liegen die Gründe für den Neubau der Elbphilharmonie vor allem im Spektakulären begründet. Man will ein städtisches Wahrzeichen, und das bedeutet in diesem Fall eine spektakuläre Architektur in wenig hochkulturtauglicher Lage, garniert mit Hotel und Luxuswohnungen. In München allerdings, wo ein Neubau allein aus akustischen Gründen angedacht wird, wagt man mehr als in anderen Städten: Sollte der neue Saal nur durchschnittlich klingen, gäbe es lange Gesichter, klänge er gar schlecht, dann müssten Köpfe rollen. Ungeklärt auch die Frage, ob selbst eine so klassikbegeisterte Stadt wie München drei Konzertsäle füllen kann.

Über 100 Jahre lang, bis zu seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, hatte München mit Klenzes Odeon einen zwar kleinen (1445 Plätze), aber akustisch hervorragenden Saal, seit 1895 spielten die späteren Philharmoniker in der ebenfalls im Krieg zerstörten Tonhalle. Seither wird in akustisch unterschiedlich schlechten Sälen gespielt, zu denen man auch das Nationaltheater und den vor Jahren aufgegebenen Kongresssaal rechnen muss. Das aber hat dem Ruf der Musikstadt München nichts anhaben können. Denn wichtiger als die Räume sind die hiesigen Spitzenorchester, die die großen Musiker zwangsläufig nach München locken. Sowie ein Publikum, das erlesen hausgemachte Klassik schätzt, hohe Preise dafür bezahlt und mühelos mehrere Theater-, Konzert- und Opernhäuser pro Tag füllt. Hamburg mit seinen B-Orchestern kann da nicht mithalten.

Kulturklingelbeutelmentalität

Mittlerweile zeichnet sich eine Alternative zu einem dritten Konzertsaal ab, denn die Philharmonie im Kulturzentrum Gasteig ist 20 Jahre nach ihrer Eröffnung ein Sanierungsfall. Gasteig-Chefin Brigitte von Welser sieht da nun die große Chance, nicht nur dringend nötige Sanierungsmaßnahmen und Umbauten durchzuführen, sondern auch die vermaledeite Akustik des Saales zu verbessern. Bei fünf Akustikern hat sie Expertisen eingeholt, und alle sind davon überzeugt, dass sich der Klang im Saal verbessern ließe. Umbauten, Sanierung und Akustikverbesserungen beliefen sich auf etwa 50 bis 80 Millionen Euro, zu denen sich die Stadt bisher noch nicht geäußert hat.

Im Zuge dieser Umbauten könnten auch für die BR-Symphoniker eigene Garderoben geschaffen werden, so dass dieses bisher obdachlos durch die Säle der Stadt irrende Orchester endlich heimisch werden könnte - ein von Rundfunkseite schon oft geäußerter Wunsch. Allerdings müsste das für den Rundfunk so leidige Vorgriffsrecht der Philharmoniker bei der Terminplanung dann abgeschafft werden: Partnerschaft statt Hierarchie.

Doch die Gasteig-Pläne sind bisher genauso wenig ausgereift wie es die Marstall-Planungen sind. Nicht zuletzt aus finanziellen Gründen. Zwar wird die Stadt nicht darum herumkommen, den Gasteig zu sanieren. Ob sie aber in diesen wirtschaftlich kriselnden Zeiten noch Lust und Reserven hat, zusätzliche Investitionen in Sachen Akustik zu tätigen, ist fraglich, auch wenn gerade dieser Saal nichts dringender braucht. Mit Sicherheit wäre es die beste Lösung, die Philharmonie zu entkernen und einen ganz neuen Saal einzubauen.

Die finanzielle Situation des Freistaats, dessen Landesbank sich um Milliarden verspekuliert hat, macht es andererseits auch nicht gerade wahrscheinlich, dass der Marstall-Konzertsaal sofort gebaut wird. 150 Millionen soll das Ding, zu dem es noch nicht einmal konkrete Pläne gibt, kosten. Aber Faltlhauser wird sicher für sein Projekt sammeln, auch wenn er sicherlich nicht jene Kulturklingelbeutelmentalität mitbringt wie der in diesen Dingen unnachahmliche August Everding.

Und so ist es mehr als wahrscheinlich, dass München auch noch in 20 Jahren einen neuen Konzertsaal braucht, während das Musikleben der Stadt blüht wie eh und je. REINHARD J. BREMBECK

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Abos für 18-Jährige

Nicolas Sarkozy schenkt jungen Franzosen ein Jahr lang Zeitungen

Wer in Frankreich 18 Jahre alt wird, soll fortan ein Jahr lang gratis eine Tageszeitung seiner Wahl bestellen dürfen. Staatspräsident Nicolas Sarkozy sagte am Freitag, er wolle dieses Gratisabonnement für Volljährige probeweise einführen, als eine von mehreren Maßnahmen im Kampf gegen die Pressekrise im Land, und zwar schon von Februar an. Bezahlen sollen das Frei-Abo die Verlage, die wiederum, falls sie zur Informationspresse (und nicht zur Unterhaltungspresse) zählen, vom Staat subventioniert werden. Die Vertriebskosten will die Regierung übernehmen. Entsprechend sollen die staatlichen Zuschüsse für die Auslieferung von Zeitungen und Magazinen von acht auf 70 Millionen Euro steigen.

Sarkozy hofft, so nebenbei 18 000 neue Stellen für Zeitungsausträger schaffen zu können. Mit dem Gratisabo für 18-Jährige griff er einen von 90 Vorschlägen auf, die Medienvertreter Anfang Januar in einem "Grünbuch" zur Überwindung der Krise aufgelistet hatten. "Die Gewohnheit, Zeitung zu lesen, nimmt man im jungen Alter an", sagte Sarkozy. Das habe ihn dazu bewogen, den Vorschlag aufzugreifen, wenngleich er gezögert habe. Denn die meisten Jugendlichen nutzten eher das Internet als die Zeitung, um sich zu informieren. Wenn sie das Angebot nicht annehmen, stelle er das Gratisabo wieder ein.

Sarkozy fügte hinzu, er wünsche sich in Verbindung mit dieser Maßnahme, dass die Zeitungen gleichzeitig ihr Internetangebot verbesserten und insgesamt interessanteren Lesestoff für Jugendliche böten. "Die Zeitungen müssen junge Leser am Ende nicht wegen der Subventionen gewinnen, sondern aufgrund der Qualität ihrer Berichterstattung."

Die Zeitungskrise, die noch von einer Finanzkrise überlagert werde, rechtfertigten die Staatszuschüsse, die auch in Form von Anzeigen, Steuernachlässen und Investitionen in Druckereien fließen, sagte Sarkozy. Fast alle Journalisten, Gewerkschafter und Verleger begrüßten die Staatsintervention in einer ersten Reaktion. MICHAEL KLÄSGEN

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Giftige Geister

Ein "Tatort" über den Horror, der in Krankenhäusern gedeiht

Irgendwann fängt der Psychologe an, seine Patientin zu duzen. Dann sagt er: "Ohne deine Probleme hätten wir uns nie so gut kennen gelernt." Da weiß man: Das endet nicht gut mit diesem Tatort, der in einem katholischen Kölner Krankenhaus spielt. So ein Hospital muss doch für einen Drehbuchautoren das Fünf-Sterne-Hotel sein. Wenn man erst einmal da ist, läuft alles von alleine - im Krankenhaus verdichten sich schließlich die Probleme schon vor der Notaufnahme: Schmerz, Angst, Tod, Unmenschlichkeit und Medikamentenschränke voll von allerlei Giften. Alles da. Und im Keller liegen immer Leichen.

In diesem Köln Tatort also wurde ein Oberarzt vergiftet, ausgerechnet auf der Geburtsstation. "Ich mag das ja nicht, wenn das Schicksal ironisch wird", lästert Kommissar Max Ballauf (Klaus J. Behrendt), und das war es dann auch mit der Ironie. Denn dieses Mal wird gelitten. Ballauf leidet an Bauchschmerzen, die Kranken am Krebs, die Schwestern am Stress, der Psychologe an der Liebe und Freddy Schenk daran, dass ihm der Doktor-Mörder seinen Stadionbesuch beim Fußball-Länderspiel vermasselt.

Ein Motiv hat aber keiner, so herzensgut war dieser Arzt. Selbst jene Ehemänner, deren Gattinnen auf der Geburtsstation verstarben, verkünden nur Nettes. So hält sich Ballauf, der Krankenhaus-Allergiker, den schmerzenden Bauch und schaut stundenlang Verhör-DVDs im Büro an, während Freddy Schenk (Dietmar Bär) zur Recherche im Hospital jobbt. Dort lernt er Maria kennen, eine Krankenschwester, die so katholisch wie übersinnlich talentiert ist.

Fünf-Sterne-Gesicht  

Maria wird von Anna Maria Mühe gespielt, die ja normalerweise ein Glück für jeden Film ist. Man braucht nur eine Großaufnahme ihres Gesichts - sozusagen das Fünf-Sterne-Hotel jedes Kameramanns - oder ihren Gang. Die Schultern hochgezogen, die Hände in den langen Ärmeln versteckt, die Schritte trippelklein, schon sieht man die Verstockung, ahnt den Konflikt, in dem sich ihre Figur befindet. Doch Regisseur Torsten C. Fischer, der mit "Rabenherz" seinen dritten Kölner Tatort drehte und gerade die Lebensgeschichte von Romy Schneider mit Jessica Schwarz verfilmte, vertraute seinem formidablen Ensemble nicht richtig und trug zu viel Pathos auf.

Klar, es geht ihm und Drehbuchautor Markus Busch um Phänomene, die man nicht erklären kann. Glaube, Liebe, Handauflegen. Aber in diesem Tatort bimmelt beim kranken Ballauf zu Hause stets Memento-mori-mahnend der Kölner Dom hinein, hängt Nebel in kahlen Herbstbäumen, tropft Regen poetisch ins Wasser, und die Krankenschwester mit den besonderen Fähigkeiten tapert nicht nur barfuß durch Krankenhaus-Korridore und verloren durch einsame Wälder, nein, sie muss auch noch kurzzeitig schweben. Dazu schleicht sich die Kamera heran wie ein Geist. Mit Pathos verhält es sich wahrscheinlich wie mit dem Betäubungsmittel, an dem der Oberarzt verschied: Die Dosis macht das Gift.

EVA ROSE RÜTHLI

Tatort - "Rabenherz", ARD, Sonntag,

20.15 Uhr.

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Eine Himbeere aus Hollywood

Uwe Boll gilt als schlechtester Regisseur der Welt - das könnte ihm einen besonderen Preis einbringen

Von Christian Mayer

Es ist ungeheuer schwer, einen Film von Uwe Boll in Worte zu fassen; man kann die Kinokritiker verstehen, wenn sie es in diesem Fall vorziehen, zu schweigen. Boll, ist das nicht dieser Verrückte aus Wermelskirchen, der in Kanada und sonstwo einen billigen Action-Film nach dem anderen dreht? Immerhin, der DVD-Verleiher um die Ecke kennt Werke aus der Boll-Produktion. Mit sicherem Griff zieht er den Film "Postal" hervor, "der ist gar nicht mal schlecht". Zwei Stunden später fragt man sich staunend, was man da gerade gesehen hat: Hat der Wahnsinn vielleicht Methode? Oder lässt dieser Mann seinen Phantasien einfach nur freien Lauf, ohne auf irgendetwas Rücksicht zu nehmen, auch nicht auf die innere Logik einer Fiktion?

Hier der unzureichende Versuch einer Handlungsbeschreibung: In "Postal" herrscht ein bizarrer Kleinkrieg in den USA nach den Terroranschlägen vom 11. September. In einem tristen Ort namens Paradise lässt ein Sektenguru seine gut gedrillten Bikini-Fundamentalistinnen mit Hakenkreuz-Armbinden aufmarschieren, um durch den Raub von kostbaren Stofftieren seine Steuerschulden zu begleichen. Gleichzeitig versucht eine Gruppe verhaltensgestörter Al-Qaida-Selbstmörder, in den Genuss der versprochenen 99 Jungfrauen zu kommen, die ihr geistiger Führer Osama bin Laden wegen der großen Nachfrage aber nicht mehr garantieren kann. Osama, bei Boll eine Comedy-Knallcharge mit Rauschebart, besucht derweil lieber ein amerikanisches Management-Seminar. Klingt krude, ist aber noch viel toller.

Auch der Urheber des filmischen Massakers hat einen verdienten Auftritt: Uwe Boll spielt sich selbst, er gibt einen teutonischen Regisseur in Lederhosen, der seine Filme mit Nazigold finanziert und durch einen Schuss in den Lendenbereich aus dem Verkehr gezogen wird. Der Mann kennt kein Pardon, nicht mit dem Publikum und nicht mit sich selbst. Das alles ist gelegentlich sogar irre komisch; manchmal zumindest kann man nicht anders als lauthals loszulachen.

"Natürlich will ich gewinnen!"

Gerade erst ist der promovierte Literaturwissenschaftler als schlechtester Regisseur nominiert worden. Zum dritten Mal in Folge geht er ins Rennen um die Goldene Himbeere in Hollywood, eine Auszeichnung eher zweifelhafter Art, und dass er nebenbei am Vorabend der Oscar-Verleihung auch noch für sein Lebenswerk geehrt werden soll, lässt auch nichts Gutes ahnen. Also Anruf bei Boll, der zufällig gerade in Frankfurt weilt. "Natürlich möchte ich jetzt auch mal gewinnen", sagt der 43-Jährige, der sich vor allem mit der Verfilmung von Videospielen einen Namen gemacht hat. Hat er die gefürchtete Himbeere nun verdient? "Viele Kritiker haben noch nie einen Film von mir gesehen. Die kennen mich nur aus dem Internet", kontert der oft Geschmähte - und verweist auf seine Erfolge. Ein wenig traurig sei nur, dass er inzwischen in ein "ungutes Fahrwasser" geraten sei - zu Unrecht, wie er findet. Schließlich sei sein Film "Postal" als gnadenlose Satire auf das Amerika der Bush-Ära völlig unterschätzt: "Ich bin jedenfalls stolz, dass ich nicht mit dem Mainstream schwimme."

Boll, der Außenseiter, könnte gar nicht so erfolgreich sein, wenn es nicht weltweit ein Publikum gäbe, das auf blutrünstigen Nervenkitzel und Actionhelden unter Dauerbeschuss steht. Sein Kostümfilm "Schwerter des Königs" stand in Russland, Thailand und Indien auf Platz eins der Kinocharts; die DVD spielte allein in den USA 43 Millionen Dollar ein. "Mit dem DVD-Geschäft holen wir regelmäßig das Eisen aus dem Feuer", sagt der Filmemacher. Zuletzt brachte die an der Frankfurter Börse notierte Boll AG das Action-Drama "Far Cry" heraus, in dem Til Schweiger neben Udo Kier und Ralph Moeller wild herumballern durfte - 85000 Zuschauer wollten das in Deutschland im Kino sehen.

Zur Methode Boll gehört, dass alles in einer Hand bleibt. Der Chef schafft an, er muss mit dem Weiterverkauf von Filmen über die Boll AG die Finanzierung stemmen. Boll hat die Filmidee, Boll verpflichtet seine Darsteller selbst, Boll führt Regie und arbeitet im Schneideraum, Boll regelt die Vermarktung. "Uwe ist die ultimative One-Man-Show, der macht alles, vom Script bis zum Plakat", sagt Ralph Moeller, der schon drei Mal bei Boll-Filmen mitgespielt hat.

Nun wagt sich der in Hollywood einschlägig bekannte Deutsche an einen deutschen Mythos: Im Mai beginnen die Dreharbeiten zu einem Kinofilm über Max Schmeling. Die Hauptrolle soll Henry Maske übernehmen, der bisher noch nicht als herausragender Mime in Erscheinung getreten ist und derzeit ein Trainingscamp für Schauspieler absolviert. "Maske kann richtig zuschlagen und hat die richtige Größe", glaubt sein Regisseur. Ob Boll sein Image verbessern kann, wenn er das Boxidol in den Krieg schickt? "Mal sehen, vielleicht kriege ich für Schmeling ja zum ersten Mal Filmförderung - wäre mal was Neues!"

Til Schweiger (oben bei Dreharbeiten zu "Far Cry") zählt zu den Schauspielern, die ganz gerne mal mit Uwe Boll arbeiten. Der 43-Jährige (unten) ist bereits zum dritten Mal in Hollywood als schlechtester Regisseur für die "Goldene Himbeere" nominiert. Fotos: Picture Alliance, dpa

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In Tempelhof ist viel Platz

Die Modemesse "Bread & Butter" kehrt wohl nach Berlin zurück

Von Rebecca Casati

Berlin - Nächste Woche, ganz kess vor allen anderen, beginnt sie: Die Modewoche in Berlin. Das fühlt sich für die Beteiligten selbstverständlich ganz anders an, als wenn die Pariser Schauen stattfinden, wo man kein Taxi kriegt, obwohl man ständig an entgegengesetzte Plätze der Stadt muss. Es ist auch nicht so wie New York, wo man die stets wie aus dem Ei gepellten Moderedakteurinnen beim Power-Präsentieren, Power-Warten und zwischendurch beim Power-Shopping im Jeansladen trifft.

Erst 2004 begann sich so etwas wie eine Modelandschaft in Berlin neu zu konstituieren. Geld war natürlich schon damals wenig da, aber dafür gab es andere Standort-Faktoren, Dinge wie Abertausende von preiswerten Quadratmetern, acht Modeschulen und junge Menschen aus aller Welt, die nach Berlin strömten, um kreativ zu sein. Auch wenn sich das bei vielen nur auf die Planung des Party-Wochenendes und auf die Zutatenkombination im Venti-Becher einer bekannten Kaffeehauskette bezog. Doch bald schon gab es handfeste, vom Senat immer wieder stolz heraustrompetete Zahlen. Die Wirtschaft verzog sich, die Kreativszene boomte. Laut aktueller Erhebungen arbeiten heute in Berlin rund 160 000 Menschen in der sogenannten Kreativwirtschaft. Neben Logistik und Gesundheitswesen gilt die Branche als diejenige mit dem größten Wachstum in der verarmten Hauptstadt.

Barcelona war gestern

Mit diesem Potential gründeten sich 2002 und 2003 in Berlin die große Streetwear-Messe "Bread and Butter", die vorher in Köln logiert hatte und sich 2007 nach Barcelona verabschiedete, und die etwas kleinere, elegantere Messe "Premium". 2005 kam der vom Senat unterstützte Sponsor Mercedes Benz an Bord, nebst einer Fünfjahres-Zusage. Unter deren Banner finden Schauen von mittlerweile mehr als 20 Labels statt.

Kehrt die "Bread & Butter" zurück nach Berlin? Es sieht danach aus. Immerhin brachte es die Berliner Modewoche in den letzten Jahren zu mehr und mehr Aufmerksamkeit, auch international. Und in diesen Tagen macht wieder einmal Karl-Heinz Müller von sich reden. Er war es, der die Messe 2007 nach Barcelona verlegte (was die alteingesessene Messe-Konkurrenz aus Düsseldorf, die Igedo mit großer Genugtuung registrierte). Berlin liegt nunmal nicht am Meer, vor allem aber sei die Nachfrage der Aussteller unbefriedigend gelaufen, sagte er damals. Außerdem habe es Probleme mit der Anmietung beziehungsweise dem Verkauf der B&B-Messehallen gegeben, die damals noch in Spandau waren.

Müllers endgültiger Rückzug sorgte seinerzeit für lange Gesichter in Berlin. Doch angeblich, heißt es jetzt, seien die Gespräche mit dem Berliner Senat über eine Rückkehr nie abgerissen. Am Freitag, bei einer Pressekonferenz in Barcelona, machte Müller merkwürdig vage Andeutungen: "Wir sehen uns im Sommer 2009 in einer anderen Stadt wieder - bis dahin, see you." Nach nur zwei Jahren in Spanien zieht die "Bread & Butter" wieder weg, obwohl man in Barcelona angeblich wegen des Andrangs (80 000 Besucher) so glücklich war.

Warum aber die Geheimnistuerei? Natürlich werde die Veranstaltung zurück nach Berlin kommen, vermuten Kenner. In Tempelhof sei Platz genug für die Modeleute und ihre Entourage; die Abfertigungshalle Tempelhof ist das im nationalsozialistischen Größenwahn geplante, drittgrößte Gebäude der Welt. Es steht auf einer Fläche, die mit 386 Hektar so groß ist wie der Central Park und ebenso stadtnah gelegen. Auch entspräche dieser Plan dem Wunsch des Berliner Senats, der auf dem seit Oktober stillgelegten Flughafen-Areal einen Raum für Kultur und Medien schaffen will.

Mit diesem Trumpf eines perfekten Standorts sollen die angeblichen Mitbewerber Moskau und Istanbul aus dem Spiel sein. Es gibt stichhaltige Argumente, dieses "Geheimnis" in der kommenden Woche zu lüften. Die Fashion Week ist der ideale Zeitpunkt für eine solche Ankündigung. Man kann allerdings nicht sagen, dass die Berliner Karl-Heinz Müller, wenn er denn kommt, mit ausgebreiteten Armen empfangen. Das liegt auch an dessen früheren Äußerungen: "In meinen Augen ist die Gestaltung der Schauen lieblos", hatte er im Sommer 2008 gelästert. Er glaube nicht an die Fünf-Jahres-Zusage des Veranstalters, schon gar nicht in diesen Zeiten.

Dass Müller nun möglicherweise zurückkommt, kommentieren die Berliner mit gemischten Gefühlen. Die Rückkehr der Messe sei zu begrüßen, und der Grund liege auf der Hand: "Wir haben die Fashion Week Berlin erfolgreich aufgebaut und im internationalen Kontext verankert", sagt Anita Tillmann, Gründerin der Premium-Messe. "Es ist verständlich, dass sich Herr Müller zu diesem Zeitpunkt an den Erfolg von Berlin hängt".

Ein Podest für die Mode, eine Plattform für die Medien: Die "Bread & Butter" könnte künftig wieder in Berlin stattfinden, doch noch schweigen die Beteiligten. Foto: oh

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Konjunkturpaket verärgert Länder

Verteilung des Geldes soll neu geregelt werden

Berlin - Zwischen Bund und Ländern ist ein Streit über das geplante zweite Konjunkturpaket der großen Koalition entbrannt. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung verlangen die Länder mehr Geld aus dem vereinbarten Investitionsprogramm zur Sanierung öffentlicher Einrichtungen, das 13,3 Milliarden Euro umfassen soll. Nach bisheriger Planung sollten davon 75 Prozent an die Städte und Gemeinden und 25 Prozent an die Länder fließen. Nun fordern die Länder einen höheren Anteil. Streit gibt es zudem, weil der Bund befürchtet, dass die Länder schon bestehende Investitionsvorhaben statt mit eigenem Geld nun mit dem des Bundes bezahlen könnten. Hier fehle es an anderslautenden, überprüfbaren Zusagen der Länder, hieß es in Verhandlungskreisen. (Seite 5)hul

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Politik kann Qimonda nicht retten

Chip-Konzern pleite - 12000 Stellen in Gefahr

Allein in Dresden und München fast 5000 Mitarbeiter betroffen / Rückschlag für Technologiestandort Deutschland

Von Caspar Busse

München - Der Münchner Hersteller von Speicherchips, Qimonda, hat am Freitag Insolvenz angemeldet. Die Tochtergesellschaft von Infineon beschäftigt weltweit 12200 Mitarbeiter, davon fast 5000 in Deutschland, vor allem in Dresden und München. Hauptgrund für die Pleite ist der Preisverfall bei Halbleitern. Hinzu kommt die weltweite Finanzkrise. Politik und IG Metall kritisierten das Management.

Schon seit Monaten kämpft Qimonda ums Überleben. Zum einen gingen die Preise für Speicherchips, die beispielsweise in Mobiltelefonen, Computern und in der Unterhaltungselektronik eingesetzt werden, in den vergangenen Monaten stark zurück. Zum anderen erhielt Qimonda auf den weltweiten Finanzmärkten kein frisches Kapital mehr. Der Konzern unterhält große Produktionsstätten in Dresden und München sowie in Porto im Norden Portugals. Zuletzt wollten das Land Sachsen, die portugiesische Regierung sowie der Mutterkonzern Infineon Finanzhilfen von 325 Millionen Euro bereitstellen. Am Donnerstag wurde dann jedoch bekannt, dass sich die Lage überraschend verschlechtert hat und Qimonda weitere 300 Millionen Euro benötigt. Krisengespräche im Bundeskanzleramt Anfang der Woche führten zu keinem Ergebnis.

Am Freitag sah sich Qimonda gezwungen, beim Amtsgericht München Insolvenzantrag zu stellen. Der Zeitpunkt der Pleite kam trotz der Probleme überraschend. Zum Insolvenzverwalter wurde der Münchner Anwalt Michael Jaffé bestellt, der unter anderem auch die Pleite des Kirch-Konzerns betreut hat. Qimonda-Chef Kin Wah Loh hofft, in der Insolvenz die begonnene Sanierung beschleunigen zu können"und das Unternehmen wieder auf eine solide Basis zu stellen". Ob das gelingt und ob sich schnell ein möglicher Investor sowie frisches Kapital finden, gilt aber als zweifelhaft.

Die Pleite ist ein herber Rückschlag für den Technologiestandort Deutschland. Vor allem in Dresden hat die sächsische Regierung seit der Vereinigung mit hoher Förderung einen Halbleiterstandort aufgebaut. Im Dresdner Qimonda-Werk arbeiten etwa 3200 Beschäftigte, dazu kommen Zulieferbetriebe. In München hat Qimonda 1400 Mitarbeiter.

Infineon hatte im Frühjahr 2006 das Geschäft mit Speicherchips unter dem Kunstnamen Qimonda ausgegliedert und an die Börsen in Frankfurt und New York gebracht. Infineon, selbst eine Abspaltung aus dem Siemens-Konzern, konzentriert sich nun auf Logikchips, also auf intelligente und höherwertige Halbleiter. Der selbst in Problemen steckende Dax-Konzern hält heute noch 77,5 Prozent an Qimonda und könnte von der Insolvenz betroffen sein. Zwar ist die Beteiligung weitgehend abgeschrieben, es könnten jedoch Rückzahlungen von Fördermitteln drohen. Infineon muss die Rückstellungen deutlich erhöhen. "Alle Beteiligten hatten bis zuletzt dafür gekämpft, Qimonda zu retten," sagte Infineon-Chef Peter Bauer.

Kurz nach der Insolvenz begannen bereits die Schuldzuweisungen. Die Politik sah die Verantwortung dafür bei Qimonda. Es sei kein tragfähiges Finanz- und Fortführungskonzept vorgelegt worden, teilte das Bundeswirtschaftsministerium mit. Die IG Metall warf der Führungsspitze "beispielloses Managementversagen" vor. Der bayerische IG-Metall-Vorsitzende Werner Neugebauer kritisierte, Qimonda sei schon bei der Gründung zu klein und nicht überlebensfähig gewesen. Die Suche nach einem Partner ist schon lange erfolglos verlaufen. Qimonda betonte dagegen die Zukunftschancen seiner selbst entwickelten Technologie. (Seiten 2 ,4 und München)

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Hiebe für Hilflose

Pflegebedürftige leiden oft unter der Gewalt ihrer Angehörigen

Ich weiß, dass es unverzeihlich ist", berichtete die Frau unter Tränen. "So etwas tut man nicht". Sie tat es trotzdem immer wieder: Sie schlug ihre alte, verwirrte Mutter, wenn diese widersprach oder nicht gehorchen wollte; oder wenn sie wieder in Schlappen und Morgenmantel beim Bäcker nebenan gewesen war. Immer dann, wenn sie noch stärker überfordert war als üblich mit der Betreuung der kranken Frau.

Schläge gegen Menschen, die eigentlich Pflege brauchen, sind ein großes, viel zu wenig beachtetes Problem. Der Missbrauch von Kindern ist hierzulande ein Thema geworden. Häusliche Gewalt gegen Alte dagegen ist nach wie vor Tabu. Dabei sind pflegebedürftige Alte ihren Angehörigen meist ebenso hilflos ausgesetzt wie Kinder, und die Pflegenden kommen aus der Spirale von Überlastung, Verzweiflung und Aggression kaum von allein heraus. Auch in Pflegeheimen sei Gewalt ein ernstes Problem, "in der häuslichen Pflege aber ist es oft richtig schlimm", sagt der Münchner Sozialarbeiter Claus Fussek, der sich seit Jahren für das Thema engagiert.

Harte Zahlen gibt es kaum, und so blickt eine Umfrage aus Großbritannien nun wenigstens für einen Moment in das Leben der betroffenen Familien. Drei Psychiater vom University College London haben sich mit anderen Kollegen zusammengetan, um 220 Angehörige, die einen demenzkranken Partner oder ein Elternteil zu Hause betreuten, nach ihren Erfahrungen mit Gewaltausbrüchen zu befragen. Alte Menschen, die an Demenz leiden, werden besonders leicht zu Opfern von Gewalt. "Die emotionale Herausforderung ist hier noch größer", sagt Gabriele Tammen-Parr vom Berliner Verein Pflege in Not - einer der wenigen Anlaufstellen für Pflegende und Gepflegte.

Die britische Studie ist noch milde ausgegangen. Man könnte fast sagen: Die Gesellschaft ist mit einem blauen Auge davongekommen. Denn nur drei der 220 Pflegenden gaben zu, auch körperlich gewalttätig zu werden. Die Hälfte von ihnen aber räumte ein, verbale und psychische Gewalt auszuüben. Dass die wahren Zahlen viel höher liegen, glauben auch die Psychiater, die ihre Studie im British Medical Journal veröffentlicht haben. Wer mag schon zugeben, dass er seine alte Mutter anschreit, einsperrt oder auf grobe Art wäscht?

"Es ist aber gar nicht so, dass es manche gewalttätige Pflegende gibt, die von Natur aus unmoralisch sind, während andere niemals so handeln würden", betonen die Psychiater. Jeder könne in diese Situation geraten. "Im Durchschnitt werden alte Menschen zehn Jahre lang betreut. Das ist eine unendlich lange Zeit", sagt Tammen-Parr. "Darauf kann sich niemand vorbereiten." Viele Angehörige seien von dem Gefühlscocktail, den sie erlebten, völlig überrascht. "Aber Pflege bedeutet nun einmal, dass man sich körperlich und emotional so nahe kommt, wie es oft von beiden Seiten nicht gewünscht wird." Zündstoff sei dann all das, was nie verziehen und verarbeitet worden sei. Auch die Gepflegten hätten durchaus ihren Anteil an Eskalationen.

Ungeachtet dessen wird die häusliche Pflege immer noch als Ideal gepriesen. "Wir brauchen viel mehr bezahlbare Entlastung und so etwas wie Krippen für Ältere", fordert Claus Fussek. Pflegenden würde es schon helfen, wenn sie wüssten, dass sie mit ihren Aggressionen nicht allein gelassen werden. Der Verein Pflege in Not hat vor einiger Zeit eine Informationskampagne gestartet. Der Titel ist provokant, aber oft wahr: "Manchmal möchte ich zuschlagen." Christina Berndt

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Mit Ökologie gegen die Rezession

Grüne beraten über Programm zur Europawahl und ihre Kandidatenliste

Von Daniel Brössler

Dortmund - Nach dem guten Abschneiden bei der Landtagswahl in Hessen setzen die Grünen auf einen weiteren Erfolg bei der Europawahl im Juni. "Von Hessen und der Wahl zum Europaparlament gehen die beiden großen Zeichen für die Bundestagswahl aus", sagte die grüne Fraktionschefin im Bundestag, Renate Künast, am Freitag vor Beginn eines dreitägigen Europa-Parteitages in Dortmund. Zusammen mit Vize-Fraktionschef Jürgen Trittin ist Künast Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl im September. Die Ausgangslage für die Grünen sei gut, da ihre Wählerschaft eine pro-europäische Grundhaltung auszeichne, betonte Künast. "Wir sind begeisterte Europäer", fügte sie hinzu. Mit 11,9 Prozent hatten die Grünen 2004 ihr bislang bestes Ergebnis bei Europawahlen erzielt.

Der Parteivorsitzende und scheidende Europaabgeordnete Cem Özdemir warnte angesichts dessen vor zu hohen Erwartungen. 2004 habe durch das historisch schlechteste Ergebnis der SPD eine besondere Situation geherrscht. "Jedes Ergebnis über zehn Prozent ist sensationell", sagte er zu den Perspektiven der Grünen für die Europawahl. Aus Sicht der Grünen handele es sich nicht einfach um eine "vorgezogene Bundestagswahl". Das Europaparlament sei das am "meisten unterschätzte Parlament".

In Dortmund befinden etwa 750 Delegierte bis Sonntag über das Programm für die Europawahl und eine 30-köpfige Kandidatenliste, an deren Spitze die Sprecherin der deutschen grünen Europaabgeordneten, Rebecca Harms, und Ex-Parteichef Reinhard Bütikofer stehen sollen. Ebenfalls um führende Listenplätze wollen sich zwei Quereinsteiger bemühen: der Attac-Mitbegründer Sven Giegold und die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Barbara Lochbihler. Die Grünen freuten sich über die "Verstärkung von außen", sagte Özdemir. Die Ko-Vorsitzende Claudia Roth nannte Lochbihler "eine laute, eine kraftvolle Stimme" für Menschenrechte. Wenn es wiederum um Finanzmarktfragen gehe, kenne sie kaum jemanden, der versierter sei als Giegold.

Erneute Kandidaturen kündigte eine Reihe jetziger Europaabgeordneter an, unter ihnen Heide Rühle und Michael Cramer. Nach seinem Scheitern bei der Listenaufstellung für die Bundestagswahl 2005 bewirbt sich der frühere DDR-Bürgerrechtler und Bundestagsabgeordnete Werner Schulz um eine Kandidatur für die Europawahl. Wegen der Schwäche der Grünen in Ostdeutschland wurde seiner Bewerbung von der Parteiführung hohe Bedeutung beigemessen.

Heftige Diskussionen wurden über den Entwurf für das Europawahlprogramm erwartet. Bis zum Beginn des Parteitages gingen etwa 600 Änderungsanträge ein. In dem "Grüne Wege für ein besseres Europa" überschriebenen Papier beharren die Grünen auf ökologischen Reformen auch als Antwort auf die Finanz- und Wirtschaftskrise. "Mit einem konzentrierten sozial-ökologischen Investitionsprogramm wollen wir in Deutschland und in Europa gegen die Rezessionsgefahr angehen", heißt es in dem Entwurf. Gefordert wird darin auch eine europäische Wirtschaftsregierung. Diese sei zumindest für den Euro-Raum unabdingbar. "Eine gemeinsame Währung kann auf Dauer nur funktionieren, wenn auch die Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten eng aufeinander abgestimmt sind", heißt es. Der Entwurf enthält zudem die Forderung nach EU-weiten Volksabstimmungen und Mindestlöhnen in allen Ländern der Union.

"Jedes Ergebnis über zehn Prozent ist sensationell"

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Verteilungskampf ums Konjunkturpaket

Länder wollen viel weniger Geld als bisher geplant an die Kommunen geben

Von Claus Hulverscheidt

Berlin - Zwischen Bund und Ländern ist ein Streit darüber entbrannt, wer im Zuge des geplanten zweiten Konjunkturprogramms wie viel Geld für die Sanierung von Straßen und öffentlichen Gebäuden ausgeben darf. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung fordern die Länder, dass sie von der gesamten Investitionssumme in Höhe von 13,3 Milliarden Euro einen erheblichen Teil für sich behalten dürfen. Das Nachsehen hätten in diesem Fall die Städte und Gemeinden, denen ein Anteil von 75 Prozent in Aussicht gestellt worden war. Wie aus Verhandlungskreisen verlautete, gibt es über den Verteilungskonflikt hinaus eine ganze Reihe weiterer Probleme bei der Umsetzung des Konjunkturpakets.

Union und SPD hatten Mitte Januar vereinbart, dass der Bund zehn Milliarden und die Länder insgesamt 3,3 Milliarden Euro für Investitionen in die öffentliche Infrastruktur zur Verfügung stellen. Nach bisheriger Planung sollten davon zehn Milliarden Euro direkt an die Kommunen fließen, damit diese Schulen, Kindertagesstätten und Krankenhäuser sanieren oder besser ausstatten können. Bei einem Treffen von Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU) mit den Chefs der Länderstaatskanzleien am Freitag in Berlin war davon plötzlich keine Rede mehr. "Es ist wie beim Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine: Statt die Mittel des Bundes an die Kommunen durchzuleiten, wollen die Länder einen erheblichen Teil für sich abzwacken", hieß es in den Kreisen.

Entsprechende Erfahrungen hatte der Bund nach eigenem Bekunden in der Vergangenheit immer wieder gemacht, wobei eine Überprüfung schwierig ist. Die Länder streiten dies entsprechend regelmäßig ab. Sie müssen zwischengeschaltet werden, weil der Bund laut Grundgesetz keine direkten Finanzbeziehungen zu den Kommunen unterhalten darf.

Nach Angaben aus den Kreisen wollen die Länder Milliarden für die Sanierung und Ausstattung eigener Gebäude, also etwa Universitäten, Landeskrankenhäuser oder Polizeistationen, ausgeben. Damit bestehe nicht nur die Gefahr, dass bei den Kommunen weniger Geld ankomme, sondern auch, dass die Landesregierungen bereits bestehende Investitionsvorhaben einfach mit dem Geld des Bundes statt mit ihrem eigenen bezahlten. Das Konjunkturprogramm könne aber nur wirken, wenn die Mittel - wie vereinbart - zusätzlich ausgegeben würden. Darüber hinaus wehren sich die Länder dem Vernehmen nach gegen die Forderung des Bundes sicherzustellen, dass vor allem finanzschwache Städte und Gemeinden in den Genuss zusätzlicher Mittel kommen. "Jeder weiß, dass hier der Bedarf am größten und die Investition am sinnvollsten ist. Dennoch weigern sich die Länder, nachprüfbare Zusagen zu machen", hieß es in den Kreisen.

Offiziell wollte keine der beteiligten Seiten zu dem Konflikt Stellung nehmen. Dass das Programm am Ende am Streit um Details scheitert, ist allerdings kaum vorstellbar, weil der Imageschaden für die gesamte Politik immens wäre.

Weniger Geld für kommunale Einrichtungen - wie Kliniken. picture-alliance

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Deutsche in Mali entführt

Auswärtiges Amt bestätigt Überfall auf Reisegruppe

Berlin/München - Die Bundesregierung hat die Entführung einer deutschen Touristin im westafrikanischen Mali bestätigt. "Wir müssen in der Tat davon ausgehen, dass eine deutsche Staatsangehörige in Mali verschleppt worden ist", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes am Freitag. Offenbar handelt es sich um eine 75-jährige Frau aus Darmstadt. Im Auswärtigen Amt sei ein Krisenstab eingerichtet worden, der am Freitag unter Leitung von Staatssekretär Reinhard Silberberg getagt habe, sagte der Sprecher. Das Gremium stehe in Kontakt mit den Behörden in der Schweiz und Großbritannien sowie lokalen Stellen in Mali. Mit der Deutschen wurden auch ein Schweizer Paar und ein Brite entführt.

In der Wüste gestoppt

Die Touristen seien am Donnerstag von einem Volksfest der Tuareg zurückgekommen, berichtete Spiegel Online. Sie waren in der Grenzregion zwischen Mali und Niger mit weiteren Touristen und Reisebegleitern in drei Autos unterwegs, als sie überfallen wurden. Die Insassen von zwei Wagen hätten flüchten können, das Auto mit der Deutschen sei in der Wüste gestoppt und die Insassen seien entführt worden, bestätigte der deutsche Reiseveranstalter, der die Tour organisierte. Das Gebiet liege außerhalb der Region, für die es eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts gebe, sagte er. Ein Sprecher des Amtes appellierte an Touristen und Reiseveranstalter, die Hinweise des Ministeriums ernst zu nehmen. "Alles andere wäre aus unserer Sicht unverantwortlich", sagte er.

Bei den Entführern soll es sich um Tuareg handeln. Die Gesellschaft für bedrohte Völker warnte allerdings davor, die Tuareg vorab zu verurteilen. Sie wies darauf hin, dass hinter der Entführung von 32 europäischen Touristen 2003 in Algerien die islamistische "al-Qaida des Maghreb" gestanden hatte. Im Dezember sind in Niger zwei UN-Mitarbeiter und deren Fahrer verschleppt worden. Von ihnen fehlt jede Spur. In Niger und Mali kommt es immer wieder zu gewaltsamen Aufständen der Tuareg. Sie leben in ärmlichen Verhältnissen und werfen den Regierungen vor, versprochene Entwicklungsprojekte nicht umzusetzen. Im Norden von Niger wollen die Tuareg am lukrativen Geschäft mit dem Uran-Abbau beteiligt werden. Die Regierungssoldaten gehen oft mit großer Brutalität gegen die Tuareg-Aufständischen vor. (Seite 2) Nico Fried/Judith Raupp

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"Kein Robin Hood der Neuzeit"

Rostocker Landgericht verurteilt Erpresser der Liechtensteiner Landesbank zu mehr als fünf Jahren Haft

Von Ralf Wiegand

Rostock - Das Landgericht Rostock hat den Mann, der die Liechtensteiner Landesbank (LLB) mit Belegen ihrer Kunden um 13 Millionen Euro erpresst hat, zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. "Er ist kein Robin Hood der Neuzeit", sagte der Vorsitzende Richter Uwe Fischer über den Angeklagten Michael F. Der 49-Jährige hatte versucht, die Daten von 2400 LLB-Kunden, die in Liechtenstein Geld vor den deutschen Finanzbehörden versteckt hatten, an die Bank zu verkaufen. Im Laufe der Hauptverhandlung hatte er die brisanten Unterlagen an die Ermittlungsbehörden übergeben. Weil dadurch Steuernacherhebungen und Strafgelder in Millionenhöhe ermöglicht worden seien, sei die Strafe milder ausgefallen als von der Anklage gefordert. Zwei Komplizen verurteilte das Gericht zu einem Jahr und zehn Monaten beziehungsweise einem Jahr und sechs Monaten jeweils auf Bewährung.

Michael F. hatte eine kriminelle Karriere der handfesteren Art mit Banküberfällen und Geiselnahmen hinter sich, ehe er 2005 durch Zufall ins Metier der "Weißen-Kragen-Kriminalität" wechselte, wie der Richter sagte. Vor knapp vier Jahren gelangte F. an 2400 Kundenbelege der LLB, die 2003 entwendet worden waren. Den Dieb, einen ehemaligen Bankangestellter, der selbst mit einer Erpressung gescheitert war, hatte F. während einer gemeinsamen Haftstrafe kennengelernt. Sofort habe er begonnen, "verschiedene Verwertungswege" für die Unterlagen zu finden, so der Richter.

Zunächst versuchte der Angeklagte demnach, Kunden der Bank direkt zu erpressen. Bis zu 400 000 Euro verlangte er von den ihm durch die Belege bekannten Steuerhinterziehern. Er war im Besitz von Namen, Kontonummern und Anlagebeträgen. Würde nicht bezahlt, drohte F., werde er die Informationen an den Fiskus weiterleiten. Die LLB-Kunden wandten sich an ihre Bank - womit der Angeklagte nach Überzeugung des Gerichts gerechnet hatte. So wuchs der Druck auf die LLB, die eine Detektei einschaltete, um F. und Komplizen zu überwachen.

Die Bank reagierte, als der Angeklagte schließlich im Sommer 2005 neun Datensätze über einen Anwalt den Finanzbehörden in Bremen zukommen und ausrichten ließ, gegen eine entsprechende Zahlung noch mehr liefern zu können: Zwei Mitarbeiter der Detektei nahmen Kontakt zu F. auf. Für die Herausgabe der kompletten Kundendateien verlangte er 13 Millionen Euro. Er sei überzeugt gewesen, sagte F. während der Verhandlung, "dass es sich die LLB nicht leisten kann, dass ihre Bankkunden mit Steuerverfahren überzogen werden. Denn dann würde ja das ganze System zusammenbrechen, das ja gerade auf diese Steuerhinterziehung ausgelegt war."

Er sollte Recht behalten. Die LLB erklärte sich zur Zahlung der Summe bereit und übergab im August 2005 im Züricher Hotel "Schweizer Hof" die erste Rate von 7,5 Millionen Schweizer Franken in bar. Zwei Jahre später folgten an gleicher Stelle weitere vier Millionen Euro. Dafür erhielt die Bank jeweils 800 Datensätze zurück. Die dritte Tranche sollte kommenden August fällig werden. Doch dazu kam es nicht mehr.

Der Angeklagte, längst mit Frau und Kind nach Thailand verzogen, wurde mit 904 500-Euro-Scheinen im Gepäck am Hamburger Flughafen festgenommen, als er nach Bangkok wollte. Die Ermittler waren auf ihn aufmerksam geworden, als er versucht hatte, 1,3 Millionen Euro bei der Commerzbank in Rostock einzuzahlen und per Blitzüberweisung nach Thailand zu transferieren, einer seiner vielen gescheiterten Geldwäscheversuche. Das Gericht habe sich lange mit der Frage beschäftigt, wie schützenswert die erpresste Bank sei, erklärte der Richter. Obwohl ein Teil ihrer Einnahmen aus Steuerhinterziehungen stammte, wertete es die Tat als besonders schweren Fall.

Der Angeklagte habe nicht, wie behauptet, gegen Steuerhinterzieher zu Felde ziehen wollen, sondern sich selbst nach dem Prinzip bereichern wollen: Gebt mir 13 Millionen ab und ihr könnt weitermachen wie bisher. Erschwerend komme hinzu, dass die erpresste Summe sehr hoch sei und er noch über den Großteil der Beute verfüge. "Von 8,5 Millionen fehlt noch jede Spur", sagte der Richter. Staatsanwaltschaft und Verteidigung kündigten Revision an.

Ins Metier der Weißen-Kragen-Kriminalität per Zufall gewechselt

Wegen Erpressung der Liechtensteinischen Landesbank musste sich Michael F. - hier vor der Urteilsverkündung - vor dem Rostocker Landgericht verantworten. Foto: AP

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Ein Rettungspaket für die Privatuni

Die von Schließung bedrohte Hochschule Witten/Herdecke gewinnt doch noch Investoren - neue Studiengänge sollen sie attraktiver machen

Von Tanjev Schultz und Johannes Nitschmann

Düsseldorf/München - Die private Universität Witten/Herdecke ist vorerst gerettet. Investoren, Vertreter der Hochschule und der nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) verständigten sich in der Nacht zu Freitag auf ein "Zukunftskonzept", Kapitaleinlagen von 16 Millionen Euro und eine Bürgschaft in Höhe von zehn Millionen Euro. Pinkwart sagte, Witten-Herdecke soll im Jahre 2013 "eine schwarze Null schreiben".

Die Universität plant neue Studiengänge wie "Gesundheitsökonomie" oder "Management, Philosophie und Kultur". Sie sollen die bestehenden Schwerpunkte in Medizin, den Wirtschafts- und Kulturwissenschaften ergänzen. Die Zahl der Studenten soll von derzeit 1200 auf mehr als 1500 steigen, der Anteil der Studiengebühren am Etat von sieben auf mindestens 20 Prozent wachsen.

Die Hochschule habe "die Chance zu einem Neuanfang genutzt", sagte Minister Pinkwart. Es sei "ein Rettungsakt in letzter Sekunde" gewesen. Pinkwart kündigte an, das Land werde für die Universität 2009 und 2010 jeweils 6,75 Millionen Euro zahlen, je 2,25 Millionen Euro davon würden als Sonderzuschuss gewährt. Kurz vor Weihnachten hatte Pinkwart die Subventionen gestoppt und der Universität vorgeworfen, keinen soliden Finanzplan zu haben. Die Uni-Leitung trat daraufhin zurück.

Für das neue Präsidium präsentierten Geschäftsführer Michael Anders und der Mediziner Martin Butzlaff in der fast achtstündigen Nachtsitzung den Sanierungsplan. Sie wollen die Verwaltung der Uni umbauen, die Personalkosten sollen um sieben Millionen Euro sinken. Derzeit hat die Hochschule etwa 400 Vollzeitstellen. Die Lehre und vor allem die Forschung in der Medizin sollen jedoch ausgebaut werden. Dies ist nötig, um entsprechenden Forderungen des Wissenschaftsrats zu genügen. Im kommenden Jahr muss sich die Universität erneut einem Prüfverfahren des Wissenschaftsrats stellen, der die privaten Hochschulen evaluiert. Der Rat hatte bemängelt, die Witten/Herdecke sei in der medizinischen Forschung zu schwach. Wegen ihrer patientennahen Ausbildung, guter Examina und wegen ihres Brückenschlags zwischen Medizin und Pflegewissenschaft genießt die Uni aber bei vielen Ärzten einen sehr guten Ruf. Bekannt ist Witten/Herdecke außerdem für das Studium fundamentale: An einem Tag in der Woche gibt es für alle Studenten ein disziplinübergreifendes Programm.

Als neue Gesellschafter und Geldgeber wurden das Gemeinschaftskrankenhaus in Herdecke, die Software AG Stiftung, ein Alumni-Verein und die Familie Droege, Gründerin der gleichnamigen Unternehmensberatung gewonnen. Die Familie Droege war bereits vor zwei Jahren als Retter vorgestellt worden, hatte sich dann aber mit der damaligen Universitätsleitung überworfen. Sie soll nun eine Bürgschaft in Höhe von zehn Millionen Euro zugesichert haben.

An der Finanzierung will sich nach Angaben der Universität außerdem ein Verbund katholischer Krankenhäuser beteiligen, für die der Rechtsanwalt Artur Maccari als Verhandlungsführer auftrat. In den nächsten drei Jahren wolle dieser Verbund jeweils drei Millionen Euro als Kapitaleinlage zahlen.

Die Spitze der Universität trat Befürchtungen entgegen, das Profil der Hochschule könnte unter der Sanierung leiden. "Wenn es uns nicht gelingt, das Besondere dieser Universität zu erhalten, brauchen wir sie nicht mehr", sagte Geschäftsführer Michael Anders der Süddeutschen Zeitung. Anders war zuvor Kanzler an der privaten, anthroposophisch ausgerichteten Alanus Kunsthochschule in Alfter. Martin Butzlaff sagte, Witten besinne sich auf seine Stärken und setze weiterhin auf die Mitsprache der Studenten. Der "umgekehrte Generationenvertrag" bleibe erhalten.

Dabei geht es um ein von Studenten verwaltetes Gebühren-Modell: Studenten brauchen erst zu zahlen, wenn sie im Beruf genügend Geld verdienen. Als die Uni 1983 gegründet wurde, gab es noch keine Gebühren, mittlerweile müssen Mediziner etwa 32 000 Euro für ihr Studium zahlen, künftig könnte der Betrag auf mehr als 40 000 Euro steigen.

Der SRH Konzern, der mehrere Kliniken und private Fachhochschulen betreibt und das Wittener Gebührenmodell als zu riskant ablehnt, zog sich aus dem Kreis der möglichen Geldgeber zurück. Ein SRH-Sprecher sagte, der Zeitraum bis 2013 für eine Sanierung sei zu lang: "Was nach drei Jahren nicht saniert ist, bekommt man nie saniert." Man wünsche der Uni dennoch viel Glück, da deren Insolvenz für alle privaten Hochschulen ein herber Rückschlag wäre.

Minister Pinkwart kündigte an, nach derzeitigem Stand könnte das Land die Universität auch über das Jahr 2010 hinaus fördern. Für ihren Lehrbetrieb erhielten private Hochschulen kein Geld, bei Witten sei ein Zuschuss für die medizinische Forschung aber geboten. Kurz nach seinem Amtsantritt im Sommer 2005 hatte Pinkwart im Landtag noch gesagt, Witten/Herdecke sei ein wichtiges Experiment, aber man müsse sehen, ob man es dauerhaft weiterfördern wolle oder ob es ganz in den privaten Wettbewerb entlasse. "Letzteres ist mein Ziel", sagte Pinkwart damals. Die Universität Witten/Herdecke kann sich jedoch darauf berufen, dass ihre Studienplätze in Medizin für den Staat günstiger sind als die Plätze an den staatlichen Hochschulen.

Die Personalkosten sollen sinken - um sieben Millionen Euro

Die neue Spitze will das Profil der Hochschule auf jeden Fall erhalten

Anders als an anderen Hochschulen ist das Studium in Witten/Herdecke: Einmal wöchentlich müssen die Studenten Kurse im sogenannten "Studium fundamentale" besuchen, das ihrer Allgemeinbildung dienen soll. Ein weiterer Unterschied zu den staatlichen Universitäten ist, dass die Hochschüler für ihr Studium viel Geld ausgeben müssen. So kostet ein Medizinstudium derzeit insgesamt etwa 32 000 Euro. Das Geld müssen Studenten aber erst zahlen, wenn sie im Beruf genug verdienen. Bald sollen die Gebühren weiter steigen. Foto: ddp

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Wunsch aus Washington

Guantanamo-Häftlinge sollen auch nach Deutschland

Berlin - Das Auswärtige Amt (AA) geht davon aus, dass die neue US-Regierung auch Deutschland um die Aufnahme von Häftlingen aus dem Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba bitten wird. Seit Präsident Barack Obama am Donnerstag die Schließung des Lagers formell angeordnet habe, wisse man nun auch "offiziell", dass die USA wegen der Aufnahme von Gefangenen auf andere Staaten zugehen würden, sagte ein AA-Sprecher am Freitag in Berlin. "Wir tun gut daran, darauf vorbereitet zu sein." Zugleich bestätigte er, dass es in dieser Frage weiterhin "Beratungsbedarf" zwischen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) gebe. Steinmeier wünsche sich ein persönliches Gespräch mit Schäuble. Ein fester Termin dafür sei aber noch nicht verabredet, betonten sowohl der Sprecher als auch eine Vertreterin Schäubles.

Steinmeier befürwortet die Aufnahme von Guantanamo-Häftlingen, die auch nach Ansicht der USA erwiesenermaßen unschuldig sind. Dabei handelt es sich um 50 bis 60 Angehörige unterschiedlicher Nationen, die nicht in ihre Heimat abgeschoben werden können, weil ihnen dort politische Verfolgung droht. Demgegenüber lehnt Schäuble es ab, solche Menschen aufzunehmen. Er verweist überdies darauf, dass Steinmeier in dieser Frage nicht zuständig sei. Der Sprecher des Außenministeriums bestätigte, dass es schon vor der Amtseinführung Obamas Kontakte zwischen dessen Mitarbeitern und dem AA gegeben habe. Dies habe dazu geführt, dass Steinmeier schon vor Weihnachten erklärt habe, die mögliche Schließung von Guantanamo dürfe nicht daran scheitern, dass sich für Häftlinge kein Aufnahmeland finde.

Grüne und Menschenrechtsorganisationen stehen in dieser Frage seit längerem auch in Kontakt mit dem Kanzleramt. Nach Angaben des Grünen-Politikers Hans-Christian Ströbele geht es derzeit um die Aufnahme von gerade einmal vier Personen. Dazu gehört laut Ströbele keiner der uigurischen Gefangenen aus Guantanamo, die von China als Terroristen angesehen werden. Weil es in München eine starke uigurische Gemeinde gibt, war immer wieder spekuliert worden, diese Uiguren könnten nach Deutschland kommen. Im Kanzleramt wird jedoch befürchtet, dies könnte das Verhältnis zu China belasten. Mit Rücksicht darauf setzen sich die Menschenrechtsorganisationen jetzt für die Aufnahme von Russen, Syrern und Usbeken ein. Kommende Woche empfängt Kanzlerin Angela Merkel in Berlin den chinesischen Premierminister Wen Jiabao. Die Häftlingsfrage werde dabei kein Thema sein, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm. (Seite 4) Peter Blechschmidt

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Heikler Gnadenakt des Papstes

Benedikt XVI. will vier exkommunizierte Bischöfe zurück in die Kirche holen, unter ihnen ist ein Rechtsextremer

Von Julius Müller-Meiningen

Rom - Papst Benedikt XVI. plant offenbar, vier exkommunizierte Bischöfe der Lefèbvre-Strömung wieder in die katholische Kirche aufzunehmen. Unter ihnen ist auch ein bekennender Rechtsradikaler. Wie am Donnerstag bekannt wurde, ermittelt die Staatsanwaltschaft Regensburg gegen dem britischen Bischof Richard Williamson wegen Volksverhetzung, weil dieser den Holocaust geleugnet habe. Zeitgleich berichtete die Zeitung Il Giornale, der Papst habe bereits ein Dekret unterschrieben, das den Kirchenausschluss von vier Bischöfen aufhebe, die der traditionalistische Erzbischof Marcel Lefèbvre 1988 ohne Genehmigung des Heiligen Stuhls geweiht hatte. Unter ihnen ist auch Williamson. Damit wird das im Streit um die Rolle Pius XII. angespannte Verhältnis zwischen Judentum und katholischer Kirche einer weiteren Belastungsprobe ausgesetzt.

Der Vatikan hat den Bericht bislang nicht dementiert, was Kirchenkreise als Bestätigung der Informationen werten. Sprecher Ciro Benedettini sagte, der Vatikan bereite eine Erklärung zu dem Thema vor. Das am Mittwochabend im schwedischen Fernsehen ausgestrahlte und im lefèbvrianischen Priesterseminar in Zaitzkofen bei Regensburg aufgezeichnete Interview mit Williamson könnte nun die Pläne des Pontifex durcheinander gebracht haben. "Ich glaube, dass die Gaskammern nie existiert haben", wird Bischof Williamson darin zitiert. "Ich denke, dass 200 000 bis 300 000 Juden in den Konzentrationslagern umgekommen sind, aber keiner in den Gaskammern", fügte er hinzu. Williamson wie auch die von Lefèbvre ins Leben gerufene "Priesterbruderschaft Pius X." sind seit langem für ihre distanzierte Haltung gegenüber dem Judentum und ihre Ablehnung des interreligiösen Dialogs bekannt.

Anlass für den anscheinend bevorstehenden Gnaden-Akt des Papstes ist ein jahrzehntelanger Streit zwischen der Priesterbruderschaft und dem Heiligen Stuhl. 1988, unter Papst Johannes Paul II., zogen sich der inzwischen verstorbene Lefèbvre sowie Williamson, der Schweizer Bernard Fellay, der Franzose Bernard Tissier de Mallerais und der Spanier Alfonso de Galarreta die Exkommunikation wegen unerlaubter Bischofsweihen zu. Die Bruderschaft hatte zuvor die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) abgelehnt. Mit Joseph Ratzinger als Papst hat sich das Verhältnis deutlich verbessert. Als Benedikt XVI. im März 2007 Latein als offizielle Liturgiesprache zuließ, kam er einer zentralen Forderung der Traditionalisten um Lefèbvre nach. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt war der Papst im August 2005 auch mit dem exkommunizierten Bischof Fellay zusammengekommen.

Nach Bekanntwerden der Äußerungen Williamsons sagte Pater Eberhard von Gemmingen, Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan, der Schritt dürfe nicht als Wende des Papstes nach rechts interpretiert werden. Benedikt habe das offiziell nicht bestätigte Dekret mit Sicherheit in Unkenntnis der Äußerungen Williamsons unterzeichnet. "Ich verstehe es vielmehr als Schritt des Papstes, Brücken zu bauen und Frieden zu stiften." Der Zentralrat der Juden in Deutschland forderte eine Distanzierung des Vatikans und erstattete Strafanzeige gegen Williamson. (Bayern)

Traditionalisten

Es gibt viele Strömungen in der katholischen Kirche, die päpstlicher als der Papst sind. Zu den konservativsten zählen die Traditionalisten um den 1991 verstorbenen Bischof Marcel Lefèbvre. Der Franzose hielt die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils für verfehlt. Die alten Traditionen, etwa in der Messe, wollte er beibehalten und den Austausch mit Nicht-Katholiken einschränken. Zum Bruch mit Rom kam es 1988, als Lefèbvre trotz Warnung vier Anhänger zum Priester weihte, die dann exkommuniziert wurden. SZ

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Profiteur der Krise

Der Westen braucht Usbekistans Präsidenten Karimow

Von Sonja Zekri

Moskau - Er ist die Traumbesetzung für die Rolle des asiatischen Tyrannen, zwar nicht so schrullig wie der Turkmenbaschi, aber auch nach 18 Jahren Amtszeit praktisch nicht loszuwerden. Usbekistans Präsident Islam Karimow hat Hunderte Menschen auf dem Gewissen und die meisten davon an einem einzigen Tag umbringen lassen, als er in der Handwerker-Stadt Andischan in eine Demonstration schießen ließ. Islamistische Kräfte hatten damals einen Aufstand versucht, verkündete Karimow. Aber das glaubte ihm niemand.

Das Massaker von Andischan liegt vier Jahre zurück. Damals verhängte die Europäische Union ein Einreiseverbot für usbekische Politiker, und die USA schlossen ihre Militärbasis für den Nachschub nach Afghanistan. Inzwischen aber wird Islam Karimow nun nicht nur vom russischen Präsidenten Dmitrij Medwedjew hofiert, der gerade zum Staatsbesuch nach Taschkent gereist ist. Die Chancen für ein Comeback auf die internationale Bühne stehen so gut wie nie. Denn Karimows Reich ist zum Schlüsselstaat geworden, wirtschaftlich, politisch, militärisch - und Karimow genießt das: Die Welt ändere sich, sogar sehr schnell, das Verhältnis der Kräfte, die Akzente, die Ausrichtungen, alles sei im Wandel begriffen, sinnierte er am Freitag beim Empfang des Staatsbesuchs aus Moskau, Russland komme gerade noch "rechtzeitig".

Usbekistan ist einer der Profiteure der Gaskrise. Seit Russland als Lieferant ins Zwielicht geraten ist und die Europäer Alternativ-Routen erwägen, hat das Land die Gaspreise erhöht. Noch fließt alles durch Russland, aber nach der jüngsten Gaskrise ist der Traum von Nabucco so lebendig wie nie, von einer Pipeline der Lieferländer in Zentralasien nach Europa, ohne Russland und seine Problem-Nachbarn, dafür mitten durch Usbekistan.

Islam Karimow, der als Waise in einem sowjetischen Kinderheim aufwuchs, hat Maschinenbau studiert und mal im Flugzeugbau gearbeitet. Er kennt den Zusammenhang zwischen Kraft und Masse, Trägheitsmoment und Hebelwirkung, absolvierte eine lupenreine Parteikarriere, brachte es zum Parteisekretär der usbekischen Sowjetrepublik, sogar zum Politbüro in Moskau, setzte sich im August-Putsch gegen Michail Gorbatschow aber für die Unabhängigkeit ein. Seitdem regiert er als einer von vielen Befreiern, die zu Tyrannen wurden, gilt als märchenhaft reich und bereitet seine Tochter Gulnara als Nachfolgerin vor. Die Karimows, eine klassische postsowjetische Dynastie am Kaspischen Meer.

Und es spielt ihm die Unruhe nebenan ideal in die Hände. Im Nachbarland Afghanistan gewinnen die Taliban Kilometer um Kilometer. US-Präsident Barack Obama will mehr Truppen schicken, aber der Weg über den afghanisch-pakistanischen Khyber-Pass ist unsicher geworden. Bleibt die Nordroute, über Russland, Tadschikistan - und Usbekistan. Medwedjew hat in Taschkent soeben versprochen, dass Russland Amerika beim Transport nicht-militärischer Güter wie Medikamente oder Nahrungsmittel entgegenkommen könnte. Aber damit hätte der US-Nachschub erst die halbe Strecke nach Kabul hinter sich gebracht. Gerade hat US-General David Petraeus eine Tour durch die Region hinter sich, um neue Wege und Standorte zu ventilieren. Eine Annäherung könnte schneller kommen, als Menschenrechtlern lieb wäre. Karimow verkauft sich als ruhender Pol in der Unruheregion, und eine Hauruck-Demokratisierung, das weiß man auch im Westen, würde derzeit wohl nur die Islamisten stärken. 2008 hat Brüssel die Einreiseverbote für Karimows Beamte aufgehoben, worauf hin dieser sich aus einer Zollunion mit Russland verabschiedete. Andischan, Zensur und Folter sind vielleicht bald Stücke von gestern.

Sein Reich ist zum Schlüsselstaat geworden, wirtschaftlich, politisch, militärisch

Drängt auf die Weltbühne: Präsident Islam Karimow. Foto: AFP

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"Aktiv und agressiv den Frieden suchen"

US-Präsident Obama will eine Zwei-Staaten-Lösung in Nahost - und setzt hierfür einen Sondergesandten ein

Von Reymer Klüver

Washington - Es war eine Geste voller Symbolkraft und zumindest das Versprechen eines Neuanfangs - auch wenn noch nicht klar ist, wie dieser konkret ausfallen wird. An seinem zweiten vollen Tag im Amt besuchte der neue amerikanische Präsident Barack Obama das Außenministerium in Washington - noch vor dem Verteidigungsministerium, und das, obwohl die Nation zwei Kriege führt. Die Visite solle die "Bedeutung der Diplomatie" unterstreichen, sagte Obama unter Beifall der Mitarbeiter des State Departments. In seiner Rede betonte er den Vorrang der Diplomatie in der künftigen Außenpolitik seiner Regierung und versprach ein nachhaltiges Engagement der USA im Friedensprozess im Nahen Osten. Darüber hinaus deutete er aber keine grundlegenden Veränderungen der US-Nahostpolitik an. Die USA streben auch unter Obama die Zwei-Staaten-Lösung an, die friedliche Koexistenz eines Palästinenserstaates und Israels.

Außenministerin Hillary Clinton benannte, wie erwartet, zwei Sondergesandte: Der frühere Senatsführer der Demokraten, George Mitchell, soll als Sondergesandter den Friedensprozess im Nahen Osten wieder in Gang bekommen. Der frühere UN-Botschafter und Chefunterhändler des Bosnien-Friedensabkommens, Richard Holbrooke, soll das zivile US-Engagement in Afghanistan und Pakistan koordinieren. Er hat den Titel eines Sonderbeauftragten. Das verschafft Holbrooke nach Einschätzung diplomatischer Experten größeren Freiraum und direkten Zugang auch zum Weißen Haus. Beide Emissäre wollen erstmals Anfang Februar in die jeweiligen Krisenregionen reisen.

Tatsächlich dürfte die hochkarätige Besetzung der Posten an sich schon neuen Schwung in die diplomatischen Bemühungen der USA bringen. Allerdings warf das Großaufgebot im State Department - außer den neuen Emissären und dem Präsidenten sprach auch Vizepräsident Joe Biden, nur der neue Sicherheitsberater des Weißen Hauses, James Johns, fehlte - auch gleich Fragen in Washington auf: Wer wird künftig die Federführung in der US-Außenpolitik haben? Oder wird es ein Gerangel um Einfluss und Zuständigkeiten geben wie in der ersten Amtszeit von Präsident George W. Bush?

Obama sagte, die USA würden künftig "aktiv und aggressiv einen dauerhaften Frieden zwischen Israel und den Palästinensern sowie zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarländern suchen". Der jüngste Konflikt in Gaza habe dem neue "Dringlichkeit" vermittelt. Er betonte, dass die USA weiter das Recht Israels auf Selbstverteidigung unterstützen würden. Der Raketenbeschuss Israels durch die Terrororganisation Hamas sei untragbar. Genauso aber sei "eine Zukunft ohne Hoffnung für die Palästinenser" nicht hinnehmbar.

Obama sagte, er sei "tief besorgt" über die zivilen Opfer des Konflikts in Israel und in Gaza. Er betonte jedoch ausdrücklich das "beträchtliche Leid und die humanitären Bedürfnisse" in Gaza. "Die palästinensischen Zivilisten tun uns leid, die dringend Nahrungsmittel, sauberes Wasser und medizinische Grundversorgung brauchen und die viel zu lange unter erstickender Armut gelitten haben", betonte Obama. Das wird allgemein als Zeichen gewertet, dass die USA künftig Israel zu mehr Rücksichtnahme auf die Zivilbevölkerung drängen werden. Der Bush-Regierung war in den jüngsten Konflikten von arabischer Seite wiederholt einseitige Parteinahme für Israel vorgeworfen worden. Obama forderte die Öffnung der Grenzübergänge nach Gaza. Er rief Hamas zum Gewaltverzicht auf und die arabischen Nachbarländer zu mehr Engagement im Friedensprozess: "Es ist Zeit zum Handeln."

Clinton betonte, dass die US-Außenpolitik künftig auf drei Säulen stehen werde: Diplomatie, Entwicklungshilfe und militärisches Engagement. Sie benutzte dafür wieder die Formel der smart power, die sie bereits bei ihrer Anhörung im Senat geprägt hatte, womit sie den klugen Einsatz aller Mittel meint, die den USA zur Verfügung stehen, nicht nur der militärischen.

Fast zeitgleich zum Auftritt Obamas im Außenministerium kündigte Verteidigungsminister Robert Gates eine Überprüfung des militärischen Vorgehens in Afghanistan an. Die bisherigen militärischen Ziele in Afghanistan seien zu breitgefächert. Gates nannte vorrangig die Rückgewinnung der militärischen Kontrolle in allen Regionen Afghanistans als wichtigstes Ziel.

Der Präsident betont das "beträchtliche Leid und die humanitären Bedürfnisse" in Gaza

Sowohl Israel als auch die Palästinenser begrüßen die Ernennung von George Mitchell (rechts) zum neuen US-Beauftragten für den Nahen Osten. Links Präsident Barack Obama. Foto: Reuters

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Die gefährliche Arbeit russischer Anwälte

Nach den Morden in Moskau klagen Juristen über staatliche Repressionen und fürchten um ihre Kollegen

Von Sonja Zekri

Moskau - Wenn Karina Moskalenko Angst hat, dann nicht um sich selbst. Dabei sah es einmal schon so aus, als hätte es sie selbst erwischt. Kurz vor dem Prozessbeginn wegen des Mordes an Anna Politkowskaja kam die Meldung aus Straßburg, dass Moskalenko, Anwältin der Familie der ermordeten Journalistin, mit Quecksilber vergiftet worden sei. Es hätte niemanden erstaunt - Tschetschenien, Russlands Ruf, die internationale Aufmerksamkeit, das war keine gute Mischung. Am Ende stellte sich heraus, dass das Quecksilber nicht ihr galt. Davor wollte man ihr als Verteidigerin von Ex-Yukos-Chef Michail Chodorkowskij die Zulassung nehmen. "Das war ein absurder Versuch, uns einzuschüchtern und den Ruf der Anwälte in den Schmutz zu ziehen", sagt Moskalenko in der Prozesspause im Politkowskaja-Verfahren. Der Fall wird im Militärgericht an Moskaus Kitschmeile Arbat verhandelt, es ist eine Justiz-Farce mit gegängelten Geschworenen und mäßigem Aufklärungswillen. Und derzeit wird er überschattet vom Doppelmord an Moskalenkos Kollege Stanislaw Markelow, und seiner Begleiterin, der Journalistin Anastasija Baburowa. Am Montag wurden beide erschossen, am Freitag ist Markelow auf dem Friedhof in Ostankino im Norden Moskaus beigesetzt worden.

In millionenschweren Geschäftsverfahren gab es schon früher Anschläge und Morde auf Juristen. Und politisch motivierte Prozesse konnten den Verteidigern immer zum Verhängnis werden, etwa den Yukos-Anwälten wie Swetlana Bachmina, die vor kurzem im Gefängnis ein Kind zur Welt brachte. Aber der Mord an Markelow hat den Tod in eine Zunft gebracht, die sonst die Schuld am Sterben anderer verhandelt. Trotzdem sagt Moskalenko: "Früher hab' ich mir Gedanken gemacht. Das ist vorbei." Heute fürchtet sie um jene jungen Anwälte, die mit ihr Tschetschenen vor dem Straßburger Menschenrechtsgerichtshof verteidigen. "Wir gewinnen jedes Jahr mehr Fälle", sagt sie, "2007 waren es 14, aber allein in diesem Jahr 28. Natürlich reizt das die russische Führung." Und deshalb, so Moskalenko, trägt diese Mitschuld am Tod Markelows: "Sie tut, als wäre einer wie Markelow ein Feind des Staates und des russischen Volkes, und irgendein Radikaler greift dann zur Waffe. Wir Anwälte wären so leicht zu schützen: Man bräuchte nur eine normale Gesellschaft."

Aber Russland ist kein Rechtsstaat. Allein das Niveau der Ermittlungen, sagt Jurij Kostanow, liege noch unter jenem aus Sowjetjahren. "Natürlich gab es damals Rechtlosigkeit, sogar jede Menge. Aber ich habe als Staatsanwalt wegen Mangels an Beweisen die Freilassung eines Angeklagten durchsetzen können, der erschossen werden sollte", sagt er: "Heute ist Gesetzlosigkeit die Regel." Kostanow war 25 Jahre Staatsanwalt und arbeitet seit 15 Jahren als Anwalt, er gehört zum Rat Unabhängiger Juristen; die Ermittlungen im Fall Markelow und Baburowa findet er haarsträubend. Am Tag nach dem Doppelmord habe ein Passant eine Patronenhülse gefunden. "Danach hat das Ermittlungskomitee der Staatsanwaltschaft eine neue Spurensicherung durchgeführt. Ja, was haben sie denn bei der ersten gemacht?", fragt er. Die Ermittlungen in Kriminalfällen führten heute die Sicherheitsdienste durch, und deren Methode sei einfach: "Sie greifen sich den Erstbesten und schlagen ihn mit dem Kopf gegen die Wand, bis er gesteht." Der russische Präsident Dmitrij Medwedjew ist Jurist, wie Ministerpräsident Wladimir Putin, und beschwört den Rechtsstaat in jeder Rede. Ausgerechnet er aber hat ein Gesetz unterzeichnet, das die Zuständigkeit von Geschworenenprozessen einschränkt, die nun nicht mehr über Fälle von Terrorismus oder Umsturzversuchen entscheiden dürfen. Seit zehn Jahren, sagt Kostanow, werde das russische Recht härter. "Medwedjews Justizreform hat dazu geführt, dass die Richter sich neuerdings mit einer Aura der Unabhängigkeit umgeben. Für unsere geknechteten Richter ist das paradiesisch. Aber das ist auch alles."

99 Prozent aller Strafverfahren in Russland enden mit einem Schuldspruch. Die Tätigkeit als Anwalt sei "eigentlich hoffnungslos", sagt Kostunow. Jungen Leuten, die Juristen werden wollen, rät er ab. Sich selbst sieht er manchmal als Feigenblatt zur Kaschierung eines Unrechtsstaates. Andererseits: "Ein Arzt gibt einen hoffnungslosen Fall auch nicht auf."

"Eine öffentliche Hinrichtung": Freunde und Bekannte trauern um Stanislaw Markelow. Foto: Reuters

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Der große Lausangriff

Das Stigma von Schmutz und Armut: Die Parasiten stürzen Millionen Eltern in Schrecken, bringen Pharmafirmen schöne Gewinne und Forscher zum Schmunzeln. Wer der Spur der Tiere folgt, der lernt, dass sie nicht nur auf dem Kopf ein Problem sind, sondern auch im Kopf

Von Renate Meinhof

Düsseldorf/Berlin - Will man wissen, was geschieht, wenn man nichts tut, wenn man sie also am Leben lässt und zeugen lässt, und Eier legen und Blut saugen und zeugen und Eier legen und saugen und . . ., dann muss man ins Medizinhistorische Museum der Berliner Charité gehen. Hierher pilgern Menschen, die sich, als Beispiel nur, im Angesicht des Hässlichen und Morbiden ihrer körperlichen Unversehrtheit versichern möchten, was nirgends so leicht ist, so widerstandslos auch und leise wie hier, wo zirrhotische Lebern zur ewigen Anschauung verdammt sind und Föten in Formalin schweben wie untotes Wachs, ein Auge nur inmitten der Stirn. Oder Janusköpfe, die in Nächten, die der Angst gehören, wieder auftauchen wie ungebetene Gäste. Gleich rechts neben den "Syphilitischen Gummen" einer 1949 gestorbenen Frau steht das Präparat mit der Nummer 106/1859. In einem Glas eine dunkelbraune klumpige Spindel. Man möchte sich vorstellen, wie es mal Schleifen trug, dieses Haar, und glänzend und leicht auf dem Kopf eines Kindes durch Berlin wippte. "Weichselzopf 1859", steht dabei, "Verfilzung und Verklebung der Haare durch Nissen und Ekzemkruste bei hochgradiger Kopfverlausung".

Aha. Dieses Büschel also hatte Peter Fischer in seinem schrankumstellten Zimmer des Kreuzberger Gesundheitsamtes gemeint, als er sagte: "Nu gucken Se sisch das doch erstmol an." Aber sowas wie den Weichselzopf da im Museum bekäme er heute nur noch sehr selten zu sehen, bei Obdachlosen manchmal.

Und Heinz Mehlhorn, der Parasitologe, hatte gesagt, dass er bei ägyptischen Straßenkindern mit seinen Studenten schon mal fünfhundert Läuse von einem Schopf herunterkämme, richtig gute Experimentiermengen also, in Deutschland seien die Tiere aber eher ein Problem des Kopfes. Er meinte nicht Haut, nicht Haare. Er meinte die Psyche, den Wahn.

"Läuse? Die gibt es noch?", fragen Ältere, die den Krieg erlebt haben. "Läuse!", kreischen Mütter an der Tür zum Kindergarten und raunen der Tochter, später zum Abschied, ins Ohr: "Also mit Shirin, Kevin und Soraya spielste jetzte mal nich, die ham Läuse."

Es sind Frauen, die aussehen, als fürchteten sie den Abstieg in die Unterschicht, den Einbruch der Wildnis in ihr reinliches Leben. Als würden die Blutsauger ihre Kinder leertrinken, zu anämischen Elendsgestalten, solche Phantasien. Als brächten sie Krankheiten wie die Kleiderlaus. Die tat ja schon ihr Übriges, um Napoleons Armee in Russland durchs Fleckfieber zu Fall zu bringen. Wie mächtig sind die eigentlich, die Läuse?

Man schreibt am besten über sie, wenn man welche hat. Dann ist man, sind mehrere in der Familie betroffen, ganz nah dran am Tier und am Wahn, und wenn es nicht Heinz Mehlhorn, den Wissenschaftler, gäbe, säße man womöglich schon in der Sprechstunde von Wolfgang Harth, der im Grenzbereich zwischen Dermatologie und Psychiatrie mit allem schon zu tun hatte, alles schon gesehen hat, was Tiere, und insbesondere die Kopflaus, bei Menschen auszulösen vermag, vorausgesetzt, sie haben gewisse Dispositionen.

Läuse lassen sich nicht zählen. Nirgends gesicherte Daten. Die Pedikulose, der Kopflausbefall, ist nach dem Infektionsschutzgesetz keine meldepflichtige Krankheit, auch wenn Eltern dem Kindergarten oder der Schule mitteilen müssen, wenn ihr Kind verlaust ist. Sie müssen es auch selbst behandeln. Aus Scham aber, als schmutzig zu gelten, sagen viele nichts. Mit Läusen ist das Stigma von Armut und Dreck verbunden, eine alte Geschichte ist das. Wer in Bibliotheken sucht, stößt zum Beispiel auf die Abhandlung "Ueber den Weichselzopf" aus dem Jahr 1879. Ein gewisser Stanislaus Ostyk von Narbutt "aus Szawry in Lithauen" hat sie verfasst. Er beschreibt den verlausten Kopf eines bitterarmen polnischen Bauern. Seine "verklebten Haarlocken waren wie mit dickem gelbem Lehm angestriechen", schreibt er, "wie gesprenkelt von . . . Läusen, denen die beste Gelegenheit zur raschen Entwicklung geboten war". Es sind 16 Seiten sauber aufgearbeiteten Ekels, Narbutts Dissertation. Das Stigma hat sich über die Jahrhunderte ins Unterbewusstsein gegraben. Da ist es bis heute.

Es trifft aber jeden. Wissenschaftler der Charité haben Schätzungen veröffentlicht, wonach in Deutschland in der Gruppe der Sechs- bis Zehnjährigen rund 1500 Kinder, gerechnet auf 10 000, im Jahr neu erkranken. Kinder, besonders kleine, stecken im Spiel ständig die Köpfe zusammen. Als die Schüler einer Düsseldorfer Grundschule befragt wurden, sagten 85 Prozent der Kinder, dass sie schon mindestens einmal Läuse gehabt hätten. Etwa 30 Millionen Euro im Jahr werden in Deutschland für Läusemittel ausgegeben. Wie viele Schultage versäumt werden, wie viele Arbeitstage verlorengehen, weil Eltern mit den Kindern zu Hause bleiben, um täglich die Bettwäsche auszukochen, um Kuscheltiere einzufrieren, die Wohnung zu desinfizieren, den kratzenden Kindern übel riechende Flüssigkeiten auf den Kopf zu tröpfeln - alles ungezählt.

Der Parasitologe. "Bei mir rufen Mütter an, die psychisch am Ende sind", sagt Heinz Mehlhorn, was daran liege, dass sie sich schämten und kaum etwas wüssten über die Laus, ihre Gewohnheiten, ihre zwei "Gehirne", die "Grandioses leisten". Und wie sensibel sie ist, die Laus.

Mehlhorn schwärmt. Mehlhorn weiß alles über sie, alles. Er leitet das Institut für Zoomorphologie, Zellbiologie und Parasitologie an der Düsseldorfer Universität. Wenn man mit ihm die schweren Schleusen zu den Klimakammern passiert, dem hektischen Krabbeln der Schaben zusieht, den Schmeißfliegen, Maden, Flöhen, Wanzen und Würmern aus aller Welt, die hier zur Forschung gehalten werden, dann ist es einzig Mehlhorns echte Begeisterung, die man nicht beleidigen möchte, und die einen davon abhält, sich auf der Stelle zu übergeben.

Mehlhorn ist ein fülliger fröhlicher Mann, dem es gelungen ist, sich nicht nur in der Welt der Wissenschaft einen Namen zu machen, sondern auch einem breiten Nachmittagspublikum bekannt zu werden, mindestens doch im Sendegebiet des Westdeutschen Rundfunks, wo er gelegentlich in "Daheim&unterwegs" auftritt, um unter der Rubik "Mensch und Tier" zum Beispiel zu erklären, ob es sinnvoll ist, Schlupfwespengeschwader gegen Kleidermotten einzusetzen oder nicht. Oder ob man die Bettwäsche wirklich täglich auskochen muss, weil die Kinder Läuse haben. Nein, soll man alles nicht. Dass Mütter bei ihm Rat suchen, weil sie sich über Wochen, manchmal Monate, im Krieg mit dem Tier befinden, hat also einen Grund.

"Nur dumme Läuse fallen vom Kopf", sagt Mehlhorn. "Die Laus hat sich vor fünf Millionen Jahren an den Menschen gekettet, sie ist ein Spezialist geworden. Sie tut alles, um ihn nicht zu verlieren." Ist doch ganz einfach. "Wenn Sie wissen, Ihr Essen steht immer da auf dem Tisch", (Mehlhorn klopft auf den Tisch), "warum sollten Sie dann woanders herumturnen?" Ohne einen Menschenkopf überlebt die Laus nur etwa einen Tag, vorausgesetzt, es ist warm, feucht und sie hatte gerade eine Blutmahlzeit. Mehlhorn spricht das Wort mit Genuss aus. Blutmahlzeit. Alle zwei bis drei Stunden muss die Laus Blut saugen. Im Laufe der Evolution hat sie gelernt, dass der Mensch ein endliches Wesen ist, deshalb rennt sie mit ihren Krallenbeinen nach jeder Blutmahlzeit einmal das Haar ganz herunter, bis ans Ende, und schaut, ob sie nicht Haarkontakt zu einer anderen Person bekommen kann. Da sitzt sie dann eine Weile und wartet. Wenn niemand kommt, rennt sie wieder in die Wärme und Feuchte, nah der Kopfhaut, wo sie ihre Eier ans Haar klebt.

"Da an der Haarspitze, da ist der Moment des Übergangs!", ruft Mehlhorn und springt vom Schreibtisch auf, "fast ausschließlich von Haar zu Haar!"

"Es ist also Unsinn, wenn Krankenschwestern oder Apotheker Eltern raten, die ganze Wohnung, das Auto noch, auf den Kopf zu stellen? Vielleicht hat man ja Pech und dumme Läuse erwischt?"

"Das kann man vernachlässigen und rechtfertigt nicht diesen Wahnsinn", sagt Mehlhorn. Je länger man ihm zuhört, umso mehr verliert die Laus ihren Schrecken. Mit seinen Kollegen hat der Professor selbst ein Mittel gegen Kopfläuse entwickelt. Es ist ein Shampoo, ein Medizinprodukt, das biologisch wirkt, vor allem mit dem Öl des Neem-Baum-Samens, der aus Indien stammt. An den Wochenenden arbeiten manchmal 30 Studenten mit in der Firma auf dem Uni-Gelände, verdienen sich Geld, sonst käme man gar nicht nach mit der Arbeit. "Denken Sie daran", sagt Heinz Mehlhorn beim Abschied, "die Laus war immer da und wird immer da sein, aber sie ist so harmlos wie die Flechte am Baum." Amen. Er lacht. Er steigt in sein Auto, fährt los. NE-HM ist das Letzte, was man von ihm sieht, hinten auf dem Nummernschild seines Wagens.

Der Unternehmer. Eduard R. Dörrenberg am Apparat. Dörrenberg ist aufgeregt, noch immer. Dabei liegt das Ganze schon bald ein Jahr zurück. "Läuse haben keine Lobby, das ist es doch!", ruft er in den Hörer, "es geht ja nur um ein paar Millionen Kinderköpfe, es stirbt ja keiner dran!" Dörrenberg ist Mittelständler, Geschäftsführer von Dr. Wolff Arzneimittel in Bielefeld. Vor knapp einem Jahr hatte er in großen Zeitungen den offenen Brief, den er an Gesundheitsministerin Ulla Schmidt geschrieben hatte, als Anzeige abdrucken lassen. Er fühle sich im Wettbewerb behindert, hieß es da, sein Mittel habe in Studien gezeigt, dass es ohne chemisch wirkende Insektizide Läuse töte, aber in die staatlich geprüfte Entwesungsmittelliste sei es noch nicht aufgenommen worden. Auf der Liste sein heiße aber: Geld verdienen. Alles dauere zu lange, die Bürokratie . . . Dann stand da ein Satz, der seinen großen Konkurrenten, den Marktführern in der Branche, nicht gefallen konnte: "Insektizide gehören nicht auf Kinderköpfe."

Dr. Wolff Arzneimittel ist eine der Firmen, die ein Läusemittel vertreibt, das physikalisch wirkt. Dimeticon heißt der Stoff, mit dem es wirkt, und Silikon, ein Kunststoff, ist dessen Basis. Die Läuse und deren Eier, wenn man es einfach ausdrückt, werden mit einer dicken Schicht Kunststoff bedeckt und auf diese Weise erstickt. Die meisten anderen Läusemittel wirken chemisch, mit Schädlingsbekämpfungsmitteln. Das Eine gilt vielen Eltern als schonend, das Andere als aggressiv. Was wohl werden sie kaufen?

"Wir sind von den Wettbewerbern mit Prozessen überzogen worden", sagt Dörrenberg, "die verdienen ja ordentlich Geld mit ihren Präparaten." Er verdient noch nicht so viel, aber bitte, keine Zahlen. Er habe selten so viel Herzblut in eine Sache gesteckt wie in diesen Kampf. Auf der Liste ist sein Mittel immer noch nicht. Dafür hatte Dörrenberg die Idee mit dem "Läuseatlas". Er hat alle Läusemittelverkaufszahlen mit der Kinderdichte in allen Postleitbezirken Deutschlands verrechnet. Ein Klick im Internet. Da steht eine Frau vor der Deutschlandkarte. "Erfahren Sie schnell und einfach, in welchem Umfang an ihrem Wohnort mit Kopfläusen zu rechnen ist", sagt sie. Klick. Postleitzahl eingeben. Klick. Berlin-Schöneberg. "Hier können Läuse bei bis zu sieben von zehn Kindern vorkommen, also etwa dreimal so häufig wie der Durchschnitt", sagt die Frau. "Vorsicht ist geboten." Klick. Wegen der betonten Dehnung der Worte "siiieben" und "dreeiiimal" spürt man sofort, dass man in Schöneberg einem dramatischen Risiko ausgesetzt ist. Aber was heißt das: vorsichtig sein? Die Kinder mit Badekappen in die Schule schicken?

Der Dermatologe. Nehmen wir eine 58-jährige Frau, alleinstehend. Sie hatte ihre kleine Enkelin zu Besuch. Die Enkelin hatte den Kopf voller Läuse. Die Oma hat sie entdeckt, ist in die Apotheke gegangen, hat ein Mittel gekauft, das Kind entlaust. Gut soweit. Die Enkelin ist wieder weg. Die Läuse aber, sie sind geblieben bei der Frau. Nicht die Tiere selbst natürlich, die sind tot, längst weggespült. Aber der Gedanke an sie ist geblieben. Sie spürt die Läuse, glaubt, dass die Tiere auch unter die Haut gekrochen sind. Die führen da ihr Eigenleben. Nachts steht die Frau auf, duscht eine Stunde, zwei, kratzt sich, kämmt ihre Haare aus. Bohrt sich mit Scheren und Pinzetten die Arme auf, angelt etwas hervor, etwas, das aussieht wie . . . Sie tut es in eine Streichholzschachtel, schnell zumachen, bohrt weiter, wird das dem Arzt zeigen, was sie da hat. Dem achten Arzt, dem neunten, den sie aufsucht.

"Haben Sie schon einmal Bilder von den Körpern solcher Menschen gesehen?", fragt Wolfgang Harth und holt ein Buch aus dem Regal in seinem Sprechzimmer. Er ist Dermatologe am Klinikum Berlin-Friedrichshain. Wenn er den Prototyp einer Patientin mit Dermatozoenwahn beschreibt und Bilder zeigt von "aufgeknubberten" Armen, wie er es nennt, ahnt man das Ausmaß einer Krankheit, die so selbstzerstörerisch ist, dass man nicht glauben mag, sie könne durch harmlose Läuse ausgelöst werden. Wie mächtig sind die eigentlich?

Harths Gebiet ist die Psychodermatologie. Nicht viele Spezialisten gibt es da, in Deutschland sind es etwa 45. Nicht viele, die es verstehen, sich an Menschen heranzutasten, die, zum Beispiel, krankhaft Angst haben, von Parasiten, Läusen, Flöhen, Würmern, befallen zu sein, ohne dass man etwas sieht oder gar medizinisch nachweisen kann. Für die Kranken aber sind die unsichtbaren Tiere: Realität, Wahn-Realität. Manchmal übernehmen in einer Familie sogar die Gesunden den Wahn des Kranken. Eine Art "psychotischer Ansteckung" finde da statt, sagt Wolfgang Harth. "Folie à famille" nennt man das. Er schlägt das Buch wieder zu, aber die Bilder bleiben einem im Kopf: der wunde Rest von Menschen.

"Das kann also jeden treffen, wenn nur ein auslösendes Moment kommt, eine Laus zum Beispiel?"

Harth schaut einen mitleidig an. "Nein, es muss schon eine Prädisponierung geben", sagt er, eine Anfälligkeit, "aber, mein Gott, kein Mensch weiß, wie Psychosen zustande kommen".

Der Desinfektor. Zu Peter Fischer kommen auch manchmal Menschen, die glauben, Läuse zu haben, und haben aber keine. Dann wieder kommen Menschen, die haben welche und wollen das nicht glauben. Neulich kam eine Frau mit ihrem Kind, das hatte den Kopf voll der Tiere. Fischer untersucht den Jungen mit Sorgfalt. Läuse. Fischer sagt der Mutter, was sie jetzt tun muss. Auf der Bescheinigung des Gesundheitsamtes, die zu stempeln er ermächtigt ist, kreuzt er an: "Kopflausbefall. Es besteht somit automatisch ein Besuchsverbot in Gemeinschaftseinrichtungen." Ohne Behandlung kein Kindergarten. Der Mutter steigt die Wut ins Gesicht, die sie Fischer auf den Tisch spuckt: "Mein Sohn hat keine Läuse!" Sie schreit den Satz, zerreißt das Gestempelte, rennt raus. Fischer blieb zurück in seinem Zimmerchen im Gesundheitsamt, an seinem Schreibtisch, hinter sich drei schmale Schränke, vor sich drei und rechts die Schautafel mit der riesigen Laus zur Anschauung. "Die Laus fliegt nich. Die Laus springt nich", sagt er hier den Leuten, die nichts wissen, außer, dass ihnen der Kopf juckt. "Die Laus hat ja kein Sprungbein wie der Floh." Aber für den Floh gibt es keine Tafel. Manchen zeigt er auch die Laus, der er vor Jahren schon unter durchsichtiges Klebeband auf Papier gepappt hat. Gefangen am 8. 2. 1996, steht darunter. Das Papier ist mürbe, das Klebband vergilbt. Die Laus? Ein Matsch.

"Der Job is nich ohne", sagt Peter Fischer, "aber die große Masse der Bürger ist einsichtsvoll." Er stammt aus Thüringen. Nach der Wende musste er ganz neu anfangen, jetzt ist er 52. Draußen im Flur knattern Bohrer. Draußen im Hof krächzen die Krähen. Dazwischen Fischer, der nicht aussieht, als sei das Suchen von Läusen das Ziel seiner Träume.

"Soll ich jetzt mal bei Ihnen . . .?"

Also. Platz nehmen bitte. Fischer arbeitet genau, sucht hinter den Ohren, den Scheitel entlang, Strähne um Strähne, dann den Hals. Nein, nichts, gar nichts. Er zieht ein Buch aus dem Schrank, "Kopflauskontrolle Band III", notiert Namen, Geburtsdatum, Adresse. "Muss scho Ordnung sein auf der Strecke", sagt Peter Fischer. "Sie werden jetzt hier wie jede Bürgerin behandelt, die kontrolliert wurde." Er füllt die Bescheinigung aus. "Kein Kopflausbefall. Der Besuch der Gemeinschaftseinrichtung kann ab sofort wieder erfolgen." Fischer unterschreibt. Stempeln auch? Stempeln, ja bitte. Weil der Stempel so machtvoll ein Ende setzt. Dingen wie Läusen.

"Mit Shirin, Kevin und Soraya spielste jetzte ma nich . . ."

16 Seiten Ekel, sauber aufgearbeitet für die Dissertation

Nach jeder Blutmahlzeit rennt sie los, um Ausschau zu halten

Einer erstickt sie, die anderen vergiften sie

Der Doktor und der wunde Rest von Menschen

Von Menschen und Läusen: Im Museum kann man die Insekten auch als Modell in stattlicher Größe betrachten (Bild oben). Zum Berliner Psychodermatologen Wolfgang Harth (Mitte) kommen auch Patienten, die krankhafte Angst vor Parasiten entwickeln. Unter dem Mikroskop ist zu sehen, wie sich die bis zu 3,3 Millimeter großen Tiere mit ihren Beinen am Haar festklammern. Fotos: Rumpf, Meinhof, Mehlhorn

Kampfzone Kopf: Mit Nissenkamm und Lupe sucht eine Mutter nach den Blutsaugern in den Haaren ihrer Tochter. Foto: Wolfgang Maria Weber

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MEIN DEUTSCHLAND

Pascale Hugues

In diesen schweren Zeiten wirtschaftlicher Turbulenzen brauchen die Deutschen, vielleicht mehr als andere, stabile Koordinatensysteme. Ein Symptom für dieses Bedürfnis ist der etwas übertriebene Kult um Helmut Schmidt - der Altbundeskanzler scheint Antworten auf alle unlösbare Fragen zu haben, die Deutschland, ja den ganzen Planeten beschäftigen. Genau andersherum ist es mit Adolf Merckle: Dass ein Mann, Inbegriff des zupackenden Unternehmers und des gesunden Menschenverstandes, sein Imperium verzockte, hat die Menschen schockiert. Die heftigen Reaktionen der Medien, die Merckle als Jongleur, als Hasardeur bezeichneten, sind ein Maß für die Enttäuschung der Deutschen, wenn eines ihrer Vorbilder scheitert.

Vor allem aber ist es Barack Obama, der die Sehnsucht nach einem aufrechten Menschen verkörpert, nach einem Held, der die Krise besiegen könnte. Man erinnert sich an den Tiergarten, der schwarz vor Menschen war, als Obama im Sommer Berlin besuchte, als er nicht mehr als ein Kandidat fürs Weiße Haus war. Die Berliner haben ihn empfangen wie einen Superstar, nein wie einen Messias. "Ich habe seine Schulter berührt", rief damals eine junge Frau wie in Trance aus. Eine fast mystische Erfahrung. Und jetzt die Inbrunst, mit der die Deutschen an der Amtseinführung Obamas teilgenommen haben. Sie sucht ihresgleichen in Europa.

Franzosen reiben sich die Augen, diese Schwärmerei wäre in ihrem Land nicht möglich. Zunächst natürlich, weil Frankreich seit De Gaulle Abstand zum amerikanischen Onkel hält, das Verhältnis ist weniger gefühlvoll. Die Deutschen dagegen haben nicht vergessen, was sie Washington schulden - für die Demokratie, für den Wirtschaftsaufschwung nach dem Krieg, für die freie Stadt Berlin. Auf die Straße geht man in Frankreich durchaus, doch nicht für, sondern gegen jemanden. Zehntausende Franzosen haben gegen George W. Bush demonstriert, als in den Irak-Krieg gezogen ist. Und jede Reform, die eine Regierung egal welcher Couleur wagt, wird von Protesten eingeleitet - das ist ein Naturgesetz. Wenn in den Straßen von Paris jemand gefeiert wird, kann es sich nur um einen Popstar handeln.

Auf die Gefahr hin, zu psychologisieren und alte Klischees zu bedienen: Die Deutschen sind ein sorgenvolles Volk. Sie sind die Könige der Sparbücher, die Europäer mit den meisten Versicherungspolicen, die Meister der Angst - übrigens eines der wenigen Begriffe, die es in die französischen Wörterbücher geschafft haben. Wenn also der Boden unter den Füßen schwankt, tut ein junger, schwarzer, sympathischer und charismatischer Präsident gut. Und man will so gerne glauben, dass dieser Mann auf alles eine Antwort hat.

Vier Berliner Auslandskorrespondenten schreiben an dieser Stelle jeden Samstag über Deutschland. Pascale Hugues arbeitet für das französische Nachrichtenmagazin Le Point (Foto: Nelly Rau-Häring).

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Prinzip Hoffnung

Amerikas Politik ist verfahren, sie braucht jetzt motivierte und idealistische Leute

Zur Berichterstattung über die Amtseinführung von US-Präsident Barack Obama schreiben SZ-Leser:

Hoffnungsträger wie Obama hätten bei uns leider keine Chance. Das Mehrheitswahlrecht sollten wir uns trotzdem nicht wünschen, wie man an acht Jahren George W. Bush sieht. Eine grundlegend verfahrene Politik lässt sich nur durch einen so umfassenden Austausch der regierenden Kaste mit neuen, unverbrauchten, motivierten, unabhängigen, idealistisch gesonnenen Leuten wie jetzt durch Obama wieder aufs Gleis bringen.

Alfred Mayer

München

Gott schütze

Amerika

Zu wünschen ist es wahrlich nicht - aber Barack Obama könnte scheitern, vielleicht sogar katastrophal. Seine Regentschaft könnte schon nach vier Jahren im Chaos enden, obwohl der neue Präsident sehr sympathisch und ehrlich und sicher intelligenter als sein Vorgänger Georg W. Bush ist. Doch verfügt er über die notwendige Sachkenntnis, die wirtschaftliche Krise nachhaltig zu überwinden, in der sein Land derzeit und seit langem steckt? Wird er tatsächlich entsprechend kompetente Berater und Mitarbeiter aussuchen? Und da schließlich Erfolge in der Sozial-, Friedens-, Umwelt- und Bildungspolitik von einer wirklich erfolgreichen Wirtschaftspolitik abhängen, muss man befürchten, dass Obama nicht im Stande sein wird, die in ihn gesetzte Hoffnung zu erfüllen.

Eine Mehrheit des amerikanischen Volkes verehrt Obama wie einen Erlöser, es hofft auf ihn, möchte an ihn glauben. Wenn der neue US-Präsident diese Hoffnung, diesen Glauben an ihn am Ende enttäuschen muss, was zu befürchten ist, wird die entsprechende Enttäuschung im Volk Wut und Gewalt hervorrufen. Dann "Gott schütze Amerika !".

Günter Woltmann-Zeitler

Arnbach

Deutschland -

der 51. Bundesstaat

Es war schon ein beeindruckendes Schauspiel, die Amtseinführung des neuen amerikanischen Präsidenten. Deutsche Politiker und Massenmedien überschlugen sich geradezu vor Begeisterung über Obama. Für sie ist er wohl die Inkarnation des großen Manitu, der Hoffnungsträger der ganzen Welt, der Weltmeister aller Klassen, ein Medienstar, wie er im Buch steht. Andächtig schauten wir Deutsche zu, wie die Amerikaner ihren Präsidenten und ihr Land feierten. Niemand kann ihnen das verübeln, im Gegenteil, wir Deutschen können von der amerikanischen Nation lernen. Bei uns sind Begriffe wie Nationalstolz, Vaterlandsliebe oder Heimattreue Schimpfwörter.

Wenn aber die Medienvertreter Washington verlassen haben, dürfen auch unsere Politiker vor dem amerikanischem Freund oder gar Bruder im Geiste ihre Bücklinge machen. Selbstverständlich werden sie dabei ihre Treueschwüre wiederholen: Amerika geh du voran, wir folgen dir durch alle Kriege und Finanzkrisen. Allem Anschein nach haben Regierung und Medien dieses Landes entschieden, Deutschland als 51. Bundesstaat den USA anzuschließen. Diesen Eindruck musste man schon am 4. November 2008 gewinnen. Schon lange vor dem Wahltag waren die Nachrichtenstudios der deutschen Fernsehanstalten verwaist, alle namhaften Nachrichtenredakteure befanden sich jenseits des Atlantiks. Eine Woche lang drehte sich von morgens bis abends alles nur noch um Obama. Die Berichterstattung grenzte schon an Götzenverehrung.

Hermann Belting

Hamm

Die vergessenen

Indianer

Obamas Präsidentschaft wird mit Recht als entscheidender Sieg über den Rassismus gewertet. In diesem Sinne hat er sich auch in seiner Antrittsrede geäußert. Als jemand, der dreißig Jahre im Ökumenischen Ausschuss der deutschen Kirchen für Indianerfragen in Amerika gearbeitet hat, bedauere ich allerdings, dass Obama kein Wort für die großen Leidtragenden der amerikanischen Kolonisation gefunden hat: für die indigene Urbevölkerung, die bis heute um die Anerkennung ihrer Anliegen kämpft. Der Präsident wollte alle einbeziehen - die Christen, die Muslime, die Juden und die Hindus. Die drei Millionen Ureinwohner, die zweifellos erheblich zahlreicher sind als die Hindus, hat er noch nicht im Blick.

Im Übrigen sind die Begriffe Sklaven und Leibeigene nicht gleichbedeutend, wie in der Reportage "Ein Mann, ein Versprechen" verwendet. Ein Leibeigener war in der Feudalgesellschaft des Mittelalters zwar ein in seinem Selbstbestimmungsrecht eingeschränkter Mensch, aber eben ein Mensch. Ein Sklave hingegen galt juristisch als Sache und war damit seines Menschseins beraubt.

Prof. Dr. Hans-Jürgen Prien

Selmsdorf

Eine Nation

mit vielen Gesichtern

Obama, der Mutmacher - das hat Amerika auch dringend nötig. In der allgemeinen Besoffenheit ging freilich einiges unter, zum Beispiel, dass dieser Präsident mit keinem Wort auf Amerikas Ureinwohner einging, die das "friedliche"Land mit genozidähnlichen Methoden in die Fastausrottung zwang. Waren das die "Heldentaten" von denen Jörg Häntzschel berichtete? "Unsere Macht allein kann uns nicht schützen, und sie gibt uns nicht das Recht, zu tun, was immer wir wollen." Das klingt schon besser, Herr Präsident. In der Geschichte Amerikas und der Welt scheint sich allerdings der neue Herold nicht recht auszukennen. Amerika sei ein Freund jeder Nation, jeden Mannes, jeder Frau, jedes Kindes, die nach einer Zukunft in Frieden und Würde suchen. Wer hat denn weit über Hunderttausend Tote im Irak hinterlassen? Es gab auch einen Präsidenten Ronald Reagan, der einst in Richtung Osten den Menschen hinter dem "Eisernen Vorhang" zurief, sie seien "auf immer geächtet". Amerika hat viele Gesichter

Hans Ingebrand

Berlin

Der neunte Präsident

mit deutschen Wurzeln

Wolfgang Koydl irrt, wenn er von "Ausnahmen" im Zusammenhang mit deutschstämmigen US-Präsidenten spricht. Barack Obama ist in einer Reihe zu nennen mit Dwight D. Eisenhower, Herbert Hoover, Richard M. Nixon, George W. und George Herbert W. Bush, Theodore Roosevelt und Franklin Delano Roosevelt sowie Grover Cleveland - alles ehemalige US-Präsidenten mit deutschen Wurzeln. Obamas Vorfahren kommen aus Kenia, England, Schottland, Irland, Frankreich, Deutschland und den Niederlanden. Er ist der neunte US-Präsident mit deutschen Wurzeln.

Die größte ethnische Gruppe der USA sind die Deutschstämmigen. Als solche gelten heute in den USA rund 25 Prozent der 305 Millionen Staatsbürger. Bei der letzten Volkszählung im Jahr 2000 hat sich die Mehrheit der Bevölkerung in 23 Bundesstaaten (das sind 46 Prozent der 50 US-Bundesstaaten) dazu bekannt, deutsche Vorfahren zu haben. Dazu gehört traditionell Illinois, der Staat, den Senator Obama seit Januar 2005 in Washington vertreten hat.

Die USA sind auch deutsch, jeder zehnte Amerikaner spricht oder versteht deutsch. Seit 400 Jahren haben Deutschamerikaner geholfen, all die Freiheiten zu erkämpfen und weiter zu geben, die Amerikaner heute genießen.

Armin M. Brandt

Memmingen

Bleiberecht

für Guantanamo-Häftlinge

Wenn Obamas hehre Worte über Freiheit, Menschenrechte und Menschenwürde nicht hohles Pathos bleiben sollen, muss es für den neuen Präsidenten ganz selbstverständlich sein, den Häftlingen zur Wiedergutmachung des erlittenen Unrechts ein dauerndes Bleiberecht in den Vereinigten Staaten anzubieten.

Rudolf W. Meyer

Nürnberg

Warum sagen wir

nicht einfach: Amtsantritt?

Ich liebe Englisch, ich liebe Amerika und Obama und dass er nun endlich inauguriert ist. Oder wurde? Oder hat? Das Wort "Inauguration" bedeutet übrigens ganz schlicht Amtsantritt, das scheinen die SZ und viele andere Redaktionen dieser Tage ganz zu vergessen. Oder werden wir demnächst (vielleicht beim public viewing?) auch einen Ministerpräsidenten Roland Koch bei seiner neuerlichen Inauguration-Party beiwohnen dürfen? Und kann man (sich?) eigentlich nur einmal inaugurieren oder reinauguriert man, wenn man nur in seinem Amt bestätigt wurde? Das macht, nein, hat doch alles keinen Sinn mit diesem Denglisch. Und ein Amtsantritt ist doch gar nicht so schlimm, dass man ihn so verklausulieren müsste. Yes, we can uns auch auf Deutsch verständlich machen. Noch, jedenfalls....All the best.

Timo Sendner

Herrsching

Das richtige Kleid

für den Anlass

Ganz gleich von welcher Designerin Michelle Obamas Kleid ist, es ist wunderschön. Um dieses Kleid als "beinahe altmodisch" zu empfinden, wie Tanja Rest es in der Stilkritik beschrieben hat, muss man wohl reichlich jung sein und kein Gefühl dafür haben, was dem Anlass entspricht. Es ist nicht alles Jackie O. zu verdanken, was man unter "schlichter Eleganz" versteht. Früher, so vor 40 Jahren, war Frau jenseits von ungewaschenen Jeans und blanker Haut eleganter als heute gekleidet. Damals sprach man von "Complet" und dabei war das Kleid eine Handbreit kürzer als der dazugehörige Mantel (nicht Jacke oder Gehrock!) und man kannte noch gute Stoffe. Hätte Frau Obama vielleicht mit einem ausladenden Dekolletee, im Minirock und mit Vier-Knopf-Jäckchen erscheinen sollen?

Marianne Melchior

München

Amerikas Ureinwohner - hier Vertreter des Nezperce Stammes aus Idaho bei der Parade am 20. Januar - kamen in Obamas Rede nicht vor. Foto: AP

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Heute bei

Laufsteg Tennisplatz

Drei Mode-Trends sind bei den Australian Open erkennbar: quietschige Farben, enge Kleider und ein neuer Hut. Stilikone ist wie so oft Venus Williams.

www.sueddeutsche.de/australian

Karaoke im Kollegenkreis

Wer in Asien mit Kunden nicht zum Karaoke geht, kann das Geschäft vergessen. Spezielle Trainings bereiten Deutsche auf solche Situationen vor. www.sueddeutsche.de/training

Foto: AFP

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Blutbad im Märchenland

In Belgien ersticht ein offenbar psychisch kranker Mann drei Kinder und eine Betreuerin in einer Kinderkrippe

Von Martin Kotynek

Brüssel - Sein Gesicht hat er weiß geschminkt, die Augen schwarz umrandet, ein langes Messer in seinen Rucksack gepackt. Dann fährt der hagere Mann mit den knallroten Haaren mit dem Fahrrad in den Vorort Sint-Gilis der flämischen Kleinstadt Dendermonde. Es ist zehn Uhr, als er am "Märchenland" klingelt. Er habe eine Frage, sagt er, gelangt so in die Kinderkrippe und stürzt sich sofort auf die Babys. Mit dem Messer sticht er auf die Kleinen ein. Dann läuft er in die Zimmer mit den älteren Kindern, wo sich ihm Mitarbeiter der Tagesstätte in den Weg stellen. Auch auf die Erwachsenen sticht er nun ein. Jene Kinder, die bereits laufen können, versuchen zu entkommen.

Als er die Krippe verlässt, sind nach Angaben der belgischen Staatsanwaltschaft zwei höchstens dreijährige Kinder und eine Betreuerin tot, elf weitere Kinder und zwei Frauen sind verletzt. Mehrere von ihnen haben schwere Stichwunden erlitten und sind in Lebensgefahr. Am Nachmittag stirbt eines der schwerverletzten Kleinkinder im Sint-Blasius-Krankenhaus, die anderen werden ins Universitätsspital nach Gent verlegt.

Nach der Bluttat setzt sich der Mann wieder auf sein Fahrrad und fährt damit in den Nachbarort Lebbeke. Erst nach knapp drei Kilometern ist die Flucht zu Ende, eine Polizeistreife überwältigt den Täter bei einer Aldi-Filiale. Noch immer hat er das Messer dabei, mit dem er zuvor auf die Babys und Kleinkinder eingestochen hat. Zum Tatzeitpunkt befanden sich nach Angaben von Staatsanwalt Christian Du Four 18 Kinder im Alter von bis zu drei Jahren sowie sechs Erwachsene in der Einrichtung.

Am Ort des Verbrechens herrschte am Freitagmittag Chaos, zahlreiche entsetzte Eltern versammelten sich vor der Kindertagesstätte, Krankenwagen transportieren unentwegt Verletzte ins Spital. Die unverletzt gebliebenen Kinder wurden von der Polizei in ein Krisenzentrum gebracht und dort von Psychologen betreut. Katastrophenalarm wurde ausgelöst und alle Schulen, Kindergärten und Horte in der Region geschlossen. Aus Sicherheitsgründen durften die Eltern ihre verletzten Kinder im Krankenhaus zunächst nicht besuchen. Sie mussten sie zuerst auf Fotos identifizieren.

"Überall ist Blut, es ist unglaublich", sagt Theo Janssens, der stellvertretende Bürgermeister der Kleinstadt nordwestlich von Brüssel. Er war als einer der Ersten am Ort des Verbrechens. "Die kleinsten Babys waren in ihren Bettchen, sie müssen geschlafen haben", sagt Janssens. "Wir sind entsetzt über diese Tat", sagt der belgische Innenminister Guido De Padt, der sich unverzüglich nach Dendermonde begeben hat. "Viele Eltern haben einen Schock." Die Angehörigen müssten psychologisch betreut werden.

Bisher unbestätigten Medienberichten zufolge soll es sich bei dem Mann um einen psychisch Kranken handeln. Er sei bei seiner Flucht auf dem Weg zu einer psychiatrischen Anstalt gewesen, wo er angeblich in ambulanter Behandlung sein soll. Da der Mann keine Ausweispapiere bei sich trägt, ist über seine Identität jedoch wenig bekannt. Er soll etwa 28 bis 45 Jahre alt sein. Möglicherweise stammt er aus der Stadt Dendermonde. Dort war der weiß geschminkte Mann bereits am Morgen im Stadtzentrum und am Bahnhof aufgefallen, sagte der Bürgermeister Piet Buyse.

Auch über das Tatmotiv war zunächst nichts bekannt. Der Mann sollte am Freitagabend dem Haftrichter vorgeführt werden. Mit der Bluttat werden in Belgien Erinnerungen an die grausamen Mädchenmorde des Vergewaltigers Marc Dutroux wach. Er hatte seine Opfer in einem Keller eingesperrt. Die für Soziales zuständige flämische Regionalministerin Veerle Heeren kündigte Ermittlungen zu den Sicherheitsvorkehrungen der Kinderkrippe an.

In der Kindertagesstätte "Fabeltjesland" (übersetzt: "Märchenland") verbreitete der Messerstecher Angst und Schrecken. Die Behörden setzten ein Kriseninterventionsteam ein, um Eltern und Mitarbeitern beizustehen. Fotos: AP, AFP

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Schlag gegen Kinderporno-Ring

Polizei durchsucht bundesweit Wohnungen von 465 Verdächtigen

Kassel - Erstmals ist in Deutschland ein Ring von Pädophilen gesprengt worden, der Kinderpornographie per Mobiltelefon verbreitet hat. Bei 465 Razzien in ganz Deutschland seien Zehntausende Telefone, Computer und Datenträger beschlagnahmt worden, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft am Freitag in Kassel mit. Festnahmen habe es bei der "Operation Susi" nicht gegeben. "Es ist nicht der größte Fall in der deutschen Geschichte, aber er hat eine ganz außerordentliche Dimension. Und zum ersten Mal sind MMS (Bild-SMS) in großem Umfang zur Verbreitung genutzt worden", so die Staatsanwaltschaft. An den Durchsuchungen in allen 16 Bundesländern waren am Dienstag und Mittwoch etwa 1000 Polizisten beteiligt. Dabei seien mehr als 600 Telefone, Hunderte Computer, Tausende Festplatten, USB-Sticks, Speicherkarten und mehr als 16 000 CDs, DVDs und Videos beschlagnahmt worden. "Wir wissen jetzt noch nicht, ob es einen führenden Kopf gab oder nicht", sagte Einsatzleiter Klaus Quanz. Nach Angaben von Oberstaatsanwalt Hans-Manfred Jung wird gegen den Großteil der Verdächtigen wegen des Besitzes oder der Beschaffung von Kinderpornographie ermittelt, was Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren nach sich ziehen kann. dpa

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DIE FRAGE

Hat eine Schwebefähre das Zeug zum Weltkulturerbe?

Um ihrer fast 100 Jahre alten Schwebefähre zu einer schnelleren Aufnahme in das UNESCO-Weltkulturerbe zu verhelfen, hat die Stadt Rendsburg jetzt das Land Argentinien zu Hilfe gebeten.

Andreas Breitner, Bürgermeister von Rendsburg: "Unsere Schwebefähre wurde 1913 zur Überquerung des Nord-Ostsee-Kanals gebaut. Streng genommen schwebt sie gar nicht. Der Rumpf hängt an Seilen und überquert das Wasser, ohne es zu berühren. Wir versuchen nun eine Gemeinschaftsbewerbung der weltweit knapp zehn noch existierenden Schwebefähren auf die Beine zu stellen. Ein internationaler Weg ist besser, weil eine nationale Bewerbung keine Chance hat. An der grundsätzlichen Anerkennung der Fähre habe ich keine Zweifel. Das Problem ist nur, dass bis 2017 alle deutschen Plätze für die Bewerbung schon vergeben sind, Argentinien dagegen hat nur wenige Welterbe-Stätten." Foto: dpa

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Kopfschütteln über den Bundesanwalt

Mit lakonischen Kommentaren zu angeblicher US-Folter in Mannheim verwundert ein Beamter den BND-Ausschuss

Von Peter Blechschmidt

Berlin - Man trifft immer wieder auf Staatsdiener, auf deren Hilfe man als Bürger nicht angewiesen sein möchte. Eine besondere Begegnungsstätte dieser Art ist der BND-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Dort hatte in dieser Woche ein Vertreter der Bundesanwaltschaft einen Auftritt, der bei den Abgeordneten von rechts bis links Kopfschütteln, ja Empörung auslöste.

Es ging um den Verdacht, dass in den Jahren 2003 und 2006 mutmaßliche Terroristen in einem amerikanischen Militärgefängnis in Mannheim gefoltert worden sein sollen. Der Vorwurf wiegt schwer, und er darf die deutsche Justiz nicht kalt lassen. Warum er dennoch kein Fall für den Staatsanwalt wurde, versuchte im Ausschuss der Bundesanwalt Wolf-Dieter Dietrich, Vertreter der obersten Strafverfolgungsbehörde der Republik, zu begründen.

Die Anschuldigungen wurden der Bundesanwaltschaft und dem Bundeskriminalamt (BKA) im Spätsommer 2006 bekannt. Der Brite Peter Wright hatte bei der Mannheimer Polizei Strafanzeige erstattet. Wright bezog sich auf einen angeblichen amerikanischen Soldaten namens John Pierce, der ihm berichtet habe, in der US-Kaserne Coleman Barracks seien monatelang drei arabisch sprechende Männer als mutmaßliche Terroristen gefangengehalten worden. Die Häftlinge seien von Spezialisten, welche die US-Soldaten für Angehörige des Geheimdienstes CIA gehalten hätten, mit Elektroschocks an den Genitalien gefoltert worden. Man habe sie tagelang auf Metallbetten gefesselt, wo sie auch ihre Notdurft verrichten mussten; Männer und Liegen seien bei Bedarf mit Feuerwehrschläuchen abgespritzt worden.

Zur gleichen Zeit erfuhr das BKA, dass ein Mannheimer Bürger im Jahr 2003 in den Coleman Barracks drei Gefangene in orangefarbenen Overalls gesehen haben wollte, die menschenunwürdig behandelt worden seien. Orangefarbene Overalls als Bekleidung arabisch aussehender Menschen stehen seit 2002 als Symbol für das US-Gefängnis Guantanamo und die darin praktizierten Foltermethoden. Der Mannheimer, inzwischen 72, sagte diese Woche im Untersuchungsausschuss aus. Die Gefangenen seien mit Ketten gefesselt und "wie Außerirdische" bewacht über das Kasernengelände geführt worden. Dies sei ein "entwürdigendes Schauspiel" gewesen, "das mich sehr erbost hat", sagte der Zeuge, der keineswegs als Anti-Amerikaner auftrat oder geistig verwirrt wirkte.

Der BKA-Hauptkommissar Andrew Mielach nahm in beiden Fällen Ermittlungen auf; Herr des Verfahrens war Bundesanwalt Dietrich. Der entschied, wie er jetzt im Ausschuss bestätigte, im Herbst 2006, als Guantanamo in aller Munde und auch der Untersuchungsausschuss schon an der Arbeit war: die Beobachtung des Mannheimer Bürgers reicht für ein Ermittlungsverfahren nicht aus. "Die Frankfurter Müllabfuhr trägt auch orangefarbene Overalls", erklärte Dietrich im Ausschuss ungerührt.

Im Fall John Pierce genügte Dietrich die Auskunft der Amerikaner, dass es einen Soldaten dieses Namens nicht gebe. Weitere Befragungen etwa von US-Soldaten, wie sie auch Kommissar Mielach für richtig gehalten hätte, lehnte Dietrich ab. Ebenso die sogar von den Amerikanern angebotene Besichtigung des US-Gefängnisses. Wenn sich gezeigt hätte, "dass den Gefangenen Metallbetten zur Verfügung stehen", hätte das ja auch nichts bewiesen, so sein Argument.

Dem Zeugen Wright sprach Dietrich die Glaubwürdigkeit ab, weil er gern "im Schottenrock und mit Dudelsack" gegen die USA demonstrierte. Das war selbst dem SPD-Abgeordneten Michael Hartmann zu viel, der sonst als Verteidiger der USA und ihrer Helfer agiert: "Das macht den Mann ja noch nicht unglaubwürdig", stellte er fest. Hellmut Königshaus (FDP) und Hans-Christian Ströbele (Grüne) wiederum konnten es nicht fassen, wie schnell sich ein deutscher Staatsanwalt mit der Unschuldsbeteuerung eines Verdächtigen zufrieden gab.

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Solidarisch mit Althaus

Unfall schadet dem Ministerpräsident in Umfragen nicht

Von Christiane Kohl

Erfurt - Im Keller der Erfurter Staatskanzlei erläuterte Meinungsforscher Manfred Güllner vor den versammelten Landesministern seine jüngsten Erkenntnisse über die politische Stimmung in Thüringen: Nach der jüngsten Meinungsumfrage hätten die Christdemokraten im Lande wieder aufgeholt. Statt um die 35 Prozent, wie frühere Erhebungen ergeben hatten, lägen sie nun bei 39 Prozent. Vor allem der Spitzenmann sei beliebt wie lange nicht: Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus werde mit 40 Prozent Zustimmung noch besser bewertet als seine Partei. Der Angesprochene indes war nicht zugegen bei der Kabinettsklausur vergangene Woche in Erfurt.

Althaus erholt sich zurzeit in einem Rehabilitationszentrum im baden-württembergischen Allensbach. Am Neujahrstag war der Politiker auf einer Skipiste in Österreich mit einer Skifahrerin zusammengeprallt, die kurz darauf starb. Althaus erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Bei den Wählern in Thüringen scheint der schwere Skiunfall hingegen eher einen Solidarisierungseffekt mit Althaus ausgelöst zu haben. Und auch im Erfurter Landeskabinett fühlen sich die Minister jetzt erst "richtig zusammengeschweißt", wie ein Ressortchef berichtet: "Natürlich hoffen wir alle, dass er bald wiederkommt", sagt der Christdemokrat, "aber die Regierungsarbeit läuft reibungslos, auch ohne ihn."

Die stellvertretende Ministerpräsidentin Birgit Diezel, 50, hält die Zügel fest in der Hand. Vom Finanzministerium aus, dem die einstige Finanzbuchhalterin seit 2002 vorsteht, führt sie die Regierungsgeschäfte äußerst routiniert, wie Kabinettskollegen berichten - fast klappe die Koordination bei ihr besser als bislang in der Staatskanzlei. Auch in der thüringischen CDU wird Althaus zwar als Mensch vermisst - politisch aber gebe es zurzeit "keinen Handlungsbedarf", sagt eine Christdemokratin. Im Juni stehen Kommunal- und Europawahlen an, für den 30. August ist die Wahl des neuen Landesparlaments terminiert. Kein Grund zur Besorgnis, sagt CDU-Fraktionschef Mike Mohring: "Der Zeitplan ist so eingetaktet, dass vor März nichts stattfindet, woran Althaus teilnehmen muss."

In Kreisen der Landesregierung bemüht man sich, die Spekulationen um Althaus' Gesundheitszustand zu dämpfen. So wird zwar bestätigt, dass der Ministerpräsident die Ergebnisse der Hessenwahl nicht sonderlich kommentiert habe, als sie ihm im Reha-Zentrum mitgeteilt worden waren. Dies aber sei "völlig normal" angesichts der schweren Verletzung. Wann über eine mögliche Anklageerhebung entschieden wird, ist noch ungewiss. Erst wenn zwei Gutachten zum Unfallhergang vorliegen, will die Staatsanwaltschaft Althaus vernehmen. Dass ihm das Verfahren politisch schaden werde, glaubt der Meinungsforscher Güllner nicht: Was "auf der juristischen Ebene passiert", müsse nicht "negativ sein" aus Sicht der Bürger.

Die Vertreterin führt die Regierungsgeschäfte routiniert: Kollegen loben Thüringens stellvertretende Ministerpräsidentin Birgit Diezel (CDU). Foto: AP

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Koalition in der Sackgasse

Ministerien können sich nicht auf neues Konzept für Kfz-Steuer einigen

Berlin - Die Bundesregierung hängt bei der Reform der Kfz-Steuer abermals fest. Bei einem Treffen der Staatssekretäre am Freitagmorgen konnten sich die Ressorts nicht auf einen neuen Anlauf für die Reform verständigen. Eine ursprünglich geplante Kompromissformel hatten die SPD-Minister zuvor nach heftiger Kritik gekippt. Sie hätte ausgerechnet die Besitzer besonders großer Autos bevorzugt. Dies hätte den eigentlichen Zweck der Steuer, den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids zu verteuern, ins Gegenteil verkehrt.

Das unionsgeführte Wirtschaftsministerium hatte darauf gepocht, eine Obergrenze für die Besteuerung einzuführen. Hersteller großer Fahrzeuge wie Mercedes, BMW oder Audi sollten so vor möglichen Absatzrückgängen bewahrt werden. "Wir haben nun einmal drei Firmen, die im oberen Bereich Weltmeister sind", sagte Otto Bernhardt, finanzpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, der Süddeutschen Zeitung. Ausgerechnet diese drei zusätzlich zu belasten, sei in der Unionsfraktion "nicht mehrheitsfähig". Das Wirtschaftsministerium selbst wollte sich nicht äußern. Dagegen stellte sich Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) gegen Ausnahmen für schwere Fahrzeuge. "Auch die Union kann kein Interesse haben, die klimapolitischen Ziele der Kanzlerin zu konterkarieren", sagte er in Berlin. Auch müsse die Koalition nicht um jeden Preis an dem Plan festhalten, die Reform der Kfz-Steuer nächsten Dienstag im Kabinett zu verabschieden.

Dennoch solle nun "auf höchster Ebene" bis Dienstag eine Lösung gefunden werden, hieß es am Freitag in Regierungskreisen. Das dürfte vor allem die Beamten von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) fordern. Sie sollen einerseits eine Steuer ersinnen, die saubere Autos belohnt und klimafeindliche bestraft. Gleichzeitig soll aber das Steueraufkommen von zuletzt 8,8 Milliarden Euro nicht zu sehr sinken. Werden die Autos immer sauberer, gehen auch die Einnahmen aus der Steuer zurück. Eine zweite Komponente, die sich nach dem Hubraum gerichtet hätte, sollte dies im Kompromissentwurf verhindern. Das aber will die Union nur hinnehmen, wenn es eine Obergrenze für die Hubraum-Steuer gibt - eben zugunsten großer Fahrzeuge. Zwar würde die Union auch bei einer reinen CO2-Steuer mitmachen, sagte Verkehrspolitiker Hans-Peter Friedrich (CSU) am Freitag. Wie Steinbrück mit den geringeren Einnahmen zurechtkäme, sei dann aber allein das Problem des Finanzministers. Michael Bauchmüller

Große Autos dürfen nicht zusätzlich belastet werden, fordert die CDU. dpa

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Der Stimmzettel-Krieg

Israels Araber sind empört, weil ihre Parteien von der anstehenden Parlamentswahl ausgeschlossen werden sollten

Tel Aviv - Der Vorsitzende der Partei "Vereinigte Arabische Liste-Taal", Achmed Tibi, hat den Versuch, seiner Partei die Teilnahme an der israelischen Parlamentswahl zu verbieten, als "Rassismus gegenüber israelischen Arabern" bezeichnet. Tibi kritisierte gegenüber der SZ am Freitag die Entscheidung des 37-köpfigen zentralen Wahlausschusses, seine Partei sowie die arabische Balad-Partei von der vorgezogenen Wahl am 10. Februar auszuschließen. Dies sei ein Versuch gewesen, "israelische Araber aus der Knesset zu verbannen"; das Vorgehen sei überdies "unvereinbar mit demokratischen Grundlagen", denen zufolge jüdische und arabische Israelis über die gleichen Rechte verfügten. Das zentrale Wahlkomitee, das über die Zulassung von Parteien zu Wahlen entscheidet, hatte in der vergangenen Woche mit deutlicher Mehrheit - und überraschenderweise auch mit den Stimmen der Arbeitspartei - entschieden, den beiden arabischen Parteien die Teilnahme an der Wahl zu verbieten. Am Donnerstag revidierte der Oberste Gerichtshof in Jerusalem das Verbot, das in der arabischen Bevölkerung Israels großen Unmut ausgelöst hatte. Das Wahlkomitee hatte die Entscheidung damit begründet, Tibis Partei und die Balad-Gruppe übten "antiisraelische Hetze" aus, unterstützten Terrororganisationen und weigerten sich, das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Beide Parteien verfügen über sieben Mandate im 120-sitzigen israelischen Parlament. Tibi sagte, ihm sei unter anderem vorgeworfen worden, Kontakt mit dem früheren arabischen Abgeordneten Asmi Bischara zu unterhalten, der 2007 wegen angeblicher Kontakte zur Hisbollah-Organisation und eines deshalb drohenden Verfahrens nach Amman geflüchtet war. Den Verbotsversuch nannte Tibi einen "Schritt zurück ins Mittelalter". In den USA sei soeben ein schwarzer Präsident vereidigt worden, "bei uns in Israel verweigern sie einer Minderheit die parlamentarische Repräsentation".

Die Atmosphäre des jüngsten Krieges im Gaza-Streifen habe zum Verbot beigetragen, mutmaßt Tibi. Er hatte der israelischen Armee in mehreren Interviews vorgeworfen, sie habe Kinder und Frauen "ermordet". In Israel leben rund 5,4 Millionen Juden und rund 1,3 Millionen Araber. Die in Israel lebenden Araber, meist Nachkommen jener Palästinenser, die im Unabhängigkeitskrieg von 1948/49 geflüchtet waren oder vertrieben wurden, sind innerlich zerrissen. Dem Gesetz nach sind sie Israelis. Viele klagen jedoch, sie würden als "Bürger zweiter Klasse" behandelt. Zudem empfinden arabische Israelis Solidarität mit den Palästinensern im Gaza-Streifen und im Westjordanland, während eine breite Mehrheit der jüdischen Israelis den Gaza-Krieg unterstützte.

Der arabische Politiker Tibi sagt: "Der Krieg macht die Leute hier verrückt." Zu Beginn der Woche hatte der Oberste Gerichtshof die Vertreter der arabischen Parteien und die Vertreter der zwei rechten Parteien zu einer Anhörung vorgeladen, darunter auch Avigdor Lieberman, den Vorsitzenden der russischen Immigrantenpartei "Unser Haus Israel". Lieberman hatte zusammen mit der Partei Nationale Union den Antrag zum Ausschluss der beiden arabischen Parteien im Wahlkomitee eingebracht. Im Flur des Obersten Gerichtshof hatte Lieberman Tibi als "Terroristen" bezeichnet, der es verdiene, als solcher behandelt zu werden. "Wir werden mit dir umgehen, wie wir mit jedem Terroristen umgehen", soll Liebermann gesagt haben. Die Immigranten-Partei verlangt von arabischen Israelis ein Bekenntnis zum jüdischen Staat. Ansonsten hätten arabische Israelis in Israel "nichts zu suchen". Die Haltung hat im Wahlkampf bereits einen Erfolg gezeitigt. Liebermans Partei könnte jüngsten Umfragen zufolge zur drittstärksten Fraktion im künftigen Parlament aufsteigen - noch vor der Arbeitspartei von Verteidigungsminister Ehud Barak.

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Eine Waffenruhe über den Tag hinaus

Die Hamas erwägt, ihre Angriffe auf Israel vorerst zu unterlassen - und beim Wiederaufbau von Gaza mitzuhelfen

Von Tomas Avenarius und Thorsten Schmitz

Gaza-Stadt/Tel Aviv - Die Islamisten-Organisation Hamas ist offenbar bereit, den Waffenstillstand mit Israel zu verlängern. Bisher hatte die Hamas-Führung den von Israel ausgerufenen Waffenstillstand nur bis zu diesem Sonntag akzeptiert. Als Bedingung für eine Verlängerung hatte die Hamas gefordert, dass Israels Truppen aus dem Gaza-Streifen abziehen müssten. Das ist mittlerweile geschehen. Man werde nunam Montag Abgesandte zu den von Ägypten moderierten Verhandlungen nach Kairo schicken, sagte Ahmed Yussef, stellvertretender Hamas-Außenminster und Berater des Hamas-Premierministers Ismail Hanija der Süddeutschen Zeitung. Man wolle sehen, wie sich die Gespräche in Ägypten entwickelten. Yussef erhob aber erneut die Forderung, die Grenzen des GazaStreifens zu öffnen.

Yussef sagte in dem Gespräch mit der SZ und dem kanadischen Fernsehen, dass Hamas bereit sei, den Wiederaufbau des zerstörten Gaza-Streifens zusammen mit der palästinensischen Autonomiebehörde und der Fatah-Partei von Palästinenser-Präsident Machmud Abbas zu organisieren. Er verwahrte sich allerdings gegen den von Israel, den USA, Europa und Ägypten ins Spiel gebrachten Plan, die Wiederaufbaugelder ausschließlich von der Palästinenseradministration (PA) verwalten zu lassen. Hamas selbst erhebe keinen Anspruch darauf, die internationale Hilfe zu verwalten. Yussef stellte aber klar, dass die Hamas das Geld aus Angst vor Veruntreuung nicht der PA anvertraut sehen wolle. "Der Leumund der PA und der Fatah in Fragen der finanziellen Transparenz ist bekanntlich nicht gut", sagte Yussef. "Die Geber sollen die Projekte selbst betreuen, um volle Rechenschaft über die Verwendung der Mittel zu garantieren".

Yussef sprach wiederholt von einem "Sieg" der Hamas im Krieg gegen Israel. "Wir haben einer überlegenen Militärmaschine widerstanden, mit Gewehren und Panzerfäusten gegen Jets gekämpft." Die Bevölkerung habe "mit Gottes Hilfe" gesiegt: "Die Menschen sind nicht weggelaufen vor dem Aggressor." Vehement widersprach der Hamas-Politiker der Ankündigung der israelischen Außenministerin Tzipi Livni, dass die Freilassung des seit zwei Jahren von der Hamas gefangengehaltenen Soldaten Gilad Schalit eine Voraussetzung für einen dauerhaften Waffenstillstand sei. "Die Schalit-Affäre hat mit dem Waffenstillstand nichts zu tun. Das ist eine davon völlig getrennte Angelegenheit." Yussef wollte sich nicht dazu äußern, ob Schalit während des Kriegs verletzt worden sei. "1400 Palästinenser wurden getötet, 5000 verletzt. Wen kümmert da das Befinden eines Einzelnen?" Yussef bestritt israelische Medienberichte, wonach Hamas während des Krieges einige politische Gegner von der Fatah-Partei hingerichtet habe. "Das ist Propaganda. Allenfalls sind einige von ihnen aufgefordert worden, zuhause zu bleiben. Das war aber nur zu ihrem eigenen Schutz."

Nach Angaben von Fatah-Führern aus dem Westjordanland jedoch haben Mitglieder der seit Juni 2006 im Gaza-Streifen herrschenden Hamas bislang zehn Fatah-Anhänger getötet. Die Getöteten sollen mit Israel zusammengearbeitet und der Armee Informationen über Aufenthaltsorte von Hamas-Mitgliedern und über Waffenlager geliefert haben. Bereits während des Krieges hatte die Fatah mehrfach aus dem Gaza-Streifen berichtet, dass Hamas-Mitglieder mutmaßlichen Fatah-Anhängern in die Beine geschossen hätten. Auch die israelische Tageszeitung Haaretz zitierte am Freitag Mitglieder der Fatah-Organisation von Palästinenserpräsident Abbas, die im Gaza-Streifen lebten und um ihr Leben fürchteten: Viele Fatah-Mitglieder wagten sich nicht in die Öffentlichkeit, da die Hamas über Hunderte von Fatah-Mitglieder den Hausarrest verhängt habe. Die Islamisten ließen verlauten, dass sie nicht nur gegen Israel kämpften, sondern auch gegen die Fatah.

Um sich die Gunst der Bevölkerung im Gaza-Streifen zu sichern, hat die Hamas den Hinterbliebenen von jedem der im Krieg getöteten Palästinenser umgerechnet rund 1000 Euro versprochen. Für jedes vollständig zerstörte Haus sollen die Besitzer bis zu 4000 Euro erhalten, für jedes teilweise zerstörte Haus 2000 Euro. Nach Angaben von Hamas-Sprecher Taher al-Nono sollen Verletzte rund 500 Euro erhalten. Am Sonntag soll mit der Auszahlung der Beträge begonnen werde. Insgesamt stünden der Hamas für die Kompensationszahlungen rund 28 Millionen Euro zur Verfügung. Al-Nono machte keine Angaben darüber, woher das Geld stammt. In Israel geht man davon aus, dass Iran hinter der Finanzierung der Hamas steckt.

"Der Leumund der Palästinenserorganisation ist nicht gut"

Viele Mitglieder der Fatah fürchten um ihr Leben

Beten, reparieren, hoffen: Während überall im Gaza-Streifen die Menschen auf Hilfslieferungen und Wiederaufbauhilfe warten, setzt sich der Machtkampf zwischen den Islamisten von der Hamas und der gemäßigten Fatah fort. AP

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Versuch mit Gelähmten

US-Behörde erlaubt Studie mit embryonalen Stammzellen

Die Ankündigung mochte niemand mehr hören. Seit sieben Jahren proklamiert das Biotech-Unternehmen Geron aus Menlo Park bei San Francisco unermüdlich, es werde bald die weltweit erste klinische Studie mit embryonalen Stammzellen an Menschen wagen. Doch nun scheint das lange angekündigte Vorhaben tatsächlich Wirklichkeit zu werden. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat der Firma die Genehmigung für eine Studie mit den verheißungsvollen Zellen an zehn querschnittsgelähmten Menschen erteilt. "Damit wird ein neues Kapitel der Medizin aufgeschlagen", jubelt Gerons Chef Thomas Okarma.

Dass die lang ersehnte Genehmigung so kurz auf die Inauguration von Barack Obama als US-Präsident folgte, hat offiziell nichts miteinander zu tun. Insider wie Robert Klein, der Chef des drei Milliarden Dollar schweren Stammzellprogramms in Kalifornien, vermuten trotzdem einen Zusammenhang: Immerhin hat Ex-Präsident George W. Bush sich als Republikaner und Kirchenfreund immer gegen die Forschung mit den ethisch umstrittenen embryonalen Stammzellen gewandt. Der Demokrat Obama machte hingegen schon im Wahlkampf seine liberalere Haltung deutlich.

Menschliche embryonale Stammzellen werden aus wenige Tage alten, kugelförmigen Embryonen gewonnen. Da diese hernach nicht mehr lebensfähig sind, betrachten Kritiker das Verfahren als unmoralisch, während Befürworter den möglichen medizinischen Nutzen hervorheben: Die Zellen haben großes Wandlungspotential - schließlich können aus den Zellen eines Embryos alle Zellen des Körpers entstehen, vom Herzmuskel bis zum Fußnagel. Wissenschaftler hoffen daher, dass diese Zellen auch zerstörte Gewebe im Körper Kranker flicken können. Stammzellen von Erwachsenen oder abgetriebenen Föten werden bereits zu diesem Zweck in klinischen Studien eingesetzt. Aber diese Zellen haben ein geringeres Wandlungspotential als die Stammzellen aus Embryonen.

Nun können die Embryo-Zellen ihre Fähigkeiten erstmals bei Menschen beweisen. Geron hofft, dass sie helfen, die zerstörten Nervenbahnen von Querschnittsgelähmten wieder zu verbinden. An Ratten hat das Biotech-Unternehmen dies schon viele Male ausprobiert. Mehr als 2000 Tiere haben die Forscher insgesamt behandelt. Dabei hätten sie "dramatische Verbesserungen" erzielt, sagt Geron-Vorstand Okarma. Allerdings muss, was mit Nagetieren funktioniert, noch lange nicht bei Menschen klappen. Die Medizin wäre sonst um einige Innovationen reicher, die nach vielversprechenden Ergebnissen an Ratten letztlich in Studien am Menschen scheiterten. "Wenn Sie eine Maus wären und Krebs hätten, könnten wir Ihnen wunderbar helfen", ist ein gern gehörter Satz des Krebsforschers Judah Folkman.

Auch beim Thema Querschnittslähmung gibt es zwischen Ratten und Menschen so einige Unterschiede. Immerhin ist das Rückenmark der Tiere erheblich kürzer - die zu überbrückenden Distanzen sind damit deutlich kleiner als beim Menschen. Außerdem werden die Ratten sofort behandelt, nachdem ihnen die Forscher absichtlich das Rückenmark durchtrennt haben. Menschliche Unfallopfer können die Stammzellbehandlung dagegen kaum direkt am Unfallort erhalten.

Geron will seine ersten Patienten deshalb gezielt auswählen. Sie sollen die Therapie ein bis zwei Wochen nach ihrer Verletzung erhalten - danach sei ihnen nicht mehr gut zu helfen, heißt es. "Leichte Verbesserungen der Beschwerden", das ist zunächst alles, was sich die Firma erhofft. "Wir erwarten nicht, dass jemand, der von der Hüfte abwärts komplett gelähmt ist, nach sechs Monaten wieder tanzen kann", sagt Okarma.

Außer enttäuschten Hoffnungen lauern jedoch noch weitere Risiken. Kritiker halten eine Therapie mit embryonalen Stammzellen bei Menschen derzeit für verantwortungslos. Denn die Embryozellen bergen ein nicht zu unterschätzendes Gefahrenpotenzial: Sie können auch Krebsherde bilden.

Geron will die Patienten deshalb nicht direkt mit embryonalen Stammzellen behandeln. Vielmehr sollen die Zellen in der Kulturschale dazu angeregt werden, sich in spezialisiertere Zellen zu verwandeln, in Oligodendrozyten. Das sind Zellen, die Nervenzellen unterstützen. Diese sollen den Patienten dann ins Rückenmark gespritzt werden. Von ihnen geht keine Krebsgefahr mehr aus.

Aber wie kann man sichergehen, dass nicht doch einige nicht verwandelte Embryo-Zellen in der Rückenmark-Spritze bleiben? "Es gibt seit kurzem Zellen, die so sauber sind, dass man sie beim Menschen nutzen kann", sagt der Herzspezialist Wolfgang-Michael Franz, der am Münchner Klinikum Großhadern das Verhalten embryonaler Stammzellen erforscht. In den Ratten jedenfalls haben Gerons Zellen auch nach einem Jahr noch keinen Krebs gebildet. In den Ratten. CHRISTINA BERNDT

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Die Ingenieure und das Beben

Neuer Stausee hat offenbar im Mai 2008 die verheerenden Erdstöße in China ausgelöst

Die Geschichte klingt wie ein Science-Fiction-Thriller. Ingenieure bauen einen Damm, um Wasser in einem Tal zu stauen. Die Wassermasse lässt die Erde erzittern; zunächst unmerklich. Doch das Grollen wird stärker. Auf einmal zerreißt der Boden unter gewaltigem Donner. Zehntausende Gebäude stürzen ein, ganze Großstädte werden zerstört. In China ist offenbar genau das geschehen: Das katastrophale Erdbeben in Südchina am 12. Mai 2008, bei dem 80 000 Menschen starben und Hunderttausende schwer verletzt wurden, ist vermutlich von einem künstlichen Stausee ausgelöst worden. Wurde die Naturkatastrophe also von Menschenhand verursacht?

Am Nachmittag des 12. Mai um halb drei Uhr Ortszeit brach der Untergrund der südchinesischen Provinz Sichuan auf einer Länge von rund 250 Kilometern. Zehn Kilometer unter der Großstadt Jiangyou wurden Millionen Tonnen Gestein binnen Sekunden bis zu neun Meter gegeneinander verschoben. Das Erdbeben der Stärke 7,9 setzte die Energie von 700 Millionen Tonnen TNT-Sprengstoff frei. In der Nähe des Bebenzentrums blieb kaum ein Stein auf dem anderen. 90 Kilometer weiter in der Stadt Chengdu mit vier Millionen Einwohnern krachten Tausende Gebäude zusammen.

Die meisten Erdbeben ereignen sich dort, wo Erdplatten zusammenstoßen. China liegt zwar abseits der Kollisionsfronten. Doch südwestlich des Landes schiebt sich die Indische Erdplatte mit einem Millimeter pro Woche wie ein Sporn in den Eurasischen Kontinent hinein. Der größte interkontinentale Crash des Planeten setzt auch die Region nördlich des Himalajas unter Spannung. In Südchina ist der Untergrund deshalb zersprungen wie eine Glasscheibe. Die Gesteinsnähte spalten die gesamte Erdkruste bis hinunter an den Erdmantel. Der Druck aus Süden verschiebt die kilometerdicken Blöcke entlang der Fugen. Dabei staut sich Spannung, die sich regelmäßig bei Erdbeben abbaut.

In Sichuan verschieben sich die Gesteinspakete allerdings äußerst langsam, so dass es nur alle paar tausend Jahre heftig bebt. So waren Seismologen von dem Starkbeben im vergangenen Mai überrascht, sie hätten eigentlich noch viele Jahre Ruhe erwartet.

Es scheint, als hätten Menschen die "Erdbeben-Uhr" manipuliert: Im Dezember 2004 begannen Ingenieure mit dem Befüllen des Zipingpu-Stausees, der ein Wasserkraftwerk antreiben sollte. Sie hatten beim Bau ignoriert, dass in der Nähe eine spannungsgeladene Gesteinsnaht den Untergrund durchzieht. Tag für Tag ergossen sich Tonnen von Wasser ins Tal.

Nach zwei Jahren hatte der See einen Pegel von 120 Metern - ein Gewicht von 320 Millionen Tonnen lastete auf dem fragilen Untergrund. Das Gestein entlang des Bruches nahe dem Stausee geriet verstärkt unter Druck. Die Spannung im Untergrund habe sich in den gut zwei Jahren 25-mal so stark erhöht wie normalerweise, berichtet der Seismologe Christian Klose von der Columbia University in den USA.

Klose will in Kürze seine Studie veröffentlichen, hält sich jedoch mit Urteilen zurück. Das Wort "Staudamm" meidet er: "Es geht darum, die Prozesse zu verstehen, nicht wer was verursacht hat." Die Tragweite einer Studie, die den Staudamm ausdrücklich verantwortlich machen würde, ist allen Forschern bewusst. Ansonsten spricht Kloses Analyse eine deutliche Sprache. Nach dem Staudamm-Bau bewegte sich das Gestein entlang der Erdbebennaht Millimeter für Millimeter auf die Katastrophe zu. Der höhere Druck habe die Reibung der Gesteinsblöcke an der Naht vermindert. Zugleich erhöhte sich die Spannung zwischen beiden Seiten des Bruches. Am 12. Mai 2008 hielt das Gestein dem Druck nicht mehr stand und brach.

Die Blöcke seien in jene Richtung geruckt, in die der Druck-Anstieg der vergangenen zwei Jahre sie gedrängt hatte, sagt Klose. "Die Wassermassen haben die Störzone destabilisiert." Der Stausee habe das "lokale Erdbebengeschehen klar beeinflusst", bestätigen etwas nebulös Geophysiker um Lei Xinglin von der chinesischen Erdbeben-Behörde im Fachblatt Geology and Seismology.

Einen Beleg für die These erkennt Klose auch in jenen Gesteinsnähten, die dem Beben standhielten. Ein Gesteinsbruch direkt unterhalb des Sees etwa bewegte sich nicht. Die Wassermassen hätten ihn "geschlossen und zusammengedrückt". Bei einem normalen Beben wäre auch diese Naht in Mitleidenschaft gezogen worden.

Der Untergrund sendete weitere verräterische Signale. Nach einem Starkbeben erschüttern Tausende Nachbeben das Land. In China jedoch war es etwas anders: Um den See herum sei es seltsamerweise ruhig geblieben, berichtet Klose. Das sei ein Hinweis für den immensen Druck der Wasserauflast.

Das Beben ereignete sich, als der Seepegel bereits wieder fiel; ein Teil des Wassers war abgelassen worden. In der Woche vor dem Beben sank der Pegel schneller denn je. Die plötzliche Entlastung habe das Beben womöglich noch verstärkt, sagt Klose. Die Spannung im Untergrund habe sich dadurch noch effektiver abbauen können.

Schon mehrfach haben Stauseen den Boden erzittern lassen. Nachdem der Hoover-Dam im US-Bundesstaat Nevada 1939 fertig gestellt war, der den Colorado-Fluss staute, kam die Region nicht mehr zur Ruhe - mehr als 600 Beben erschütterten sie. 1967 ließ das gewaltige Wasserreservoir hinter dem Koyna-Staudamm in Indien die Erde wackeln. Mehr als 200 Menschen starben.

Ob die chinesische Regierung die Katastrophe von Sichuan 2008 ebenfalls als menschengemacht bestätigen wird, erscheint ungewiss. Daten über Mikrobeben nahe des Stausees werden nicht herausgegeben. So müssen Seismologen einstweilen den letzten Beweis schuldig bleiben. AXEL BOJANOWSKI

Bei dem Erdbeben vom 12. Mai 2008 in der südchinesischen Provinz Sichuan starben etwa 80 000 Menschen. Zehntausende Häuser stürzten ein, als die Erschütterungen die Energie von 700 Millionen Tonnen TNT-Sprengstoff freisetzten. Foto: dpa

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Schmerzlos kastriert

Schonender Eingriff bei Ferkeln

Für die Fleischproduktion bestimmte Ferkel sollen vom 1. April an nur noch nach der Gabe von Schmerzmitteln kastriert werden. Das sagte ein Sprecher des Deutschen Bauernverbands am Freitag auf der Grünen Woche in Berlin. Die Vorgabe gelte für Betriebe, deren Fleisch mit einem Zertifikat des Prüfsystems QS arbeiten. Sie produzieren 90 Prozent des Schweinefleisches in Deutschland. Um das Entstehen des strengen Ebergeruchs zu verhindern, werden in Deutschland mehr als 22 Millionen männliche Ferkel pro Jahr kastriert. Bei dem Prozedere nimmt der Bauer das wenige Tage alte Ferkel auf die Hand, schneidet ihm den Hodensack auf und kastriert das Neugeborene, ohne Betäubung und ohne Schmerzmittel. "Ein Schnitt, ein Schrei und es ist vorbei", hieß es in der Fleischbranche und das Thema war vom Tisch. Monatelanger Druck von Tierschützern hat nun das Umlenken eingeleitet. Dass die Ferkel leiden, wenn der Bauer das Skalpell ansetzt, ist inzwischen klar: Quieken und Schreien, Fluchtreflexe, Verkrampfen und Cortisonausstoß belegen die Schmerzen, erklärt Hans-Joachim Götz, der Präsident des Bundesverbands Praktizierender Tierärzte. dpa

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Invasion der Insektenhorden

In Westafrika fressen Armeewürmer Felder kahl und vergiften das Trinkwasser

Armeen sind gefährlich - hungrige Armeen ganz besonders. Wo sie einfallen, sollte man am besten schnell das Weite suchen. Aber wohin sollen die armen Bauern im Norden Liberias schon fliehen? Ihre Hütten und Felder sind das einzige, was sie besitzen. Sie beackern die Erde und ernten, was sie gepflanzt haben. Aber jetzt können sie nicht mehr hinaus auf ihre Felder. Denn die haben sich quasi in ein Kriegsgebiet verwandelt.

Es wütet hier eine besonders gnadenlose Truppe, auch wenn die Angreifer gerade mal fünf Zentimeter groß sind: Spodoptera - so genannte Armeewürmer. Das zumindest vermuten die Insektenforscher, die nun gegen die unheimliche Invasion in Westafrika ankämpfen müssen. Noch werden einige Exemplare aus Liberia von Spezialisten in Ghanas Hauptstadt Accra unter die Lupe genommen, um sie zweifelsfrei zu identifizieren und das geeignete Pestizid zu finden.

Schwarz und haarig ist dieses gefräßige Insekt. Der Armeewurm ist die Raupe einer Motte und zählt zu den gefährlichsten Schädlingen, die Entomologen weltweit identifiziert haben. Er macht seinem Namen alle Ehre, denn er bewegt sich in großen Gruppen und geht "äußerst aggressiv" vor, wie Wissenschaftler warnen. Er frisst alles, was grün ist. Und er zwickt sogar Menschen, zum Beispiel wenn er von den Bäumen auf die Wege herabfällt. Diese Insekten fressen in kürzester Zeit riesige Felder kahl.

Stimmen verzweifelter Farmer dringen nun heraus aus den betroffenen Gebieten. "Diese Raupen haben meine ganze Maniok-Farm aufgefressen", klagt Bauer Eric Kollie in einem Bericht des UN-Nachrichtendienstes IRIN. Nichts sei ihm geblieben. So ergeht es tausenden Bauern der Region. Einige erzählen, dass sie sogar aus ihren Hütten flüchten mussten, weil sie von den Raupen überfallen wurden und sich nicht mehr zu wehren wussten. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO spricht von der schlimmsten Invasion seit 30 Jahren. FAO-Spezialist Winfred Hammond beschreibt die Lage als "nationalen Notstand". Wenn es keine schnelle Gegenwehr gibt, wird sich die Offensive der Armeewürmer ausweiten auf die Nachbarländer, nach Guinea, Elfenbeinküste und Sierra Leone. Die erste Vorhut der gefräßigen Raupen wurde schon jenseits der Grenze in Guinea gesichtet.

Betroffen sind bislang vor allem die Regionen Bong, Lofa und Gbarpolu im Norden Liberias. Das Land brauche Spezialisten und Hilfe aus dem Ausland, um der Plage Herr zu werden, sagt Hammond. Die FAO vermutet, dass eine besonders lange Regenzeit im vergangenen Jahr die Entwicklung der Armeewürmer begünstigt hat. Sie in den entlegenen Gebieten zu bekämpfen, ist mühsam. Es gibt dort kaum Straßen, und viele Schädlinge tummeln sich auf den Blättern von Urwaldbäumen, die höher als 20 Meter in den Himmel ragen.

Gift weitflächig aus der Luft zu versprühen, wäre eine Möglichkeit. Doch die FAO warnt, dass dies die Wasserbestände vergiften kann, die ohnehin gefährdet sind. Die Armeewürmer selbst tragen dazu bei, dass Menschen kaum sauberes Wasser finden. Wo sie in Millionen auftreten, verpesten ihre Exkremente Wasserläufe und Brunnen. Das Trinkwasser wird knapp. ARNE PERRAS

Armeewürmer fressen alles, was grün ist. Foto: AP

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"Atem" im All

Japanischer Klima-Satellit gestartet

Japan hat seinen ersten Satelliten zur Erforschung des Klimawandels ins All gestartet. Eine Trägerrakete vom Typ H-2A mit dem Satelliten hob am Freitag vom Weltraumbahnhof Tanegashima Space Center im Süden des Landes ab, wie die japanische Raumfahrtbehörde Jaxa mitteilte. Der Satellit Ibuki, zu Deutsch "Atem", trennte sich 16 Minuten nach dem Start erfolgreich von der Rakete. Er soll die Konzentration von Treibhausgasen in der Erdatmosphäre beobachten. Der Satellit wird über die nächsten fünf Jahre die Erde in 666 Kilometern Höhe umkreisen. Alle drei Tage soll er Daten zum Kohlendioxid- und Methangehalt an 56 000 Orten rund um den Globus sammeln. Dies schließt auch den Ausstoß von Treibhausgasen in Entwicklungsländern ein, von denen es dazu bisher nur wenige Daten gibt. Zusammen mit Ibuki wurden auch sieben kleinere Satelliten ins Weltall befördert, die von Studenten entwickelt worden waren. Sie sollen unter anderem neue Kommunikationsfunktionen testen. CO2-Werte misst unter anderem auch der europäische Umweltsatellit Envisat aus dem Orbit.dpa

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Des Lebens Hälfte

Ein Film zum Leben des DDR-Stars Jenny Gröllmann

Eine Frau allein am weiten Strand, in der Ferne eine Kette Felsbrocken, zum Schutz gegen die Brandung des Meers. Ein Bild, in dem Einsamkeit und Furchtlosigkeit, Trauer und Trotz zugleich sich entfalten. Ein Bild aus dem letzten Sommer von Jenny Gröllmann, die ein kleiner Liebling des DDR-Kinos war (Foto aus "Dein unbekannter Bruder", Verleih), die sich nach der Wende im Fernsehen etablieren konnte - als Anwältin Isenthal in der Serie "Liebling Kreuzberg" - und die schließlich den Verdacht bekämpfen musste, sie sei als Stasi-Spitzel aktiv gewesen - ein Vorwurf, den ihr Ex-Ehemann Ulrich Mühe rigoros erhob, als er für seinen großen Erfolg, "Das Leben der Anderen", sich engagierte.

Am 9. August 2006 ist Jenny Gröllmann gestorben. Petra Weisenburger begleitet sie in ihrem Film "Ich will da sein" die letzten Monate, zeigt die Krankheit, die Empörung. Der Film ist ein Plädoyer für eine Frau unter Verdacht - unter dem generell das ganze Land nach der Wende zu stehen schien. Ein Verdacht, der krankhaft war . . . Ich spürte, wie die Metastasen sich wieder regten, als diese Geschichte hochkam, sagt Jenny Gröllmann im Film. Ohne die Vorwürfe, sagen ihre Freunde, hätte sie sicher ein halbes Jahr länger leben können. Der Film fängt den Zauber einer Frau ein über die Huldigungen der Männer, ihre Vergleiche mit Romy und Cardinale und Signoret. Sie war eine Prinzessin, sagt der eine, sie war immer Geliebte, der andere, immer verliebte sie sich bei den Dreharbeiten. Das ist naiv, manchmal ein wenig peinlich, und wird durch die Ausschnitte aus den Filmen doch immer bestätigt - auch die repressive DDR kannte Lebenslust, Nouvelle Vague, den tourbillon de la vie. Einen blinden Fleck nur gab es, das Verhalten von Ulrich Mühe. 1984 spielte das Traumpaar der Defa in "Hälfte des Lebens" Hölderlin und Suzanne. Und die Verbitterung zeigte sich, über die Deutschen, "dumpf und harmonielos wie die Scherben eines weggeworfenen Gefäßes . . . Ich kann kein Volk mir denken, das zerrissener wäre . . ." FRITZ GÖTTLER

ICH WILL DA SEIN - JENNY GRÖLLMANN, INFO ] LINKS ] KOMMENTARE ]D 2008 - Regie, Buch: Petra Weisenburger. Kamera: Thomas Mauch, Martin Gressmann, Wojtek Szepel, Max Zaher. Ton, Schnitt: Klaus-Peter Schmitt. Defa-spektrum, 95 Minuten.

/ KOMMENTARE ]/ LINKS ]/ INFO ]

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Ein Anfang, der nie aufgehört hat

Das Theater hatte sie 1993 in München zusammengeführt - was wurde aus den Helden von "Romeo und Julia"?

Anne-Marie Bubke sieht gut aus und vor allem gesund. Ihre Wangen sind ein wenig gerötet, ihr braunes Haar trägt sie offen, ihre Augen sind sehr hell und wach. Sie trägt eine Barbour-Jacke, in der sie ein wenig verschwindet. Sie fühle sich wohl hier draußen am Starnberger See, wo sie seit ein paar Jahren lebt. Seit dem Zusammenbruch. Seit dem Tag, an dem sie in den Spiegel schaute und ein Mädchen sah, das nicht mehr ganz jung war und deutlich zu dünn und das viel zu viel Theater gespielt und sich dabei verloren hatte.

Bei Leander Haußmann klingt es, als sei sie eine Blume, die er am Wegesrand gefunden hat und die zum ersten Mal bei ihm blühte und noch ein paar Jahre weiter blühte und dann welk wurde. Wolfgang Maria Bauer erzählt es so, als habe sie vielleicht zu viel riskiert, weil sie immer der Mensch war, den sie gerade spielte, weil sie immer alles gab und weil sie kein Netz hatte. Schließlich stürzte sie ab. Und als Guntram Brattia von ihr spricht, leuchten seine Augen, und er ist wieder Ende zwanzig. Jeder sah also vor allem sich selbst in ihr.

Es ist eine merkwürdige Verbindung, die sich zwischen diesen vier Theatermenschen spannt seit 16 Jahren, und im Gespräch über das, was damals und was seither passiert ist, verändert sich der Tonfall, wenn sie von Shakespeares "Romeo und Julia" am Münchner Residenztheater sprechen. Haußmann führte Regie, Bubke war die Julia, Brattia der Romeo, und Bauer spielte den Mercutio. Premiere war im Januar 1993. Es war eine der schönsten und folgenreichsten Inszenierungen jener Jahre - ein Anfang für vieles. Wobei ein Anfang, der nicht endet, auch ein Problem sein kann.

Damals schwebten sie. Man sieht es in ihren Gesichtern, wenn man sich die Inszenierung noch mal auf DVD anschaut. Man merkt es, wenn Brattia davon erzählt, wie er "direkt von der Alm ins Resi" kam und das Leben für ihn ein einziger "Honigtopf" war. Man spürt es, wenn Bauer sich auf seinem Stuhl aufrichtet und wieder etwas von der Energie hat, die ihn damals Runde um Runde laufen ließ in Mercutios wildem Todestaumel. Man fühlt es, wenn Bubke durch den oberbayerischen Wald läuft wie früher durchs Münchner Glockenbachviertel, ein paar Zentimeter über dem Boden. "Wir dachten, uns gehört die Welt", sagt Bauer und grinst wie jemand, der weiß, wie lächerlich so ein Gedanke im Grunde ist. "Und es war ja auch kurz so."

Das rote Herz pocht weiter

Und heute? Leander Haußmann hat sich gerade für 20 000 Euro eine neue Küche gekauft. Besonders begeistert ihn der Vorratsschrank, der sich öffnet wie eine riesige Schublade. Haußmann hat einen Deal mit der Bavaria, für die er zwei Filme drehen wird, er schreibt an einem Drehbuch über Hitler und Stalin und das Hotel Lux in Moskau, "eine bittere Komödie", wie er sagt. Sein nächster Film handelt von Alten und Dementen und der DDR-Show "Ein Kessel Buntes". Er wohnt mit seiner Freundin und zwei Kindern in einer großen Altbauwohnung in Friedrichshagen bei Berlin, direkt am Müggelsee. Vom Schlafzimmer aus kann er den Sprungturm sehen, von dem er als Junge seine Köpfer gemacht hat.

"Ich stell' mir schon so Fragen", sagt er. "Was habe ich in meinem Leben geleistet, was bleibt von mir?" Haußmann trägt ein braunes T-Shirt und um den Hals einen kleinen Totenschädel. Seine Haare sind grau und struppig, das Lächeln gütig und etwas besiegt. Er benutzt immer noch das Briefpapier aus Bochum, das mit dem pochenden roten Herzen. Von 1995 bis 2000 war er dort Intendant, "wegen ,Romeo und Julia' haben die mich damals überhaupt geholt", sagt er. Und wenn er davon erzählt, wird klar, dass diese turbulente Bochumer Zeit für ihn nicht vergangen ist.

Haußmann war der erste Intendant einer neuen Generation, er hat dem Theater einen Drall in Richtung Jugend und Gegenwart gegeben, und dazu gehörte auch, dass für ihn Theater ein Ort ist, "wo man Leute traf, die sich anschrien und prügelten vor Leidenschaft". Aber was konnte ihnen schon passieren, sie waren doch die Größten. "Ich bin demütiger geworden", sagt Haußmann heute. "Wenn man so will, ist das alles eine Geschichte von Niederlagen. Ich habe doch auch deshalb aufgehört, Theater zu machen, weil ich schlechter wurde."

Was vielleicht ehrlich ist, vor allem aber kokett. Wenn man sich heute den Prolog von "Romeo und Julia" anschaut, wie leicht der hingewischt ist, mit Slapstick, Sprachverwirrung, Spielerei und Andeutungsfülle, wie gut gebaut der ist und wie viel von dem, was im Theater immer noch so gemacht wird, dort bereits in fast ironischer Vollendung freigegeben wurde - dann zeigt sich Haußmanns Können, zu dem sich sein Hochmut gesellte, was bei einem Künstler nicht unbedingt ein Vorwurf ist. Und Anne-Marie Bubke, die ja tatsächlich manchmal wirkt, als sei sie gerade aus dem Nest gefallen, schwärmt so vom Regisseur Haußmann, dass das eigentlich ein anderer Mensch sein muss als der, von dem Wolfgang Maria Bauer erzählt.

"Nein, nein, nein", ruft Bubke mit dieser Stimme, die immer noch so charmant brüchig ist, was ihrer Julia etwas fast Verruchtes gab, "er war wunderbar, alles war so wunderbar. Wenn man das einmal erlebt hat, dann ist das schon ein sehr großes Glück. Aber natürlich ist es auch schwer, weil man das immer wieder sucht". Haußmanns damalige Freundin Christina Paulhofer hatte Bubke entdeckt, im kleinen Münchner Teamtheater, und Haußmann holte sie gleich auf die große Bühne und gab ihr, wenn man so will, die größte mögliche Rolle. Für ihn war sie sein Geschöpf, und so behandelte er sie gut.

Ganz anders gingen die Männer miteinander um, und die Kämpfe von damals wirken teilweise weiter bis heute. Wolfgang Maria Bauer, der eine rote Lederjacke trägt und etwas Heiter-Tragisches an sich hat, sagt über die Zeit von "Romeo und Julia": "Am glücklichsten war ich nach zwei, drei Flaschen Rotwein, ein paar Schachteln Zigaretten und einer eingeschlagenen Wand nachts um halb vier." Die wunderbare Verblendung und Verschwendung der Jugend eben und ein Elan, der Bauer zum Stückeschreiben führte und zur Regie, ihn zum Oberspielleiter in Heidelberg machte und schließlich zum Fernsehkommissar Siska. "Es gibt zwei Menschen, die mich gebrochen haben", sagt er, "einer davon ist Leander Haußmann."

Die Spannungen begannen schon auf den Proben. Bauer war der Außenseiter bei dieser Produktion, in der Romeo und Julia nicht nur auf der Bühne ein Paar waren. "Vögelt lieber erst nach der Premiere" - an diesen Satz Haußmanns erinnert sich Bauer noch. Haußmann wiederum spielte seine Macht aus, ließ Bauer auf einer Probe laufen und laufen, obwohl der eine schwere Nebenhöhlenentzündung hatte. Bis heute gibt er Haußmann nicht die Hand. Fünfzigmal rannte er als Mercutio im Kreis und starb, dann flog er am Residenztheater raus, weil er sich weigerte, in einer anderen Inszenierung schon wieder zu fechten.

Dass er fast immer den meisten Applaus bekam, führte, so Bauer, zum Bruch mit Guntram Brattia, "dem einzigen Mann, den ich wirklich geliebt habe". Natürlich erinnert sich Brattia anders. Es ging, sagt er, um Bauers Ex-Frau, mit der er während einer Produktion von "Kabale und Liebe" etwas angefangen hatte. "Das war dann das Ende", sagt Brattia. "Gunti ist zum Verlieben unberechenbar", sagt Bauer. Brattia ist der Einzige der vier, der dem Theater treu geblieben ist. Berlin, Frankfurt, Essen, Düsseldorf. Zwei Falten teilen sein Gesicht, er trägt einen schmalen Schnurrbart und eine karierte Kappe auf dem Kopf. Als seine Frau kommt, nimmt er kurz die Mütze ab, seine Haare sind spärlicher geworden. Sein kleiner Sohn sitzt neben ihm im Café und spielt mit einem Dinosaurier. Hier, im Arbeiterviertel Berlin-Wedding, hat Brattia sich vor ein paar Jahren eine Wohnung gekauft.

Brattia wirkt nachdenklich, weit weg von seiner Rolle als draufgängerischer Romeo, der artistisch mit einer zerbrechenden Leiter spielte und auf den Balkon kletterte. Er sagt: "Ich bin Schauspieler geworden, weil meine Freundin mit einem Schauspieler weglief." Mit zwanzig kam er aus Innsbruck nach München ans Residenztheater. "Ich wollte gleich wieder weg", sagt er. Und dann hat alles für ihn so funktioniert wie in einem Traum, "und doch nicht". An Jugend und Naivität, sagt er, hat es ihm damals nicht gefehlt - aber der Haußmann war dann doch "ein launischer Hund. Ich hatte sogar ein bisschen Angst vor ihm". Immerhin hielt ihm Haußmann die Rolle frei, als Brattia sich während der Proben verletzte. "Er braucht eben alle Liebe", sagt Brattia. "Und vielleicht habe ich nicht genug Liebe von ihm bekommen." Er sei "ganz oben auf der Welle eingestiegen", wie er sagt, und er ist nicht ganz oben geblieben.

Siska verweht

"Ich könnte nicht sagen, dass ich unglücklich bin", sagt Brattia, der sich mittlerweile auch wieder mit Bauer trifft, seit beide über "Romeo und Julia" gesprochen haben. Sie gehen mit ihren Kindern ins Schwimmbad. "Wir sind schon alte Säcke geworden", hat Bauer gesagt, der 45 ist, also nur ein paar Jahre älter als Brattia, "das alles ist schon ein Leben her." Bauer wohnt seit einer Weile in Berlin, wegen seiner Tochter, die hier bei ihrer Mutter lebt - wobei ihn die Stadt und die Umstände depressiv gemacht haben. Er ist nicht mehr "Siska", er dreht ein wenig und schreibt an seinem ersten Roman. War das nicht alles toll früher? "Nein", sagt er und schüttelt den Kopf. "Ich habe zu wenig genossen. Ich hätte mich auch mal hinsetzen können und lächeln."

Haußmann sagt das so: "Wir waren uns selbst genug." Und obwohl er ein paar sehr erfolgreiche Filme wie "Sonnenallee" und "Herr Lehmann" gedreht hat - irgendetwas in ihm ist noch nicht fertig mit dem Theater. "Wenn man kein Theater mehr macht", sagt er, "dann ist das ja fast, als ob man eine Glaubensgemeinschaft verlässt." Haußmann wird fünfzig in diesem Jahr. In seinem Büro stehen ein Stapel alter Schallplatten und ein Plattenspieler. Man könnte meinen, Haußmanns Leben oder seine Karriere dreht sich und dreht sich und kommt nicht von etwas los, das in der Vergangenheit war. Aber das täuscht wohl.

Anne-Marie Bubke, die zuletzt ein paarmal in Essen spielte, die Ophelia war und Antigone, und die so weg war, dass selbst ihre ehemalige Agentin ihre Telefonnummer nicht mehr hatte - Bubke wirkt heiter und fast befreit, dass sie jetzt, nach all den Jahren, vielleicht wirklich etwas anderes machen wird. Sie will nach Paris, sagt sie, mal sehen. Aber schön ist es auch hier, am Starnberger See, wo sie manchmal sieben, acht Stunden durch die Wälder läuft, einfach so. Was sie dabei macht? "Ich denke nach." Über was? "Über alles." GEORG DIEZ

Ein furioser Aufbruch, von dem sich die Protagonisten nie wieder erholt haben: "Romeo und Julia" mit Anne-Marie Bubke und Guntram Brattia. Foto: Rabanus

Nur einer der vier ist dem Theater bis heute treu geblieben: Leander Haußmann, Wolfgang Maria Bauer (obere Reihe von links), Guntram Brattia, Anne-Marie Bubke (untere Reihe) Foto: Davids/Passig; Sven Simon/pa; ddp; dpa/pa

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Die Angst vorm Frack nehmen

Stefan Blunier ist neuer Generalmusikdirektor in Bonn

Manche Dirigenten lieben den Frack als eine Uniform, die ihnen auf dem Podium automatisch Haltung und Autorität verleiht. Bei Stefan Blunier wirkt der Schwalbenschwanz eher wie eine Verkleidung - ein ironisches Zitat aus Zeiten, in denen die unumschränkte Autorität in der Musik so selbstverständlich war wie im staatstragenden Militär. Seit dieser Spielzeit ist Blunier, der in seiner Verkleidung auf dem Podium fast tänzerische Eleganz ausstrahlt, Generalmusikdirektor der Stadt Bonn. Aber der gebür-tige Berner aus liberalem Elternhaus assoziiert den "General" im Titel eben nicht mit Feldherren und Machtmenschen, sondern mit der "generellen" Verantwortung fürs Theater.

Dass er schon kurz nach seinem Amtsantritt für dieses Haus vor und hinter den Kulissen schuftet, sieht man ihm an, wenn er vor der Probe von Richard Strauss' "Elektra" auf einen Kaffee erscheint: in Wolljacke, mit einen Dreitagebart, die mächtige Partitur mit eingeklemmten Taktstock unterm Arm. Am Sonntag ist Premiere, auf Tag und Stunde genau einhundert Jahre nach der Uraufführung der "Elektra" am Dresdner Opernhaus im Januar 1909. Obwohl die Bonner Premiere in der Inszenierung des Intendanten Klaus Weise ursprünglich später angesetzt war, hat Blunier für den symbolträchtigen Termin gekämpft. Er ist ein geschickter Marketingtaktiker, der schon als Musikchef am Staatsthea-ter Darmstadt wusste, wie man dem Bildungsbürger sperrige Programme verkauft und der Jugend die Angst vor Fräcken nimmt. Wie sein Kölner Kollege Markus Stenz hat Blunier die Neugier des Publikums als "basic instinct" (Stenz) erkannt, der immer wieder herausgekitzelt werden will: durch Überraschungszugaben, Raritäten, Filmprojekte und ein "Hardcore-Programm bei Jugendkonzerten", wie Blunier ganz unironisch anmerkt. "Wenn wir danach nur ein Prozent der Jugendlichen für die klassische Musik gewonnen haben, bin ich glücklich."

Die Chancen stehen gut - Blunier gehört mit 44 Jahren einer jüngeren Generation an als sein 72-jähriger Vorgänger Roman Kofman, der vor fünf Jahren seinen ersten Anstellungsvertrag im goldenen Westen unterschrieb. Die Tücken hiesigen Musiklebens ereilten den aus Kiew stammenden Kofman gleich im ersten Jahr, als die Geiger des Beethoven-Orchesters ihre Noten und Armbewegungen zusammenzählten und vor dem Arbeitsgericht eine bessere Bezahlung als ihre weniger oft spielenden Kollegen forderten. Solche Kabarettnummern haben den Ruf der Beamtenstadt Bonn zementiert und dem Ansehen des Orchesters dauerhaft geschadet. Die ersten Konzerte mit dem neuen Musikchef verrieten, dass es dem Beethoven-Orchester nicht an Klangkultur, wohl aber an Disziplin und Lust im Zusammenspiel mangelt.

Hier kann Blunier mit seiner ruhig-feinsinnigen Art und handwerklichen Kompetenz mehr fordern. Er tut es schon mit einem Repertoire, das den finanziell nötigen "Gemischtwarenladen" (Blunier) in der Oper durch Raritäten wie Karol Szymanowskis Bekenntnisoper "König Roger" bereichert. In dramaturgisch gewitzten Konzertprogrammen werden Ligeti und Strauss, Busoni und Liszt, Mahlers Siebte Sinfonie und Madrigale von Carlo Gesualdo kombiniert. Für die künftige "Verdichtung des deutschen schweren Repertoires" sollen dann Opern von Zemlinsky, Schreker und Schönberg sorgen. Und wenn Blunier mit Werken wie den nationalsozialistisch missbrauchten "Les Préludes" von Franz Liszt ungute Assoziationen im Publikum weckt, beruft er sich gern auf seine Neutralität als Schweizer, für den nicht die Geschichte, sondern die musikalische Qualität entscheide.

Natürlich wird auch der Namenspatron des Orchesters nicht vergessen. Neben dem Beethovenfest und der BeethovenNacht am Geburtstag des Meisters (16. Dezember) trägt auch ein Bonner Traum seinen Namen: das "Festspielhaus Beethoven", das nach einem Ratsbeschluss die akustisch und atmosphärisch problematische Beethovenhalle ersetzen soll. Hier will Blunier bei der Akustik und Logistik mitreden; und vielleicht erlebt er ja mit der Eröffnung der (finanziell noch ungesicherten) Halle dereinst seinen größten Triumph in Bonn.

Der neue "General" weiß also recht gut, was auf ihn an Arbeit zukommt. Dennoch würde Blunier, der 1984 zum Studium nach Essen kam und dann zielstrebig im deutschen Stadttheater aufstieg, nicht auf die eigene Mitgestaltung von den Spielplänen bis zu den Anstellungsverträgen verzichten wollen. Für den Jetset bleibt dann später noch Zeit. "Wissen Sie, Dirigenten werden meist so alt - da kann man schon mal langfristig planen."

MICHAEL STRUCK-SCHLOEN

Stefan Blunier, neuer Generalmusikdirektor in Bonn Foto: oh

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Ach, diese rote, rote Rose

Auf, Ihr Ceilidh-Tänzer und Dudelsackspieler: Zum 250. Geburtstag des schottischen Nationaldichters Robert Burns

Während unzähliger "Burns Suppers" werden an diesem Sonntag überall auf der Welt wieder die Dudelsäcke geblasen, und bei Burns-Gesellschaften von Edinburgh bis Rio, von Jakarta bis Hawaii senken sich Messerklingen in pralle Schafsmägen. An deren dampfendem Inhalt, einem Gemisch aus Innereien und Haferbrei, dürfen sich die Supper-Gäste allerdings erst laben, nachdem die "Address to a Haggis" deklamiert worden ist: "Fair fa' your honest, sonsie face, / Great Chieftain of the Puddin-race!" Als Robert Burns 1786 sein achtstrophiges Loblied auf Schottlands Nationalgericht verfasste, rechnete er sicher nicht damit, dass es zu einem seiner meistzitierten Werke avancieren würde. Und doch ist das Gedicht, das neben dem zum Jahreswechsel angestimmten "Auld Lang Syne" und dem Liebeslied "A Red, Red Rose" das Bild von "Rabbie" Burns geprägt hat.

In diesem Jahr fallen die Supper-Feierlichkeiten noch üppiger aus als sonst, da am Sonntag der 250. Geburtstag des Robert Burns begangen wird. Die "Burns Night" stellt den Auftakt zum sogenannten "Homecoming Year" dar, das der schottische First Minister Alex Salmond ausgerufen hat: Ein Jahr angefüllt mit Whiskyverkostungen, Ceilidh-Tänzen und sonstigen tourismustauglichen caledonischen Spezialitäten, eine riesige PR-Veranstaltung für ein Schottland, das von der britischen Zentralverwaltung wegstrebt. Galionsfigur des Ganzen ist Robert Burns. Doch seit 1801 - fünf Jahre nach Burns' Tod im Alter von nur 37 Jahren - erstmals eine handvoll seiner Bewunderer zu einem einfachen Gedenkessen zusammenkam, haben sich die "Burns Suppers" zu einem gesellschaftlichen Ereignis entwickelt, bei denen der Gefeierte und sein Werk vielfach zu folkloristischen Arabesken schrumpfen.

Jenseits der Tartan-Tümelei

"The Bard" schmückt die whiskyseligen Suppers, wie er künftig die neue schottische 10-Pfund-Banknote schmücken wird. Über zwei Jahrhunderte hat sich ein bukolisches Klischee etabliert von Rabbie, dem erdverbundenen "Pflüger-Poeten" ohne formale Bildung, dem geselligen Trinker und stürmischen Liebhaber, dem Wahrer der schottischen Zunge und Fackelträger schottischen Nationalbewusstseins.

Obwohl er diesem Zerrbild selbst Nahrung gab, wird dieser Burns-Kult mit seiner gemütlichen Tartan- und Rabbietümelei der komplexen Figur des ehrgeizigen Dichters nicht gerecht, der sich selbst als "langgesichtiger Sohn der Enttäuschung" bezeichnete, und der sich für unterschätzt hielt, trotz seines publizistischen Erfolges noch zu Lebzeiten. Eines leidenschaftlichen Familienmenschen, der die "faithfu' wives" der Landbevölkerung pries und mehrere Kinder in außereheliche Affären zeugte. Eines politischen Denkers, dessen Werk im 19. Jahrhundert sozialistischen wie nationalistischen Ideen Nahrung geben sollte.

Am 25. Januar 1759 im südwestschottischen Alloway als ältester Sohn des Farmers William Burnes geboren, genoss Robert Burns entgegen der herkömmlichen Ansicht eine überdurchschnittlich gute Bildung: Zunächst in der von John Murdoch gegründeten Dorfschule, wo er Latein und Französisch lernte, später dann in Hugh Rodger's School in Kirkoswald. Zugleich arbeitete Robert auf den Farmen seines Vaters, zunächst in Mount Oliphant, später in Lochlea. Der Bankrott und spätere Tod des Vaters in Armut werden nicht zu unrecht als wichtige Auslöser für Robert Burns' Rebellion gegen den in Schottland herrschenden Kalvinismus und seine Hinwendung zur Freimaurerei gewertet. In seiner Bewunderung republikanischer Ideen - De Quincey bezeichnete als "Jakobiner" - und seiner Wut über die Thronübernahme durch die Hannoveraner war Robert Burns allerdings beileibe nicht allein. Er bewegte sich vielmehr wie Mary Wollstonecraft und William Roscoe im Mainstream des zeitgenössischen Freidenkertums.

Was ihn bedeutend macht - zum bedeutendsten Dichter, den Schottland je hervorbrachte - ist die Meisterschaft, mit der er Ton und Themen des Volksliedes in formvollendete Gedichte zu fassen verstand. Und obwohl sein Image als "Simple Bard, unbroke by Rules of Art", dem Burns in erlauchten Edinburgher Kreisen Vorschub leistete, irreführend ist, verdankten seine Werke ihre Authentizität zweifellos seiner einfachen Herkunft, von der er sich nie löste. Lange war Burns hin- und hergerissen zwischen seinem krisenreichen Leben als Farmer, das er erst 1789 zugunsten eines Postens als Zollinspektor in Dumfries aufgab, und seinen literarischen Ambitionen.

Mit seinen 1786 erschienenen "Poems, Chiefly in the Scottish Dialect", traf Burns den Nerv der Zeit. Die "erdige" Sprache der sogenannten Kilmarnock-Gedichte begeisterte ein Literatur-Establishment, das im Volksliedton das Antidot zum überfeinerten Gros zeitgenössischer Lyrik sah. Zugleich versprach er der angeschlagenen schottischen Nationalidentität literarisch auf die Beine zu helfen: Der Proto-Romantiker Burns befriedigte - und zwar viel glaubwürdiger - jene Sehnsucht, die schon James Macphersons "Ossian"-Fälschungen zu Erfolg verholfen hatten. Besonders die 1791 erschienene Hexen-Ballade "Tam o'Shanter", als narratives Gedicht eine Besonderheit in Burns' Oeuvre, fasst die Welt des schottischen Aberglaubens in eine derart farbige, saftige Sprache, dass A.F. Tytler ihm in einem Brief versicherte: "Hättest Du nie eine weitere Silbe geschrieben, dieses Gedicht hätte deinem Namen in der Nachwelt den besten Ruf eingebracht."

Die Ehe von Liebe und Freiheit

Liest man Burns heute, so fällt es bisweilen nicht leicht, den Ballast des postumen folkloristischen Überbaus abzuwerfen. Über patriotischen Gesängen, wie etwa dem im ironischen Bibelton gehaltenen "Scotch Drink" ("Thou clears the head o' doited Lear,/ Thou cheers the Heart o' drooping Care"), hängt der Dunst tausender "Burns Nights". Doch seine Liebeslyrik rührt noch immer ganz unmittelbar. Robert Burns' Ruf als Sänger wahrhaft empfundener Liebe verbreitete sich schon im 19. Jahrhundert weit über Schottlands Grenzen hinaus. (Selbst ein hartleibiger Prosaiker wie Bismarck soll seine spätere Frau Johanna Puttkammer eines kalten Abends mit einer Strophe aus "Oh wert thou in the cauld blast" umworben haben.)

Burns' Herzensergießungen wirken immer aufrichtig, ganz gleich, ob sie sich an Elizabeth Paton, die Mutter seines ersten Kindes richten, an seine - von ihm oft vernachlässigte - Frau Jean Armour, oder an eine der zahlreichen anderen Liebschaften. Die Zeile "My love is like a red, red rose" ist zurecht eine seiner berühmtesten. Durch die einfache Wiederholung eines Adjektivs stellt Burns nicht nur seine metrische Virtuosität unter Beweis, er erfüllt auch einen vermeintlich ausgelaugten Vergleich mit schwellender Intensität.

Walter Scott, der Burns als junger Mann in Edinburgh getroffen hatte, sagte, in vier Zeilen aus dem Abschiedsgedicht "Ae fond kiss" an seine - ausnahmsweise platonische - Geliebte Nancy McLehose, habe der Dichter die Essenz tausender unglücklicher Liebesgeschichten gefasst: "Had we never lov'd sae kindly,/ Had we we never lov'd sae blindly,/ Never met - or never parted,/ We had ne'er been broken-hearted."

"Meine beiden Lieblingsthemen sind Liebe und Freiheit", sagte Robert Burns einmal. Die brillante Behandlung dieser Themen durch einen außergewöhnlichen Dichter lässt sein Werk bis heute alle Kultur-, Klassen- und Glaubensgrenzen überwinden. Und letztlich ist es Universalität von Liebe und Freiheit, welche Burns zu jenem globalen Phänomen macht, das an diesem Sonntag gefeiert wird. ALEXANDER MENDEN

Der schottischer Dichter Robert Burns 1786 in seinem Cottage beim Verfassen des Gedichtes "The Cotter's Saturday Night". Wie der Heilige Hieronymus im Gehäuse hat Robert Burns einen Hund. Doch der Löwe des Hieronymus hat sich in die Brust des rebellischen Dichters zurückgezogen, der die Liebe und die Freiheit als seine Lieblingsthemen bezeichnete. So hohe Ansprüche hatte Robert Burns an die Welt, dass er von sich sagte: "ich bin der langgesichtige Sohn der Enttäuschung". Foto: Hulton Archive/ Getty Images

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Das gepflegte Larifari

"Schöner wird's nicht": Auch David Sedaris muss sterben

David Sedaris, geboren 1956, scheint in ein gefährliches Alter gekommen zu sein. Er wird nun mitunter sogar sentimental. In der Geschichte "Heulsuse" aus seinem neuen Erzählungsband "Schöner wird's nicht" sitzt er auf einem Interkontinentalflug neben einem Polen, der regelmäßig in Tränen ausbricht, weil gerade seine Mutter gestorben ist. Sedaris versucht sich mit einer billigen Filmkomödie abzulenken und muss dabei an seine verschrobene Kindheit in North Carolina zurückdenken. "War das tatsächlich vierzig Jahre her? Der Gedanke an meine Schwestern und mich, an die unbeschwerte Zeit unserer Jugend, holte mich zurück auf den Boden, und binnen einer Minute (. . .) war ich derjenige, der auf dem Nachtflug nach Paris weinte."

Nicht nur der Ton ist ungewohnt, auch das Setting. David Sedaris befindet sich in der Business-Elite-Klasse, auf einem 8000-Dollar-Sitz. Natürlich mokiert er sich über manches ("Wenn mich eine Flugbegleiterin mit ,Mr Sedaris' anspricht, habe ich ein schlechtes Gewissen, weil sie sich meinen Namen merken muss, anstatt vielleicht die Handynummer ihrer Enkelin"), aber es wird auch klar, dass die Komfortklasse durchaus seinem großen Erfolg als Schriftsteller entspricht. Aus dem verkrachten Spätentwickler ist längst ein alternativer Bestseller geworden, dessen US-Lesetouren weniger durch Buchhandlungen als durch Konzertsäle führen. Der Mitschnitt "Live at Carnegie Hall" erhielt 2004 sogar eine Grammy-Nominierung in der Sparte "Best Comedy".

Dabei macht die Komik nur einen Teil von Sedaris' Attraktivität als Geschichtenerzähler aus. Der andere Teil verdankt sich vor allem der "Echtheit" seiner Stories. Bei "Nackt", dem Smash-Hit aus dem Jahre 1997, wies der weitgehend unbekannte Autor noch extra darauf hin, alles beruhe auf wahren Begebenheiten aus dem eigenen Leben. Und tatsächlich trug die Annahme, alle ausgebreiteten Schräg- und Schrillheiten rund um seine dysfunktionale Mittelstandsfamilie seien dem Jungen auch wirklich zugestoßen, nicht unwesentlich zum Lesegenuss bei. Weil Sedaris' Leben auch jenseits des Elternhauses noch lange "dysfunktional" verlief, war für Anschlusserfolge gesorgt. Der Autor hatte früh begonnen, ausführlich Buch zu führen, und konnte die alten Aufzeichnungen nun schrittweise literarisieren. Auch in "Schöner wird's nicht" tauchen noch Episoden aus Kinderstube und verwirrter Jugend auf.

Begradigung des Lebenswegs

Aber es geht nun eben doch nicht mehr so weird zu wie früher in David Sedaris' Leben. Stattdessen unterstreicht der Autor mehrfach, wie sehr ihm das gediegen-glückliche Dasein an der Seite seines Partners Hugh Hamrick zusagt. Man freut sich für ihn, denn schließlich wächst einem jemand wie Sedaris, mit seinem Mitgefühl, seinen schrulligen Komplexen und seiner gnadenlosen Offenheit, irgendwie ans Herz. Für seine Literatur allerdings bedeutet die zunehmende Begradigung des Lebenswegs eine Gefahr. Denn die Wehwehchen eines wohlhabenden Schriftstellers um die 50, der mittlerweile in Europa lebt, haben nicht den gleichen Thrill wie die früheren Abenteuer einer ewig unsteten Seele im Bauch von Amerika. Sedaris weiß das offenbar. Jedenfalls versucht er gegenzusteuern. In "Treue Seele" etwa verknüpft er eine Art Loblied auf seine solide Zweierbeziehung mit der Geschichte eines eitergefüllten Furunkels, das ihm Hugh am Hintern auszudrücken hat. So rettet er scheinbar die süffigen Geschmacklosigkeiten aus vorangegangenen Büchern in die Jetztzeit hinein. Eine andere Geschichte erzählt von einem unfreiwilligen Aufenthalt, nur in Unterhose, in einem vollbesetzten ärztlichen Wartezimmer; wieder eine andere vom zwanghaften Fliegenjagen, um eine liebgewordene Spinne im Haus mit Beute zu versorgen. Nicht nur diese Episoden provozieren irgendwann den Verdacht, Sedaris beginne nun, sein Leben vorsätzlich zu "skurrilisieren", um es dadurch weiterhin auf literarisierbarem Niveau zu halten.

Der übliche Cocktail

Das mag wie ein unfairer Einwand klingen, schließlich liest man Sedaris' Bücher nicht wie Tatsachenberichte, und im Grunde sollte einem der reale Sedaris also egal sein. Aber das buntgescheckte Bündel an Begebenheiten und Beobachtungen, aus dem "Schöner wird's nicht" besteht, hat eben doch nur dann ein Zentrum, wenn der gute Glaube des Lesers, hier handele es sich um ein wenigstens mittelauthentisches Abbild, nicht ins Wanken gerät. Als waschechte Fiktion verlören Sedaris' Bücher schnell einen Gutteil ihres Reizes und gewissermaßen ihren Daseinsgrund. In den USA werden sie übrigens, anders als in Deutschland, als non-fiction verkauft, was 2007 eine große Reportage in The New Republic zur Folge hatte, die nachwies, bis zu welchem Grad manche frühen Geschichten frisiert waren. Dabei kommt es, wie gesagt, weniger auf das hinzuerfundene Detail an als auf das Grundvertrauen dem Autor gegenüber, dem man jederzeit eine Übertreibung, aber keine chronische Spinnerei durchgehen lassen würde. Sedaris weiß auch um diesen Grat und hält sich deshalb im Zaum. Damit droht allerdings gleich eine neue Gefahr, das gepflegte Larifari. Dem nähert er sich, aller Lacher zum Trotz, besonders in der letzten, überdehnten Erzählung "Im Raucherbereich", die von seiner langsamen Zigarettenentwöhnung handelt und in Ermangelung größerer Dramen mit vielerlei Alltäglichkeiten aus einem Urlaubsaufenthalt in Japan angedickt ist.

Das lässt sich alles flüssig weglesen. Nur spürt man eben im Schatten der launigen Textsammlung regelmäßig die Sorge des Autors, eine riesige Fangemeinde mit dem üblichen Cocktail bei der Stange halten zu müssen, ohne dafür noch alle Bestandteile wie bisher beisammen zu haben. Vielleicht gilt es, die Rezeptur zu ändern. Eine neue Zutat und ganz klar ein Leitmotiv des aktuellen Bands sind der Tod und die Angst davor - geradezu zaunpfahlmäßig rübergebracht in der Geschichte "Memento Mori", in der Hugh von seinem Partner ein Skelett geschenkt bekommt, es über das gemeinsame Bett hängt und in der David das Skelett dann immerzu raunen hört: "Du wirst sterben." Allerdings gelingt es Sedaris noch nicht, den zusätzlichen Ernst und die beigegebene Reflexion auch ordentlich in sein Geplauder einzuflechten. Womöglich liegt's an der mangelnden Übung, aber fast immer klingt es nach Plattitüde, wenn Sedaris mit offenem Herzen nachdenkt, statt mit spitzer Zunge auf die nächste Pointe zuzugehen. Wir befinden uns, es kann kaum noch Zweifel geben, in einer literarischen Midlifecrisis. MERTEN WORTHMANN

DAVID SEDARIS: Schöner wird's nicht. Blessing Verlag München 2008. 320 Seiten, 19,95 Euro.

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Der Soundtrack des Lebens

Auch in der siebten Staffel hält die rasante Serie "24" ihr hohes Niveau und ist erfolgreich, weil sie den digitalen Lifestyle der Zeit ästhetisiert

Wie man die Zeit darstellt, zeigt, ob man auch in sie passt. Das Heute-Journal zum Beispiel mit dem gemütlichen Zifferblatt steht für eine Fernsehkultur, in der Sendungen wie eine Schulstunde um "viertel vor" und zur vollen Stunde beginnen. Die Thriller-Serie 24 hingegen hat die Zeitnot der Gegenwart zum Prinzip erhoben: Immer wieder taucht eine Digitaluhr auf dem Bildschirm auf. Jede der 24 Folgen einer Staffel stellt eine Stunde eines Tages dar, die rot glühenden Ziffern rasen in Echtzeit dahin, die Dynamik der Digitaluhr allein scheint die Handlung voran zu treiben. Da ist auch kein Ticken, sondern ein piepender, pochender Ton, als sei die Technologie bis ins Lebendige vorgedrungen.

Das Format der deutschen Fernsehnachrichten stammt aus der stabilen Zeit des Wirtschaftswunders, in der das Leben in verlässlichen Bahnen verlief. Die fiebernde Uhr von 24 aber ist das Produkt einer Zeit, in welcher der Tagesverlauf immer mehr zum Countdown wird.

Seit dem 20. Januar 2009, seit Amtseinführung von Barack Obama als 44. US-Präsident, sieht man im TV ein neues Amerika, und auch die neue, siebte Staffel von 24 hat einige Modifikationen vorgenommen. Jack Bauer und seine Agenten-Kollegen verteidigen nun nicht mehr Los Angeles vor einem ABC-Waffen-Anschlag, sie sind jetzt in Washington, D. C. tätig, wo sich Jack für seine verschärften Verhörmethoden, die Folter als legitimes Mittel beinhalteten, vor dem Senat rechtfertigen muss. Wieder einmal wirkt die fiktionale Serie wie ein Seismograph des realen politischen Systems.

24 startete zwei Wochen nach 9/11, am Beginn der "Ära der Angst", wie der Produzent und Regisseur Jon Cassar die zurückliegenden Jahre seit 2001 nennt. "Ein außergewöhnliches Timing", sagt Cassar, und ist offensichtlich zufrieden über die ökonomischen Effekte dieses Zufalls. In der zweiten Staffel (2002) wurde der junge, farbige Senator David Palmer zum Präsidenten gewählt. 2009 scheint die Serie wieder ihrer Zeit voraus zu sein. Diesmal regiert eine Frau im Oval Office.

Der eigentliche Reiz von 24 geht über das Politik-Orakel, die Action-Choreographien und formalen Innovationen hinaus. Die Serie zeigt eine zuweilen überdrehte Version des "War on Terror", lässt uns aber vor allem nachvollziehen, wie kompliziert das eigene Leben ist.

Actionhelden erledigen ihren Job mit fiktiven Waffen und Fahrzeugen. In 24 aber wird die eigentliche Arbeit mit dem Computer erledigt. Die Serie zeigt die Displays, Gadgets und Web-Tools, die jeder täglich im Büro erlebt und verwendet, und wird so zum Teil unserer digitalisierten Lebenswelt. Oder anders: Das Zeitgemäße an 24 ist nicht das Thema Terror, sondern die vermutete Höhe der Telefonrechnung von Jack Bauer und seine Multitasking-Fähigkeiten, welche die Serie auch dem Zuschauer abverlangt.

Die erste Episode der neuen Staffel beginnt in einer Limousine. Der Vater sitzt auf dem Fahrersitz, hinten spielt die Tochter mit dem Mobiltelefon. "Du sollst das Handy doch nur im Notfall benutzen", herrscht er seine Tochter an. Das Mädchen schreibt weiter an der SMS: "Aber das ist ein Notfall."

Wenig später explodiert das Auto und der Vater wird entführt (eine Terrorgruppe will ihn zwingen, einen Computer zur Waffe umzubauen). Mit dem Mobiltelefon nehmen Agent Bauer und seine FBI-Kollegen die Spur der Terroristen auf, führen pro Folge etwa 25 Anrufe durch, laden sich "alle relevanten Daten" aufs Handy und hacken sich auch mal in den Computer der eigenen Regierung. 24 ist ein Werbespot der IT-Industrie. Der Präsident führt seine Videokonferenz mit der deutlich erkennbaren Software Cisco Telepresence durch, die FBI-Analysten arbeiten mit Nextel und Dell, und ist es nicht ein seltsamer Zufall, dass alle Figuren von der Präsidentin bis zum Kleinganoven das identische Klapphandy besitzen? Das Product Placement der Serie ist evident - und in gewissen Maßen auch zu begrüßen. Marken und Geräte dienen als Realitätseffekt und machen den zuweilen hysterischen Plot - in Staffel vier sprengt ein Terrorist innerhalb von Stunden ein AKW, schießt die Air Force One ab und schickt eine amerikanische Atomrakete auf eine amerikanische Stadt - glaubwürdiger.

Der Palm Pilot ist für Geheimdienste und Soldaten längst wichtiger geworden als die Barretta oder die AK-47. Jack Bauer ist seit Jahren auf dem virtuell-surrealen Schlachtfeld des 21. Jahrhunderts zu Hause, er scannt Fingerabdrücke, lädt Karten herunter, analysiert, ortet, berechnet. Er weiß, dass er und seine Gegner im Feld von Maschinen beobachtet werden, Radar, Infrarot-Scanner, Satelliten in der Umlaufbahn, die sehr viel schneller und in höherer Auflösung sehen, hören, spüren als der eigene Wahrnehmungsapparat.

Der digitale Agent muss deshalb mehr tun als sich dem Gegner entgegenstellen. Er muss die Geschwindigkeit des Sehens der des Handelns seines Gegenüber anpassen. Richtig bei sich ist 24 also nicht in den Actionszenen. Die wilden Telefonkonferenzen und Hacker-Wettbewerbe, das synchrone Handeln ohne geteilte Präsenz ergeben den Nukleus der Serie. Jack Bauer ist ein guter Verkäufer der neuesten Software-Anwendungen, Datendienste und smarten Geräte.

Die moderne Medienwelt beeinflusst nicht nur das Produktionsdesign der Serie. Für 24 wird jede Szene mit vier oder fünf Kameras gefilmt, die wie beteiligte Personen im Raum stehen, schwanken und schnaufen oder atemlos neben den Figuren her laufen. Reißschwenks und hektische Handkameras vervollständigen die Atmosphäre des War Room. Dem Zuschauer bleibt ein fester Blickwinkel verwehrt, er sieht die Welt immer wieder mit anderen Augen und muss sich in der Agentenwelt mit geheimen Operationen und mehrfach getarnten Figuren immer wieder fragen: Ist das alles echt?

Die Ikone der multiplen Perspektive ist der "Splitscreen", der geteilte Bildschirm also, den 24 ausgiebig verwendet, um die verschiedenen Handlungsstränge zumindest manchmal auf einen Blick zu vereinen. 24 ist eine Show für Menschen, die mit Videospielen und Browserfenstern aufgewachsen sind. Das menschliche Auge bewegt sich schließlich bis zu drei oder vier Mal in der Sekunde, das Gehirn braucht aber nur ein Fünftel oder Zehntel einer Sekunde, um ein Bild wahrzunehmen.

Auf dieses visuelle Potential baute vermutlich auch schon Abel Gance 1927 bei seinem Splitscreen-Klassiker Napoleon. Seinen Kritikern hielt er damals lässig entgegen: "Tut mir den Gefallen, und glaubt mir, dass eure Augen noch nicht die visuelle Ausbildung haben, um die erste Form der Lichtmusik wahrzunehmen."

Diese Musik des Lichts ist längst zum Soundtrack unseres Lebens geworden. In Videospielen und auf Webseiten, im Glitzern des medialen Multitasking können wir sie hören. Das Bildschirm-Mosaik der Nachrichtensender sieht manchmal so aus, als sei die Welt explodiert, sei zerfallen in Börsenkurse, Nachrichtenticker, Wetterberichte, Live-Bilder und den Studio-Feed. Der auseinander strebende Bildschirmaufbau behandelt mehrere Themen gleichzeitig, produziert vielfältige Botschaften, auch die, dass es in Zeiten des Internet unmöglich geworden sei, den Zustand der Welt mit nur einem Bild, dem Vollbild nämlich, zu erklären. Die Lektion, die man aus dem zersplitterten Bildschirm von 24 lernen kann, ist, dass der begrenzte Mensch ein Szenario nie vollständig überblicken und die Folgen seines Handelns deshalb nicht abschätzen kann.

Vor diesem Hintergrund muss man auch die Debatte um die Folterszenen in 24 sehen. Jack Bauer verwendet in den Verhören alle Mittel von Faustschlag (Steinzeit) bis zum Neurotoxin (Brave New World), die sich der Mensch im Laufe der Zivilisationsgeschichte angeeignet hat, um andere Menschen zu brechen. 24 erschien vielen Kritikern als Kultserie eines Amerika, das seine Ideale verrät, um seine Sicherheit zu beschützen.

In einer Folge in der vierten Staffel kommt zum Beispiel ein Anwalt der fiktiven Organisation "Amnesty Global" in das Hauptquartier und verbietet die Befragung eines Terroristen - nur der Zuschauer weiß, dass die NGO von seinen Komplizen benachrichtigt wurde. Bauer rettet die Situation, in dem er sich über das Gesetz hinwegsetzt, dem Terroristen ein paar Knochen bricht und so an die wichtigen Information gelangt. Immer wieder meint man die Spurenelemente einer irritierenden Ideologie zu spüren.

In 24 werden aber auch Unschuldige mit Elektroschocks und Reizentzug gefoltert, die Abartigkeit der Aktionen also keineswegs verschwiegen. Produzent Cassar träumt dann auch davon, "dass sich die Menschen auf dem Sofa über unsere Show streiten". "Die Leute wollen nicht wissen, wie wir an das Öl kommen", rechtfertigt ein Lobbyist in einer der neuen Folgen seine kriminellen Handlungen, "sie wollen ein warmes Haus und eine Doppelgarage."

Es ist unvermeidlich, dass man beim Konsum von 24 mal auf die digitale Zeitanzeige seines Fernsehgeräts blickt und dort eine schwerfällige Spiegelung des 24-Timecodes entdeckt. Während man einen Tag im Leben des Jack Bauer verfolgt, ihm beim Schwitzen-Schnaufen-Schlagen zuschaut und nebenbei mal eben nachrechnet, ob das überhaupt hinzukriegen wäre, die ganzen Bewegungen über Staubpisten, Highways und durch Lufträume hindurch, auch wenn man wie Jack Bauer die Nummer des Oval Office im Schnellwahlspeicher einprogrammiert und den Fuhrpark einer Weltmacht zur Verfügung hat, während man also die fiktive Uhr rasen sieht und die eigene langsam blinken, muss man sich für einen Moment die Frage stellen: Was habe ich heute eigentlich alles erreicht? TOBIAS MOORSTEDT

Der Palm Pilot ist im Krieg heute wichtiger als die AK-47

Der Splitscreen lehrt: Keiner kennt die Folgen seines Tuns

Pünktlich zum Amtsende von George W. Bush als US-Präsident muss sich Jack Bauer in der mittlerweile siebten Staffel von 24 für seine rüden Methoden der Vergangenheit verantworten. Die Serie startete kurz nach den 9/11-Anschlägen. Nun soll ein neuer Geist herrschen. Schwitzen und Schießen muss der Agent aber immer noch. Foto: Twentieth Century Fox

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"Der Scheich reicht, um den Markt zu verändern"

Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge über die Politik des FC Bayern in der Finanzkrise und die Nachfolge von Manager Uli Hoeneß

SZ: Herr Rummenigge, prüfen Sie zurzeit häufiger die Kurse Ihrer Aktien?

Karl-Heinz Rummenigge: Ich schaue da nicht ständig nach. Ich war nie ein großer Spekulant und bin es auch heute nicht. So gesehen bin ich entspannt.

SZ: Aber als Vorstandsvorsitzender des Unternehmens FC Bayern hat die Finanzkrise Ihren Alltag doch sicher verändert. Fahren Sie zurzeit mit einem anderen Gefühl ins Büro?

Rummenigge: Wenn ich mich unter meinen europäischen Kollegen so umhöre, stelle ich fest, dass die Finanzkrise im deutschen Fußball noch gar nicht richtig angekommen ist. Ich höre, dass es nicht nur in England, sondern auch in Spanien und Italien ganz massive Probleme gibt; weniger bei den absoluten Topklubs, aber eine Stufe darunter.

SZ: Beim FC Valencia zum Beispiel.

Rummenigge: Es scheint zahlreiche Klubs zu geben, die ernsthaft bankrottgefährdet sind. Ich habe den Eindruck, dass Deutschland und auch Frankreich von den sogenannten Big-Five-Ländern am besten dastehen. Dort gibt es eben relativ strikte Lizenzierungsverfahren. Die zwingen einen, Verluste zu vermeiden.

SZ: Spürt Bayern die Krise gar nicht, beim Sponsoring oder Merchandising?

Rummenigge: Die Verträge mit unseren Sponsoren laufen noch länger, im Moment wäre keine gute Zeit für Verhandlungen. Und das Merchandising ist in diesem Jahr leicht rückläufig, aber das war erwartet, weil wir im letzten Jahr Franck Ribéry und Luca Toni verpflichtet hatten - die beiden alleine waren für 50 Prozent der Trikotverkäufe verantwortlich. Das lässt natürlich automatisch nach . . .

SZ: . . . und Podolski läuft wohl auch kaum noch . . . ?

Rummenigge: Da muss man eines klar sagen: Ein Lukas Podolski hat da nie eine bedeutende Rolle gespielt, da lag selbst ein Bastian Schweinsteiger stets weit vor ihm. Lukas war auch bei den Fans offensichtlich nie vorne platziert.

SZ: Wie reagieren Sie, wenn Sie hören, dass ein Scheich aus der Königsfamilie von Abu Dhabi im Namen von Manchester City 120 Millionen für den Mailänder Mittelfeldspieler Kakà bietet?

Rummenigge: Um das zu bewerten, muss man ein paar Jahre zurückgehen: Damals gab's nach dem Crash des Neuen Marktes schon mal eine globale Finanzkrise, und in der Fußballbranche gab es eine Tendenz zur Vernunft: Gehälter und Ablösesummen gingen zurück - bis Herr Abramowitsch zum FC Chelsea kam.

SZ: Er hat die Preise verdorben?

Rummenigge: Ja, der Transfermarkt funktioniert doch nach einfachen Gesetzen: Einer geht volles Rohr in den Markt - und kaum ist das Geld im Markt drin, verändert es den Markt völlig. Alles schaukelt sich hoch, und diese Dynamik schlägt bis nach unten durch.

SZ: Manchesters Scheich ist jetzt also der Abramowitsch der Gegenwart?

Rummenigge: Ja. Es steht zu befürchten, dass das schöne Geld vom Scheich die Finanzkrise überdeckt. Denn Spieler und Berater wissen: Einen gibt's immer, der unsere horrenden Forderungen erfüllt. Dieser Scheich allein reicht, um den Markt zu verändern. Das Geld, das er in den Markt pumpt, verschwindet ja nicht. Es bleibt im Markt und treibt ihn nach oben. Wissen Sie, was ich für den absurdesten Transfer halte?

SZ: Welchen?

Rummenigge: 120 Millionen für Kakà wären Wahnsinn gewesen, aber er ist immerhin einer der drei, vier besten Spieler der Welt. Viel schlimmer finde ich den Transfer von Nigel de Jong . . .

SZ: . . . der soeben vom Hamburger SV für 20 Millionen Euro zu Manchesters Scheich gewechselt ist.

Rummenigge: Im Sommer hätte de Jong aufgrund einer Vertragsklausel noch zwei Millionen Euro gekostet. Ein Zehntel! Mit anderen Worten: Da ist jemand bereit, für vier Monate 18 Millionen zu zahlen. Bis zu dieser Woche hatten wir, die Vertreter der großen europäischen Klubs, den Eindruck, dass sich der Markt seitwärts bis rückwärts entwickelt, dass eine gewisse Mäßigung einzieht. Aber nach den letzten zehn Tagen, fürchte ich, können wir das vergessen.

SZ: Haben Sie eine Idee, wie sich der Markt beherrschen lässt?

Rummenigge: Ich hatte vorige Woche ein Gespräch mit Michel Platini (Präsident des europäischen Fußballverbandes Uefa; Anm. d. Red), und dabei haben wir die Idee eines Lizenzierungsverfahrens für die Champions League geboren. Das würde bedeuten, dass die 32 Teilnehmer gewisse Bedingungen erfüllen müssten.

SZ: Zum Beispiel?

Rummenigge: Man würde verfügen, dass nur 50 Prozent der Gesamteinnahmen eines Klubs in Gehälter investiert werden dürfen. Dann würde es keine so große Rolle mehr spielen, ob ein Klub ein eingetragener Verein ist, oder ob er einen Scheich hat. Zumindest könnten dann einige Auswüchse auf ein gesünderes Maß zurückgeführt werden. Ich sehe bereits eine breite Basis für diesen Vorschlag - bis auf die Engländer, die sind gegen alles, was die Ausgaben der Premier League begrenzen würde. Wenn die EU zustimmt, könnte diese Lizenzierung bis 2010 stehen.

SZ: Wird der FC Bayern seine Politik in der Finanzkrise verändern? Kommen einstweilen nur noch ablösefreie Spieler wie im Sommer Ivica Olic vom HSV?

Rummenigge: Zunächst einmal: Olic wäre auf jeden Fall gekommen. Dass er ablösefrei ist, ist ein angenehmer Nebeneffekt. Aber wir sind einfach der Meinung, dass er sportlich perfekt zu Luca Toni und Miroslav Klose passt.

SZ: Heißt das auch, dass sich ein Transfer des von Ihnen bisher heftig umworbenen Stuttgarters Mario Gomez im Sommer erledigt hat?

Rummenigge: Davon gehe ich aus, ja. Wir kennen ja die Höhe seiner Ausstiegsklausel . . .

SZ: . . . sie soll bei etwa 30 Millionen Euro Ablöse liegen . . .

Rummenigge: . . . und wir sind nicht im Ansatz bereit, in solchen Größenordnungen zu investieren. Wir sind überzeugt, dass das ein guter Spieler ist, aber diese Preiskategorie kann man der Öffentlichkeit im Moment nicht vermitteln.

SZ: Werden Sie im Sommer überhaupt investieren?

Rummenigge: Grundsätzlich gilt, dass wir schon jetzt eine Klassemannschaft haben. Wir werden unser Pulver erstmal trocken halten und den Markt beobachten - um reagieren zu können, wenn sich irgendeine sinnvolle Gelegenheit ergibt. Wir werden punktuell etwas verbessern - aber nichts Dramatisches.

SZ: Kommt der Ukrainer Anatoli Timoschtschuk aus St. Petersburg?

Rummenigge: Ja, ich bin optimistisch, dass wir da einen Transfer zum Sommer hinkriegen.

SZ: Was heißt das für Mark van Bommel, der die gleiche Position spielt? Sie haben ihm nur ein Angebot über ein Jahr unterbreitet. Besteht die Chance, dass das Angebot noch modifiziert wird?

Rummenigge: Wir wollen hier einfach keine längere Laufzeit haben. Wenn Mark das Angebot annimmt und gut spielt, dann kann er ja auch darüber hinaus bleiben. Theoretisch kann man einen Einjahresvertrag auch fünfmal um ein Jahr verlängern. Er hat doch eigentlich genügend Selbstvertrauen - zumindest tut er das in Interviews immer kund.

SZ: Wie sicher können Sie sein, dass Ribéry Ihnen erhalten bleibt? Er hat zuletzt auffällig oft mit einem Wechsel kokettiert, angeblich hätte Mailand im Fall eines Verlusts von Kakà für ihn geboten.

Rummenigge: Uns hat keiner angerufen. Und soll ich Ihnen was sagen? Das interessiert mich auch alles nicht! Wir haben einen Vertrag mit Franck bis 2011. Unsere Aussage steht: Wir werden ihn bis dahin nicht abgeben. Ich sehe keine Summe, die uns schwach werden lässt. Wir werden uns vielmehr bemühen, mit ihm vorzeitig zu verlängern.

SZ: Derlei Dinge entscheidet derzeit ein bewährtes Team, doch es steht nun der vielleicht größte Einschnitt in der Klubgeschichte bevor - Manager Uli Hoeneß will zum Jahresende aufhören und in den Aufsichtsrat wechseln. Manche Menschen fragen sich bereits: Gibt es den FC Bayern ohne Hoeneß überhaupt noch - oder hat Hoffenheim die Tabellenspitze künftig für sich allein?

Rummenigge: Nun, ich kann mich noch gut erinnern, als Franz Beckenbauer 1977 zu Cosmos New York gewechselt ist: Die gesamte Welt war darauf vorbereitet, dass der FC Bayern in den nächsten Monaten beerdigt wird. Die Saison 77/78 war dann auch nicht die beste (Rang zwölf; d.Red.), aber danach ging's wieder aufwärts.

SZ: Der FC Bayern ist also doch größer als jeder Einzelne, selbst wenn dieser Einzelne Uli Hoeneß heißt?

Rummenigge: Ja, Sie können doch auch mich als Beispiel nehmen. Als mein Wechsel zu Inter Mailand bekannt wurde, hatte ich gerade eine Saison mit 29 Toren hinter mir. Die Leute haben gesagt: Den FC Bayern kannst du jetzt vergessen. Und was war? Der FC Bayern wurde Meister! Und zwar ziemlich deutlich.

SZ: Das Leben beim FC Bayern geht vermutlich wirklich weiter - aber mit welchem Nachfolger von Uli Hoeneß?

Rummenigge: Vor einer personellen Entscheidung müssen wir erst eine strukturelle treffen. In Ulis Ressort fallen die erste Mannschaft und die Nachwuchsabteilung, das Scouting und das Thema Lizenzen/Sponsoring. Da müssen wir erst diskutieren, ob wir weiter eine Struktur mit drei Vorständen haben wollen (bisher: Rummenigge, Hoeneß und Finanzchef Karl Hopfner) - oder ob zwei reichen und wir die Ressortzuschnitte ändern.

SZ: Ob man also Uli Hoeneß' Job aufteilt und künftig einen echten Sportdirektor ohne Vorstandsposten beschäftigt.

Rummenigge: Das wäre eine Möglichkeit, ja. Denn den wichtigsten Part, den der Uli hier erfüllt, sehe ich im fußballerischen Bereich. Er ist nah an der Mannschaft dran, am Trainer, hat dort die Akzeptanz und die Autorität, das fußballerische Knowhow - das ist der wichtigste Part, den wir zu ersetzen haben.

SZ: Sie tendieren zu einem Sportdirektor. Muss es für einen Neuen aber nicht wie eine Drohung klingen, wenn Hoeneß jetzt ankündigt, der präsenteste Aufsichtsrat der Klubgeschichte zu werden?

Rummenigge: Davor muss doch niemand Angst haben. Auch jetzt haben wir trotz manchmal unterschiedlichen Meinungen eine harmonische Zusammenarbeit. Außerdem ist der Uli nicht aus der Welt, sondern nur auf einer anderen Position, und wenn er zwei-, dreimal die Woche in der Geschäftsstelle ist, wäre das doch eher die Gewähr dafür, dass der Übergang fließend abläuft. Uli ist keiner, der öffentlich dazwischengrätscht.

SZ: Aber ein starker Mann sollte der Neue schon sein.

Rummenigge: Natürlich, wir reden hier über die zentrale Aufgabe beim FC Bayern: die sportliche Verantwortung. Das ist die Schlüsselstelle. Deshalb spricht vielleicht mehr für die Notwendigkeit eines starken Sportdirektors. Man braucht jemanden, der einem Spieler auch mal sagt: ,Was du spielst, ist ein Mist!'. Der Uli stellt sich schon mal in die Kabine und sagt zu einem Spieler: ,Was ist mit dir eigentlich los? Du musst langsam mal Gas geben!'

SZ: So jemand müsste vermutlich von außen kommen?

Rummenigge: Über Namen möchte ich zu diesem Zeitpunkt nichts sagen. Aber schauen Sie sich mal um: Der Kandidatenkreis ist zwangsläufig sehr limitiert.

SZ: Uli Hoeneß hat andererseits angedeutet, vielleicht weiterzumachen, falls die Finanzkrise dies erfordern würde. Sehen Sie diese Notwendigkeit?

Rummenigge: Stand jetzt sehe ich keine Finanzkrise auf den FC Bayern zukommen. Aber in turbulenten Tagen kann niemand sagen, wie es übermorgen aussieht.

SZ: Wenn Uli Hoeneß im Vorstand aufhört, rückt er im Aufsichtsrat an die Stelle Franz Beckenbauers. Was macht Sie so sicher, dass Beckenbauer da mitspielt?

Rummenigge: Der Uli und der Franz haben sich vor etwa anderthalb Jahren mal darüber unterhalten und diese Lösung vereinbart.

SZ: Wird Franz Beckenbauer dem Verein trotzdem erhalten bleiben?

Rummenigge: Ich glaube, wir sind gut beraten, Franz weiter im Boot zu haben. Es gibt ja das Amt des Ehrenpräsidenten, der hat aber bisher keinen Sitz und keine Stimme im Präsidium. Uns müsste daran gelegen sein, das vielleicht zu ändern und Franz als wichtige Persönlichkeit zu behalten. Er ist einer, der Input gibt.

SZ: Für den Manager Hoeneß und den Aufsichtsratschef Beckenbauer wäre es im Mai die letzte Meisterschaft. Darf man Ihnen eigentlich schon gratulieren?

Rummenigge: Nein, warum?

SZ: Alle Nachrichten, die die Winterpause produziert hat, sprechen doch für den FC Bayern: Bei Hoffenheim hat sich Vedad Ibisevic schwer verletzt und Chinedu Obasi leicht, zusätzlich wird Eduardo gesperrt, ebenso wie Hamburgs Olic, während Bremen disziplinarische Probleme hat und Schalke sein Chaos pflegt.

Rummenigge: Wir haben das alles zur Kenntnis genommen, aber wirklich ohne jeden Anflug von Schadenfreude. Speziell Ibisevic' Kreuzbandriss bedauere ich sehr. Er hat 18 Tore gemacht, da tut es mir besonders für den Spieler leid.

SZ: Ist Hoffenheim jetzt überhaupt noch ein Konkurrent um den Titel?

Rummenigge: Sicher, davon gehe ich aus. Wir wissen, dass wir 17 stabile Spiele brauchen, um Meister zu werden.

SZ: Sind Sie auch gespannt, wie Hoffenheim auf Ibisevic' Ausfall reagiert? Einerseits brauchen sie einen gestandenen Spieler, andererseits würde das ihrer Talent-Philosophie widersprechen.

Rummenigge: Mir gefällt es, wenn jemand eine klare Philosophie hat, bei der es um Nachhaltigkeit geht, das finde ich sehr sympathisch. Sie werden keinen Eto'o holen, auch wenn sie das finanziell vielleicht könnten. Dann kämen sie aber wie ein Abramowitsch rüber, der das Geld raushaut, und das wollen sie ja nicht. Ich glaube nicht, dass sie großes Geld investieren. Das können sie sich schon aus Imagegründen nicht erlauben.

SZ: Diese Nischenpolitik: Besteht bei Bayern kein Interesse an diesem Trend?

Rummenigge: Unsere Philosophie hat doch schon zwei Säulen. Die eine sind die Ribérys, Kloses, Tonis, und die andere besteht aus einem Rensing, einem Lell, einem Lahm, einem Ottl, einem Schweinsteiger. Das sind ja nur einige, die aus dem eigenen Stall kommen, wir bilden diese jungen Spieler selbst aus. Das wird in der Öffentlichkeit manchmal vergessen, vielleicht müssen wir das Image in dieser Richtung auch mal pflegen.

SZ: Die Hoffenheimer sagen: Der Tabellenplatz ist für uns nicht entscheidend. Nehmen Sie ihnen das ab?

Rummenigge: Natürlich wollen die Meister werden! Sie machen eben auf Understatement, das würde ich an ihrer Stelle auch tun. Aber ich bin überzeugt, dass sich die Hoffenheimer oben etablieren und ein dauerhafter Konkurrent von uns bleiben werden.

SZ: Wo steht der FC Bayern nach einem halben Jahr mit dem Trainer Jürgen Klinsmann? Ist es immer noch so, dass er erst im Mai zu bewerten ist?

Rummenigge: Wir haben mit ihm eine stabile Phase zum Ende der Hinrunde gehabt, aber jetzt ist der Moment gekommen, wo du in die entscheidenden Phasen einer Saison kommst. Wir müssen jetzt ernten, und das heißt: nachlegen, nicht nachlassen. Jürgen ist auf einem sehr guten Weg, aber ohne Frage wird beim FC Bayern alles am Erfolg gemessen und natürlich an Titeln.

Interview: Andreas Burkert

und Christof Kneer

INTERVIEW DER WOCHE

"Ich bin optimistisch, dass wir Timoschtschuks Transfer

bis zum Sommer hinkriegen."

"Man braucht jemanden,

der Spielern auch mal sagt:

Was du spielst, ist Mist!"

"Hoffenheim macht auf

Understatement. Das würde ich an ihrer Stelle auch tun."

Wie, Hoffenheim will wirklich Meister werden!? Karl-Heinz Rummenigge in prächtiger Laune an der Seite des Kollegen Uli Hoeneß, über dessen Nachfolge die Münchner derzeit diskutieren. Rummenigge, 53, seit Februar 2002 Vorstandschef der FC Bayern AG, schwebt "ein starker Sportdirektor" vor. Foto: sampics

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Weißwürste und Spiele

Die Finanzkrise belastet, Abfahrer Albrecht liegt im Koma - und Kitzbühel inszeniert manch bizarren Auftritt

Kitzbühel - "Das ist das Highlight im Weltcup", sagt der österreichische Michael Walchhofer über die Kitzbüheler Hahnenkammrennen. Das Highlight hat schon mal heller geleuchtet, was nicht nur an dem Schatten liegt, den der Unfall des Daniel Albrecht im Abfahrtstraining über das Skifest warf. Es gibt diesmal keine einzige Präsentation der alpinen Sportartikelbranche, die sich noch vor einem Jahr derart hochfrequent ins Zeug legte, dass der Interessent stark ins Schleudern kam beim Koordinieren der Termine. Die Ausrüster lassen sich ihr sportliches Engagement genug kosten, die Abverkäufe der Skibranche sind weiter schleppend, und auch an dieser Sparte geht eine Entwicklung nicht schadlos vorbei, die auf dem Titel des örtlichen Immobilien Lookbook angerissen wird: "Die Finanzkrise - Auswirkungen auf den Kitzbüheler Immobilienmarkt." Es folgt aber sogleich Entwarnung. Besagte Auswirkungen gebe es nicht, sondern 3500 Euro pro Quadratmeter könnten in der Gamsstadt durchaus noch erzielt werden. Das beruhigt den Investor.

Das Highlight des Weltcups ist die Sause am Hahnenkamm immer noch, der Mythos lebt und hat neue Nahrung bekommen vergangenes Wochenende in Wengen, wo die Österreicher Pranger und Herbst zwar im Slalom die Plätze eins und zwei belegten, aber tags zuvor ihre Kollegen auf der Abfahrt eine Niederlage skihistorischer Dimension beigebracht bekamen. Darüber witzelte das Schweizer Massenblatt Blick in Anspielung an die Stelle, an der einst für die Favoriten Toni Sailer und Anderl Molterer das Rennen ein abruptes Ende nahm, 2009 sei das Österreicherloch viereinhalb Kilometer lang gewesen. So bedauerlich das Abschneiden von Wengen für die Downhiller von Team Austria einerseits war, so perfekt eignet es sich für die Kitzbüheler Kampagne: Es ist eine General-Revanche ausgerufen. "Das war die erste Meldung nach Wengen", sagte Walchhofer nach dem Auftakttraining, in dem er der Schnellste war. "Aber die wahre Antwort kann nur ein Ergebnis sein von der Art, dass den Schweizern das Lachen vergeht."

Eine Gala weniger

Bei denen hat schon vor dem Rennen niemand mehr gelacht aus anderem, ernsterem Grund: Der Sorge um Daniel Albrecht, der noch in der Uniklinik Innsbruck im künstlichen Koma liegt. Es soll nicht verschwiegen werden, was der Betroffene am Tag vor seinem Sturz angekündigt hatte: "Ich bin hier, um den Österreichern die Party zu verderben."

Als er im Rettungshubschrauber abtransportiert war, hat der DJ im Zielraum das Thema vorgegeben, indem er The Show Must Go On von Queen auflegte. Für die Show sind sie bestens gerüstet, nicht nur sportlich mit einer Streifabfahrt, die nach einhelligen Urteil so gut präpariert sei wie seit Jahrzehnten nicht mehr: Hart, aber ganz ohne Wellen und Schläge (wodurch freilich das Tempo steigt), gesellschaftlich sowieso.

Zwar war es ein leichter Schock, dass die Privatbank, die mit ihrer Gala im Rasmushof traditionell den Reigen der Festivitäten eröffnet, diesmal stornierte, aber ansonsten wird zu den üblichen Amüsements geladen - zur Kitz Night in den Sonnbergstub'n der jodelnden Wirtin Rosi Schipflinger, zur KitzRaceParty, zur Weißwurstparty beim Stanglwirt nahebei in Going, bei der sich vergangenes Jahr Fiona Pacificio Griffioni-Grasser (vormals bekannt als: Swarovski) darüber aufregte, dass sie fotografiert wurde. Der Ingolstädter Autohersteller, der den Generalsponsor macht, hat wie üblich und für Freitagnacht das Hotel Tenne angemietet. Da wird der lange rote Teppich ins Zentrum von Kitz gerollt, und der deutsche Showmaster Thomas Gottschalk mit seiner Thea lange im Blitzlichtgewitter stehen. "Unsere Partner planen langfristig", sagt Harti Weirather, 1982 Abfahrtsweltmeister, heute stark positioniert im Sportmarketing, der die Hahnenkammrennen vermarktet, "es wurden keine Events gestrichen", und zur Garnitur seines Vip-Zeltes hat er überschlagsweise eine halbe Christbaumplantage abräumen lassen.

Es ist angerichtet für die Show, in der einen der frühen Acts Mathias Lanzinger mit einem bizarren Auftritt lieferte: Der Salzburger, dem nach einem schweren Sturz im Super-G von Kvitfjell vergangenen März der linke Unterschenkel amputiert werden musste, zelebrierte seine Rückkehr auf Ski nach 326 Tagen ausgerechnet am Hahnenkamm, bei der Besichtigung vor dem Abschlusstraining unter beträchtlicher Medienaufmerksamkeit.

Kommt Mausi Lugner?

Der Sponsor wird sich gefreut haben, der Prothesenbauer war ein gefragter Gesprächspartner im Zielraum. Eine Stunde später erhielt Daniel Albrecht an gleicher Stelle die Notversorgung nach seinem Flug, der nicht nur fatal war, sondern auch außergewöhnliche Fotostrecken lieferte. So was nährt den Mythos des Ereignisses. Die Show geht weiter, die nächste brennende Frage ist, ob man Mausi Lugner Samstag auf der Vip-Tribüne sehen wird. Aus dem Dschungelcamp wurde sie rechtzeitig für Kitz freigelassen. Wolfgang Gärner

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Auslöser Herpes-Infekt

Läufer Herms ist an einer Herzmuskelentzündung gestorben

München - Freitag war ein harter Arbeitstag für Christian Avenarius. Erst wurde eine bei einer Gewalttat lebensgefährlich verletzte 13-Jährige gefunden, wenig später bekam der Dresdener Oberstaatsanwalt den Obduktionsbefund für René Herms auf den Schreibtisch. Der rechtsmedizinische Befund verlautet, dass der 26-Jährige Leichtathlet "eines natürlichen Todes" gestorben sei. "Als Todesursache", gab Avenarius bekannt, "hat der Sachverständige eine durch Viren ausgelöste Entzündung der Herzmuskulatur (Virusmyokarditis) festgestellt. Infolge dieser Entzündung sei es zu einem plötzlichen Herzversagen gekommen." Damit werde das Todesermittlungsverfahren abgeschlossen.

Das viral bedingte, "beidseitige" Herzversagen ereilte den Athleten so überraschend, wie das aus den häufigen Fällen des so genannten "Sekundentodes" im Sport bekannt ist. Die Rechtsmediziner hatten Herms Witwe erklärt, die Herzmuskelentzündung sei durch eine schon länger zurückliegende Herpes-Infektion ausgelöst worden, berichtete der sid unter Berufung auf Herms frühere Managerin Kerstin Pohlers; Ursache könnten Röteln oder eine Gürtelrose gewesen sein.

Herms war am 10. Januar tot zu Hause vor dem Computer aufgefunden worden. Angehörige hatten bei letzten Kontakten mit ihm am Todestag zuvor keine Auffälligkeit bemerkt. Auch hatte der zwölfmalige deutsche 800-Meter-Meister, der zuletzt beim Dresdner SC trainierte, noch am 9. Januar trainiert. Trainer Dietmar Jarosch: "Wir haben uns ganz normal verabschiedet, es gab keine Anzeichen." Gleich nach der Todesbotschaft unterrichtete Herms' Verein LG Braunschweig seine Athleten per Mail, Herms habe einen grippalen Infekt gehabt. Ein LG-Vorständler teilte mit, dass Herms kürzlich einen Laktattest gemacht hatte, "die Werte sollen sehr gut gewesen sein, hat er mir berichtet". Laut Ex-Trainer Klaus Müller hatte Herms vor, am 19. Januar mit Müllers Sportlergruppe ins Trainingslager nach Kienbaum zu gehen.

"Einfach tragisch", kommentierte Clemens Prokop betroffen; der Chef des Deutschen Leichtathletikverbands DLV hat intern bereits die Frage gestellt, "wie gut unser Gesundheitsmanagement ist". An entsprechenden Topteam-Lehrgängen habe Herms über Jahre teilgenommen, es geht dabei um Aufklärung, Betreuung, Prävention. Der Verdacht sei trotzdem, dass sich die "subjektive Gesundheitseinschätzung mancher Sportler öfter mit Leichtsinn paart". Prokop: "Wir müssen versuchen, die Athleten zu größerer Selbstsorgfalt zu bewegen."

Auf Herms traf dies eher nicht zu. Der Mittelstreckler wurde sogar seit Beginn seiner Kaderzugehörigkeit im DLV von Leistungsdiagnostikern am Leipziger Instituts für Angewandte Trainingswissenschaften (IAT) betreut, teilte Sprecherin Kerstin Henschel der SZ mit. Herms sei "drei- bis viermal im Jahr zur Leistungsdiagnostik" gekommen, zudem wurde ihm trainings- und wettkampfdiagnostische Betreuung zuteil. Eine IAT-Publikation von 2004 ("Erfahrungen beim mehrjährigen Leistungs- und Belastungsaufbau eines 800-Meter-Läufers") zeichnete Herms Weg zu Olympia 2004 in Athen nach. Noch im November, so Henschel, habe sich Herms einer Leistungsdiagnostik unterzogen. Dabei müsse der Athlet erst einen Gesundheitscheck durchlaufen, bevor er die Tests unter körperlicher Vollbelastung absolvieren darf.

Der tragische Todesfall gibt den Forderungen vieler Sportmediziner nach intensiveren, die ganze Saison eng begleitenden Gesundheitsprüfungen neuen Schub. "Ein Rennpferd wird medizinisch besser betreut als ein Spitzensportler" - heißt es gern in der Branche. Unter Sportlern nur in Deutschland werden jährlich bis zu 1000 Todesfälle registriert. Der Spitzensport macht gerade besonders von sich reden. In Skandinavien waren um die Jahreswende zwei etwa 40-Jährige Ex-Athleten Herztode gestorben. Frankreich meldete am Donnerstag den Infarkttod des Zweitliga-Profis Clement Pinault, 23. In der Woche zuvor war Rugby-Profi Feao Latu, 28, auf dem Spielfeld gestorben. In der deutschen Bundesliga war August 2008 der Kölner Profi Ümit Özat mit Herzstillstand kollabiert, er konnte aber gerettet werden.

So war die Tragödie Herms auch für Oberstaatsanwalt Avenarius kein Neuland. Schon 2003 war in Dresden der französische Radprofi Fabrice Salanson, 23, vorm Start der Deutschland-Tour 2003 tot neben dem Hotelbett gefunden worden, er hatte ein stark vergrößertes Herz. Monate zuvor hatte Gerolsteiner-Profi Torsten Nitsche seine Karriere nach einem Herzbefund sofort beendet.

René Herms wird am Montag in Pirna beigesetzt. Der DLV will des Athleten bei der Hallen-Meisterschaft im Februar in Leipzig gedenken. Thomas Kistner

René Herms ? Foto: dpa

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1860-Testspiel auf Schalke

hier rein

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Flugbegleiter kämpfen für 15 Prozent mehr

Jeder zweite Lufthansa-Flug von und nach Frankfurt ist am Freitag ausgefallen. Die Gewerkschaft hält das gegenwärtige Angebot für eine Mogelpackung

Von Sibylle Haas

München - Der erste Streik der Flugbegleitergewerkschaft Ufo hat am Freitagmorgen zu zahlreichen Ausfällen von Lufthansa-Flügen und zu Verspätungen geführt. Am frühen Morgen hatte Ufo zu einem dreistündigen Warnstreik am Frankfurter Flughafen aufgerufen, dem nach Angaben der Gewerkschaft 400 Flugbegleiter gefolgt waren. Eine Lufthansa-Sprecherin sprach dagegen vonetwa 100 Streikteilnehmern. Ohne Flugbegleiter dürfen Flugzeuge aus Sicherheitsgründen nicht starten. Als Folge des Warnstreiks seien 44 der 90 Flüge von und nach Frankfurt gestrichen worden, sagte sie. Lufthansa bietet täglich insgesamt 2000 Flüge an. Es seien einige hundert Passagiere von dem Streik betroffen gewesen. Lufthansa habe sie auf andere Flüge umgebucht, sagte die Sprecherin.

Der Frankfurter Flughafen ist für die größte deutsche Fluggesellschaft der wichtigste Knotenpunkt. Sie fliegt von dort aus in fast sämtliche Länder dieser Erde. Langstreckenflüge, also nach Asien oder über den Nordatlantik, seien wie geplant abgewickelt worden. Lediglich auf innerdeutschen und europäischen Verbindungen sei es zu Flugstreichungen und Verspätungen gekommen. Die Lufthansa-Sprecherin sagte weiter, im Laufe des Tages habe sich der Flugverkehr wieder normalisiert.

Hintergrund des Warnstreiks ist ein Tarifkonflikt zwischen der Gewerkschaft Ufo und Lufthansa. Der Tarifvertrag und die Friedenspflicht endeten zum 31. Dezember, seitdem sind Streiks möglich. Die Flugbegleitergewerkschaft Ufo hatte am vergangenen Wochenende die Tarifverhandlungen mit Lufthansa für gescheitert erklärt. Das Unternehmen habe auch in der dritten Tarifrunde kein verbessertes Angebot präsentiert, begründete die Gewerkschaft.

Ufo fordert für die Flugbegleiter eine Lohnsteigerung von 15 Prozent sowie verbesserte Arbeitsbedingungen im Manteltarifvertrag. Lufthansa hat nach eigenen Angaben bei einer Laufzeit des Tarifvertrags von 14 Monaten eine Erhöhung um zehn Prozent angeboten, die sich aus einer Lohnsteigerung, einer Ergebnisbeteiligung und verbesserten Arbeitsbedingungen zusammensetzt. "Das Angebot ist eine Mogelpackung. Die tatsächlich angebotene Lohnsteigerung beträgt drei Prozent", sagte der Ufo-Verhandlungsführer und Leiter der Tarifpolitik, Joachim Müller, der Süddeutschen Zeitung. Er kündigte weitere Warnstreiks an. "Das wird zeitnah sein. Warnstreiks sind schon nächste Woche denkbar", sagte Müller. Einen Zeitplan wollte er nicht nennen. Die Gewerkschaft werde die Arbeitsniederlegung kurzfristig bekannt geben, damit die Fluggesellschaft wenig Möglichkeit zum Gegensteuern habe. Angedacht sei auch die Urabstimmung über reguläre Streiks. "Da gibt es aber noch keine Beschlüsse", betonte Müller.

Lufthansa sei weiter verhandlungsbereit. "Wir fordern die Gewerkschaft auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren", sagte die Unternehmenssprecherin. Nach Ufo-Angaben sind 70 Prozent der etwa 16 000 Lufthansa-Flugbegleiter Mitglied bei Ufo. In der Branche heißt es, die Gewerkschaft Verdi habe in der Kabine nur knapp 700 Mitglieder. Verdi selbst nennt keine Zahlen. Lufthansa und Verdi hatten sich im August vorigen Jahres auf eine durchschnittliche Lohnerhöhung von 4,2 Prozent geeinigt. Der Abschluss gilt für die Lufthansa-Mitarbeiter am Boden und für die Flugbegleiter. Da Lufthansa aber die Tarifeinheit bewahren will, soll der Abschluss nur dann für die Flugbegleiter gelten, wenn Ufo dem zustimmt. Das lehnt Ufo ab.

Die Unabhängige Flugbegleiter Organisation e.V. (Ufo) ist Deutschlands einzige Gewerkschaft, die sich ausschließlich für das fliegende Kabinenpersonal einsetzt. Ufo wurde 1992 gegründet, insbesondere weil die Flugbegleiter ihre Interessen in den damaligen großen Gewerkschaften nicht ausreichend vertreten sahen. Bei Ufo sind nach eigenen Angaben unter anderem Mitarbeiter der Fluggesellschaften Air Berlin, Condor und Condor-Berlin, DBA, Eurowings, Germanwings, Hapag Lloyd, LTU, Lufthansa und Lufthansa Cityline organisiert.

Mitglieder der Gewerkschaft UFO haben am Freitag auch drei Stunden lang am Flughafen in Frankfurt demonstriert. Foto: ddp

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Die WoPo-Woche

Bewährungsprobe für den Porsche Aufsichtsratschef Wolfgang Porsche - die Hauptversammlung des Konzerns am kommenden Freitag ist erst der Anfang

Von Michael Kuntz

München - Alle waren sie da in der Allerheiligenhofkirche, dem säkularisierten Festsaal in der Münchner Residenz. Hier lädt immer Mitte Januar der ADAC zur Verleihung von fünf Gelben Engeln. In der ersten Reihe nimmt Platz, wer im Autoland Deutschland Rang und Namen besitzt. Links vom bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer saß diesmal aufgereiht die Führungstruppe des größten Autokonzerns in Europa: Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, Volkswagen-Aufseher Ferdinand Piëch, VW-Konzernlenker Martin Winterkorn, flankiert vom jungen Audi-Boss Rupert Stadler, 45.

Deutlich abseits, am rechten Flügel, war Wolfgang Porsche zu sehen, so als habe er mit den anderen wenig zu tun. Der Eindruck trügt. Denn "WoPo", wie seine Familie und Freunde den 65-jährigen Diplom-Kaufmann aus München nennen, zieht im Zentrum des drittgrößten Autokonzerns der Welt die Fäden.

Das wird in der bevorstehenden Woche so deutlich wie nie. Es wird eine Art Festwoche für Porsche - die Firma und den Mann. Erst weiht er am Mittwoch das neue Museum neben der Hauptverwaltung in Zuffenhausen ein. Es kostet nun zwar hundert Millionen Euro statt der ursprünglich veranschlagten fünfzig Millionen, doch der Polyeder für 82 Autos ist dafür besonders schön geraten. Am Freitag folgt dann in der Porsche-Arena an der Mercedesstraße in Stuttgart die Hauptversammlung der Porsche SE, der Holding nach europäischem Recht. Es wird ein spannendes Treffen und Wolfgang Porsche führt dabei als Aufsichtsratsvorsitzender Regie.

Denn mit dem Aktionärstreffen in Schwaben wird ein neues Kapitel deutscher Industriegeschichte aufgeschlagen. Es ist die Geburtsstunde eines neuen Mega-Konzerns: Die Marken VW, Audi, Skoda, Seat, Bentley, Bugatti, Lamborghini, VW Nutzfahrzeuge, Scania und Porsche - alles wird eins. Jede Marke bleibt einzeln, doch vieles geht zusammen besser. Auch der MAN-Konzern gehört schon fast zur Familie, ist VW hier doch mit knapp einem Drittel der Anteile größter Aktionär.

Erstmals könnte es nun aber auch eine Menge kritischer Fragen geben - ein Novum fast für Porsche-Hauptversammlungen. Zwar könnten die Aktionäre zufrieden sein angesichts einer guten Dividende und eines Gewinns, der dank der VW-Optionsgeschäfte von Porsche-Finanzvorstand Holger Härter höher war als der Umsatz. Doch die Optionsgeschäfte, mit denen die Mehrheit bei VW gesichert wurde, werfen noch Fragen auf.

Mehr als drei Jahre bereits halten Wiedeking und Härter die Börsianer mit netten Geschichten aus Zuffenhausen in Spannung - und erwarben derweil 52 Prozent am VW-Konzern. David übernimmt Goliath, nennt Wiedeking das Spiel, bei dem wie beim Schach nie verraten wird, wie es weitergeht. Genügt Porsche die Mehrheit an VW? Geht er auf 75 Prozent, auf 98 oder 100? Es muss wirtschaftlich sinnvoll sein, das ist alles, was Wiedeking sich dazu entlocken lässt.

Verprellt hat der Porsche-Chef aber auch so ziemlich alle in Wolfsburg. Vor allem der VW-Betriebsrat weigerte sich, eine Geheimvereinbarung zu akzeptieren, die ihm als Vertreter von 320 000 Mitarbeitern nur so viel Einfluss gegeben hätte wie den Vertretern der 11 000 Porsche-Arbeitnehmer. Der Streit scheint mit der Nominierung für den Aufsichtsrat am Freitag fast beigelegt, es steht allerdings immer noch ein Gerichtstermin Ende März im Kalender. Den müsste der VW-Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh noch absagen.

Auch führenden Manager in Wolfsburg fiel es schwer, sich an die insistierenden Fragen der Aufsichtsräte Wiedeking und Härter zu gewöhnen. Beide sind im Vorstand der Holding - noch allein. Doch Wolfgang Porsche wird ein neues Führungsmodell präsentieren und dann könnte es gut sein, dass Wiedeking und Härter sich mit VW-Chef Winterkorn und vielleicht auch seinem Finanzvorstand Pötsch arrangieren müssen. Denn die beiden rücken wahrscheinlich in den Vorstand der Porsche SE auf, dessen Sprecher wohl Wiedeking bleibt.

Bislang kann sich der Porsche-Chef der Unterstützung der Großaktionäre sicher sein. Das Doppel Wiedeking und Härter machten den aus 60 Mitgliedern bestehenden Clan der Familien Porsche und Piëch von Millionären zu Milliardären. Doch in der Familie haben sich die Gewichte verschoben. Noch gilt das VW-Urgestein Ferdinand Piëch, im Februar wird er 72 Jahre, als der starke Mann. Doch Piëch ist als Aufsichtsratsvorsitzender von VW nur noch Chefaufseher einer faktischen Tochtergesellschaft.

Gern auf der Jagd

Im Machtzentrum des Aufsichtsrates der Porsche Holding SE agiert der Vorsitzende Wolfgang Porsche. Das ist eine beachtliche Karriere im späteren Leben eines Mannes, der jahrelang als Ehemann einer Filmregisseurin durch die Gazetten geisterte, der abwechselnd in München, Stuttgart und Zell am See lebt, gern zur Jagd geht und auch ein Schlosshotel in Österreich besitzt. Er besuchte Lehrlings-Treffen und Fanclub-Rallyes, doch seine Tätigkeit im Aufsichtsrat von Porsche fiel lange nicht weiter auf. Zweieinhalb Jahrzehnte immerhin gehörte er dem Gremium bereits an, als er im Januar 2007 dessen Vorsitz übernahm.

"WoPo" gilt als selbstbewusster Träger eines starken Namens, aber auch als ein umgänglicher Mensch. Und so richten viele Mitarbeiter in seinem Riesenreich voll widerstrebender Interessen ihre Hoffnungen auf ihn als einen Mann des Ausgleichs.

Wolfgang Porsche saß bei der ADAC-Vormittagsparty in der Allerheiligenhofkirche zwischen BMW-Entwickler Klaus Dräger und Franz Fehrenbach, dem Boss von Bosch, dem größten Zulieferer der Autoindustrie weltweit. Der ADAC verleiht auch immer einen Gelben Engel an eine bedeutende Persönlichkeit der Industrie, sozusagen den Mann des Jahres. Wenn Wolfgang Porsche die Integration der Sportwagenfirma mit dem dreißigfach größeren VW-Konzern erfolgreich moderiert, keiner von den 400 000 Mitarbeitern mehr intrigiert oder gar prozessiert, dann könnte es sein, dass er den Gelben Engel bekommt. Die Lobesrede müsste dann Franz Fehrenbach halten, der diesjährige Preisträger, ein guter Freund von "WoPo".

VW im Huckepack - doch harmonisch ist das neue Dreamteam noch keineswegs. Moderation ist nötig. Fotos: AP, oh; Collage: SZ

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Klammheimliche Verführer

Viele Showgrößen und Politiker machen Werbung für umstrittene Firmen und deren Produkte. Verbraucherschützer beobachten diesen Trend mit Sorge

Von Reinhold Rühl

München - Essen ist Enricos größte Leidenschaft. Vor allem Buffets ziehen ihn magisch an, weil er dort "zum Festpreis" soviel vertilgen kann wie er mag. Es müssen gewaltige Portionen sein, denn der 30-jährige Groß- und Einzelhandelskaufmann bringt mit seiner Körpergröße von 1,83 Meter exakt 191,6 Kilo auf die Waage. Enrico ist das absolute Schwergewicht in der Pro-Sieben-Doku-Show "The Biggest Loser", die der Sender derzeit donnerstagabends ausstrahlt. 14 dicke Kandidaten treten hier auf einer "Hacienda" nahe Budapest gegeneinander an. Das Prinzip ähnelt "Big Brother" oder der RTL-Dschungelshow: Die Mannschaft, die insgesamt weniger Gewicht verloren hat, muss pro Woche einen aus ihren Reihen nach Hause schicken. Wer zum Schluss übrig bleibt und prozentual am meisten abspeckt, ist "der größte Verlierer" und darf die Siegprämie in Höhe von 100 000 Euro einstreichen.

Die Moderatorin der Sendung ist optisch gesehen das krasse Gegenstück der Protagonisten: Ex-Eiskunstläuferin Katarina Witt, die sich angeblich nie auf eine Waage stellt, begleitet die Schwergewichte auf dem "Weg in ein neues Leben", jubelt Pro Sieben. Denn Menschen, die "jahrelang Raubbau an ihrem Körper betrieben haben, lernen bei ,The Biggest Loser', was es heißt, gesund zu leben." Zwei Fitnesstrainer, ein Arzt und ein Ernährungscoach stehen den Kandidaten in den insgesamt sechs Folgen zur Seite.

Katarina Witt gewann als Eiskunstläuferin zwei Mal olympisches Gold. Die 43-Jährige ist vierfache Weltmeisterin, sechsfache Europameisterin und achtfache DDR-Meisterin. "Mit Fitness und ausgewogener Ernährung kennt sich der Eiskunstlauf-Star aus", behauptet der Sender. Zumindest das letztere scheint fraglich. Denn Katarina Witt hat neben ihrer TV-Rolle einen Nebenjob: Sie ist "Partner" der Firma Herbalife, die mit umstrittenen Produkten zur Nahrungsergänzung und ebensolchen Werbemethoden Geschäfte macht. Herbalife sponserte auch die Abschiedstournee von Katarina Witt, bestätigt eine Herbalife-Sprecherin: "Frau Witt kennt die Produkte von Herbalife schon länger und ist von den Herbalife-Produkten begeistert." Auf der Homepage der Firma wird die erfolgreiche Eiskunstläuferin sogar zitiert: "Die Formula.Shakes von Herbalife mische ich mir als Pulver in einen Joghurt. Ich habe alle Geschmacksrichtungen in der Küche stehen und wähle ganz spontan meinen Lieblingsgeschmack aus."

Solche Ernährungsgewohnheiten hält Jola Jaromin für "völligen Quatsch". Die diplomierte Ernährungsberaterin aus Köln ist Coach der Kandidaten in "The Biggest Loser." Mit derartigen Formula-Diäten, so der Fachbegriff für viele der von Herbalife vertriebenen Produkte, nehme man zwar schnell ab, aber ebenso schnell wieder zu. Der von Abnehmwilligen gefürchtete "Jo-Jo-Effekt" sei die Folge. Deshalb seien bei der "The Biggest Loser"-Show Formula-Produkte absolut verpönt, sagt Jaromin. "Zwischen den Werbeaktivitäten von Katarina Witt und ,The Biggest Loser' gibt es keinerlei Überschneidungen", beteuert Sandra Scholz von Pro Sieben.

Dass Prominente für Gummibärchen, die Telekom oder Flugtickets werben, daran haben sich die Zuschauer notgedrungen gewöhnt. Doch zunehmend treten Sportler, Showgrößen, selbst Politiker für Firmen auf, die von Verbraucherschützern kritisch beobachtet werden. Firmen wie Herbalife. Edda Castello, Rechtsexpertin der Verbraucherzentrale Hamburg, hat zahlreiche Beschwerden über diese Firma gesammelt. Umstritten ist vor allem auch die Vertriebsweise. Die Produkte werden nämlich ausschließlich im so genannten "Network-Marketing" verkauft. Dabei können die Käufer zugleich Verkäufer sein, indem sie in ihrem Bekanntenkreis oder über Anzeigen nach Abnehmern suchen. So werden "persönliche Beziehungen für geschäftliche Zwecke ausgenutzt", kritisiert die Verbraucherschützerin.

"Blödsinn", sagt Elisabeth Gottmann von der Agentur Arts und Promotion zu den Vorwürfen der Verbraucherschützer. Sie ist Managerin der Eis-Prinzessin und hat den Deal mit Herbalife eingefädelt. Katarina Witt werde lediglich mit Produkten der Firma ausgestattet und werbe darüber hinaus nicht für das Vertriebssystem. 950 Herbalife-Vertriebspartner haben im November letzten Jahres in Salzburg etwas anderes erlebt. "Ich sehe Eure Begeisterung. Ich sehe, Euer Herz ist in Eurem Job und in den Produkten und Ihr seid motiviert", rief da Katarina Witt von der Bühne.

Der auf Video dokumentierte Auftritt ist nicht die erste Pirouette von Witt im Auftrag fragwürdiger Firmen. Vor drei Jahren drehte die Sportlerin auf einer Eisbahn am New Yorker Time Square ein paar Runden für Tahitian Noni International. Die Firma vertreibt ein umstrittenes Wellnessgetränk via Network-Marketing. Wieviel Geld die Eisprinzessin für den Fototermin kassiert hat, mag Witts Managerin nicht verraten. Insider schätzen jedoch, dass selbst Promis aus der zweiten Liga unter 5000 Euro für solche Auftritte nicht zu haben sind.

Nicht immer profitieren sie davon. Wirtschaftsdetektiv Medard Fuchsgruber, der sich auf die Geldanlagebranche spezialisiert hat, weiß, dass Prominente auch ihr gutes Image durch Werbung verlieren können. Zum Beispiel Manfred Krug. "Wenn die Telekom jetzt an die Börse geht, geh' ich mit", warb der Schauspieler einst für die T-Aktie. Fuchsgruber: "Mit dem Kursverfall der Telekom ist anscheinend auch Krug verschwunden."

Die Spots der Telekom hat Fuchsgruber ebenso gesammelt wie die Werbevideos von großen Vertriebsgesellschaften, die mit manchmal harten Methoden Lebensversicherungen, oder Geldanlagen unters Volk bringen. Diese im Fachjargon Strukturvertriebe genannten Firmen halten ihre Verkäufer gerne mit aufwendigen Jubelfeiern, Galas und Motivationsseminaren bei der Stange. Dabei treten auch Gäste von Rang und Namen auf. Zum Beispiel Günther Jauch. Bereits 1991 moderierte der schlaksige TV-Star eine Gala des Allgemeinen Wirtschaftsdienstes (AWD), nicht ohne sich vorher bei seinem Kumpel Thomas Gottschalk nach der Seriosität der Firma zu erkundigen. "Kannst Du hingehen", habe ihm dieser gesagt. "Hab' ich auch schon gemacht. Die Leute sind prima und der Chef ist auch in Ordnung". Mit ein wenig Recherche hätten die ausgebildeten Journalisten freilich auch ein anderes Bild von Carsten Maschmeyer erhalten können. Manch kritischer Kollege aus der Medienbranche sah Maschmeyer zu jener Zeit eher als Chef einer "Drückertruppe".

Günther Jauch fand anscheinend Gefallen an solchen Auftritten. Kurze Zeit später schwärmte er in einem 20-minütigen Werbefilm von den segensreichen Produkten von Amway. Die amerikanische Firma vertreibt Kochtöpfe, Reinigungsmittel und Kosmetikartikel nach dem umstrittenen Network-Marketing. Als zwei Jahre später Jauchs Auftritt bei Amway ruchbar wurde, sagte der Stern-TV-Chef der Süddeutschen Zeitung, er habe damals recherchiert, dass die Firma Amway noch niemanden "richtig reingelegt, also betrogen" hätte.

Die wenigsten Prominenten machen sich die Mühe und stellen Fragen - sofern das Honorar stimmt. Besonders gut zahlten von jeher Anbieter von unseriösen Finanzprodukten für prominenten Beistand, weiß Volker Pietsch, Chef des Deutschen Instituts für Anlegerschutz (DIAS) in Berlin. Denn mit einem bekannten Konterfei lasse sich "so mancher Anleger eine gewisse Zeit über die Seriosität einer Firma täuschen." Manchmal beissen dann auch Politiker an, etwa beim European Kings Club (EKC). Rund 80 000 Menschen verloren insgesamt eine Milliarde Mark bei diesem betrügerischen Pyramidensystem, das 1994 mit viel Getöse zusammenbrach. Geprellte Anleger erinnern sich noch gut an den Auftritt von Michail Gorbatschow bei einer EKC-Gala in Köln. 200 000 Mark soll die kriminelle Organisation für Gorbatschows Auftritt an seine gemeinnützige Stiftung gezahlt haben, der später sagte, er habe damals von den umstrittenen Aktivitäten nichts gewusst.

Auch Carsten Maschmeyers AWD hat als "unabhängiger Finanzoptimierer" einen in Anlegerschutzkreisen nicht unumstrittenen Namen. Der Gründer zählt mit einem geschätzten Privatvermögen von 550 Millionen Euro zu den reichsten Deutschen. Nicht zuletzt deshalb ist "Maschi", wie ihn seine Fans nennen, in der Promi-Welt wohl gelitten. Als er im Sommer letzten Jahres zum 20. Geburtstag des AWD in die TUI-Arena nach Hannover einlud, wurden Weltstars wie Seal, Pink, Nelly Furtado und Mel C eingeflogen. Gemessen an diesem Aufgebot zählten selbst Thomas Gottschalk, Veronica Ferres, Heiner Lauterbach und die Scorpions zur zweiten Garnitur. Als Gastgeschenk gab es für ausgesuchte Promis eine Flasche 82er Chateaux Petrus, "Preis 4000 Euro", notierte die Bunte.

Diese fürs Geschäft offenbar wichtigeren Menschen wurden vorher in Maschmeyers Walmdachvilla mit bretonischem Hummer und Taubenbrust bewirtet: Neben Ex-Kanzler Gerhard Schröder und Gattin Doris zählten der frühere Uno-Generalsekretar Kofi Anann und Klaus-Peter Müller, der Präsident des Bankenverbandes, zur exklusiven Runde. Neu im erlauchten Kreis war Bert Rürup. Der Wirtschaftsweise wird künftig sogar auf der Gehaltsliste des AWD stehen - als frisch ernannter "Chefökonom" des AWD. Der Erfinder und Namensgeber der Rürup-Rente verhelfe dem AWD zu "praktisch unbezahlbarem Renommee", empört sich Anlegerschützer Volker Pietsch. Man dürfe gespannt sein, wer als nächster Politiker die Seiten wechselt.

Wenn er bloß nicht Walter Riester heißt, der ebenfalls auf der AWD-Party gesichtet wurde. Der Ex-Arbeitsminister und Namensgeber der Riester-Rente zählt aber offenbar nicht zum engen Kreis der Maschmeyer-Bekannten. Vorerst jedenfalls nicht.

"Frau Witt kennt die Produkte

von Herbalife schon länger

und ist davon begeistert"

Claudia Harteneck-Kohl, Herbalife

"Mancher Anleger lässt sich

so über die Seriosität

einer Firma täuschen"

Volker Pietsch, Anlegerschützer

Eislaufstar Katarina Witt wirbt für Diät-Drinks der Firma Herbalife. Ernährungsberater halten die Produkte für "völligen Quatsch". Foto: Herbalife

Günter Jauch moderierte eine Gala des umstrittenen Finanzdienstleisters AWD. Foto: ddp

Sachverständiger Bert Rürup wechselt die Fronten: Er wird Berater des AWD. Foto: dpa

Warb für den betrügerischen Anlegerklub EKC: Michail Gorbatschow. Foto: AP

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Desaster bei den Landesbanken

BayernLB rutscht noch tiefer

Institut meldet fünf Milliarden Euro Verlust. Gerüchte über neue Finanznot der Stuttgarter LBBW

Von Thomas Fromm und Klaus Ott

München - Die Lage der BayernLB wird von Woche zu Woche kritischer: Das Institut rechnet für 2008 mit einem Verlust von fünf Milliarden Euro. Im Oktober war noch von einem Minus von drei Milliarden Euro die Rede gewesen. Die WestLB will nun die Reißleine ziehen - und Milliardenrisiken auslagern.

Die BayernLB gehört zu den Banken in Deutschland, die von der Finanzkrise am stärksten betroffen sind. So steht die Landesbank heute schlechter da als die Deutsche Bank, die für das abgelaufene Jahr ein Minus von 3,9 Milliarden Euro gemeldet hatte. Als Grund für den dramatischen Einbruch im vierten Quartal gab die Bank weitere hohe Abschreibungen auf faule Wertpapiere an. Die Bank sitzt zurzeit auf wackeligen Anlagen in Höhe von insgesamt 22 Milliarden Euro. Ein Portfolio, das nach Angaben von BayernLB-Chef Michael Kemmer allein zwischen Oktober und November 2008 mit 1,7 Milliarden Euro auf die Bilanzen schlug.

Belastet wird die Landesbank in München zusätzlich durch ihr Engagement in Island, wo sie Kredite von 1,5 Milliarden Euro ausgegeben hat. In der Bank ist in Bezug auf das Geschäft in Island von einer "dramatischen Entwicklung" die Rede. Für dieses Engagement wurde schon vor Monaten im Aufsichtsgremium der BayernLB, dem Verwaltungsrat, auch der stellvertretende Vorstandschef Rudolf Hanisch verantwortlich gemacht. Am Freitag gab die Landesbank bekannt, dass der 62-Jährige Anfang Mai in Ruhestand gehen werde. Das hatte sich schon vor Monaten abgezeichnet. Sein Vertrag wäre offenbar noch bis Mitte 2010 gelaufen. Hanisch war früher Amtschef der Staatskanzlei in Bayern und einer der engsten Vertrauten des damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber.

Um seine Landesbank zu retten, muss der Freistaat Bayern zehn Milliarden Euro frisches Kapital in die Bank einbringen. Damit sind die im vergangenen Jahr angefallenen Verluste in Höhe von voraussichtlich fünf Milliarden Euro nach Angaben der Bank bereits abgedeckt. Das gelte auch für andere zusätzliche Belastungen, beispielsweise durch die Tochterbank Hypo Alpe Adria in Österreich, die auch auf dem Balkan stark präsent ist. Die BayernLB musste bei der Hypo Alpe Adria kürzlich mit 700 Millionen Euro einspringen.

Über die vom Freistaat Bayern zur Verfügung gestellten zehn Milliarden Euro hinaus seien auf absehbare Zeit keine weiteren Kapitalhilfen für die BayernLB nötig, sagte ein Banksprecher. Die Landesbank in München kann außerdem auf eine Garantieerklärung des Bundes in Höhe von 15 Milliarden Euro zurückgreifen, mit der sie beispielsweise die Ausgabe von Anleihen absichern kann. Zusätzlich existieren Bürgschaften des Landes Bayern für mögliche Wertpapierverluste in Höhe von fünf Milliarden Euro.

Spekuliert wird dagegen über die finanzielle Situation der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). So hatte es zunächst geheißen, LBBW-Chef Siegfried Jaschinski habe bankintern den Kapitalbedarf des Hauses von fünf auf acht Milliarden Euro nach oben korrigiert - eine Meldung, die der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) schließlich dementierte. In Finanzkreisen heißt es dagegen, man stelle sich intern bereits auf einen Kapitalbedarf im "zweistelligen Milliardenbereich" ein. Ein Sprecher des Instituts erklärte dazu, man habe "keine Hinweise darauf, dass die fünf Milliarden Euro nicht ausreichen". Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger hat in dieser Woche einen neuen Vorstoß für eine Fusion der LBBW mit der BayernLB unternommen. "Wir sind in konkreten Gesprächen", sagte Oettinger.

Radikal-Lösung in NRW

Die bislang ablehnende Haltung von Bayerns Regierungschef Horst Seehofer (CSU) kommentierte Oettinger mit den Worten: "Ich glaube, dass Seehofer weiß, dass die BayernLB allein auf Dauer nicht ideal aufgestellt ist." In Bayern stießen die Äußerungen von Oettinger auf Zurückhaltung. Seehofers Regierung will die BayernLB gesundschrumpfen und später verkaufen, um so einen möglichst großen Teil der für die Rettung der Staatsbank ausgegebenen zehn Milliarden Euro wieder einzunehmen.

Während BayernLB und LBBW noch ihre Verluste zählen, plant die WestLB einen radikalen Neuanfang ohne riskante Wertpapiere. Die Düsseldorfer Landesbank will kritische Vermögenswerte und Kredite im Wert von bis zu 100 Milliarden Euro in eine Zweckgesellschaft auslagern, um sich so auf eine mögliche Fusion im Landesbankensektor vorzubereiten. Diskutiert wird seit langem ein Zusammengehen der WestLB mit der Deka-Bank und Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba). Ein Sprecher des Instituts bestätigte am Freitag Gespräche des Vorstands mit den Eigentümern der Bank. "Einzelheiten möglicher Strukturen" befänden sich "in der Abstimmung". Die deutschen Sparkassen wollen als Miteigentümer der Landesbanken deren Zahl durch Fusionen auf zwei oder drei reduzieren. (Seite 28, Bayern)

Auslöser

Die Landesbanken, die in der Regel den jeweiligen Bundesländern und den Sparkassen gehören, sind von der Finanzkrise stärker betroffen als viele Privatinstitute. Das hat vor allem damit zu tun, dass die Landesbanken bis Mitte des Jahrzehnts in Geld schwammen. Bevor die Haftung der Bundesländer für deren Banken auslief, weil die EU das so wollte, hatten sich die öffentlichen Kreditinstitute am Kapitalmarkt viele Milliarden Euro auf Vorrat besorgt - dank der Staatshaftung zu günstigen Konditionen. Mehrere Landesbanken wussten nicht, wohin mit dem vielen Geld, und steckten es hauptsächlich in jene Finanzanlagen im US-Immobilienmarkt, die nun drastisch an Wert verlieren. o.k.

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Ohne Gewähr

Thyssen-Krupp will Jobabbau vermeiden, gibt aber keine Garantie

Von Hans-Willy Bein

Bochum - Seit fast 40 Jahren arbeitet Ekkehard Schulz in der Stahlindustrie. Während der Boomzeit der Branche bis vergangenen Herbst war der erfahrene Chef des Thyssen-Krupp-Konzerns mit seinen Geschäftsprognosen stets zu vorsichtig und wurde dafür von der Börse regelmäßig abgestraft. Jetzt, in der Stahlkrise, wagt Schulz vorerst überhaupt keine Vorhersage. "Einen derart abrupten Einbruch wie in den letzten Monaten habe ich noch nicht erlebt. Das macht die Situation nur schwer einschätzbar", sagte Schulz am Freitag auf der Hauptversammlung in Bochum. Deswegen könne er keine seriöse Prognose abgeben.

Die Aktionäre hatten hierfür wenig Verständnis. Thomas Hechtfischer, der Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, sprach von einer "großen Enttäuschung". "Wagen Sie eine konkretere Prognose", forderte er - dem schlossen sich viele andere Aktionäre an. Doch Schulz räumte nur ein, dass Konzernumsatz und Gewinn im Geschäftsjahr 2008/2009, das am 30. September endet, "deutlich" sinken werden. Die Edelstahlsparte werde auch wegen ihrer hohen Abschreibungen bei Nickel, Chrom oder Schrott gar mit Verlust abschließen.

Entlassungen schließt Schulz inzwischen nicht mehr aus. "Ich halte es für unseriös, öffentlichkeitswirksame Garantien abzugeben, die möglicherweise von der wirtschaftlichen Entwicklung überholt werden", sagte er. Angesichts der großen Unsicherheit könnten weitere Produktionsstillstände, Kurzarbeit oder Personalanpassungen nicht ausgeschlossen werden. Der Thyssen-Krupp-Chef bezeichnete es aber als falsch, "von kurzfristigen Erwägungen getrieben auf qualifizierte Mitarbeiter zu verzichten".

Die deutsche Stahlindustrie hatte in den ersten neun Monaten des Jahres 2008 noch ein Auftragsplus von acht Prozent verbucht. Seither sind die Aufträge teilweise um 40 bis 50 Prozent eingebrochen - auch bei Thyssen-Krupp. Die deutsche Produktion von Rohstahl sank im November um 15 Prozent und im Dezember um annähernd ein Drittel. Heraus kam für 2008 insgesamt ein Produktionsrückgang um 5,6 Prozent auf knapp 46 Millionen Tonnen.

Thyssen-Krupp reagiert mit einer Drosselung der Produktion und massiver Kurzarbeit auf die Krise. In den Sparten Stahl und Edelstahl werden im Februar annähernd 20 000 Mitarbeiter von Kurzarbeit betroffen sein. An der 2005 gestarteten Wachstumsstrategie will der Dax-Konzern trotz der Krise aber festhalten.

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Pharmabranche vor 60-Milliarden-Dollar-Fusion

Mitten in der Wirtschaftskrise verhandelt der Weltmarktführer Pfizer mit dem Konkurrenten Wyeth über den größten Zusammenschluss seit Jahren

Von Moritz Koch

New York - In den Vereinigten Staaten zeichnet sich die größte Pharma-Fusion seit Jahren ab. Der Branchenführer Pfizer plant offenbar, seinen kleineren Konkurrenten Wyeth zu kaufen. Als sich die Nachricht am Freitag verbreitete, schossen Wyeth-Aktien an der Frankfurter Börse um mehr als 13 Prozent in die Höhe, Pfizer-Papiere dagegen fielen um 2,5 Prozent. Zwar wollten die Unternehmen keine Stellungnahme abgeben. Doch nach Berichten aus Branchenkreisen sind die Verhandlungen bereits fortgeschritten. Schon am Montag könnte eine Einigung bekanntgegeben werden. Doch auch ein Scheitern sei weiterhin möglich, heißt es, zumal die Frage der Finanzierung noch nicht geklärt wurde.

Der Preis für die Übernahme wird auf mehr als 60 Milliarden Dollar geschätzt.

Pfizer will diese Summe offenbar aufbringen, indem es Bargeldreserven anzapft und Aktien ausgibt. Die Fusion beider Konzerne war schon länger im Gespräch. Ihr Angebot an Medikamenten ergänzt sich. Zudem sehen Analysten großes Potential für Einsparungen, vor allem im Bereich der Erforschung und Entwicklung neuer Arzneien, der bei den größten Pharmakonzernen etwa ein Fünftel der Verkaufserlöse verschlingt.

Aktie abgestürzt

Pfizer erwirtschaftete 2007 mit einem Umsatz von 48,4 Milliarden Dollar etwa acht Milliarden Dollar Gewinn. Wyeths Umsatz betrug im selben Zeitraum 22,4 Milliarden Dollar, der Gewinn 4,6 Milliarden Dollar. Die Ergebnisse des vergangenen Jahres liegen noch nicht vor. Wyeth hat die Krise an den Aktienmärkten bisher vergleichsweise gut überstanden. Pfizer-Aktien hingegen notierten Ende 2008 auf dem niedrigsten Stand seit zehn Jahren. Das Management um Konzernchef Jeffrey Kindler geriet daher zuletzt immer mehr unter Druck. Der von der Konzernführung eingeschlagene Sparkurs konnte Investoren und Analysten nicht zufriedenstellen.

Pfizer hat seit der Amtsübernahme Kindlers im Jahr 2006 weltweit 15000 Arbeitsplätze gestrichen, mehrere Labore geschlossen und Fabriken verkauft - allerdings ohne zu jenen hohen Gewinnmargen zurückzukehren, die den Konzern in den 1990er Jahren ausgezeichnet und bei Anlegern beliebt gemacht hatten.

Billige Nachahmer-Medikamente setzten dem Unternehmen stärker zu als den meisten seiner Konkurrenten, weil es von wenigen Produkten sehr abhängig ist. So erzielt Pfizer mit dem Anti-Cholesterin-Mittel Lipitor mehr als 40 Prozent seines Gewinns. In weniger als drei Jahren aber läuft der Patentschutz ab. Von Dezember 2011 an darf der Generika-Hersteller Ranbaxy in den USA eine Billigversion des Blutfettsenkers auf den Markt bringen.

Insgesamt drohen Pfizer der Ratingagentur S&P zufolge durch das Auslaufen von Patenten ein Umsatzrückgang von mehr als 40 Prozent und ein Gewinneinbruch von mehr als 50 Prozent. Dies sei ohne Akquisitionen nicht aufzufangen, urteilen die Experten.

Zukunft bei Biotechnologie

Wachstum durch Übernahmen ist eine in der Pharmabranche besonders beliebte Strategie. Im Jahr 2003 kaufte Pfizer das Unternehmen Pharmacia für gut 64 Milliarden Dollar. Es ist die bis heute größte Pharma-Fusion. Auch die Pfizer-Konkurrenten Astra Zeneca, Glaxo Smith Kline und Sanofi Aventis sind durch Zusammenschlüsse entstanden. Immer wieder wurde in Branchenkreisen spekuliert, dass Pfizer-Chef Kindler weitere Fusionen anstrebt. "Das Hauptziel ist es, den Umsatz zu steigern", sagte er kürzlich in einem Interview. "Wir schauen uns ständig nach Gelegenheiten um, egal ob groß, klein oder dazwischen." Mit zunehmender Größe ist es für Pharmahersteller leichter, den Kauf von Biotechnologiefirmen zu stemmen, die nach Ansicht vieler Experten die Medikamente der Zukunft entwickeln werden. Da es Jahre dauert, bis neue Wirkstoffe marktreif werden und sich die Investitionen auszahlen, müssen die Konzerne in der Lage sein, Biotech-Verluste mit dem Verkauf herkömmlicher Medikamente auszugleichen.

Auch Wyeth hatte in den vergangenen Jahren mit Problemen zu kämpfen. Das neue Antidepressiva Pristiq verkaufte sich erheblich schlechter als erhofft, und die Testergebnisse für ein Alzheimer-Mittel enttäuschten Investoren. Insgesamt aber verfügt Wyeth über eine Reihe vielversprechender Produkte, besonders im Bereich der Impfstoffe, in dem Pfizer als schwach gilt.

Forschungsstandort von Pfizer in den Vereinigten Staten: Der Konzern sucht schon seit längerem nach Übernahmezielen. Analysten sehen bei einer Fusion von Pfizer und Wyeth viele Sparmöglichkeiten. Foto: AP

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Der Tag der Entscheidung

An diesem Samstag dürfte sich klären, wie rasch Schaeffler die Macht bei Continental übernimmt

Von Martin Hesse, Meite Thiede und Uwe Ritzer

München - Es ist ein Machtkampf, der an diesem Samstag fürs Erste entschieden wird. In Hannover trifft sich der Aufsichtsrat der Continental AG zu einer außerordentlichen Sitzung. Hintergrund: Der neue Großaktionär Schaeffler will die Kontrolle über Conti übernehmen. Um im Idealfall Ruhe ins Unternehmen zu bringen, müssten drei Interessenslagen ausbalanciert werden: Jene von Schaeffler, Conti und den Banken.

Die Banken: Sie wollen Geld

Sechs Banken haben Schaeffler für die Conti-Übernahme einen Kreditrahmen von 16 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Mehr als zehn Milliarden davon musste Schaeffler dem Vernehmen nach in Anspruch nehmen, um 90 Prozent der Anteile für je 75 Euro zu bezahlen. Zwar bleiben nur 49,9 Prozent der Aktien bei Schaeffler, den Rest parkte die Familie jeweils zur Hälfte bei den Privatbanken Metzler und Sal Oppenheim. Das wirtschaftliche Risiko trägt jedoch Schaeffler. Die noch an der Börse gehandelten Conti-Papiere sind nur noch 17 Euro wert. Damit schmolz auch ihr Wert als Sicherheit für die Kreditgeber Schaefflers. Darum haben Commerzbank, Dresdner Bank, Hypo-Vereinsbank, Royal Bank of Scotland, Landesbank Baden-Württemberg und UBS nach SZ-Informationen nachverhandelt. Maria-Elisabeth Schaeffler willigte nach Angaben aus Bankenkreisen ein, auch Anteile ihres Unternehmens zu verpfänden. Dem Vernehmen nach sehen die Banken nun ausreichend Puffer. Sie drängen aber darauf, dass Schaeffler möglichst schnell die Kontrolle über Conti gewinnt, um Synergien optimal zu nutzen und die Gesamtverschuldung der Gruppe zu senken. Die Banken sähen gerne rasch Schaeffler-Vertreter im Aufsichtsrat, fürchten aber auch, dass wegen des ruppigen Vorgehens der Familie Conti-Manager davonlaufen.

Schaeffler: Eine Frau will alles

Begleitet von ihrem obersten Manager Jürgen Geißinger will Maria-Elisabeth Schaeffler in Hannover ihre Interessen persönlich vertreten. Der Conti-Aufsichtsrat wird die neue Eigentümerin kaum vor der Tür stehen lassen können, wenn sie mit dem Gremium sprechen möchte. Auch ein freundliches Gespräch, das Schaeffler und Geißinger diese Woche bei einem Branchentreff in Berlin mit Conti-Aufsichtsratschef Hubertus von Grünberg führten, ändert nichts an der Haltung der Franken: Das Vertrauen zu Grünberg ist zerstört; man will ihn loshaben. Maria-Elisabeth Schaeffler will selbst Aufsichtsratschefin werden.

Zudem will man so schnell wie möglich vier Aufsichtsratsmandate haben. Andernfalls will Schaeffler eine außerordentliche Hauptversammlung einberufen und die komplette zehnköpfige Arbeitgeberbank in dem Gremium freiräumen und diese mit vier eigenen Vertretern und weiteren sechs Vertrauten besetzen. Dies lässt die Investorenvereinbarung beider Firmen zu. Hinter all dem steckt ein Ziel: Die durch die Übernahme hoch verschuldete Schaeffler-Gruppe will schnellstmöglich die Kontrolle übernehmen und die Geschäfte bündeln.

Conti: Firma will Luft zum Atmen

Als Manfred Wennemer im vergangenen Sommer nach verlorenem Übernahmekampf als Vorstandschef von Continental zurückgetreten war, hielt er mit seiner Skepsis nicht länger hinterm Berg: Er habe größte Sorge, dass sich Schaeffler an dem großen Brocken Conti überheben könnte, sagte er. Wennemer war nicht der einzige, der die Zukunft des Zulieferkonzerns, der jahrelang so vorbildlich und stetig gewachsen war und stets Rekord-Renditen erwirtschaftete, nun plötzlich düster einschätzte. Gerade hat Conti selbst größte Mühe, den jüngsten, viel zu teuren VDO Kauf zu verdauen - es hakelt bei der Integration. Conti bräuchte alle Kraft und alles verfügbare Kapital, um die interne selbstgemachte und die externe Wirtschaftskrise heil zu überstehen.

Und in dieser heiklen Situation will die Schaeffler-Gruppe das Steuer in Hannover in die Hand nehmen - ein Konzern also, der in ähnlich prekärer Lage steckt. Schaeffler ächzt ebenso unter der Branchenkrise und hat mit Conti selbst gerade einen Einkauf zu verdauen, der viel teurer geworden ist als gedacht. Die Sorge bei Conti ist nun, dass sich Schaeffler mit Hilfe des Neuerwerbs gesundstoßen will. So wird kolportiert, dass Schaeffler das eigene Automotive-Geschäft zu Conti schieben will - für null Euro, aber mit fünf bis sechs Milliarden Euro Schulden als Zugabe. Wert sei die Schaeffler-Sparte aber nur drei Milliarden Euro, meint man in Hannover. Das würde Conti nicht verkraften.

Das Misstrauen in Hannover rührt aus der mangelnden Transparenz der Schaeffler-Gruppe. Man ist sich nicht sicher, was der Familienkonzern im Schilde führt. Deshalb besteht der Aufsichtsrat darauf, dass die Investorenvereinbarung eingehalten wird, dass nur vier Aufsichtsratsmandate besetzt werden. Andernfalls würde Conti die Luft zum Atmen genommen - damit Schaeffler wieder tief durchatmen kann. (Seite 24)

Conti-Hauptverwaltung: In Hannover wird sich der Aufsichtsrat an diesem Samstag treffen. Foto: dpa

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Siemens sagt Adieu

Ausstieg aus dem Gemeinschaftsunternehmen Areva geplant

Von Michael Kläsgen und Markus Balser

München/Paris - Mit diesem Szenario hatte niemand gerechnet. Siemens steht vor einem weit reichenden Umbau seiner Aktivitäten in der Atomenergie. Der Konzern wird sich aus dem Gemeinschaftsunternehmen mit dem Energiekonzern Areva verabschieden und nach einem neuen Partner in Russland suchen, hieß es in Konzernkreisen. Am Montag will der Aufsichtsrat abschließend darüber entscheiden. Siemens hält bislang ein Drittel der Anteile. Damit legt der Konzern eine jahrelange Auseinandersetzung bei. Wiederholte Versuche Frankreichs, Siemens auszubooten, hatte auch zu diplomatischen Spannungen zwischen beiden Ländern geführt.

Jedes Jahr konnte der staatliche Atomtechnikkonzern bis zum 30. Januar darüber entscheiden, sein Vorkaufsrecht auf den Siemens-Anteil auszuüben und damit dem Partner den Laufpass zu geben. In diesem Jahr musste Siemens ganz besonders deutlich damit rechnen: Staatspräsident Nicolas Sarkozy hatte im Herbst 2008 auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel gesagt, dieses Jahr in der Angelegenheit handeln zu wollen. Zweitens stieß Siemens' Angebot, "mehrere Milliarden Euro" in Areva zu investieren, wie Frankreich-Chef Philippe Carli sagte, und damit Siemens aufzuwerten, bei Sarkozy auf taube Ohren.

Nun zieht der Konzern die Konsequenzen. Es gehe nicht darum, aus Geschäften mit der Atomenergie auszusteigen, verlautete am Freitag aus Konzernkreisen in München. Siemens erwarte weiter starke Geschäfte im Bereich Kernenergie. Doch die Situation um Areva sei untragbar geworden. Der Konzern habe wegen der Minderheitenbeteiligung nur selten auf die Geschäfte Einfluss nehmen können und in Problemfällen kaum gegensteuern können. Der Vorstand habe deshalb auf seiner Sitzung am Freitag die Reißleine gezogen. Eine Sondersitzung des Aufsichtsrats soll den Ausstieg am Montag besiegeln. Vollzogen sein muss der Ausstieg bis 2012. Nun müsse über den genauen Zeitpunkt und den Preis verhandelt werden. Nach Angaben aus Konzernkreisen rechnet Siemens mit einem Verkaufserlös der Beteiligung von mindestens zwei Milliarden Euro.

Unabhängige Schätzungen gehen davon aus, dass weltweit in den kommenden Jahren hunderte neue Kernkraftwerke gebaut werden. Bis 2020 sollen es 400 sein. "Aus diesem Geschäft werden wir uns nicht zurückziehen", verlautete aus dem Siemens-Konzern. Nach Angaben aus Konzernkreisen lotet das Unternehmen bereits Möglichkeiten aus, sich mit einem neuen Partner zusammenzuschließen, der über das nun fehlende Know-how in der Kerntechnik verfügt. Denkbar sei ein Zusammenschluss mit einem russischen Konkurrenten. Bereits in den nächsten Wochen werde es Klarheit geben, hieß es.

Die Ironie der Trennung: Löscher und Areva-Chefin Anne Lauvergeon wurden nicht müde, ihre Kooperation zu preisen. Doch offensichtlich fehlte in Frankreich der politische Wille, die Zusammenarbeit fortzuführen. Dabei war Areva im Vergleich zu EADS und Sanofi-Aventis ein eher gelungenes und unauffällig arbeitendes deutsch-französisches Gemeinschaftswerk.

Der Rückzug von Siemens hat auch zur Folge, dass Fragezeichen hinter dem Verbleib von Lauvergeon an der Spitze des Konzerns auftauchen. Der Zug- und Anlagenbauer Alstom mit seinem Großaktionär Bouygues hält explizit und gegen den Willen Lauvergeons an einer Annäherung an Areva fest und wird dabei von Sarkozy unterstützt. Alstom-Chef Patrick Kron hat sich dabei unverhohlen als Rivale von Lauvergeon positioniert, und Martin Bouygues, Patron des gleichnamigen Bau- und Medienkonzerns, ist ein Intimus von Sarkozy.

Lauvergeon versuchte, die Chancen Alstoms zu unterminieren, indem sie den Ölkonzern Total, in dessen Verwaltungsrat sie sitzt und der ein Prozent an Areva hält, als möglichen Großaktionär favorisierte. Total bestätigte zwar, in Atomenergie investieren zu wollen, doch nur als Junior-Partner beim Betrieb von Reaktoren, nicht jedoch als Großinvestor in dem Atomtechnikkonzern.

Wie die französische Wirtschaftszeitung Les Echos berichtet, wird auf Drängen Deutschlands bis zum Ausstieg von Siemens spätestens 2012 auch über eine Vertragsklausel geredet werden müssen, wonach es Siemens acht Jahre lang untersagt ist, Areva Konkurrenz zu machen. Bundeskanzlerin Angela Merkel soll bei Sarkozy am vergangenen Dienstag nachgefragt haben, ob diese Klausel verhandelbar ist.

Weltweit sollen in den

kommenden Jahren

hunderte neue Kernkraftwerke gebaut werden.

Im finnischen Olkiluoto wird derzeit das größte Kernkraftwerk der Welt gebaut. Investiert werden drei Milliarden Euro, davon entfällt ein Teil auf Areva, an der Firma ist bisher Siemens beteiligt. Foto: dpa

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Alte Bekannte

Peter Löw kauft seiner früheren Firma die Nachrichtenagentur ddp ab

Von Caspar Busse und Martin Hesse

München/Frankfurt - Es gibt Dinge, an denen hängt man so sehr, dass man sie sogar zweimal kauft. So war es offenbar bei Peter Löw und Martin Vorderwülbecke. Die Nachrichtenagentur ddp hatten die beiden Finanzinvestoren 2004 schon einmal übernommen, damals noch als Chefs der Beteiligungsgesellschaft Arques. Verkäufer war Pro Sieben Sat 1. Jetzt haben Löw und Vorderwülbecke mit ihrer neuen Firma BluO noch einmal zugeschlagen: Sie nahmen Arques die Agentur ab - und drei weitere Firmen: den Elektrotechnikbetrieb BEA, den Pack- und Klebebandproduzenten Evotape sowie das Spezialchemieunternehmen Rohner. 30 Millionen Euro zahlte BluO - 20 Millionen Euro flossen an Arques, der Rest waren übernommene Schulden.

In Finanzkreisen heißt es, Löw habe ein Schnäppchen gemacht. Die vier Firmen stünden noch mit 60 Millionen Euro in den Arques-Büchern, es handele sich also um einen Notverkauf. Die Schulden von Arques werden auf einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag geschätzt. Wegen der Rezession verschlechtern sich auch bei Firmen im Besitz von Finanzinvestoren wie Arques die Zahlen. Die Preise, zu denen sie ihre Unternehmen weiterveräußern können, sind unter Druck. Die Arques-Aktie ist deshalb binnen 18 Monaten von mehr als 40 Euro auf zuletzt 1,79 Euro gefallen. Pikant ist der Verkauf der vier Firmen, die zu den gesünderen im Arques-Portfolio zählen, an Ex-Arques-Eigentümer auch deshalb, weil Arques über einen Zusammenschluss mit dem Finanzinvestor Aurelius verhandelt. Aurelius wird von Dirk Markus geführt, ebenfalls ein ehemaliger Arques-Manager. Die Fusionsgespräche gestalten sich jedoch schwierig.

Profiteur der Situation könnte Löw sein. Die Nachrichtenagentur ddp hat nach eigenen Angaben im vergangenen Geschäftsjahr ihre Zahlen verbessert. Der Umsatz stieg leicht auf zwölf Millionen Euro, der operative Gewinn verbesserte sich von 1,8 auf 2,5 Millionen Euro. Beschäftigt werden derzeit knapp 150 Mitarbeiter. Das Unternehmen sei schuldenfrei, hieß es. Die Agentur, die ursprünglich aus dem Zusammenschluss der westdeutschen ddp und der ostdeutschen ADN entstanden war, hatte früher mit großen Problemen zu kämpfen und wurde umgebaut. Nun sei ddp aber "für die jetzige schwierige Marktlage gut aufgestellt", teilte ddp-Geschäftsführer Matthias Schulze am Freitag mit.

Der Markt für Nachrichtenagenturen ist hart umkämpft. Neben den großen internationalen Anbietern wie Reuters, Bloomberg oder Associated Press (AP) sind in Deutschland die Deutsche Presse-Agentur (dpa) und der deutsche Dienst der französischen AFP stark. Dpa spürt derzeit selbst den Abschwung und die wirtschaftlichen Probleme der Zeitungen. So verzichtete die WAZ-Gruppe aus Essen zuletzt auf dpa und hat sich für ddp entschieden.

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"Wir haben jetzt fast unser eigenes FBI"

Siemens-Vorstand Peter Solmssen über Koffer voller Geld, Einladungen zum Golf und die Fortschritte im Kampf gegen Korruption

Peter Solmssen, 54, wurde im Oktober 2007 in den Siemens-Vorstand berufen. Eine der Hauptaufgaben des Amerikaners ist die Aufarbeitung des weltweiten Korruptionsskandals bei dem Münchner Konzern. In den USA verhandelte der Jurist monatelang mit den Behörden. Mitte Dezember erreichte er eine Einigung: "Für systematische und weltweite Korruption" zahlt Siemens eine Buße von 800 Millionen Dollar. Konzern-Chef Peter Löscher kennt Solmssen gut aus der gemeinsamen Zeit bei General Electric (GE).

SZ: Herr Solmssen, auf der Hauptversammlung am kommenden Dienstag werden Sie vor 10 000 Aktionären eine Bilanz der Korruptionsaffäre ziehen. Präsentieren Sie den Abschluss des Falls?

Peter Solmssen: Wir sind in der Aufarbeitung heute schon viel weiter gekommen als gedacht. Der Kulturwandel mit mehr Offenheit und Transparenz im Konzern ist gewaltig. Meine Bilanz ist: Die Arbeit hat sich gelohnt, die Selbstreinigung ist erfolgt. Aber wir haben auch noch einiges vor uns.

SZ: Siemens hat 1,2 Milliarden Euro Strafe in den USA und Deutschland gezahlt, weitere Milliarden für Steuernachzahlungen, eigene Ermittlungen und Umbauten im Konzern. Hat sich das wirklich gelohnt?

Solmssen: Die amerikanischen Justizbehörden haben im Fall Siemens erstmals in ihrer Geschichte ein Bußgeld beantragt, das niedriger war, als es die Vorschriften vorsehen. Sie hätten deutlich mehr fordern können. Die Ermittler haben honoriert, dass wir uneingeschränkt mit den Behörden kooperiert haben, rückhaltlos aufgeklärt und stark in die Verbesserung der internen Kontrollen investiert haben: in neue IT-Systeme, das Kontrollwesen der Rechtsabteilung und eine schlagkräftige Compliance-Abteilung mit rund 600 Mitarbeitern. Und wir haben bis heute fast 200 000 Mitarbeiter geschult.

SZ: Im Umfeld ehemaliger Vorstände wird behauptet, die Angst vor einer drakonischen Milliardenstrafe sei eine Erfindung der Siemens-Führung, um sich für das Ergebnis feiern zu lassen. Hat man im Konzern bewusst übertrieben?

Solmssen: Wer das behauptet, weiß nicht, wovon er spricht. Siemens hätte nach den gesetzlichen Vorschriften allein vom US-Justizministerium eine Strafe von rund drei Milliarden Euro gedroht - die Strafe von der Börsenaufsicht SEC ist da noch gar nicht berücksichtigt. Bei früheren Verfahren dieser Art lagen die Strafen stets um ein Vielfaches höher als die fragwürdigen Zahlungen. Die Behörden haben sehr viel Augenmaß bei ihrer Entscheidung bewiesen.

SZ: Deutschland ist ein wichtiger Partner der USA. Eine drakonische Strafe hätte die Beziehungen schwer belastet.

Solmssen: Mag sein, aber das spielte bei der Strafe sicher keine Rolle.

SZ: Es gab viel Ärger. Bleibt Siemens an der New Yorker Börse?

Solmssen: Nicht die Börsennotierung war das Problem, sondern gesetzeswidriges Handeln. Wir haben im Übrigen nicht die Absicht, uns von der Börse in New York zurückzuziehen. Die USA sind weiter der größte Kapitalmarkt der Welt.

SZ: Nach dem Abschluss der US-Ermittlungen: Drohen möglicherweise weitere Klagen in anderen Ländern oder von Konkurrenten?

Solmssen: Es lässt sich nicht ausschließen, dass man uns vereinzelt vorwerfen wird, kein zuverlässiger Partner zu sein. Die wichtigste US-Leitbehörde für Vergaberecht hat Siemens jedoch gerade das Gegenteil bestätigt. Unsere Politik, offen mit allen Behörden über unsere Selbstreinigung zu reden, wird überall sehr positiv aufgenommen.

SZ: Wo zum Beispiel?

Solmssen: In Argentinien hatte die Korruptionsaffäre hohe Wellen geschlagen. Dennoch haben wir vor zwei Wochen von der Regierung zwei große Aufträge im Energiebereich erhalten.

SZ: In der schweren weltweiten Wirtschaftskrise kämpfen Konzerne um immer weniger Aufträge. Wächst jetzt die Gefahr, dass Korruption neue Konjunktur bekommt und Konzerne mit allen Mitteln um Geschäfte buhlen?

Solmssen: Klar, wo der Druck auf Vertriebsleute wächst, wächst auch diese Gefahr. Da hilft nur eins: Sie müssen ihren Leuten Rückendeckung geben und sie beim Nein-Sagen unterstützen. Und genau das ist unsere Botschaft: Wir wollen nur saubere Geschäfte.

SZ: Kennen Sie die Realität nicht?

Solmssen: Ich kenne unglaubliche Geschichten. Da sagt der Kunde: ,Ich brauche auch 50 Laptops.' Denn die lassen sich sehr schnell in Bargeld umwandeln. Es gab auch schon den Fall, dass bei Aufträgen für ein Krankenhaus teure Fahrräder geliefert werden sollten.

SZ: Wie wollen Sie das ändern?

Solmssen: Unser Ziel ist es, so etwas wie ein Kartell der Guten zu schaffen - zusammen mit unseren wichtigsten Wettbewerbern wie General Electric, Philips, Alstom oder ABB und unter Einbindung von Nicht-Regierungsorganisationen und unabhängigen Dritten. Ein Schulterschluss gegen Korruption, eine sogenannte Collective Action, könnte viel bewegen.

SZ: Glauben Sie das wirklich?

Solmssen: Wir wollen in geeigneten Branchen oder bei einzelnen Projekten nach gemeinsamen Regeln arbeiten. In der Gesundheitsbranche in den USA und Europa arbeiten wir bereits so mit unseren Konkurrenten zusammen. Wenn ein Siemens-Mitarbeiter erfährt, dass der Vertrieb des Wettbewerbers unsauber arbeitet, berichtet er davon seinem Direktor. Der wiederum bittet dann seinen Ansprechpartner im betreffenden Unternehmen, das abzustellen. Das funktioniert.

SZ: Korruption ist seit Jahren verboten, dennoch sind Länder wie Bangladesch von Korruption durchsetzt. Wie soll ein Pakt das ändern?

Solmssen: Ich habe ja selbst miterlebt, wie das Übel anfängt: Sie sitzen am Verhandlungstisch, und kurz vor dem Abschluss sagt plötzlich jemand leise: ,Aber vergiss mich nicht.' Das ist der entscheidende Moment, in dem Sie konsequent bleiben und ,Nein' sagen müssen. Wer die besten Produkte hat, schafft das.

SZ: Nun gehören Sie zu den Guten?

Solmssen: Siemens-Chef Peter Löscher und ich haben alle CEOs und Finanzchefs von Sektoren, Divisionen und Regionen gebeten, uns Branchen oder Projekte zu nennen, in denen ein solcher Pakt möglich ist. Wir erwarten Antworten bis Ende Januar.

SZ: Die Organisation OECD versucht seit 20 Jahren, Korruption zurückzudrängen. Aber wenn man Länder wie Italien oder Griechenland anschaut, spielt sie immer noch eine sehr große Rolle. Ist das nicht am Ende ein vergeblicher Kampf?

Solmssen: Wollen wir nun helfen, die Korruption zu besiegen, oder nicht? Wollen wir uns anständig verhalten oder aufgeben? Unsere Erfahrung ist: Man kann sich korrekt benehmen und Geschäfte machen, auch und besonders in den Entwicklungsländern. Was passiert denn, wenn dort Geld in dunkle Kanäle anstatt in die Infrastruktur fließt? Krankenhäuser funktionieren nicht, Straßen enden im Nirgendwo, Bauern können nicht zum Markt fahren und ihre Produkte verkaufen. Wenn diese Länder Fortschritte machen sollen, muss endlich Schluss sein mit Bestechung. Sonst kommen die nie auf einen grünen Zweig.

SZ: Sie waren lange bei GE. Hat Siemens die Amerikaner inzwischen als Vorreiter gegen Korruption abgelöst?

Solmssen: Ich möchte hier nicht vergleichen. Aber Siemens hat wirklich enorme Fortschritte gemacht in den letzten zwei Jahren bei der Führungskultur und besseren Kontrollen. Es ist fast so, als hätten wir unser eigenes internes FBI.

SZ: Wie passt das Bemühen gegen Korruption damit zusammen, dass der harte Korruptionsleitfaden für Mitarbeiter gerade entschärft wird?

Solmssen: Wir weichen die Regeln nicht auf. Aber wir entwickeln unser Compliance-Programm ständig weiter. Das muss auch so sein. Dabei sind wir mit den Mitarbeitern im ständigen Dialog. Es gab den Wunsch unserer Belegschaft, an einigen Punkten die Handhabung zu vereinfachen, effizienter und - wo notwendig - praxisgerechter zu werden. Wir hatten ein Telefonbuch von Regeln geschrieben und allen Mitarbeitern gegeben und dann festgestellt, dass das einfach zu viel war. Das stellen wir jetzt um.

SZ: Die Regeln sollen also nicht entschärft werden?

Solmssen: Noch einmal, sie werden handhabbarer, aber nicht entschärft. Nicht die Regeln waren das Problem, sondern deren Umsetzung.

SZ: Warum setzen Sie nicht die gleichen Regeln in allen Ländern um?

Solmssen: Wir haben ja in vielen Bereichen einheitliche Regeln - die Auswahl unserer Geschäftspartner etwa ist weltweit standardisiert. Aber man kann nicht für alles globale Standards schaffen. Sie müssen bei vielem auch nach Land und Gewohnheiten differenzieren. In Washington ist schon eine Tasse Kaffee verboten. Und wenn Sie in Japan einen Radiologen zum Golf einladen, haben Sie ein echtes Problem. In Ländern wie China oder Deutschland ist das anders. Auch bei Wettbewerbern gibt es keine einheitlichen Regelungen.

SZ: Verwerflich ist doch immer, wenn Sie jemanden einladen und eine Gegenleistung erwarten.

Solmssen: Es gab bei Siemens kein Problem wegen Einladungen oder eines teuren Rotweins zum Essen. Unser Problem war, dass es Fälle gab, wo Mitarbeiter mit Koffern voller Geld unterwegs waren. Dazwischen liegen Welten.

SZ: Aber die Grenzen sind doch fließend.

Solmssen: Ja, darum ist auch eine nachhaltige Compliance-Kultur für das Unternehmen so wichtig. Entscheidend sind dabei immer wieder die klaren Botschaften der Unternehmensspitze. Auch der Bonus unserer 5500 Führungskräfte ist in diesem Jahr erstmals an das Erreichen ihrer Compliance-Ziele gekoppelt. Die Mitarbeiter mussten bewerten, wie ernst ihre Chefs den Kampf gegen Fehlverhalten nahmen.

SZ: Was muss international passieren, damit Korruption zurückgedrängt wird?

Solmssen: Die Industrieländer müssen sicher ihre Antikorruptionsgesetze strenger verfolgen. In Deutschland hat sich in dieser Hinsicht viel getan. Die deutschen Behörden haben im Fall Siemens den Löwenanteil bei der Aufklärung geleistet. Auch Länder in Osteuropa und Asien wissen: Wenn sie sich weiterentwickeln wollen, müssen sie die Korruption bekämpfen. Auch in Nigeria gibt es sehr gute Leute, die dieses Ziel konsequent verfolgen. Diese Länder müssen vor allem Justizsysteme aufbauen, die ernsthaft gegen Schmiergeldzahlungen vorgehen und manchmal nicht sogar Teil des Problems sind. Transparenz ist das wichtigste. Wir bringen bereits an einigen Stellen unsere Erfahrungen aus der Vergangenheit ein.

SZ: Aber es gibt doch kein Schwarz-Weiß - hier Europa, da die Dritte Welt?

Solmssen: Nein, in jeder Gesellschaft gibt es Korruption. Das ist überall auf der Welt zu finden. Menschen, die an Geld kommen wollen, sind einfach unheimlich kreativ.

Interview: Markus Balser, Caspar Busse,

Klaus Ott; Foto: Andreas Heddergott

"Sie sitzen am

Verhandlungstisch, und dann sagt jemand leise:

,Aber vergiss mich nicht.'"

"Unser Ziel ist es,

so etwas wie

ein Kartell der Guten

zu schaffen."

"Menschen, die an

Geld kommen wollen,

sind einfach

unheimlich kreativ."

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Sparpläne mit Fonds rentieren sich auf zehn Jahre kaum

Wer 12 000 Euro auf deutsche Aktien setzte, hat heute weniger als 5000 Euro übrig. Gut sind die Ergebnisse nur auf lange Sicht

Von Alexander Hagelüken

München - Jeden Monat 100 Euro oder mehr in Investmentsfonds ansparen, halten mehr als zehn Millionen Deutsche für eine gute Idee. Der Vorteil liegt auf der Hand: Die monatlich feste Überweisung für den Sparplan zwingt einen, wirklich etwas anzulegen, statt das Geld auszugeben. Läuft es gut, wird aus dem Investment ein schöner Betrag. Bei der Anlage in Aktienfonds mit Schwerpunkt Deutschland wurde im Schnitt nach dreißig Jahren aus 36 000 Euro bis Ende 2008 ein Betrag von 106 000 Euro - eine jährliche Rendite von mehr als sechs Prozent nach Abzug aller Kosten.

Wie die Daten des Fondsverbands BVI zeigen, sind solche Ergebnisse aber nur eine Momentaufnahme. Auf kürzere Sicht sind die Ergebnisse ungünstiger (siehe Grafik). Wer nur im vergangenen Jahrzehnt auf deutsche Aktien setzte, verbuchte bis Ende Dezember im Schnitt einen Verlust von fast zehn Prozent pro Jahr. 12000 Euro schrumpften zu weniger als 5000 Euro - ein Desaster. Bei Sparplänen mit globalen oder europäischen Fonds war das Ergebnis mit minus acht Prozent pro Jahr nicht besser. Und das, obwohl der Deutsche Aktienindex Dax im selben Zeitraum insgesamt nur vier Prozent nachgab. Ein Teil der Erklärung dafür ist, dass der angesparte Betrag mit der Zeit immer größer wird. Die jeweils letzten Jahre mit dem Börsencrash 2008 schlagen viel stärker zu Buch als frühere Erfolge. Deshalb rät der BVI ja auch, das Geld einige Jahre bevor man mit dem Sparplan aufhören und die Erträge vielleicht ausgeben will in Rentenfonds oder andere sichere Fonds umzuschichten.

Die Bilanz der Sparpläne fällt auch auf längere Sicht bescheiden aus. Nach 20 Jahren liessen sich bei deutschen Aktienfonds nur drei Prozent erzielen - trotz allem Risiko nicht mehr als mit sicherem Festgeld. Wer sich für Mischfonds mit Aktien und Renten entschied, vermied im vergangenen Jahrzehnt Verluste. Auf Sicht von 20 Jahren wirkt eine Rendite von knapp vier Prozent nicht besonders üppig.

Wie häufig kommt es darauf an, welche Fonds ein Anleger ins Portfolio nahm. So schafften es bei internationalen Aktien der FT Global Dynamik und der PEH Universal Value gegen den Trend, in einem Jahrzehnt aus 12000 Euro sogar etwas mehr zu machen. Wer Hitlisten über einen längeren Zeitraum studiert, kann größere Unterschiede feststellen und vielleicht bei der Auswahl seiner Investments davon profitieren. Aber natürlich ist der vergangene Erfolg nie eine Garantie dafür, dass sich ein Fonds auch in Zukunft besser schlägt als die anderen. Bei Sparplänen mit Aktienfonds müssen die Anleger ausserdem künftig beachten, dass ab diesem Jahr die Abgeltungssteuer auf die Erträge des neu eingezahlten Geldes fällig wird - ein herber Renditeknick.

Aktiv gemanagte Fonds sind häufig schlechter als der vergleichbare Aktienindex. Angesichts solch magerer Ergebnisse ist es die Frage, ob Anleger nicht teils mit passiven Indexfonds besser fahren. "Bei Sparplänen auf einen Indexfonds sparen sie sich die jährlichen Managementgebühren von etwa 1,5 Prozent", sagt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Besonders Direktbanken wie DAB, Consors, Comdirect oder Augsburger Aktienbank bieten solche Sparpläne. Nauhauser rät, möglichst breit zu streuen und sich nicht auf eine Region zu beschränken. Solange die Börse ingesamt mau ist, steht natürlich auch kein Indexfonds im Plus. Aber das soll ja auf längere Sicht wieder anders werden.

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Banken können auf längere Staatshilfen hoffen

Das Finanzministerium will die Garantien womöglich von drei auf fünf Jahre ausweiten. "Bad Bank" immer unwahrscheinlicher

Berlin - Deutsche Banken können die staatlichen Milliarden-Garantien womöglich länger nutzen als bisher vorgesehen. Im Bundesfinanzministerium gibt es Überlegungen, die Frist für Garantien des staatlichen Banken-Rettungsfonds Soffin von drei auf fünf Jahre und damit über 2012 hinaus zu verlängern. Damit könnten sich die Banken länger günstig mit frischem Geld versorgen, was am Ende das schleppende Kreditgeschäft ankurbeln dürfte. Vertreter der Koalition begrüßten am Freitag die Überlegungen.

Weiter offen ist, wie Banken von faulen Wertpapieren entlastet werden. Dabei geht es um mehrere hundert Milliarden Euro. Eine staatliche "Bad Bank", die auf Kosten des Steuerzahlers die Risikopapiere der Banken aufkauft und entsorgt, lehnen Bundesregierung sowie Union und SPD ab. Es handele sich um eine "sehr komplexe Frage", sagte Torsten Albig, Sprecher von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD). "Wir sind mit dem Nachdenken noch nicht am Ende." Es werde aber keine Lösung geben, die "ausschließlich" zulasten der Steuerzahler gehe. Es müsse aber nicht in kürzester Zeit entschieden werden.

Für die Soffin-Bürgschaften stehen bis zu 400 Milliarden zur Verfügung. Damit will die Regierung erreichen, dass die Banken sich untereinander wieder Geld leihen zur Refinanzierung. Bisher haben mehrere Banken dies im Umfang von etwas mehr als 100 Milliarden Euro genutzt. Die Garantien zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen gelten für Verbindlichkeiten, die nach Inkrafttreten des Gesetzes und bis Ende 2009 eingegangen wurden. Dafür wird ein Entgelt fällig. Der Staat springt erst ein, wenn ein Kredit platzt. Für dieses Risiko stellt der Bund vorsorglich 20 Milliarden bereit.

Bisher haben die Garantien eine Laufzeit von bis zu 36 Monaten, die letzte Bürgschaft liefe Ende 2012 aus. Laut Albig wird erwogen, "zumindest bei Teiltranchen auf 60 Monate" zu verlängern. Es gehe um Optimierung und kein zweites Hilfspaket für Finanzdienstleister.

Auch Regierungssprecher Ulrich Wilhelm betonte, es gehe nicht um eine grundlegende Änderung des seit Oktober bestehenden Rettungsschirms von 480 Milliarden Euro, sondern um mehr Flexibilität bei den bestehenden Instrumenten. Das Hilfspaket wirke und habe die rapide Abwärtsbewegung gestoppt.

Die direkten Finanzspritzen des Bundes können insgesamt bis zu 80 Milliarden Euro ausmachen. Im Gegenzug kann sich der Soffin an Banken beteiligen. Dies nutzte bisher die Commerzbank. Im Gespräch ist inzwischen eine Mehrheitsbeteiligung des Staates am angeschlagenen Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate (HRE). Der Soffin kann ferner "faule" Positionen der Banken aufkaufen. Dieses Instrument wird bisher aber nicht genutzt, weshalb auch die Debatte über eine Bad Bank geführt wird.

Als Grund wird genannt, dass die Risikopapiere nach drei Jahren wieder vom Fonds an die Banken zurückgegeben werden könnten. Bei Verabschiedung des Gesetzes im Oktober hieß es, die Hilfen des Fonds sind bis Ende 2009 möglich. Danach werde der Fonds abgewickelt. Das Finanzministerium stellte indes klar, dass es hier, entgegen bisheriger Darstellungen, keine Befristung gebe. Dies habe die EU zunächst gewünscht. Dies sei dann aber bei Billigung der Rettungspläne aufgehoben worden. dpa

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Löwe diesmal nicht im Schnee

Die BayernLB sagt Ski-Wochenende mit Kunden ab, und die WestLB teilt sich auf: Bei den Landesbanken bleibt nichts, wie es war

Von Caspar Dohmen, Thomas Fromm und Klaus Ott

München - Wenn sich die Ski-Elite beim Hahnenkammrennen im österreichischen Kitzbühel todesmutig den Berg hinterstürzte, standen in den vergangenen Jahren die Vorstände und die wichtigsten Kunden der Bayerischen Landesbank (BayernLB) mit an der Piste. Im vornehmen Bio-Hotel Stanglwirt mit "Felsen-Sauna" und "Vitaljause" hieß die Staatsbank internationale Geschäftspartner willkommen, man führte Fachgespräche und plauschte über Privates. Doch beim diesjährigen Hahnenkammrennen am Wochenende ist die BayernLB nicht mehr in Kitzbühel zu Gast - sehr zum Bedauern des Stanglwirts. Angesichts der tristen Lage und des neuen Geschäftsmodells, das einen weitgehenden Rückzug aus den internationalen Aktivitäten vorsieht, hat die Bank ihre "Winterveranstaltung", wie sie es nennt, kurzerhand abgesagt.

Das ist verständlich: Es hätte in der Öffentlichkeit wohl keinen guten Eindruck gemacht, erst einen Rekordverlust für das vergangenen Geschäftsjahr in Höhe von voraussichtlich fünf Milliarden Euro bekannt zu geben und anschließend dann in die Berge zu fahren.

Ohnehin ist die Bank zurzeit eher auf Talfahrt. Fünf Milliarden Euro Verlust, so schätzt der Vorstand der BayernLB, hat das Haus im vergangenen Jahr eingefahren. Ein Rekord - wenn auch nicht auf Skiern. Für BayernLB-Chef Michael Kemmer läuft die Zeit: Zurzeit kann er auf öffentliche Finanzspritzen und Garantien in Höhe von 30 Milliarden Euro zurückgreifen; gleichzeitig aber wird von ihm erwartet, dass er sein Haus saniert. 5600 Stellen sollen in den kommenden Jahren abgebaut werden; das einst internationale Geschäft soll auf den Heimatmarkt zurückgestutzt werden.

Ob es in naher Zukunft zu einem Zusammenschluss mit der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) kommt, ist fraglich. Zwar hatte Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger erst in diesen Tagen wieder eine Fusion der beiden Institute ins Gespräch gebracht. Doch sowohl in München als auch in Stuttgart gibt es Zweifel an dem Modell. Vom Freistaat weiß man, dass er die BayernLB nur ungern mit der größeren LBBW vermählen möchte. Jetzt machte auch die SPD-Landtagsfraktion in Stuttgart Front gegen einen solchen Zusammenschluss. "Wir würden den Bankenplatz Bayern retten", sagte Fraktionschef Claus Schmiedel. Eine Fusion sei mit unkalkulierbaren Risiken verbunden. "Was die BayernLB noch an kritischer Masse in den Büchern hat, lässt sich noch gar nicht absehen", mahnte er.

Bei der LBBW könnte es nicht viel anders aussehen. Finanzkreise berichten von einer Gremien-Sitzung der Eigentümer am vergangenen Mittwoch, bei dem der Eindruck entstanden sei, der wahre Kapitalbedarf der Bank sei weitaus höher als die bislang kommunizierten fünf Milliarden Euro und könne sogar im zweistelligen Milliardenbereich liegen. "Die Teilnehmer der Sitzung haben die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen", fasst ein Insider die Reaktionen zusammen. Ein LBBW-Sprecher betonte dagegen, an den bisherigen Aussagen habe sich nichts geändert. "Es bleibt bei den fünf Milliarden."

Im Westen was Neues

Während im Süden noch alles auf Eis liegt, kommt die Landesbankenlandschaft im Nordwesten offenbar in Bewergung. Die WestLB arbeitet an einer Zweiteilung der Bank. Damit wollen deren Eigentümer - Land, Sparkassen und Kommunen aus Nordrhein-Westfalen - die WestLB für eine Fusion mit anderen Landesbanken vorbereiten. Bislang gilt ein Zusammengehen als außerordentlich schwierig, weil der genaue Wert vieler Aktiva der Landesbanken unklar ist.

Nun soll die drittgrößte Landesbank riskante Geschäfte in eine neue Bank ausgelagern. "Dies prüfen wir", bestätigte eine Sprecherin des nordrhein-westfälischen Finanzministeriums am Freitag. Die Rede ist unter anderem von Krediten über bis zu 80 Milliarden Euro. Vergangenes Jahr hatte die Bank schon einmal riskante Papiere mit einem Volumen in Höhe von 23 Milliarden Euro in eine Zweckgesellschaft ausgelagert. Dafür bürgten Sparkassen und Land NRW mit fünf Milliarden Euro. Allerdings können Kredite nur in eine Bank, keinesfalls in eine Zweckgesellschaft ausgelagert werden.

Offen ist noch, wer die neue Bank mit dem notwendigen Eigenkapital ausstattet. Hier bahnt sich neuer Streit zwischen den WestLB-Eigentümern an. So heißt es, im Sparkassenlager gehe die Angst um, nach einer Aufspaltung gehe "alles so weiter wie bisher". In der alten Bank sollen die Bereiche Kapitalmarkt, Mittelstandsfinanzierung und das Firmenkundengeschäft bleiben.

Über die Pläne wollen die Eigentümer am 6. Februar bei einer Aufsichtsratssitzung beraten. Geht es nach deren Willen, dann würde die Restbank schon bald mit der Dekabank und der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) verschmolzen. Die WestLB-Eigentümer wollen, dass sich der Rettungsfonds Soffin "maßgeblich" an dem Projekt beteiligt.

Der Löwe aus Stein ist das Symbol der BayernLB: Normalerweise luden die Vorstände um diese Zeit immer Geschäftskunden zur Weltcup-Abfahrt auf der Kitzbühler Streif. Diesmal fällt die Veranstaltung aus. Foto: Getty Images

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Der Euro hat am Freitag zum Dollar an Wert verloren. Enttäuschende Konjunkturdaten aus der größten Volkswirtschaft des Euroraums, Deutschland, belasteten die Gemeinschaftswährung. Zwar ist in der Eurozone der Einkaufsmanagerindex überraschend gestiegen. In Deutschland aber trübte sich die Stimmung weiter ein. Die Indizes fielen auf neue Rekordtiefs. Gegen 16 Uhr notierte der Euro bei 1,2815 (Vortag: 1,3011) Dollar. Das britische Pfund sackte auf 1,3502 Dollar und damit auf den tiefsten Stand seit September 1985 ab. Zuvor hatte das nationale Statistikamt mitgeteilt, dass die Wirtschaft in Großbritannien um 1,5 Prozent geschrumpft sei.

Gold war als sicherer Anlagehafen stark gefragt. Der Preis für die Feinunze des Edelmetalls wurde beim Londoner Nachmittagsfixing bei 875,75 (860) Dollar festgesetzt. SZ/Reuters/dpa

Devisen und Rohstoffe: Konjunkturdaten belasten

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