Gelb ist die Hoffnung
Berlin am Tag nach der Hessen-Wahl: Plötzlich dreht sich alles um die FDP, und Parteichef Guido Westerwelle genießt das neue Gefühl von Macht und Mitsprache. Union und Liberale blicken gemeinsam nach vorn, nur die SPD steht ziemlich verloren im Farbenfeld
Berlin - Die Tonlage ist staatstragend und der gewachsenen Bedeutung
angemessen. Natürlich strahlt Guido Westerwelle über das ganze
Gesicht, als er am Montagmittag in Berlin antritt, um das Ergebnis der
Landtagswahl in Hessen zu kommentieren. Doch was er zu sagen hat, ist
geprägt von demonstrativer Bescheidenheit. Dass Präsidium und Vorstand
der Partei bei ihren Beratungen in "allerbester Stimmung" gewesen
seien, brauche er ja wohl nicht besonders zu erwähnen, fängt
Westerwelle an. Aber wegen des "herausragenden Ergebnisses" werde die
FDP "nicht abheben". "Wir sind nicht plötzlich
Regierungspartei, wir sind bis zum 27. September Oppositionspartei im Deutschen
Bundestag." Die gesteigerte Verantwortung der FDP im Bundesrat werde die
Partei "klug nutzen", sie werde "ganz solide vorgehen" und
sich selbst "nicht überschätzen".
Die staatsmännische Pose übt der FDP-Vorsitzende schon seit langem.
Der 47-Jährige legt Wert auf korrekte Umgangsformen, gepflegte Kleidung und
wohl gewählte Worte. Wenn er vom Staatsoberhaupt Horst Köhler spricht,
sagt er immer "der Herr Bundespräsident", sich selbst bezeichnet
er gern als "deutschen Patrioten", der nie und nimmer um eines
parteitaktischen Vorteils willen ein Vorhaben blockieren würde, das
Deutschland nutzen könnte.
Am Tag nach der Wahl kommt immer das große Schaulaufen in Berlin, und so
machen sich die Parteien daran, die Signale von Wiesbaden auszudeuten.
Schwarz-gelb strahlt von Hessen aus auch auf den Bund aus, das weiß
Westerwelle mit Blick auf die September-Wahl zu betonen, und in der großen
Koalition ist es zu spüren. Zunächst aber hat sich erst einmal
über Nacht eine neue Variante ins politische Farbenspiel gedrängt: die
schwarz-rot-gelbe Koalition, die man auch schwarz-rot-gold nennen könnte,
so sehr strahlt die FDP seit Sonntagabend. Es ist die Deutschland-Koalition, die
inoffiziell dadurch geschaffen worden ist, dass die Liberalen durch ihre
künftige Regierungsbeteiligung in Hessen die Sperrminorität im
Bundesrat erlangt haben.
Wer in solcher Weise mitregiert, der ist allerdings auch gefordert, dem
Bekenntnis zur konstruktiven Mitarbeit Taten folgen zu lassen. Dem Staatsmann
Westerwelle dürfte das gefallen. Den Parteipolitiker Westerwelle
könnte es jedoch schneller in die Bredouille bringen, als ihm lieb ist.
Zwar verspricht die FDP, sie werde das gerade erst von der großen
Koalition aufgelegte Konjunkturpaket nachverhandeln und dabei weniger Schulden
für den Staat und mehr Entlastung für die Bürger herausholen.
Doch auf eine Größenordnung will sich Westerwelle nicht festlegen.
Und wie das Ganze erreicht werden soll, bleibt auch im Vagen.
Gesprächsmöglichkeiten gibt es viele. Teile des Konjunkturpakets
müssen in Gesetzesform gegossen werden, da sind Beratungen im Bundestag
nötig. Die FDP setzt dabei auf die angeblich vielen Unionsabgeordneten, die
mit der geplanten Neuverschuldung auch nicht einverstanden seien. Manche
Vorhaben bedürfen der Zustimmung des Bundesrates, da werden Bund und
Länder und die Länder untereinander verhandeln. Daneben lässt
sich in Chefbüros und in verschwiegenen Restaurant so manches auskungeln.
Dabei gilt es allerdings, auf die gesetzestechnischen Fallstricke zu achten.
Wenn man wie der Finanzexperte Hermann-Otto Solms die Annullierung der
Abwrackprämie für Altautos fordert, muss man bedenken, dass diese
Wohltat für Bürger und Autoindustrie auf dem Verordnungswege umgesetzt
wird und der Gesetzgeber da nicht mitreden kann.
Für den morgigen Mittwoch sind Westerwelle und Bundeskanzlerin Angela
Merkel verabredet. Das Treffen war schon vor der Hessen-Wahl vereinbart worden,
doch nun kann Westerwelle ankündigen, dabei "werden wir uns sicher
nicht über unseren Weihnachtsurlaub unterhalten". Neben dem
Konjunkturpaket dürfte auch das künftige Mit- oder Gegeneinander im
Bundestagswahlkampf eine Rolle spielen. Am Abend der Hessen-Wahl hat man sich
jedenfalls erst einmal per SMS ausgetauscht. "Frau Merkel hat uns
gratuliert, und ich habe mich freundlich bedankt", verrät Westerwelle.
Einen Gesprächstermin mit dem anderen De-Facto-Koalitionspartner, der SPD,
gibt es offenkundig noch nicht. Hinter den Kulissen aber wird schon eifrig
kolportiert, dass der Gesprächsfaden keineswegs abgerissen sei. Am 13.
Februar will SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier immerhin eine
Westerwelle-Biografie in Berlin vorstellen. Aber viel wichtiger mit Blick auf
die Zukunft ist für Westerwelle derzeit die Union, der Wunsch-Partner
für 2009.
Bei der CDU im Konrad-Adenauer-Haus hat man sich auch optisch schon auf das
Superwahljahr eingestellt. Hinter orangefarbenen Platten haben sie das
Geländer der Freitreppe verschwinden lassen, wie auf einer Perlenschnur
reihen sich auf den Platten die Wahltermine bis hinauf zum ersten Stock. Die
Aufschrift bei Stufe neun: Landtagswahl in Hessen. Von Stufe neun aus hat man
auch einen guten Überblick zur Bühne, wo sich Angela Merkel breit
gemacht hat. Ja, breit gemacht: Sie steht da breitbeinig hinter ihrem
Rednerpult, hält es fest mit ausladenden Armen. Als müsste sie
fürchten, jemand wolle ihr das Pult wegtragen. Selbst die Pose von Roland
Koch, gleich neben ihr, wirkt im Vergleich dazu irgendwie bescheiden. Für
Kochs Verhältnisse, für einen Wahlsieger: seltsam bescheiden.
Von Stufe neun aus gesehen steht die Union ganz eindeutig auf der Siegerseite,
und das ist diesmal die Seite der FDP. Es geht deshalb jetzt auch weniger um das
maue Ergebnis der Union als um die absolute Mehrheit von FDP und Union. "In
diesen schwierigen Zeiten ein solches Ergebnis für Union und FDP
hinzukriegen", sagt die Parteichefin Merkel, "ist für mich ein
gutes Symbol." Das Ergebnis der Union mag zwar nicht berauschend sein. Aber
Merkel weiß das schon hinzubiegen, etwas verschwiemelt vielleicht:
"Die Deutlichkeit der Mehrheit lässt die positiven Gedanken weit, weit
überwiegen." Rein partei-arithmetisch dürfte Kanzlerin Merkel
ohnehin Gefallen an dem Ergebnis finden: Es bringt die Union in Hessen formal
wieder an die Macht, gibt aber dem potentiellen Widersacher Roland Koch alles
andere als Grund zum Übermut. Sie sei froh, dass es nun wieder "einen
richtig gewählten Ministerpräsidenten Koch" gebe, sagt sie.
Wie haben sie doch Nöte gehabt, vor einem Jahr, am selben Ort. Auch damals
stand Merkel da mit Koch, nur war er damals Wahlverlierer, und daneben stand zu
allem Überfluss auch noch der strahlende Niedersachsen-Sieger Christian
Wulff. Man dürfe gar nicht lange "drumrum reden", hatte Merkel
damals erklärt. Die Niederlage sei für die Union
"schmerzlich". Für Koch war der Auftritt wie eine
Extra-Demütigung nach der Schlappe, damals scheute er jedes Wort über
die fernere Zukunft. Alles war so ungewiss. Selbst an diesem Montag, ein Jahr
nach der Niederlage, steuert er seine Euphorie mit Sorgfalt. "Ich will
nicht verhehlen, dass ich zwei, drei Prozent mehr doll gefunden
hätte", sagt er. Das Ergebnis sei "Ansporn, einiges besser zu
machen". Aber er habe schon Verständnis für die Wähler, die
ja vor allem sichergehen wollten, "dass das bürgerliche Lager
zusammengeht".
Das "bürgerliche Lager", die "bürgerliche
Mehrheit": Wie eine große Wortwolke schwebt sie in den
Parteizentralen von Union und FDP. Als hätten die Hessen am Sonntag eine
Art Gutschein für den Wahlsieg im September ausgestellt, bei der
Bundestagswahl. Für Merkel geht es noch um mehr, die bürgerliche
Mehrheit ist eine Art Rückversicherung für die Kanzlerschaft. Für
die Harmonie in der großen Koalition freilich ist das Signal nicht das
beste. "Die Sozialdemokraten sind in einem schwierigen Konflikt", sagt
Merkel noch, aber mitfühlend ist das nicht unbedingt.
Damit hatten sie auch kaum rechnen können bei den Sozialdemokraten, wo sie
zu kämpfen haben mit diesem Ergebnis aus Hessen. Wenn Franz
Müntefering nuschelt, ist Vorsicht geboten. Denn Nuscheln schätzt der
Sauerländer ebenso wie Schwadronieren - nämlich gar nicht. Der
SPD-Vorsitzende liebt bekanntlich klare, knappe Sätze, die jeder versteht,
er sieht darin einen Ausweis klarer Gedanken. Doch als er im Foyer des
Willy-Brandt-Hauses steht, das miserable Abschneiden der Hessen-SPD abermals als
landesspezifischen Betriebsunfall schildert und dann auf die FDP und die
Bundestagswahl und die Koalitionsabsichten der SPD zu sprechen kommt, gerät
Müntefering ins Drucksen.
Schließlich hatten sich er und einige andere aus der Partei bislang sehr
angetan gezeigt von einer Ampelkoalition im Bund. Denn ein rot-gelb-grünes
Bündnis ist die einzige halbwegs realistische Möglichkeit für die
Sozialdemokraten, jenseits einer neuen großen Koalition an der
Regierungsmacht zu bleiben. Mit der FDP, das könnte schon klappen, lautete
diese Botschaft. Am Montag klang das anders: "Es wird Versuche geben
für Schwarz-Gelb im Bund, so wie wir versuchen werden, es zu
verhindern", sagt Müntefering vom Podium im Willy-Brandt-Haus herab.
Die FDP, so erklärt Müntefering, werde "Arbeitnehmerrechte
schleifen" und sich gegen "Regeln für das Wirtschaftsleben"
sträuben. Es folgen ein paar genuschelte Worte zu den Grünen als
möglicher Partner, dann die Versicherung, die SPD sei aber auch für
Gespräche mit der FDP nach der Bundestagswahl offen, sie schließe
allerdings auch eine neue große Koalition nicht grundsätzlich aus,
aber solle sie nicht suchen. Nur zwei Optionen spart er aus: eine
SPD-Alleinregierung und ein rot-rotes Bündnis im Bund.
Wer dem Parteivorsitzenden zuhört, muss zu dem Schluss kommen, dass es zwei
freidemokratische Parteien im Land gibt: eine schlechte, die mit der Union
gemeinsame Sache macht; und eine bessere, die zwei oder drei Minister in ein
Kabinett des Kanzlers Frank-Walter Steinmeier schicken kann. Und um die
Konfusion perfekt zu machen, sagt Müntefering noch, dass ihm die schlechten
Freidemokraten im Moment lieber wären als die besseren: "Wenn da jetzt
ein schwarz-gelbes Lager aufgebaut wird, macht uns das die Sache leichter".
Leichter? Auch im Präsidium haben die SPD-Spitzenleute über die FDP,
große Koalitionen und die Aussichten für die Zeit nach der
Bundestagswahl geredet - und offenkundig keine klaren Botschaften gefunden.
Schleswig-Holsteins Landesvorsitzender Ralf Stegner vom linken Flügel
warnt, zu laut über eine Neuauflage der großen Koalition zu sprechen.
"Das wirkt wie Schlaftabletten auf die eigenen Leute. Wir brauchen aber
Aufputschmittel", formuliert er. Schwarz-Gelb, das würde die
SPD-Anhänger auf die Beine bringen, gegen Lockerungen beim
Kündigungsschutz, gegen Atomenergie, für Mindestlöhne. In diesem
Punkt sind sich Müntefering und Stegner, Vertreter zweier unterschiedlicher
Flügel, offenkundig einig.
Überhaupt ging es im Präsidium, wie Teilnehmer berichten,
äußerst friedfertig zu. Dazu hatte auch der stellvertretende
Vorsitzende und Finanzminister Peer Steinbrück beigetragen - durch
sein entschuldigtes Fernbleiben. Er musste nach Brüssel, zu einem
Ministertreffen. Steinbrück hatte am Sonntagmittag seiner innerparteilichen
Lieblingsfeindin, der hessischen Landesvorsitzenden Andrea Ypsilanti, den
Rücktritt nahe gelegt, weil oder obwohl er wusste, dass sie das am
Sonntagabend tun würde. Ypsilantis Nachfolger Thorsten
Schäfer-Gümbel hätte ihm dazu gern ein paar Worte gesagt, ein
paar andere im Präsidium auch. Doch dieser Disput musste vertagt werden.
Nun sind das Hessen-Debakel und der Mangel an zugkräftigen
Koalitionspartnern bei weitem nicht die einzigen Probleme der SPD. Ihr droht
eine neue Welle der Enttäuschung, der Lethargie, des Rückzuges. Wie
mies sich selbst engagierte Ortsvereinsmitglieder fühlen, war am Wahlabend
im Willy-Brandt-Haus zu beobachten. Einige der kleinen Hessen-Fähnchen, die
die Stelltische im Foyer schmückten, waren von SPD-Aktivisten auf Halbmast
gezogen worden. Müntefering weiß also: Die Partei braucht Trost und
Aufgaben und positive Signale. Deshalb ist die halbe Belegschaft der
Parteizentrale am Montag zu seinem Auftritt im Foyer erschienen, es wurde
applaudierte, noch bevor ein Wort gesagt worden war. Deshalb schreibt
Müntefering auch Briefe an die Wahlkampforganisatoren in Hessen, deshalb
hält er die ganze Partei auf Trab, nach dem Motto: Kampf statt Tristesse.
Am 2. Februar beginnen offiziell die Arbeiten am Programm für den
Bundestagswahlkampf . Im April soll das sogenannte "Regierungsprogramm" stehen.
Spätestens aber im Mai droht der SPD eine neue Depression. Wenn kein Wunder
geschieht, werden Union und FDP mit ihrer schwarz-gelben Mehrheit
Bundespräsident Horst Köhler eine zweite Amtszeit bescheren. Und
Müntefering muss erklären, warum das gut ist für die SPD.
Von Peter Blechschmidt, Michael Bauchmüller und Susanne Höll
Wenn Franz Müntefering nuschelt, ist Vorsicht geboten
Peer Steinbrück sorgt für Ruhe - indem er nicht zur Sitzung
erscheint
"Wir sind nicht plötzlich Regierungspartei": FDP-Chef Guido
Westerwelle (Bild oben) fühlt sich so im Aufwind, dass er verspricht, nicht
"abheben" zu wollen. Angela Merkel (Bild Mitte) hat auch Grund zur
Freude, weil Roland Koch nun wieder ein "richtig gewählter
Ministerpräsident" ist. Nur bei der SPD gibt es für Franz
Müntefering (Bild unten, links) und Thorsten Schäfer-Gümbel gar
nichts zu jubeln. Fotos: ddp, Getty, AP